Ein Lager am See

Der Weg wurde schmaler. Immer dichter standen die Bäume, die Kronen schlossen sich zu einer dichten Decke. Den ganzen Tag waren wir geritten und mussten nun im Kern des Forsts angekommen sein, den diese Angreifer noch als mystisch bezeichnet hatten: der Scharlach-Wald.          
Mit Einbruch der Dunkelheit saßen wir von unseren Pferden ab und führten sie langsam über den holprigen Boden. Ein gebrochenes Bein würde uns nicht schneller voranbringen. Und wir sahen, dass der Weg nicht mehr lang war: In der Düsternis vor uns zwischen den Bäumen waren mehrere Lichter auszumachen. Vier kleine Punkte, wie von Fackeln, wanderten hin und her. Zwischen ihnen zwei große Feuer, die zu Lagern gehören mussten – es sei denn, jemand wollte einen Waldbrand riskieren.

„Ich kann versuchen, mich langsam heranzuschleichen. Einen Überblick über deren Lager zu erhaschen“, schlug ich vor.                
„Mit deinen gebrochenen Rippen?“, fragte Zedd mit hochgezogenen Brauen.               
„Ich werde die Zähne schon zusammenbeißen“, winkte ich ab. Die anderen hatten keine Einwände. Ich legte also die Rüstung ab, die ich abgesehen zum Schutz der Knochen ohnehin kaum noch brauchte, und machte mich auf den Weg durch die Bäume. Das Pirschen war ich gewöhnt, auch wenn ich bisher üblicherweise Wild nachgesetzt hatte. Und üblicherweise hatte ich dabei auch keine gebrochenen Rippen gehabt.

Gerade als ich mich nur zwei Dutzend Meter entfernt von einer Lagerwache zwischen zwei Bäumen hindurchschob, hörte ich ein Knacken. Verdutzt sah ich auf meine Füße, wo kein Ast war, den ich zertreten hatte. Dann flammte der Schmerz in meinem Brustkorb besonders hell auf. Ich biss die Zähne aufeinander, dass es knirschte. Der Fackelschein hielt inne. Vage konnte ich erkennen, dass es Mann war, gerüstet. Kampfbereit. Er sah in meine Richtung, hielt die Fackel etwas weiter nach oben … und wandte sich dann ab. Ich wartete noch, bis mein Schmerz etwas nachließ, dann schlich ich weiter vom Hauptpfad weg. Hielt die Lagerfeuer seitlich von mir, bis ich mich an die Baumgrenze wagte und so einen Überblick über das Lager erhielt – beide Feuer gehörten zu einem großen.

Der Waldpfad, dem wir bis auf etwa zweihundert Meter an das Lager heran gefolgt waren, mündete in eine große Lichtung. Hier hatten es sich gut und gerne an die zwanzig Banditen bequem gemacht. Genug Zelte waren um das erste der beiden Lagerfeuer aufgeschlagen und solide befestigt. Daneben befand sich eine Art Versammlungskreis, der mit einigen herumliegenden Kisten sogar Sitzmöglichkeiten bot. In seiner Mitte stand ein wenig verheißungsvoller Galgen. Zentral auf der Lichtung erhob sich ein Fels, der über eine Leiter begehbar und mit einem provisorischen Holzpodest begradigt war. Ein Mann mit einer Armbrust hatte es sich dort bequem gemacht – was nicht hieß, dass er den Blick nicht unablässig über das Lager schweifen ließ. Direkt am Felsen standen zwei Käfige, groß genug für Menschen. Und besetzt.                
Der erste beherbergte einen mir unbekannten Mann in zerschlissener Kleidung, mit dem es die Banditen offensichtlich nicht gut gemeint hatten. Im anderen war – wie zu erwarten – Suena. Sie trug etliche Wunden vom Kampf am Vortag, doch wusste ich nicht zu sagen, wie einsatzbereit ihre magischen Kräfte waren. Zumindest ihre Tasche mit magischen Zutaten fehlte. Die hatten wir dabei.

Die andere Lagerhälfte mit dem zweiten Feuer wurde von einer zerfallenen Ruine und einem kleinen See eingegrenzt. Die Ruine war kaum mehr als Mauerreste und diente als Randstück für eine kleine Pferdekoppel auf der die Banditen an die fünfzehn der Tiere gestellt hatten. Der See war eine kleine dunkle Fläche in der Nacht. Ein daran angebauter Steg mitsamt Boot war bereits zu großen Teilen verrottet. Eine größere Nutzung des Sees schien ohnehin kaum sinnig, er maß vielleicht zwanzig Meter im Durchmesser.

Im Moment schien es der blanke Wahnsinn zu sein, das Lager anzugreifen. Direkt an der Mündung des Weges zum Lager hatten die Banditen Wegsperren aus angespitzten Pfählen errichtet. Ein Frontalangriff zu Pferd schied damit aus. Davon abgesehen war der Großteil der Lagerbewohner noch unterwegs. Ihre Rüstungen trugen alle, die meisten sogar Waffen mindestens in Griffreichweite. Vereinzelt wurde Alkohol getrunken, doch diese Leute waren fern davon ein unzivilisierter Haufen zu sein.

Ernüchtert schlich ich zu den anderen zurück und berichtete knapp, was ich gesehen hatte.   
„Also … springen wir auf die Pferde und stürzen ins Lager?“, fragte Mara.         
„Die Wegsperren hatte ich erwähnt, oder? Und die zwanzig Mann, die uns sofort überwältigen, allein wegen ihrer Überzahl“, gab ich missmutig zurück.   
„Ach stimmt, du bist ja verletzt“, sagte die Elfe, als wäre es meine Schuld. Allerdings griff sie dann in ihre Tasche und zog einen Heiltrank heraus. „Hier, nimm den. Trink ihn, falls du im Kampf noch eine Wunde abkriegst. Bevor du zu Boden gehst und wir einen Kämpfer weniger haben.“           
„Es macht mir etwas Sorgen, dass Dario noch nicht aufgetaucht ist“, meinte Zedd plötzlich.     
„Er ist fast eine Trideade allein im Drachenkessel zurechtgekommen. Dort laufen Oger herum“, wies ich den aranischen Priester auf das Durchhaltevermögen seines Glaubensbruders hin. Doch der saß bereits im Sattel.     
„Die Nacht ist dunkel und voller Schrecken! Wer weiß, was Alaman für ihn bereithält. Ich werde zurückreiten und nach ihm sehen … wir kommen dann nach und halten euch den Rücken frei.“    
Schon war er davon geritten. Mara, Jenn und ich sahen uns an.             
„Ich will ja wirklich kein Spielverderber sein“, fing ich an. „Aber zu dritt …“        
„Na gut. Kein Frontalangriff“, sagte Mara enttäuscht.

Wir gingen stattdessen in einem großen Bogen um das Lager und näherten uns von der etwas abgelegenen Seite bei der Ruine und der Pferdekoppel. Dort standen zwar auch Wachen, doch war das Gros der Banditen zumindest etwas entfernt. Und es patrouillierte niemand.               
„Irgendwann müssen sie ja schlafen, dann können wir uns ins Lager schleichen“, schlug Jenn vor.
„Kannst du gut schleichen?“, fragte ich.              
„Naja … wenn sie tief und fest schlafen, dann falle ich bestimmt nicht so stark auf“, meinte sie und bohrte mit ihrem in dickem Stiefel steckendem Fuß in der Erde.     
„Und meine Rippen sind gebrochen.“  
„Ich glaube auch nicht, dass diese Banditen keine Wachen aufstellen werden. Dafür sehen sie viel zu wachsam aus. Und trinken zu wenig Bier“, ergänzte Mara. „Nichtsdestotrotz haben wir bei Nacht einen Überraschungseffekt auf unserer Seite.“ 
„Vielleicht könnten wir ihn noch steigern“, sagte ich mit Blick auf die Pferdekoppel. „Wenn wir ihre Reittiere aufscheuchen, dass sie durch das Lager rasen – dann haben sie erstmal zu tun. Ich könnte etwas Lampenöl ausschütten und anzünden.“                
„Dafür willst du das Öl verschwenden? Hast du keine Ahnung, wie man die Pferde sonst aufscheucht?“, fragte Mara.                
„So auf jeden Fall am schnellsten.“

Kurz nach unserem kurzen Planungsgespräch kam etwas Bewegung in den Wald, nur dutzende Meter von uns entfernt. Sofort zückten wir unsere Waffen – doch es waren nur ein paar Jäger die zurückkehrten. Dass sie allerdings Wildschweine mitbrachten sprach dafür, dass das auch keine Anfänger waren. Und damit waren es noch mehr Banditen im Lager. Die Situation sah wirklich nicht gut aus für Suena und wer auch immer da im anderen Käfig steckte. Unruhig wanderten unsere Blicke immer wieder zum Galgen am anderen Ende des Lagers, unweit der Zelte – und der Käfige.

Etwa eine halbe Stunde kam ein Mann aus der zweitgrößten Unterkunft, die die Banditen mit Stangen und Planen in den Wald gepflanzt hatten. Er fiel etwas aus dem Anblick der üblichen Banditen, was allen voran an dem Instrument in seiner Hand lag: er hatte eine Laute dabei. Am Rand des Sitzkreises rund um das Lagerfeuer fing der Barde an, seine Melodie zu spielen. Es hatte einen raschen Takt und beinah wäre ich geneigt, darauf einen Humpen zu nehmen – wären da nicht die Gesamtumstände. So hinterließ das Lied einen bitteren Nachgeschmack während die ganzen Banditen auf erainnisch ein Lied zu grölen begannen. Leider wurde immer noch nicht Alkohol in bedenkenlosen Mengen getrunken. Ich wünschte mir allmählich meine gedankenlosen twyneddischen Vettern herbei.         
Schließlich verstummte der Barde … und es wurde Mitternacht. Die Sterne funkelten gemeinsam mit dem Mond auf die Lichtung nieder, als sich die Männer des Lagers nach und nach zum Kreis rund um den Galgen bewegten. Die Stimmung schien weiterhin gelöst, doch begannen die Banditen nun häufiger damit, miteinander zu tuscheln. Immer wieder zeigten Finger in Richtung der Käfige. Ein mulmiges Gefühl beschlich uns. Zwei Banditen gingen hinüber zu den Käfigen, wo noch einmal zwei von ihnen ohnehin Wache standen.           

Sie öffneten die Tür zum Käfig von Suenas Mitgefangenen. Der Mann wurde herausgezerrt und mitgeschleift. Jetzt, da er besser zu sehen war, ließ sich seine Kleidung als eindeutig adeliger oder zumindest edler Herkunft erkennen.             
„Was, wenn das dieser Lord Byron ist?“, hauchte Jenn.              
„Da stand ja etwas von einer Belohnung“, meinte Mara.           
„Und da stehen immer noch zwanzig Banditen. Eine Rettungsaktion wäre wahnsinnig“, sagte ich.
„Willst du ihn einfach sterben lassen?“, fragte Jenn und sah mich entsetzt an.               
„Mach einen Vorschlag. Aber ich renne nicht blindlings ins Kreuzfeuer der Armbrustschützen“, erwiderte ich mit einem Seufzen. Natürlich behagte es mir nicht, den wehrlosen Mann zum Galgen stolpern zu sehen. Doch wir waren keine Zauberer.          
Jenn kaute unzufrieden auf ihrer Unterlippe herum, doch die geballte Zahl an Banditen schien ihr auch keinen Mut zu machen.

Der Adelige wurde auf das Podest gestellt – da erklang Geschrei von der Hauptseite des Lagers. Die gelöste Stimmung der Banditen kippte auf einen Schlag. Dann kippte einer von ihnen zu Boden: ein Pfeil steckte in seinem Hals.      
„Sie rufen, dass sie angegriffen werden“, übersetzte Jenn hastig. „Wir haben Unterstützung!“             
„Dann wird es wohl jetzt Zeit“, beschloss Mara und ich nickte ihr zu.    
„Ich scheuche noch die Pferde auf. Dann ist vollständiges Chaos im Lager“, kündigte ich an und humpelte los, so schnell es meine Wunden und gebrochenen Rippen zuließen. Jenn und Utz begleiteten mich – Maras Hand wanderte zu ihren Waffen. Sie verzog ihr Gesicht kurz, als steche ihr etwas in die Brust. Dann zog sie ihren altgedienten Bihänder und schritt auf das Banditenlager zu.

Im Lager der Banditen herrschte Aufregung, aber kein Chaos. Zwei Wächter bei der Pferdekoppel wurden umgehend auf Jenn und mich aufmerksam und eilten auf uns zu. Auch Mara wurde sogleich abgefangen, bevor sie jemanden überraschen konnte. Umgeben von den Ruinen eines alten Hauses nahmen Jenn, Utz und ich den Kampf mit den beiden Banditen auf – die mit Langschwert und Kettenhemd alles andere als schlecht ausgerüstet waren. Und obendrein gut ausgebildet.     
Mein Gegner sah mir meine Schwäche wohl sofort an und zielte mit dem ersten Angriff auf meine Brust. Ich drehte mich ein, riss den Schild hoch … und fiel auf die Finte herein. Der Bandit machte einen Ausfallschritt, setzte nach und schlug mir mit dem Schwert auf den rechten Ellenbogen. Das Schwert schabte über ungeschütztes Fleisch. Ich verlor sofort das Gefühl in der Hand, meine Axt glitt zu Boden. Doch es floss kein Blut, meine Haut widerstand gleich einer Kettenrüstung dem Treffer. Mit der Linken hämmerte ich meinen Schild dem Banditen entgegen und trieb ihn zurück. Das Gefühl wollte nicht schnell genug in meine rechte Hand zurückkehren – also musste ich meine Verteidigung fallenlassen und die Axt mit der linken Hand führen. Hinzu kamen die Schmerzen meiner gebrochenen Rippen … der Kampf hatte kaum begonnen und ich wanderte bereits auf das Delirium zu.

Doch wir erhielten weitere Unterstützung! Ein Bandit öffnete Suenas Käfigtür und drückte ihr ein Kurzschwert in die Hand. Er musste sich wohl in das Lager eingeschlichen haben, doch hatte man ihn nun bemerkt. Sofort waren drei weitere der Wegelagerer bei den Befreiten und zwangen sie in ein enges Gefecht rund um die Gitterstäbe. Suena focht Seite an Seite mit ihrem Unterstützer. Immer wieder fuhr ihre freie Hand gewohnheitsmäßig zu den sonst getragenen Taschen, suchte nach dem Material, um Zauber zu wirken … doch sie hatte nichts bei sich. Und auch keine Zeit, längere Sprüche zu wirken.                
Mara schlug indes ihrem Gegenüber die Waffe aus der Hand und danach den Bihänder in den Hals. Halb enthauptet sackte der Mann zu Boden und die Elfe hielt weiter auf Suena zu, wobei ihr sogleich der nächste Bandit entgegensprang.

Der Rest der Gesetzlosen wandte sich entweder dem Waldstück zu, aus dem weitere Pfeile geflogen kamen oder blieb dicht bei dem adeligen Gefangenen auf dem Galgen. Von Chaos war weiterhin keine Rede … aber Unsicherheit schien sich auszubreiten.  
Jenn, Utz und ich drängten unsere Gegner zurück. Rücksichtslos schlug ich dabei auf den Mann vor mir ein, der fassungslos auf meine Wunden starrte, während mein Sichtfeld bereits etwas an Konturen verlor. Plötzlich rutschte er vor mir weg – herumliegender Pferdekot hatte ihm den Halt geraubt. Ich schlug sofort zu. Das Axtblatt fraß sich durch den Schädel. Kurz darauf sprang Utz den anderen Banditen an, den es damit ebenfalls von den Füßen holte. Ein gedankenschneller Ausfall Jenns beendete seine Gegenwehr.      
„Ich helfe Suena“, verkündete die Ywerddonerin und lief los, den Wolfshund dicht an der Seite. Sie schloss dabei mit Mara auf, die soeben einen weiteren Banditen niederschlug. Nur noch ein Mann stand zwischen ihnen und Suena. Mit einer großen Schleuder hatte er beinah kopfgroße Felsen als Waffe eingesetzt – doch nun bekam er es aus nächster Nähe mit Utz‘ Wolfsgebiss und Maras Bihänder zu tun. Jenn lief gleich weiter. Suenas Unterstützer hatte einen wackeren Kampf gegen zwei Banditen geliefert, doch aus mehreren Wunden sickerte ihm Blut über die Rüstung.          
Beim Galgen kam Unruhe auf. Ein halbes Dutzend Banditen war noch bereit, sich um den Tumult bei den Käfigen zu kümmern. Dann würde es richtig eng für uns.

Ich trat die Pforte zur Koppel auf, schob mich an den Tieren vorbei und verschüttete dabei das Lampenöl, das ich bei mir hatte. Eine umherstehende Fackel diente mir als Anzünder. Mit einem Mal schlugen Flammen nach oben – kein gefährliches Feuer. Aber ein aufschreckendes.              
Die Pferde preschten umgehend aus der Koppel heraus, mitten in das Lager hinein. Sie bahnten sich den Weg zwischen den Käfigen und dem Galgen hindurch, schnitten die beiden Bereiche voneinander ab. Ein Bandit, der versucht hatte, zu den Käfigen zu gelangen, wurde zur Seite davongeschleudert. Grinsend humpelte ich nun selbst in Richtung Suena.

Maras Gegner versuchte in der Zwischenzeit seine Schleuder als Kampfstab einzusetzen. Voll auf Verteidigung bedacht, hoffte er wohl auf den Armbrustschützen, der oben auf dem Fels in der Lagermitte seine Bolzen verteilte. Und von drei Pfeilen getroffen hinunterstürzte – unsere unbekannte Unterstützung zahlte sich aus.            
Der Knall beim Aufschlag sorgte für einen Moment der Ablenkung bei dem Banditen. Mara griff ungerührt an, zerschlug die Schleuder mit einem Hieb, setzte nach und riss den Torso des Mannes auf. Ohne einen weiteren Mucks stürzte er zu Boden.

Suenas Unterstützer verwickelte sich in ein Handgemenge mit einem der Banditen. Am Boden liegend stachen beide wiederholt mit Langdolchen aufeinander ein … bis sich keiner von ihnen mehr erhob. Unsere Hexe stand somit noch zwei Angreifern gegenüber – und glücklicherweise sorgte Jenn unmittelbar für ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis.           
Die zunehmend schwierigere Lage schien die beiden Männer zu verunsichern, was Jenn mit einer Finte verstärkte. Der angegriffene Bandit sprang ängstlich zurück, aber nicht weit genug, um dem nachgesetzten Ausfall zu entgehen. Das Rapier bahnte sich einen Weg durch seine Rüstung in die Innereien hinein. Frisch angekommen beendete ich es mit einem Axthieb in den Hinterkopf.

Jenn, Utz und ich drängten auf den letzten Banditen bei den Käfigen ein, Mara überreichte Suena ihre Tasche. Die Zauberin konnte sich so unmittelbar ans Werk machen. Rasch konnten wir in erdrückender Überzahl den Gesetzlosen überwältigen und uns einen Überblick verschaffen.
Die unerwartete Unterstützung war in Form zweier verbliebene Kämpfer in ein letztes Gefecht verwickelt – gegen einen schwer gerüsteten Wegelagerer, der mit einem Langschwert und Schild kämpfte. „Das ist ihr Anführer“, sagte Suena. „Und der andere Gefangene dort ist Lord Byron! Unsere Helfer sind seine Leute.“  
„Das sind noch sieben Banditen dort“, ächzte ich. „Und wir sind alles andere als unbeschadet.“
Ich sah zu Jenn, die zwar gut gekämpft hatte, aber auch schon einige Schnitte hatte einstecken müssen. Und Suena war im ungewohnten Nahkampf – diesmal ohne magisches Flammenschwert – auch nicht gerade unbehelligt geblieben.     
„Wir kämpfen“, sagte Mara und der Klang ihrer Stimme ließ keine weitere Diskussion zu. „Nimm einfach den Trank, dann wird es noch gehen.“                   
Ich seufzte, folgte aber ihrem Vorschlag. Die rote Flüssigkeit aus der kleinen Phiole rann mir angenehm kühlend durch die Kehle, ehe sie aus meinem Körperinneren heraus Wärme verbreitete. Einige meiner Wunden schlossen sich, auch wenn die gebrochenen Knochen und der geprellte Arm weiterhin Schmerzen ausstrahlten.

Die Pferde waren bereits einmal durch das Lager geprescht und der Weg damit frei. Wir hielten auf den Galgen zu. Die Banditen schwärmten ihrerseits aus. Einer lief zu ihrem Anführer, um ihm Unterstützung zuteilwerden zu lassen, ein anderer fing Mara ab, ein weiterer versuchte wohl Suena zu erreichen – Jenn, Utz und ich fingen ihn ab. Während der Wolfshund direkt an dem Mann hochsprang, versuchte Jenn den Kampf mit einem schnellen Ausfall kurz zu halten. Doch der Wegelagerer trat Utz vor die Schnauze, dass der Hund winselnd zur Seite wegsprang. Direkt in Jenns Laufweg hinein. Sie stolperte an ihm vorbei, war einen Moment schutzlos – der Wegelagerer verpasste jedoch seine Chance. Wir gingen zum Angriff über.          
Mara fegte ihren Bihänder vor sich von links nach rechts, dass es ihrem Gegner schwindelig wurde. Er wich zurück, bis er an die Kante einer Kiste stieß, die hier in einem Kreis um den Galgen Sitzmöglichkeiten boten. Um den Schwertfegern zu entgehen und sich eine bessere Position zu erarbeiten, sprang er nach hinten auf die Kiste drauf. Einen Moment schwankte er – das reichte Mara, um nachzusetzen. Mit einem Satz folgte sie ihn auf die Kiste, trieb ihn weiter vor sich, die gesamte Sitzreihe entlang. Bei jedem Schritt geriet der Bandit mehr ins Stolpern, blickte immer wieder nach hinten und immer seltener nach vorne. Am Ende der Kisten angekommen, schlug ihm Mara die Waffe aus der Hand. Er versuchte sich in seiner Verzweiflung auf sie zu stürzen – und stürzte sich in ihr Schwert.

Indes mühten wir drei uns an dem Wegelagerer ab, der zweifelsohne zu den besseren Kämpfern des Lagers gehören musste. Trotz unserer unterschiedlichen Kampfstile und Überzahl, behielt er uns im Auge und wich Angriff für Angriff aus. Doch seine Verschnaufpausen wurden kürzer und kürzer. Immer schneller folgten unsere Attacken aufeinander, bis Utz ihn am Knöchel zu fassen bekam, Jenn ihn mit einem Stich fixierte und ich so selbst mit der Axt in meiner schwächeren, linken Hand den Todesstoß setzen konnte.      
Wir sahen nach hinten, von wo uns Suena eigentlich Rückendeckung geben könnte. Sie war jedoch nicht mehr allein. Der Barde des Lagers hatte sich sein Schwert gegriffen und sie in einen Zweikampf verwickelt.     
„Ich helfe ihr!“, rief Jenn und stürzte mit Utz an ihrer Seite los, während ich mich in Richtung Galgen wandte. Mara hatte sich dort bereits einen neuen Gegner gesucht. Da hörten wir die kurzen Jubelschreie unserer Verbündeten. Der letzte von ihnen kniete auf dem toten Körper des Banditenführers, nur um kurz darauf von einem beistehenden Wegelagerer niedergeschlagen zu werden. Der sah zu uns. Dann drehte er sich um und floh in den Wald. Zwei der Männer am Galgen blickten noch hoffnungsvoll zu dem Barden, der jedoch im Gefecht mit Jenn und Suena alles andere als eine gute Figur machte. Seine Angriffe waren zu forsch, seine Abwehr vernachlässigt. Er kämpfte, wie er sich wohl einen heroischen Kampf vorstellte – und verlor. Nicht zuletzt Suena hatte ihn mit mehreren Schnittwunden, beigebracht mit einem erbeuteten Kurzschwert, in die Knie gezwungen. Die Banditen am Galgen flohen … bis auf den letzten, am Galgen. Sein Kamerad unterlag im Zweikampf mit Mara. So bildeten wir zu viereinhalbt einen Kreis um Lord Byron und seinen letzten Geiselnehmer.                
„Ihr werdet mich gehen lassen! Ich nehme Lord Byron mit!“, gellte der Mann und hielt seinen Dolch fester an die Kehle des Adeligen.           
„Wenn du jetzt wegläufst, kannst du deine Freunde noch einholen“, antwortete ich.                
„Woher soll ich wissen, dass ihr mich nicht verfolgt? Ihr habt auch die anderen abgeschlachtet.“
„Weil wir haben, was und wen wir brauchen. Lass jetzt den Mann los.“             
„Nein! Ich vertraue euch nicht.“             
„Ein Vorschlag“, begann Mara. „Wir geben dir eines eurer Pferde an die Hand. Du kannst ihm die Sporen geben und schnell verschwinden. Lord Byron bleibt dafür bei uns. So kommst du aus dieser Sache noch raus.“    
Der Bandit haderte. Sein Blick schweifte über uns hinweg, zu den Besiegten und Verwundeten. Zu den Bäumen, zwischen denen die letzten verschwanden. Er nickte.

Ich holte eines der Pferde, die sich nun am anderen Ende des Lagers gesammelt hatten und wir vollzogen unter dem wachsamen Auge der anderen den Tausch. Wie vorgeschlagen trat der Bandit dem Pferd unmittelbar in die Seite und trieb es im Galopp aus dem Lager. Lord Byron blieb bei uns. Kreidebleich, aber am Leben.

Wir sprachen zunächst nicht viel. Zedd und Dario kamen endlich nach und der Priester konnte sich um unsere Verletzungen kümmern. Auch Lord Byron bedurfte einiger Verbände, da die Banditen ihm sichtlich zugesetzt hatten. Sobald auch er versorgt war, fragte ich: „Warum wollten sie euch eigentlich töten? Hätten sie kein Lösegeld erpressen können?“     
„Es war etwas Persönliches“, erklärte er. „Als Lord ist es meine Aufgabe, in diesen Ländereien für Landfrieden zu sorgen. Mit einigen dieser Banditen hatte ich es dabei schon zu tun, insbesondere mit ihrem Anführer. Es war ein hässlicher Kampf gewesen, bei dem viele seiner damaligen Begleiter gestorben sind. Dafür hatte er nun Rache gewollt … aber jetzt ist das hoffentlich erledigt. Ich danke euch vielmals für eure Hilfe. Ich hätte mir nur gewünscht, dass es auch einige meiner Männer geschafft hätten.“       
Er blickte zu den Toten, die zu seiner Unterstützung ins Lager gestürzt waren. Der Überzahl zum Trotz. Ich setzte zu einem Kommentar zu diesem Kampfesmut an, doch Suena schüttelte bereits den Kopf, als sie mich Luftholen sah. Also schwieg ich – hier im Süden schien es wohl nicht so zu sein, dass ein Tod im Kampf die Hinterbliebenen jubeln ließ.

Wir durchsuchten das Lager nach wertvollen Hinterlassenschaften der Banditen. Ich nahm dem Anführer unter anderem sein Langschwert ab, während Jenn und Mara in dessen Zelt noch etwas Gold fanden, das wir unter uns aufteilten. Als wir gerade dabei waren, erzählte uns Suena noch etwas anderes: „Ich habe vor einigen Stunden noch eine Frau gesehen, die ins Zelt des Banditenanführers gegangen war.“              
„Eine Frau? Wo ist sie hin?“, fragte Jenn.           
„Ich vermute, dass es kein Mensch war. Sondern eine Najade“, erklärte Suena.           
„Eine was?“, kam es von mir.   
„Ein Naturgeist der Flüsse und Seen. Aber ich weiß nicht, was sie mit dem Banditenanführer zu schaffen hatte.“         
„Gibt es da vielleicht im Wasser nähere Auskunft?“, fragte Jenn und blickte zu dem See. Suenas Vorliebe, in Gewässer zu starren, hatte sich bereits eingeprägt. Sie legte den Kopf auf die Frage hin etwas schief und schien das ganze abzuwägen. „Einen Versuch ist es wert“, schloss sie und machte sich auf den Weg zum See. Als Jenn Anstalten machte, sie dorthin zu begleiten, schickte Suena sie weg.

Wir anderen trieben die Pferde der Banditen zusammen. Es waren keine schöne Rassentiere wie die Kaltblüter, auf denen Mara, Zedd, Dario und Suena ritten, aber gerade in der Masse konnten wir sicherlich einen guten Preis erzielen – es war ein gutes Dutzend. Suena blickte indes vom Steg aus in den See, sagte jedoch nicht viel, als sie wieder kam, nur: „Es gab wohl eine Vereinbarung zwischen der Najade und den Banditen. Aber das dürfte nun keine Rolle mehr spielen.“       

Die restliche Nacht verging ereignislos im Lager. Wir hatten Nachtwachen aufgestellt um eine mögliche Vergeltungsaktion der Flüchtigen frühzeitig zu bemerken, doch schien deren Moral zu gebrochen für einen solchen Angriff. So konnten wir am nächsten Morgen unbehelligt aufbrechen und die Pferdeherde nach Süden treiben. Lord Byron schloss sich uns natürlich an, um in Cuanscadan endlich wieder Anschluss an die Zivilisation zu erhalten, wie er es formulierte. Mein rechter Arm war am Vorabend glücklicherweise nur geprellt worden und behinderte mich beim Reiten nicht mehr – was von den Rippen nicht zu sagen war. Es würde noch eine halbe Trideade dauern, bis ich schmerzfrei war. Vielleicht auch länger.

Am Ende des Tages erreichten wir das Ende des Scharlachwaldes und den Fluss Runan, wie uns Lord Byron mitteilen konnte. Das Gewässer sollte noch zu einem gewaltigen Strom anwachsen und bis zum Meer führen. Wir verkauften also unsere Pferde bis auf die Kaltblüter bei einem Gestüt für praktikableres Gold und suchten uns einen Fährmann. Fünf Tage fuhren wir in der Folge den Runan hinab, der tatsächlich breiter und breiter wurde.    
Am letzten Tag der Reise hing zum Abend hin ein stechender werdender Geruch in der Luft. Verdutzt gesellte ich mich zu den anderen, die am Bug standen. Mara verzog unablässig das Gesicht. „Was ist das für ein Gestank?“            
„Das ist der Odeur von Cuanscadan“, erklärte Lord Byron. „Die Stadt der Heringe, größte Handelsmetropole Erainns. Händler von Waeland bis Eschar kommen hierher. Und geboten wird neben vielem anderen: Fisch.“
„In rauen Mengen, wie das riecht“, stellte Suena fest. Sie schien nicht sonderlich erfreut.

Dann erreichten wir Cuanscadan und erfuhren endgültig, wie eine Stadt roch, in der auf jeden Anwohner ein dutzend Fische kommen musste. Neben einer anfänglichen Frische, waren da die Gerüche von gesalzenen und eingelegten Fischen, schließlich auch der Gestank des vergammelten Fischs oder von ungeliebten Resten, die in den Seitengassen lagen und von einer großen Zahl Möwen umkämpft wurden.
Lord Byron führte uns ins Adelsviertel, wo er bei Freunden unterzukommen hoffte. Auf dem Weg kamen wir an einem schwarzen Brett vorbei – das erneut einen Steckbrief von Suena präsentierte. Umgehend bildeten wir einen Pulk um den Aushang und sie ließ die Zeichnung von sich in ihrer Tasche verschwinden. Lord Byron wirkte etwas irritiert, doch wir brachten ihn zunächst zum Anwesen seiner Unterstützer, ehe Suena ihm knapp aber wahrheitsgemäß ihre Geschichte erzählte. Sie schloss mit der Bitte, ob der Adelige in dieser Sache nicht etwas unternehmen könne.   
„Ihr habt mein Leben gerettet, daher werde ich mein Bestes tun, um einen Mantel über eure Vergangenheit zu werfen. Die Steckbriefe sollten in den nächsten Tagen von den schwarzen Brettern verschwinden. Nur leider sind meine Wirkungsmöglichkeiten darüber hinaus etwas begrenzt.“         
„Das ist mir bereits eine große Hilfe. Ich danke Euch“, erklärte Suena. 
Lord Byron gab uns nun zunächst etwas Gold mit auf den Weg, damit wir ebenfalls hier im nobleren – also weniger nach Fisch stinkenden – Bezirk ein Gasthaus auf seine Kosten bezahlen konnten. Und damit verabschiedeten wir uns von ihm und kehrten im Gasthaus „Zum schnarchenden Hering“ ein.

„Und? Was machen wir als nächstes?“, fragte ich in die Runde. Noch etwas missgelaunt, da mein Bier auf sich warten ließ.                
„Ich empfehle ein Bad“, meinte Mara naserümpfend in meine Richtung.          
„In der Stadt stinkt es ohnehin.“            
„Das reicht auch schon vollkommen aus, da musst du nicht noch deinen Schweiß hinzugeben.“
Bevor ich ebenfalls etwas bissiger antworten konnte, fuhr Suena dazwischen: „Es gibt auch Badehäuser, die mehr anbieten, als gewaschen zu werden. Vielleicht wäre das etwas für dich.“          
„Hm … klingt nicht schlecht“, überlegte ich. Ein Ziehen in meinem Brustkorb erinnerte mich jedoch an meinen Zustand. „Aber zurzeit bin ich etwas eingeschränkt. Ich glaube, ich trinke einfach etwas Bier.“
„Ich möchte einen Alchemisten aufsuchen. Unser letztes Abenteuer war schon ziemlich blutig, da wäre ein Heiltrank sicher nicht schlecht“, meinte Jenn.   
„Und ich will zu diesem Bardenwettbewerb. Sicherlich kann man hier auch mehr dazu erfahren“, erinnerte Suena an ihren großen Plan.     
„Du willst auf die Bühne gehen? Halte ich für keine gute Idee“, hielt ich dagegen. „Am Ende wirst du erkannt und darfst vor hundert Leuten oder mehr erklären, was eine entlaufene Sklavin hier macht.“
„Nicht so laut“, zischte Mara. Sie musterte Suena. „Ich glaube, wir könnten da etwas an deiner Kleidung machen, dass du als mysteriöse und unbekannte Sängerin auftreten kannst. Lass uns doch auf den Markt gehen und wir sehen uns etwas um.“     
„Ich halte das für keine gute …“, doch Mara und Suena ließen mich bereits sitzen. Zedd und Dario zuckten die Achseln während sie ihren Tee tranken.              
„Kommst du mit zum Alchemisten?“, fragte Jenn mich. Ich nahm einen Schluck von meinem Bier, das sich als erschreckend dünn erwies. Erainnische Spezialität … Ich stürzte es mit einem weiteren Zug herunter und nickte Jenn zu, während Suena und Mara den „schnarchenden Hering“ verließen.

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