Wir stehen am Rande einer Felsklippe. Unter uns brandete das Meer wild an und schien uns den Boden unter Füßen entreißen zu wollen. Noch ehe wir uns wundern konnten, durchdrang lautes Kreischen die Luft und von unterhalb des Abhangs schossen drei Harpyien hervor und stürzten sich auf uns – verzerrte Mischungen aus dem Körper einer Frau und eines Vogels, die Gesichter vor Hass verzerrt und messerartige Klauen nach uns gereckt.
Mara, Suena und Artos stürzten sich mit Dolchen und Speer in den Kampf, Zedd machte einige Schritt zurück und begann, ein Gebet zu sprechen. Meinen Dolch ließ ich am Gürtel stecken, das war nicht meine Waffe. Hastig sah ich mich um. Wir waren an einer Steilklippe, die kaum bewachsen war – doch ich fand einen Ast, den ich als provisorische Keule nutzen konnte.
Als ich mich in den Kampf stürzte, hatte Mara gerade eine der Harpyien zu greifen bekommen. Die Geschöpfe waren kleiner als wir und die Elfe stärker als es das Auge vermuten ließ. Sie packte die Harpyie am Hals und stach ihr den Dolch zwischen die Rippen. Augenblicklich sagte das keifende Monster zusammen. Einer anderen zerstach Artos mit dem Speer einen Flügel. Sie kam gerade so davon, wagte jedoch einen weiteren Sturzflug. Bluttropfen begleiteten den Versuch, sie geriet ins Trudeln und stürzte halb vor Suena auf den Boden. Fauchend schlug sie nach ihr, die Krallen glitten über ihre drachenblutgehärtete Haut. Dann stach sie zu und beendete es.
Auf die letzte Kreatur gingen wir alle gemeinsam los, Zedd und ich trieben sie mit provisorischen Keulen vor uns – Mara und Suena, mit Dolchen geübter als wir, stachen sie nieder. Und wieder flackerte es um uns herum, wurde gleißend hell.
Und diesmal standen wir in einem
Raum. Im Boden war ein großes Loch: ein Schacht, der sich tief nach unten
erstreckte. Darüber war an ein großer, leerer Käfig an einer Eisenkette
angebracht. Eine weitere verlief in die Tiefe. An den Wänden waren zwei große,
silberne Spiegel befestigt, eingebettet in eine große, komplexe Apparatur.
Seile und Metallverbindungen führten zu einem Pult, an dem wiederum ein halbes
Dutzend Hebel angebracht war … die sicher irgendwelche Funktionen hatten.
„Wo sind wir hier?“, fragte Zedd verblüfft und ging hinüber zu dem Pult.
„Fass besser nichts an!“, mahnte Suena. Sie sah sich im Raum um. „Könnte die
Spitze des Turms sein, in die wir gerade gespült wurden. Ich glaube, diese
silbernen Spiegel habe ich noch gesehen.“
„Und wo ist das Wasser?“, fragte Artos. „Seht, da unten im Schacht brennt sogar
ein Kerzenlicht. Hier kann keine Flut entlanggebraust sein.“
Wir folgten seinem Fingerzeig und tatsächlich ließ sich unten ein schwaches
Licht ausmachen. Mara griff sich prüfend die zweite Eisenkette und folgte ihr
mit den Augen. „Sieht aus, als könnten wir den Käfig herunterlassen.“
„Ein Käfig als Lastenaufzug?“, fragte Zedd. „Ich bin da etwas skeptisch.“
„Wir haben es in der Hand … oder ihr viel eher“, meinte Mara. „Ich würde gerne
zuerst gehen, um zu sehen, was da unten ist.“
„Im Käfig ist auch nur Platz für zwei Personen“, schätzte Suena. „Wer möchte
Mara begleiten?“
„Hier, ich!“, rief Artos und wagte bereits den großen Schritt in den offenen
Käfig hinein. Mara folgte ihm und zog die Tür zu. „Vorsichtig“, sagte sie nur.
Zedd und ich griffen uns die andere Eisenkette. Nachdem wir einmal kurz an ihr
gezogen hatten, konnten wir sie langsam nach oben gleiten lassen, sodass der
Käfig sich in die Tiefe absenkte. Eine mechanische Konstruktion an der Decke
machte das recht einfach zu bedienen. Insgesamt sah das System sehr
ausgeklügelt aus und in einem stetigen Rhythmus glitten Mara und Artos in die
Tiefe.
Wir hatten sie etwa sechs oder
sieben Meter in die Tiefe gelassen, da ertönte ein wildes, abgehaktes Gekreisch
aus dem Schacht. Zedd und ich hielten die Kette sofort an.
„Das klingt wie ein Affe“, meinte er.
„Ein was?“
„Sehr haarige, kleine Tiere. Sehen ähnlich aus wie wir und können fürchterlich
schreien.“
„He, Leute!“, rief Artos von unten. „Mara ist ein Affe!“
Irritiert blickten wir uns an und Zedd und ich begannen sofort, an der Kette zu
ziehen, um den Käfig wieder nach oben zu befördern. Artos und Mara schienen
äußerlich unverändert, auch wenn der Gnom ein breites Grinsen zeigte. Als die
Elfe uns sah, stieß sie nur aus: „Uh! Ah! Ah! Uh-uh-ah!“
„Geht das wieder – vorbei?“, fragte ich Suena.
„Lässt sich auf Anhieb nicht sagen, allerdings ist es sehr aufwändig, jemandem
solche Hexereien anzuhängen. Ich denke mal nicht“, meinte sie und konnte sich
auch nicht verkneifen, dass die Mundwinkel angesichts Maras erbarmungswürdigen
Zustands nach oben gingen.
„Was habt ihr gesehen?“, fragte Zedd Artos.
„Noch nicht viel. Wir haben nicht ganz ein Drittel des Schachts nach unten geschafft.
In den Wänden sind Ringe angebracht, die möglicherweise diesen Zauber auslösen.
Sonderlich bösartig scheint das aber nicht zu sein.“
Mara stieß noch zwei Affenschreie aus, dann zeigte sie mit dem Finger nach
unten. Artos hatte keine Einwände und so ließen wir sie wieder hinab. Stück für
Stück ging es in die Tiefe, bis wir schließlich nichts mehr nachgeben konnten –
und das Gegengewicht des Aufzugs bei uns angekommen war. Ein riesiger, grob
menschenähnlicher Schädel. Mit doppeltem Unterkiefer. Wir versuchten nicht
allzu viele Gedanken daran zu verschwenden. Die anderen mussten am Boden
angekommen sein.
„Alles in Ordnung – bei euch?“, rief ich den Schacht hinunter.
„Ja. Mara ist noch ein Affe, aber mir konnte das scheinbar nichts anhaben“,
rief Artos hoch. „Sind etwa dreißig Meter bis hier herunter. Sieht … seltsam
aus. Kommt am besten schnell nach.“
„Lasst mich herunter“, schlug Suena vor, während Zedd und ich den Käfig wieder
nach oben zogen. „Vielleicht kann ich diese Magie brechen und wir sparen uns
weitere Unannehmlichkeiten.“
Der leere Käfig kam oben an, sie stieg ein und wir ließen sie herunter. Als sie
einige Meter in der Tiefe war, rief sie uns ein „Stopp!“ nach oben und wir
verharrten. Eine Minute verging. Zwei. Drei.
„Wie lange dauert – es, bis sie die
Magie ge–bannt hat?“, fragte ich Zedd.
„Hm, eigentlich nicht so lange.“ Vier Minuten vergingen. „Suena?“
Keine Reaktion. Verdutzt holten wir den Käfig wieder nach oben. Und sahen, dass
Suena noch immer darin war. Friedlich eingeschlafen lehnte sie an den
Gitterstäben und schnarchte vor sich hin.
„Artos, wir lassen Suena zu dir herunter. Sie ist wohl mit einem Schlafzauber
verhext worden“, rief Zedd nach unten.
„Eine Schläferin und ein Affe. Tolles Sammelsurium. Was aus euch wohl wird?“,
antwortete Artos.
„Brei, wenn – Mara nicht die – Kette hält“, entgegnete ich.
Der Käfig kam unten an und wenig später informierte uns Artos: „Der Käfig ist
leer und Mara schickt ihn euch hoch.“
Zedd und ich ließen die Kette los und beobachteten, wie sie gezogen und gezogen
wurde, bis der Käfig bei uns ankam. Wir stiegen ein und riefen nach unten, dass
wir bereit waren. Ein Ruck ging durch den Käfig und wir wurden herabgelassen.
Das Licht über uns wurde bald von der Decke des Käfigs verdeckt, nach unten sah
man ebenso wenig. An der Wand machten wir einen silbernen Schimmer aus. Er gehörte
wahrscheinlich zu dem Ring, den Artos mit seinen Gnomenaugen in der Dunkelheit
erkannt hatte. Plötzlich schien der Käfig enger zu werden. Die Dunkelheit um uns
nahm zu, ich erkannte nicht einmal mehr das Silber. Zedd neben mir begann
heftig hin und zu schwanken. Er packte die Eisenstangen. „Sie kommen näher,
Gor! Wir werden zerquetscht!“
„Ich sehe es auch!“, presste ich hervor, versuchte ebenfalls zu verhindern,
dass wir weiter und weiter aneinander gepresst wurden. Ich konnte kaum noch
atmen – da kamen wir unten an. Mit voller Kraft warf ich mich gegen die Tür.
Sie sprang sofort auf, Zedd und ich fielen aus dem Käfig. Hektisch blickten wir
zu dem schrecklichen Gefährt, das uns beinah umgebracht hätte … und sahen, wie
er unberührt ein Stück über dem Boden verharrte.
„Und was hat euch dazu veranlasst, euch die Seele aus dem Hals zu schreien?“,
fragte Artos und beugte sich neugierig über uns.
„Nichts“, grummelte ich und rappelte mich auf. Zedd schüttelte sich noch
einmal, dann hatte er den Schock auch hinter sich.
Wir blickten uns in dem Raum um,
in dessen Mitte der Käfig angekommen war. Von einer der fünf Wände zur
gegenüberliegenden waren es neun Meter. Das Licht, das wir bereits gesehen
hatten, stammte von blauen Kristallen, die wie Fackeln an der Wand angebracht
waren. Artos nahm sich einen von ihnen heraus. Das faustgroße Ding behielt sein
Licht und er ließ es freudig zunächst in die kleine Tasche fallen, die er
mitgenommen hatte. Der Boden des Raumes war mit einem sechs- und einem
siebenzackigen Stern bemalt.
„Symbole für die Chaosebenen“, sagte Zedd. „Das ist nicht gut.“
„Diese Tür da“, begann ich und zeigte auf eine doppelflügelige Tür. „Durch die sind
wir doch gekommen, als uns das Wasser in den Turm hineingespült hat, oder?“
„Sieht so aus. Hier ist es allerdings trocken“, meinte Zedd.
„Ob wir zu einer anderen Zeit hier sind? Wie diese Legion, die durch die Zeit
hinweg überall auftauchen kann … vielleicht sind wir dann auch gereist. Durch
die Zeit. Oder so“, überlegte Artos. „Im falschen Jahrzehnt waren wir ja vorher
schon. Jetzt sind wir vielleicht …“
„Im falschen Jahrtausend. Ist ja wunderbar“, meldete sich Mara mit ihrer
normalen Stimme wieder zurück. „Sind wir nicht ursprünglich aufgebrochen, um
unsere Situation zu verbessern?“
„Manchmal macht man einen Schritt zurück, um zwei nach vorne zu machen“, sagte
Zedd und nickte bedächtig mit dem Kopf wie es wahrscheinlich die alten Weisen
getan haben, die ihm diesen Spruch beigebracht hatten.
Von dem Raum führte nicht nur die große Tür ab, sondern auch vier kleinere. Sie
waren allesamt massiv und mit Eisen verstärkt. Aufschiebbare Luken auf Kopfhöhe
erweckten den Eindruck von Gefängniszellen. Wir gingen zur ersten Tür und
schoben das Sichtfenster auf. In einem recht großen Raum sahen wir ein auf den
Boden gezeichnetes Heptagramm. In seiner Mitte saß eine menschenähnliche
Gestalt. Ihre Haut war mit Pestbeulen überzogen. Und statt einem Menschenschädel
besaß er den Kopf eines Haifischs. Es bemerkte unsere Aufmerksamkeit und sprach
mit tiefer, raunender Stimme: „Ah, neue Besucher. Seid ihr gekommen, um mich zu
bestrafen oder mich zu befreien?“ Er sprach Vallinga, auch wenn es wirkte, als
habe er einen starken dialektalen Einschlag.
„Mit wem redet ihr?“, fragte Suena, die wieder erwacht war.
„Das wissen wir auch nicht so ganz“, sagte Zedd und trat von der Tür weg, um
ihr Platz zu machen. Leiser setzte er jedoch hinzu: „Sieben Zacken für die
siebte Ebene. Dieser Dämon muss aus der Ebene der Finsternis kommen.“
„Ein Kaligin, ja“, sagte Suena nachdem sie einen Blick in die Zelle geworfen
hatte. Vorläufig schob sie das Sichtfenster wieder zu. „Hört ihr das eigentlich
auch?“
Wir blieben einen Moment still, dann bemerkte selbst ich, was Suena meinte.
Über uns ertönten Schreie. Und Kampfgeräusche.
„Hört sich an, als hätten wir einen ungünstigen Zeitpunkt für unsere Ankunft
gewählt“, meinte Artos und versuchte ein verschmitztes Lächeln. Mara sparte sich
den nächsten Spruch.
„Ich versuche mal, aus dem Kaligin etwas herauszukriegen“, sagte Suena und
schob das Sichtfenster wieder auf. Ich fragte Artos währenddessen: „Was für
eine Art Val–l–linga spricht der Haimensch?“
„Eine veraltete Form. Vielleicht für diese Zeit eher eine neue Form. Es
entwickelt sich allmählich aus dem Maralinga ins Vallinga.“
Während sich Suena mit dem Haimenschen abmühte, der bis zu seiner Freilassung
klaren Antworten aus dem Weg gehen wollte, sahen wir hinter die weiteren Türen.
Der erste Raum war leer abgesehen von einem Tetragramm auf dem Boden. Der
nächste schien ähnlich, doch wir machten einen auffälligen Windstrudel in der
Ecke des Raumes aus.
„Ein Windelementar“, stellte Zedd fest. „He! Hörst du uns?“
„Wie würdest du merken, wenn er antwortet?“, fragte Artos.
„Hm … wenn du uns hörst, komm zur Tür!“
Doch der Windwirbel blieb, wo er war.
Wir hörten weiter Schreie von
oben. Aber was auch immer geschah, es schien uns besser, nicht unvorbereitet
hineinzustürmen. So warfen wir noch einen Blick hinter die vierte Tür, in der
fünf weitere dieser Haidämonen eingesperrt waren. Sie wirkten jedoch passiv und
reagierten nicht. Suena hatte ihren Versuch mit dem anderen Haidämon auch
vorerst aufgegeben. „Er will nichts sagen, es sei denn wir lassen ihn frei. Und
das scheint mir zu unsicher.“
„Dann lasst uns weitergehen“, sagte Mara und stieß demonstrativ die
doppelflügelige Tür auf. Dahinter erwartete uns frische Luft. Keine
Wassermassen. Das war zumindest etwas. Wir erinnerten uns natürlich an die
beiden Türen, die linker und rechter Hand abzweigten und warfen sogleich einen
Blick hinein – diesmal ließen sie sich ohne Probleme öffnen.
Hinter der ersten befand sich ein Lager für Pergament, Tinte und Federn sowie
Material für Beschwörungen, wie Suena feststellte. Und das bedeutete
Edelsteine, Armreife und weitere Schmuckstücke. Ohne lange zu überlegen,
schnappten wir uns die Schätze und steckten sie ein, soweit das die
überschaubaren Leinensäcke zuließen, die wir mit auf die ursprünglich
unterseeische Erkundung mitgenommen hatten.
„Wie könnt ihr denn einfach all diese Sachen einstecken?“, fragte Artos in
unser munteres Plündern hinein. „Sie gehören doch dem Besitzer des Turms!“
„Das mag sein. Allerdings hat der Besitzer des Turms Beschwörungssymbole und
Zeichen der Seemeister in seinem Turm“, wandte Suena ein.
„Nimm, was du kriegen kannst – und gib nichts wieder zur–ück!“, sagte ich. Mara
entdeckte sogar einen Sack mit Nüssen, den sie ausleerte und mit goldenen
Schmuckstücken füllte. Artos griff sich ein paar Nüsse, knackte und aß sie –
und warf mit den Schalen nach mir. Achtlos ließ ich sie an mir abprallen.
„Ha, du hast gezuckt! Hast du dich erschreeeckt?“, fragte er gedehnt.
„Ich zucke – die ganze Zeit!“, entgegnete ich misslaunig.
Die andere Tür führte zu einer
Waffenkammer. Mein Herz ging auf, als ich zwei Streitäxte entdeckte, von denen
ich eine an meinen Gürtel hängte und die andere direkt in die Hand nahm. Auch
die anderen statteten sich nun mit Waffen aus, die ihnen besser lagen oder
schlicht mehr Durchschlagskraft als ein Dolch hatten.
Nun gingen wir die schmale Treppe hinauf. Je höher wir kamen, desto leute
wurden die Kampfgeräusche. Bis wir schließlich die verborgene Tür von der
anderen Seite aus aufstießen und in dem schmalen Korridor des Erdgeschosses
standen. Links und rechts hörten wir Kampfgeräusche, sodass wir uns
entschlossen, direkt in die Tür gegenüber zu gehen – die Umkleidekammer. Die
Roben waren noch intakt und zeigten sich in tiefem Blau bis Schwarz und mit
rotgoldenen Fäden verziert.
„Das sind Roben, wie sie Beschwörer nutzen, um ihre Rituale zu unterstützen“,
stellte Zedd fest.
„Sollen wir uns verkleiden?“, fragte ich in die Runde.
„Hier wird gekämpft. Ich weiß nicht, ob es da ratsam ist, sich als die eine
oder die andere Seite zu verkleiden“, stellte Mara nüchtern fest.
„Seht, ein Magierstab“, meine Suena und hielt einen bearbeiteten Knochen in der
Hand. „Man muss ihn aus der Rippe eines Dämons geschnitzt haben.“
„Wollen wir so etwas mitnehmen?“, fragte Zedd.
„Nun, Dämonen sind nicht zwangsläufig böse …“, meinte Suena. „Allerdings kann
ich mit dem nicht viel anfangen.“ Die anderen Zauberer zuckten auch die
Achseln, da tauchte Artos zwischen ein paar Roben auf und hielt einen
Schlüsselbund hoch. „Seht, was ich gefunden habe!“
„Guter Fund“, sagte ich anerkennend. Mein Kopfnicken missriet im Zucken
allerdings etwas – Artos sah ein wenig verstört aus.
„Hinter dieser Tür müsste das Laboratorium liegen“, meinte Suena mit Blick auf
zweite Tür des Raumes. „Vielleicht finden wir dort ein paar Tränke. Oder Antworten, was hier überhaupt vor sich
geht.“
In dem Moment, als wir die Tür
aufmachten, wurden wir des Ausmaßes der Kämpfe bewusst. Das Labor lag vor uns,
wir erhaschten es noch einen Augenblick in seinem unbeschadeten Zustand. Dann
explodierte die vor uns liegende Wand, Steinbrocken flogen durch die Luft,
gefolgt von Feuer, das wie gierige Zungen über die Einrichtung leckte. Der
Kronleuchter an der Decke löste sich und verteilte sich als Goldregen über der
Einrichtung. Von den übrigen Bewohnern des Turms – falls es sie gab –schien
keiner so wahnsinnig, sich hier noch aufhalten zu wollen. Im nächsten Moment
erreichte das Feuer eine Reihe alchemistischer Substanzen, die in farbenfrohen
Explosionen Rauch freisetzten. Mara schmetterte die Tür zu.
„Wir sollten auf den Korridor zurückkehren“, meinte Suena, nachdem wir
durchgeatmet hatten.
Als wir diesmal auf den Gang
traten, sahen wir zum ersten Mal die Kämpfer, die hier gegeneinander fochten.
An einem Ende des Korridors leuchteten weitere Explosionen, am anderen öffnete
er sich in einen breiteren Flur und schließlich zum Innenhof. Dort auf dem Weg
standen auf der einen Seite Männer in verschiedensten Rüstungen, die nicht
zueinander zu passen schienen. Und ihnen gegenüber weitere der Dämonen mit
Haiköpfen. Sie warfen sich ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben in den Kampf.
Wir drängten uns am Rand an ihnen vorbei, Mara voran, die jeden zur Seite
stieß, der uns Aufmerksamkeit zuwenden wollte. Auf dem Innenhof sahen wir zum
ersten Mal deutlich, dass es Tag war – und sich der Turm gegen seine Belagerung
zur Wehr setzte. Von seiner Spitze aus schoss ein gewaltiger Feuerball auf ein
Ziel jenseits unseres Blickfeldes.
Auf dem Innenhof waren wir jedoch
nicht alleine. Weitere Kämpfer stürzten sofort auf uns zu. Sie trugen Rüstungen
und Waffen in verschiedenen Stilen. „Soldaten der Legion der Verdammten!“, rief
Suena aus. „Sie sind wohl hergekommen, um den Herrn des Turms herauszufordern.“
„Aber wer ist das?“, fragte Zedd. Doch bevor wir weiter überlegen konnten,
mussten wir die Angreifer überwinden, die uns offensichtlich für Verteidiger
des Turms hielten. Artos geriet in Front, tauchte aber unter den Keulenhieben
weg. Mara und ich antworteten mit Schwert und Axt – und ich wenn ich genug
Wucht in den Schlag legte, fiel das Zittern kaum noch auf.
Als die zwei Angreifer merkten,
dass wir in der Überzahl waren und uns zur Wehr setzen konnten, wandten sie
sich sofort ab und rannten davon – die Treppe nach oben.
„He! Beantwortet uns wenigstens …“, versuchte es Zedd, aber diese Legionäre
waren ebenso wenig verständig, wie diejenigen, die Dario und Jenn mitgenommen
hatten.
Die Haidämonen schienen uns
allerdings ebenso wenig wohlgesonnen. Sie hatten die anderen Kämpfer überwunden
und stürzten sich nun auf uns. Sie hielten uns wohl für Angreifer. Mit großen
Klauen versuchten sie Zedd zu greifen, der ihnen auswich. Dann begann das
nächste Scharmützel. Einer der Haimenschen stürzte auf mich zu. Zur
Verteidigung hob ich den großen Schild. Der Dämon schlug seine Zähne in das
Holz und obwohl es mit Eisenbändern verstärkt war, biss er an der oberen Kante
ein Stück heraus. Ich drückte den Dämonen weg von mir und als er gerade noch
Holz- und Metallsplitter ausspuckte, schlug ich ihm die Angst in den hässlichen
Schädel.
Nur einen Moment später wurde Zedd ein großes Stück aus dem Arm herausgebissen.
Mit einem Schmatzen ließ der Dämon den beinah faustgroßen Brocken im Rachen
verschwinden. Der nächste Haidämon war gleich zur Stelle und packte den
geschockten Priester am Schädel und schmetterte ihn gegen eine Säule, die den
Flur zum Innenhof abgrenzte. Vollständig benommen sackte Zedd zusammen und wäre
zerfleischt worden, wären nicht Mara und Artos sofort bei ihm gewesen. Mit
schnellen, präzisen Angriffen töteten sie die beiden Haidämonen.
„Wir sollten uns zurückziehen und uns um Zedd kümmern“, rief Suena gegen den
Schlachtenlärm an, der von weiteren magischen Explosionen außerhalb unserer
Sichtweite geprägt war.
„Am besten die Treppe runter“, meinte Mara. „Die Geheimräume bleiben wohl noch
am längsten sicher.“
„Wenn der Turm nicht ein–stürzt“, wandte ich ein.
„Die Zukunft sieht doch eigentlich dahingehend ganz gut aus!“, sagte Artos. Ich
versuchte nicht lange darüber nachzudenken, ob das eine Garantie war.
Stattdessen hob ich Zedd vorsichtig hoch und folgte Suena und Mara in den
Korridor. Plötzlich löste sich Suena vor mir in Luft auf.
„Suena?“, rief ich. Mara drehte sich herum und sah mich verdutzt an. „Wo ist
sie hin?“
„Sie ist einfach ver-schwunden.“
„Verdammt. Gehen wir trotzdem erstmal runter und versorgen Zedd. Dann suchen
wir Suena.“
Ich folgte ihr durch die hier noch ziemlich gut verborgene Tür in die Tiefe.
Artos schloss hinter mir und spendete uns dann mit dem blauen Kristall etwas
Licht.
Ich legte den verletzten Priester
neben den augenscheinlichen Beschwörungskreisen auf den Boden des fünfeckigen
Raums. Artos begann sofort, die Wunden zu versorgen und dazu magische Worte zu
murmeln. Scheinbar verfügte der kleine Druide auch über heilende Kräfte. Mara
stapfte zur Tür des einzelnen Haidämons und zog die Sichtluke auf. Wir sahen
wieder den Haidämon. Und Suena.
„Was machst du denn hier?“
„Ein Zauber muss mich aus dem Gang hierher beschworen haben!“
„Dann haben wir wohl keine große Wahl mehr“, sagte Mara. „Artos, die
Schlüssel.“
Beiläufig warf er sie uns zu und Mara schloss auf. Suena kam hastig zu uns
geeilt, während der Haidämon sich nur langsam herob.
„Jetzt sag, wer ist der Herr dieses Turms?“
„Mein Meister!“
„Und wer ist dein Meister?“
Die Kreatur und bleckte ihre Doppelreihe
aus kleinen, scharfen Zähnen. Vielleicht sollte es ein eigentlich
beschwichtigendes Lächeln sein.
Seine nächsten Worte gingen in einem schweren Beben unter, das den Boden unter
unseren Füßen ins Wanken brachte.
„Mein Meister setzt alles ein … wer weiß, wie lange diese Kämpfe noch andauern
werden“, sagte der Kaligin fast mehr zu sich selbst als zu uns. Dann an uns
gewandt: „Sein Name ist Skopa Vigalat.“
Mara flüsterte: „Wer war das noch gleich?“
„Der Seemeister, der sich – mit der Zeit auseinanderge–setzt hat. Erklärt
vielleicht diese – Apparatur oben im Turm.“
„Böse oder gut?“
„Vigalat wollte die Zeit manipulieren, um den Dunklen Meistern zum Sieg zu
verhelfen“, zischte Suena dazwischen. „Definitiv böse.“
„Sollen wir uns trotzdem zu ihm führen lassen? Um es auf dem schnellsten Wege
zu beenden“, schlug Mara vor.
„Einen Seemeister töten?“, fragte ich.
„Wäre auf jeden Fall etwas Besonderes“, sagte Mara und grinste wölfisch.
„Kannst du uns zu deinem Meister führen?“, fragte Suena den Dämon.
„Gewiss.“
„Warum warst du eig–entlich eingesperrt?“
„Ein Missverständnis.“ Er zeigte wieder sein misslungenes Lächeln. „Hoffentlich
kann ich es nun ausräumen.“
„Dann lasst es uns versuchen“, sagte Artos. Zedd richtete sich mit seiner Hilfe
auf. Er hatte einen dicken, etwas improvisierten Verband am Arm, während sein
halbes Gesicht blaugrün leuchtete. Aber er konnte stehen und nickte zu unserem
Vorhaben.
„Also los“, wies Mara den Kaligin an. „Und keine Tricks.“
„Mir nach.“
„Wartet – was ist mit deinen Verwandten in der anderen Zelle?“, rief Suena
noch.
„Ignoriert sie. Sie sind … verrückt geworden.“
Noch war schwer zu sagen, ob wir dem Haikopf glauben sollten. Aber es jetzt
auszuprobieren und im Zweifel gegen fünf dieser Dämonen kämpfen zu müssen,
klang nicht gerade verlockend. So folgten wir dem anderen die Treppe nach oben
und auf den Innenhof.
Vor uns liefen weitere Krieger
zielstrebig die Treppe hoch. Bunt durcheinandergewürfelt wie sie alle – doch
mit einem bekannten Gesicht zwischen ihnen.
„Jenn!“, rief Suena laut. Wir wiederholten den Ruf, doch weder sie noch ein
anderer aus ihrem Trupp drehte sich zu uns um. Der Kaligin lief ohnehin die
Treppe nach oben und so machten wir uns an die Verfolgung.
Die Treppe wandte sich in einem Bogen in den nächsten Stock, führte dort in
einen kleinen Vorraum, aus dem zwei Gänge wegführten. Jenn und die anderen
ihres Trupps liefen nach rechts. Der Kaligin nach links.
„Wem nach?“, fragte Suena.
„Jenn! Jenn hinterher!“, antwortete ich. Mara und Zedd schlossen sich dem
ebenfalls an, nur Artos rannte nach links. Auf unserem Weg erkannten wir den
Gang wieder, in dem wir gegen Aale gekämpft hatten – und sahen eine von Bolzen
durchlöcherte Leiche am Boden liegen. Die Krieger der Legion der Verdammten
schien es nicht zu stören, sie rannten weiter, am Speisesaal vorbei und auf die
Freitreppe in den nächsten Stock. Eigentlich führte hierher auch der andere
Gang, doch Artos und der Kaligin tauchten nicht auf.
„Keine Zeit zu warten“, drängte Mara und so folgten wir weiter Jenn.
Wir kamen an der Bibliothek
vorbei, das gehortete Wissen des Dunklen Meisters war noch intakt. Bis die
nächste Feuerkugel den Turm traf und dutzende der Bücher aus ihren Regalen
geschleudert wurden – und durch die geborstenen Fenster Flammenzungen erste
Opfer fanden. Im Gang vor uns hörten wir ein klirrendes Splittern. Ein großer
Spiegel war zerbrochen, einige von Jenns Begleitern hatten Splitter abbekommen
und rannten doch unbeirrt weiter. Sie erreichten die andere Seite des
Stockwerks, wir kurz hinter ihnen. Erneut Rauch, Feuer, eine weitere Explosion.
Der gesamte Turm schien einen Moment zu wanken, bis ich merkte, dass ich es
war, der vollständig aus dem Gleichgewicht geraten war.
„Ein heftiger Schlag“, meinte Mara, während Zedd sich mit der einen Hand an den
Kopf fasste und mit der anderen an der Wand festhielt.
Suena und ich liefen den Gang bis zum Ende und sahen, dass der Treffer und das
darauffolgende Beben Jenn und ihr Gefolge niedergestreckt hatte – in der Wand
uns gegenüber prangte ein gewaltiges Loch. Besinnungslos lagen die Kämpfer auf
dem Boden, zuckten höchstens noch widerspenstig. „Sie lebt noch, ist nur
bewusstlos“, stellte Suena rasch fest.
„Wir so–ollten sie fesseln. Bevor sie wieder gegen uns – kämpft.“
„Wenn sie wach wird … ja, scheint sinnvoll. Hast du ein Seil?“
Ich nickte und reichte es ihr. Es hatte sich bei unserem Tauchgang ziemlich mit
Wasser vollgesogen, erfüllte aber noch einigermaßen seinen Zweck. Jenn war
schnell gefesselt und um es ihr einigermaßen bequem zu machen, stellten wir
einen umgefallenen Sessel auf und setzten sie hinein.
„So, sie haben wir gefunden. Jetzt sollten wir sehen, ob wir Artos verloren
haben“, sagte Suena und nickend folgte ich ihr. Mara und Zedd schlossen sich
uns auf dem Weg nach unten an.
Als wir die Treppe hinunterliefen
hörten wir schon das Fluchen eines Gnoms. Dann, als wir am unteren Ende
ankamen, sahen wir Artos wieder – eingehüllt in blaugrüne Flammen, die an
seinem Körper entlangtanzten. Der Kaligin stand ihm gegenüber und versuchte an
den Speerstichen vorbeizukommen und unserem Freund den Kopf abzubeißen!
Mara und ich drängten uns an Artos vorbei. Mit seinem Speer nutzte er die Lücken
zwischen uns und zu dritt drängten wir den Kaligin weiter und weiter zurück. Er
verlegte sich nun darauf, mit seinen Klauenhänden nach uns zu schlagen. Einen
Hieb musste ich mit dem Schild parieren und spürte sofort, dass der Dämon
unerwartete Stärke in sich barg. Aber wir waren in der Überzahl. Mara stach zu
und trieb ihr Langschwert in den Bauch des Haidämons. Ich setzte mit der Axt
nach, hämmerte sie ihm in den Brustkorb. Er warf sich gegen uns, ungeachtet der
beachtlichen Wunden in seinem Körper. Plötzlich hatte ich seinen Kopf direkt
vor meinem Gesicht. Zwischen einer Doppelreihe spitzer Zähne quoll mir ein
fauliger Geruch entgegen, als die Kiefer in rasendem Tempo auf und zuschlugen. Dann
war da das Blinken von Metall direkt vor meiner Nase – und der Kopf verschwand.
Mara stand neben mir, das Schwert auf Schulterhöhe. Der Kaligin stand noch,
seine Hände hatten meinen Schild noch umklammert. Sein Kopf lag allerdings auf
dem Boden.
„Guter Schlag!“, rief Artos.
Ich fühlte vorsichtig mit einem Finger über meine Nase. „Das war k–napp.“
„Präzise war das Wort, das du gesucht
hast“, sagte Mara. „Was ist eigentlich passiert?“
„Erinnert ihr euch noch an den Raum mit dem Skelett im Himmelbett?“, fragte
Artos. „Dorthin hat der Kaligin mich gebracht. Zurzeit liegen dort viele
verwelkte Blumen herum – und eine Leiche im Bett. Ein Geist hat sich erhoben
und wollte mich angreifen.“
„Und der Dämon?“
„Der hatte das wohl geplant! Hat aber nicht mit meinen Tricks gerechnet“, dabei
zeigte Artos auf die Flammen, die noch immer an seinem Körper auf und
abhüpften. „Lebensflammen. Das hat den Geist erstmal abgeschreckt, woraufhin
der Dämon mich ins Zimmer gestoßen und die Tür hinter mir geschlossen hat.
Wahrscheinlich hat er gehofft, dass der Zauber irgendwann nachlässt. Aber“,
sagte er und grinste erneut verschmitzt. „Er hat nicht mit meinem nächsten
Trick gerechnet! Ich bin aus dem Fenster gesprungen.“
„Was? Da geht es doch sechs oder sieben Meter runter“, sagte Suena erstaunt.
„Ich falle vielleicht nicht so schnell wie andere“, meinte Artos
augenzwinkernd. „Auf jeden Fall habe ich dann meinen Speer genommen und bin
wieder hochgerannt, um diesen Verräter aufzuhalten, bevor er euch noch
hereinlegt. Stellt sich allerdings raus, dass der verflucht viel aushält.“
Nun bemerkte ich auch, dass Artos einige Kratzer und Wunden davongetragen
hatte. Nichtsdestotrotz nickte ich ihm anerkennend zu. „Stark gemacht! Die
Geschichte wirst du noch öfter erzählen müssen.“
Während wir sprachen, machte er sich daran, sich selbst zu versorgen,
allerdings war er – wie Zedd – deutlich geschwächt.
„Hat der Kaligin noch irgendetwas zu dieser Frau gesagt?“
„Er meinte, es sei die Frau, die er ‚erschreckt habe‘. Ich glaube, sie war für
seinen Meister wichtig und ihr Zustand dann auch der Grund, warum der Kaligin
eingesperrt war.“
„Ob es uns etwas bringen könnte, jetzt in ihr Gemach zu gehen?“, überlegte
Zedd.
„Im jetzigen Zustand von Artos und dir?“, sagte Suena fast mehr, als dass sie
fragte. „Wir sollten zur Spitze des Turms, wo sich Skopa Vigalat wahrscheinlich
versteckt. Und das bevor niemand mehr kämpfen kann.“
„Die Zeit drängt“, unterstrich Mara Suenas Vorschlag. Eine weitere
Erschütterung ging durch den Turm.
Wir machten uns also auf den Weg
– Mara und ich an der Spitze, Artos hinter uns, dann Zedd und Suena. Die
bewusstlosen Legionäre im nächsten Stockwerk rührten sich immer noch nicht,
durch das Loch in der Wand konnten wir kurz erkennen, dass auch um den Turm
herum die Schlacht tobte. Für uns ging es aber weiter nach oben, in den
höchsten Stock, der über die Treppen zu erreichen war. In den wir ursprünglich
hineingeschwommen waren.
„Wartet einen Moment“, sagte Zedd. „Ich segne euch, im Namen Ormuts, des großen
Lichtbringers.“ Der Priester sprach weitere unverständliche Worte, Artos und
Suena zauberten ebenfalls noch etwas. Dann wandten wir uns der Tür zu dem zu,
was meiner Erinnerung nach ein Studierzimmer sein musste – und Mara trat sie
auf.
Er stand mitten im Zimmer. Den
Blick aus dem Fenster gerichtet, mit der einen Hand blätterte er am
Schreibtisch in einem großen Folianten, mit der anderen wob er scheinbar
Zauberformeln, um den Angreifern Stand zu halten. Skopa Vigalat trug eine
dunkle Robe, über die Flammen hinweghuschten – ob nur zur magisch-dekadenten
Zierde oder zur Verteidigung ließ sich kaum sagen. Als wir eintraten, wandte er
sich uns mit spöttischer Miene zu und sagte etwas in der alten Sprache der
Seemeister. Er schüttelte die Hand, die gerade noch auf dem Folianten gelegen
hatte und aus ihr entsprang plötzlich ein anderthalb Meter langes Lichtschwert
aus fahlgrünen Flammen.
Mara und ich stürzten von links und rechts auf ihn zu, Zedd übernahm die Mitte
und Artos stach aus zweiter Reihe durch die Lücken zwischen uns zu. Suena blieb
hinten und legte mit dem ersten Fluch gegen Skopa Vigalat zu – einer der
verdammten Dunklen Meister.
Er schwang sein magisches Schwert
mühelos in einem weiten Kreis und hielt uns damit vorerst auf Abstand. Doch
dann waren wir dran. Suenas Zauber schien ihn zu treffen, als er plötzlich ohne
Berührung zusammenzuckte und einen ersten Schmerzensschrei ausstieß. Maras
Angriff wich er aus, dann noch meiner Axt, die stattdessen ein Stück aus dem
Schreibtisch hieb. Der nächste Flammenschlag des Seemeisters folgte. Wir wichen
zurück, wobei Mara ins Stolpern geriet. Skopa Vigalat setzte sofort nach und
hieb nach ihr. Sie versuchte zu parieren, wurde jedoch an der Hand getroffen
und ließ das Langschwert fallen. Doch der Seemeister hatte nun den Fehler
gemacht, einer von uns mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den anderen. Ich
schlug erbarmungslos mit der Axt zu und erwischte Vigalat am Rücken. Ein
weiterer Schmerzensschrei des Seemeisters, als sein Schulterblatt gerade so die
Wucht des Angriffs überstand. Die Flammen an seiner Robe loderten auf und
versengten meine Hand – durch das Drachenblut war sie aber schon einiges
gewohnt.
Skopa Vigalat führte den nächsten Rundumschlag aus, verfehlte uns allerdings.
Mara nahm ihr Langschwert wieder auf und zu viert griffen wir an. Er parierte
sie, wich mir aus, wehrte Suenas Zauber ab – doch Zedds Kriegshammer traf ihn
oberhalb des Knies. Es knirschte, der Seemeister schrie und machte mit seiner
freien Hand eine hastige Bewegung zur Ecke des Raumes.
Binnen eines Augenblicks entstand
dort aus dem Nichts eine große Schwefelblase – und platzte. Daraus trat ein
grob menschenähnlicher Dämon, der von Kopf bis Fuß mit dicken Schuppen
überzogen war, die wie eine Rüstung wirkten. In den Händen hielt er eine
Hellebarde und stürzte sich sofort auf mich. Den Treffer wehrte ich mit dem
Schild ab, doch er schüttelte mich so durch, dass ich kurzzeitig sogar das
Zittern vergaß.
Aber die anderen waren an Skopa Vigalat dran. Suena schickte einen Frostball,
dem er auswich. Dann parierte er Maras Hieb erneut, wich Zedds Schlag aus und
geriet ins Taumeln. Und aus dem Nichts war Artos da. Der kleine Gnom machte
einen Ausfallschritt und stach zu. Die Speerspitze bohrte sich durch die
lodernde Robe des Seemeisters, zwischen den Rippen hindurch und fand das Herz.
Das Lichtschwert in seiner Faust erlosch. Er reckte die leere Hand Artos
entgegen. Seine Finger zitterten und er versuchte etwas zu sagen, vielleicht
einen letzten Fluch auszusprechen. Doch dazu kam es nicht mehr. Er starb –
aufgespießt auf einem Speer.
Artos und Suena stießen Jubelrufe
aus, Mara und Zedd halfen mir noch, den heraufbeschworenen Dämon zu bekämpfen.
Er teilte noch ordentlich aus, lieferte sein letztes Gefecht und starb
schließlich durch Maras Hand. Dann wurde es einen Moment still im Raum. Wir
tauschten lange Blicke untereinander aus, immer wieder sah ich zu dem
niedergestreckten Skopa Vigalat.
„Haben wir gerade einen Seemeister getötet?“, fragte Suena etwas ungläubig.
„Ja“, sagte Artos. „Und einen verdammt fiesen, wenn ich mir anschaue, was er da
so aus dem Handgelenk geschüttelt hat. Beschwörungen dauern normalerweise
Stunden.“
„Vielleicht hätte er lieber lernen sollen, wie man ein richtiges Schwert
führt“, sagte Mara. Draußen hatte der Lärm aufgehört und keine Erschütterungen
gingen mir durch den Turm. Wir warfen ein Blick aus dem Fenster und sahen, wie
sich die herbeibeschworenen Dämonen in alle Winde verstreuten. Und die Soldaten
der Legion der Verdammten, die orientierungslos durch die Senke irrten.
Durch einen Axthieb vergewisserte
ich mich, dass Skopa Vigalat nicht mehr aufstehen würde, dann gingen wir nach
unten. Der Trupp, der dort aufgehalten wurde, regte sich mittlerweile wieder.
Sie sprachen in verschiedensten Sprachen durcheinander, wenn sie nicht nur in
der Ecke saßen und in die Leere starrten. Wer konnte schon sagen, was es mit
einem machte, wenn man so von seiner Heimat entwurzelt wurde. Jenn war
natürlich auch da und kämpfte mit ihren Fesseln, bis sie uns die Treppe
herunterkommen sah.
„Suena! Gor! Zedd!“, rief sie. „Wo sind wir?“
Ich kratzte mir den Bart, während ich überlegte, wo wir am besten anfingen.
Zuerst löste Zedd ihre Fesseln, dann versuchte Suena, Jenn die kürzeste Version
zu erzählen. Aus dem Staunen kam sie da kaum raus, das war selbst für eine
Gruppe von Drachentötern eine unwirkliche Situation. Sobald Jenn im Bilde war,
zogen wir weiter durch den Turm und fanden schließlich an dessen Fuß zwischen
vielen anderen verwirrten Soldaten Dario, der es mit einem Gebet an Ormut
versuchte. Dass wir in diesem Moment um die Ecke bogen, bestärkte ihn
wahrscheinlich noch.
„Grüße“, sagte er. „Dachte mir fast, dass ihr gleich hier auftauchen müsstet.
Wo auch immer hier ist.“
„Die Frage ist nicht …“, begann Zedd, aber ich unterbrach ihn: „Bitte. Nicht
schon wieder.“
Sobald auch Dario einen Überblick
hatte, was seit seinem Verschwinden passiert war, machten wir auch noch Artos‘
Wegbegleiter ausfindig. Der Mann wirkte reichlich verstört, freute sich aber,
seinen Begleiter wiedergefunden zu haben. Nun, da die Kämpfe abgeklungen waren,
hörten wir auch das Rauschen eines nahen Flusses, der durch die Senke strömte –
und an ihrem Ende einen neuen Widerstand aus meterhoch aufgetürmtem Geröll
fand. Skopa Vigalat musste mit einer Flammenkugel fast einen halben Berg
eingerissen haben.
„Wer hat die Legion eigentlich angeführt?“, fragte Suena Jenn und Dario. Doch
die beiden schüttelten nur ratlos den Kopf. „Ich erinnere mich an nichts seit
wir der Legion zwei Tage vor Diatrava über den Weg gelaufen sind“, sagte Dario
und Jenn nickte. Auf dem Schlachtfeld fanden wir lediglich noch den eisernen
Adler auf der Amphisbeana – die Standarte der Legion. Ein Symbol von Zelotis
Leukippos? Ich war dabei diese These zu verwerfen. Warum sollten sich die
Dunklen Meister untereinander angreifen?
Vorerst wandten wir uns anderen
Dingen zu. Da wir nun Zeit genug hatten, durchsuchten wir den Turm vom Boden
bis zur Spitze gründlich. Wir waren uns dabei nicht zu schade, sogar den einen
oder anderen goldenen Kerzenständer oder Weinkelche mitzunehmen. Genug Hände
zum Tragen hatten wir jetzt und der Ausflug in die Vergangenheit sollte sich
wenigstens lohnen.
Unseren wichtigsten Fund machten wir jedoch zuerst in der Bibliothek. Ein in
Silber eingeschlagenes Buch lag prominent auf einem Lesepult. Artos konnte die
Maralinga-Schriftzeichen lesen und mit jeder Seite, die er weiterblätterte,
wurden seine Augen größer. „Hier werden so genannten Zeitgläser beschrieben.
Sie sollen es ermöglichen, durch die Zeit zu reisen, wenn man sie richtig
einstellt und mit den richtigen Energien versorgt.“
„Und was sind die richtigen Einstellungen?“
„Hier wird noch auf ein anderes Werk verwiesen. Das Chronorheum Parallaxon – Über Zeitreisen. Wir sollten hoffen, dass
Vigalat es in seinem Studierzimmer hat.“
Mit dem Buch über Zeitgläser im Gepäck gingen wir zur Spitze des Turms und
fanden tatsächlich zwischen etlichen Büchern über schwarze Magie das
Chronorheum Parallaxon. Ein schwarzes Buch, in dessen Einband Silber in wirren
Formen hineingepresst wurde. Artos legte die beiden Werke nebeneinander und
blätterte fiebrig in ihnen herum, während wir den Rest des Turms plünderten.
Schließlich trafen wir uns wieder im Studierzimmer Vigalats und Artos
schilderte uns, was er gelernt hatte.
„Diese Berichte und Theoriekonstrukte gehen ganz schön in die Tiefe. Wenn wir
zurück in unsere Zeit wollen, dann müssen wir die Zeitgläser benutzen.“
„Diese silbernen Spiegel in der Spitze des Turms?“, fragte Suena, was Artos
nickend bejahte.
„Für eine Reise in unsere Heimzeit – das ist die Zeit, in der wir geboren und
die meiste Zeit gelebt haben bis zu dem Zeitpunkt, wo wir diese Zeitlinie
verlassen haben – brauchen wir sogar nicht einmal zusätzliche Energien, da wir
mit ihr verbunden sind.“
„Das bedeutet aber doch, dass wir zu unserer Normalzeit zurückreisen. Aber all
unsere Sachen liegen in der Zeit zehn Jahre weiter“, sagte Zedd bestürzt.
„Mein Vertrauter!“, ergänzte Suena in Hinblick auf ihre Katze.
„Fürst Sabados ebenso!“, sagte Artos. „Es würde allerdings unglaublich viel
Energie verbrauchen, wenn wir direkt dorthin reisen.“
„Aber wenn wir zuerst in unsere Heimzeit reisen, dann wäre der Sprung zehn
Jahre in die Zukunft nicht mehr so weit“, überlegte Suena.
Artos nickte erneut. „Das hatte ich auch schon überlegt. Wir können ja nicht
einfach Fürst Sabados allein zurücklassen.“
„Und kommen wir dann noch einmal zurück in unsere normale Zeit? Damit dieses
Hin- und Herspringen endlich ein Ende hat?“, fragte Mara.
„Das bleibt abzusehen. Ich weiß nicht, wie viel Kraft noch in den Spiegeln
gespeichert. Oder ob es überhaupt Vorräte gibt, die wir anzapfen können.“
„Allerdings ist alles besser, als in den Endzügen des Kriegs der Magier
festzustecken“, stellte Zedd fest – und damit waren unsere nächsten Schritte
klar. Wir gingen in den Keller des Turms und fuhren mit dem Aufzug wieder in
die Spitze. Artos begann an den Hebeln am Pult zu ziehen und zu drehen,
woraufhin die silbernen Spiegel Schritt für Schritt ihre Position änderten. Die
beiden notwendigen Bücher hatte er neben sich aufgeschlagen.
„Sind alle da?“, vergewisserte sich der Gnom. Sein Wegbegleiter, Jenn, Dario,
Mara, Suena, Zedd und ich – alle da. Wir nickten Artos zu und er drückte den letzten
Hebel.
Grellweißes Licht flutete den Raum.