In der Arena von Frost und Feuer

„Hilfe!“               
Der Schrei gellte uns durch die Gitterstäbe entgegen. Dahinter lag eine Höhle, die grob erweitert worden zu sein schien. Hinter dem ersten Gitter lag eine Art Flur an den vier kleinere Kammern in den Fels abzweigten, allesamt mit eigenen Eisenstangen und Türen gesichert. Eine der Türen war aus ihren Angeln gebrochen, den verbogenen Scharnieren nach zu urteilen von innen.       
Unsere Aufmerksamkeit richtete sich jedoch zunächst auf die hinterste Kammer – abgeteilt durch einen Vorhang.    
„Hilfe! Ist da jemand? Bitte, helft mir!“

Suena nahm die Schlüssel von der Wand und öffnete die erste Tür. Ohne den anderen Kammern mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken, ging sie zum Vorhang. Als sie ihn zurückgezogen hatte, konnte man dahinter eine junge Frau mit schulterlangem, braunem Haar sehen. In zerschlissener Kleidung hockte sie in einer Ecke, die Beine eng an sich gezogen.                
Wir folgten Suena. Zwei der drei übrigen Zellen waren leer, davon erwartungsgemäß diejenige ohne Tür. In der dritten lag ein Halbling, zusammengekauert auf dem Stroh, das seine Schlafstätte zu sein schien. Suena schloss die Tür zur eingesperrten Frau auf, dann warf sie den Bund nach einer knappen Aufforderung Mara zu. Die brünette Frau stand auf und kam langsam auf Suena zu.              
„Danke! Vielen Dank! Ich war so lange hier eingesperrt! Wie heißt ihr?“            
„Ich bin Suena, das sind meine Gefährten. Und Ihr?“   
„Rachel“, erklärte die Frau knapp. Dann fragte sie etwas unsicher: „Ihr seid doch keine Freunde von ihm, oder?“        
„Von wem?“    
„Von Wydor?“
Ich runzelte die Stirn, Suena ging es wohl ähnlich. „Dem Drachen? Nein, eher das Gegenteil.“               
„Drache? Ich kenne keinen Drachen. Wydor ist ein magischer Halbling“, erklärte Rachel ihre Sicht der Dinge.  
„Ein magischer Halbling?“, fragte ich.   
„Nun ja … ein Zauberer halt.“   
„Was hat er denn getan, dass ihr an seine Zauberkräfte glaubt?“           
Rachel kaute auf ihrer Lippe, ehe sie antwortete: „Er hat mich einschlafen lassen. Als er mich gefangengenommen hat. Ich war einfach nur eine Wirtshausgehilfin, er hat sich als kranker Gast ausgegeben. Einen Teller Suppe sollte ich auf sein Zimmer bringen. Doch als ich es betrat, verlor ich das Bewusstsein … und erwachte in dieser Zelle hier.“          
„Was wollte Wydor von Euch?“, fragte Suena, die Rachel beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. Deren bebende Unterlippe ließ etwas nach. Nach einem Schniefen erklärte sie: „Der verrückte Halbling sagte, er wolle mich zur Frau.“                
„Seid Ihr denn sein Typ?“, fragte ich etwas platt.           
„Was soll das denn heißen?“, fauchte sie.         
Ich räusperte mich, die Wortwahl war mir doch etwas unangenehm. „Nun, wir haben ein großes Wandbild einer jungen, blonden Frau gesehen … vielleicht war das eher etwas nach seinem Geschmack.“       
„Haare lassen sich auch färben“, meinte Suena augenrollend.
„Ist das so?“, erwiderte ich verwundert. Das hatte ich noch nicht gesehen. „Aber wenn wir dabei sind: Dieser Wydor, hatte er zufällig blonde, vielleicht fast goldene Haare?“          
„Nein, es war so kraus wie bei jedem dieser kleinen Tunichtgute. Und schwarz.“          
„Dieser Halbling ist übrigens tot“, erklärte Mara und nickte mit dem Kopf in Richtung der Zelle, die sie in der Zwischenzeit untersucht hatte. „Verhungert.“            
„Ja, es gab schon länger nichts zu essen“, bestätigte Rachel. „Ich habe hier zwar kein Tageslicht zur Orientierung, aber es könnten fast zwei Wochen gewesen sein.“      
„Dann sollten wir erst einmal in die Küche gehen“, schlug Suena vor. „Ich weiß wie es ist, wenn man nichts zu essen hat.“                
Die Lidralierin stützte die etwas schwächlich wirkende Rachel auf dem Weg zur Küche, Mara und Jenn begleiteten sie. Ich warf noch einen kurzen Blick auf die sonderbare Zelle mit der herausgesprengten Holztür. Zedd kniete stirnrunzelnd neben ihr. Mit den Fingern fuhr der die Furchen nach, die Krallen in die Innenseite des Holzes geschlagen hatten.     
„Das war kein Mensch. Aber auch kein Tier, das mir bekannt ist“, sagte der Priester nachdenklich. Ich suchte im Inneren der kleinen Kaverne nach Zeugnissen des einstigen Bewohners. Doch weder Fell- noch Schuppenreste wiesen auf einen tierischen Bewohner hin. Zudem waren da noch einige Essenreste, die aber von Nahrung stammten, die auch ein Mensch zu sich genommen haben konnte.
„Seltsam“, stellte ich ratlos fest.             
„Vielleicht ein Gestaltwandler“, meinte Zedd. „Aber das ist weit hergeholt. Wirkliche Beweise gibt es hier keine.“      
„Aber wo du das gerade sagst“, murmelte ich. „Kann es sein, dass es sich bei Wydor dem Halbling und Wydor dem Drachen um dasselbe Wesen handelt?“               
„Von so etwas habe ich noch nie gehört“, sagte Zedd. „Allerdings trifft das auf einiges zu, was ich bisher in diesem Tal gesehen und erlebt habe. Also ausschließen würde ich nichts.“             
„Dann könnte uns Rachel durchaus von Nutzen sein“, überlegte ich laut. Der Priester hob die Brauen, kommentierte einen solchen Gedankengang jedoch mit keiner Silbe.

Wir gingen zu den anderen in die Küche, wo sich Rachel behutsam mit Essen aus den Vorräten versorgt hatte. Sie schien sich bereits etwas von ihrer Haft zu erholen und dachte nun weiter: „Was habt ihr vor? Wollt ihr zurück ins Dorf? Würdet ihr mich mitnehmen?“       
„Das Gegenteil“, erklärte Mara. „Wir jagen Wydor – den Goldenen Drachen. Er kann nicht weit sein.“
„Oh!“, rief Rachel aus. „Dann kann ich nicht mit euch kommen! Ich möchte nicht in Drachenfeuer enden! Kann mich nicht jemand von euch zum Dorf bringen? Ihr da“, sie wandte sich an mich. „Ihr seht kräftig aus! Sicher kann ein Krieger wie Ihr mich in Sicherheit bringen?“     
„Nun, Sicherheit ist in diesem Tal eine trügerische Sache. Es gibt hier weit und breit keine wirklich lebendigen Bewohner“, winkte ich ab. Rachel seufzte. „Was soll ich denn jetzt tun?“    
„Ihr könntet in die Zelle zurück und wir geben euch den Schlüssel“, schlug Jenn vor. „Dann seid ihr sicher, könnt aber jederzeit fliehen. Zum Beispiel, wenn wir zurückkommen.“     
„Nein! Ich will nicht in diese Zelle zurück!“, rief sie schrill.          
„Dann kommt mit uns mit. Bleibt in unseren Rücken, haltet Euch bedeckt. Wenn es schlecht aussieht, könnt Ihr immer noch fliehen“, schlug ich vor. Mara schien jedoch nicht sehr überzeugt. „Ich halte nicht viel von dieser Idee. Wir bringen sie in Gefahr und außerdem …“, sie sah die junge Frau von oben bis unten an. „Können wir keinen Ballast gebrauchen.“                
Ich wechselte auf die Vallinga, welche Rachel hoffentlich nicht verstand, um leise meine Gedanken darzulegen: „Wenn sie wirklich die Frau von Wydor werden sollte – und Wydor der Halbling gleichzeitig Wydor der Drache ist. Dann könnte sie uns nützlich sein.“  
„Als Geisel?“, sagte Suena, irgendwo zwischen Erschrecken und einer leisen Zustimmung.      
„Ach, du willst sie doch nur mitnehmen, weil sie hübsch anzusehen ist und ein halbes Kompliment über deine Muskeln gemacht hat“, giftete Mara. Verdutzt über den scharfen Ton blinzelte ich ein paar Mal, doch es war Rachel, die scheinbar nachgedacht hatte und die nächsten Worte auf Comentang sprach: „Ich werde euch begleiten … ich glaube, das ist immer noch das sicherste, was ich tun kann.“

Mara stieß noch einmal Luft aus und verdrehte die Augen, doch sie legte keinen Einspruch mehr ein. Wir machten uns also auf den Weg, Wydor nachzusetzen. Dafür wählten wir nun die Treppe nach oben. Während wir die Stufen nach oben stiegen, fragte Zedd unsere neue Begleiterin nach dem Wesen in der zerstörten Zelle.             
„Die Bestie!“, sagte Rachel und erschauerte. „Ein schreckliches Tier, es hat gefaucht und gekratzt, die ganze Zeit an der Tür gekratzt. Bis es schließlich ausgebrochen ist.“  
„Habt Ihr es jemals zu Gesicht bekommen?“    
„Nein, ich hatte doch diesen Vorhang vor meiner Zelle hängen.“           
„Hm“, machte Zedd. „Aber die Tür ganz nach außen war nicht zerstört. Seltsam …“      
Wir hatten das Ende der Treppe erreicht. Mara war an erster Stelle, legte die eine Hand an den Bihänder, die andere an die Klinke – und stieß die Tür auf.

Dahinter lag ein gemauerter neun auf neun Meter großer Raum, der nur in der rechten hinteren Ecke einen weiteren Ausgang in Form einer Holztür hatte. Beleuchtet wurde das Innere von Fackeln an den Wänden. Deren Licht fiel auch auf den einzigen Einrichtungsgegenstand des Zimmers: einen hölzernen Thron in der Mitte. Darauf saß eine blonde Frau in Kettenrüstung mit metallenen Schutzschienen an Armen und Beinen. Ihre Haut wirkte dunkel und uneben – fast als hätte sie Schuppen am gesamten Körper. Quer über die Armlehnen lag ein zweihändiges Schwert.                
Aus tief in den Höhlen liegenden Augen über eingefallenen Wangen blickte uns diese sonderbare Gestalt an.

Zedd trat an Maras Seite und hielt prüfend seinen Kriegshammer in den Türrahmen.
„Bei allem, was dir heilig ist“, fing ich an. „Aber renn da jetzt nicht einfach rein.“            
„Nein, nein, mach ich schon nicht. Ich wollte nur sehen, ob hier Fallen …“         
Die Frau mit der Schuppenhaut erhob sich, machte einige Schritte und stand dann vor der Tür in der Ecke des Raumes. Offensichtlich sollte sie unseren Weg blockieren.          
„Vorbereiten“, sagte Mara und zog ihren Bihänder. Zedd faltete die Hände auf und sprach seine Gebete. Jenn und ich zückten ebenfalls unsere Waffen.         
„Wir werden sie nicht alle gleichzeitig angreifen können, wenn sie in der Ecke stehenbleibt“, merkte ich an. „Ich kann zunächst zurückbleiben, wenn ihr voranstürmen wollt.“            
„Klingt gut“, erklärte sich Mara einverstanden. Dann war Zedd fertig mit seinem Gespräch und die Elfe stürmte in den Raum, Jenn und der Priester hinter ihr. Ich blieb bei Suena, dem Wolfshund Utz und Rachel, die sich dicht hinter unserer Zauberin duckte.

Unter lautem Klirren schlugen die Waffen aufeinander, die seltsame Frau parierte mit ihrem Zweihandschwert die ersten Angriffe, als wären sie nur ein leichtes Ärgernis. Dann schlug sie zurück, ein Längsschlag – der Jenn mit voller Wucht traf. Die Klinge schlitzte den Lederpanzer auf, Blut schoss hervor. Die Ywerdonnerin taumelte zurück, nicht tödlich getroffen, doch zu schwer, um weiterzukämpfen.              
„Das hat ja nicht lange gedauert“, brummte ich und stellte mich mit erhobenen Schild vor sie, um ihren Rückzug zu decken. Der nächste Rundumschlag der Schuppenfrau ließ nicht lange auf sich warten – überrascht von dieser Wucht wäre ich fast zurück getaumelt.

Und obwohl das lange Schwert von meinem Schild abgelenkt wurde, führte die Wächterin es noch weiter, lenkte es gen Mara. Deren Bihänder war zur Parade gehoben, doch die abrupte Richtungsänderung überraschte sie – die Klinge fuhr direkt auf ihr Gesicht zu.            
Die Elfe ließ sich nach hinten fallen, das Schwert zischte über ihre Nasenspitze hinweg. Doch Mara war fern davon gewesen, auch das Gleichgewicht zu verlieren. Aus tiefem Stand konnte sie die Bewegung auffangen und federte plötzlich wieder nach vorne. Die Spitze des Bihänders schoss auf die geschuppte Wächterin zu, die sie jedoch abzuwehren vermochte – gerade so.

Plötzlich erklang hinter uns ein lautes Fauchen und Zischen, Utz winselte, Jenn stieß einen erschreckten Ruf aus.       
„Wir werden angegriffen! Aber seht sie nicht an!“, rief Suena.               
„Was soll das denn heißen?“, rief ich nach hinten, während Zedd seinen Angriffswirbel aus unmenschlich schnellen Hammerschlägen auf die Wächterin niedergehen ließ. Diese wich Attacke für Attacke aus, doch ihr Bewegungsspielraum wurde enger.   
„Halt einfach den Blick auf den Boden!“             
„Geh zu Suena“, sagte Mara, die unsere ursprünglich einzige Gegnerin mit Zedd in die Zange nahm. Ich überlegte noch, einen Vorstoß zu unternehmen – da erklang hinter mir wieder das eigentümliche Zischen, wie von einem Dutzend Zungen. Schlangen?

Ich wandte mich ab, versuchte den Blick auf dem Boden zu halten. Jen stand hinten an der Wand, Suena war mit Utz bei Rachel … oder dort wo Rachel gestanden hatte. Die langen, glatten Beine, die unter dem zerschlissenen Rock hervorgelugt hatten, waren nun gräulich und dick, die Haut trug Pusteln und Entstellungen. Unwillkürlich wanderte mein Blick den Körper hoch, der wie aufgedunsen war. Kurz sah ich obenauf etwas zucken, ein Gewirr auf dem Kopf. Das Zischen von Schlangen.
„Was ist das für eine Ausgeburt?“, brüllte ich und stellte mich an Suenas Seite, die sich nun dankbar zurückzog.           
„Eine Gorgo! Sieh ihr verdammt noch mal nicht in die Augen!“               
Da sprang Utz an meiner Seite hoch, versuchte die Kehle der Kreatur zu erwischen. Mitten in der Luft erstarrte er, das weiche Fell verlor jede Bewegung, die Muskeln krampften an Ort und Stelle fest … wie Stein. Utz ging zu Boden. Er war zu Fels geworden.

Ehe ich verarbeiten konnte, was hier gerade geschah, schoss ein Dutzend Schlangenmünder auf mich zu. Ruckartig hob ich das Schild – nicht zur Abwehr, sondern zum Angriff. Die Giftzähne sollten sich am Holz abmühen, ich schmetterte meinen Schild weiter, spürte etwas Widerstand und fauchend taumelte die Rachel-Gorgo zurück. Mühsam widerstand ich dem Drang, aufzusehen, verließ mich auf die vagen Bewegungen, die ich im Augenwinkel ausmachen konnte.      
Die Kombination aus Zedd und Mara ging indes voll auf. Ein Schlag rechts, ein Schlag links. Mit seinem ungeheuren Tempo trieb der Priester die Wächterin hin und her, bis sie einem Stich Maras nicht mehr ausweichen konnte. Der blanke Stahl bohrte sich durch den Rücken aus dem Oberkörper heraus. Doch kein Blut floss und die Kreatur wandte und wandte sich weiter – bis Zedd auf ihren Schädel einschlug. In diesem Moment erlosch die Gegenwehr des Monstrums und sein Körper zerfiel zu Staub.

Ich deckte Suenas Rückzug, ging zunächst auf volle Verteidigung. Zedd und Mara konnten gleich zur Unterstützung kommen. Die Schlangen der Gorgo, die von ihrem Kopf aus anzugreifen schienen, fuhren wieder und wieder über meinen Schild hinweg. Fanden eine Lücke. Kleine Zähne schlugen sich in die Haut, fanden die kleinen Lücken in der Rüstung. Kaum ein Ärgernis zunächst … doch das Gefühl, als würde sich mein Fleisch unmittelbar entflammen, kündete mir vom Gift.

Dann waren Mara und Zedd an meiner Seite, hielten die Köpfe gesenkt und wir drangen mit Hammer, Axt und Schwert auf die Gorgo ein – während Suena magisches Störfeuer auf sie niedergehen ließ. Sie fauchte, ihre Schlangen zischten. Sie musste erkennen, dass es hier endete. Zedd stürzte sich schließlich ungeachtet jeder Abwehr auf sie, die Schlangen bissen ihn in die Schulter, doch er schwang den Hammer … und es endete. Die Gorgo schlug vor uns auf den Boden und war tot.                
„Utz!“, rief Jenn und lief zu dem versteinerten Wolfshund. Absolut regungslos lag er da. „Ist er tot?“
„Es gibt Möglichkeiten, ihn von diesem Bann zu befreien“, sagte Suena. „Aber …“        
„Kannst du es? Oder Zedd?“    
Der Priester schüttelte den Kopf, während er blasser werdend auf den Hund sah. Suena setzte ihren Satz fort: „… ich kann es nicht. Vielleicht kann sich, wenn all das hier rum ist, Boged Utz ansehen. Offensichtlich ist er ein mächtiger Zauberer.“                
Zedd lehnte sich gegen eine Wand. „Ich glaube, mir geht es nicht so gut“, sagte er leise. Er rutschte den Fels herunter. Die Adern an seinem Hals begannen sich schwarz zu verfärben.    
Suena und ich waren sofort bei ihm. „Was passiert mit ihm?“, fragte ich.           
„Wahrscheinlich das Gift der Gorgo“, sagte Suena, die die Bisswunden offenlegte. Die Schlangenzähne hatten sich mit bunter Färbung im Fleisch eingebrannt.             
„Aber mich hat sie doch auch erwischt.“             
„Glück gehabt, würde ich sagen“, hielt es die Lidralierin knapp. „Das Gift ist schon fortgeschritten. Das ging schnell. Zedd muss es aussitzen.“      
„Wunderbar“, ächzte der Priester. Die schwarze Färbung breitete sich nicht weiter aus. Er begann zu schwitzen und zu zittern, doch Suena befand: „Er ist wenigstens stabil.“

Während Jenn bei Utz kniete, Suena und ich bei Zedd hatte sich Mara die Überreste der geschuppten Wächterin angesehen. Dort lag zwischen dem Staub und der Asche eine kleine Echse, aber auch das Schwert der Übermannten. Die Elfe hatte es in die Hände genommen und blickte es lange an. Zedd würdigte sie keines Blickes, auch für Utz‘ Zustand hatte sie kein Wort. Gebannt betrachtete sie das Schwert.   
„Mara … ist alles in Ordnung?“, fragte Suena. Ein kurzer Schatten huschte über das Gesicht der Elfe, als sie sich zu uns umdrehte, stellte sie ihren Körper vor das Schwert … als wollte sie es beschützen. „Alles in Ordnung“, erklärte Mara. „In bester Ordnung.“          
Mara und Suena meditieren nach diesem Kampf eine Weile, in der Jenn und ich über Zedd wachten. Das Gift schien bald durch ihn durchgerauscht und richtete keinen weiteren Schaden an. Doch das machte seine blasse Erscheinung, die zittrigen Hände kaum besser, den Schock allgemein nicht besser. Als wir weitergehen wolten, musste ich ihn stützen. Jenn warf jedoch noch einen scheuen Blick in die Ecke des Raumes.              
„Ist der Gorgo-Schädel noch gefährlich?“           
„Ja!“, sagte Suena schnell.         
„Könnten wir ihn als Waffe einsetzen?“             
„Theoretisch …“              
„Das ist doch Wahnsinn. Du hältst ihn einmal schief, dann wirfst du selbst zu Stein“, warf ich ein.
Doch Jenn ließ sich nicht abhalten, griff ohne hinzusehen den Schädel, dessen Schlangen sich nicht mehr wehrten, und steckte ihn in einen Beutel.

Auf die Tür folgte eine Kreuzung. Linkerhand ließ sich am Ende des Höhlengangs eine Tür ausmachen, rechterhand wurde die Höhle weiter und höher. Wir beschlossen, zunächst den natürlichen Teil dieses unterirdischen Systems abzusuchen.                
Der Gang weitete sich aus zu einer weiten Felskaverne, die jedoch von einigen Stalagmiten befreit worden war, um Platz zu schaffen. So konnte sich in der Mitte ein hohes, steinernes Portal erheben. In ihm waren jedoch keine Türflügel eingehängt und dahinter lag auch kein einfacher Raum. Die Luft im inneren des dunklen Steins flirrte und flackerte – zeigte von der einen Seite eine grüne, von der anderen eine blaue Färbung.               
„Das muss das Dämonenportal sein, von dem Boged gesprochen hatte“, stellte Suena fest.   
Jenn erinnerte sich: „Wenn wir uns an Trasons Schrift halten, bedeutet das, wir können hier hindurchgehen. Und auf der anderen Seite das blaue Tor suchen, das dieses hier zerstört, wenn man hindurchgeht.“          
„Wenn du das sagst“, brummte ich – diesen ganzen Hokuspokus rund um die Beschwörungstore hatte ich noch immer nicht verstanden.          
„Aber vielleicht sollten wir vorher noch sehen, was dort um die Ecke liegt“, merkte Mara an. Ein weiterer Gang führte aus der Höhle hinaus. Wir warfen einen Blick dort entlang, sahen, wie sich Sternenlicht durch eine breite Öffnung in der Felsdecke auf eine Art natürliche Arena von etwa hundert Metern Durchmesser legte. Ein perfekter Ort zum Rasten für einen Drachen.

Von Wydor fand sich dort jedoch keine Spur.  
Zedd und Jenn waren schwer angeschlagen, daher beschlossen wir, uns zunächst wieder zurückfallen zu lassen. Insbesondere der Priester sollte zumindest auf den eigenen Füßen stehen können, wenn wir uns dem Dämonenportal näherten. Also gingen wir durch die hölzerne Tür am anderen Ende der Weggabelung.             
Dahinter lag ein Raum, der vollständig gemauert war. Ähnlich wie die Schlafgemächer merkte man hier kaum noch, dass man sich in einem nutzbar gemachten Berg befand und nicht auf der Burg eines Adeligen. Der Platz war zweigeteilt. Der linke Teil, den man durch die Tür betrat, war weitestgehend leer. An der Wand zogen sich jedoch Schlachtenreliefs entlang, die auch vor brutaleren Details nicht zurückschreckten. Einbezogen waren nicht nur Menschen und für einiges konnte ich mir nicht mal einen Begriff einfallen lassen.               
Rechts von uns war ein Teil des Raumes durch eine Mauer abgetrennt. Sie verlief nur bis zwei Meter vor der Wand, den Rest sperrte ein eisernes Gitter ab. Eingelassen war eine Tür, die, wie Mara schnell testete, unverschlossen war.       
„Seht. Hier liegen drei Truhen hinter der Wand.“           
„Ich glaube, ich verzichte vorerst auf weitere Fallen oder dergleichen“, gab Zedd zu Protokoll. Angesichts seines Zustands war etwas Pessimismus wohl angebracht. Ich legte ihn unterhalb des Wandreliefs ab, Jenn gesellte sich zu ihm – dann machten sich Mara, Suena und ich an die drei Truhen.

Sie waren mit Schlössern gesichert, doch für solcherlei waren wir mittlerweile gerüstet. Ich zückte das Brecheisen, setzte es an und knackte die erste Truhe.       
Ein Schwall giftgrünen Rauchs schoss mir entgegen und ehe ich blinzeln konnte, war ich gänzlich eingehüllt. Ich hörte, wie die anderen zur Seite sprangen. Wollte es ihnen gleichtun. Musste ja nicht länger als nötig in dieser Wolke stehen.   
Ich hatte das Gefühl, zu kippen. Jetzt der Hechtsprung zur Seite. Doch mir wurde auf seltsame Weise schwindelig, als würde ich mich bewegen und trotzdem stillstehen. Ich versuchte mich, hin und herzuwinden.

Der Nebel lichtete sich. Ich stand noch immer vor der Truhe. Ich hatte nicht gewankt – im Gegenteil: Ich war starr wie eine Statue.

Jeder Versuch, auch nur zu zucken, verhallte ungehört in den Muskeln. Ich war mir sicher, dass ich mich bewegen können müsste. Doch nichts geschah. Suenas Gesicht tauchte vor meinem auf.             
„Das sieht nach einer magischen Lähmung aus“, stellte sie fest. Dann spürte ich kräftige Hände an meinen Schultern und wurde zur Seite getragen. Mein Körper ließ sich formen, Mara stellte mich aufrecht in eine Ecke. Doch all meine eigenen Gedanken brachten nichts. Das absolute Nichtstun … nur atmen gelang mir noch. Auch wenn es sich anfühlte, als läge ein schwerer Stein auf meiner Brust. Mein Körper war mir zum Gefängnis geworden.       
„Diese Lähmungen halten nicht ewig. Im besten Fall bist du in einem Tag wieder einsatzbereit.“
Unfähig, eine Reaktion zu geben, ließen Suena und Mara mich schließlich dort – etwas abseits der Truhen – stehen und kümmerten sich um den Inhalt der Truhen. Sie förderten ein paar Bücher zutage, sowie ein lächerliches Häufchen an Silbermünzen. Die weiteren Truhen beinhalteten keine Giftwolken, dafür jedoch zwei seltsame Hemden, die aus Herbstblättern gewoben waren. Eines davon zog sich Jenn neugierig wie sie war direkt an, das andere verstaute Mara in ihrer Tasche. In dieser Truhe befand sich darüber hinaus noch ein Magierstab aus schwarzem Holz, dem Bogeds nicht unähnlich – auch wenn die Färbung bei Suena offensichtliches Unbehagen weckte. Die letzte Truhe beinhaltete einen Helm mit Nackenschutz und einige Phiolen. Unsicher, was damit zu tun sei, verstaute Suena sie zunächst. Den Helm drückte mir Mara in die Hand.

Während ich zur Untätigkeit verdammt in der Ecke stand, überlegten die anderen, wie wir weiter vorgehen sollten.
„Wir müssen zunächst warten, bis Gor sich wieder bewegen kann“, sagte Suena.        
„Jenn und Zedd sind jedoch auch schwer angeschlagen“, stellte Mara fest.     
„Ich könnte mich um Jenns Wunden kümmern … wenn ich wieder bei Kräften wäre“, meinte der Priester. „Aber gerade spüre ich noch die Wirkung des Gifts dieser Kreatur Alamans in meinem Körper.“        
„Zedd heilt Jenn, aber wer heilt Zedd?“, fragte Suena. „Haben wir noch Heiltränke?“
„Woher? In letzter Zeit sind wir nicht vielen Alchemisten begegnet … zumindest welchen, die uns welche angeboten hätten.“             
„Was ist mit dem Sanustrank?“, warf dann Jenn ein. „Wir geben Zedd den Trank, dann kann er mich heilen. Und Gor ist morgen wieder bewegungsfähig.“        
Blut schoss mir in den Kopf. Ich versuchte, mit hektischen Augenbewegungen auf mich aufmerksam zu machen.       
„Laut Boged ist es ein mächtiger Heiltrank“, sagte Suena. „Das könnte funktionieren.“              
„Der Trank für Helden. Das sollte gut überlegt sein“, meinte Zedd. „Ich würde mich geehrt fühlen, wenn ihr ihn mir geben wollt. Dann kann ich in Ormuts Namen auch den Hammer auf diesen verdammten Drachen niedergehen lassen.“      
„Wenn wir alle einer Meinung sind“, sagte Mara, die den Trank bisher verwahrt hatte. „Dann geben wir dem Priester jetzt den Trank.“       
Mit sicherlich hochrotem Kopf stand ich in der Ecke. Aber die anderen waren sich alle einig.

Zedd nahm den Trank und gewann binnen eines Augenblicks seine verlorene Lebenskraft zurück. Mit fast schön geröteten Wangen machte er sich ans Werk und heilte Jenn mithilfe seines Sonnenfreundes. Wir waren wieder einsatzbereit – meine Starre außen vorgelassen. Die Ywerdonnerin nutzte unsere Zwangspause, um die Bücher zu studieren, welche in der Truhe versteckt gewesen waren.

Bis zum nächsten Abend harrten meine Gefährten bei mir in dem Raum aus, bis ich meinen Körper und den steif gewordenen Rücken nicht nur spüren, sondern auch wieder bewegen konnte. Mit einem lauten Seufzen rollte ich mich ab, was meine recht unsanft aufeinandergedrückten Wirbel nach einem Tag dankbar begrüßten. Dann wandte ich mich meinen Begleitern zu. Und es brodelte in mir hoch.     
„Einig wart ihr euch, ja? Also alle waren sich einig, dass wir dem Priester den Trank geben? Und es wurden auch alle Einwände gehört, ja?“, polterte ich los. Verdutzt blickten mich die anderen an – nach einem Tag als Statue hatten sie wohl noch etwas mehr Ruhe erwartet.          
„Wydor wollte den Trank, ihr Narren! Vielleicht war dieses Gebräu eine Möglichkeit, ihn zu erpressen, sollte der Kampf zu unseren Ungunsten ablaufen. Eine Sicherung für uns. Oder hatte noch ein Dutzend andere Anwendungsmöglichkeiten, als es einer aranischen Kehle hinter zu spülen.“
Suena presste die Lippen aufeinander und wog sich hin und her. Auch die anderen waren überrascht. Sie hatten die donnergrollende Forderung des Drachen vergessen.  
„Ich setze lieber alles auf den Kampf als auf irgendwelche Ausweichstrategien“, entgegnete mir Mara. „Das hat ja mit der Gorgo auch schon nicht so gut funktioniert, oder?“      
„Nur, dass Wydor den Trank eigens gefordert hat.“      
„Wir können ihm ja einfach einen anderen Trank geben, wenn es so weit kommen sollte“, meinte Zedd.        
„Abgesehen davon, dass er ein mächtiger Zauberer und Alchemist war, funktioniert das sicherlich prächtig“, gab ich säuerlich zurück.            
„Was willst du jetzt machen? Mit der Axt auf uns losgehen?“, fragte Jenn plötzlich. Verdutzt sah ich sie an. „Ich bin kein Berserker. Aber ihr habt mir und uns einen verdammt schlechten Dienst erwiesen, als ihr meine Lähmung so ausgenutzt habt.“  
„Als würdest du es nicht anders bei uns machen!“, zischte Mara mit hoher Stimme – und ohne jede Begründung.      
„Wenn es jetzt soweit kommt, sicherlich“, gab ich da nur mit einem bösen Grinsen zurück. Während die anderen noch auf fadenscheinigen Entschuldigungen herumkauten, meinte Suena schließlich: „Ja, wir hätten wenigstens warten sollen, bis du dich zu Wort melden kannst. Aber jetzt sind wir zumindest einsatzbereit.“                
„Vielleicht noch kurz vorher: Die Bücher, die in der Truhe waren, berichten von wenig Gutem“, berichtete Jenn. „Menschenopfer, der Nutzen von Blutmagie. Also ich bin ja keine Zauberin, aber …“
„Das klingt nicht gut. Wir sollten diese Bücher verbrennen“, unterbrach sie Suena scharf.        
„Gleich verbrennen? Aber wir könnten sich doch sicherlich verkaufen!“            
„Und damit einem weiteren Hexenmeister dieses Wissen an die Hand geben? Das führt zu noch mehr Unheil!“          
„Hm … vielleicht reden wir drüber, wenn alles andere erledigt aus“, wich Jenn aus, woraufhin Suena ihr die unzweideutige Antwort gab: „Ja. Darüber werden wir reden.“               
„Also – Lasst uns Dämonen töten!“, sagte Mara mit einem Funkeln in den Augen und tätschelte den Griff ihres neuen Bihänders, den sie der Schuppenwächterin abgenommen hatte.          

„Denkt daran: Wir müssen alle durch die blaue Seite gehen. Wenn jemand durch die grüne Seite schreitet, wird das Portal zerstört“, wiederholte Jenn.    
„Dann stecken wir auf der Ebene der Dämonen fest“, ergänzte Suena. Nach den mahnenden Worten reihten wir uns hintereinander vor dem Portal auf. Blaues Licht flackerte uns entgegen, Mara stand natürlich an erster Stelle. Den Bihänder zum Schlag erhoben … sprang sie durch das Portal. Jenn folgte ihr, dann schritt ich hindurch.

Die Welt verschwand in einem blauen Flackern, das mich einen Moment lang gänzlich blendete. Dann sah ich über eine weite Ebene hinweg, bedeckt von nichts als schwarzem Staub. Kein Wind ging, um ihn zu verwehen. Allenfalls die Tritte von Mara und Jenn und den uns nachfolgenden Suena und Zedd wirbelten das tote Feld auf. Unter der Asche offenbarte sich dabei karger Fels. Hier gab es nichts. In alle Himmelsrichtungen gab es bis zum Horizont nur diese leere Ebene, in der ein paar Hügel fast schon wie segensreiche Abwechslung erschienen. All dies lag unter einem Himmel ohne Sonne, der rot glomm, als zeige er den Nachhall eines gewaltigen Feuers.       
„Keine Dämonen weit und breit“, stellte Mara fest und wirkte beinah ernüchtert.       
„Überhaupt kein Leben“, ergänzte Zedd. „Eine gottlose Ebene.“                          
Jenn und Suena hatten sich indes dem Portal zugewandt, durch das wir gerade geschritten waren. Es schimmerte blau – jedoch von beiden Seiten.        
„Wir müssen das grüne Portal finden. Dann können alle anderen hindurch, einer dort und dieser Spuk hat ein Ende“, stellte die Hexe fest. 
„Dann lasst uns schnell machen“, brummte ich. Bereits bei den wenigen Worten schien die trockene Luft alle Flüssigkeit aus meinem Mund zu ziehen.  
„Versuchen wir es hinter dem Hügel vor uns“, schlug Zedd vor. „Oder zumindest darauf, dann haben wir eine bessere Übersicht.“       
Wir folgten dem Vorschlag des Priesters. Der direkte, frontale Aufstieg hätte einiger Kletterstrapazen bedurft und keiner von uns war erpicht darauf zu erfahren, wie porös Dämonenfels war. So gingen wir einen Umweg um den Hügel herum, der von der anderen Seite zugänglicher war. Nach jedem Schritt warf ich einen Blick über die Schulter. Nichts regte sich in dieser Ebene. Verdächtig nichts.

Wir stiegen auf die Spitze des Hügels, bekamen eine bessere Übersicht. Doch alles, was wir sahen, bis zum Horizont, war Asche und Fels. Das einzige Portal in Sicht war dasjenige, das uns hier herausbrachte.               
„Er muss es verdammt gut versteckt haben. Oder es ist verdammt weit weg“, meinte Zedd verdrossen.         
„Was machen wir jetzt?“            
„Bis jetzt sind keine Dämonen aufgetaucht … vielleicht haben wir Glück und überstehen den Kampf mit Wydor ohne ihren Eingriff. Hinterher kann man diese Höhle versiegeln“, spann Mara einen losen Plan. „Und selbst wenn sie auftauchen … man braucht ja Beschäftigung, wenn dieses schuppige Untier in der Luft ist.“ Ratlos traten wir von einem Fuß auf den anderen, den Blick enger und enger zusammenkneifend auf den Horizont gerichtet.
„Wartet mal einen Moment“, sagte da plötzlich Jenn in unser Schweigen hinein. „Mir nach.“  
Die Ywerddonerin ging den Hügel zügig hinunter, wir hinterher. Bis wir an seinem Fuß standen, dann darum herum – wieder direkt gegenüber des blauen Portals. Vor einer steilen Felswand.         
„Erinnert ihr euch, wie wir hierhergekommen sind?“, fragte Jenn.        
„Durch das Portal da?“, fragte ich verdutzt, wies mit dem Daumen hinter mich.             
„Nein, vorher. In das Tal der Halblinge. Als wir vom Drachenkessel kamen.“     
„Da war die Höhle …“   
„Und davor?“   
Und während mein Mund ein Rund der aufkeimenden Ahnung bildete, schlug Jenn mit der Faust mitten hinein in den Fels – die Illusion flackerte und erlosch.       
Im Gestein lag eine Höhle, die gerade groß genug für das Portal aus schwarzem Stein war, der beinah in den kargen Fels überzugehen schien. Zwischen diesem Rahmen flackerte die Luft in grünem Licht. „Der Stein war nur eine Illusion.“  

Nach Jenns Eingebung war der Rest nur noch Formsache – so sicher schienen sie und Suena sich zumindest zu sein. Ich hatte diesen ganzen Teil mit den Portalen und dem Buch der Tore nicht so recht verstanden, doch verließ mich auf ihre Anweisung, als es hieß, durch das blaue Portal zurückzugehen. Nur einer sollte zurückbleiben, um als letzter durch das grüne Licht zu schreiten. Damit sollte die Verbindung zwischen den Welten reißen. Und die Dämonen da bleiben, wo sie hingehörten. Wenig überraschend erklärte sich Mara für diese Aufgabe bereit, vielleicht in der leisen Hoffnung, doch noch einigen Dämonen zu begegnen. Bis jetzt war uns das Glück hold, auch wenn ich einen Augenblick lang einige Schatten bei einem entfernten Hügel zu sehen geglaubt hatte.        
„Es wird Zeit zu gehen!“, rief Jenn aus und schritt durch das blaue Licht. Ich folgte ihr, dann kamen die anderen. Wir standen wieder in der Höhle, den Blick auf das Doppelportal gerichtet – dann erschien Mara auf der anderen Seite. Das Licht flackerte, plötzlich erklang ein schrilles Klirren, schließlich ein Splittern. Blaue und grüne Lichtfunken stieben auseinander. Die Wegpforte zu den Dämonen stieb auseinander. Was blieb war ein leerer, steinerner Rahmen.         
„Wir haben es geschafft“, meinte Mara grinsend. „Dann können wir uns ja jetzt um den Drachen kümmern.“               
Ihren Worten folgend schlichen wir langsam den natürlichen Gang entlang, bis wir einen neuen Blick in die Arena werfen konnten, in die er mündete. Und dort, etwa hundert Meter entfernt, lag er. Der goldene Drache. Wydor. Schlafend.

Wir zogen uns einige Meter zur Vorbereitung zurück. Bis auf das Nötigste legten wir all unsere Sachen in den Gang, nahmen dann die Waffen zur Hand. Suena begann ihren langen und leisen Singsang, den sie bereits in der Schmiede Oristars aufgesagt hatte. Als sie damit endete, was fast zehn Minuten dauerte, begann Zedd: „Lasst mich euch den Segen Ormuts für den Kampf geben. Ihr mögt vielleicht nicht alle an ihn glauben, aber spürt seine Kraft und seht selbst!“    
Keiner weigerte sich – die Möglichkeit zusätzlicher Unterstützung war von nahezu jeder Seite willkommen. So legte der Priester uns nacheinander die Hände auf die Schultern, sprach im Aranischen seine Gebete, die er auf Comentang abschloss: „Möge Ormut über euch wachen.“ Als ich an der Reihe war, spürte ich tatsächlich, wie sich eine gewisse Wärme in meine Glieder stahl. Ich fühlte mich etwas beweglicher, kräftiger. Es war nicht viel – aber einem geschenkten, unsichtbaren Freund blickt man nicht in die Sonne.

Dann war es soweit. Jenns Laubhemd raschelte ein wenig, als sie sich vorbereitete: Sie steckte den Medusenkopf vorsichtig auf einen Spieß, den sie aus der barbarischen Höhle genommen hatte. Eine gefährliche Waffe. Ich nahm Axt und Schild, Mara ließ die Hand zu dem Griff ihres Bihänders wandern. Ihre Fingern begannen einen Moment lang zu zucken, als sie über dem Schwert der geschuppten Wächterin schwebten. Fast schienen sie zu krampfen, der Mundwinkel der Elfe zuckte kurz. Dann zog sie ihren eigenen Bihänder – den, mit dem ich sie kennengelernt hatte und den sie wohl schon lange nutzte. Eine persönliche Waffe.             
Suena und Zedd stellten sich hinter uns auf. Alle hatten nun einen klaren Blick auf den schlafenden Drachen. Meinen Bogen beließ ich auf dem Rücken. Wenn wir schnell waren und ihn überraschten … vielleicht könnten wir ihn dann am Boden festnageln. Die Zauberer hoben die Hände, begannen einen Singsang, jeder auf seine Weise. Suena leise, fast heimlich. Zedd laut und klar. Zu unseren Füßen setzte ein Krabbeln ein, dutzende Insekten krochen über unsere Stiefel hinweg, surrten zwischen den Beinen hindurch. Sammelten sich.         
Dann schossen zwei Schwärme aus Heuschrecken und anderem Getier über unsere Köpfe hinweg aus dem Tunnel, direkt auf den schlafenden Wydor zu. Und wir fünf spurteten hinterher.       

Den Medusenkopf wie eine Standarte vor uns tragend war Jenn an der Spitze, die Schwärme preschten wie Kavallerie von den Seiten auf den Drachen zu. Mara und ich fächerten auf, um bei einem Feuerstoß kein gemeinsames Ziel zu geben. Zedd stellte den Schluss der Raute, noch langsam, auf seine Gebete bedacht. Bald würde er uns mit der Geschwindigkeit eines Pfeils einholen. Suena als Schluss, bereit ihre Eismagie auf den Drachen zu werfen. Der Drache, der noch immer schlafend und nichtsahnend am Ende der Arena ruhte, den Kopf auf den Vorderpfoten abgelegt.      
Die Schwärme hatten ihn nach einer halben Minute erreicht, wir waren nicht mehr fern. Die Insekten drangen in die Ohren, krochen unter die Augenlider, zwischen die Lefzen. Der Drache löste sich mit einem Schlag in Luft auf.

Ein Donnergrollen ertönte hinter uns, während wir mit einem Schlag zum Stehen kommen. Erst einen Moment später verstand ich, dass es ein Lachen war.   
„Dachtet ihr wirklich, ich wäre so töricht? Närrische Sterbliche. Werdet nun Asche“, grollte der wahre Drache – er kauerte direkt über dem Höhleneingang, durch den wir gekommen waren. Mit einem Satz war er in der Luft und spie aus vollem Halse Feuer hinab. Suena sprang gerade noch mit katzengleichen Reflexen aus dem Radius der Flammensäule. Wydor trieb seinen Atem voran, preschte durch die Arena, trennte den Kampfbereich für einen Moment in zwei Teile. Wir sprangen in verschiedenste Richtungen davon, die Insekten surrten über das Chaos hinweg. Jenn hatte die längste Zeit, doch schien am verblüfftesten. Viel zu langsam drehte sie sich zu dem Drachen herum, der wie ein Blitz auf sie zuschoss. Dann waren die Flammen auch schon bei ihr. Über ihr. Der karge Pflanzenwuchs der Höhle verging umgehend zur Asche, der Geruch verbrannten Fleischs erfüllte die Luft, als der Medusenkopf davongeschleudert wurde. Der Feuerstrom endete, Wydor wandte sich wieder seinen anderen Opfern zu. Einen Moment starrte ich geschockt auf den Fleck, wo gerade noch Jenn gestanden hatte … und noch stand. Unversehrt, kein Haar war ihr gekrümmt, nicht im Entferntesten angesengt. Nur das Laubhemd wogte ein wenig hin und her in dem Sturm, der gerade um es getobt hatte.            
„Was zum …“, setzte ich noch an, dann war Wydor wieder über mir. Doch sein Flammenstoß stob gegen eine der Felswände, als er den Kopf mit einem ärgerlichen Schrei zurückwarf. Die Insektenschwärme waren wieder an ihm dran, krochen in jede Lücke, die der Drachenschädel ihnen gab, behinderten seine Sicht.

Ich steckte Axt und Schild weg, nahm den Bogen zur Hand und begann, Pfeil um Pfeil auf das Biest anzulegen. Mara brüllte indes wüste Beleidigungen der „feigen Echse“ entgegen, die sich zum Kampf auf dem Boden stellen sollte. Ihren Bihänder schwang sie dabei erwartungsvoll, in seiner Klinge spiegelte sich das Feuer, das Wydor vereinzelt in die Arena entsandte. Suena schoss ohne Unterlass Frostbälle auf den Drachen ab, der damit in einem kleinen Hagel aus Insekten, Eis und eisernen Pfeilspitzen eingedeckt wurde.           
Mit einem plötzlichen Sturzflug entwand er sich dem Kreuzfeuer und stürzte direkt auf mich zu. Sofort warf ich meinen Bogen beiseite, machte einen Hechtsprung. Die Krallen des Drachen glitten gerade so über mich hinweg, ich spürte ihre Wucht. Unsanft rollte ich mich über die Schulter, schlidderte einige Meter über den scharfkantigen Fels. Wydor fegte ohne Geschwindigkeitsverlust weiter, entging weiteren Angriffen. Sein nächstes Ziel war Mara, die ihm grimmig den Bihänder entgegenhielt. Doch noch bevor sie einen Schlag setzen konnte, war das Ungetüm bereits über ihr, packte sie am Bein, riss sie in die Luft. Er zog sie einige Meter oberhalb des Grunds mit, dann entwand sich die Elfe mit artistischem Können und landete auf ihren beiden Füßen.            
„Lande gefälligst, du schuppenverfaulte Bestie!“           
Doch den Gefallen tat ihr Wydor nicht. Er zog weitere Kreise, stieß weitere Feuerstöße aus. Die Arena verwandelte sich allmählich in einen Glutofen und ich fragte mich, ob wir schließlich allein der Hitze wegen stürzen würden. Doch die Insektenschwärme verrichteten ganze Arbeit, einen direkten Treffer auf uns zu verhindern, wenngleich sie Schar um Schar versengt wurden. Gerade begann der Flug des Drachen, mittlerweile in der dutzendsten Runde durch die Arena, zu trudeln. Suena traf ihn mit einem Frostball nach dem anderen am Schädel, wo das Gold sich allmählich zu einer dunklen Erfrierung verfärbte. Da erhielt er Unterstützung.

Aus dem Hinterhalt sirrte ein Drachenzahnbolzen heran, verfehlte Suena nur knapp. Verdutzt blickte sich die Zauberin nach dem Angreifer um: Es war ein kleines, goblinartiges Wesen. Am Leib eine schartige, dunkle Rüstung, bei der nicht zu unterscheiden war, was ursprünglich vorhanden und was Flickwerk war. Doch in der Hand eine Armbrust von nicht zu unterschätzender Größe. Und das Biest legte den nächsten Bolzen ein.            
„Endlich ein Gegner!“, brüllte Mara und spurtete los. Jenn, ebenfalls ohne Fernkampfwaffe, tat es ihr gleich. Ich legte indes mit weiteren Pfeilen auf den Drachen an. Doch um ihm wirklich zu schaden, müsste er landen – gerade einmal jeder dritte Pfeil fand einen Weg durch die Schuppen.           
Die gedrungene Kreatur schoss noch einige Bolzen auf Suena ab, die schließlich damit aufhörte ihre Frostbälle zu werfen. „Ich brauche neue Kraft. Ich bin am Ende“, rief sie ächzend. Zedd rannte sofort zu ihr hin, während Mara und Jenn den neuen Angreifer erreichten. Der zog einen langen Krummdolch aus weißlichem Material … eine Kralle des Drachen? Den ersten Angriffen entging das Wesen aufgrund seiner Schnelligkeit. Doch ein Treffer Maras schleuderte ihn bereits einige Fuß zurück, sprengte die Hälfte seiner Behelfsrüstung davon. Dunkelgrünes Blut floss, Jenn fiel aus und trieb das Rapier ins Fleisch. Doch bevor der endgültige Todesstoß gelandet werden konnte – löste sich das Biest in Luft auf. Im nächsten Moment stand es zwei Dutzend Meter entfernt.          
Ein weiterer Fluch wollte mir über die Lippen kommen, doch er wurde just überlagert. Zedd war gerade bei Suena angekommen und begann kraftspendende Worte zu sprechen. Da landete der goldene Drache Wydor, die Zeit der Insektenschwärme war vorüber. Ungetrübt warfen seine Schuppen den Glanz der vereinzelnden Brandherde der Arena wider, sein kochender Speichel spritzte, die Augen glühten in einem tiefen Rot. Eine Feuerechse aus Alpträumen.

Das Biest schnappte zu, unzählige Reißzähne waren mit dem Druck eines knochenzermalmenden Kiefers auf Zedd aus. Der Priester unterbrach sein Ritual und wich gerade so aus, wobei er davongeschleudert wurde. Es wurde Zeit für größere Geschütze.       
Den Bogen warf ich zur Seite, griff über die Schulter und zog beim Losstürmen meine Waffe. Den Ogerhammer. Damit würde ich den verdammten Panzer des Drachen knacken.

Am Ende der Arena hatten Mara und Jenn die goblinartige Kreatur mittlerweile in eine Ecke gedrängt. Die magischen Bewegungsfähigkeiten des Wesens schienen aufgebraucht, seine Kraft am Ende. Das Rapier nagelte es schließlich fest, der Bihänder beendete es. Eine kleine, aufmüpfige Kreatur.           
„Mara, schnapp dir dein Laubhemd!“, rief Jenn. „Es schützt gegen die Flammen! Denke ich!“
Die Elfe hatte auch gesehen, wie gleichmütig die Ywerdonnerin dem Drachenfeuer entgangen war und spurtete zu ihrer Tasche. Dann eilte das Duo ebenfalls auf den großen Punkt inmitten der Arena zu. Zedd focht dort mit seinem Kriegshammer, schwang ihn von links nach rechts, während er von dem Drachen vor sich hergescheucht wurde. Einem Treffer hatte er entgehen können. Doch jeder Meter kostete ihn mehr Mühe. Von Suena ganz zu schweigen. Sie war kaum mehr als ein blasser Schemen, die Magie schien ihr nahezu alle Kraft genommen zu haben.       
Ich kam im Rücken des Drachen an und warf mich aus vollem Lauf mit dem Hammer in die Hacke des Biests. Mit einem Brüllen wandte sich das Biest um, als hörbar Schuppen zerstoben und selbst der Knochen ein leichtes Knacken von sich gab. Suena nutzte diesen Moment der Ablenkung zum Rückzug. Halbtot nutzte sie uns wenig, tot schon gar nichts.  

Ihr entgegen stürmten unsere beiden weiteren Kämpferinnen, gehüllt in Laub – absurde, magische Artefakte. Wydor schien das noch nicht verstanden zu haben, oder so viele Gegner waren zu verlockend. Er stieß einen Feuerstrahl aus, der über Zedd hinweg auf die beiden anderen zufegte. Der Priester wurde zu Boden geworfen. Obgleich nicht direkt getroffen, so hinterließ die lavaartige Hitze ihre Spuren. Der Araner rang sichtlich um Luft, der Griff seiner Waffe glühte bereits, der kühlende Schweiß verdampfte unmittelbar. Doch trotz aller Strapazen – der Priester erhob sich. Und griff im Trio mit Mara und Jenn an. Von der anderen Seite her schwang ich meinen Ogerhammer, mich dabei den peitschenden Schwanzschlägen des Drachen mit Mühe erwehrend.

Mit einem weiteren Schweifhieb versuchte Wydor mich von den Füßen zu holen. Ich sprang hoch – und schlug zu. Die volle Wucht des Ogerhammers drückte die säulendicke Peitsche zu Boden, Wydor bäumte sich einen Moment fauchend auf. Zedd, Mara und Jenn sprangen vor und schlugen in den schwach geschützten Rumpf des Drachen. Ich konnte sehen, wie gekochtes Blut ihnen entgegenspritzte, Rüstung und Haut versengte. Getroffen wichen sie zurück. Wydor stürzte nach vorne, peitschte ihnen wie ein Lindwurm eng am Boden liegend entgegen. Mit der Gewalt einer Lawine grollte er über den Boden. Jenn und Zedd wichen dem Angriff aus. Mara blieb stehen. Nahm Maß. Stach zu.

Die Elfe wurde über den Boden geschleudert, Wydor überschlug sich mit einem Mal aus eigener Wucht, Eisen glitzerte auf, Blut sprühte in einem Regen über die Ebene. Wo der Drache zum ersten Mal aufschlug, entstand ein Krater. Als er das nächste Mal aufschlug – blieb er liegen.

Mara erhob sich aus dem Dreck. Vorsichtig näherten wir uns alle fünf dem Drachenkörper. Der Bihänder der Elfe steckte tief in der Schädeldecke, die Klinge war im hinteren Teil des Kopfes durchgebrochen. Das Untier regte sich nicht mehr.                
„Der Drache ist tot!“, jubelte Jenn.       
„Mara Drachentöter!“, brüllte ich aus voller Kehle, aber die Elfe winkte ab. „So ganz allein war ich ja nicht …“
„Seht doch“, sagte Suena. Aus den dutzend Wunden des Wydor floss das Blut in die Senke, die er gerade selbst in den Fels geschmettert hatte. Fast, als sollte man dort ein Bad nehmen.               
„Man sagt, Drachenblut verleiht der Haut eine Festigkeit wie Kettenpanzer, ohne, dass sie dabei steif werden würde“, sagte Mara vor sich hin.              
„Andererseits brennt das Blut auch, als würde es aus seinem Siedebottich vergossen werden“, grummelte ich. „Verbrennt man nicht in dem Bad?“              
„Es gibt genug Geschichten, dass solche Torturen überlebt wurden“, sagte Suena, die zwar blass, aber ansonsten unbeschadet neben uns stand. „Allerdings auch genug, die dabei gestorben sind. Einem toten Drachentöter hilft die harte Haut wenig.“    
„Eine einmalige Chance“, stellte ich mit einem Ächzen fest. Ich war nicht schwer getroffen worden oder zumindest zuletzt gut geheilt. Doch ich erinnerte mich gut an meinen Erstkontakt mit dem Drachenblut. Eine flüchtige Berührung, ein kurzer Test, ob meine Haut dadurch stärker werden würde. Feurige Hitze, ein Gefühl von einem Brandeisen malträtiert zu werden.             
Zedd entkleidete sich. „Ormut hat uns dabei geholfen, diesen Drachen zu töten. Dieses Bad ist unser Lohn dafür, dieses elende Geschöpf zu Alaman zurückgesandt zu haben. Ich gehe mit Vertrauen in meinen Gott.“

Dann machte er einen Schritt nach vorne und rutschte hinein in das blutige Bad. Es zischte, als würde man glühendes Eisen abschrecken. Zedd tauchte einmal vollständig ab, dann war still. Bis der Priester mit einem Schrei aus dem Blut auftauchte. Darin lag Jubel, aber auch Schmerz. Der Araner wuchtete sich eilends aus dem Bad. Sein Körper zeigte dutzende Brandblasen, doch er schien es vergleichsweise gut überstanden zu haben. Er griff sich einen Dolch und piekste sich in die Handfläche – nichts geschah. Er erhöhte den Druck etwas, doch die Haut hielt stand. Gänzlich forderte er das Glück nicht heraus, aber der Beweis war erbracht. Die Haut des Priesters war nun mehr als menschlich.   
Ich haderte, betrachtete meinen Wundverband, der noch von dem Biss der Gorgo herrührte. Da hatte ich schon Glück gehabt, dass mich das Gift nicht übermannte. Konnte ich das Schicksal noch einmal herausfordern? Andererseits war dies die höchstwahrscheinlich einzige Chance meines gesamten Lebens, in Drachenblut zu baden. Aber was nützte das, wenn ich verkochte?
So sehr hing ich meinen Gedanken nach, dass ich kaum beachtete, wie sich Jenn und Suena – sogar Mara! – vor Zedd und mir entkleideten und nacheinander in das Blut stiegen. Es zischte immer wieder, Schmerzensschreie waren nicht gänzlich zu unterdrücken. Doch sie kamen aus dem kochenden und ätzenden Bad frei. Vielmehr kriechend, doch sie hatten überlebt. Alle bis auf mich lagen um das Bad herum. Zedd war der einzige, der noch wirklich stehen konnte. Mit einem argwöhnischen Blick zum Eingang der Arena. Noch zu kraftlos, um Heilzauber zu wirken. Was ohnehin zu spät käme, wenn ich im Bad sterben würde.

Ich atmete einmal tief durch. Legte meine Waffen zur Seite, den Knochenschmuck daneben, Rüstung und Wams wurde ich los. Die pelzbesäumten Stiefel. Das Unterwams. Ich war nackt. Und so, wie ich war, trat ich in das Becken aus kochendem Blut.     
Feuer schoss durch mich hindurch. Selbst das größte Frühlingsfeuer oder gar der direkte Treffer des Drachen wäre nicht so heiß gewesen. Es brannte, dann schienen meine Glieder plötzlich frostiger Taubheit anheim zu fallen. Wieder Hitze. Endlose Hitze. Ich tauchte mit dem Kopf unter. Es fühlte sich an, als würde mir die Haut von den Knochen schmelzen, meine Augen hinter ihren Lidern zerkochen und zerlaufen. Einen Moment lang schien gar mein innerstes Selbst, mein Ich, zu verdampfen. Was sagte man noch über das Drachenblut? Es veränderte nicht nur das Äußere?

Dann brach ich aus dem blutigen Bad hervor, warf mich an den Rand der Senke und zog mich auf den rauen, aber so angenehm kühlen Felsen. Ich drehte mich auf den Rücken und sah aus dieser natürlichen Arena hinauf zum Nachthimmel. Wolken schoben sich vor die Sterne. Und sandten uns segensreichen Regen.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar