Sechshundert Meilen war ich in den Süden gewandert und ich stand immer noch am Anfang.
Als ich am Vormittag die Tür zum
Gasthaus „Gekreuzte Klingen“ aufschlug, umwehte meine Nase der Geruch dicken
Eintopfes, verschütteten Biers und des schwitzendes Pulks dicht gedrängter
Menschen. Anfangs mühselig schob ich mich zwischen ihnen hindurch. Die
Unwilligen gaben dabei ihren Widerstand schnell auf, wenn sie meine langen, in
dichten Bündeln getragenen Haare, das kantige Gesicht und nicht zuletzt den
groben Knochenschmuck erblickten. Selbst unter Twyneddin galt meine Heimat und
die Art meines Stammes als wild.
Ich erspähte mit etwas Glück einen freien Platz und ließ mich ächzend fallen.
Mit einem Blick in die Runde stellte ich fest, dass hier weder die vor
Jahrzehnten unterworfenen Erainner noch herrschende Twyneddin am Tisch saßen.
Stattdessen waren vor mir zwei Männer mit hellbrauner Haut und gepflegtem
Auftreten. Der eine trug eine schwarze
Robe, der andere auffällige, rot gefärbte und leicht wallende Kleidung. Zu
meiner rechten saß eine junge Frau, die ebenfalls aus dem Süden zu kommen
schien, jedoch einen grundsätzlich helleren Hautton hatte. Ihr ebenmäßiges
Gesicht fiel durch eine Tätowierung auf: direkt unterhalb ihrer blauen Augen
zog sich ein ockerfarbener Strich quer über ihre Haut. Eine eigentümliche
Kriegsbemalung?
Gewisse Prioritäten waren
einzuräumen, aber sobald ich ein Bier vor mir und eine Portion Eintopf bestellt
hatte, wandte ich mich an diese Fremden: „Wo kommt ihr denn her?“
Ich verwandte die Handelssprache „Comentang“ dieses Kontinents, doch der Mann
in der roten Gewandung warf einen fragenden Blick auf seinen Nachbarn. Der
schien mit Worten zu übersetzen, die ich noch nie gehört hatte. Der andere
antwortete und schließlich erhielt ich vom Robenträger eine Antwort: „Wir
kommen aus Aran.“
„Wo ist das denn?“
Meine Reaktion, insbesondere mein fragendes Gesicht, bedurften keiner
Übersetzung – der Rote warf die Hände in die Luft und sah mich empört an. Dann
gab er ein paar knappe Worte an seinen Nachbarn, welcher mir übersetzte: „Was
seid Ihr denn für einer, dass Ihr nicht Aran kennt, noch nie von Nihavand, der
Perle des Ostens, der Blüte der Welt gehört habt?“
„Ich komme aus dem Norden, aus Fuardain.“
„Seid Ihr ein Abenteurer?“
Eine seltsame Frage, die aber zu diesen sehr fremden Menschen passte. Ich
antwortete mit dem, was meine aktuelle Lage noch am ehesten beschrieb: „Ich bin
ein Wanderer.“
Ich wandte mich gerade meiner
Nachbarin zu, da fand eine weitere Frau zu meiner Linken Platz und warf einen
neugierigen Blick in die Runde. Sie gehörte mit ihrer hellen Haut und dem
leichten grünen Schimmer in den Augen wahrscheinlich zu den Erainnern –
allerdings fiel sie vor allem durch nicht gerade wohlproportionierte
Gesichtszüge aus. Grobschlächtig, aber dafür mit einem breiten Grinsen, das ihr
Gesicht zu beherrschen wusste, sah sie in die Runde.
„Ein bunter Haufen“, stellte sie in der Handelssprache fest. „Ich bin Jen.“
„Suena“, sagte die Frau neben mir. Die Araner uns gegenüber stellten sich als
„Zedd Manze“ mit der schwarzen Robe und als „Dario Anvari“ im roten Gewand vor.
Ich folgte mit: „Gorlan ap Wath, aber nennt mich Gor. Das lässt sich leichter
rufen.“ Dabei hob ich mein dichtes, braunes Haupthaar an meiner linken
Kopfseite etwas an und ermöglichte so einen uneingeschränkten Blick auf mein
Ohr. Es war nie richtig gewachsen und schien nach innen eingefallen. Dario
verzog angewidert das Gesicht.
„Ihr kommt auch wohl alle nicht
von hier“, stellte Jen im Weiteren fest.
„Ich habe auch nicht vor, hier länger zu bleiben, als ich muss“, brummte ich.
„Ich will eigentlich weiterreisen.“
„Warum hast du es noch nicht getan?“
„Das Geld wird knapp.“
„Ein Problem, das wir auch kennen“, fügte Suena an. „Und möglicherweise hätte
ich dafür eine Lösung.“
„Könnt Ihr kämpfen?“, wandte sich Zedd an mich.
„Ja, durchaus. Und Ihr?“
„Oh, ja. Besonders, wenn mir Ormut seine Gunst zufallen lässt.“
Ich wusste zwar nicht, wer das nun wiederum war, aber an dieser Stelle erschien
es mir klug, nicht direkt nachzufragen – aber es klang mit ziemlicher
Sicherheit nach einem großen, unsichtbaren Freund.
„Und was wäre nun die Idee, die du ansprachst?“, fragte Jen Suena.
„Ich hatte zuletzt einen Auftritt als Musikerin bei einem Adeligen der
Oberstadt. Einer seiner Bediensteten berichtete, wie dieser Twyneddin zu seinem
Reichtum gekommen war: Er hat eine Ruine ausgeräumt.“
„Nun, wenn sie schon entdeckt wurde, ist sie leer“, ließ sich Dario von Zedd
übersetzen. Scheinbar sprachen die drei keine gemeinsame Sprache, die wiederum
Jen und ich verstehen würden.
Suena wischte den Einwurf jedoch beiseite. „Laut den Geschichten konnte er
damals nicht alles bergen, womöglich sogar nur einen Bruchteil. Und dennoch ist
er nun ein reicher Mann, der in die höchsten Kreise aufsteigen konnte. Dort
könnten also noch viel größere Reichtümer liegen!“
Der Araner wirkte noch nicht gänzlich überzeugt und in dem Punkt musste ich ihm
Recht geben – es klang nach einem großen Aber. Andererseits: Zu verlieren gab
es für mich in der jetzigen Situation nicht viel. Mein mickriger, lederner
Geldbeutel wog mehr als sein Inhalt.
„Hast du denn mit diesem Adeligen selbst darüber gesprochen?“, fragte ich nach,
Suena schüttelte jedoch den Kopf, sagte aber: „Ich bin mir allerdings sicher,
dass wir einiges über diese Angelegenheit erfahren können, wenn wir uns in
Dinas Taran umhören.“
„Wir haben eine Bibliothek“, warf Jen ein. „Dort gibt es einige wichtige
Handschriften zu Stadt und Umland. Eventuell wissen auch die Priester Rat, sie
beschäftigen sich auch häufiger mit der Vergangenheit.“
„Mit ihnen könnten wir ins Gespräch kommen“, schlug Zedd vor und wies dabei
auch auf seinen Glaubensbruder Dario.
„Dann gehen wir in die Bibliothek“, schloss Suena und wir brachen in zwei
Gruppen auf, um weitere Informationen einzuholen.
Von den Straßen in der Nähe der
Gekreuzten Klingen hatte man einen guten Ausblick auf die Oberstadt, welche
sich wie eine Festung über Dinas Taran erhob. Die Stadt war allgemein schwer
befestigt, doch konnte man den hier herrschenden Twyneddin fast unterstellen,
sich nicht nur gegen äußerste, sondern auch gegen innere Feinde schützen zu
wollen. Doch aktuell schien die Lage ruhig, die erainnische
Mehrheitsbevölkerung zufrieden genug.
Jen führte uns zu einem zweistöckigen Gebäude. Wir traten nach kurzen Klopfen
ein und stellten fest, dass im Inneren keine Zwischendecke eingezogen war –
dafür reihten sich deckenhohe und stockwerkübergreifende Regale aneinander, die
unter der Last ihrer Bücher, Folianten, Karten und weiterer Schriftrollen aus
Pergament ächzten.
„Eine kleine Bibliothek“, sagte Jen, als müsste sie etwas erklären oder
entschuldigen. „Dinas Taran kann da leider nicht mit anderen großen Städten
mithalten.“
Staunend ging ich eine Regalreihe entlang und ließ meinen Blick über hunderte
Buchrücken schweifen – unfähig, auch nur eines der für mich so kryptischen
Symbole zu verstehen. Suena und Jen gingen indes zielstrebig auf den
Bibliothekar zu. Auf sie machte der Anblick dieses gesammelten Wissens keinen
besonderen Eindruck mehr, stattdessen wussten sie präzise Fragen zu stellen.
Der blasse Erainner brachte ihnen schon bald ein paar Karten, welche sie
eingehend studierten. Ich wollte mich ihnen gerade anschließen, da fiel mein
Blick auf die Lampen, welche die Bibliothek erhellten. Sie waren von einem
kleinen Metalleimer umfasst und ich trat vorsichtig an sie heran. Da war ein
kleiner Schiebemechanismus und ich zog die Blende vor das Kerzenlicht. Ich zog
sie auf – die Kerze brannte noch! Ich wiederholte das Spiel noch einige Male,
um festzustellen, ob die Kerze bei jedem Öffnen erneut entflammte oder
durchgehend entzündet blieb. Dann rief Suena jedoch, dass sie etwas gefunden
hätten und ich ließ die Lampe zurück. So eine musste ich auch haben. Und wenn
die Pläne dieser Frau mit einer eintätowierten Kriegsbemalung aufgingen, war
auch bald wieder Geld für so etwas da.
„Wir haben hier zwei Markierungen im südlichen Gebirge gefunden, den
Corran-Bergen. Es scheint sich um Tempel zu handeln.“
„Verlassen?“
„Der Bibliothekar meinte, sie wären noch als Pilgerstätten einigermaßen gut
besucht.“
„Hm“, machte ich nur.
„Vielleicht wissen sie ja etwas von Ruinen in ihrer näheren Umgebung!“,
verkündete sie hoffnungsfroh.
„Sie sind aber schon recht weit auseinander“, meinte Jen. „Und weit weg.“
„Ganz schön weit weg“, grummelte ich und legte die Hand auf das Papier und maß
mit der Handspanne. Ich zog sie über das Papier, um mir Vorstellungen von den
Entfernungen zu machen, die ich bereits in Ywerddon hinter mir gelassen hatten
und die noch vor uns lägen. Ein paar ölige Schlieren, die noch von dem
Verschluss der Lampe an meinen Fingern klebten, blieben am Pergament kleben.
Irgendwo zog jemand zischend Luft ein. „Nicht anfassen!“
Ich nahm meine Hände weg und sah skeptisch zu Suena, die sich ihrerseits
nochmal an den Bibliothekar wandte: „Gibt es hier noch Karten, die spezifisch
alte Ruinen zeigen?“
Der Mann rümpfte die Nase. „Was ihr sucht, scheint mir eher etwas Tollkühnes
wie eine Schatzkarte zu sein. Da versucht euer Glück doch lieber auf der
Straße, da gibt es mehr … Tratsch.“
Wir verließen Dinas Tarans
Bibliothek und standen etwas verloren vor der Tür.
„Ich könnte in die Oberstadt gehen“, fiel mir ein. „Als ich in die Stadt
gekommen bin, war ein Twyneddin bei mir gewesen, der mich als Geleitschutz
angeheuert hatte. Vielleicht weiß er etwas von solchen Geschichten.“
„Damit kommst du jetzt?“
„Nicht sehr wahrscheinlich, dass ich ihn wiederfinde. Er wollte nahezu direkt wieder
vom Gasthaus aufbrechen, wo ich ihn hingebracht habe, um einen Freund in der
Stadt aufzusuchen.“
„Dann viel Glück“, sagte Jen. „Was machen wir?“
„Wir könnten zu den Söldnern gehen“, überlegte Suena. „Der Adelige wird wohl
nicht allein auf Höhlenforschung gegangen sein, vielleicht hatte er einige von
ihnen angeheuert.“
Damit trennten auch wir uns mit
der Absprache, uns spätestens am Abend wieder in den Gekreuzten Klingen
wiederzutreffen. Mein Weg führte mich in die Oberstadt, wo ich als Twyneddin
ohne weitere Fragen eingelassen wurde. Ich ging zum Reichshaus, einem edlen
Gasthaus – so edel, das mich eine Nacht dort mein gesamtes Gold gekostet hätte,
weswegen ich vor einigen Tagen auf das günstigere Gekreuzte Klingen in der
Unterstadt ausgewichen war. Der Mann, den ich eskortiert hatte, schien jedoch
auch nicht von jenem Schlage, sich dort länger aufhalten zu können. Und
tatsächlich, als ich dem Wirt den Namen „Bolek Gahskamm“ nannte, zuckte er
nicht mit der Wimper. Womöglich hatte er nicht eine Nacht hier verbracht und
wenn, keine Notiz über seinen Aufbruch hinterlassen.
Ich fragte noch ein paar Leute aus, die gerade zur Hand waren, doch die
Beschreibung Boleks stieß auf kein Wiedererkennen. So kehrte ich mit leeren
Händen am Nachmittag zum Gasthaus in der Unterstadt zurück.
Ich bestellte dort gerade ein
Bier, da kamen die anderen vier durch die Tür herein. Wir setzten uns gemeinsam
an einen Tisch, wo Zedd den ersten Teil einer schnellen Zusammenfassung
übernahm: „Dario und ich haben bei den Priestern nichts erfahren, was uns
weiterhelfen könnte. Wir kamen dann auf die Idee, bei den Söldnern nach
Informationen zu suchen – dort trafen wir auf Suena und Jen.“
Und dann übernahm die Musikerin: „Ich habe mich nach dem Adeligen Aeldun ap
Belthen umgehört und einen Söldner namens Collwen Sengedd gefunden. Er ist
einer der wenigen Überlebenden der damaligen Expedition und fand kaum Worte für
das, was damals geschehen war, doch es muss grausam gewesen sein. Scheinbar
lauerten in den Ruinen schreckliche Kreaturen, die ihnen alles abverlangt
haben. Sie hatten sie nicht überwinden können, aber während den Kämpfen immer
noch genug Gold in Sicherheit bringen können, dass Aeldun reich geworden ist.
Collwen besitzt noch eine Karte zu den Ruinen, die er damals gezeichnet hat.
Und er wäre froh, wenn er sie uns überlassen könnte – selbst diese abstrakte
Erinnerung scheint ihn noch zu erschüttern.“
„Ausgezeichnet“, meinte ich anerkennend. „Wann holen wir die Karte?“
„Heute Abend, wenn er zuhause ist und sie heraussuchen konnte. Er wohnt am Rand
des großen Söldnerlagers.“
Mit diesen guten Neuigkeiten im Gepäck tranken wir noch zusammen etwas und
sprachen zunächst über einige Belanglosigkeiten des Alltags der letzten Tage.
Dario, Zedd und Suena schienen ebenfalls schon eine Weile hier zu sein und
beklagten ihr stärker werdendes Fernweh. Jen hatte noch nicht viel außer Dinas
Taran gesehen, doch brannte sie offenkundig darauf, das zu ändern.
So wurde es bald Abend und wir brachen zum Söldnerlager in der Stadt auf, das aus einem großen Platz bestand, der in weiten Teilen von Planen überspannt war. Die Häuser, die daran angrenzten, dienten meistens auch entsprechend den bezahlbaren Klingen als Wohnung. Da nun diese Menschen nicht durchweg als auskömmlich bekannt waren, nahmen wir fünf Waffen mit, um im Zweifelsfall etwas Abschreckendes zur Hand zu haben. Meine Axt hängte ich am Gürtel ein, wie Zedd mit seinem Kriegshammer machte, während Darios Krummsäbel in einer Scheide verschwand. Suena verzichtete auf Größeres als einen Dolch während Jen einen Rapier mit sich führte – eine filigrane Waffe für eine nicht sehr filigrane Frau.
Das Söldnerlager hatte sich zu
dem Zeitpunkt unserer Ankunft bereits weitgehend geleert. An einigen Stellen
hatten sich Grüppchen zusammengetan und tranken aus herbeigeschleiften Fässern,
die meisten aber waren wohl entweder nach Hause oder in die zahlreichen
Gasthäuser in der Nähe gegangen. Erleuchtet
wurde der Platz von dutzenden Fackeln, die auf Ständern angebracht waren und
unter den Planen für schummriges Licht sorgten.
Suena führte uns zu dem Haus, das ihr Collwen genannt hatte, blieb jedoch
verdutzt vor der Tür stehen und wir taten es ihr gleich. Aus dem Inneren drang
kein Licht durch die Fenster. Ob der Söldner überhaupt zuhause war? Die Musikerin
klopfte, doch es gab keine Antwort.
„Probier es doch mal“, brummte ich – und wie sich zeigte, war die Tür
unverschlossen und schwang nach innen auf. Dort war es jedoch in der Tat
stockduster, was sich jedoch beheben ließ, als ich eine der umstehenden Fackeln
aus ihrer Verankerung nahm und in das Zimmer hineinleuchtete. Es waren zunächst
nur Konturen zu erkennen, doch ein ungutes Gefühl machte sich angesichts
umherliegender Pergamente breit. Suena trat als erste ein, vorsichtig auf einen
möglichen Hinterhalt lauernd.
Doch eine plötzliche Rauchwolke
hatte selbst sie nicht vorhergesehen. Ein Knall erscholl und eine dichte,
schwarze Wolke umschwirrte sie, aus der sie hustend rückwärts taumelte. Aus dem
Inneren des Zimmers erscholl ein Klirren brechenden Glases und durch die sich
rasch wieder lichtende Wolke konnte ich einen Schemen erkennen, der durch das
gegenüberliegende Fenster gesprungen war und davonrannte.
Ich stürmte sofort los, rief aber noch nach hinten: „Bleib einer hier!“
Suena hob hustend den Arm und winkte ab während Zedd nach ihr sah und Dario
einen seltsamen Singsang begann. Jen folgte mir direkt und wir liefen ohne
einen Blick nach links oder rechts durch die kleine Behausung Collwens und
sprangen durch das Fenster.
Wir landeten in einer schmalen Gasse, die hinter der Häuserreihe
entlangverlief. In gerader Richtung führte ebenfalls ein Weg, an dessen Ende
gerade eine Gestalt nach rechts abbog. „Folg direkt, ich versuche, den Weg
abzuschneiden“, rief Jen und rannte direkt von hier aus nach rechts, um die
Häuser direkt zu umrunden – ich folgte ihrer Idee und spurtete die Gasse
zunächst entlang und dann um die Ecke.
Die Gestalt geriet wieder in mein Blickfeld. Es musste ein eher schmächtiger
Mensch sein, vollständig in schwarzer Kleidung vermummt. Er lief weiter eine
schmale Gasse entlang. Allerlei Unrat lag hier herum und sobald irgendwo ein
kleiner Handkarren abgestellt war, musste man fast darüber springen. Ich sah
Jen aus einem Weg zwischen den Häusern ebenfalls auf diesen Weg einbiegen und
umständlich über eine große Kiste steigen. Sie blieb etwas hinter dem
Einbrecher und mir zurück, da hörte ich hinter mir Fußtritte in einem Tempo auf
den Boden einschlagen, als wäre ein Pferd hinter mir. Ich sah etwas nach hinten
und erblickte Dario, der mit einem halsbrecherischem Tempo die Gasse entlang
fegte – mehr als halsbrecherisch: unmenschlich. Er holte zu mir auf und
überholte mich … da kamen wir an das Ende der Verfolgungsjagd. Wir standen im
Hinterhof eines kleinen Gebäudes irgendwo in der verwinkelten Altstadt Dinas
Tarans, weit weg von allen Hauptwegen. Der von uns verfolgte Einbrecher war vor
uns stehengeblieben und wandte uns sein vermummtes Gesicht zu. Aus Nischen und
anderen in diesem Hof mündenden Gassen traten zwei weitere Verbrecher hervor.
Ohne zu zögern, zückte diese ihre Dolche, deren Klingen im Licht meiner Fackel
einen klebrig-glänzenden Schimmer aufwiesen. Dario zückte seinen Krummsäbel,
ich meine Axt. Und der Tanz begann.
Dario stürmte mit seiner
überhöhten Geschwindigkeit auf einen Gegner zu, der sichtlich überrascht, aber
doch im letzten Moment dem Krummsäbel auswich. Die beiden anderen Diebe gingen
mit ihren Dolchen auf mich los. Sie waren wieselflink und stachen noch auf
halbem Weg zu, gekonnt mit Ausfallschritten verbunden. Ich zuckte zurück,
spürte jedoch, wie sich das Eisen eines Dolches in meine Flanke bohrte. Es war
kein tiefer Schnitt, doch er begann unmittelbar zu brennen, als wäre er mit
Salz eingerieben worden. Mit einem weiten Axtschwung trieb ich die Angreifer
mit ihren deutlich kleineren Waffen zurück – dann tauchte Jen an meiner rechten
Seite auf und ging mit ihrem Rapier auf einen der Einbrecher los.
Mit nur noch einem Gegner vor mir, beschloss ich mit aller Gewalt auf ihn
einzudringen, um es schnell zu einem Ende zu bringen. Doch diese städtischen
Diebe waren von größerer Gewandtheit als mir bekannte, grobschlächtige
Kriegergestalten. Meine Hiebe gingen fehl und aus der Ausweichbewegung schlug
mein Gegner wie ein gespannter Bogen zurück und trieb den Dolch in meinen
rechten Oberarm. Es begann erneut zu brennen und ein seltsames Taubheitsgefühl
breitete sich aus. Mit einem Fluch über das Gift auf den Lippen, ergriff ich
mit der linken Hand die Axt, die meiner rechten zu entgleiten drohte, und
schlug zu. Der Einbrecher war nah an mir, versuchte eigentlich den nächsten
Treffer zu landen – doch ich hatte ihn nun wieder überrascht. Der Stiel meiner
Axt traf ihn an der Schläfe und er taumelte zurück. Ohne zu zögern, setzte ich
nach. Der Kopf traf seinen Brustkorb, woraufhin der Dieb begleitet vom
Knirschen seiner Knochen zu Boden ging.
Ich sah gerade noch rechtzeitig
nach links, um Darios Schwertwirbel zu beobachten. Schneller, als sein Gegner
ihm folgen konnte, fegte er durch dessen Verteidigung, nahm einen Treffer als
gegeben hin, versetzte dem Dieb jedoch zwei Hiebe links und rechts, die ihn
umgehend zu Boden schickten. Fluchend hielt er sich seine Seite, wo ihn der
vergiftete Dolch getroffen hatte, doch auch er schien der Substanz standhalten
zu können. Dann fegte er auch schon wieder los und wir standen nun zu dritt
gegenüber dem letzten Dieb, der sich noch mit dem Wut der Verzweiflung wehrte,
doch bereits von Jen alleine gut in Schach gehalten worden war. Ohne den
Überraschungseffekt tat ich mir schwer, mit meiner ungeübten linke Hand einen
guten Angriff auszuführen, doch Jen und mir gelang es, die Deckung des Diebes
zu öffnen, was Dario für einen rabiaten Querschlag von oben links nach unten
rechts nutzte. Aufgeschlitzt sank der letzte Angreifer auf den dreckigen Boden
dieses Hinterhofes.
„Ihr seid schnell“, sagte ich anerkennend zu Dario, der mich fragend ansah. Ich
hob meine Waffe und wirbelte mit ihr so schnell durch die Luft, wie es mir
möglich war. Der Araner nickte verstehend, schloss die Augen und richtete sein
Gesicht gen Himmel. Also steckte ein großer, unsichtbarer Freund von ihm
dahinter. Nach dieser Geste wies er auf meine Wunden, doch ich winkte ab. So schlimm
war es nicht.
Nachdem das geklärt war, nahm er sich den ursprünglichen Einbrecher vor und
schüttelte ihn. Der regte sich, doch schien er die Worte Darios nicht zu
verstehen. Da schaltete sich Jen ein – die neben Comentang auch die zweite
bedeutende Handelssprache beherrschte, derer sich der Araner zu bedienen
versucht hatte: Vallinga. So konnte sie zwischen dem mittlerweile nicht mehr
sehr gut gelauntem Südländer und dem gefassten Dieb übersetzen – letzteren
verstand ich auch so. Er stellte sich als einer derjenigen vor, die in den
Schatten wandelten, als einer der Diebesgilde. Und er gab zu, die Karte von
Collwen geraubt zu haben, woraufhin wir diese aus seiner Weste fischten und an
uns nahmen; ebenso sammelte Jen die Dolche ein, an deren Klinge noch Reste vom
Gift hingen. Als Jen die Frage nach Collwen beantwortete, gestand der Dieb frei
heraus: „Er war im Weg. Wir brauchten die Karte.“
Wütend griff ich nach dem Griff meiner Axt. Dieser Mörder hatte einen
verdienten Kämpfer hinterrücks erstochen – doch ich unterdrückte meinen Impuls.
Er lag nun wehrlos vor uns und es brächte weder mir noch Collwen Ehre ein, wenn
ich ihn in einem Hinterhof richtete. Das konnte der Henker dieser Stadt nach
allen Regeln seiner Zunft übernehmen.
Mehr hatte der Mann uns nicht zu
sagen, woraufhin wir ihn fesselten und zurück zu Collwens Haus schleiften, wo
wir Zedd und Suena vorfanden, die – natürlich vergeblich – nach der Karte
gesucht hatten. Collwen lag indes tatsächlich erstochen auf seinem Bett.
„Wir konnte nichts mehr für ihn tun“, sagte Zedd betroffen.
„Aber wir konnte ihn rächen“, sagte ich und warf den Dieb auf den Holzboden,
woraufhin er durch den Schmerz in seinem gesamten Leib ohnmächtig wurde. Dario
fasste für die beiden die Ereignisse zusammen, wie mir Jen erklärte, und zeigte
ihnen die Karte. Wir verweilten nun nicht mehr lange und informierten die
Stadtwache, welche den Dieb gefangen nahm und die vergifteten Dolche
konfiszierte.
Wir brachen auf und waren schon
kurz vor dem Gasthaus Gekreuzte Klingen, da merkte Jen an: „Wenn der Dieb denen
von der Karte erzählt, dann werden sie doch sicher zu uns kommen und fragen, ob
wir wissen, wo sie ist.“
„Wir hatten ihnen leider gesagt, wo wir untergekommen sind, falls Fragen
bestehen, nicht wahr?“, meinte Zedd.
„Wir könnten bei mir unterkommen. Das Haus meiner Eltern ist nicht groß, birgt
aber sicherlich genug Platz für uns alle“, erklärte Jen.
Das Angebot nahmen wir natürlich gerne an, holten nur noch unsere Sachen aus
den gekreuzten Klingen, um dann in erainnischer Gastfreundschaft unterzukommen.
Neben dem Vorteil, eventuell missliebigen Nachfragen ausweichen zu können,
mussten wir hier auch nichts für die Übernachtung zahlen. Und das wäre fast für
uns alle allmählich eng geworden.
Das kleine, gedrungene Haus von
Jens Eltern lag am Rand der Stadt, sodass es beständig im Schatten der hohen
Mauern verschwand. Um die Uhrzeit unserer Ankunft spielte das keine Rolle, da
das einzige Licht von verschiedenen Fackeln strömte, die in den Händen von
Wachmännern ruhten oder an wenigen Kreuzungen angebracht waren. Wir vier Gäste
fanden uns im Erdgeschoss in der Wohnstube ein, wo es bereits eng zu werden
drohte. Umso mehr fiel unser vereinzeltes Gepäck auf. Die weit gereisten
Abenteurer aus dem Süden hatten allerlei Kram dabei, Dario sogar noch einen
Speer. Meine Tasche zog Aufsehen auf sich, da ich an ihr noch eine Spezialität
meiner Heimat befestigt hatte: ein 1,20m langer Holzstiel an dessen Ende ein
zwanzig Pfund schwerer, eiserner Kopf angebracht war. Klobig, unhandlich. Es
erschien widersinnig, doch eines war garantiert: wer von dem Ogerhammer
getroffen wurde, der stand nicht so schnell wieder auf.
Jen ließ nun jedoch nicht locker, was die Stadtwachen anging und deren
mögliches Begehren, das Eigentum Collwens zurückzuverlangen. Ich sah die
Schwierigkeit ein, die es bereiten würde, auf das Wort des toten Mannes zu
pochen, der uns die Karte vermachen wollte und die anderen überlegten, wie man
dem entgehen konnte bis Zedd Manze beschloss, sich an ein ganz spezielles Werk
zu machen. Er versuchte die Karte zu kopieren! Der erste Anlauf schlug fehl,
doch nachdem er sich eine weitere halbe Stunde Zeit nahm, hielt er etwas in den
Händen, das wie eine Karte aussah. Nicht zwangsläufig wie Collwens, aber wer
mochte das sagen, wenn er nicht beide in der Hand hielt?
Die restliche Nacht verging
ereignislos, am Morgen nahmen wir ein Frühstück im nahen Gasthaus
„Schwanenteich“ ein. Anschließend gingen wir zur Bibliothek – die Karte, die
wir hatten, stellte nur einen Ausschnitt dar, der nahezu überall in Ywerddon
sein könnte. Wir brauchten eine Weile, bis wir genügend Ähnlichkeiten ausmachen
konnten, dann war es klar: die Ruine lag im östlichen Grenzgebirge von
Ywerddon. Mit dem Pferd, auch angesichts der schwierigen Route im letzten
Abschnitt, sicher eine Reise von vierzehn Tagen. Einfach.
Dem Hochgefühl, endlich das Ziel einer möglichen Reise zu neuem Reichtum
gefunden zu haben, folgte die Ernüchterung, dass wir kaum das Gold aufbrachten,
uns für eine solche Reise auszustatten. Jen und ich hatten keine Pferde –
obendrein wäre mindestens eines zur Ergänzung für etwaige Lasten wünschenswert.
Dann kam noch die Verpflegung hinzu.
„Könnt Ihr nicht jagen?“, fragte mich Zedd.
„Durchaus – wenn ich uns jedoch alle durchfüttern soll, kommen wir kaum noch
vom Fleck. Wir müssten uns mit etwas haltbarer Nahrung wie Dörrfleisch und
Trockenobst organisieren.“
„Also das Übliche“, brummte der Araner etwas enttäuscht. „Das kostet aber auch
nicht wenig.“
Suena kaute sich nachdenklich auf den Lippen herum, bis sie schließlich
seufzte: „Ich glaube kaum, dass wir das alleine stemmen können.“
Zum Beweis unserer kläglichen Ausgangslage legten wir unsere Geldbeutel auf den
Tisch. Wir kamen alle zusammen vielleicht gerade einmal auf das Geld für ein
halbes Pferd. Noch weniger, nachdem wir eine Kopie der großen Karte erstanden
hatten. Zedd hatte noch etwas mehr, aber den Mäzen einer ganzen Expedition konnte
er dennoch nicht spielen.
„Wir brauchen einen Unterstützer“, schloss Suena. „Und ich hätte schon eine
Idee: Aeldun ap Belthen. Er war schon einmal dort, kann uns bestätigen, dass
dort noch etwas ist und hat das Gold, uns zu finanzieren.“
„Dann müssen wir ja etwas abgeben“, brummte ich.
„Und gewinnen dennoch mehr, als wir es jetzt tun würden“, beharrte sie. Auch
den anderen behagte es nicht gänzlich, sich in die Abhängigkeit eines Gönners
begeben zu müssen. Doch uns blieb keine Wahl. Suena beschrieb mir, wo sich der
Wohnsitz Aelduns in der Oberstadt befand und als Twyneddin übernahm ich es, zu
ihm zu gehen und unser Anliegen zu unterbreiten.
Was sich alles andere als schnell
bewerkstelligen ließ. Erwartungsgemäß in einem großen Haus, beinah einer Villa,
ansässig war Aeldun mit einem Bediensteten ausgestattet, der mich zunächst
abspeisen wollte. Ich war jedoch gegenüber diesem sorgfältig gekleideten und
mit peniblem Seitenscheitel ausgestatteten Helfershelfer misstrauisch und
beschloss in der Eingangshalle zu warten, bis der „hohe Herr“ Zeit für mich
fand.
So saß ich auf einer fein gezimmerten und mit Ornamenten in der Rückenlehne
ausgestatteten Holzbank, streckte die matschigen Stiefel von mir, bis der Mann
am Mittag endlich wieder eintrat und mir bedeutete: Aeldun würde nun einen
kurzen Moment seiner Zeit für mich opfern.
Der Adelige empfing mich in
seinem Studierzimmer, wo er hinter einem großen Schreibtisch saß. Ohne große
Pose setzte ich mich.
„Seid gegrüßt, Aeldun ap Belthen. Ich bin Gorlan ap Wath.“
„Seid gegrüßt … was wünscht Ihr?“
Aeldun war ebenfalls in feine Kleidung gehüllt, die mit Fuchspelz versehen war,
welcher längst mehr dekorativen Zweck erfüllte, als wirklich warm zu halten.
Doch das kantige Gesicht mit seinen scharfen Augen verriet, dass der Mann vor
mir durchaus einst eine Waffe geführt hatte.
„Ich komme als Freund von Suena, einer Musikerin, welche neulich für euch
arbeitete.“
Der Twyneddin runzelte die Stirn, fuhr sich nachdenklich über den Nasenrücken,
dann erhellte sich seine Miene. „Ah ja, ich erinnere mich.“ Ein seltsames
Lächeln kräuselte für einen Moment seine Lippen.
„Nun, wir brachten in Erfahrung, dass Ihr vor einigen Jahren große Reichtümer
aus einer Ruine im Osten bergen konntet. Wir sprachen auch mit Collwen, einem
Söldner, der euch dabei begleitete und erhielten von ihm eine Karte, die den
Weg dorthin weisen soll.“
Aeldun dachte eine Weile nach, bevor er sprach und dann tat er es mit der
bedachtsamen Intonation eines Mannes von hoher Position: „Es ist richtig, was
Ihr und eure Begleiter gehört habt. Ich bin im Osten gewesen und erwarb dort
einen bescheidenen Reichtum. Eine eigene Karte habe ich nicht, aber ich
entsinne mich, dass der gute Collwen sich sehr gut den Weg einprägte. Aber
warum kommt Ihr nun mit dieser alten Geschichte zu mir?“
„Wir wollen zu den Ruinen – und holen, was Ihr damals zurückließt. Denn Collwen
berichtete auch von der großen Not, die euch die Gefahren der Ruinen
bereiteten. Ist dort noch genug, das eine Expedition lohnt?“
Der Adelige hob die Brauen, dann erklärte er: „Wir haben nur die obersten
Ebenen abgeschöpft, ehe wir uns kämpfend zurückzogen. Die Ruinen dürften noch
genug bereithalten, um wagemutigen Kämpfern eine reiche Entlohnung zu sein.“
„Dann würden die anderen und ich uns gerne vollzählig mit Euch treffen, um über
Geld zu sprechen.“
„Eine Finanzierung? Für Ausstattung und dergleichen?“
„Genau.“
Aeldun überlegte – aber nur kurz. Die Ruinen mussten wohl immer noch ein
lohnendes Ziel darstellen. „Das klingt nach einer Okkasion, ich bin
interessiert. Treffen wir uns bei mir.“
„Die anderen haben keinen Zugang …“
„Ich stelle einen aus“, erklärte Aeldun und kratzte rasch mit einer Feder über
etwas Pergament, das er mir sodann überreichte.
Ich verabschiedete mich und
kehrte zu Jens Haus zurück, wo ich den anderen meine Unterredung mit dem
Adeligen schilderte. Der positive Anklang, den unser Vorschlag gefunden hatte,
machte uns Mut und wir brachen sogleich gesammelt zur Oberstadt auf – wo uns
die Wachen jedoch abwiesen. Aeldun hatte auf dem Schriftstück, was weder ich
noch die anderen lesen konnten, vermerkt, dass er uns für den heutigen Abend
Einlass gewährte. Noch stand die Sonne mitten am Himmel.
Wir aßen also zunächst im Schwanenteich, dann stromerten wir durch die Stadt,
um Ideen zu sammeln, was wir uns alles kaufen mussten. Da war natürlich
Verpflegung, aber auch Werkzeug, Kletterhaken. Und natürlich alles Mögliche,
insbesondere viele Säcke, in die wir das Gold schaufeln konnten, was uns
erwartete. Eine beinah zwergische Hoffnung, aber besser, wenn wir auch für den
besten Fall vorbereitet waren!
Schließlich neigte sich die Sonne
dem Horizont zu und wir versuchten unser Glück erneut am Tor zur Oberstadt.
Diesmal ließen uns die Wächter durch. Auf dem Weg zu Aelduns Haus nahm mich
Suena kurz zur Seite. „Wenn wir gleich bei Aeldun ap Belthen sind, könnte jedes
Wort entscheidend sein, was unser Vorhaben angeht, ihn als Geldgeber zu
gewinnen.“
„Hm, ja?“
„Nun, ich glaube, du bist noch nicht ganz so erfahren darin, Adeligen gegenüber
angemessen aufzutreten … vielleicht überlässt du besser mir das Wort. Ich
kenne Aeldun ja auch schon.“
„Soll mir recht sein“, sagte ich achselzuckend. Eigentlich war ich froh darum,
bereits das Gespräch am Mittag war äußerst eigentümlich gewesen. Was hieß denn
überhaupt Okkasion?
Wir erreichten das Haus Aelduns, wo man uns rasch in Empfang nahm. Ein Diener geleitete uns in einen großen Raum, der fast schon Saal genannt werden könnte. Hier wuselten weitere Bedienstete herum, die die letzten Vorbereitungen für das Abendmahl abschlossen. Dem allerletzten Handgriff folgte das Eintreten Aelduns, der uns freundlich anbot, Platz zu nehmen. Wir setzten uns und speisten gemeinsam mit ihm, wobei scheinbar alle Beteiligten zu vermeiden schienen, über den eigentlichen Zweck unserer Anwesenheit zu sprechen. Von meinem Stamm kannte ich solche Pausen, in denen man der Geister gedachte, um sie für die Verhandlungen gütig zu stimmen, hier schien es mir eine ausgehöhlte Floskel. Umso stärker konzentrierte ich mich auf das Essen – saftiges Fleisch in kräftiger Soße. Erst nach der ersten Hälfte meines Tellers fiel mir der missbilligende Blick Suenas auf, die sicherheitshalber schon einmal rechts von mir Platz genommen hatte. Sie nickte mit dem Kopf. sah dann auf ihre Hände in denen Messer und Gabel ruhten. Ich blickte wieder auf meine eigenen Finger, die mit der Soße beschmiert waren. Betont lässig wischte ich diese am Tischtuch ab, nahm dann das Besteck und versuchte nicht weiter aufzufallen.
Schließlich war das Mahl gegessen
und die Diener räumten ab. Aeldun ließ einen Wein reichen und endlich ging es
zum Gespräch. Zunächst knüpfte Suena daran an, was unser grundlegendes Anliegen
war, bis wir bei dem Punkt angelangten, was diese Ruinen denn eigentlich
bereithielten.
„Wir haben nun sowohl von Collwen als auch von Euch gehört, dass ihr dort auf
grausige Kreaturen gestoßen seid. Um welche Wesen handelte es sich dabei?“
„Einige wilde Tiere, doch das ist es nicht, was uns Überlebenden schlaflose
Nächte bereitete. Abscheuliche Wesen hausen dort. Dinge, die nicht auf dieser
Welt wandeln sollten und sich doch bewegten.“
„Dämonen?“, fragte Zedd.
„Untote“, erklärte Aeldun. „Wandelnde Leichen, die bis auf den letzten Knochen
von Unheiligkeit durchdrungen sind.“
Gefolgt von einer Pause setzte der Twyneddin jedoch nach: „Doch die Gefahr
lohnt sich. Der größte Teil der Anlagen ist noch unberührt und wird es
sicherlich noch sein. Es kommt nicht oft der Tag, dass sich jemand daran macht,
gegen solche Kreaturen zu bestehen.“
„Dann erbitten wir von Euch Unterstützung, um uns angemessen für diese
Herausforderung ausstatten zu können.“
Aeldun neigte den Kopf, dann verkündete er seine Bedingungen: „Ich gebe euch
siebenhundert Goldstücke. Dafür verlange ich jedoch einen angemessenen Anteil
an eurer Beute. Zweitausend Goldstücke.“
„Während Ihr hier herumsitzt?“, platzte es aus mir heraus, was mir umgehend strafende
Blicke meiner Gefährten einbrachte. Ich versuchte es noch zu drehen: „Nun, wir
könnten zumindest sagen, ihr kriegt das Doppelte von dem, was Ihr uns gebt,
oder? Vierzehnhundert? Klingt doch gerecht …“
„Nun, Gorlan, wenn ich es richtig sehe, werdet ihr alle ohne mein Gold
ebenfalls hier herumsitzen“, sagte
Aeldun mit einem kühlen Lächeln.
Wir tauschten Blicke aus, es gingen noch ein, zwei Sätze in Vallinga über den
Tisch, dann war die Sache ausgemacht. Suena verkündete die Entscheidung: „Wir
akzeptieren.“
„Ausgezeichnet“, rief Aeldun aus und klatschte in die Hände. Ein Bediensteter
kam durch eine Tür herein und legte diesem ein bereits vorbereitetes Pergament
vor die Nase. „Machen wir es schriftlich.“
Wir standen auf, um uns den Vertrag anzusehen – er war jedoch auf Twyneddisch
geschrieben, was die anderen nicht sprachen und ich nicht lesen könnte. Der
Bitte um eine neue Version in Comentang kam der Adelige umgehend nach. Mir half
das zwar nichts, da ich allgemein nicht lesen konnte, doch Jen versicherte mir,
dass der Vertrag in Ordnung sei. Die wenigen Zeilen enthielten nur das
Wesentliche. So unterschrieben wir: Suena und ich beide mit einem X, Jen mit
ihrem Namen und die Araner mit jeweils einem eigenen, seltsam verschlungenen
Symbol.
„Damit ist es offiziell“, verkündete Aeldun erfreut, legte den Vertrag beiseite
und übergab Suena für die ganze Gruppe einen schweren Geldbeutel.
„Siebenhundert Goldstücke“, wiederholte er. „Setzt sie gut ein. Ich werde auf
meine Auszahlung pochen.“
Damit waren wir entlassen und
nach einigen wenigen, gestelzt-warmen Worten, verließen wir das edle Haus, um
in die Unterstadt zurückzukehren. Wir besprachen noch einmal, was es nun alles
zu organisieren galt, ehe jeder für sich in einen tiefen Schlaf voller Träume
über unseren kommenden Reichtum sank – zumindest erging es mir so.
Wir setzten unsere Planungen am nächsten Morgen um. Zunächst erstanden wir
jeweils ein Reitpferd für Jen und mich, dann noch ein Packpferd, das noch
weitere Lasten auf sich nehmen konnte. Ergänzt um einiges praktisches Werkzeug
sowie den besagten, fehlte es nur noch an Proviant, den wir in großzügiger
Stückzahl organisierten. Damit neigte sich schließlich unsere Finanzierung
ihrem Ende. Die verbleibenden einhundert Goldstücke teilten wir unter uns fünf
auf. Dann war es soweit.
Wir ritten aus dem östlichen
Stadttor Dinas Tarans hinaus, dem Abenteuer entgegen. Dario, Suena und Zedd
saßen dabei auf bemerkenswerten Pferden; schwere Kaltblüter, die den Eindruck
machten, als würden sie auch einen Berg wegschleppen, würde man ihn an sie
binden.
Vor uns lag nun die weite Fläche des ywerddonischen Herzlands. Zwischen sanften
Hügeln lagen Getreidefelder, die Wege waren gepflastert und die Menschen
freundlich. Man kannte hier keine Gasthäuser, da man Fremde auch bereitwillig
unter eigenem Dach aufnahm. Angesichts erträglichen Wetters, sah man von den
Beschwerden unserer sonnenverwöhnten Begleiter ab, und unserer doch recht
zahlreichen Erscheinung verzichteten wir jedoch darauf Anspruch zu nehmen. Für uns
tat es auch ein großes Lagerfeuer umringt von Zelten.
Das Land begann bald hügeliger zu werden. Es war zu spüren, dass Ywerddon in Osten und Süden beachtliche Gebirge kannte, die mit ihren weiten Ausläufern die Landschaft prägten. Gleichermaßen war es nur dünn besiedelt. Immer seltener kamen wir an Höfen vorbei und die Straße wurde schlechter.
Es war bereits der vierte Tag
unserer Reise, als wir gen Mittag einen verfrühten Stopp einlegten. Die Straße
schlängelte sich zwischen beiderseitig aufragenden Hügeln hindurch, sodass wir
nicht bemerkten, wie wir uns einer Bande Wegelagerer näherten. Vier verwildert
aussehende Männer blockierten die Straße und brüllten laut: „Gebt uns euer Gold
oder wir nehmen uns euer Leben!“
Kommentarlos stieg ich aus dem Sattel und griff den Ogerhammer, den ich an der
Seite des Pferdes befestigt hatte. Zedd folgte meinem Beispiel, nahm seinen
Kriegshammer und Seite an Seite gingen wir auf die vier zu. Dario und Jen
zückten nun ebenfalls ihre filigraneren Werkzeuge. Lediglich Suena blieb im
Sattel und zurück.
Die Wegelagerer zögerten einen Moment ob unserer tonlosen Reaktion, doch für
sie schien es nur noch den Weg nach vorne zu geben. Sie zückten ihre Keulen und
Kurzschwerter, dann gingen wir aufeinander los.
Ich wuchtete den Kopf meiner
Waffe mit einem Schwung nach oben, anschließend musste ich mich um die halbe
Achse drehen und mein gesamtes Gewicht in den Schlag legen, um den unhandlichen
Hammer zur Entfaltung zu bringen. Der Angriff war schwer zu kontrollieren – von
oben herabgefallen, lenkte ich den Schlag unter dem Aufbegehren meiner Muskeln,
doch der erste Hieb ließ sich zu früh erahnen und der Wegelager brachte sich
mit einem Seitenschritt aus der Gefahr. Während ich zum nächsten Ausholen
ansetzte, nutzte der Bandit meine Schwerfälligkeit und stieß rasch auf mich zu.
Das Eisen seiner Klinge drang durch mein Lederwams. Ich spürte, wie sich das
kalte Metall in mein Fleisch schob, doch mein Widersacher musste sich
zurückziehen, bevor er mir bis auf die Knochen dringen konnte. So blieb mir ein
offener Schmerz, aber keine schlimmere Verletzung.
Dario wirbelte neben mir seinen Krummsäbel gekonnt durch die Luft, was sein
Gegenüber zu irritieren schien – dabei hatte der Araner nicht einmal seinen
unsichtbaren Beistand bemüht. Aus dem Schwerttanz heraus stieß er zu, eine
Klinge sägte durch den Hals des Wegelagers. Einer weniger.
Kurz darauf wandte sich Zedds
Gegner von diesem mit einem panischen Schrei ab und rannte davon. Der Priester
drehte sich kurz nach hinten um, eine Hand zur Dankesgeste in Richtung Suena
erhoben. Was bedeutete das? Die Musikerin saß noch im Sattel, die Hände auf den
Knauf gestützt. Oder hielt sie in der einen etwas?
Nachdem es nun vier zu zwei stand, brüllte einer der Wegelagerer verzweifelt
nach Verstärkung. Sodann parierte er noch einen, dann noch einen Stich von Jens
Rapier. Der dritte ging jedoch unter seiner Abwehr durch, traf ihn in die
Armbeuge. Unfähig, einen weiteren Angriff abzuwehren, versuchte er sich ihr
entgegenzuschmeißen, lief damit jedoch in den nächsten Stich. Die feine Spitze
von Jens Waffe bohrte sich durch seinen Hals.
Ich fokussierte nach diesem kurzen Moment der Abgewandtheit wieder meinen
Gegner und ließ den Ogerhammer herabdonnern. Der Wegelagerer hatte gerade einen
Ausfallschritt angesetzt, um meine scheinbare Ablenkung auszunutzen – wodurch
er nicht mehr davonkam. Zwanzig Pfund Eisen trafen auf seinen Schädel, fanden
kein bedeutendes Hindernis und zogen sich hindurch. Blut, weitere
Flüssigkeiten, Knochen und diverse Körperteile verwandelten sich in einen roten
Nebel, der über dem zu Boden sinkenden Körper des Wegelagerers abtropfte.
Unsere Gegner waren besiegt, doch
jetzt kam die Verstärkung in unser Blickfeld: neun weitere Wegelagerer, die auf
uns zuspurteten. Da hob Suena eine Hand, bemerkte kaum merklich die Lippen und
die Fläche vor uns verwandelte sich mit einem Schlag in tiefen, sumpfigen
Morast. Die Wegelagerer stürzten unverhofft in das aus dem nichts erschienene
Moor und schlugen beinah alle in die Matsch hinein. Mühsam rappelten sie sich
auf, kämpften sich frei, um dann einen Weg um diesen Sumpf herum zu suchen.
Diesen Zeitgewinn nutzten Dario und Zedd. Sie schlossen die Augen, richteten
die Handflächen gen Himmel und begannen einen kleinen Singsang der Sonne
zugewandt. Ich stapfte indes zu meinem Pferd, henkte den Ogerhammer ein und
griff mir Axt und Schild. Eine Fleischwunde reichte mir, das musste nicht noch
ärger werden. Jen tänzelte von einem Fuß auf den anderen, sichtbar begierig
darauf, ihre Fechtkünste erneut unter Beweis zu stellen. Einen ordentlichen
Schlag hatte sie, wenn sie traf.
Die neun waren fast an uns herangekommen, da blickten drei zur auf ihrem Pferd
sitzenden Suena und verzogen das Gesicht, als würde ihnen der Leibhaftige
entgegentreten – während die Frau nur ein süffisantes Lächeln zeigte. Einem
Moment der Schockstarre mit geweiteten Augen und bibbernden Knien, folgte die
Kehre der drei, die auf und davon einen Hügel hinaufrannten und wohl noch
weiter. Mit den restlichen sechs kam es zum erbitterten Zusammenstoß.
Dario und Zedd wirbelten nun beide
in einer Geschwindigkeit durch den Kampf, die kein normaler Mensch erreichen
konnte. Doch man merkte deutlich, dass Dario derjenige mit der größeren Finesse
im Einsatz seines Krummsäbels war – Zedds einhändig geführter Kriegshammer
verblieb die grobe Waffe, nach der sie aussah. Mit einem natürlich viel zu
kleinem Kopf.
Der flinkste Wegelagerer spurtete auf mich zu. Lässig hob ich meinen Schild, um
seinen Angriff abzuwehren – doch ich hatte seine Geschwindigkeit unterschätzt.
Es hätte den Aranern beinah zur Ehre gereicht, da war der Mann an mir und ohne
Rücksicht auf sein Leben sprang er in mich herein. Ich schlug rücklings auf den
Boden auf, meine Axt entglitt meinen Fingern. Schon war die Klinge meines
Gegners an meinem Hals. Doch bevor er zustechen konnte … traf ihn ein Ball aus
festem Eis im Gesicht. Mit einem hörbaren Splittern entlud das Geschoss seine
Wucht. Der Wegelagerer hechtete jaulend von mir weg und hielt sich die Hand vor
das mit Eisscherben malträtierte Gesicht. Vollkommen perplex starrte ich
dorthin, wo mir die einzige Erklärung für diesen plötzlichen Wintereinbruch
liegen konnte: zu Suena. Die hatte mittlerweile keine Scheu mir und schleuderte
bereits den nächsten Eisball auf die mit uns kämpfenden Wegelagerer. Damit war
nun auch für den letzten ihre magische Kraft offenkundig.
Jen inszenierte indessen einen Angriff auf der verschwimmenden Linie von
brachial zu genial. Mit dem Rapier fing sie den zentralen Stoß ihres Angreifers
ab, leitete den Hieb zur Wirkungslosigkeit nach außen, ehe sie einen Schritt
nach vorne machte und ihren Ellbogen mitten ins Gesicht des Banditen krachen
ließen. Der jaulte auf, griff sich an die gebrochene Nase – da erwischte ihn
Jens Tritt in die Weichteile unvorhergesehen. Weiter wimmernd wankte er zurück.
Ein nunmehr leichtes Ziel, das die Erainnerin mit einem Stich ihres Rapiers
endete.
Kurz darauf hatte Dario einen
Kreuzschnitt bei einem der Wegelagerer angebracht, der sich seiner Niederlage
jedoch noch taumelnd entgegenstellte. Da traf ihn ein Frostball Suenas am
Schädel und schickte ihn damit endgültig zu Boden.
Mein Gegner verursachte mir noch einige Schwierigkeiten. Mit der Streitaxt war
ich zwar schneller als mit dem Ogerhammer, doch dieser Wegelagerer war wirklich
wieselflink. Aber mit jedem seiner Kameraden, der fiel, wandte sich sein Blick
nach außen. Weg von mir, weg von seiner Axt. Gerade blickte er hinauf zu Suena,
die vom Rücken ihres Rosses aus Bälle aus eisiger Kälte durch die Luft sandte –
da traf ihn meine Axtklinge unvermittelt in der Schulter, was ihn zu Boden
riss. Doch noch auf Knien gab er nicht auf und versuchte mir noch einen
Tiefschlag zu versetzen. Ich blockte mit dem Schild ab, sein Hieb glitt jedoch
in meine Wade ab. Schmerzverzerrt biss ich die Zähne aufeinander, dann schlug
ich erneut zu.
Der letzte Wegelagerer stand nur noch mit dem Mut der Verzweiflung. Er wurde von Zedd und Dario zugleich umwirbelt. Die beiden Araner hatten ihre anfängliche Geschwindigkeit mittlerweile wieder eingebüßt – was ihnen in Überzahl nichts ausmachte. Ein Schnitt mit dem Krummsäbel, da ein Treffer von Zedds Hammer. Zuletzt ein Frostball … und der letzte der Banditen sank zu Boden.
„Guter Kampf“, fasste ich die
Auseinandersetzung zusammen. Suena stieg von ihrem Pferd ab und besah sich
meine Wunden. „Soll ich dir einen Verband anlegen?“
Ich nickte, fragte dann aber auch: „Hast du auch einen großen unsichtbaren
Freund wie die zwei anderen?“
Sie grinste kurz, verriet aber nicht viel: „Ich kann Magie wirken. Aber anders
als Dario und Zedd.“
Letztgenannter kümmerte sich ebenfalls um die verschiedenen Wunden, die der
eine oder die andere von uns davongetragen hatte. Zu mir kam er auch noch und
ich ließ ihn gewähren. Er legte seine Hände auf eine meiner Verletzungen,
murmelte etwas und binnen einer Minute schloss sich der klaffende Schnitt beinah
vollständig. Ein warmes Gefühl breitete sich von dort aus. Anerkennend nickte
ich ihm zu. Hilfreicher unsichtbarer Freund.
„Du bist der Heiler und Dario der Kämpfer?“, fragte ich ihn.
„Ich hatte einen schlechten Tag“, meinte Zedd und verzog dabei das Gesicht. „Aber
prinzipiell ist es so. Dario ist einer unserer Ordenskrieger, der bewaffnete
Arm Ormuts, um die Schrecken der Nacht zu vernichten. Ich bin ein Priester.“
„Und was würdest du zu Suena sagen?“
„Ich denke, sie ist auf einem guten Weg. Vielleicht wird sie irgendwann noch
anerkennen, dass Ormuts Licht über allem steht und in jedem guten Ding steckt.
Vielleicht wird sie irgendwann seinen hellen Strahl in sich einlassen.“
Nachdem wir uns versorgt und die
Besiegten auf ihre karge Habe abgesucht hatten, machten wir uns wieder auf den
Weg. Der herbeigezauberte Sumpf hatte sich mittlerweile wieder in den normalen,
wenn auch nicht viel weniger morastigen Weg zurückverwandelt.
Fünf weitere Tage und Nächte vergingen in der zunehmenden Wildnis Ywerddons.
Wir verließen schlussendlich die letzten Reste von dem, was man als
Handelsstraße bezeichnete, und ritten querfeldein. Ab nun neunten Tag seit unserem
Aufbruch, erreichten wir die Berge. Das Gelände wurde schwierig, doch nun half
uns Collwens Karte die Route zu finden, die für die Pferde gangbar war. Ich
übernahm dabei die Führung – mein Stamm hatte im Schatten der Wyddfa-Berge
gelebt und oft genug waren wir die verschneiten Pfade aufgestiegen.
Es ging höher und höher,
Serpentinen hoch, um die immer wieder schroff auftauchenden Steilhänge zu
umgehen. Pfade mit losem Geröll mieden wir, wohl wissend, welches Verderben sie
einem unbedachten Wanderer bieten konnten. Manches Mal ließ es sich nicht vermeiden
– mit größer Vorsicht führten wir dann die Pferde an den Zügeln und achteten
genau darauf, wo Füße und Hufe auftraten.
So brauchten wir drei anstrengende Tage für die letzte Etappe durch dieses
unwirtliche und von allen Seelen vernünftigerweise verlassene Gebiet. Dann
hatten wir sie erreicht: die Ruine in den Bergen.
Es musste einst eine große
Tempelanlage gewesen sein, für die eine große Fläche freigelegt oder zumindest
geebnet worden war. An diesen Vorplatz, auf dem sich vor Jahrzehnten,
wahrscheinlicher sogar vor Jahrhunderten, Gläubige einer alten Religion
versammelt hatten, grenzten drei steinerne Gebäude an. Sie waren symmetrisch
zueinander aufgebaut und hatten dem Zahn der Zeit widerstanden. Weitere Bauten
waren nur noch grob zu erahnen – was nicht aus Stein erbaut war, hatte nicht
überdauert.
Im Glanz der Abendsonne lag die Ruine still und unberührt da. Doch wir hatten
uns die Geschichten gemerkt. Argwöhnisch zogen wir uns den Weg entlang zurück,
um an einer Einbuchtung in der Felswand ein sicheres Lager aufzuschlagen.
Der nächste Tag würde uns Gewissheit bringen, ob die Erzählungen vom unsagbaren Reichtum der Ruinen stimmten – und von den dunklen Kreaturen, die dort hausten.
Ich liebe so Geschichten, die zeitlich gesehen in unserem Mittelalter spielen, aber in einer völlig anderen Welt, mit eignen Völkern, Sprachen, Bräuchen usw.
Sehr gut durchdacht und kreativ umgesetzt. Dazu auch noch sprachlich sehr gut geschrieben. Gerne mehr!
Habe noch eine Frage: Ist das eine zusammenhängende Geschichte, oder nur diese Kurzgeschichte? Würde gerne mehr davon lesen, bzw von dieser spezifischen Geschichte und Welt. Gibt es vielleicht noch weitere oder vorherige Kapitel? Und wenn ja, was ist die richtige Reihenfolge, bzw wo finde ich das? Will ein Buch zu dieser Welt mit diesen Charakteren haben! Die Geschichte ist unglaublich und ich will nicht, dass sie hier endet. Bzw wenn sie einen Anfang hat will ich sie komplett lesen!
Großartige Arbeit!
Hallo Christian,
sorry, dass die Antwort etwas gedauert hat. Die Geschichten hier auf dieser Website sind als “Tagebucheinträge” fiktiver Figuren gedacht, die wir in einem Pen&Paper-Rollenspiel namens Midgard verkörpern.
Mit “Reichtum aus Ruinen” hast Du einen guten Einstieg gewählt, da das der Beginn einer neuen Gruppe war (manche Figuren wie Suena und Dario sind auch schon länger dabei, aber der Point-of-View-Charakter von mir ist neu). Neue Beiträge erscheinen auf der Hauptseite immer als erstes. Also auf “Reichtum aus Ruinen” folgen “Knochentanz”, “Das Grauen in der Tiefe”, “Der Drachenkessel”, “Der goldene Schatten” und zuletzt “Hinter dem Wasserfall”. Weitere Kapitel werden folgen, gerade habe ich nur leider nicht so viel Zeit.
Freut mich sehr, dass dir dieses Kapitel hier gefallen hat, vielleicht können die anderen ja nachziehen!
Hallo Gorlan,
hab “Reichtum aus Ruinen” gerade beendet und werde direkt weiter lesen.
Will jetzt nicht wie ein Schleimer klingen, aber das ist Stoff für ein Buch! Nicht nur die Art und Weise wie es geschrieben ist, der Satzbau und der “Klang”. Sondern auch inhaltlich wirklich wundervoll.
Du hast dir da wirklich sehr viel Gedanken zu dieser Welt gemacht. Die Charaktere, die Welt und die Story sind sehr detailliert und anschaulich beschrieben. Ich schreibe selber gerne Kurzgeschichten, bekomme es aber nie hin, sie so lang werden zu lassen. Du hast definitiv das Zeug Schriftsteller zu werden, glaub mir was immer du gerade machst versuche mal ein Buch zu schreiben. Das wird weg gehen wie warme Semmeln!
Diese Seite hat sich den Platz in meinen Lesezeichen definitiv verdient. Und das, obwohl ich sie aus reinem Zufall fand.
Ich suchte online nach “Midgard”, weil ich als Kind mal ein Buch gelesen hatte, das so hieß (“Die Schlange von Midgard” glaube ich).
Ich hoffe die weiteren Kapitel, die folgen werden, greifen diese spezifische Lore mit diesen Charakteren auf und ich würde mir (wenn ich überhaupt in der Position dazu bin) eine Vorgeschichte dazu wünschen. Bzw. mehr Input über die einzelnen Völker. z.B. über Gorlans und Suennas Herkunftsländer, die Kulturen dort etc. Und natürlich auch über die Aranier und deren kulturelle Hintergründe. Die Religionen (Orden) usw.
(vielleicht erfahre ich das aber auch durchs weiterlesen). Die Geschichte, wie Gorlan nach Ywerddon kam, der Weg dorthin wäre aber aufjedenfall noch interessant.
Sorry wenn ich gerade ein wenig “fangirle” aber finde selten Geschichten die mich so fesseln. War zuletzt bei Game of Thrones der Fall.
Bleib aufjedenfall dabei! Du hast Talent!
Hallo Christian,
die Grundlage für die Welt dieser Geschichten liefert das Rollenspiel Midgard wie Gorlan bereits erwähnte. Hier ist ein Link zu deren Seite: https://midgard-online.de/ falls du dich mal ein wenig schlau machen möchtest.