Eine unruhige Vergangenheit

Eine angenehme Kühle öffnete mir die Augen. Ich lag noch immer mit dem Rücken auf dem Fels, der Regen hatte etwas nachgelassen. Das Blut in der Senke vor uns stieß noch immer bei jedem aufschlagenden Wassertropfen ein feindseliges Zischen aus. Wydor selbst lag noch immer tot da. Der goldene Drache – besiegt.          
Mara hatte ihre Rüstung bereits wieder angelegt, Zedd musste sie schon magisch versorgt haben. Der Schmerz drängte sich wieder in mein Bewusstsein. Taubheit in den Fingern, übersät mit Brandblasen, ein tief wummerndes Pochen im Schädel. Die Hitze des Drachenbluts gewann wieder an Präsenz. Ächzend winkte ich mit der Hand und sofort war der Araner an meiner Seite. Mit heilenden Worten glitt er entlang meiner geschundenen Arme, ließ die Handflächen zuletzt neben meinen Schläfen zur Ruhe kommen. Ich spürte mehrere Minuten lang, wie das Feuer in mir zur Ruhe kam. Schließlich konnte ich mich aus eigener Kraft von dem scharfkantigen Boden aufrichten. Er hinterließ keinerlei Spuren auf meiner Haut.    

„Suena und Jenn haben leider nicht so gut auf meine Behandlung angesprochen“, stellte Zedd fest und wies auf die beiden Frauen, die mit einem Tuch bedeckt auf dem Fels neben der Senke lagen. Sie waren wach, machten dabei jedoch den Eindruck, als wären sie nur knapp dem Tode entronnen … was ziemlich genau stimmte.           
„Bringen wir sie ins ehemalige Gemach Bogeds“, schlug Mara vor. „Dort im Himmelbett liegt es sich sicherlich besser als hier auf dem Fels.“
„Eine gute Idee“, schloss sich Zedd an. „Spätestens morgen sollten sie dann wieder laufen können. Allerdings wären Kämpfe in nächster Zeit keine gute Idee.“         
Jenn und Suena nickten den Vorschlag müde ab. Kaum hatten wir sie die Gänge tiefer in den Berg hineingetragen und im Himmelbett abgelegt, waren sie eingeschlafen. Mara beschloss, über sie zu wachen, während in Zedd ein gewisser Tatendrang erwachte. Das Drachenblut hatte er zweifelsohne am besten vertragen.

Ein loses Ende unserer Erkundungen war der anliegende Raum, der eine Art Labor darstellte. Dabei waren noch Käfige lebender Tiere und an seinem Ende der hinter einem Porträt versteckte Tresor. Zedd besah sich die glatte, metallene Oberfläche ohne jegliche Griffmöglichkeiten noch einmal, wurde aber ebenfalls nicht fündig.               
„Ich habe eine andere Idee“, stellte er fest. „Wenn wir ohnehin etwas warten müssen, dann können wir die Zeit für einige akademische Studien nutzen!“               
„Studien“, brummte ich. „Von was?“   
„Von der Wirkung von Drachenfleisch auf niedere Säugetiere.“             
Ich prustete los. „Drachenfleisch? Dir ist aufgefallen, dass das Blut dieses Mistviechs bereits extrem gefährlich ist?“  
„Aber wenn man es … auswringt – oder etwas in der Art – vielleicht wird es dann genießbar?“              
„Das halte ich für eine sehr gewagte … wie nennst du sowas immer? Theorie. Eine gewagte Theorie.“
Doch Zedd winkte ab. Der von Tieren faszinierte Araner ließ sich von seiner experimentellen Herangehensweise nicht durch meine Vorhersage abbringen. Er ging zu Wydor und schnitt mit größter Vorsicht etwas Fleisch aus dem Drachen heraus. Der hatte bisher bereits das meiste Blut verloren und Zedd wusste zumindest an dieser Stelle, was er tat. So blieb seine eigene Verletzung aus. Das Fleisch klopfte er noch ein paarmal mit seinem Kriegshammer ab, bis nicht mehr allzu viel Blut spritzte. Nun ging es zurück ins Labor – zu den Ratten.

Mit Vorfreude und einem nicht mehr ganz gescheiten Interesse am Ausgang des ganzen platzierte Zedd das Stück Drachenfleisch im Käfig der Tiere. Diese, nur ein wenig gefüttert von uns vor zwei Tagen, stürzten sich umgehend auf das verlockende, saftige Essen.      
Binnen weniger Sekunden erklang ein schauriges Quieken und Fiepen. Die Ratten begannen einen schmerzerfüllten Veitstanz, kaum dass sie einen Bissen genommen hatten – und starben. Teilweise an offenkundig auftretenden Verbrennungen am Rachen, teilweise womöglich an einer giftigen Wirkung des Essens.           
Mit verschränkten Armen blickte ich zu Zedd, der etwas von dem Käfig zurückgewichen war. „Nun?“
„Ähm … ich würde sagen, dass der empirische Beweis hiermit erbracht ist. Man sollte Drachenfleisch nicht essen“, erklärte der Priester.     
Mit einem bedächtigen Nicken wandte ich mich von dem Priester ab und kehrte zu unseren Invaliden zurück. Zedd trottete eine Weile später hinterher, verzichtete aber darauf, seine neuen, akademischen Erkenntnisse mit den anderen zu teilen.

Angesichts der Anstrengungen der letzten Tage beschlossen wir, auch uns dreien etwas Ruhe zu gönnen. Abwechselnd hielten Zedd, Mara und ich Wache, während die anderen dösten und Jenn und Suena schlafen konnten.                       
Ein Tag verging, ereignislos mit nur kleineren Essenspausen. Dann tasteten sich unsere Schwerverletzten vorsichtig auf die Beine und es gelang ihnen, sich aufrecht zu halten. Einen Dauerlauf würden sie in absehbarer Zeit jedoch nicht hinlegen.                
„Ich habe noch eine Idee, was diesen Tresor anbelangt, den sich Wydor angelegt hatte“, gab Mara nun kund und wir gingen gemeinsam in das nebenanliegende Labor. Zedd und ich blieben dabei nahe bei Suena und Jenn. Allerdings hofften wir alle, dass es keinen Hinterhalt mehr geben würde. Entschlossen schritt die Elfe auf die makellose, silberne Oberfläche zu, legte ihre Hand darauf … und wir alle hörten ein verheißungsvolles Summen. Die Tür des Tresors glitt langsam nach außen auf.
„Wie hast du das gemacht?“, fragte Jenn neugierig.     
„Ich habe an Wydor gedacht. An seinen Namen. Diese Halblinge scheinen sehr versessen darauf zu sein“, stellte Mara mit einem leichten Lächeln fest. Sie holte die Gegenstände hervor, die sich im Fach befanden: fünf Tränke mit dunkler, roter Flüssigkeit, ein Zettel mit der Silbe „Po“, wie Jenn vorlas, und einen leeren Buchumschlag. Die Seiten waren entfernt. Nur auf dem Umschlag ließ sich lesen: „Buch des vollkommenen Wesens“. Jenn zuckte die Achseln. Auch Suena hob fragend die Augenbrauen. Und während sie das tat …  
„Der rote Punkt ist weg!“, stellte Zedd fest. „Das seltsame Mal zwischen deinen Brauen. Es ist verschwunden!“          
„Endlich“, sagte Suena und atmete erleichtert aus. „Allmählich habe ich genug von solchen magischen Flüchen und Zeichen. Ich spüre auch nicht mehr diese Unruhe, die der Zauber in mich gepflanzt hatte.“     
„Hat einer von euch eine Idee, was es mit diesen Dingen auf sich hat?“, lenkte Jenn die Aufmerksamkeit wieder auf den Tresorinhalt. Doch keiner von uns wurde aus den Teilen oder ihrem Zusammenwirken schlau. Auch die weitere Silbe wollte nicht zu den anderen passen, um ein uns bekanntes Wort zu ergeben. Damit beschlossen wir, dieser unterirdischen Behausung vorerst den Rücken zuzukehren. Wir holten den versteinerten Utz und machten uns auf den Rückweg nach Oristar. Der Hund war glücklicherweise nicht zu Granit geworden, nichtsdestotrotz mussten wir uns regelmäßig beim Tragen abwechseln. Und so angeschlagen wie Jenn auch war, sie ließ sich nicht davon abhalten, das so liebgewonnene Tier selbst die meiste Zeit zu tragen.

Am Nachmittag erreichten wir das Halblingsdorf, das so dalag, wie wir es verlassen hatten – erstarrt unter einer magischen Kuppel. Wir schritten durch das blaue Flimmern, das einige von uns wieder erst auf den zweiten und dritten Versuch einlassen wollte. Selbst Suena stellte nun ohne ihr magisches Mal einen Widerstand fest. Doch das Eintreten gelang und wir gingen schnurstracks zu Boged dem Zauberer. Nahe an seinem Ohr ließ Suena ein „O“ vernehmen und klatschte in die Hände. Unmittelbar erwachte der Zauberer, sah uns verblüfft an. Dann offenbarte ihm Mara den neuesten Stand: „Der goldene Drache ist Geschichte. Wir haben ihn besiegt.“             
Die Augen des Halblings weiteten sich, beinah begann er zu zittern. Dann sagte er: „Endlich. Es ist geschafft. Habt vielen Dank!“

Boged machte sich sogleich ans Werk. Zwischen seinen magischen Gerätschaften und Gegenständen wühlte er herum, bis er schließlich in einer Mischung aus Alchemie und Zauberei mitsamt der Rezitation mir vollkommen unverständlicher Verse endete. Der Blick aus dem Fenster lag nahe – und tatsächlich begann die blaue Kuppel zu flackern. Dann löste sie sich auf. Oristar benötigte den Schutz nicht mehr.           
Eine Sache gab es noch zu tun, bevor wir uns mit dem Zauberer besprachen. Er schritt in das große Gemeinschaftsgebäude, wo er den Schildkrötenpanzer entfernte und damit auch den Bann von den Halblingen nahm. Ob das eine zweite Sicherung war oder die Anwohner losgelöst von der Barriere vor dem Aushungern war, erörterte Boged kurz mit Suena, wobei auch Jenn und Zedd interessiert zuhörten. Ich hatte indes den Halbling im Auge, den ich als kleinen Streich umgesetzt hatte. Daraus ergaben sich jedoch keine größeren Verwicklungen – zu abgelenkt waren die halbwüchsigen Einwohner des Dorfes von ihrer Befreiung und den Menschen in ihrer Mitte.

Nachdem sich Boged dieser Aufgaben für die Allgemeinheit angenommen hatte, konnten wir uns mit ihm in sein Haus zurückziehen und über die vergangenen Ereignisse sprechen. Es stellte sich zunächst heraus, dass er gedacht hatte, wir wären die erste Gruppe gewesen, die sein Bote – der junge, am Eingang des Tals versteinerte Halbling – ausfindig gemacht hatte. Von Gembal und Kuriens wusste er nichts, war jedoch schwer erschüttert, dass sie wohl ihr Leben in den Fallen Wydors und seiner Schergen gelassen hatten.                
Und er erzählte uns nun die Geschichte dieses boshaften Zauberers. Wie die Bücher und Gemälde nahegelegt hatten, gab es in Oristar einen kleinen Magierzirkel zu dem auch Wydor gehört hatte. Seine Leidenschaft lag jedoch in der Verschmelzung lebender Wesen zu chimärenhaften Kreaturen. Das hatten die anderen Zauberer, darunter Boged, nicht billigen können. Doch eine einfache Verbannung war nicht ausreichend gewesen. In den Bergen hatte Wydor sein Werk fortgesetzt, sodass schließlich Galadis, einer der Halblingszauberer und der Schöpfer des Werks über Schilde, zu ihm gegangen und ihn bekämpft hatte. Er war siegreich gewesen und Wydor hatte sich schwerverletzt zurückziehen müssen, während Galadis zurückkehrt war. Seinen Wunden war er jedoch erlegen. So hatte er nicht mehr miterleben müssen, wie sich Wydor seine Rache verschaffen wollte: Boged vermutete, dass der verletzte Halbling in seiner Verzweiflung den drastischen Schritt ergriffen und sich zu einem Drachen verwandelt hatte. In dieser Gestalt wollte er Rache nehmen, was Boged mithilfe der Schildmagie hatte verhindern können. Der Rest der Geschichte war uns wohl vertraut.     
Einige Fragen blieben uns jedoch. Ich fragte noch, wofür Wydor den Sanustrank wollte. Darauf wusste der Halblingszauberer auch keine sichere Antwort, vermutete jedoch, dass es vielleicht mit der Rückverwandlung zu tun haben könne. Allerdings sei das nicht sehr wahrscheinlich und Boged betonte, dass Verwandlungsmagie nicht sein Schwerpunkt war.      
Auf die Frage hin, wer die blonde Frau gewesen sei, die Wydor vielleicht verehrt hatte, musste er etwas überlegen. Er entsann sich, dass Wydor einmal eine Frau erwähnt habe, die er begehrte, doch sie seine Liebe nicht erwidert hatte. Ob das mit Levin zu tun habe, konnte Boged nicht beantworten. Ihm sagte der Name nichts, allerdings habe der spätere Drache in einem Nebensatz einen Mann erwähnt, der mit seiner Angebeteten zusammengekommen sei. Es gab also eine Verbindung zwischen Levin und Wydor – über diese Frau, Erendira der Gemäldeunterschrift im Labor des Hexers nach. Doch was war aus ihr geworden?

Das fragten wir uns auch über die Halblinge, die außerhalb der Kuppel bei der Mühle lebten. Oder gelebt hatten, wie sich in den folgenden Stunden herausstellte. Zwar hatte das Drachenfeuer sie verschont, doch waren sie dennoch ermordet worden. Möglicherweise Opfer der Dämonen, die Wydor auf das Tal losgelassen hatte.           

Doch länger ließ sich Jenn nicht auf die Folter spannen. Sie brachte Utz zu Boged und fragte bang, ob er den Hund wieder zurückverwandeln könne. Er nahm sich einige Zeit, um das Tier zu betrachten, ehe er nickte. Allerdings warnte er, dass eine Rückverwandlung einen großen physischen Schock darstelle – einer, der ebenfalls tödlich sein könne.   
Das „Leben“ als Statue war jedoch keine denkbare Alternative, sodass Jenn beschloss, dass es das Risiko wert war. Boged nickte und machte sich ans Werk. Etwa zehn Minuten lang ging er um den Stein herum, sprach Formeln und verrenkte seine Hände in umständlichen Bewegungen. Dann – so schnell wie er Stein geworden war – verwandelte sich Utz wieder in ein Wesen aus Fleisch und Fell. Er stieß ein lautes Jaulen aus, hechelte heftig … aber hielt sich auf den Beinen. Utz hatte die Rückverwandlung überstanden!            

Doch damit war Boged noch nicht ganz aus dem Schneider. Wir übergaben ihm die Tränke, die wir in letzter Zeit gefunden hatten, damit er sie in seinem Labor untersuchen konnte. Darunter waren die fünf Tränke mit roter Flüssigkeit und ein hellgrüner. Der Halbling machte sich sofort gewissenhaft an die Arbeit. Leider waren solche alchemistischen Proben nie gänzlich frei von Fehlern und einer der roten Tränke wurde verunreinigt. Boged musste ihn wegschütten. Doch von den anderen konnte er schließlich sagen, dass sie in der Lage waren, Verwandlungen rückgängig zu machen. Damit meinte er keine Versteinerungen, sondern Verwandlungen, wie sie Wydor durchgeführt hatte – sich selbst in einen Drachen beispielsweise. Auch wenn der Halblingszauberer anmerkte, dass die Tränke wahrscheinlich eher für schwächere Veränderungen gedacht waren.            
Der grüne Trank indes – Boged gab ihn uns mit hochgezogenen Brauen und ehrlichem Erstaunen zurück. „Ein starker Trank. Er vermag es, die Ausdauer, ja, die ganze Lebenskraft desjenigen, der ihn trinkt, zu erhöhen. Dauerhaft.“       Da wurden auch wir hellhörig. Das war etwas, das gerade wir Kämpfer an vorderster Front gebrauchen konnten. Jenn und Mara waren mir dabei sehr gewogen und auch die anderen gönnten mir diesen Trank. So nahm ich ihn voller Freude in einem Zug ein. Im ersten Moment war es ein seltsames Gefühl, als das magische Gebräu meine Kehle herabrann. Es schien, als würde es unmittelbar durch meinen ganzen Körper ziehen. Eine angenehme Wärme wie bei einem guten Schnaps. Und ein Gefühl, das nicht verging. Selten grinste ich so breit wie in diesem Moment.

Nach diesen alchemistischen Erkenntnissen verbrachten wir zwei Tage in Oristar, um uns vom Kampf mit dem Drachen zu erholen. Schließlich konnte auch Zedd wieder seinen Freund Ormut überzeugen, uns ein weiteres Mal seine Heilung zukommen zu lassen und brachte uns damit fast wieder auf Normalmaß. In der Zeit experimentierten wir auch ein wenig herum, was die Stärke unserer Haut anging. Die Legenden stimmten – wir alle trugen nun Haut wie einen Panzer.     
Ebenjenem Drachen, dem wir diesen Umstand verdankten, schlachteten wir am Ende dieser Zeit aus. Schuppen, Krallen, Zähne. All dies ließ sich zu Gold oder zumindest zum Andenken machen. Ich bohrte in eine Kralle Löcher, sodass ich mir sie als Anhänger um den Hals hängen konnte, die anderen ließen sich ebenfalls nicht lumpen.     
Damit war unser letzter Halt im Tal gemacht und wir beschlossen, zu Dario zurückzukehren. In unsere Welt, die in irgendeiner Art und Weise anders lag, als dieses drachenverseuchte Gebiet hier. Boged begleitete uns bis zu der Stelle, an der wir zum ersten Mal Fuß in das Tal gesetzt hatten – und nicht weit davon dem goldenen Drachen kennenlernten. Noch immer stand dort die Statue des Halblings oder vielmehr sein versteinerter Körper. Mit tiefen Sorgenfalten im Gesicht betrachtete Boged den kleinen Mann. „Ja, das ist der junge Bote, den ich auf die Suche nach Abenteurern geschickt habe. Ich werde versuchen, ihn von dem Bann zu befreien.“               
Der Zauberer legte seine Hände auf die Schultern der steinernen Statue und begann den Zauber, den er bereits auf Utz angewandt hatte. Minutenlang sprach er rhythmisch auf den Halbling ein – dann verwandelte der Fels in Fleisch, die steinerne Kleidung wurde wieder zu Stoff. Der junge Bote sah den Hexenmeister einen Moment erstaunt an. Dann gab er einen schrecklichen Schrei von sich, der hoch gellte und von der Felswand zurückgeworfen wurde. Er sah auf seine Hände, packte sich dann an die Brust. Und brach auf der Stelle zusammen.

Zedd und Suena waren sofort bei ihm, doch er war sofort tot. Der Schock, den die Versteinerung und Rückverwandlung ausgelöst hatte, war zu viel für seinen Körper gewesen. Boged ging niedergeschlagen neben ihm in die Knie. Die Zeit der Trauer schob er schließlich jedoch auf, erhob sich und machte einige Gesten in Richtung der Höhle, aus der wir gekommen waren.                
„Geht nun hindurch und ihr werdet in eure Heimat zurückkehren. Hinter euch werde ich das Portal schließen, um es Eindringlingen unmöglich zu machen, in unser Tal einzufallen“, verkündete der Zauberer. „Im Namen ganz Oristars danke ich euch für eure Taten. Und ihr habt sicher noch viel mehr Menschen Unheil erspart, indem ihr Wydor endgültig besiegt habt. Auch wenn wir uns nie wieder sehen, so seid euch unseres Dankes gewiss.“      
„Wir sind froh, dass wir dem geschuppten Monster ein Ende machen konnten“, sagte Suena. Und Mara ergänzte: „Es war ein guter Kampf. Ich werde mich daran erinnern.“        
Wir anderen verabschiedeten uns stumm oder mit kurzen Worten, dann traten wir nacheinander durch die Höhle. Ein Sog erfasste uns und das nächste was wir nach einem Moment tiefster Schwärze erkannten, waren die Schemen von Felsen. Dem Tageslicht entgegenstolpernd kamen wir in einen großen Felskessel, wo wir bereits erwartet wurden: Dario eilte uns entgegen.

Verständlicherweise reagierte Dario mit einigem Erstaunen und auch etwas Skepsis auf unsere Geschichte. Doch als wir ihm die neue Festigkeit unserer Haut präsentierten, stellte er fest: Diese Geschichte, so unglaublich wie sie wahr, musste stimmen.           
Dario hatte erfolgreich allen Gefahren aus dem Weg gehen und unsere Pferde unbeschadet hüten können. So setzten wir uns in den Sattel, auf den Weg vom Drachenkessel hinunter. Einen ersten Halt strebten wir dabei beim Haus des Zauberers Levin an – wir hatten einige Neuigkeiten, die ihm vielleicht etwas wert waren und zudem noch eine offene Frage: Was war mit Erendira geschehen?

Kaum dass wir die Pferde angebunden hatten, öffnete sich die Tür der beschaulichen Hütte und der hochgewachsene Zauberer trat aus der Tür. „Seid gegrüßt! Wie erging es euch oben im Drachenkessel.“              
„Oh, es gibt einiges zu erzählen!“, erklärte Suena. Der Mann lud uns auf eine Tasse Tee ein, den ich nur mangels Alternativen annahm, und unsere Zauberin erzählte ihm, was wir gesehen hatten. Mit solchen Portalen hatte er bereits selbst einige Erfahrung gemacht, sodass er bis dahin noch recht entspannt wirkte. Als jedoch der Name Wydor das erste Mal fiel, beugte er sich leicht nach vorn und seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen. Die Schilderung über den Kampf mit dem Drachen und einige weitere Details verkürzte Suena, um schließlich zu unserer Frage zu kommen – und sich dabei fast zu verraten: „Als wir das letzte Mal in deiner Hütte waren, hatten wir uns etwas umgesehen …“            
Mara unterbrach, bevor unsere Hexe ausplauderte, dass wir Levins private Gemächer durchsucht hatten: „Und uns gefragt, ob du wegen deiner Nähe zum Drachenkessel und deiner allgemeinen magischen Fertigkeiten vielleicht einmal Kontakt mit diesem Wydor hattest – oder dir der Name Erendira etwas sagt? Sie soll die Angebetete des Halblingzauberers gewesen sein, sich jedoch für jemand anderen entschieden haben.“                 
Levin lehnte sich etwas zurück und atmete tief durch. Er begann zu erklären: „Erendira ist meine Verbindung zu Wydor, das ist richtig. Er liebte sie, doch sie konnte das nicht erwidern. Sie wurde meine Geliebte, wir ein glückliches Paar. Das hatte dieser Hexer nicht ertragen können – und sie verflucht.“          
„Wie sah dieser Fluch aus?“      
„Er verwandelte sie … in einen Falken.“ Und mit diesen Worten blickte Levin zu jenem Falken, der wieder an seinem Fenster saß und so eigentümlich und traurig zu uns hinüberspähte. „Bis heute ist es mir nicht gelungen, seine Hexerei rückgängig zu machen.“              
Überrascht und bedrückt von dieser Offenbarung richteten wir unsere Blicke auf das schöne Tier, das eigentlich eine wunderschöne Frau war. Doch wir waren nicht mit leeren Händen gekommen. Suena zog eine der Phiolen mit rotem Inhalt aus ihrer Tasche.            
„Wir fanden im Labor Wydors diese Flüssigkeit! Laut dem Zauberer Boged soll sie in der Lage sein, ein verzaubertes Wesen zurückzuverwandeln.“                
Levin riss die Augen auf, nur um sich kurz danach nervös über die Stirn zu reiben. „Oh, ihr gebt mir Hoffnung. Das kann schmerzhaft sein.“        
„Einen Versuch dürfte es allemal wert sein“, beharrte die Lidralierin. Levin nickte nervös und der Falke deutete durch einen fokussierten Blick auf das Fläschchen an, dass auch Erendira verstanden hatte. Suena übergab dem Zauberer die Tinktur, mit der er an das Tier herantrat und sie über das Gefieder verteilte. Es geschah – nichts.          
„Habt ihr möglicherweise weitere Infos? Schriftstücke, die eine Prozedur beschreiben?“         
„Wir haben nur diese Zettelfetzen“, sagte Suena ernüchtert und präsentierte das, was unter anderem Jenns Wolfshund seinen Namen gegeben habe. Levin besah sich den Text, der für uns Kauderwelsch war. In seinen Bart nuschelte er etwas. „Vielleicht klappt es … Habt ihr noch mehr dieser Fläschchen?“              
Zur Antwort holte Suena unseren übrigen Fund aus drei Phiolen. Levin bat uns, sie behalten zu dürfen, um möglicherweise doch noch hinter das Ritual zu kommen. Da wir keine wirkliche Verwendung für diese Tinktur hatten, waren wir uns rasch einig, sie Levin zu überlassen. Anschließend lud er uns in Anbetracht der einbrechenden Nacht auf Abendessen und Übernachtung ein. Das Angebot nahmen wir gerne an und verbrachten eine ruhige Nacht im Haus des Zauberers. Am nächsten Tag zog es Levin bereits früh unruhig in sein Labor und uns nach Ealalinn. Wir verabschiedeten uns von dem Zauberer wobei wir ihm und Erendira alles Gute wünschten. Dann ging es auf die Straße zurück.

Wir ritten zunächst durch Torren, wo wir auch den alten Haudegen Berim wiedersahen, der es sich wieder einmal an seiner Feuerstelle am Wegesrand gemütlich gemacht hatte. Angesichts all dessen, was wir im Drachenkessel und darüber hinaus erlebt hatten … tippte ich an meine Kralle und nickte dem Dorfwächter zu. Möglicherweise war an seiner Geschichte mehr dran gewesen, als ich das letzte Mal zu glauben bereit war. Berim grinste und nickte zurück.  
Die weitere Reise verging ereignislos. Abgesehen davon, dass sich Mara eine seltsame Gewohnheit aneignete. Nach dem Abendessen nahm sie jedes Mal etwas Abstand zu unserem Lager und bewunderte dort das Schwert zu bewundern, das sie der geschuppten Wächterin in Wydors Katakomben abgenommen hatte. Sie schien eine sehr enge Verbindung zu dieser Waffe eingegangen zu sein. Etwas, das irritierte – hatte sie doch gegen den Drachen ihr eigenes geliebtes, elfisches Schwert eingesetzt. Auch Suena warf mehr als einmal einen skeptischen Blick auf dieses Schwert, hielt sich aber vorerst wie der Rest von uns mit einem Kommentar zurück.

Kurz vor Ealalinn kehrten wir auf Gembals Hof und erzählten seiner Frau Luana, was hinter dem Tod ihres Gatten steckte – wobei wir ihr die traurige Nachricht vom Tod Kuriens‘ überbringen mussten. Trotz dieser Umstände empfing sie uns herzlich und dankte uns, dass wir ihr Gewissheit verschaffen konnten. Die Tatsache, dass sie selbst einst Abenteurerin gewesen war, machte es ihr wohl auch leichter, unsere Geschichte zu glauben und mit dem ganzen abzuschließen, die Augen nun nach vorne zu richten.         
Kurz darauf reisten wir weiter bis zur Stadt der fünf Seen. Das frische Grün von Erainn lud uns zur Erholung ein und wir verbrachten den Sommer dort, um an unseren Fertigkeiten zu arbeiten und Lust auf neue Abenteuer zu gewinnen. Zwischenzeitlich erreichte uns gar ein Bote im Auftrag Levins. Der Zauberer berichtete uns, wie Jenn vorlas, dass er mit den Zettelfetzen, die wir gefunden hatten, ein Wort rekonstruieren konnte. Dieses gesprochen, während er die Tinktur auf dem Falken verrieb, verwandelte das Tier in seine geliebte Erendira zurück. Am Ende des Briefes stand so nicht nur seine, sondern auch ihre Unterschrift. Sie schrieb in feineren Linien als ihr Geliebter und neben ihrem Namen standen ein paar für mich kryptische Symbole, die Jenn vorlas als: „Danke“. Simpel – aber die Zeichen entfalteten ihre Wirkung.

Der Herbst kam und mit ihm unsere Gedanken, weiterzuziehen. Unsere erste Anlaufstellte: Ealalinn verfügte über ein schwarzes Brett auf dem verschiedenste Dinge ausgehangen werden konnten. Der Marktschreier nahm zwar manches davon auf, aber da den meisten Menschen Aufträge nicht wichtig waren, erzählte er davon auch selten. Diese Informationen mussten wir uns von Jenn geben lassen, die nun am Brett stand und vorlas: „Eine Wahrsagerin bietet ihre Dienste an. Die Stadtwache berichtet von einer Bedrohung durch Orks und sucht Verstärkung. Und dann wäre da noch die Neuigkeit, dass ein Bardenfest in Cuanscadan stattfinden soll.“             
„Eine Wahrsagerin … das klingt doch interessant. Wir sind doch auf der Suche nach dem, was die Zukunft bringt“, meinte Suena mit einem Augenzwinkern.         
„Scharlatane“, erwiderte Zedd knapp und ich stimmte mit einem Brummen zu.            
„Aber das mit den Orks – das klingt doch nach einer Herausforderung für uns“, sagte Mara mit einem fast schon verzückten Lächeln.              
„Ich hatte zuletzt mit dem Waffenmeister gesprochen“, entgegnete ich. „Hier wurden schon lange keine Orks gesichtet. Vor allem in Nähe der Stadt nicht, was die Stadtwache kümmert.“       
„Und? Vielleicht will der Fürst auch ganz sicher gehen, dass es dabei bleibt. Eine kleine Expedition in die Berge“,  überlegte Mara.   
„Ich glaube, die suchen verzweifelt Leute.“      

Doch von ihren Ersteindrücken ließen sich weder Mara noch Suena abhalten. Letzterer schloss sich Jenn an, während Zedd, Dario und ich weiter durch die Stadt zogen, um Aufgaben für uns ausfindig zu machen. Die Ausbeute blieb ernüchternd, sodass wir das Gasthaus aufsuchten – wo wir wenig später auch unsere Begleiterinnen wieder begrüßen durften. Jenn und Suena kamen zuerst durch die Tür. Die Ywerddonerin hielt nicht lange hinter dem Berg damit, dass ihr der Preis für eine Zukunftsvorhersage zu hoch erschienen war. Auf Nachfrage nuschelte Suena dann auch heraus, was es gekostet hatte: „Vielleicht … mehr als hundert Goldstücke.“       
„Kein Wunder, dass du so oft Geld brauchst“, ächzten wir beinah alle im Gleichklang.
„Aber sie hat mir auch verkündet, dass meine Zukunft einiges Gewicht und Verantwortung mit sich bringt! Eine ganze Stadt soll ich in Aufruhr versetzen, dass sie auf jeden meiner Schritte achten werden – vielleicht wird unser nächstes Abenteuer etwas richtig Großes!“
Ich winkte ab, da kam auch schon Mara herein. Die Elfe ließ sich erbost auf einen Stuhl an unserem Tisch fallen – auch wenn das für ihr Volk immer noch bedeutete, in etwa auf einer Wolke auf das Holz des Schemels zu gleiten. Ich fragte mich, ob sie uns Menschen manchmal um unseren Grobcharme beneidete.   
„Diese Stadtwache sucht in der Tat Verstärkung für ihre Gruppe. Aber für einfache Gardeaufgaben. Für das reine Orktöten wollen sie erst, dass man sich beweist.“             
„Sicher, dass sie dich nicht einfach abblitzen …“, begann Jenn, doch sie hatte keine Chance.   
„Ich habe für morgen früh einen Übungskampf mit dem Wächter ausgemacht. Er wird schon sehen, was fehlende Eignung wirklich bedeutet …“

Selbstverständlich wollte sich keiner von uns dieses Spektakel entgehen lassen. So gingen wir am nächsten Morgen eilig Mara hinterher, die im Laufschritt zur Kaserne eilte. Die dortigen Wachen hatten kaum genug Zeit sich über einen bunten Haufen aus Elfe, Lidralierin, Aranern, Barbar und Ywerdonnerin zu wundern, da war Mara auch schon in einen mit Sand ausgelegten Bereich gesprungen, der für Übungskämpfe gedacht sein musste.            
„Lasst uns anfangen!“, rief sie herrisch und streckte die Hand aus. Jemand lief vorbei und trat wie beiläufig gegen den großen Köcher, in dem man die Holzschwerter gesteckt hatte. Mara streckte noch einmal den Arm durch. Als wieder nichts geschah, machte Jenn einen kleinen Schritt vor, zog eines der Schwerter heraus und warf es Mara zu.             
Die nun auch einen Gast im Ring bekam. Ein bärtiger Wächter von etwa Mitte 30 stand ihr Gegenüber und wägte die Elfe mit seinen Blicken ab. Seiner Statur nach war er nicht gerade ein Athlet – allerdings hatte ich hier im Süden auch schon verweichlichtere Männer gesehen. Schwierig einzuschätzen.
„Muss das wirklich sein? Ihr könnt euch doch auch einfach der Wache anschließen. In ein, zwei Jahren geben wir euch dann …“         
„Wir kämpfen jetzt. Dann reden wir“, stellte Mara knapp fest. Seufzend ließ der Mann den Kopf hängen, stapfte hinüber zu den Übungswaffen und wählte sich ebenfalls ein Holzschwert. Als er sich zu ihr umdrehte und Kampfhaltung annahm, sprang sie auch schon auf ihn los. Nicht unfair – aber zu schnell für den Wächter. Er konnte sich gerade noch wegducken, aber Mara setzte sofort nach. Schlag um Schlag trieb sie ihn im Kreis durch die sandige Arena. Der Mann stolperte vor ihr Weg, wirbelte Sand auf … und traf sie damit im Gesicht. Mara zuckte mit dem Kopf zurück, fuhr sich mit der linken Hand über die Augen – da schlug der Wachsoldat ihr gegen das Holzschwert. Den Angriff hatte sie kaum kommen sehen und so entglitt ihr der Griff. Die Waffe plumpste auf den Boden.
„Ich denke, damit können wir es bewenden lassen“, stellte der Erainner lakonisch fest.           
„Sicher nicht!“, begehrte Mara auf, trat auf das Schwert und beförderte es somit in die Luft. Sie ergriff die Waffe und schlug zu. Der Wächter ließ die Übungswaffe an seiner eigenen entlanggleiten, fing ihre Wucht ab, drehte sein Schwert ein … und hatte plötzlich beide in den Händen. Verdutzt musste Mara feststellen, dass sie entwaffnet worden war.         
„Jetzt ist es genug, denke ich“, meinte der Mann nur und steckte die beiden Holzschwerter zu den anderen.

Mara murmelte den gesamten Rückweg davon, wie viel unverschämtes Glück diese Stadtwache mit ihren Manöver gehabt hatte. Ich wusste nur zu gut, dass die Elfe mich in einem Kampf besiegen würde und hielt mich daher mit einem Kommentar zurück. Doch als wir alle gemeinsam im Gasthaus das erste Bier getrunken hatten, konnte sich der eine oder andere ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Insbesondere als Mara feststellte: „Und außerdem hasse ich Sand.“

Etwas später riss Suena dann wieder das Thema an, das uns eigentlich umtrieb: „Ich denke, als nächste Anlaufstelle könnte dieses Bardenturnier in Cuanscadan dienen. Ich würde gerne einmal meine Stimme in einem Wettbewerb erproben.“                
„Bardengesänge?“, sagte ich mit einem Ächzen. „Gibt es denn nichts Wichtigeres? Oder überhaupt etwas Interessantes?“               
„Cuanscadan besitzt den größte Hafen Erainns“, merkte Jenn an. „Dort gibt es sicherlich auch neben dem Wettbewerb einige spannende Dinge zu sehen. Sicher auch einige Händler aus den Küstenstaaten, die ihre Waren anbieten.“       
„Die Küstenstaaten?“, horchte ich auf. „Dort soll es allerlei Zeug geben, das man hier nicht kriegt. Ich glaube ein Wort dafür war immer wieder ‚fortschrittlich‘.“      
„Ich habe Ealalinn zumindest satt“, stellte Mara fest. „Hier geschieht nichts.“  
„Dann lasst uns doch in den Süden reisen. Vielleicht finden wir in Cuanscadan sogar ein Schiff, das uns von diesem nasskalten Kontinent herunterbringt bevor es wieder Winter wird“, schlug Zedd vor und erntete ein zustimmendes Nicken von Dario. Ich nahm einen tiefen Schluck von meinem Bier – Suena war ohnehin neugierig auf den Bardenwettbewerb, Jenn auf die große Hafenstadt und ich auf die fremdländischen Waren, die man dort feilbieten mochte. Und damit war es beschlossen.

Wir statteten uns noch mit etwas Proviant aus, warteten den Rest des Tages ab und brachen am nächsten Morgen in Richtung Süden nach Cuanscadan auf. Bis zum Bardenfest waren es laut dem Aushang noch beinah zwei Trideaden, sodass wir ohne große Eile reiten konnten. Dario, Zedd, Suena und Mara saßen auf ihren chryseischen Kaltblütern – Meghippon genannt –, die sie ruhig und gelassen über den Boden trugen. Die Pferde von Jenn und mir hatten etwas weniger Klasse, erfüllten aber ihre Aufgabe. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, ob sich das Tier unter mir wirklich ruhig verhalten würde, wenn ich mit dem Ogerhammer in der Hand auf einen entsprechend hochgewachsenen Gegner zustürmen wollte …           
Nach zweieinhalb Tagen durch das grüne und hier auch etwas hügelige Land Erainns erreichten wir die Stadt Téamhair. Sie war um einige auffällige Hügel herum errichtet. Es schienen nur wenige Händler unterwegs, dafür sah man viele Männer und Frauen in auffälliger Kleidung, die möglicherweise mit irgendwelchen Riten zu tun hatte. Der Glaube der Erainner schien hier eine große Rolle einzunehmen und noch ehe ich mich zu einem Kommentar hinreißen lassen konnte, hatte mir Suena schon einen mahnenden Blick zugeworfen.       
Wir suchten uns ein Gasthaus und warfen einen Blick auf das schwarze Brett der Stadt. Auch hier warb man mit einigen Belanglosigkeiten. So wollten ein paar Bauern seltsame Lichter auf ihrem Feld gesehen haben oder die hiesige Wache habe auch einige Orks gesichtet … darüber hinaus wurde es jedoch auch bei zwei Aushängen etwas interessanter. Zum einen wurde ein gewisser Lord Byron vermisst – Hinweise auf seinen Aufenthaltsort oder gar die Unterstützung seiner unversehrten Rückkehr sollte hoch belohnt werden.  
„Die letzte Spur führt in den Scharlachwald“, las Jenn vor. „Das liegt auf dem Weg nach Cuanscadan.“
„Also Augen offenhalten“, merkte Mara an. „Vielleicht können wir ja sogar ein paar Geiselnehmer aufmischen.“        
Doch der auffälligste Aushang war selbst für mich, ohne lesen zu können, verständlich. Eine grobe Porträtzeichnung zeigte eine Frau mit einem lose über den Kopf geworfenen Tuch, heller Kleidung, die eher für den Süden gemacht schien und vor allem: einem dunklen Querstrich, der sich einmal durch das Gesicht zog. Mit einem Mal zog Suena die fragenden Blicke von uns vieren auf sich.       
„Gebt mir etwas Deckung“, flüsterte sie drängend. Wir stellten uns um sie, sie riss das Pergament ab und zog sich ihr Kopftuch tief ins Gesicht. Danach huschten wir rasch in unser Gasthaus.

„Was bedeutet das?“, fragte ich Suena.             
Die Lidralierin seufzte. „Zedd, Dario und Mara wissen es bereits – jetzt sollte ich auch euch einweihen“, erklärte sie an Jenn und mich gerichtet. „Ich bin eine ehemalige Sklavin. Schon als Kind entführte man mich aus Moro nach Eschar, wo ich als Dienerin und Sängerin arbeiten musste. Erst vor etwa zwei Jahren gelang mir mithilfe meiner Mentorin die Flucht. Seitdem reise ich … und bin auf der Flucht.“        
„Sucht dein Sklavenhalter dich immer noch? Bis nach Vesternesse?“, fragte Jenn.       
„Er hat mich sogar einmal bis nach Nihavand verfolgen lassen“, erklärte die Flüchtige. Ich glaubte, dass die Araner den Namen mal hatten fallen lassen – es musste also ein Ort sein, der weit weg von hier war. Suena fuhr fort: „Ich befürchte, dass Imur Om, so heißt er, einen gewissen Gefallen an meinem Gesang und mir fand. Und er kann es wohl nicht auf sich sitzen lassen, dass seine Sklavin entkommen ist.“         
„Dann besuchen wir ihn doch“, brummte ich. „Vielleicht kann ihn der Ogerhammer vom Gegenteil überzeugen.“       
„Das wäre schön“, sagte Suena und seufzte. „Aber ich befürchte, dass er ein sehr einflussreicher Händler ist. Das könnte alles andere als leicht werden. Vorerst halten wir uns am besten einfach bedeckt.“    
„Was uns allerdings etwas Sorge bereiten sollte“, begann Mara. „Ist dieses Siegel hier auf deinem wunderschönen Porträt. Das heißt, dass sich eine Gruppe deiner angenommen hat.“    
Die Elfe wies mit ihrem elfenbeinernen Finger auf ein farbiges Zeichen, das auf dem Aushang in Suenas Händen prangte.

Wir aßen noch eine Kleinigkeit, während Suena sich beständig umsah. „Habt ihr nicht auch das Gefühl, dass die Leute die ganze Zeit rübersehen? Vielleicht haben einige von ihnen den Aushang schon gesehen …“     
„Beruhig dich“, grummelte ich. „Wir sind eine derart bunt durcheinandergewürfelte Gruppe, wer würde da nicht nach uns gaffen?“             
„Hm, ja. Vielleicht. Vielleicht ist es auch etwas anderes.“           
Zedd zeigte sich jedoch auch etwas unruhig. Schließlich ging er zum Wirt, unterhielt sich etwas mit ihm und kehrte mit Neuigkeiten zu uns zurück. „Ich habe mal mit ihm über die Aushänge geredet. Von Lord Byron hatte er etwas gelesen, der Rest hat ihn laut eigener Aussage nicht interessiert. Er sagte, dass ginge den meisten wohl so. Nichtsdestotrotz sollten wir bald aufbrechen.“         
„Was hat der Wirt über Lord Byron erzählt?“, fragte Mara.        
„Seine Familie soll noch etwas südlich von Cuanscadan leben. Sie sind wohl reich genug, dass sich eine Entführung lohnen würde. Allerdings hätte man hier in Téamhair noch nichts davon mitbekommen, dass eine entsprechende Forderung eingegangen ist. Vielleicht geht es um mehr als um Geld.“

Bevor wir die Stadt verließen, gingen wir noch etwas durch die Straßen. Mara suchte einen Alchemisten auf, bei dem sie für einen hohen Preis Heiltränke erwarb. Das waren mächtige Substanzen, doch ich wusste immer noch nicht so ganz, wie man an einen Kauf heranging. Etwas hilflos fragte ich Suena: „Kann man diese Tränke eigentlich probieren? Um sicher zu gehen?“             
„Würde man genug nehmen, dass sich eine Wirkung zeigte, wäre eine Dosis schon aufgebraucht“, erklärte Suena. „Ein gewisses Vertrauen in den Händler ist unumgänglich. Wenn man nicht gerade ein Labor zur Hand hat, um die Tränke zu untersuchen.“
„Und woher soll ich wissen, dass ich einem dieser Quacksalber trauen kann?“               
„Wenn sie mehr als zweihundert Goldstücke wollen, ist das schon einmal ein gutes Zeichen.“               
Ich schnaubte. „Ist ja wunderbar. Und helfen die dann wenigstens gegen alles?“         
„Gegen das meiste. Aber gebrochene Knochen werden sie nicht zusammenflicken“, erklärte sie.
 Während wir sprachen, hatten wir den Laden bereits verlassen und schlenderten noch etwas über den Marktplatz. Suenas Kopftuch war etwas heruntergerutscht und plötzlich tauchte Zedds Kopf zwischen unseren auf und flüsterte: „Ich glaube, wir werden beobachtet.“          
Suena fluchte, zog das Tuch wieder tiefer ins Gesicht. „Wir sollten die Stadt jetzt verlassen.“
Wir stimmten dem rasch zu, holten unsere Pferde und brachen auf.

Am Abend hielten wir in einem kleinen Dorf entlang der Straße. Die Ansammlung an Hütten verfügte über ein Gasthaus, in dessen Stall wir unsere Pferde unterbringen und selbst nächtigen konnten. Im Haus stellten wir rasch fest, dass wir nicht die einzige Gruppe reisender Abenteurer waren. Eine Truppe aus zwei Menschen und drei Elfen hatte sich dort ebenfalls eingefunden. Sie nickten uns knapp zu und setzten ihr Gespräch fort, während wir uns einen Tisch suchten, wo wir das Abendessen rasch herunterschlangen.               
Am nächsten Morgen zahlten wir früh beim Wirt und brachen auf, als der Morgen erst graute. Wir kamen gut voran und zwischen das grüne Grasland mischten sich immer wieder kleinere Wälder, die sich im Süden zu einer dichteren Masse zu verdichten schienen. Doch an diesem Tag erreichten wir den Scharlachwald noch nicht, sondern rasteten neben einem Hügel entlang der Straße. Ein noch lichter Wald umgab uns – und wir wurden eingeholt. Die andere Abenteurergruppe kam des Weges und ihr Anführer, ein Mensch in Kettenhemd, zügelte sein Pferd neben uns. „Es dämmert. Würdet ihr uns erlauben, ein Nachtlager bei euch aufzuschlagen.“       
Wir sahen uns die fünf Männer an, drei davon Elfen. Sie wirkten kampferprobt und nicht gerade wie Menschenhändler. Mara nickte dem Mann zu. „Schlagt gerne eure Zelte bei uns auf.“

Gemeinsam entfachten wir eine große Feuerstelle, auf der wir ein gemeinsames Essen aufsetzten. Nebenbei unterhielten wir uns etwas.
„Seid ihr auch dem Weg nach Cuanscadan?“, fragte Zedd.        
„Ungefähr“, antwortete der Anführer der anderen Gruppe. „Zunächst müssen wir ja durch den Scharlachwald.“        
„Wisst ihr etwas über diesen Wald? Lord Byron soll ja dort verschollen sein.“  
„Man sagt, dass es ein alter Wald ist. Manche erzählen sogar, dass es dort lebende Bäume geben soll. Ich bin mir nicht sicher, wie viel an diesen Geschichten dran ist – aber ich denke, man hält es am klügsten, wenn man zügig hindurchreist.“                
„Ist das euer Plan? Oder würdet ihr selbst gerne Lord Byron finden? Es könnte ja eine große Belohnung geben“, überlegte Jenn.    
„Wir sind noch etwas unschlüssig. Vielleicht reisen wir zunächst weiter nach Cuanscadan und sehen uns den dortigen Bardenwettbewerb an. Der Scharlachwald ist groß und ich weiß nicht, ob es sehr wahrscheinlich ist, diesen Grafen dort zu finden – wenn er denn wirklich dort verschwunden ist.“
Diese Auskünfte machten uns recht wenig Hoffnung, was unsere Suchaktion anging, doch auch wir konnten uns vorstellen, zunächst nach Cuanscadan weiterzureisen.

Es wurde bald Nacht, Suena und ich übernahmen die erste Wache und der Rest legte sich schlafen. Auch zwei aus der anderen Gruppe blieben auf – eine gesunde Prise an Misstrauen. Die wir hatten vermissen lassen.

Als die Sonne untergegangen waren und die ersten Sterne den Nachthimmel über Erainn eroberten, kam Bewegung in das Lager der anderen. Die beiden Wachen standen auf und kamen auf uns zu, die drei übrigen traten aus ihren Zelten.
„Eine interessante Freundin habt ihr da“, sagte ihr Anführer, während auch Suena und ich uns erhoben. Ich trug aus Gewohnheit noch meine Rüstung, nahm nun auch den Ogerhammer in die Hand. Meine Begleiterin trat einen Schritt zurück.                
„Eintausend Goldstücke sind auf sie gesetzt. Lebendig, was es etwas schwerer macht“, setzte der Mann fort.              
„Aufwachen!“, brüllte ich donnernd. „Wir werden angegriffen!“           
„Na, na“, sagte mein Gegenüber, der etwas zwei Meter vor uns stehenblieb. „Denkt ihr, wir wären unvorbereitet? Wir haben dem Abendessen Schlafmohn beigegeben. Das gibt einen süßen und erholsamen Schlaf … und man wacht garantiert erst nach einigen Stunden auf. Das Gegenmittel war zwar nicht lecker, aber wir haben es genommen. Und so steht es nun fünf zu zwei.“       
„Sicher, dass ihr das wollt?“, brummte ich und hob den Ogerhammer, während Suena die Hände zum Zaubern erhob. „Noch könntet ihr einfach gehen und wir vergessen das hier.“               
Er lachte. Und ich machte einen Schritt nach vorn und holte mit dem Ogerhammer aus.            
„Einatmen!“, rief Suena mir auf Vallinga zu. Ich folgte der Anweisung schlicht, dann waren auch schon vier der Angreifer an mir dran. Mein Angriff erfolgte zu ungestüm. Diese Kämpfer wussten, was sie taten, vor allem die Elfen. In fließenden Bewegungen entgingen sie den Angriffen und schlugen ihrerseits auf mich. Kettenhemd und Metallschienen schützten mich, doch ich merkte sofort, dass der Ogerhammer gegen diese flinke Übermacht keine geeignete Wahl war.           
Da umwehte mich ein staubiger Hauch als würde glitzernder Dreck durch die Luft wehen. Die Angreifer begannen zu husten, was ich rasch nutzte, um meine sperrige Waffe fallen zu lassen und Schild und Axt zu greifen. Der Hauch zog weiter und ich begann, wieder zu atmen. Es roch seltsam, die Luft schmeckte beißend. Zweifellos eine Zauberei Suenas … die die Bewegungen meiner Angreifer ungelenker machte, als sie eben noch waren. Doch auf mehr Unterstützung konnte ich kaum hoffen, einer der fünf war an mir vorbei und rannte nun auf sie zu. Ich sah gerade noch, wie meine Begleiterin in Maras Zelt verschwand, dann musste ich mich auf mich konzentrieren.             
Ich wirbelte um meine Achse, wie ich es noch nie getan hatte. Pausenlos wurde ich attackiert, lenkte die Hiebe mit dem Schild ab oder hoffte, dass meine Rüstung und die darunterliegende Haut so viel abhielt, wie sie konnte. Doch ich merkte auch schnell, dass Hiebe, die stark genug für das Kettenhemd waren, auch vor meiner Haut keinen Respekt mehr hatten.

Vier Angreifer, zwei Elfen, zwei Menschen. Einer stand in meinem Rücken, versuchte mit einem Dolch an meine ungeschützten Achseln zu kommen. Ich wirbelte herum, schmetterte ihm erst den Schild ins Gesicht, dann die Axt auf den Arm. Hörbar krachte der Knochen und mit einem Schrei ließ der Elf seine Waffe fallen, taumelte zurück und sah auf den Arm, der plötzlich ein neues Gelenk erhalten hatte. Doch der Vorstoß hatte seinen Preis. Ein Stich fuhr mir in die Wade. Ich sank etwas in die Knie und von drei Seiten hieben Schwerter auf mich ein. Schnitte zogen sich über meinen Körper, die Rüstung hielt das meiste auf. Doch die Wucht der Hiebe verpuffte nicht. Ich spürte ein Knacken, dann ein Stechen in der Seite, nahe der Lunge. Sie hatten mindestens eine Rippe erwischt.     
Mit einem wütenden Schrei fuhr ich auf und hämmerte die Axt dabei ins Knie eines menschlichen Angreifers. Das Bein knickte nach außen, der Mann geriet ins Stolpern. Ich wollte nachsetzen, da geriet mein Gegner ins Straucheln und stürzte. Der Fuß seines gesunden Beines hatte sich in einer unebenen Stelle in der Erde verfangen und stand nun in einem widerlichen Winkel ab.

Ein Stich in den Rücken belohnte mich für den Vorstoß, das Eisen drang tief in mein rechtes Schulterblatt ein. Ich zuckte herum, was meine Rippen mit einem tiefen Stich in meine Eingeweide erwiderten. Zu langsam hob ich den Schild, der Anführer traf meinen linken Arm. Weitere Kettenglieder flogen davon, Blut spritzte. Ich brüllte ihm eine Beleidigung auf Twyneddisch entgegen und kurz danach glitt ein breites Grinsen über mein Gesicht, das mit Blut überlaufene Zähne zeigte: Suena war wieder da. Zwar hatte sie Mara nicht dabei – aber dafür glühte in ihrer Hand ein Schwert aus puren, grünen Flammen, das sie gleich einer Peitsche gegen den Angreifer schwang, der sie verfolgt hatte. Das war Zauberei mit der ich etwas anfangen konnte … wurde sie auf meiner Seite eingesetzt.        
Das Feuer schien jedoch nicht über seine Hitze zu schaden. Es drang durch die Rüstung des Elfen einfach hindurch, als wäre sie nicht da. Und das Blut floss und floss.

Mit mehr als einem halben Dutzend Treffer an meinem Körper war ich bereits ein wandelndes Wrack, als ich mich den beiden übrigen Angreifern entgegenstellte. Die gebrochenen Rippen bohrten sich in mein Innerstes und ich hoffte nur, dass sie irgendwie an ihren Platz blieben. Die beiden attackierten mich mit Langschwertern. Ich hielt den Schild hoch, blockte die Angriffe, verlor das Gefühl für den Arm, Holzstücke flogen mir um die Ohren.        
„Gib auf! Elender Twyneddin!“, fluchte ihr Anführer. Hinter mir fiel etwas zu Boden. Suena jubelte triumphierend. Wir hatten ausgeglichen.

Mit der letzten Kraft, die ich hatte, wehrte ich den nächsten Angriff nicht nur ab, ich setzte mit dem Schild noch nach. Schlug mit der Axt zu. Der Mann drehte sich zur Seite, doch er war nicht schnell genug. Meine Waffe traf ihn im Gesicht. Ein widerliches Geräusch erklang, seltsam schmatzend, als ich einen weichen und nur kurzen Widerstand spürte. Kein tödlicher Hieb, der Mann blickte mich danach an. Und offenbarte ein klaffendes Loch, wo gerade noch die Nase gewesen war.      
Der unnatürliche Schrei des Verstümmelten klang durch die Nacht, da traf mich das Schwert seines Begleiters am Schlüsselbein und sein Hieb dann noch vor die Brust. Ich sackte zu Boden und die Welt wurde dunkler. Das letzte, was ich sah, war das grüne Flackern von Suenas Flammenschwert und die Schemen der beiden Kämpfer, die über mich hinwegstiegen.

„Gor? Gor? Hörst du mich?“     
Jemand rüttelte mich. Ich spürte zunächst ein seltsam warmes Gefühl und öffnete die Augen. Zedd hatte sich über mich gebeugt und einen Heilzauber gesprochen. Einige meiner Wunden hatten sich geschlossen, wenn auch nicht alle. Und als ich mich ruckartig aufsetzte, spürte ich einen tiefen, stechenden Schmerz.      
„Langsam!“, sagte Zedd. „Zwei deiner Rippen sind gebrochen. Ich habe sie gerade erst bandagiert, überstrapazier das nicht.“
„Danke“, zwängte ich irgendwo zwischen einer Vielzahl an twyneddischen Flüchen hervor. Ich sah mich um. Es war grauer Morgen. Der Angreifer mit den zwei verdrehten Beinen lag noch herum, scheinbar verblutet. Dann war da noch einer mit unerklärlichen Brandmalen am Körper. Die anderen drei waren verschwunden. Ebenso Suena.            
„Was ist hier passiert?“, fragte Mara mit scharfer Stimme.        
„Sie haben uns vergiftet“, keuchte ich. „Mit Schlafmohn. Deswegen wurdet ihr nicht wach.“  
„Ihr hättet uns blutig schlagen müssen, damit wir aufwachen“, stellte Zedd fest. „Diese Pflanze ist sehr stark.“            
„Das wäre es wohl wert gewesen“, stellte Mara fest. „Diese fünf hätten keine Chance gegen uns gehabt. Und ihr habt nur zwei geschafft?“            
„Überzahl“, betonte ich und spuckte etwas Blut aus, das sich in meinem Mund gesammelt hatte. „Außerdem konnte einer nicht mehr kämpfen, ich habe seinen Arm zerschmettert. Und dem Anführer habe ich die Nase abgeschlagen.“         
„Barbarisch“, meinte Mara. „Wohin sind sie geritten.“
„Den Spuren nach Richtung Süden“, sagte Jenn, die sich in der Zwischenzeit wohl etwas umgesehen hatte. „Sie hatten es wohl eilig, die Zelte stehen auch noch.“              
„Natürlich haben sie es eilig. Denn jetzt kommen wir“, zischte unsere Elfe. Sie tätschelte den Griff ihres neuen Schwerts.                
Ich stand mühsam vom Boden auf. Mir tat alles weh. Aber Suena war irgendwo die Straße hinunter und brauchte unsere Hilfe. Zedd sah mich abwägend an. „Müsste gehen. Aber falls du ein Stechen in der Lunge spürst – in etwa so, dass sich eine deiner Rippen in sie hineinbohrt – dann komm schnell zu mir.“    
„Verliert keine Zeit“, sagte Dario. „Schwingt euch auf die Pferde und reitet los. In der Zwischenzeit werde ich die Zelte einpacken und dann mit Suenas Meghippon und unserem Packpferd im Schlepptau nachkommen.“

Mara nickte dem Araner zu und saß bereits einen Moment später auf ihrem Ross. Zedd und Jenn folgten geschwind, ich brauchte einen Moment länger. Doch auf meine Befindlichkeiten konnten wir jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Wir gaben den Tieren die Sporen und fegten in südlicher Richtung davon. Meine Rippen machten sich bemerkbar, doch es war ein aushaltbarer Schmerz. Zumindest solange kein weiterer Treffer dazu kam.              
Bis zum Nachmittag ritten wir durch. Da begegneten wir zum ersten Mal anderen Reisenden. Zwei Zwergenhändler standen kopfschüttelnd neben ihrem Wagen am Wegesrand. Ein gebrochenes Rad schien ihnen zu Schaffen zu machen. Ruckartig stoppten wir unsere Pferde neben ihnen. Zumindest bis auf Mara, die den Zwergen keinen zweiten Blick zuwarf und nur etwas die Geschwindigkeit verringerte, damit wir sie nicht aus den Augen verloren.  
Jenn rief den beiden zu: „Ho, Wanderer. Habt ihr hier einige Reiter vorbeikommen sehen? Sie werden es wohl eilig gehabt haben.“              
Verdutzt sahen sich die Zwerge an. „Ja, tatsächlich“, antwortete der eine. „Vier Pferde, darauf drei Männer, die wie Krieger aussahen, und eine Frau, wenn ich das auf die Schnelle richtig erkannt habe. Sind nicht mal langsamer geworden.“                
„Sah die Frau gefesselt aus?“   
„Sie wirkte etwas steif. Sie saß auch nicht alleine auf einem Pferd, sondern bei einem Mann mit einem Verband im Gesicht“, sagte der Zwerg langsam.       „Könntet ihr uns …“      
„Wie lange ist das her?“              
„Etwa vier Stunden.“    
„Sie verlieren Abstand zu uns“, brummte ich zufrieden. „Heute Abend haben wir sie.“              
„Dann auf“, rief Zedd und ritt los, Jenn dicht hinter ihm.            
„Danke für die Informationen!“, sagte ich zu den Zwergen gewandt, dann ritt ich los. Mit einigen strammen Hufschlägen schloss mein Pferd zu den anderen auf und wir setzten mit hoher Geschwindigkeit durch den Wald. Die Sonne zog allmählich über uns hinweg – und am Abend erspähten wir einen Weg, der von der Straße tiefer ins Dickicht führte. Der aufgeworfenen Erde nach zu urteilen waren hier kürzlich einige Pferde entlang gekommen. Eilig. Wir nickten einander zu und ritten den Pfad entlang. Bald würden die Entführer sicher rasten. Dann hatten wir sie.

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