Miyako und ich sahen uns mit einem Rätsel konfrontiert. Der Kreis ließ sich nicht von jeder Stelle aus betreten, es war als würde man gegen eine Wand aus konzentrierter Luft laufen. Lediglich aus der Richtung des hinführenden Ganges und auf der direkt gegenüberliegenden Seite war es möglich einzutreten. Ich versuchte zunächst mein Glück alleine – und prompt erschienen auf jedem Meter in diesem Kreis weiße Lichtsäulen. Nur auf der Falltür in der Mitte war sie gelb eingefärbt.
Ich trat in die erste weiße Säule vor mir und musste feststellen, dass dadurch ein Zauber ausgelöst wurde. Aus zwei der Dämonenfratzen, scheinbar willkürlich unter den über uns dräuenden ausgewählt, schossen grünliche Flammen und hüllten den Bereich unter sich in tödliche Hitze. So trat ich dann auf das nächste Feld und an zwei anderen Stellen wurde grüner Nebel freigesetzt – ein Todeshauch, der jedoch auf diesem Flecken verharrte.
Zwei Felder weiter und ich stand zwischen den bedrohlich aufragenden, übermenschlich großen Statuen der Dunklen Meister. Zwischendurch hatte ich noch weiteres Dämonenfeuer und auch eisigkalten Nebel an anderen Stellen des Kreises hervorgerufen. Auffallend war jedoch, dass sich die Fratzen über dem Kernbereich des Rings nicht dazu herabließen, düstere Magie auszuspucken und tatsächlich stellte ich fest, dass ich auch bei weiteren Schritten im Innenkreis keine Gefahr zu fürchten brauchte. Außerdem ließ die verheerende Hexerei, nachdem sie ausgelöst wurde, nach einigen Schritten wieder nach. So konnte ich durch es Miyako häufiges Hin und Herlaufen ermöglichen, einen freien Pfad in die Mitte des Kreises zu nehmen.
Ein Übel vergangener Tage
Es schien nur noch einen Weg zu geben: die spitz zulaufende, doppelflügelige Tür am Ende dieses kurzen Flurs. Sie war bereits einen Spalt breit geöffnet. Jemand anderes musste hier entlang gekommen sein und die Vermutung lag nahe, dass dies die Gesandten gewesen waren.
Miyako huschte hin und untersuchte die Tür vorsichtig auf etwaige Fallen, die sich die sinistren Schöpfer dieses Ortes ausgedacht haben mochten. Indes nutzte ich die Zeit, um Ricardo mit der magischen Macht der Natur auszustatten. Verblüfft betrachtete der Küstenstaatler seine zu Rinde gewandelte Haut und nickte mir anerkennend zu. Nach einiger Zeit gab Miyako uns mit einem knappen Nicken zu verstehen, dass sie Nichts gefunden hatte und schob daraufhin den rechten Torflügel auf… oder versuchte es viel mehr. Die Tür erwies sich als massiv und schwer, noch dazu klemmte sie etwas. Doch als sich Groam schwungvoll dagegen warf, glitt sie mit einem schabenden Geräusch über den Boden.
Durch das Tote über den Abgrund
Der Hausdiener von Lukah Senenna pries mit wohl gewählten Worten einen in Essig eingelegten Kürbis mit Pinienkernen gewürzt mit Koriander und grünem Pfeffer an. So gab es nicht nur wieder einmal ausgefallenes Essen, sondern auch zahlreiches, denn nahezu sämtliche Persönlichkeiten, die etwas in Oktrea auf sich zu halten schienen, waren zu Gast. Und natürlich wir Söldner.
Ich nutzte die Gelegenheit beim Essen und in der zwanglosen Gesellschaft danach, um einige Gespräche zu führen. Zunächst sprach ich den twyneddischen Schamanen Had y Rhydd an. Ich sprach ihn auf seine ferne Heimat Fuardain an und überraschenderweise erwiderte der Mann, dass er ein Kuriositätenhändler sei, der zurzeit hier in Oktrea verweile. Sein Wohnort sei ein äußerst buntes Zelt etwas abseits und prompt lud er mich ein, mir am nächsten Tag seine Angebote anzusehen. Unter anderem vertrieb er wohl Teile von seltenen Tieren. Auf die Frage hin, ob er denn nicht ein Schamane sei, wie es mir erzählt worden war, murmelte er halb bestätigend, dass er sich der Natur sehr verbunden fühle. Das machte es nicht weniger seltsam, dass er als Kuriositätenhändler bis nach Chryseia reiste. Zudem schien er sich – rein freundschaftlich, wie er betonte, nicht geschäftlich – mit Lukah Senenna verbunden zu haben, weswegen er auch zu den abendlichen Gesellschaften eingeladen wurde.
(Schein) Heilig?
Es war der 12. Tag der ersten Trideade des Nixenmondes im Frühsommer, da hatten wir uns zu fünft in der Mensa des Ordenshauses versammelt und berieten darüber, wie es weitergehen sollte. Es stand fest, dass Ricardo und Leif weiter mit uns reisen würden – Groam jedoch wollte sich vorerst von uns trennen und nach Haelgarde reisen.
„Du möchtest das dortige Zwergenviertel aufsuchen, oder?“, fragte ich nach.
„Ich komme von dort“, brummte Groam Bärentod. Es war traurig genug, dass keiner von uns nach all der Zeit wusste, woher der Zwerg ursprünglich kam, sodass sich eine peinlich berührte Stille ausbreitete.
Als Feanor zu uns herantrat und uns verheißungsvoll mitteilte, dass wir ihm folgen sollten. Der Zwerg kam vorerst mit uns mit, vielleicht roch er ja Gold. So gingen wir fünf mit Feanor in dessen Büro, wo bereits ein älterer Mann auf uns wartete. Er trug feine Kleidung und hatte einen gebräunten Teint. Sogleich erhob er sich, als wir eintraten und stellte sich vor.
„Seid gegrüßt. Mein Name ist Rothilus Balmatrema. Ich bin der Vorsteher der kroisischen Handelsgilde. Ihr müsst die Gruppe sein, welche mir Feanor empfohlen hatte.“
Nacheinander reichten wir dem Chryseier unsere Hand, während Feanor es sich hinter seinem Schreibtisch gemütlich machte und beobachtete, was geschah, ohne sich weiter einzumischen. Sein Teil der Vermittlung war nun wohl erledigt.
Fieber im Süden
Drei Monde vergingen, da rief Feanor Miyako, Groam und mich wieder zu sich. Wir waren bereits seit einigen Tagen mit unseren Lehrstunden fertig und waren ratlos, wohin wir uns wenden sollten. Da kam der Aufruf des Magiers gerade recht und neugierig gingen wir zu seinem Büro. Wo er uns in altbekannter Manier hinter seinem gewaltigen Schreibtisch erwartete.
„Ah, gut, dass ihr so rasch kommen konntet. Setzt euch doch… ich habe eine Idee, wie wir weiter verfahren können. Meine bisherigen Nachforschungen haben einige wenige blinde Flecken, um die ich mich bisher nicht kümmern konnte. Einer davon ist Rawindra. Jenes Land tief im Süden, in grober Nähe zu KanThaiPan. Es ist weitläufig und undurchsichtig, darüber hinaus verfügt es über nahezu keine Geschichtsschreibung. Abgesehen von den westlich gelegenen Städten ist es überdies für Fremde nicht gerade leicht, Anklang zu finden. Die Menschen leben in einer tiefreligiösen Gesellschaft, die sich in Kasten gliedert… und Fremde sind kein Teil des Systems.
Nun sehe ich aber eine Möglichkeit, dass ihr euch dort umsehen könnt und wie wir das sinnvollerweise mit einer weiteren Tätigkeit verbinden können. Ich habe mich vor einigen Monaten zwei junger Talente aus dem Ausland angenommen. Dank meiner Hilfe konnten sie hier in der Gilde lernen und sind besonders an Rawindra interessiert, einer hat bereits die wichtigsten Grundlagen der Sprache erlernt. Ich bot ihnen an, Geleitschutz für eine Reise aufzutreiben. Da kommt ihr ins Spiel. Von den Rosen habe ich den beiden Nichts erzählt. Ich habe Vertrauen in ihr Potenzial, aber alles weitere wird sich erst zeigen müssen. Daher werde ich euch zunächst als einfache Begleiter vorstellen und wenn Anomalien erkennbar werden, könnt ihr die beiden in die richtige Richtung stupsen.“
Das Wiedersehen
Bevor wir aufbrachen, entfernte ich mich etwas von dem notdürftigen Zeltlager, das die überlebenden Arthlinner beherbergte und holte die Rose aus Rubin hervor. Vorsichtig öffnete ich die Schatulle, die sie – oder eher uns – beschützen sollte und begann eine Meditation. Den Blick fest auf das magische Artefakt gerichtet, versuchte ich dessen magisches Wesen zu ergründen. Ich erwartete irgendeine Form von… Gefühl. Die Bernsteinrose hatte zugänglich und vertraut gewirkt. Geias blaugrünes Artefakt hingegen hatte mir einen geistigen Schlag versetzt.
Dann riss es mich fort. Mir war, als würde alles dunkel werden, ehe ich langsam und verworren meine Sicht wiederfand. Alles wirkte seltsam…unecht. Doch weniger war es eine Täuschung, als vielmehr eine alte Erinnerung, so oft aus den unteren Schichten des Gedächtnisses hervorgeholt und so oft mit schwerwiegender Bedeutung versehen, dass sie fern davon war unverfälscht zu sein. Und so sah ich eine Frau mit langen, braunen Haaren. Sie trug eine Robe, die von glänzenden Fäden durchzogen war. Die Arme waren ausgebreitet, bewegten sich gleichermaßen im Rhythmus einer magischen Beschwörung und dem Tanz der Körpersprache. Denn sie hielt eine Ansprache vor einer Gruppe von sieben weiteren Personen, die mir nur schemenhaft in den Blick kamen. Ein gewaltiges Flammenmeer umhüllte uns allesamt – die sieben und die achte sowie mich, den Beobachter, der weniger beobachtete als sich erinnerte. An etwas, das er niemals erlebt hatte.
Ich nahm einen tiefen Atemzug und sah wieder die weite, trostlose Ebene von Mallachtéara vor mir. Ein kurzer Moment des Innehaltens, dann blickte ich wieder auf das Artefakt und diesmal spürte ich eine gewisse Wärme – ähnlich zum angenehmen Glühen der Muskeln nach einer anstrengenden Tätigkeit, wenn man spürt, dass der Körper arbeitet. Der Stein versprühte eine eigene Dynamik, verhieß Geschwindigkeit und Stärke zugleich und umrandete das mit dem heißen Kuss des Feuers, der die Luft um mich herum langsam auszutrocknen schien.
Feuersturm
Sorgenfalten gruben sich in Doronvaths Stirn. Als sie die Zeilen überflogen hatte, blickte sie auf und erklärte mit von Unglauben gezeichneter Stimme: „Der Verfasser befiehlt eine…Blockade von Arthlinn. Sämtliche Straßen sollen besetzt werden und jeder aufgehalten werden, der versucht in das Dorf zu kommen oder aus ihm heraus. Für die Auslieferung eines faustgroßen Edelsteins werden zehntausend Goldstücke versprochen…“
„Das erklärt einiges“, erwiderte ich grimmig. „Nun, eine Seite der Blockade ist vorerst durchbrochen. Ist der Brief unterzeichnet worden?“
„Leider nein“, seufzte Doronvath, während sie sich die Schläfen rieb, als hätte ihr diese Nachricht Kopfschmerzen bereitet. Was nicht verwunderlich wäre. Ich musste bei dem Gedanken kurz schmunzeln, dass albische Diebe ein solches Dokument mit Sicherheit ablehnen würden, bei den Erfahrungen, die wir dort gemacht hatten. Ohne Unterschrift und ohne Siegel? Das musste doch gegen die Räuberehre verstoßen. Natürlich war jetzt nicht wirklich der Zeitpunkt für solch schwachsinnige Gedanken.
Best of “Olo Platschfuß”
Kennenlernen
„Ich bin Ilfarin.“
„Ilfaen?“
„Ilfarin.“
„Ilfaherin?“
„Il-fa-rin“, erklärte ich geduldig.
„Ihr Elfen habt echt komische Namen. Ich bin Olo. Olo Platschfuß.“
„Platschfuß?“, fragte ich schmunzelnd nach.
„Oh ja! Du siehst, ich trage meinen persönlichen Wohlstand vor mir her“, er wies auf seinen nicht geringen Bauchumfang. „Natürlich rein erblich bedingt, weißt du, meine Eltern…ich schweife ab. Aber auf jeden Fall drückt das ganz schön auf die Füße!“
Die Schlacht der Verfluchten
Ehe wir aufbrachen gab es jedoch einige Dinge zu klären. Miyako hatte sich lange geheimnisvoll gegeben und sich bemüht, so wenig von sich preis zu geben, wie dies möglich war. Ein Schloss zu knacken war eine Sache, ihre große Begabung im Schwertkampf eine andere. Doch die Kenntnisse einer Meuchelmörderin, mit der Präzision einer Ärztin genau die zentralen Lebensknoten eines Menschen zu attackieren… Das beunruhigte mich.
Und so nahm ich Miyako an einem Abend in unserem Gasthaus zur Seite. Sie schien bereits zu ahnen, worauf es hinauslaufen würde und wirkte ebenso wenig angespannt wie sonst auch.
„Nun, Miyako. Wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile“, begann ich. „Besitzt du eigentlich einen Nachnamen?“
„Ja… Kinjo. Miyako Kinjo.“
„Sehr schön! Also, nachdem wir nun die verfänglichen Fragen geklärt haben…“, versuchte ich die Situation mit einem denkbar schlechten Scherz aufzulockern. „Mir ist nicht entgangen, wie du Gormigust angegriffen hast. Oder wie du einen der Zombies vor seinem Turm hingerichtet hast. Das ist keine Allerweltsfertigkeit. Solche Kenntnisse sind Assassinen vorbehalten… sag mir, wo hast du das gelernt?“
Wo versteckt man einen Turm?
Wir suchten zunächst wieder Balthasar auf, verbrachten dort eine Nacht und erholten uns den mentalen Strapazen, die die letzten Tage auf uns eingeprasselt waren. Allmählich erholte auch Olo sich von den magischen Nachwirkungen der Pralinen, wenngleich ihn wahrscheinlich Nichts davon abhalten würde, sie erneut zu kosten. Aber unsere Hoffnung war es vorerst, die anderen Briefe zu bergen. Womöglich konnten wir das Rätsel auch ohne Babajagas Anteil lösen und dann wäre der Hexe ihre gerechte Strafe zuteil geworden.
Während Furunkel als gefährlich galt, wollten wir uns also zunächst Gormigusts annehmen und fragten Balthasar, was er uns über ihn erzählen könne.
„Also Gormigust dürfte wohl kaum ein Problem sein. Er ist klug und vernünftig. Gundel allerdings…nun, sie ist sehr von sich eingenommen. Ohne irgendeine Kompetenz vorweisen zu können, ist sie überzeugter von sich als ihr Bruder es jemals war. Der arme Narr, er könnte sie wahrscheinlich mit einem Fingerschnippen Manieren lehren, doch er unterwirft sich lieber ihrer Knute. Sie ist ehrlich gesagt, ziemlich gemein zu ihm. Wenn ihr sie überwinden könntet, dann dürftet ihr es schaffen, den Brief zu gewinnen.“