Die Nacht brachte seltsame Träume
von hohen Hallen, zerfallenen Räumen, bodenlosen Löchern und daraus
hervorströmendem Nebel. Doch der nächste Morgen begrüßte uns, ohne, dass etwas
geschehen wäre.
Wir fachten das Lagerfeuer für das Frühstück wieder stärker an, da es seltsam
kalt zu sein schien. Doch Darios Gesicht wirkte unvermindert blass, egal, wie
nahe er an die Flammen heranrückte.
„Ich werde hierbleiben“, verkündete er nach einer Weile, während wir bereits
gegessen, er jedoch nur verkniffen auf das Dörrfleisch geblickt hatte. „Nach
den Pferden sehen, das Lager bewachen. Es ist kein schneller Weg von hier zu
den Ruinen. Und sollte uns jemand die Tiere streitig machen, bringt uns aller
Reichtum nichts.“
„Bist du denn sicher? Im Zweifelsfall stehst du dann alleine“, erwiderte Jenn.
„Ich stehe nie allein. Selbst wenn man ihn nicht immer sieht, so ist er da doch
immer da“, sagte Dario mit fester Stimme und wies auf die dichte Wolkendecke,
durch die das Licht der Sonne nahezu silbrig hindurchschimmerte – vielleicht
war sein Ormut irgendwo dort oben.
Zedd und Suena hatten weniger Bedenken als Jenn, sie kannten ihren Begleiter gut genug, um ihn hier in Sicherheit zu wissen. Ich verzog indes mein Gesicht eher angesichts der Tatsache, auf die Kampfkraft des Ordenskriegers verzichten zu müssen. Hoffentlich erholte er sich bald, was auch immer ihn quälen mochte.
Zu viert machten wir uns dann auf
den Weg, die Rucksäcke geschultert. Es dauerte zwei Stunden, die wir den
verfallenen „Weg“ erklommen, bis wir die Ruinen wieder vor uns sahen. Im, wenn
auch fahlen Licht, des Morgens ließ sich mehr erkennen, als noch in der
Dämmerung zuvor: Beherrscht wurde die Ruinen von einem großen Hauptgebäude, an
das sich zwei kleinere Seitenbauten anschlossen. Falls einst ein Dach vorhanden
war, so hatte es die Zeit abgetragen, es schien aber auf den ersten Blick, als
wäre das Gebäude bereits flach geplant worden. An der rechten Seite schraubte
sich ein Turm in die Höhe, welcher ungeachtet des restlichen Verfalls,
weiterhin Wacht zu halten schien.
„Ob wir mit unserer Kletterausrüstung dort hinaufsteigen sollten?“, fragte Jenn
in die Runde. „Vielleicht liegen dort diese Kreaturen auf der Lauer von denen
Aeldun berichtete. Dass wir hinaufklettern erwarten sie mit Sicherheit nicht!“
„Die wenigsten Untoten besitzen mehr als tierische Intelligenz. Sie jagen instinktiv“,
erklärte Suena. „Einen Hinterhalt halte ich nicht für sehr wahrscheinlich.“
„Dem Turm traue ich auch nicht. Wer weiß, ob sich da nicht ein paar Steine
lösen, wenn wir hochklettern wollten“, gab ich dazu. Jenn nickte und so wandten
wir uns der Hauptpforte des Gebäudes zu. Ein mächtiges Flügeltor aus altem,
massiven Holz – es stand offen, war etwas verzogen.
Zedd blickte gen Himmel wobei er
einige Worte auf Aranisch murmelte. Dann öffnete er die Augen und blickte der
Ruine mit einem kraftvollen Ausdruck in ihnen entgegen, den ich so bisher nicht
bei ihm wahrgenommen hatte. Jetzt schien er aufzublühen.
Er und ich schritten zuerst durch die offene Pforte hinein in die ehemalige
Eingangshalle des Kultgebäudes, welches die vordere Breite des Hauptgebäudes
einnahm. Nach all den Jahren ließ sie sich kaum noch als Raum zuordnen, war
leergefegt und voll mit Dreck und Staub. Zerfallene Holzreste ließen daran
denken, dass hier einmal Möbel gestanden haben könnten.
Linker und rechter Hand gab es
Türen, geradeaus vor uns lag eine Pforte, die tiefer ins Gebäude hineinführte.
Wir waren uns schnell einig, dass es besser war, zunächst die Seiten abzugehen,
um von dort keinen Hinterhalt befürchten zu müssen. Vorsichtig schob Suena die
knarzende Tür linkerhand auf, hielt jedoch rasch inne. Noch bevor ich laut
nachfragen konnte, hielt sie ihren Finger symbolisch vor ihren Lippen und
machte dann einen Schritt zurück.
„Dahinter ist ein kleiner Raum, wohl eine ehemalige Waffenkammer. Aber nicht
unbewohnt“, flüsterte sie. „Zwei Braunbären.“
„Wollen wir sie ausschalten, damit wir den Rücken frei haben?“, fragte Jenn.
„Das wird wohl notwendig sein. Wenn diese Tiere das hier als ihre ‚Höhle‘
auserkoren haben, werden sie beim ersten richtigen Lärm den Eindringling
suchen. Also uns“, erklärte Zedd mit fachkundig.
„Gibt es noch andere Möglichkeiten, in den Raum zu kommen?“, fragte Jenn an
Suena gewandt.
„Eine Außenwand war zerfallen, wahrscheinlich sind die Bären dadurch überhaupt
erst hineingekommen.“
„Dann können wir sie von außen angreifen, mit allem gleichzeitig und genug Raum
für uns“, schlug die Fechterin vor.
„Das klingt gut. Ich kann versuchen, einen ersten Treffer mit dem Bogen zu
erzielen“, ergänzte ich.
„Ich könnte auch versuchen, sie zu vertreiben“, warf Suena ein.
„Mit deinen … Sprüchen? Wie lange bleiben sie dann weg?“
„Etwa einen Tag.“
„Dann werden sie später ein Problem“, brummte ich, wobei mir die anderen und
nach etwas Abwägen auch Suena selbst zustimmten. Wir verließen das Gebäude also
zunächst und gingen um es herum, bis wir die eingefallene Wand an der linken
Seite sehen konnten. Pflanzenbewuchs hatte sich über das Geröll ausgebreitet.
Doch in der dahinterliegenden, einstigen Waffenkammer waren die großen
Braunbären unübersehbar. Ich nahm meinen Langbogen zur Hand und legte an – Jenn
und Zedd hielten sich bereit, um nach dem Überraschungsangriff die Tiere direkt
abfangen zu können.
Ich nahm mir Zeit zum Zielen, es konnte jetzt durchaus schnell gehen – der
Pfeil glitt mit einem kraftvollen Schwung von der Sehne und zischte in die
Waffenkammer hinein.
Doch die Biester hatten wohl
nicht geschlafen, wie es gewirkt hatte. Im letzten Moment rollte sich der
anvisierte, größere der beiden zur Seite und entging so dem Schuss. Dann stieß
er einen markerschütternden Schrei aus und bäumte sich auf, während der andere
bereits losstürmte – da konnten wir zum ersten Mal seine Augen erkennen, die vollständig
tiefschwarz waren, als würde man in einen bodenlosen Brunnen blicken. Etwas
stimmte nicht mit diesen Tieren.
„Scheiße“, murrte ich, legte den Bogen zur Seite und griff mir Axt und Schild. Jenn
stürmte zum richtigen Zeitpunkt aus der Deckung, um dem anstürmenden Bär einen
Stich in die Flanke zu versetzen. Der wirbelte herum und brüllte sie an, dass
ihr die Speichelfetzen entgegensprühten. Er bäumte sich auf, aber mit zwei
raschen Schritten zurück entging sie den Pranken, die sie wie eine Lawine umgerissen
hätten.
Der größere Bär stürmte nun ebenfalls aus der Höhle, wo er es mit Zedd zu tun
bekam. Der Priester schwang seinen eisernen Kriegshammer, in dessen Metall sich
am Höhepunkt der Ausholbewegung das Licht der Sonne spiegelte. Dann krachte er
Kopf der Waffe auf das linke Schultergelenk des Bären, der merklich nach vorne
einknickte. Neben mir sah ich Suena eine symbolische Bewegung mit der einer
Nadel vollführen, die mir bereits seltsam schmerzhaft anmutete. Da schrie der
große Bär vor Zedd noch einmal auf und wälzte sich über den Boden, als könne er
den plötzlich aufschießenden Schmerz abreiben.
Noch einmal bäumte er sich auf
und hätte Zedd beinah in eine Umarmung gezogen, die er nicht überlebt hätte.
Doch der Priester entging dem unheilsvollen Angriff und schlug erneut zu. Der
Hieb traf das Tier vor der Brust. Metall erwies sich als Sieger über Knochen.
Das Tier sank mit einer zur Fratze verzogenen Schnauze zu Boden.
Jenn tänzelte indes um das andere Biest herum, was mir Zeit und eine Ablenkung
verschaffte. Mit einem Sturmangriff raste ich auf das Tier zu, schwang die Axt
und gerade als sich der Bär zu mir umwandte, um mich aus seinen toten Augen
anzusehen, da traf das eiserne Blatt meiner Waffe in seinen Schädel.
Wir atmeten zunächst alle einmal
nach diesem kurzen, aber intensivem Kampf durch, dann sammelten wir uns, ich
hob meinen Bogen auf, und gingen in die ehemalige Waffen- und Rüstkammer. Diese
besaß keinen Ausgang, außer denjenigen, durch welchen Suena gespäht hatte,
sowie den natürlichen, den sich die Zeit geschaffen hatte. Die Rüstständer
waren nicht mehr vollständig, die an ihnen aufgehängte Kampfbekleidung schon
lange verrostet. Lediglich in ein paar Kisten konnten wir etwas finden, das die
Zeit hier überstanden hatte: Silbermünzen. Im Wert nicht prächtig, doch
zumindest zahlreich.
Vorerst ließen wir diesen schweren Fund vor Ort, um ihn später aufzusammeln. Wieder
in der Eingangshalle gingen wir nun zur rechten Tür, welche Suena erneut
vorsichtig öffnen wollte – doch diese war verschlossen.
„Kann einer von euch Schlösser knacken?“, fragte sie unumwunden. Den Priester
brauchte man da wohl nicht ansehen, aber auch Jenn hatte sich diese Fähigkeit
in Dinas Taran nicht zu Eigen gemacht. Also kam ich ins Spiel und löste mit
einem Grinsen den Ogerhammer aus seiner Halterung an meinem Rucksack. Ich
schwang die Waffe einmal kräftig und ließ dann zwanzig Pfund Eisen auf die Tür
krachen, die allein wegen ihrem Alter wohl auch weniger gebraucht hätte, um aus
den Angeln zu springen. Doch der Weg war frei, was die anderen mit einem
schiefen Grinsen abnickten.
Wir betraten das rechte
Seitengebäude. Der Raum besaß zwei weitere Türen; eine zum Hauptteil und eine
weiter hinein. Außerdem führte eine Treppe nach oben. Und an ihren untersten
Stufen lagen zwei skelettierte Leichen in alten, verrotteten Roben. Vorsichtig
blieben wir stehen und betrachteten die Toten. Aeldun ap Belthen hatte vor
wandelnden Leichen gewarnt …
Ich trat langsam näher, Jenn neben mir, während sich Suena ungerührt den Raum
besah. Sie blickte sich jedoch plötzlich zu uns um, als das Knirschen von
Knochen erklang und mehrere weiße Stückchen durch den Raum sirrten. Mir war
mein Hammer … aus der Hand gefallen. Direkt auf den Kopf eines der Skelette.
Langsam beugte ich mich darüber und hob die Waffe wieder auf. Der Tote rührte
sich nicht. Jenn nickte mir zu: „Ja, scheint tot zu sein. Hast du aber auch
dieses metallische Klirren gehört?“
Verwundert blickte ich sie an, fuhr mir dann fast unwillkürlich an meine linke
Kopfseite, wo mein verkümmertes Ohr unter Haaren lag. Jenn wühlte indes in
unserem Fund herum und zog dann einen tellerförmigen Gegenstand hervor. Er
schien aus Metall zu sein, vielleicht auch nur etwas Ähnliches. Rund, glatt.
Die Rückseite war matt und farblos, die vermeintliche Vorderseite hingegen
zeigte ein seltsames Bild aus schwarzen und weißen Streifen.
„Sieht fast aus wie ein Gesicht“, murmelte Jenn. Ich blickte auf den Teller und
zog die Brauen hoch. Suena trat dazu und nickte. „Ja, das könnte tatsächlich
sein.“ Dabei fuhr sie mit einem Finger einige Striche nach und mit viel
Wohlwollen konnte ich nun auch Augen und einen Mund erahnen. Eine seltsame
Kunst. „Sollen wir das mitnehmen?“, fragte da Jenn nicht von ungefähr. Suena
nickte entschieden und nahm den seltsamen Teller an sich.
Wir beschlossen, zunächst weiter
das Nebengebäude im Erdgeschoss zu erkunden. Hinter der Tür lag eine dunkle,
stickige Kammer, sodass wir erst eine Fackel anzünden mussten, um etwas mehr
erkennen zu können. Es handelte sich wohl um ein ehemaliges Arbeitszimmer. Wir
gingen zwischen einem Dutzend alter, eng stehender Schreibtische hindurch, auf
denen alte Gläser mit letzten Farbresten standen, während was auch immer hier
einst beschriftet wurde, längst zu Staub zerfallen war. Doch die einstigen
Schreiber waren noch immer hier. Mit ihren Schädeln auf dem Holz liegend, in
sich zusammengefallen oder nach hinten gesunken, dass sie nur noch die
Stuhllehne hielt.
Wir waren gerade in der Mitte des großen Schreibzimmers, da kam plötzlich
Bewegung in einige der Leichen – diesmal waren es wirklich Untote.
Sie sprangen auf und stürmten mit
Dolchen auf uns zu. Zedd und Jenn fingen jeweils einen ab, während ich mit dem
Ogerhammer zuschlagen wollte – beim Ausholen jedoch an einem der Tische hängen
blieb. Der Priester aus Aran ließ den Kriegshammer indes zweimal flink tanzen.
Ein Treffer gegen das Knie, ein weiterer gegen den Hals und der Untote vor ihm
fiel auseinander. Jenn parierte da gerade noch einen Hieb, fiel selbst aus und
trieb den Zombie zurück. Zedd nutzte dessen Bedrängnis gedankenschnell aus und
fällte die unselige Kreatur. Nach dem Treffer rührte sie sich nicht mehr.
„Da kam ja gerade nicht viel von dir“, sagte der Araner grinsend an mich
gewandt. Grummelnd befestigte ich den Ogerhammer wieder an meinem Rucksack. Im
Kampf auf engem Raum wäre die Streitaxt die bessere Wahl.
An der Rückwand des Arbeitszimmers fand sich eine Tür, durch die wir in eine
zweite Schreibstube gelangten. Der Kampfeslärm von gerade eben schien einige
Untote bereits geweckt zu haben und vier Stück liefen auf uns zu. Ich hörte
Suena hinter mir einige Worte murmeln, dann stieß sie einen halb erstickten
Schrei aus, als hätte ihr jemand den Brustkorb zugeschnürt. Im Augenwinkel sah
ich sie jedoch einfach nur allein dastehen – auch wenn sie sichtlich blass
wurde. Ein weiterer Versuch, zu zaubern, wollte ihr ebenfalls nicht gelingen.
So waren wir drei Kämpfer auf uns gestellt. Doch Jenn schaffte schnell den
Ausgleich, indem sie den ersten Zombie fällte. Zedd wollte ebenso schwungvoll
nachsetzen, verstauchte sich dabei allerdings den Knöchel. Umso zorniger legte
er dann los und im folgenden Kampf landete er den jeweils letzten Schlag gegen
die drei Untoten.
Ich trat gegen eine am Boden
liegende Leiche, um zu prüfen, ob sie wirklich tot war. „Üble Viecher, wenn
auch nicht sehr intelligent. Die rennen uns ja geradezu in die Waffen.“
„Suena, was war passiert?“, fragte Zedd seine altbekannte Begleiterin.
Die Zauberin war immer noch blass. „Ich habe versucht, einen Zauber zu wirken …
da sah ich plötzlich eine rote Fratze vor mir, wie aus einem schlimmen
Alptraum. Die Augen haben mich scheinbar durchbohrt, ich … es war der böse Blick.“
„Der böse Blick?“, echote ich. „Hexenwerk?“
„Nicht Hexenwerk. Dieser Fluch ist schwarze Magie, weitaus finsterer als alles,
was redliche Zauberinnen verwenden würden.“
„Was wird mit dir passieren?“, fragte Jenn besorgt.
Suena fuhr sich über die Brust, wo das Herz lag, als spürte sie ein Stechen.
„Der Fluch wird mich von innen her auffressen. Tag für Tag werde ich
schwächer.“
„Wie lange hast du?“
„Schätzungsweise … Weniger als eine zehn Tage.“ Länger, als wir brauchten, um
zurück nach Dinas Taran zu kommen. „Aber, ich habe auch eine gute Macht
gespürt, die dieses Wesen vertreiben wollte. Irgendetwas ist hier am Werk, das
uns – mir – vielleicht helfen kann.“
Nun standen wir also auch unter
Zeitdruck. Wenngleich es Minuten nicht entscheiden würden, begannen wir umso
schneller den Raum abzusuchen. Irgendwo verbarg sich vielleicht ein Hinweis,
welcher Kult oder welches Volk überhaupt hier gehaust hatte. Das auffälligste
am Raum lag jedoch nicht in ihm, sondern an seinem Ende: eine Tür. Zunächst aus
scheinbar normalem Holz, mit Eisenbeschlägen, zeigte allein der nahezu
makellose Zustand, dass sie besonders war. Hinzukamen drei Vertiefungen,
jeweils etwa so groß wie der Teller, den wir erst zwei Räume zuvor gefunden
hatten …
Es schien, als bräuchten wir noch mehr davon. Zunächst verweilten wir hier
jedoch einen Moment, in dem sich Suena sammelte und möglicherweise die Umgebung
abtastete – falls Zauberinnen so etwas tun. Eines schien mir nun klar, da ich
zum ersten Mal mit einer Hexe reiste: Man sollte am besten nicht gesehen
werden, bevor man in Nahkampfreichweite kam.
Sobald wir uns wieder gesammelt
hatten, suchten wir das Nebengebäude weiter ab. Diesmal nahmen wir die Treppe
in den ersten Stock. Über dessen gesamte Länge verlief ein Flur, von dem beinah
dutzend Türen abzweigten. Hinter fast allen fanden wir ehemalige Schlafräume,
die mal eine, mal mehrere Personen beherbergt hatten. Die Möbel waren wie im
Rest des Gebäudes weitgehend zerfallen – in einem Schreibtisch, auf der
verzweifelten Suche nach etwas, das sich zu Gold machen ließ, entdeckte ich
einen weiteren dieser Taler. Die Zeichnung darauf war im ähnlichen Stil
gehalten, die schwarzen und weißen Streifen deuteten jedoch ein anderes Bild
an. Wenn man länger darauf sah, sogar zwei …
Die erste Tür im Flur führte allerdings auf eine Galerie, die sich um einen
großen Raum im Hauptgebäude herumspannte. So warfen wir zum ersten Mal einen
Blick auf das, was den Großteil dieser Ruinenanlage auszumachen schien. Es
erinnerte nun eindeutig an eine Kultstätte, mit wurmstichigen Bänken, einer
Abstufung und einem Altar. Vereinzelte Skelette kündeten vom jähen Ende der
frommen Bewohner.
Zunächst wollten wir uns aber weiter auf das Nebengebäude beschränken. Am Ende
des Flures bog dieser nach links ab, um an der Außenwand des Gebäudes zum
anderen Nebengebäude zu führen. Aber es gab auch eine Treppe, der wir nach oben
folgten. Zedd ging zuerst – und bewies eine glückliche Vorahnung oder gute
Reflexe. Als er seinen Fuß auf die drittletzte Stufe abstellte, gab das Holz
vollständig nach und rauschte mit einem Knall nach unten weg. Durch das Loch
würde der Priester fallen können, hätte er sich nicht rechtzeitig nach hinten
geworfen. Ich fing ihn ab, hörte es auch unter mir unsicher knarzen, doch der
Rest der Treppe hielt.
Die Lücke konnten wir sodann
übergehen und erreichten die Spitze eines Turms; der einzige der Ruine – oder
der einzige, der noch stand. Er diente wohl dereinst als Aussichtspunkt. Doch
den beiden Toten, die wir vorfanden, hatte auch der Blick in die Ferne nichts
geholfen. Womöglich wäre der Blick nach hinten dringender gewesen, auch wenn es
sich bei ihrem Zustand nicht mehr sagen ließ. Jenn durchsuchte ungerührt die
letzten Fetzen, welche den Skeletten noch geblieben waren. Mit einem Grinsen
fand sie sodann einen dritten Teller, mit wieder einer anderen, wenn auch
weiterhin kryptischen Bebilderung.
„Scheint, als wären wir vollzählig“, freute sie sich.
„Wenn das die drei richtigen sind“, warf Zedd ein.
„Wäre ziemliches Glück“, stimmte ich dem Araner zu. Doch einen Versuch war es
allemal wert.
Wir gingen wieder hinunter zu der
Tür mit den drei Vertiefungen, das Nebengebäude hatten wir ohnehin vollständig
erkundet. Suena, welche die Scheiben gesammelt in ihren Rucksack gestopft
hatte, fügte die Taler nun einem nach dem anderen in die Fassungen ein. Sie
passten jeweils in einer bestimmten Position, die ein oben und unten erkennen
ließen. Ein Gesicht, eine Hand, die Feuer hielt, ein … Schwan? Oder noch ein
Gesicht. Die Kunstwerke dieses Kultes waren kryptisch gewesen, doch sie reihten
sich nun nebeneinander ein – ohne dadurch mehr an Sinn zu gewinnen.
Nichtsdestotrotz begann mit Einfügen des letzten Talers ein leises Zischen.
Suena machte rasch einen Schritt zurück und wir vier blickten gebannt auf die
Pforte. Das Zischen verstärkte sich, die Taler begannen zu glühen, sogar etwas
Dampf stieg auf. Eine ganze Minute ging das so vonstatten – dann fielen alle
drei aus ihrer Fassung auf den Boden. Die Tür blieb zu. Suena machte einen
Schritt auf sie zu, drückte dagegen und zog an ihr, doch sie rührte sich
nicht.
„Vielleicht eine andere Kombination“, meinte die Zauberin und griff nach dem
ersten Taler. Es zischte erneut. Mit einem Vallinga-Schimpfort auf den Lippen,
das Jenn die Augen nach oben ziehen ließ, zog Suena ihre Hand zurück. „Die sind
kochend heiß.“
Auch wenn wir uns Tücher über die Hände wickelten und die Taler so hochhoben –
bis sie abgekühlt waren, ließen sie sich nicht in die Passungen einfügen,
sondern glitten sofort wieder heraus. So wurde der Prozess des Ausprobierens
langwierig. Und schließlich mussten wir feststellen, dass mit den drei Talern
keine Kombination zur Lösung führte. Die Suche ging also weiter.
Wir hatten das rechte
Nebengebäude somit vorerst erkundet, die mysteriöse Tür behielten wir im
Hinterkopf. Das Äquivalent auf der linken Seite hatte nach der Waffenkammer keine
Möglichkeit geboten, weiter ins Gebäude vorzudringen. Wir befürchteten, dass
wir mit direkten Betreten des Hauptraumes alle Untoten auf einen Schlag wecken
würden. Also beschlossen wir, erneut in den 1. Stock und über die Galerie
weiter im anderen Seitengebäude nach Schätzen und möglichen Feinden zu suchen.
Die Galerie führte über drei Seiten des Hauptraumes, lediglich die Wand hinter
dem Altar war ausgespart – wahrscheinlich um vor Jahrhunderten den Fokus auf
den Hohepriester zu legen. Eine Tür führte in das Nebengebäude hinein. Der Raum
musste sich ungefähr oberhalb der bärenverseuchten Waffenkammer befinden. Es
handelte sich um eine Bibliothek.
Deckenhohe Regale verliefen in mehr als einem Dutzend Reihen und waren
vollgepackt mit Schriftrollen, Folianten und kleineren Büchern. Sofern sie
einen ledernen Einband hatten, waren sie noch einigermaßen intakt. Zumindest
bis man sie aus dem Regal holte und der Inhalt als Staub hervorrieselte. Doch
manches Pergament hatte die Zeit überstanden, auch wenn die Sprache, in der sie
gehalten waren, wohl nicht dasselbe von sich behaupten konnte. Ratlos blätterte
der gelehrte Araner hindurch, da rief Jenn plötzlich: „Ich habe etwas
gefunden!“
Die Ywerddonerin hielt einen großen Folianten auf dessen Seiten diverse Landmassen
gezeichnet waren. Hauptaugenmerk des Ganzen schienen per Pfeile jedoch die
weiten Ozeane dazwischen zu sein. Einige Begriffe schienen sogar entzifferbar
zu sein, Jenn murmelte etwas von philosophischen Abhandlungen … nichts, was mir
einleuchten wollte.
Während die anderen die Regale
nach wertvollen Schriften durchsuchten und sogar das eine oder andere fanden,
was zumindest glanzvoll eingebunden war, durchsuchte ich die Schreibtische an
der Seite. Von den einst hier Studierenden war nicht viel übrig. Doch in einer
Schublade entdeckte ich noch einen weiteren Taler!
Mit diesem Fund schlossen wir unsere hiesigen Erkundungen ab und zogen durch
eine Tür weiter nordwärts das Nebengebäude entlang, wo wir auf einen langen
breiten Flur gelangten, der gespickt war mit toten Körpern. Allesamt einstiege
Anwohner dieses vergessenen Komplexes. Und wir waren kaum einige Schritte
gegangen – da erhoben sich die Toten.
„Formt einen Keil!“, brüllte ich, woraufhin Zedd sich an die Spitze setzte,
während Jenn die linke, ich die rechte Flanke übernahm. Suena huschte in unsere
Mitte und wir zogen uns zur rückwärtigen Tür zurück. Dann waren die unseligen
Kreaturen auf den Beinen, stürzten auf uns zu, die Hände zu Klauen verkommen.
Es war der heftigste Angriff, den
wir seit unserem Eindringen hier erlebt hatten. Gleich sechs Leiber stürzten
ohne Rücksicht auf ihre verfaulten Körper auf uns zu, wobei sie Grabesschreie
ausstießen, die uns das Blut in den Adern gefrieren ließen. Mit allem, was sie
hatten, warfen sie sich gegen uns, sodass ich instinktiv hinter meinem Schild
abtauchte, um ihren Angriffen zu entgehen und keinen Meter Raum zu geben.
Hinter mir konnte ich Suenas Bewegungen nur erahnen, doch als plötzlich eine
Kreatur vor mir einen Schmerzensschrei ausstieß, ohne, dass ich es getroffen
hatte, wusste ich: Hexerei war wieder am Werk. Ein gutes Mittel gegen diese
elenden Kreaturen.
Den Moment der Schwäche nutzte ich, um aus der Deckung herauszukommen und mit
meiner Streitaxt nachzusetzen. Der Treffer saß, ein großer Fleischbrocken löste
sich aus dem Leib des Untoten, einige weitere bröckelten noch nach. Doch das
reichte noch lange nicht und ich wurde wieder in die Deckung gedrängt.
Einem langgezogenen
„Ormut“-Schrei folgte im langen Korridor widerhallendes Knirschen. Als ich
hinüberblickte sah ich, wie Zedd seinen Kriegshammer aus dem Schädel eines
seiner Gegner befreite, wobei er die letzten Reste von dessen Gesicht am Boden
verteilte. Seinem Kriegsschrei antworteten die Schmerzensschreie der Untoten,
von denen mehr und mehr den Flüchen unserer Hexe zum Opfer fielen – sie
klangen, als würden sie trotz ihres Todes mit einem Schlag all das Leiden ihres
vorzeitigen Endes noch einmal zu spüren bekommen.
Jenn und ich setzten Zedds Vorbild nach und fielen aus. Jeder von uns fällte
einen Untoten, dann fächerten unser Keil aus, bis wir auf einer Linie den
zerfallenden Leichen gegenüberstanden. Der aranische Priester verschätzte sich
da bei einem Angriff und brachte sich in gefährliche Nähe des Zombies vor ihm –
welcher unerwartet plötzlich zubiss. Graue Zähne bohrten sich in Zedds
Schulter, der das wilde Tier, zu dem dieser Mann nach seinem Tod verkommen war,
von sich stieß. In diesem Moment schlug ich meinem Gegenüber das Schild vor die
Brust, das es knirschte und setzte gleichsam mit einem Axthieb nach, der dessen
Schädel spaltete.
Wir konnten aus unserem ursprünglichen Keil nun unsererseits eine Überzahl
ausspielen und nahmen die verbliebenen zwei Untoten in die Mangel. Jenn schlug
da wie ein Wirbelsturm in eine der wandelnden Leichen und verteilte dessen
verbliebene Innereien auf dem Boden. Zedd zerschmetterte daraufhin dem
allerletzten Zombie das Knie – dessen Existenz beendete ich dann endgültig mit
einem Axthieb.
Schwer atmend kamen wir so zu dem
Ende dieses Kampfes. Das von draußen einfallende Licht färbte sich bereits
orange ein und wurde rasch dunkler. Die Sonne begann hinter den Bergen zu
versinken.
„Ich glaube, wir sollten uns einen Ort suchen, wo wir rasten können“, meinte
Zedd, während Suena die Bisswunde an seiner Schulter reinigte und verband.
Dagegen hatte keiner etwas einzuwenden, sodass wir das Gebäude verließen und
uns ein Zwischenlager im Gebirge einrichteten. Bis zu den Pferden und Dario
zurückzulaufen würden wir nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit schaffen – und
nur bei Fackellicht stellte der steinige Weg ein gewisses Risiko dar.
Durch die Nacht waberten die Gesichter der Toten, denen wir ein endgültiges Ende bereitet hatten. Ich blickte auf einen leblosen Körper am Boden, das eingefallene Gesicht und die darüber gespannte, pergamentene Haut. Viele Jahre nach seinem Ende hatte er endlich Ruhe gefunden – da schlug er die Augen auf und ein versengendes Leuchten wie aus glühenden Kohlen schoss mir entgegen.
Mit einem Schrei erwachte ich und
griff nach meinem Dolch. Die anderen zuckten ebenfalls aus dem Schlaf hoch, die
Augen geweitet, die Atmung schnell.
„Habt ihr es gesehen?“, fragte Suena und unser stummes Nicken bestätigte ihre
Vermutung. „Ich glaube, das war ein Zeichen des Bösen. Von dem, was auch immer
dort lauert.“
Und unsere Blicke wanderten hinüber zu den kalten, grauen Ruinen, die sich vor
den Bergen abhoben – die Todesfalle für Dutzende, wenn nicht Hunderte.
Wir legten unsere Rüstungen an,
machten die Waffen oder den Geist bereit und gingen zur alten Kultstätte
zurück. Die Anbauten hatten wir, soweit es möglich war, erkundet, es gab jetzt
nur noch einen sinnvollen Weg: Mitten hinein, durch die Pforte in den Hauptraum
– voller Toter.
Das alte Holz knarrte, als ich den rechten Flügel aufschob. Etwas Staub
wirbelte auf, dann sahen wir den Raum in seiner vollen Breite. Aufmerksam, die
Waffen erhoben, schritten wir zwischen den zerfallenen Bänken hindurch, auf
denen die verwesten Körper der Gläubigen lagen. Ihr unsichtbarer Freund hatte
ihnen nicht geholfen, als vor langer Zeit das Unheil mit einem Schlag über sie
gekommen war. Doch diese hier regten sich zumindest nicht, die ewige Ruhe
schien ihren Körpern vergönnt. Beleuchtet wurde die Szenerie von dem fahlen
Licht der Sonne, welches durch dichte, silberne Wolken und ein zerstörtes Dach
hier hineinfiel. Wir kamen so unberührt bis zum Altar, den Zedd und Suena
sogleich in Augenschein nahmen. Doch es war ein schmuckloser, grauer Stein, der
nichts über den hiesigen Kult oder das Volk verriet, das hier gelebt hatte.
Es führten zwei Türen aus der zerstörten Kapelle hinaus. Linkerhand ermöglichte
es eine, in das Nebengebäude zu kommen, in dem die Bären gehaust hatten. Eine
verwirrende Entscheidung, dass man keine Tür von der Waffenkammer dorthin – was
auch immer dort sein mochte – eingesetzt hatte. Die andere Tür lag hinter dem
Altar.
„Ich hätte gerne den Rücken frei“, meinte ich und wies entsprechend mit der Axt
auf den Weg links von uns. Die anderen nickten und wir gingen durch die dortige
Tür. Sie führte uns in einen Speisesaal, in dem einige Knochenskelette ihre
Ruhe gefunden hatten. Unsere Ankunft störte sie nicht und es gab hier nicht
viel zu finden. Zwei weitere Türen führten weiter, Suena öffnete zunächst die
linke – und schloss sie sofort wieder.
„Da sind Wölfe dahinter“, zischte sie leise. „Ein ganzes Rudel.“
„Und was ist in dem Raum selbst?“, fragte Jenn.
„Ich habe eine Feuerstelle gesehen, dabei ein paar rostige Töpfe. Wahrscheinlich
eine Küche.“
„Und ging es da noch weiter?“
„Eine Tür gab es, ja.“
„Wahrscheinlich in den Vorratsraum“, schätzte Zedd. „Das klingt nicht gerade
lohnenswert.“
„Da stimme ich dem Priester zu“, meinte ich. Auch unsere weiblichen Begleiter
waren nicht begeistert davon, für ein paar rostige Töpfe gegen ein ganzes
Wolfsrudel zu kämpfen.
So blieb uns noch die rechte Tür,
welche sich jedoch als verschlossen erwies.
„Komm, Gor, zerschlag sie doch einfach mit deinem Hammer“, meinte Jenn und wies
grinsend auf die zwanzig Pfund Eisen, die an meinem Rücken hingen. Ich bleckte
die Zähne und nahm die Kriegswaffe in die Hand. Breitbeinig stellte ich mich
mit etwas Abstand vor die Tür. Dann warf ich den schweren Hammerkopf hoch,
begann ihn über meinem Kopf kreisen zu lassen. Er nahm immer mehr
Geschwindigkeit auf, ich spürte das Ziehen im hölzernen Griff und ließ mich
nach vorne treiben. Der Ogerhammer nahm Kurs in Richtung Tür … doch der Schlag
ging mit einem Fuß Abstand vor dem Holz vorbei. Ich hatte meinen Stand etwas zu
weit entfernt gewählt. Mit einem Räuspern ging ich wieder in Ausgangsposition
und schleuderte den Ogerhammer erneut. Schwung aufnehmend, bis sich das Ziehen
aus dem Holz in meine Oberarme übertrugen, dann der Schritt nach vorne – ich
spürte einen Widerstand am rechten Fuß, der meiner Bewegung einen
unaufhaltbaren Drall gab. Ich driftete nach rechts ab, stolperte einige Meter,
bis ich meinen Schwung aufgefangen hatte, ohne meinen Gefährten den Hammer auf
den Schädel zu schlagen. Sie nahmen nun etwas größeren Abstand zu mir ein; Jenn
war sichtlich irritiert, Suena schnalzte mit der Zunge.
Ich blickte auf den Boden, wo ich erkannte, dass eine Unebenheit meinen Ausfallschritt beeinträchtigt
hatte. Nun, da ich das gesehen hatte und
den richtigen Abstand wusste, konnte ich zum dritten und endgültigen Schlag
ansetzen, um die Tür zu zerschmettern. Ich atmete tief ein und aus, sammelte
Konzentration. Dann schleuderte ich den Hammerkopf in die Luft, machte eine
Drehung, spürte das tiefe Ziehen von zwanzig Pfund Eisen, schwerer und schwerer
werdend durch die Kraft, die sie auf ihrem Weg aufnahmen. Dann Leichtigkeit –
und ich hörte ein Krachen einige Meter links von mir. Verdutzt blickte ich mich
um, sah hinter mir Zedd, der sich klein gemacht hatte, hinter ihm wiederum
Suena, die wohl hastig Deckung gesucht hatte und noch hinter ihr den schwarzen
Schwanz ihrer Katze hervorlugen. Jenn war gleich geschwind zu einem Tisch
gehastet und hatte die schwere Holztafel umgestoßen, somit zum Schild
umfunktioniert. Mein Ogerhammer lag nur zwei Meter weiter in den zertrümmerten
Resten einer Holzbank.
„Ein wahrlich verfluchter Ort, ich spüre es jetzt auch“, grummelte ich während
ich meine Waffe zurückholte. Dann ließ ich sie noch einmal schwingen und
endlich traf ich die Holztür, welche daraufhin mit einem lauten Tosen in beinah
hundert Stücke zersprang, welche in den dahinterliegenden Raum flogen. Zum Dank
für diese Vorstellung erhielt ich das langsame Klatschen Zedds, weiterhin einen
großen Abstand, den Suena zu mir einhielt, bis ich meinen Ogerhammer wieder an
meinen Rucksack hängte sowie ein sehr anerkennendes
Schulterklopfen Jenns. Die Katze war zunächst wieder in schattige Ecken
entschwunden.
Wir fanden hinter der zerstörten
Tür eine Kammer mit Schreibtisch sowie einigen Regalen, deren Inhalte den Zahn
der Zeit nicht überlebet hatten. Am Tisch saß eine Person, die sich langsam
erhob, um uns dann mit weißen Augen aus einem madenzerfressenen Gesicht
anzusehen.
„Hallo?“, rief Jenn. Der Untote legte den Kopf schief, erst in die eine, dann
in die andere Richtung. Dann stieß er einen gellenden Schrei aus und stürmte
auf uns zu. Mit der Axt zugegebenermaßen versierter als mit dem unhandlichen
Hammer zum Riesentöten schlug ich zu, zerfetzte den halben Brustkorb. Der
Zombie wurde in Richtung Zedd geschleudert, der sich keinen Moment bitten ließ.
Sein Kriegshammer traf einen morschen Schädelknochen.
Diesem kurzen Zwischenspiel folgte die Durchsuchung des Raums – ergebnislos. Es
blieb bei den vier Talern, die wir mittlerweile gesammelt hatten.
Unser Weg führte uns zurück in
die Kapelle, wo wir durch die rückwärtige Tür schritten. Dahinter lag ein
kurzer Raum, der jedoch auch die gesamte Breite des Kultraumes eingenommen
hatte. Vielleicht wurden hier Vorbereitungen für Rituale getroffen. Sicher
sagen ließ sich angesichts des allgegenwärtigen Zerfalls jedoch wenig. Drei
Türen lagen uns gegenüber – eine davon mit vier Vertiefungen für die Taler. Sie
waren farblich unterlegt, was uns jedoch vollkommene Rätsel aufgab: Die Taler
waren farblos mit einem goldenen Schimmer. Bevor wir wieder Zeit verloren,
indem wir ziellos ausprobierten, wandten wir uns den übrigen Pforten zu. Eine
führte in einen seltsamen Raum mit einer großen Wanne über dem ein rostiges Rohr
aus der Wand ragte. Eine weitere Eisenstange steckte daneben.
„Was war das denn?“, fragte ich verdutzt.
„Ein Baderaum“, meinte Zedd und zog an der Stange. Sie brach ab, plötzlich
hielt er sie in der Hand. „Nun eigentlich sollte jetzt aus dem Rohr da Wasser
fließen. Eine beachtliche Konstruktion, fast wie in aranischen Badehäusern. Es
war zumindest mal eine.“ Achselzuckend warf er den Hebel in die Ecke.
„Gibt es denn hier keine Gebirgsbäche?“, fragte ich. Der Priester rollte mit
den Augen.
Die andere normale Tür führte in
ein Schlafgemach, das dereinst prunkvoll eingerichtet gewesen sein musste. Ein
ausladendes Bett sowie gefärbte Stoffreste an den Wänden ließen an einen
adeligen Bewohner denken. Hier waren aber auch bereits eindeutig Plünderer am
Werk gewesen. Zwei Truhen standen offen und präsentierten uns bis auf einige
Kupferstücke gähnende Leere. Doch was die damaligen
Plünderer nicht gefunden hatten, fiel nun wieder in Jenns gutes Auge: ein
weiterer Taler, eingeklemmt unter der vergilbten Matratze, deren Strohfüllung
längst verschimmelt war!
„Wir könnten mit den fünf Talern nun etwas herumprobieren“, mutmaßte Jenn.
„Das dauert ewig“, brummte ich.
„Wer kann außerdem sagen, ob es nicht noch weitere Schutzmechanismen gibt, oder
ob die Taler schließlich doch Schäden davontragen?“, warf Suena ein. „Wir
sollten versuchen, diesen Mechanismus zu verstehen.“
„Bis wir das geschafft haben, bleibt uns aber nur ein Weg offen“, folgerte
Jenn. „Die Küche.“
„Und die Wölfe“, fügte Zedd hinzu.
Wir wappneten uns innerlich und
gingen zurück zu der von Suena vorhin so schnell wieder geschlossenen Tür.
„Ich habe eine Idee“, meinte sie. „Vielleicht kann ich einen Teil von ihnen
ablenken, dann müssen wir nicht alle zugleich bekämpfen.“ Achselzuckend
quittierten wir ihre Aussage, die sie wie für sie üblich nicht mit weiteren
Informationen unterfütterte. Stattdessen beugte sie sich vor und sah durch das
Schlüsselloch hinein in das Zimmer. Wir hielten die Waffen bereit – plötzlich hörten
wir Suena laut rufen. Doch obwohl sich ihre Lippen bewegten erklang ihre Stimme
nicht direkt vor uns, sondern hinter der Tür! Dort erklang sogleich ein Knurren
und Fauchen, raschelnde Bewegungen und dann deutlich, wie einige Tiere
davonrannten – die Stimme jagten, die unsere Begleiterin dorthin gehext hatte.
„Unheimlich“, sagte ich. „Aber schlau.“
Suena lächelte. „Vier Wölfe sind noch da.“
„Dann schlagen wir jetzt zu.“
Die Lidralierin ging in den Rückraum, um sicher vor den Wölfen zu sein, während
Zedd, Jenn und ich uns im Spalier vor der Tür aufbauten. Der Araner stieß sie
auf, sodass wir nun selbst die Graupelze erblickten. Die Tiere zögerten nur
einen kurzen Moment ehe sie auf uns zu hasteten. Verdammt flink zuckten zwei
von ihnen zwischen uns hindurch und stürzten sich auf Suena, die einen
erschrockenen Schrei ausstieß.
„In Valian hat man als Fachbegriff für diese Tiere übrigens ‚Canis Lupus‘
eingeführt. Sie gehören zu den Canidae, den Hundeartigen!“, streute Zedd willkürlich
ein, während ich die beiden übrigen Wölfe mit meinem großen Schild abfing.
„Scheiß auf deine Fachbegriffe!“, brüllte ich. „Hilf lieber Suena!“
Der Priester war bereits in der Bewegung gewesen, ebenso Jenn. Ich blockte
indes weiter die beiden Tiere, die an mein Schild abprallten, im Versuch, meine
offene Kehle zu erreichen. Geifer spritzte über das Holz, es roch nach Raubtier.
Ich drückte den Wolf zurück, schwang meine Axt über den Kopf und schlug zu, als
das andere Biest seinen Angriff versuchte. Das eiserne Blatt verfehlte knapp
den Schädel, fuhr dann jedoch tief in den Leib, wo es eine Wunde riss, die das
Tier binnen weniger Momente tötete.
Hinter mir hörte ich, wie Zedd und Jenn sich Absprachen zuriefen und wie
choreografiert von beiden Seiten einen der Wölfe angriffen, der gegen diese
taktische Finesse keine Chance hatte. Damit endete es für die nächste
tollwütige Kreatur.
Doch Suenas Ablenkung hatte nur
kurz Wirkung gezeigt. Das Jaulen der Wölfe hatte den nach draußen gelockten
Teil des Rudels wieder auf den Plan gerufen. Ich sah vier weitere durch einen
schmalen Spalt im Mauerwerk in die Küche stürmen. Dann auf mich zu.
„Hier kommen noch mehr!“, brüllte ich, während ich mich hinter meinem Schild
vor den wuchtigen Angriffen der Wölfe wegduckte. Nur Sekunden später war Jenn
an meiner Seite. Hinter uns ertönte ein weiteres Knacken, dann kam auch Zedd
dazu. Wir gingen wieder in das Spalier über. Befreit von dem Druck der
Angreifer, gelang mir ein freier Schlag, mit dem ich eine weitere Bestie
fällte. Doch die Graupelze nahmen keinerlei Rücksicht auf ihr Leben, stürmten
immer weiter an. Einer schlüpfte unter meiner Deckung durch und biss mir
kraftvoll in die Wade. Den Schrei wandelte ich in einen Ausfall um – es galt einen
weiteren Durchbruch zu verhindern: Suena war mit Zaubersprüchen beschäftigt.
Wieder und wieder warfen sich die Wölfe gegen mein Schild, um mich
zurückzutreiben. Ich merkte, wie mein Arm allmählich lahm wurde. Doch mit dem
anderen schmetterte ich wieder und wieder die Axt in den grauen Mob, der
zwischen uns dreien eingekesselt war. Zwei weitere traf ich, während Jenn einen
weiteren Tanz mit dem Rapier aufführte. Ihre Schläge sahen weniger filigran
aus, als ich das mit diesem Zahnstocher bisher gesehen hatte, sondern beinah
wie Speerwürfe, die mit voller Wucht in den gegnerischen Körper eindrangen.
Beinah mittendrin stand Zedd in seinem schwarzen Gewand, darauf bedacht, Raum
für uns zu schaffen. So erlegten wir zu dritt mit magischer Unterstützung das
restliche Rudel, das bis auf den letzten Blutstropfen kämpfte. Eine nahezu
dämonische Besessenheit. Nahezu?
Wir versorgten unsere Wunden,
dann untersuchten wir die Küche. Dort ließ sich so viel finden, wie wir
befürchtet hatten. Daher gingen wir durch die Tür, wo sich die Einschätzung
Zedds bestätigte: eine Speisekammer. Vom ursprünglichen Inhalt war nicht einmal
mehr der Schimmel übrig. Seltsamerweise hing ein vergilbtes Gemälde an der
Wand, auf dem nichts mehr zu erkennen war. Ein bizarrer Ort für solches
Schmuckwerk; vielleicht aber auch der einzige, an dem es noch nicht gestohlen
worden war. Prompt nahm Jenn das Werk von der Wand, allerdings nicht um es
mitzunehmen. Mit einer einladenden Bewegung präsentierte sie uns: eine kleine
schmale Tür.
„Ich habe mir doch gedacht, dass man hier nicht einfach grundlos ein Bild
aufhängt“, erklärte sie ihre Idee. Anerkennendem Nicken folgte der Weg durch
den schmalen Gang, der sich an die kleine Tür anschloss. Ein wirklich enger Weg
durch das Mauerwerk der Ruinen. Wir mussten kriechen und ich darauf achten, mit
meinen sperrigen Waffen nicht hängen zu bleiben.
So krochen wir einige Meter, bis wir einen Zwischenraum erreichten, in dem wir
wieder aufrecht stehen konnten. Es handelte sich ebenfalls um eine kleine Bibliothek,
allerdings waren die Werke hier erstaunlich gut erhalten, bedachte man ihr
Alter. Doch lesen konnte keiner meiner Begleiter etwas davon, sodass die
Auswahl der mitzunehmenden Bücher auf den Prunk ihres Einbands zurückzuführen
war. Dann gingen wir weiter durch einen ebenso engen und kleinen Gang auf der
anderen Seite dieser kleinen Abteilung. Es ging einige dutzend Meter zwischen
feuchtem Mauerwerk hindurch, bis wir das Ende des Ganges erreichten, wo
ebenfalls ein altes Gemälde den Eingang verbarg. Wir hängten es ab und
erreichten einen sonderbaren Raum.
Er war gut und gerne zehn Meter
lang, vielleicht sogar mehr und beinah so breit. An den Wänden standen Regale
mit für mich vollkommen unerklärlichen Apparaturen, die von mir aus entweder
Musik machten oder für die Folter bestimmt sein konnten. Die ratlosen Blicke
selbst unserer Magiekundigen bestätigten meinen Eindruck. Zudem schien das
Alter diesen zum Teil sehr fragilen Gerätschaften nicht gut bekommen zu sein,
einige waren sogar schon an Ort und Stelle auseinandergefallen. Doch das war
nicht das erstaunlichste in diesem Raum. Beherrscht wurde er durch ein
seltsames Podest in seiner Mitte. Wir stiegen auf die Stufe, sodass wir uns
einen Überblick über die Oberfläche des großen Steins machen konnten. In der
Mitte war dort ein klarer Kristall befestigt, der tief im Podest verankert
schien. Links und rechts von ihm waren Vertiefungen – exakt in der Größe der
Taler.
„Das sieht doch vielversprechend aus“, sagte Suena und holte die fünf Taler
hervor, die wir gefunden hatten.
„Hast du eine Idee, was passieren könnte, wenn du die Dinger dort hineinlegst?“,
fragte ich.
„Nicht unbedingt …“, meinte sie, nahm aber bereits die erste und legte sie auf
das Podest. Ich machte einen Satz zurück, um mich vor magischen Angriffen in
Sicherheit zu bringen. Die anderen schmunzelten, da nichts Gefährliches
geschah. Doch der Kristall füllte sich mit Rauch – rotem Rauch. „Aha!“, machte
Suena, nahm den Taler heraus und legte einen anderen ein. Grüner Rauch. So ging
es weiter, bis jeder Taler von dieser seltsamen Gerätschaft eine Farbe
zugewiesen bekommen hatte … oder sie offenlegte? Ratlos schlich ich um meine
Begleiter herum, die experimentierfreudig die metallenen Scheiben in die
Vertiefungen legten. Die drei weiteren Farben waren lila, gelbgrün und blau.
Dann packten sie auch noch zwei Scheiben gleichzeitig hinein! Nervös ob
möglicher magischer Rückschläge, beschleunigte ich meine Schritte, doch es
geschah nichts, als die „rote“ und „grüne“ Scheibe zusammen dort lagen. Suena
wechselte durch, zu „rot“ kam „lila“ … weißer Rauch floss in den Kristall. „Sie
gehören wohl zusammen“, zog die Zauberin ihre Schlüsse.
Ebenso bei „gelbgrün“ und „blau“ – nur die „grüne“ war noch ohne einen Partner.
„Welche Farben hatten die Vertiefungen an der Tür?“, versuchte sich Jenn zu
erinnern.
„Grün, rot, blau und lila“, sagte Zedd nach einem Moment.
„Ausgezeichnet. Seht, da ist auch eine Tür hier heraus“, meinte die
Ywerdonnerin und zeigte auf das Ende des Raumes. Dort war tatsächlich die
Rückseite einer schweren, metallenen Tür zu erkennen. Von unserer Seite ließ
sie sich problemlos aufdrücken … es handelte sich um die erste magische Tür,
die wir entdeckt hatten, jene mit drei Vertiefungen. Damit brauchten wir uns um
dieses Rätsel nicht mehr zu kümmern sondern konnten gleich zur anderen Tür
gehen. Suena hatte sich gemerkt, welche Farben welchen Talern entsprachen und
zögerte nun nicht lange, sie einzusetzen. Scheibe für Scheibe geschah dies
problemlos, jedes Mal rasteten sie mit einem Klick ein. Dann war auch die vierte
an Ort und Stelle. Ein Zischen hob an, verstärkte sich – doch es war kein
heißes Fauchen. Die vier Taler sprangen heraus. Vorsichtig griff sie Suena an. „Sie
sind kalt.“ Dann gingen unsere Blicke zur magischen Tür, die vor unseren Augen
aufglitt. Hinter lag eine Treppe, die in die Tiefe führte. In dunkle Schwärze,
die beinah von unten heraufzukriechen schien.
Gerade zu Ende gelesen. Steht dem ersten Teil in Nichts nach.
Super spannend und lyrisch sehr hochwertig geschrieben.
Ich mag diese kleinen Anekdoten an die jeweiligen Charaktere und deren Herkünfte besonders.
Wie z.B. Gorlan fragt, ob die Priester keinen Bach hatten, um sich zu waschen und der Araner hingegen von Badehäusern redet. Auch scheint mir der gute Gorlan etwas tollpatschig zu sein, was man hier und da öfter merkt und ich sehr amüsant finde.
Wie immer muss ich den hohen Grad an Details loben und dir nahe legen, der bunten Truppe doch bitte wirklich mal ein Buch oder eine längere Geschichte zu widmen.
Liebe Grüße,
Christian