Ein Übel vergangener Tage

Es schien nur noch einen Weg zu geben: die spitz zulaufende, doppelflügelige Tür am Ende dieses kurzen Flurs. Sie war bereits einen Spalt breit geöffnet. Jemand anderes musste hier entlang gekommen sein und die Vermutung lag nahe, dass dies die Gesandten gewesen waren.
Miyako huschte hin und untersuchte die Tür vorsichtig auf etwaige Fallen, die sich die sinistren Schöpfer dieses Ortes ausgedacht haben mochten. Indes nutzte ich die Zeit, um Ricardo mit der magischen Macht der Natur auszustatten. Verblüfft betrachtete der Küstenstaatler seine zu Rinde gewandelte Haut und nickte mir anerkennend zu. Nach einiger Zeit gab Miyako uns mit einem knappen Nicken zu verstehen, dass sie Nichts gefunden hatte und schob daraufhin den rechten Torflügel auf… oder versuchte es viel mehr. Die Tür erwies sich als massiv und schwer, noch dazu klemmte sie etwas. Doch als sich Groam schwungvoll dagegen warf, glitt sie mit einem schabenden Geräusch über den Boden.

Dahinter eröffnete sich uns das dunkle Innenleben des steinernen Globus. Durch wuchtige Wände hindurch ging es in einen Gang, der sowohl nach rechts als auch nach links führte. Der Stein schien hier ebenfalls auf die eigentümliche und wahrscheinlich magische Weise geformt worden zu sein. Der Boden war fingerdick mit Staub bedeckt, was es uns ermöglichte Spuren auszumachen, welche nach rechts führten. Wir beschlossen, ihnen nicht direkt zu folgen und wandten uns nach links, die Düsternis mit Groams Fackel erhellend.
Vor uns öffnete sich ein großer Raum, dessen eine Wandseite an der Außenseite des Globus liegen musste; es gab sogar Fenster, welche in die erdrückende Dunkelheit innerhalb der Höhle wiesen. Hier gab es nur Staub und zerstörte sowie vermoderte Reste verschiedenster Möbel, die man kaum noch auseinander halten konnte. Aber es gab einige Türen, die hinaus führten. Auf gutes Glück hoffend, öffneten wir die uns nächste Pforte, welche weiter in den Globus hineinführen musste. Sie öffnete sich mit einem leichten Knarzen und wir erblickten einen weiteren, länglichen Raum. Er war nicht gerade groß bemessen und ebenso staubig, wie das, was wir vorher gesehen hatten. Natürlich besaß er auch keine Fenster, was ein Gefühl von Enge hervorrief.

Wir fanden eingetrocknete Blutflecken sowie menschliche, bereits sehr alte Knochen. Von der Zahl der Schädel ausgehend, mussten es acht gewesen sein, die hier ihr Ende gefunden hatten und das wahrscheinlich nicht friedlich. In der gegenüberliegenden, massiven Holztür steckten zwei Armbrustbolzen. Ansonsten gab es hier nur Unrat in Form verbrannter oder verrotteter Möbel. Da rief Leif aus: „Ich habe hier etwas gefunden!“ Kurz darauf hörten wir, wie der Waelinger verheißungsvoll eine verborgene Tür in der hinteren, linken Ecke des Raumes aufzog. Und damit gleichermaßen weckte, was lange geschlafen hatte.

Eine seltsame Ermüdung schlug meine Glieder und entsetzt stellte ich fest, wie sich meine Arme und Beine bewegten, als würde ich sie durch zähen Honig ziehen müssen. Ein magischer Bann hatte mich getroffen und Ricardo mühte sich ebenfalls in dem Versuch, sich mit normaler Geschwindigkeit bewegen zu können. Doch das war nicht einmal unser wichtigstes Problem: die Düsternis in diesem Raum, der durch Groams Fackel nicht richtig erhellt werden wollte, schien sich zu bewegen. Die sich eigenmächtig bewegenden Schatten, die jedem Ursprung Hohn lachten, ballten sich um die Skelette herum und gewannen Form. Nach nur wenigen Sekunden glichen sie menschenhaften Schemen, aus deren Händen wabernde Dunkelheit Klingen schuf. Mit denen sie auf uns losgingen.
Es waren acht gegen fünf, doch ich befürchtete, dass unsere Waffen gegen solche Geschöpfe wirkungslos bleiben mussten.
Doch mein erster Angriff – so langsam er auch sein mochte – fand tatsächlich sein Ziel, denn die beiden Schatten hatten sich gerade erst formiert und schienen beinah ebenso über ihr Erscheinen überrascht wie ich. Die silberne Spitze meines Speers bahnte sich dabei einen Weg durch den „Leib“ des ersteren. Ich spürte Widerstand, sah aber auch, wie die Düsternis auseinanderstob, um sich gleich wieder zu verbinden.

Wenige Augenblicke später hörte ich einen zwergischen Kriegsschrei. Während die anderen fehl schlugen, hatte Groam mit einem mächtigen Rundumschlag gleich zwei der Schemen durchzogen. Ihre schattenhaften Körper blieben wie Fäden am Kopf des Stielhammers hängen oder verflüchtigten sich in die Ecken des Raumes, in denen sie naturgemäß gehörten, um unser dunkles Gegenspiel am Boden zu sein.
Damit waren es nur noch sechs gegen fünf, wenngleich Leif nicht wirklich zählte. Er kauerte sich in eine Ecke, nach Groams Angriff seines Gegners beraubt, und versuchte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erwecken. Nicht einmal einen Zauberspruch brachte der zitternde Waelinger über die Lippen.

Miyako und Ricardo bewiesen indes weiter, dass die Gestalten vor uns zwar aus formlosen Schatten geschaffen waren, aber dennoch feste Körper angenommen hatten: sie entwaffneten ihre Gegner und wabernde Kurzschwerter flogen durch den Raum, ehe sie beim Aufprall wie Rauch auseinanderstoben. Im gleichen Atemzuge … „wuchs“ den Schattenkämpfern eine neue Waffe aus Dunkelheit.
Mit Mühe wehrte ich die Angriffe meiner Gegner ab. Mein Körper arbeitete immer noch deutlich langsamer, als ich denken konnte – doch für diese Angreifer schien es noch zu reichen. Angriff um Angriff blockierte ich mit meinem Schild, ehe ich es wieder schaffte, den linken Arm hervorzustrecken… und tatsächlich zu treffen! Silber fuhr durch Dunkelheit, wie der zwielichtige Augenblick kurz vor Aufgang der Sonne. Das Wesen zerfloss in gewöhnlicheren, weitaus weniger boshaften Schatten.

Dann tänzelte auch die KanThai um ihren Gegner herum, dass ihm als menschliches Wesen schwindlig geworden wäre, und Stahl fraß sich seinen Weg quer durch den Schatten. Gerade suchte die Gestalt ihren Pfad in die Ewigkeit, da rauschte von der Seite plötzlich ein Hammerkopf heran und traf Miyako im Rücken. Irritiert, wenn auch nicht allzu schwer getroffen, taumelte sie. Dann warf sie einen bösen Blick zu Groam hinüber, der bei seiner Ausholbewegung etwas unvorsichtig gewesen war. Allerdings brummte der Zwerg nur und blieb seinem Schattengegner treu.
Sicherlich abfällig fluchend (zugegebenermaßen in dem mir unverständlichen KanThaiTun) lief Miyako daraufhin zu einem von Ricardos Gegner und zerteilte diesen mit einem einzigen Streich der Länge nach. Ganz langsam formten die Lippen des Küstenstaatlers ein: „Daahnkeehhh.“

Indes forderte die magische Verlangsamung ihren Tribut bei mir. Mein verbliebener Gegner erwies sich als intelligent genug, meine vorhersagbaren Angriffe abzuwarten, ehe er selbst attackierte und bereits einmal hatte seine Klinge ihren Weg an meinem Schild vorbei gefunden und sich knapp oberhalb des Knies ins Fleisch gebohrt. Ich humpelte etwas, was der Schatten als Anlass nahm, um heftigere Angriffe auszuführen. Und ebenso vorhersagbare. Ich konterte mit einem für mich ungewöhnlich kräftigen Schildschlag, warf den Schattenkrieger etwas zurück und während der noch taumelte – gleichermaßen menschlich wie seltsam gestaltlos – stieß ich mit dem Speer zu. Der Schatten fiel um die Spitze herum zusammen, als würde man Papier zerknüllen.

Im selben Moment zerteilte Miyako ein weiteres Wesen auf Hüfthöhe, sodass nur noch ein Gegner verblieb: bei Groam, der sich nach seinem anfänglichen Rundumschlag ungewohnt tollpatschig angestellt hatte. Doch als wir alle gemeinsam auf das Wesen eindrangen, war auch es binnen weniger Sekunden ausgeschaltet.

Fast synchron warfen wir vier anschließend einen Blick aus zusammengekniffenen Augen auf den kauernden Leif.
„Das nächste Mal sollte ich die Tür vielleicht überprüfen, bevor sie einfach aufgerissen wird“, machte es Miyako mit der Ermahnung kurz, worauf der Waelinger mehr oder weniger schuldbewusst nickte. Auch Ricardo wirkte nicht gänzlich erfreut, immerhin war er bereits einmal fast getötet worden, als Leif zur Feuerkugel vor dem Eingang dieses Globus marschiert war. Diesmal hatte der Küstenstaatler das Glück gehabt, dass ich seine Haut magisch verstärkt hatte. Nun nahm sie allerdings wieder allmählich ihre normale Form an.

Wir versorgten unsere Wunden, dann besahen wir die kleine Kammer, die sich hinter der von Leif entdeckten Geheimtür befand. Es gab nicht viel mehr als eine Art steinernen Altar, auf dem eine fast schon mumifiziert wirkende Leiche in verrotteter Lederrobe lag. In Anbetracht der Tatsache, dass er momentan nur einen Lendenschurz anhatte und ich nicht ständig die Kräfte der Natur würde heraufbeschwören können, zog Leif den Toten aus und nahm sich die Robe. Groß wie er war, reichte ihm das Kleidungsstück gerade einmal bis zu den Knien. Es war ein unangenehmer Anblick, der auch nicht gerade mit einem feinen Geruch einherging.
Der Tote hatte ansonsten nur noch einige Kräuter bei sich gehabt, die ebenfalls verrottet waren und wir konnten nicht einmal mutmaßen, was es einst gewesen sein konnte. Die ledrige Haut des Toten, der erschreckend gut erhalten war, ließ darauf schließen, dass er an Nahrungsmangel gestorben war. Oder vielleicht war die arme Seele erstickt, als sie sich hier in dem Raum versteckt hatte, während draußen offensichtlich ein Kampf getobt hatte, wenn man die Skelette auf dem Boden und die Bolzen in der Tür bedachte. Neben der Leiche befand sich ein kleiner Sack, in dem Ricardo einiges Zierrat fand, wie einen goldenen Skarabäus auf dem ein Bogenschütze kniete. Diesen seltsamen Gegenstand konnte keiner von uns zu ordnen. Da bemerkte Miyako, dass eine Steinplatte auf dem Altar etwas lose war, allerdings musste es Ricardo übernehmen, sie wegzuschieben.

Darunter befand sich eine in den Stein eingelassene, metallene Platte. In sie waren Linien eingeritzt als wäre es ein Lageplan. In jedem „Raum“ befand sich außerdem ein farbiger Edelstein und es gab eine Art Legende, die den Räumen oder Steinen einen Namen zuwies. Diese waren in Maralinga gehalten und Ricardo las einige von ihnen vor. Dabei waren seltsame Konstruktionen wie „Keifender Gnom“ oder „Hüpfende Grille auf sich biegendem Gras“. Es waren Namen, die ich eher bei rückständigen, schamanischen Kulturen erwarten würde.
Groam stellte fest, dass das Metall der Platte Platin war – es handelte sich um einen insgesamt äußerst wertvollen aber ebenso rätselhaften Gegenstand, den wir nicht mitnehmen konnten, da er fest im Stein verankert war. Daher fertigte ich mit Kohle und Pergament eine Schraffur an und notierte die Farben der Edelsteine. Die Umrisse wirkten jedoch nicht rund wie der Globus, sodass rätselhaft blieb, ob es eine Karte war – und wenn ja, für welchen Ort.

Wir gingen weiter durch die Tür, in die vor Jahrhunderten Bolzen versenkt worden waren, und kamen an das andere Ende des Globus, wie die Wand mit Fenstern verriet. Hier standen viele Regale, die vom Zahn der Zeit arg mitgenommen worden waren. Sie beinhalteten etliche Objekte, die aber allesamt zerfallen oder verkohlt waren. Gegenstände, die nicht in den Fächern lagen, waren zu Haufen aufgetürmt worden, die sehr an Scheiterhaufen erinnerten. Offensichtlich hatte irgendjemand geplant, alles zu verbrennen, war aber nicht gänzlich erfolgreich gewesen.  Es ließ sich hier Nichts finden, das ein längeres Verweilen rechtfertigte und wir wollten gerade weiter, da wagte Leif einen Blick aus dem Fenster.

Und wurde beinah direkt zurückgestoßen, als ihn von außen ein seltsames Wesen ansprang, etwas vom Hals riss und weiter in den Raum huschte. Es hatte einen menschlichen, aber sehr kleinen Körper. Mit seinen feucht schimmernden, grünrot gesprenkelten Hautflügeln flatterte es über uns hinweg und begann seine Runden durch den Raum zu drehen, während es gackerte und dabei kleine, gelbe Fangzähne offenbarte. Es war ein Dämunkulus!
Miyako machte kurzen Prozess: mit einer fließenden Bewegung zog sie das Langschwert aus der Scheide und zerteilte das Biest noch im Fluge der Länge nach. Währenddessen schüttelte ich mich unangenehm bei den Erinnerungen an Arthlinn, wo wir gegen ganze Horden dieser Biester gekämpft hatten. Doch dieses Exemplar schien glücklicherweise alleine gewesen zu sein und konnte uns nun nicht mehr weiter behelligen.

Leif ging zu dem Körper des Wesens und holte sich, was ihm gestohlen wurde. Bei der Berührung zerfiel der Dämunkulus zu weißflockiger Asche. Es handelte sich um ein Amulett und er fand außerdem noch einen Ring, den er erstaunt betrachtete.
„Leif, woher hast du das Amulett?“, fragte ich ihn während er es beiläufig überzog.
„Hm? Das habe ich in Kosmas‘ Hütte gefunden“, murmelte er, während er weiter den Ring ansah.
„Du hast ihn gestohlen?“
„Er braucht es doch nicht mehr“, grummelte der Waelinger als wäre Diebstahl nicht einmal etwas, wofür man sich entschuldigen müsste. „Kommt euch dieser Ring nicht auch irgendwie bekannt vor?“, fragte er dann.

Wir musterten den Schmuckgegenstand, allerdings konnte ich mich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben.
„Vielleicht gehört er ja Nublesch? Der Scharide trug doch durchaus einige Ringe“, mutmaßte Miyako.

Ratlos machten wir uns weiter auf den Weg durch den Globus und erreichten einen langen Gang, der auch wieder zum Eingang zurückführte. Die nächste Tür vor uns erweckte Ricardos Abenteuerlust und er warf sich mit Wucht dagegen. Es tat sich jedoch nicht viel, was Groam ohne einen weiteren Kommentar dazu veranlasste mit seinem Stielhammer ein kräftiges Loch ins Holz zu schlagen. Es ließ sich erkennen, dass dahinter Gerümpel aller Art aufgestapelt worden war, um die Tür zu blockieren. Doch das konnte den Zwerg nicht aufhalten, der mit einem leichten Glänzen in den Augen seinen Stielhammer immer wieder gegen das Holz krachen ließ, bis nur noch Splitter übrig waren und uns der Haufen dahinter entgegenfiel. Zerstörte Möbel, verkohlte Objekte… es war einfach alles aufeinander geworfen worden.

Doch wir konnten nun darüber hinwegsteigen und den Raum betreten. Unvermittelt starrten wir auf ein gewaltiges Pentagramm, das auf den Boden gezeichnet worden war. Bläuliche Kreide glänzte im Licht der Fackel während sich gleichermaßen die Schatten um die Linien herum zu verdichten schienen. Goldstaub schien in dieses Gewebe eingearbeitet worden zu sein, was dem unheilvollen Hintergrund dieses Beschwörungskreises Hohn sprach. Als gäbe es nicht bereits genug Probleme in Midgard, mussten sich immer wieder wahnsinnige Beschwörer daran versuchen, Knechte aus anderen Welten in unsere Sphäre zu zwingen. Es lagen auch einige Eulenfedern herum, die womöglich einen Hinweis auf die Art der Beschwörung lieferten, doch waren in diesem Bereich weder die ehemaligen Studenten noch ich ausreichend geschult um daraus ableiten zu können, was genau herbeigerufen werden sollte. Allerdings konnte Leif erkennen, dass auch ein Bannzauber eingewoben worden war, um den Dämon davon abzuhalten zu fliehen – oder den Beschwörer zu zerfetzen.
Hinter dem Pentagramm führte eine Treppe nach unten und dorthin wiesen auch einige Spuren in dem immer noch fingerdicken Staub, der den Boden bedeckte. Ricardo lief bereits erwartungsvoll hinüber. Doch während wir anderen ihm folgen wollten, beschloss Leif, dass es an der Zeit für weitere Erkundungen wäre. Miyako und ich gingen ihm dann doch nach, bevor er sich ernsthaft in Gefahr brachte. Zunächst entdeckte er einen ehemaligen Vorratsraum, der ebenso zerstört war wie der Rest in diesem seltsamen Globus mitten im Nichts.
„Zum Glück haben wir die staubigen Reste dieses Schimmels hier entdeckt, dann können wir ja endlich die Treppe hinunter“, spöttelte ich. Doch das veranlasste den jungen Waelinger nur in den langen Gang zurück zu kehren und eine übrig gebliebene Tür anzugehen. Wohl etwas erzürnt über den Hohn, den ihm sein Entdeckerdrang bisher eingebracht hatte, stürmte er auf das Holz zu und versuchte sich an einem heftigen Tritt gegen das Holz.

Stiefel traf Tür, doch rutschte Leif dabei mit seinem Standbein weg und landete auf seinem Hosenboden. Grummelnd sprang er auf… und öffnete das „Hindernis“ vor ihm mit der Türklinke. Der Raum war nicht einmal abgeschlossen gewesen.
Erheitert liefen wir dem Waelinger nach, der das Innere seiner jüngsten Entdeckung begutachtete. Dies war in der Tat eine Ausnahme: es gab zwar auch hier einige aufgetürmte Möbelreste, die wohl dereinst in Brand gesteckt werden sollten. Aber der gesamte Fußboden war mit einem seltsamen Schmierfilm überzogen. Leif schien tatsächlich kurz zu überlegen, seine Fackel daran zu halten, dann besann er sich jedoch eines Besseren und kam zu uns zurück, wobei seinen Stiefeln nun etwas von der öligen Masse anhaftete.

Als wir nun gemeinsam zur Treppe zurückkehrten, um endlich unserem Ziel näher zu kommen, stellten wir fest, dass Ricardo fehlte… machten ihn jedoch glücklicherweise am Ende der Stufen aus. Ungeduldig trat er dort auf der Stelle. Wir näherten uns ihm – unangenehmerweise führte die Treppe an der Außenseite des Globus entlang, sodass wir einen schwachen Blick auf die gewaltigen, uns umgebenden Ketten erhaschen konnten. Nachdem wir einige Meter abgestiegen waren, die undurchdringliche Schwärze zur Rechten, erreichten wir wieder eine Öffnung im Globus, die uns hineinführte. Es war ein Gang, der ebenso staubig war, wie das obere Stockwerk. Hier entdeckte ich wieder einige Fußspuren, die zu einer Tür führten. Ricardo stellte sich dort auf und Miyako begann, das Holz zu untersuchen.
Doch Leif lief einfach den Gang weiter. Kopfschüttelnd folgte ich dem Waelinger, bevor er sich in sein endgültiges Verderben stürzen konnte.

Der Pfad öffnete sich in einen Raum, der größer war, als die Fackel erhellen konnte. Es lag einiges Gerümpel herum… und dann hörte ich ein seltsames Schlurfen und in der Peripherie des Lichts bewegten sich etwas. Mit einem mulmigen Gefühl blickte ich zu Leif, der nun seine Handaxt zog – dann wurden wir angegriffen.

Es waren unglaublich widerwärtige Kreaturen. Sie hatten etwas hundeartiges, waren aber beinah so groß wie ein Pony. Die Haut war leichenblass, die Fratze wurde von einem gewaltigen Maul beherrscht, das trotz der stumpfen, blinden Augen zielsicher nach uns schnappte. Zwei Reihen scharfer Zähne hätten sicherlich ein gewaltiges Stück Fleisch aus meinem Arm gerissen, doch ich schoss im letzten Moment zur Seite davon und packte aus meiner Tasche einen Samen des Lebenskrautes hervor. Mit schnellen Bewegungen zeichnete ich mit der linken Hand ein Symbol in die Luft, wobei mein Finger einen grünlichen Schimmer hinterließ. Binnen eines Augenblicks bündelte sich die Energie des Lebens in einem Punkt – dann schoss sie auseinander, floss in alle Richtungen gleichmäßig davon. Während der grüne Ring Leif und mich ohne Weiteres durchquerte, erkannte ich, dass sich Furcht in den untoten Fratzen der Garste vor uns abzeichnete. Doch ihr verzweifelter Sprung nach hinten kam zu langsam und so traf sie die Lebenskraft und brannte über ihre Haut hinweg wie gleißendes Sonnenfeuer.
Die Garste taumelten, was Leif nutzte, um einen mit seiner Axt niederzustrecken. Dann sandte ich den zweiten Impuls reiner Lebenskraft aus und die restlichen Biester sanken zu Boden, als der grüne Schein über sie hinwegfuhr und ihre tote Haut in Asche verwandelte.

Insgesamt vier dieser Biester lagen nun vor uns und Leif nickte mir anerkennend zu, während die anderen drei nachkamen und erstaunt auf die vernichteten Wesen blickten. Dann begannen wir nun doch den Raum abzusuchen, damit wir den Waelinger endlich dazu bringen konnten, den Spuren im Staub zu folgen. Neben dem üblichen Gerümpel und Staub im Raum fanden sich hier an der geschwungenen Wand Malereien. Es waren etliche Symbole und Gestalten, die jedoch kaum eine klare Form besaßen und trotz ihres steinernen Grunds wie im Fluss wirkten.
„Das sind Dämonen und Beschwörungsformeln“, murmelte Ricardo. „Es ähnelt dem Aufbau einer Schriftrolle, aber es bedeckt die gesamte Wand. Das gehört alles zusammen!“

Doch es gelang dem Küstenstaatler nicht, zu durchdringen, was am Ende dieser Beschwörung herauskommen würde. Ich befürchtete gar, dass es jemanden dem Wahnsinn näher bringen würde, wenn er diesen gewaltigen Zauberspruch verstehen würde.
Wir wollten gerade weitergehen, da eilte Leif noch in eine Ecke des Raumes und fand einen weiteren, kleinen Raum, den er unbedingt untersuchen musste. Wenige Minuten später kam er aber wieder einmal mit leeren Händen zurück und wir konnten endlich den Spuren folgen, die durch die Tür geführt hatten. Ebenjene Pforte öffnete Ricardo ohne auf eine Untersuchung Miyakos zu warten. Ich musste gestehen, dass ich langsam um den Verstand der beiden jüngeren Mitgliedern dieser Gruppe fürchtete.

Wir entdeckten weitere Räume und eine Treppe, die nach unten führte. Hier entlang wiesen auch die Spuren im Staub, allerdings gab es noch weitere Gänge, die ohne Hindernis hierhin führten. Wir beschlossen zunächst, diese abzusuchen, damit wir den Rücken frei hatten. So kamen wir in einen Raum, der einer Schlachterei ähnelte. Es hingen Haken von der Decke und auf massiven Tischen waren Spuren getrockneten Blutes zu erkennen. Ich mochte mir nicht ausmalen, was hier einst für Grausamkeiten geschehen waren.
Doch Leif schien immer noch unbekümmert und entdeckte eine weitere Geheimtür, die er prompt öffnete. Während wir alle zischend Luft ausstießen, huschte der Waelinger vergnügt in die kleine Kammer, die sich ihm offenbart hatte. Diesmal blieben wir glücklicherweise von einer weiteren Falle verschont, doch ich konnte nicht umhin dem jungen Leif den Spitznamen Uránolwe zu geben. Die „gefährliche Neugier“. Wenig später kam er auch schon wieder aus der kleinen Kammer heraus und berichtete bedrückt: „Dort drin sind Regale an den Wänden aufgereiht und darauf… Schädel. Menschliche, menschenähnliche und… anderes. Wesen aus anderen Welten.“

Ich verspürte kein allzu großes Verlangen, dieses Gruselkabinett mit eigenen Augen zu sehen und wir gingen weiter. Die Räume waren weiterhin türlos verbunden, sodass weitere Garste oder was hier noch so herumkriechen mochte uns folgen könnten, wenn wir die Treppe nach unten nähmen. Wir stießen schließlich noch auf einen Raum, der der Größe nach zu urteilen, die Hauptkammer dieser Ebene darstellte. Beherrscht wurde er von einem riesigen, glatt geschliffenen Steinbrocken, der einst als Tisch gedient hatte. Daran und darüber befanden sich etliche Ketten, Fleischerhaken und weitere Ringe, Zangen und was noch dazu dienen konnte, einen Körper festzuhalten oder auseinander zu nehmen. Die zu erwartenden Blutflecken fanden sich auch hier unter einer dicken Staubschicht verborgen. Es fanden sich einige Spuren von Sand und es lag auch ein Haufen davon in der Ecke, der etwas modrig wirkte. Offensichtlich hatten die Foltermeister alter Tage dieses genutzt, um das Blut aufzusaugen. Denn eines stand fest: keiner von uns glaubte, dass hier gewöhnliche Schlachthausarbeit getätigt worden war.

In diesen Raum führten nur einige Türen, die geschlossen waren, sodass wir davon ausgehen konnten, nun einen freien Rücken zu haben. Auch wenn es etwas schwieriger war, Leif zu überzeugen, diese Pfade unerkundet zu lassen, gingen wir zurück zur Treppe. Sicherlich waren Miyako und ich nicht weniger neugierig als der junge Abenteurer aber die bisherigen Erlebnisse in dem Globus schrien nicht gerade danach, dass wir eine beständige Auseinandersetzung mit Fallen und Monstern überleben würden.
Wir gelangten in einen Raum, der vielleicht einmal einer Wachmannschaft als Unterschlupf gedient hatte. Es standen einige Betten herum, nicht wenige davon etwas angekohlt oder zerfallen. In vielen lagen sogar noch Skelette, teilweise waren diese sogar fixiert worden. Hatte man sie im Schlaf gemeuchelt oder wollte sie in den Flammen sterben lassen? Beides sprach nicht für die Angreifer wenngleich unsere Entdeckungen ebenso wenig für die Angegriffenen sprach. Ein Konflikt über den ich froh war, ihn nicht miterlebt haben zu müssen.

Nachdem wir einige genauere Blicke auf die Toten geworfen hatten, konnte sich Ricardo mit besserer Rüstung ausstatten, auch wenn er immer noch erbärmlich aussah. Davon abgesehen fand der Küstenstaatler aber einen Kupferschlüssel, dessen Bart seltsam wirkte. Er schien in zwei Richtungen schräg davonzustreben. Das dazu passende Schloss würde uns sicherlich auffallen, wenn wir es sähen. Bis dahin verstaute ich diesen seltsamen Gegenstand in meiner Tasche.
Wir gingen weiter und fanden andere und größere Räume, die dem glichen, den wir verlassen hatten. Es standen viele Betten herum, die meisten auf irgendeine Art und Weise zerstört. Doch hier lagen Skelette nicht nur auf dem verwüsteten Mobiliar… sie lagen überall. Es war schwierig einen Schritt zu tun ohne menschliche Überreste zu entweihen. Mehr als dutzende – hunderte. Ein gewaltiger Kampf musste hier auf engstem Raum stattgefunden haben, der den Boden mit Tod bedeckt hatte. Ein erschreckendes Abbild grausiger Vergangenheit, die ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen ließ.

Ricardo beschloss, diesen Ort sehr genau untersuchen zu wollen, während ich einfach nur weiterwollte. Doch dem Küstenstaatler war ebenso wenig etwas auszuschlagen, wie Leif, sodass wir warten mussten. Die Zeit nutzte ich und versuchte mich an einer freien Stelle in Meditation zu üben, die mir meine doch etwas angekratzten Energiereserven zurückbringen würde. Doch der allgegenwärtige Atem des Todes trieb meinen Herzschlag zu stark an und ich konnte mich nicht beruhigen. Ebenso erging es Leif, der dasselbe versucht hatte, mir aber nun anbot, mir einen Teil meiner Kräfte zurückzugeben. Neugierig entkleidete ich auf seine Aufforderung hin meine Brust und mit einem Pinsel trug er mir eine dunkle Farbe auf. Als er dann ein Schlüsselwort sprach, leuchtete das Siegel auf und verschwand – während ich spürte, wie sich eine wohlige Wärme ausbreitete. Es war, als hätte ich einen kurzen, erholsamen Schlaf gehalten und ich bedankte mich anerkennend bei Leif.

Indes hatte Ricardo eine vernagelte Tür entdeckt und begonnen, die Bretter herunterzureißen, was einen Blick auf den Grund ermöglichte. Scheinbar hatte man das Holz mit roter Farbe überstrichen und anschließend einen Eselskopf darauf gemalt, der eine Krone trug. Darunter waren einige Schriftzeichen in Maralinga gekritzelt worden, die uns Ricardo vorlesen konnte: „Dies ist Rhadamanthus. Der Esel der König sein wollte.“
Ein dunkler Schauer huschte bei dem Namen über meinen Nacken. Die Präsenz der Seemeister war hier zu spüren, gleichermaßen wohl auch die Anwesenheit feindlicher Kräfte. Waren dies hier wirklich Überreste aus dem Krieg der Magier?

Der Küstenstaatler ließ sich nicht lange bitten und brach die Tür vollends auf. Dahinter verbarg sich ein großer Raum, dessen Ausstattung zwar ebenso alt und verfallen wie im Rest des Globus war, allerdings einst deutlich reicher und prächtiger gewesen sein musste, wie die Reste von Wandteppichen aufzeigten.
Der Raum wurde von einer großen Feuerschale beherrscht, die noch einigermaßen in Takt schien. Sie beinhaltete uralte Asche, die eine seltsam-schmierige Konsistenz aufwies. Unerklärlicherweise griff Ricardo hinein und zog sich zwei dunkle Striche unter die Augen. Scheinbar geriet der Küstenstaatler allmählich in einen Rausch und ignorierte dabei vollständig, dass er möglicherweise gerade die Überreste schon lange verbrannter Menschen in seine Haut rieb.

Wir fanden schließlich eine Treppe, die uns weiter nach unten brachte. Der Raum, den wir nun betraten, wurde von einem roten Marmorblock beherrscht, in dessen Oberfläche eine Halbkugel eingelassen war. Sie beinhaltete verschiedene Formen, die auf etlichen Ringen aufgereiht waren und in alle möglichen und unmöglichen Richtungen verschoben, zuweilen sogar verbogen werden konnten. Es war eine seltsame, Kopfschmerzen bereitende Konstruktion.
„Das könnte ein Versuch sein, das Multiversum darzustellen“, stellte Leif verblüfft fest. „Wenn man diese Formen bedenkt und in Verbindung setzt, was jahrhundertelange Forschung von Magiern und Beschwörern hervorgebracht hat… ein kühner Versuch, wie mir scheint.“
„Ich habe nur die Befürchtung, dass diese Forschungen mehr Gefahren erzeugt als gebannt haben. Damals wahrscheinlich noch mehr als heute“, kommentierte ich bitter, was mir mit einem Achselzucken gedankt wurde. Doch wir vertieften unsere womöglich grundsätzlich unterschiedlichen Ansätze über den Einsatz von Magie nicht weiter und setzten unseren Weg fort.

Der nächste Raum, der sich nach einem kurzen Gang anschloss, war offensichtlich einst ein Laboratorium gewesen. Die rostigen Überreste bizarrer Apparaturen, einige wenige Glassplitter sowie farbige Flecken in unterschiedlichsten Größen ließen aber wenig Aufschluss darauf zu, was hier genau experimentiert worden war. Auffällig war jedoch ein großer Bilderrahmen, der an der runden Wand stand. Es handelte sich um eine stilisierte Schlange, die sich um ein nahezu mannshohes Bildnis wandte, um sich schließlich selbst in den Schwanz zu beißen. Das Umrahmte selbst war jedoch von einer dicken Staubschicht verborgen, die Ricardo nun vorsichtig beiseite wischte.
Es war kein Bild darunter: es war ein Spiegel! Der Küstenstaatler wischte neugierig etwas mehr Fläche frei, was ihm unter anderem einen Bild auf seine eigene schäbige Gestalt ermöglichte. Dann verdunkelte sich das Gesehene jedoch… bis wir schließlich in eine Version des Laboratoriums blickten, die noch intakt war! Es war hell dort, auf der „anderen Seite“ und Menschen waren unterwegs. Doch sie arbeiteten nicht an den etlichen Geräten, die herumstanden, sie hatten Waffen gezogen und reckten sie gen Eingang des Labors: dort strömten ihnen Angreifer entgegen, die Münder weit aufgerissen, als würden sie schreien und sie drangen wild auf die Verteidiger ein. Roter Feuerschein vernebelte das Bild etwas, doch deutlich war ein schwarzhaariger Mann in einer dunklen Robe zu erkennen, der in der Ecke des Raumes stand… und neben ihm erhob sich eine kleine, dunkle Wolke, aus der etliche Funken willkürlich hervorschossen. Bis der Mann die Hand erhob und Blitze aus dem dunklen Nebel an seiner Seite hervorzuckten und die ganze Szenerie hell erleuchteten.

So grell, dass ich Nichts mehr erkennen konnte, während gleichzeitig fernes Donnergrollen jegliche Akustik zerschmetterte. Ich erkannte gerade noch, wie in einem gleißenden Blitz der Spiegel vor uns barst, ehe ich jegliches Gefühl für meinen Körper verlor.

Doch nur wenige Augenblicke später erlangte ich blinzelnd wieder die Übersicht… und war mir sogleich nicht mehr sicher, ob ich meinen Augen noch trauen konnte. Wir standen im Labor – aber es war unzerstört. An allen Wänden standen die Tische voller bizarrer Geräte und von draußen, durch ein Fenster, fiel Licht herein… doch so sehr ich blinzelte und ungläubig den Kopf schüttelte: ich blieb in dem Spiegelbild, das wir gerade gesehen hatten. Und meine Freunde waren bei mir und blickten sich ebenso verwundert um, wie ich es tat.
Aber keiner von uns hatte Zeit, eine Theorie aufzustellen, was hier geschah: durch die Tür kam ein gewaltiger, weißäugiger Eber hereingestürmt, dessen rote Borsten wild bebten. Schnaufend setzte das Tier seine Privatstampede fort und stürmte auf uns zu. Im letzten Moment sprangen Miyako und Ricardo zur Seite, dann fegte das Ungetüm an ihnen vorbei. Des Ebers Schultern schwebten noch über Groams Kopf und die weißgelblichen Hauer schwangen herum wie Sensen. Doch der Zorn des Biests trieb es mitten in eine der alchemistischen Apparaturen, die lautstark zerbrach und ihren unheilvoll blubbernden Inhalt über dem Wesen ergoss. Das schien ihm nicht viel auszumachen – wohl aber die Speerspitze, die ich in seine bebende Flanke bohrte, um sogleich hellrotes, fast schon rosafarbenes Blut zu entlassen.

Ricardo schoss ebenfalls heran, ein langer Ausfallschritt und das dünne, unglaublich zerbrechlich wirkende Florett bohrte sich in eine Kniekehle. Der Eber stieß ein schrilles Quieken aus, da bohrte Groam die Spitze seines Stielhammers in eine Schulter des Biests und drückte es fast zu Boden. Miyako wartete keine Sekunde und fuhr mit einem sauberen Schnitt von unten nach oben durch die Kehle des Ebers, der daraufhin niederging. Der Zwerg ließ es sich nicht nehmen, noch einmal den Hammerkopf niederfahren zu lassen, was dem seltsamen Tier den gar ausmachte.

Dann stürmten acht Männer herein und nahmen im Halbkreis vor uns Aufstellung. Ihnen folgte ein neunter in Harnisch und einem Helm, der mit einem Federbusch geschmückt war. Dieser offensichtliche Anführer brüllte uns sogleich etwas entgegen…in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte. Sie klang entfernt wie das Vallinga, was die Händler um das Meer der Fünf Winde herum benutzten, aber doch ganz anders.
„Sie wollen uns gefangen nehmen!“, rief zu meiner Überraschung Ricardo. Andererseits musste man auch nicht unbedingt die Worte kennen, um die Botschaft dieser Männer zu verstehen. Wir wichen so weit zurück, wie wir konnten, die Wand schließlich im Rücken und unser Küstenstaatler antwortete den sich langsam nähernden Soldaten tatsächlich in ihrer fremden Sprache. Eine erstaunliche Überraschung… doch diese Männer schienen nicht gerade bereit, sich lange Erklärungen anzuhören und rückten beständig näher.

Da knackte es rechts neben mir und ich sah noch, wie Leif einen zerbrochenen Runenstab fallen ließ… und vor ihm schwebte eine Feuerkugel! Bedrohlich reckte der Waelinger die Hände und langsam setzte sich die Kugel in Bewegung – aber auch das hielt die Männer nicht auf, die nun schneller näher kamen, die letzten Meter überbrückten.
Ein lauter Knall, Feuerzungen leckten über das halbe Labor und zerschmetterten die alchemistische Ausstattung, während zwei der Soldaten zu Boden geschleudert wurden, sich wanden, aber nicht mehr aufstanden. Ungläubig starrte ich Leif an, der etwas Ruß im Gesicht hatte. Das hätte auch schief gehen können.
Doch da waren immer noch genügend Soldaten. Vielleicht würden wir sie bekämpfen können. Aber wahrscheinlicher liefen dort draußen noch mehr von ihnen herum. Ein längerer Kampf, bei dem sie beständig Unterstützung erhielten würden…

Erinnerungen an die Mallachtéara stiegen in mir auf und ich ließ meinen Speer fallen. Wir würden sicherlich noch die Möglichkeit erhalten uns zu erklären. Oder zu flüchten. Aber nicht, wenn wir jetzt eine zweite Schlacht der Verdammten begannen. Die anderen taten es mir gleich und unsere Waffen wurden sogleich eingesammelt, ebenso wurden wir untersucht und uns alles abgenommen, was irgendwie verdächtig schien, sogar meine Kräuter und Heilsalben nahmen sie mir ab. Dann wurden unsere Hände gefesselt und wir aus dem Alchemielabor heraus geführt. Auch hier war es deutlich heller, Licht fiel herein und es gab weder Staub noch zerstörtes Mobiliar. Die Männer drängten uns zu einer Pforte, die vorhin noch verschlossen gewesen war… es ging hinaus – in die Helligkeit.

Es öffnete sich uns eine Welt. Wir standen am Rand des Globus auf einem Holzgerüst, ohne eine Balustrade. Und wir blickten in die weite Höhle hinaus, die nicht einfach von Fackeln oder der Sonne selbst erleuchtet wurde, sondern von gewaltigen Feuerkugeln, die durch diese riesige, unterirdische Welt schwebten und gleichermaßen Wärme wie Licht brachten. Sollte ihre Sprengkraft äquivalent zu ihrer Größe gestiegen sein, so würde eine Explosion uns sicherlich allesamt töten können. Die Wärme auf der Haut verwandelte sich bei diesem Gedanken in einen unangenehmen Brand.
Doch Erstaunen verbannte andere Ideen, denn der Globus, den wir verlassen und vorher, an jenem so fernem und doch so nahem Ort erkundet hatten: er war nicht der einzige gewesen. Zwei weitere schwebten in dieser gewaltigen Höhle, einer ebenfalls gehalten durch hunderter, immenser Ketten – der andere war von ihnen gesichert, aber ruhte vor allem auf einer massiven Steinsäule, in die eine Wendeltreppe hineingearbeitet schien und bis auf den Boden dieser unterirdischen Welt führte. Wir schienen nicht an einem anderen Ort zu sein… aber was hatte sich dann geändert?

Der Hauptmann winkte eine der kleineren Feuerkugeln heran, die uns daraufhin bessere Sicht spendete und sogleich wurden wir von den Soldaten über eine Hängebrücke zu dem anderen schwebenden Globus hinübergetrieben. Dieser Weg führte uns zu einem reich mit Runen verzierten Tor in das Innere dieser gewaltigen Steinkugel. Die Tür wurde uns geöffnet, dann trat man uns beinah weiter, in einen kunstvoll ausgestatteten Raum, der jede Verwüstung, die wir bisher gefunden hatten… oder an jenem früheren Ort… nie gekannt zu haben schienen. Brokatvorhänge hingen von den Wänden, mit Mustern versehene Teppiche lagen auf dem Boden. Es gab eine Feuerquelle, die keine Nahrung zu brauchen schien und große Ledersessel sowie Sofas, die in einem Kreis standen. Doch viel Zeit blieb nicht, um sich Umzusehen, denn wir wurden erwartet: drei Männer, einer in roter, einer in weißer Kutte und der dritte – mit Abstand der Jüngste – trug eine Lederrüstung über einer Tunika sowie ein Schwert an seinem Gürtel. Ein winziger Drache ruhte auf der Schulter des Mannes in weißer Robe! Das, dieser Raum und wie sich alle Soldaten um uns herum vor diesen Menschen verneigten, verhieß nichts Gutes für uns, auch wenn wir uns sogleich alle ebenfalls verneigten, um nicht den Zorn derer zu wecken, die die Herren dieser unterirdischen Welt zu sein schienen.

Wir wurden in dieser unbekannten Sprache angeredet und nur Ricardo konnte antworten. Er schien seinen Namen zu nennen und versuchte dann hektisch auf die drei Männer einzureden. Doch was er sagte, schien keinen Gefallen zu finden und einer der Soldaten drückte ihn gewaltsam zu Boden. Aber der Küstenstaatler ließ sich nicht beirren und versuchte es weiter. Leif versuchte ihm zur Hilfe zu eilen, indem er einige Worte auf Waelska verlor – doch ihn schien keiner zu verstehen.
„Sie halten uns für Spione!“, sagte Ricardo hastig auf Comentang, auch wenn er für den Sprachwechsel beinah von dem bei ihm stehenden Soldaten geschlagen wurde.
„Wer sind diese drei überhaupt?“, fragte ich hektisch.
Ein kurzer Wortwechsel, Ricardo erbleichte… und wiederholte, was er erfahren hatte: „Diese drei Männer nennen sich Zelotis Leukipos, Anarbal der Jüngere… und Rhadamanthus.“

Ungläubig sah ich die drei Gestalten an, die sich da vor uns erhoben, während wir von den Soldaten niedergehalten wurden. Das war nicht möglich. Die Seemeister waren tot, oder zumindest fort. Nicht auf dieser Welt. Nicht in dieser… Zeit?
Der Zauberer in der roten Kutte verriet durch keine Regung, dass er etwas getan hatte, doch Ricardos Blick wurde glasig und er starrte den Mann an, als hätte er seinen Gott gefunden. Einige Sekunden vergingen, die mir jedoch wie eine Ewigkeit schienen und den Küstenstaatler quälten – dann winkte der Hexer ab, wir wurden auf die Knie gezerrt und aus dem Globus herausgedrängt. Ich rief noch einmal etwas auf Eldalyn, vergebens, denn die Soldaten schienen Weisung erhalten zu haben und führten uns über eine weitere Brücke ab. Das Ziel war diesmal der dritte Globus, dessen Pforte jedoch keine Verzierungen aufwies.

Ebenso wenig das Innere dieser Steinsphäre. Es gab nur einen langen Gang auf eine Treppe zu, die ein Auf und Ab innerhalb dieses Konstrukts ermöglichte. Und entlang des Ganges befanden sich zahllose Einzelzellen hinter massiven Eisenstangen. Kein Raum maß der Länge oder Breite nach mehr als einen Meter. Aber hier schien Niemand gefangen worden zu sein. Erst als wir ein Stockwerk tiefer gebracht wurden, rochen wir Spuren der Knechtschaft. Ausdünstungen, nicht entsorgte Abfälle…

Hier bekam jeder von uns eine Zelle, wahllos nebeneinander hineingesteckt und die Soldaten verließen uns. Doch wir hatten Nichts bei uns, um uns zu befreien und kein Wissen darüber, wo unsere Sachen abgeblieben waren, die wir seit Verlassen des Alchemielabors nicht mehr gesehen hatten. Und wir wussten tatsächlich nicht einmal, wo wir waren… wann wir waren. Ob wir waren?

Stille trat ein, ein bedrückendes Schweigen, dem keiner etwas Hinzuzufügen hatte. Wir waren allein, verloren in einer Welt, die nicht die unsrige schien. Gedanken, die mir mein Unterbewusstsein entgegenschleuderte, als wolle es mich zu Fall bringen – in den sicheren Schoß des Wahnsinns stürzen, in dem ich mir keine Fragen mehr zu stellen brauchte.
Ich begab mich in einen Schneidersitz, schloss die Augen und konzentrierte mich voll und ganz auf meine Atmung, beruhigte den wild gewordenen Herzschlag und verdrängte mühselig einen Gedanken nach dem anderen, bis Stille eintrat und ich in der Dunkelheit Erholung finden konnte.

Als ich meine Augen wieder öffnete konnte ich zumindest wieder beginnen, klare Gedanken zu fassen. Meine Freunde waren noch bei mir, einige sah ich durch die Gitterstäbe, andere versicherten mir ihre Anwesenheit über eine schnelle Wortmeldung.

Schließlich erhob ich meine Stimme und rief laut die Namen der Gesandten: „Nublesch! Alexios! Pelektrakt! Seid ihr hier?“
Es folgte eine Stille, die nur schwach von einem leisen Echo durchbrochen wurde, und ich wiederholte meinen Ruf. Musste es nicht sein, dass die Gesandten ebenfalls in dieser Welt hier gefangen waren? Doch keine Antwort… bis wieder diese fremde Sprache erklang.
Ricardo übersetzte: „Da ruft jemand. Er sagt, er sei der einzige, der mit uns hier eingesperrt sei.“
„Welche Sprache sprichst du… sprechen alle hier eigentlich?“, fragte Leif.
„Das ist Maralinga… ich kenne sie eigentlich nur als Schrift und ein paar wenige, überlieferte Ausspracheregeln. In Midgard gibt es nur noch sehr wenige Sprecher… sie ist eigentlich seit Jahrhunderten ausgestorben und wir kennen nur noch ihre Ableger, wie die Vallinga.“
Danach begann Ricardo ein Gespräch mit diesem anderen Gefangenen, der wohl nicht so weit entfernt von uns eingekerkert worden war. Schließlich fasste der Küstenstaatler zusammen, was er erfahren hatte. Seit Stimme zitterte dabei leicht, er wirkte so fassungslos wie seine Erkenntnisse unglaublich waren: „Der Mann heißt Pandrabal. Er ist hier auch eingesperrt worden, weil sie ihn für einen Spion hielten, als er durch einen unterseeischen Zugang hier herein gekommen ist. Aber das Datum…dieses Jahr. Wir sind neunhundert Jahre vor unserer Zeit!“
„Das kann nicht sein! Zeitreisen sind unmöglich!“, rief Leif aus.
„Ist das hier vielleicht eine äußerst mächtige Illusion?“, überlegte ich.
„Oder eine andere Welt?“, setzte Ricardo hinzu.
„Eine Welt für jede Zeit… für jede Möglichkeit?“, spann Leif den Faden weiter.
„Wir sind zu der Zeit auf Midgard, als der Krieg der Magier tobt“, versuchte ich einen anderen Ansatz. „Ricardo, frage Leif, ob es noch Thalassa gibt. Dann wissen wir, wie weit die Grauen Meister sind – oder wie nah.“
„Was, wenn dies eine Welt ist, in der die Dunklen Meister gewinnen?“, wandte der Küstenstaatler unheilvoll ein, leitete die Frage aber weiter. Und er gab prompt die Antwort zurück: „Thalassa ist nicht mehr. Die Grauen Meister, sie stehen in Oktrea.“

Konnte man es noch verleugnen? Konnte man es glauben? Wir waren in der Zeit zurückgeworfen worden, ans Ende des Kriegs der Magier – bevor alle Seemeister verschwanden. Illusion oder Traum: mit einem einfachen Zwicken am Arm kamen wir hier nicht heraus.
Die Wachen kamen zurück, holten uns Mann für Mann aus den Zellen und legten unsere Hände in Ketten. Dann trieben sie uns den Gang entlang, wieder zur Wendeltreppe und weiter in die Tiefe. Dabei kam ein weiterer Gefangener zu uns. Er war dreckig, seine Kleidung zerschlissen und er roch fürchterlich – sie mussten den jungen Mann, der sich uns als Pandrabal vorgestellt hatte, schon mehrere Tage hier festgesetzt haben.

Die Wendeltreppe führte uns tiefer nach unten und wir erhaschten flüchtige Blicke auf andere Dinge, die hier eingekerkert worden waren, aber mit Menschen nicht viel gemein hatten… Dann kamen wir ins „Freie“ und noch einige Meter weiter und wir standen auf dem rauen Felsboden dieser gigantischen Höhle. Die Wendeltreppe war in den Sockel dieses Globus eingelassen worden. Das alles hier war eine magisch-architektonische Meisterleistung, allerdings war ich nicht in der Stimmung, die Macht der Seemeister zu bewundern – allein deswegen nicht, da es unnatürliche, finstere Kräfte waren, die ihnen zu dieser Kraft verholfen hatten.
Wir wurden weiter gedrängt, gingen mehrere hundert Meter im Gänsemarsch, die Soldaten um uns. Bis wir eine Mulde erreichten, wo die Handfesseln gelöst wurden und die Valianer uns Spitzhacken sowie Schaufeln in die Hände drückten. Ein unmissverständlicher Fingerzeig auf die Mulde, bedeutete uns, was wir tun sollten.

Sollten wir hier archaisch unser eigenes Grab schaufeln? Oder war das reine Schikane, um unseren Geist zu brechen? Wenn sie uns töten wollten, warum diese Mühe? So groß, wie diese Höhle war, konnten sie uns einfach in eine Ecke werfen, wie Müll. Das erste Zögern unsererseits wurde registriert und der Anführer dieser Truppe drückte Pandrabal auf die Knie und hielt ihm sein Messer an die Kehle. Er brüllte ein Wort und das musste wohl „Grabt!“ heißen.
Zunächst beschloss ich dem Befehl Folge zu leisten und mit der Spitzhacke den Stein zu bearbeiten, der da unter uns lag – die anderen taten es mir gleich. Ich konnte nur kurze Blicke auf die Umgebung erhaschen, wobei ich erkannte, dass zwei der drei Globen auf Säulen ruhten und nur der allererste rein von Ketten getragen wurde.
Während wir arbeiteten, unterhielten sich unsere Wächter. Der Tonfall ließ erahnen, dass es äußerst abfällige Kommentare waren, doch nur einzelne Wörter kamen mir entfernt bekannt vor. Doch in der genuschelten Aussprache der Männer konnte ich seinem Sinn zuordnen.

Eine Stunde arbeiteten wir uns bereits an dem Fels ab und waren ziemlich verschwitzt. Da ging Ricardo auf die Knie und ließ seine Spitzhacke fallen. Er war blass, seine Haare hingen ihm klatschnass über die Stirn und er atmete schwer. Er war noch schwer von unseren Erfahrungen in der „anderen Zeit“ gezeichnet gewesen und nun… erschöpft. Der Anführer der Soldaten brüllte etwas. Ricardo schüttelte nur schwach den Kopf, versuchte japsend eine Antwort.
… der Valianer schnitt Pandrabal die Kehle durch. Der Kundschafter schrie noch einmal auf, spuckte dabei Blut, und sank dann zu Boden, während sich der Fels unter ihm rot färbte. Fassungslos starrte ich auf die Leiche, während zwei der Soldaten zu Ricardo schritten und auf die Füße rissen.

Geschockt reckte ich mich zu meiner vollen, wenn auch bescheidenen, Größe auf und brüllte ein Wort der Angst und Furcht, um den Henkersknechten ihre Lust am Töten zu nehmen. Doch sie ignorierten meine schwächliche Magie schlichtweg, als wäre ich nur eine lästige Fliege.
Der Anführer schritt nun zu Miyako, brüllte sie an, wies dabei auf Ricardo. Wahrscheinlich sollte sie ihm Beine machen, doch die KanThai stand fest und ausdruckslos wie ein Fels. Der Valianer spuckte ihr ins Gesicht und stieß sie weg. Dann nahm er sich selbst Ricardos an.

Wie bei einem morbiden Spiel suchte er mit einem Abzählreim einen Finger des Küstenstaatlers aus. Ungläubig starrten wir auf das, was dort geschah, zu geschockt, um uns auch nur ein Stück weit zu bewegen. Er erwählte den kleinen Finger. Ein sadistisches Grinsen huschte über die kaum noch als menschlich zu erkennende Fratze des Mannes, als er seinen Dolch zückte – und auf den kraftlos hängenden Ricardo einstach.
Blut schoss, etwas Kleines fiel zu Boden und der Küstenstaatler wurde von den Valianern los gelassen und stürzte. Wimmernd kauerte er sich zusammen, während sich unsere Kerkermeister bereits zu uns umwandten und unmissverständlich auf die Gruben zeigten, die wir in Begriff waren auszuheben.

Also machten wir weiter, auch wenn jetzt klar war, dass dies hier kein gutes Ende nehmen würde. Wir hackten und gruben, bis ein erstes Loch groß genug war, einen erwachsenen Mann zu fassen. Der Anführer packte Leif am Arm und warf ihn zu Pandrabal hinüber. Dann deutete er herrisch auf das Grab.
Es war jener Moment, da Miyako und ich einen kurzen Blick austauschten und klar wurde, dass es nur einen Versuch gab. Und wenn wir versagten, würden wir hier alle sterben – in einer Zeit, die nicht einmal die unsre hätten sein sollen.

Mit einem Schrei schwang ich meine Spitzhacke herum und rammte sie dem nächststehenden Wächter mit voller Gewalt ins Schlüsselbein. Der Mann riss die Augen auf, zunächst vor Verblüffung, dann vor Schmerz, während sich rostiges, verdrecktes Eisen einen Weg durch seinen Rumpf bahnte. Nur einen Hauch später war Miyako bei einem anderen Wächter und nagelte mit einem genauen Hieb dessen Helm auf seinem Schädel fest. Die Spitzhacke verband beides auf ewig, während Blut, Knochen und Gehirnstücke hervorquollen.
Auch die anderen stürzten sich auf unsere Kerkermeister, selbst Ricardo bäumte sich noch einmal auf und entlud seinen Hass mit roher Gewalt auf den nächststehenden Soldaten. Doch ich hatte kaum Zeit, mich umzublicken – da bemerkte ich, dass der Soldat, den Miyako soeben erledigt hatte, einen Pilum getragen hatte. Eine Waffe, mit der ich umgehen konnte. So ließ ich meine Spitzhacke wo sie war und warf mich zu dem Speer hin, um sogleich aufzuspringen und die neue Waffe bereit zu haben. Miyako hatte die Zeit genutzt, die Spitzhacke in dem Mann herumzureißen und so weitere Blutgefäße zu zerfetzen – tot sackte er nieder und die KanThai konnte sich seinen Dolch nehmen.

Als erste, die nun richtige Waffen besaßen, eilten wir unseren Freunden zur Hilfe. Leif stand mir dabei am nächsten und der Waeländer schwang seine Schaufel erstaunlich geschickt, sodass der Soldat mich nicht bemerkte – bis sich der Pilum den Weg durch den Rücken in die Lunge suchte. Kurz darauf traf ihn die volle Breitseite der Schaufel am Kopf, sodass sich sein Gesicht beinah bis auf den Rücken verdrehte. Das laute Knirschen einer zerberstenden Wirbelsäule kündete vom Tod des Mannes.
Anerkennend nickte ich dem jungen Isleifsson zu, dann spurtete ich zu Ricardo, der bereits von der KanThai unterstützt wurde. Der Küstenstaatler kämpfte tapfer, doch seine Kraft war am Ende und die vom Verlust eines Fingers blutigen Hände machten es ebenfalls nicht leichter. Doch als wir zu dritt auf den Valianer einschlugen, wusste der sich der Attacken nicht mehr zu erwehren. Erst traf mein Pilum eine Kniesehne und er knickte ein, dann stieß Miyako ihm ihren den Dolch durchs Ohr in den Schädel.

Der letzte Soldat wurde von uns fünfen zugleich bedrängt, sodass auch sein kläglicher Fluchtversuch scheiterte. Die wahrhaft entfesselte Wut von uns verwandelte den Mann binnen weniger Sekunden in einen unkenntlichen Fleischsack.
Ricardos Zorn war jedoch nicht verraucht. Der Anführer der Valianer atmete noch flach und der Küstenstaatler lief hastig zu ihm hin und trennte ihm mit dem Dolch gleich zwei Finger ab – genug, um den letzten Lebenshauch des Mannes zu ersticken. Dann packte Ricardo noch eine herumliegende Schaufel und schlug solange auf den Schädel des letzten Überlebenden ein, bis selbst der letzte Knochensplitter in den Boden einmassiert war.

Wir hielten inne. Blut war vergossen worden, die Gemüter standen in Flammen. Doch, wohin sollten wir nun?
„Pandrabal sprach von einem Ausweg“, erinnerte ich mich. „Oder vielmehr einem zweiten Eingang. Ein unterseeischer Zugang?“
„Das stimmt, doch werden wir den jetzt wohl nur schwer finden können, da er tot ist“, stellte Miyako fest.
„Außerdem“, warf Leif ein. „Wollen wir doch nicht nur einen Ausweg aus dieser Höhle! Wir wollen zurück… in unsere Zeit.“
„Dann müssen wir zurück zum Spiegel“, keuchte Ricardo. „Der bringt uns doch sicher zurück.“

Allgemeines Nicken. Damit war es entschieden, wir mussten zurück zu den Globen. Ricardo und Leif zogen sich die Rüstungen der Valianer an, sie würden sich vielleicht gerade noch als welche von ihnen ausgeben können. Bei Groam und mir war das gänzlich vergebens und auch eine KanThai wie Miyako würde nicht als Soldatin der Seemeister durchgehen können.
Dann machten wir uns auf den Weg zurück, Ricardo machte nur noch einmal kehrt, um sich seine „Beute“ vom Anführer zu holen. Klug war das nicht, waren wir hier unten doch wie auf einem Präsentierteller. Doch jetzt noch auf Vernunft zu pochen, erschien mir kaum noch sinnvoll. Wir hatten Nichts mehr von unserer Ausrüstung, waren umgeben von Feinden und vor allem von den gefährlichsten und mächtigsten Hexenmeistern, die Midgard jemals gesehen hatte. Wir brauchten Glück.

Auf unserem Weg durch den Gefängnisglobus fanden wir weder eine Kammer mit unserer verstauten Ausrüstung, noch weitere Wachen. Nur die Schemen düsterer Kreaturen in ihren Zellen, die uns antrieben, nicht lange zu verweilen und schnell über die Zugbrücke zur nächsten Steinkugel zu eilen. Hier waren wir Rhadamanthus selbst begegnet… also eilten wir schnell weiter, bis wir wieder im allersten Konstrukt waren, das rein durch Ketten gesichert in der Schwebe hing.
Es war jener altvertraute Gang, mit der verhängnisvollen Pforte zum Alchemielabor: in dieser Welt geschützt durch eine Tür. Vorsichtig näherte sich Miyako, tastete über das Holz und versuchte schließlich, uns den Weg zu öffnen.
„Verdammt. Sie ist verschlossen. Ich habe keine Dietriche!“
„Lass mich mal“, brummte Groam und warf sich mit seinem gesamten, zwergischen Kampfgewicht gegen die Tür.

Es gab einen kräftigen Schlag – doch der Weg blieb uns versperrt. Aber… man hatte uns bemerkt: aus einer gegenüberliegenden Tür kamen zwei Valianer herausgestürmt. Sie zogen gerade noch hastig ihre Helme auf und griffen nach ihren Kurzschwertern.
Schnell wie eine Schlange zuckte Miyako hervor, kaum mehr als ein Schemen und sie stach dem ersten Soldaten ihren Dolch direkt ins Herz, drehte die Klinge herum, wirbelte auf der Stelle und fuhr dann dem nächsten Mann mit einem Rückhandstich in die Kehle. Ohne weiteren Laut sackten die beiden Valianer direkt in sich zusammen. Für die KanThai war nun offiziell der Geduldsfaden mit diesen Menschen gerissen, wie es mir schien. Selbst Groam starrte die Frau mit aufgerissenen Augen an.

Doch wir hatten keine Zeit, in Ehrfurcht zu erstarren; es konnten jederzeit weitere Soldaten der Seemeister auftauchen. Daher packten wir die Leichen der beiden und zerrten sie durch die Tür, aus der sie gerade gekommen war – es entpuppte sich als der Speiseraum, den die beiden vormals alleine in Beschlag genommen hatten. Es bot sich nicht wirklich ein gutes Versteck, so legten wir die Toten in eine Ecke. Vielleicht verschaffte es uns ein paar Sekunden, vielleicht auch nicht. Unsere Blicke fielen anschließend auf eine der Bänke.
„Nun…“, meinte Groam schulterzuckend. „Nehmen wir eine als Rammbock?“
Wir zögerten keinen Moment, packten allesamt an und traten mit unserer Behelfswaffe nach draußen, nahmen so viel Anlauf, wie wir konnten und rannten mit der Bank gegen die Tür zum Alchemielabor.

Ein lauter Knall – dann zersprang das Holz in unseren Händen, als würde es eine Kraft von innen heraus zerreißen. Die Gewalt drückte uns alle ein Stück davon, doch verletzt wurden wir nicht.
„Verdammt“, fluchte Ricardo. „Das wird ein Zauberschloss sein.“
„Dagegen hätte ich was“, meinte Miyako und sogleich verzog sie die Mine.
„Ich auch… aber wir haben unsere Ausrüstung nicht“, meinte Leif, während er verzweifelt die Hände vors Gesicht schlug.
„Dann müssen wir sie wiederfinden. Hat vorhin jemand gesehen, wo sie hingebracht wurden?“, fragte ich.
„Die haben uns alles abgenommen und dann wurden wir abgeführt. Wahrscheinlich sind sie noch hier im Globus. Vielleicht sogar noch im Alchemielabor selbst“, brummte Groam und diesmal wirkte sogar er ratlos.
„Wir müssen einfach alles absuchen, was wir absuchen können“, meinte ich hohl. „Nicht, dass wir eine größere Wahl hätten.“

Wir gingen zunächst in die Küche, die sich an den Speiseraum anschloss, um dort unsere Erkundungen zu beginnen. Es war eine auffällig gewöhnliche Küche, wenn man bedachte, dass wir uns hier in einem Konstrukt der Seemeister befanden. Doch scheinbar, aßen auch deren (menschliche) Diener nichts anders als wir.
Doch der Schein trübte: nach wenigen Minuten der Suche hatte Miyako eine auffällige Stelle an der Wand ausgemacht. Auf ihren Hinweis hin tastete ich die Stelle ab. Langsam fühlte ich über den unebenen Stein, bis ich schließlich das Gefühl hatte, geringeren Gegendruck zu erfahren. Ich stieß gegen die Stelle und wir hörten kurz darauf das Schaben von Fels auf Fels, während die Wand zur Seite glitt und einen Geheimraum offenbarte. Dieser war karg und leer – wären da nicht zwei seltsame Lichtsäulen, die eine gelb, die andere weiß.

Achselzuckend blickten sich die beiden zauberkundigen Leif und Ricardo an, mir fiel auch nicht ein, was das bedeuten könnte. Allerdings hatte ich nicht das Gefühl, dass sich in einem Geheimraum in der Küche direkt eine Todesfalle befinden würde. So versuchte ich mein Glück und trat in die weiße Säule.
Die Welt um mich herum flimmerte kurz, doch als mein Schritt endete war sie wieder klar: ich stand in einem anderen Raum. Die Wände waren ebenso magisch abgeschliffen, wie wir das weiter oben bereits gesehen hatten. Es gab zwei Türen, die nach links davonführten, sowie eine gelbe Lichtsäule. Ansonsten war der Raum karg und leer, nicht einmal Staub lag herum. Die anderen folgten mir soeben und sahen sich ebenso neugierig um, wie ich. Interessant war, dass hier alles wie von selbst beleuchtet schien. Ein Zauber, den die Seemeister hier gewoben hatten. Ein mehr als seltsamer Ort, vor allem wenn man bedachte, dass er verborgen war – in der Küche.
Leif versuchte eine der Türen zu öffnen, die sich jedoch als verschlossen erwies. Indes las Ricardo ein Wort vor, dass in Maralinga auf den Boden vor der Säule eingelassen worden war. Die Säule färbte sich weiß. „Es hieß ‚hinauf‘“, erklärte der Küstenstaatler. „Damit habe ich die Versetzung wohl umgekehrt und wir können wieder nach oben.“
Doch wir waren uns alle einig, dass wir herausfinden wollten, was sich hier unten befand. So begannen wir die linke Tür mit Waffengewalt zu bearbeiten, während wir feststellten, dass die Temperaturen hier allmählich kühler wurden. Gerade als unser Atem begann Wolken zu schlagen, zerbrach das Kurzschwert, das sich Ricardo von einem der toten Valianer genommen hatte, an der Tür. Es war offensichtlich, dass wir mit reiner Gewalt nicht zu unserem Ziel kommen würden.

Abgesehen davon, dass die Kälte immer unerträglicher wurde, brauchten wir hier andere Hilfsmittel, um voranzukommen. Wir kehrten durch die weiß eingefärbte Lichtsäule wieder in die Küche zurück, in die sich glücklicherweise derzeit keine weiteren Soldaten gewagt hatten. Hastig durchsuchten wir die Schränke und Kommoden und entdeckten neben den üblichen Tellern und Schüsseln auch einige Drähte und Nägel, die Miyako nutzen konnte, um ein Schloss improvisiert zu knacken. Natürlich versuchten wir das zuerst bei der Tür zum Alchemielabor – doch die Vermutung verhärtete sich, dass Magie ins Spiel gebracht worden war, um uns den Weg zurück zu versperren.
So gingen wir in den magischen „Keller“ zurück. Ich hielt es für möglich, dass in einem solchen Versteck unsere Ausrüstung aufbewahrt wurde, auch wenn wir mit weiteren Fallen rechnen mussten. Und die anderen sahen es ähnlich. Die KanThai brauchte auch nicht lange, bis sie das Schloss jener Tür geknackt hatte, welche vorhin das Ende von Ricardos Waffe bedeutet hatte. Glücklicherweise waren die Temperaturen nur noch kühl und nicht mehr arktisch, sodass wir uns hier eine längere Zeit würden aufhalten können.

Die geöffnete Pforte ermöglichte uns den Weg weiter durch diesen Keller. Wände und Boden blieben weiterhin so, wie wir sie kannten: auf magische Weise abgeschliffen und schmucklos. Es war trist, durch diese grauen Hallen zu wandern in denen Nichts zu finden war, das uns irgendeinen Nutzen erbringen konnte. Einige Räume fanden wir lediglich einen rostigen Buckler und ein Kurzschwert, die herrenlos in einer Ecke lagen. Ich glaubte kaum, dass der Schild mir lange einen Dienst erweisen würde, doch ich nahm es dennoch auf, um mich zumindest für eine Weile besser verteidigen zu können. Ricardo wählte indes das Kurzschwert für sich.
„Meint ihr nicht, dass die Waffen etwas auffällig sind?“, warf Miyako ein.
Irritiert blickte ich auf die KanThai, dann auf den rostigen Buckler in meiner rechten Hand. „Hm, vielleicht nicht das Beste, aber auffällig? Warum?“
„Nun, ein Schild aus Gold, der auch noch mit Edelsteinen verziert wurde…ich glaube nicht, dass das meiner Auffassung von unauffällig entspricht“, erklärte die KanThai in süffisantem Tonfall. Wieder blickte ich verwundert auf den Schild.
„Miyako… dieser Schild ist aus Eisen, noch dazu voller Rost. Ich glaube, du unterliegst einer magischen Täuschung“, vermutete ich.
Die KanThai war zwar nun ebenso irritiert wie ich, schien allerdings nicht diese magische Täuschung durchbrechen zu können. Und bei dem verwunderten Blick, den sie Ricardo zuwarf, fragte ich mich, was sie in seiner Hand sah.

Es sollten nicht die letzten magischen Täuschungen sein. Wir fanden noch einige Truhen ohne jeglichen Inhalt, auch wenn Groam aus einer davon reichlich Luft in seine Taschen schöpfte und sodann versuchte, die Kiste gleich ganz hinter sich herzuziehen. Er tat sich damit erstaunlich schwer, glaubte wohl wirklich an das geballte Gewicht einer von Edelmetall gefüllten Truhe. Doch spätestens als Ricardo pfeifend mit einer leeren Truhe unter einen Arm geklemmt an ihm vorbeilief, musste auch der Zwerg einsehen, dass er hier getäuscht worden war.
Während unserer Erkundung waren wir mehrfach froh, Miyako dabei zu haben, die die weltlichen Fallen in diesem „Keller“ rechtzeitig entdeckte. So gab es eine Falltür und auch Bolzenfallen, die über eine Druckplatte ausgelöst wurden. Alles in allem war dieser Ort hier wenig einladend und ich zerbrach mir verzweifelt den Kopf darüber, warum das hier alles überhaupt gebaut worden war – denn es gab Nichts, das hier unten versteckt worden wäre.

Wir kehrten in den ersten Raum mit der Lichtsäule zurück und gerade als ich überzeugt war, dass dieser Komplex hier unten lediglich von einer boshaften Entität erdacht worden war, um verirrte Seelen zu foltern, da entdeckten wir an einer Wand eine weitere Geheimtür! Durch einen Druckpunkt konnte man das Drehen eines Felsstücks erreichen und gelangte so in einen weiteren Raum…oder eher eine Halle.
Es gab einen kleinen Vorsprung, auf dem wir uns gemeinsam einfanden, aber dann nur noch einen schmalen Steinsteg an der Wand entlang, während der restliche Teil des Raumes etwa sieben Meter abfiel. In der Grube, die sich vor uns auftat, glänzte ein seltsamer Film im Schein des Fackellichts.

„Wollen wir es wagen, diesen Sims entlang zu klettern?“, fragte ich die anderen. „Dies sieht doch schon eher nach einem Versteck aus.“
„Das sieht schon recht gefährlich aus. Allein der Sturz…“, wog Ricardo ab.
„Und wir sollten äußerst gut klettern können. Der Sims allein ist wirklich sehr schmal“, entgegnete Leif. „Ein unnötiges Risiko.“
Auch Groam wirkte von dem schmalen Steinsims nicht beeindruckt. Doch ich war überzeugt: da hinten musste es etwas geben, das die Seemeister verborgen halten wollten. Vielleicht unsere Ausrüstung, vielleicht ein Weg zurück. In unsere Zeit. So trat ich entschlossen an den Steinsims heran und begann mich flach an die Wand zu drücken, um auf ihn entlang am Rand der Grube entlang zu gehen. Die anderen beobachteten meine waghalsige Erkundung – doch ich wurde nicht allein gelassen. Miyako zögerte nicht mehr, als sie sah, dass ich es versuchen würde. Die lange Zeit, seit wir uns damals in einem kleinen Örtchen namens Crail getroffen hatten, schien uns aneinandergeschweißt zu haben.

Es erwies sich als zunächst nicht besonders schwierig, den Sims entlang zu gehen. Die Wand in unserem Rücken war deutlich rauer und bot ebenfalls Haltemöglichkeiten, sodass wir ohne größere Probleme zur Ecke des Raumes kamen. Der Sims führte weiter, die Grube ging ebenfalls unter uns weiter und so folgten wir dem Verlauf der Wand, bis wir uns der nächsten Ecke näherten.

Gerade machte ich den nächsten, behutsamen Schritt…da versank mein Fuß in der Steinplatte und glitt haltlos hindurch – eine Illusion! Gerade so konnte ich mich an der rauen Wand festhalten und verhindern hinab zu stürzen. Allein die Tiefe wäre gefährlich, dazu noch dieser seltsame Film. Eine zwischenzeitlich hinab geworfene Fackel von Leif war rasch erloschen, nachdem sie seltsam zischende Geräusche von sich gegeben hatte.
Doch die Illusion vor uns war nicht das größte Problem, das Miyako und ich nun hatten: der Sims ab der ersten Ecke klappte Stück für Stück weg, bis er uns bald erreicht haben würde. Hektisch die Luft einziehend, machten wir uns sogleich daran, die Wand entlang zu klettern, um so weit wie möglich zu kommen, hoffentlich an der Illusion vorbei. Oder dies war schlicht die letzte, endgültige Todesfalle, aus der es kein Entkommen geben würde.

Es war extrem schwierig, sich allein an der Wand zu halten. Die geringen Unebenheiten so zu fassen, dass man beim Belasten mit dem gesamten Körpergewicht nicht wegrutschte glich einer Meisterleistung und mehrfach glaubte ich, gleich in den Abgrund zu stürzen. Miyako war direkt links neben mir und wirkte nicht minder entsetzt über diese Falle. Der Sims war mittlerweile bis zu unserer Ecke hinweg weggeschwungen – bis zu jenem Stück, das sich als Illusion erwiesen hatte. Nun war das Verschwinden gestoppt… doch die Frage war, ob es noch einen Sims gab, den wir betreten könnten oder ob alles Weitere Illusion war.

Da rutschte ich mit meinen schweißnassen ein Stück in meinem Handschuh, verlor dabei den Halt. Miyako hielt sich neben mir tapfer, doch musste hilflos mit ansehen, wie ich von der Wand wegstürzte. Angsterfüllt schlug ich mit den Armen um mich, während ich schon bereits zu spüren glaubte, wie meine Knochen beim Aufprall zerbrachen, ehe mich dieser seltsame Film, vielleicht ein Gift, vielleicht eine Säure, qualvoll töten würden.
Dann fand ich Halt! Der Sims war an dieser Stelle wieder real und es gelang mir gerade so, ihn zu packen und mich festzuhalten. Meine Gelenke ächzten unter der plötzlichen, ruckhaften Belastung, doch ich war – zumindest für einen kurzen Augenblick – gerettet.

Ich zog mich hoch und glitt weiter den Sims entlang, Miyako direkt neben mir. Es ging noch einige Meter weiter, bis wir außer Sicht unserer Gefährten waren, welche von ihrem Vorsprung aus beobachten mussten, was geschah. Wir erreichten dann das Ende der Grube und damit einen Gang, der uns weiterführte. Vorsichtig gingen wir ihn entlang, glücklicherweise war hier alles ebenso von sich aus beleuchtet wie im ersten Raum.
Dann kamen wir in eine kleine Halle, die wohl als kleine, eigene Unterwelt dienen sollte. In der Mitte befand sich ein neun Meter durchmessender Kreis, in dem die Statuen von sechs Gestalten in Roben zu sehen waren, die unverkennbar den bisherigen Darstellungen der Dunklen Meister glichen. Die Decke oberhalb musste von wahnsinnigen Steinmetzen gestaltet worden sein, denn sie sah täuschend echt danach aus, als würden sich dutzende dämonische Fratzen aus ihren finsteren Welten heranrecken, um einen Blick auf diese Seemeister zu erhaschen. Ihre Gesichtsausdrücke waren dabei von einer boshaften Vorfreude gekennzeichnet, die jedes vernunftbegabte Wesen erschrecken lassen mussten. Zuletzt waren da noch die Fresken, die an der kreisrunden Wand dieser Halle entlang aufgezeichnet waren. Darstellungen düsterer Dämonengesichert, die den Seemeistern gegenüberlagen, Abbilder gefolterter und unterworfener Menschen und mir unkenntliche Zeichen, die bei längerem Betrachten ein tiefes Unwohlsein hervorriefen.
Der einzige Weg, der von hier aus weiterging, war wohl durch eine Falltür inmitten der sechs Seemeisterstatuen in diesem seltsamen Kreis.

„Wir müssen alleine weitermachen“, stellte Miyako nüchtern fest. „Lass uns das den anderen mitteilen.“
Fassungslos nickte ich, fest davon überzeugt, hier nicht mehr lebend herauszukommen. Wir drangen nicht in irgendein Versteck ein – hier schien etwas zu liegen, das den Seemeistern eine Menge bedeutete und das für uns sicher nichts Gutes.

Vom Rand der Grube aus konnten wir gerade so Groam, Leif und Ricardo auf dem Vorsprung sehen und riefen ihnen zu, was wir entdeckt hatten.
„Wir werden versuchen, hier herauszukommen“, schloss Miyako.
„Dann werden wir in dieser Zeit versuchen, unsere Ausrüstung wieder zu finden“, erklärte Ricardo. „Wir treffen uns am besten spätestens am Morgen des übernächsten Tages wieder in diesem ‚Keller‘.“

Falls wir dann noch alle lebten, setzte wohl jeder von uns im Geiste hinzu. Wir waren im Herz der Finsternis angekommen und jetzt hatte uns das Schicksal auch noch auseinander gerissen. Wie konnte das noch gut gehen?

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