Wo versteckt man einen Turm?

Wir suchten zunächst wieder Balthasar auf, verbrachten dort eine Nacht und erholten uns den mentalen Strapazen, die die letzten Tage auf uns eingeprasselt waren. Allmählich erholte auch Olo sich von den magischen Nachwirkungen der Pralinen, wenngleich ihn wahrscheinlich Nichts davon abhalten würde, sie erneut zu kosten. Aber unsere Hoffnung war es vorerst, die anderen Briefe zu bergen. Womöglich konnten wir das Rätsel auch ohne Babajagas Anteil lösen und dann wäre der Hexe ihre gerechte Strafe zuteil geworden.
Während Furunkel als gefährlich galt, wollten wir uns also zunächst Gormigusts annehmen und fragten Balthasar, was er uns über ihn erzählen könne.
„Also Gormigust dürfte wohl kaum ein Problem sein. Er ist klug und vernünftig. Gundel allerdings…nun, sie ist sehr von sich eingenommen. Ohne irgendeine Kompetenz vorweisen zu können, ist sie überzeugter von sich als ihr Bruder es jemals war. Der arme Narr, er könnte sie wahrscheinlich mit einem Fingerschnippen Manieren lehren, doch er unterwirft sich lieber ihrer Knute. Sie ist ehrlich gesagt, ziemlich gemein zu ihm. Wenn ihr sie überwinden könntet, dann dürftet ihr es schaffen, den Brief zu gewinnen.“


„Hast du dahingehend irgendwelche Tipps?“
„Nun, Gundel mag keine Hausierer. Also genau genommen mag sie eigentlich Niemanden, außer sich selbst. Aber Hausierer oder Leute, die etwas von ihr oder ihrem Bruder wollen, hasst sie. Das dürfte euch zunächst vor das Problem stellen, überhaupt in den Turm zu kommen. Aber ich habe vollstes Vertrauen in euch!“

Damit war er womöglich alleine, aber immerhin. Wir bedankten uns ein weiteres Mal für das Frühstück und die Gastfreundschaft und begaben uns auf den Weg – mitten durch den Sumpf. Es war ein unangenehmes Wegstück, da auch der albische Regen keinerlei Anstalten machte, nachzulassen. Doch angesichts all der Dinge, die die letzten Tage auf uns eingeprasselt war – wandelnde Türmer, valianische Zauberer, Wichtel – schien auch die Eintönigkeit ihren Reiz gewonnen zu haben.

Am Rande des Sumpfes erspähten wir dann schließlich einen weiteren Turm, der den anderen glich. Doch wir waren nicht allein: eine Gruppe von sechs Mann bewegte sich merkwürdig steif auf den Sumpf zu. Sie trugen Schaufeln und Hacken und waren in dünnen Stoff gekleidet, was angesichts des Wetters nicht gerade angenehm sein konnte. Aber ihre Bewegungen waren auch…seltsam. Eine dunkle Vorahnung schlich sich bei mir ein und ich umfasste meine Waffe fester. Die anderen merkten meine Anspannung und wir näherten uns vorsichtig dem seltsamen Trupp und rochen neben den Ausdünstungen des Moors etwas anderes. Schwacher Leichengeruch; verwestes Fleisch. Die Augen der Männer waren gelblich verfärbt, die Haut ledrig und die Haare größtenteils ausgefallen. Der Unterkiefer zweier hingen seltsam verrenkt herunter, als wäre er schon Ewigkeiten nicht genutzt worden. Erinnerungen an unser Abenteuer in Clanngadarn wurden wach: Zombies.
Ich fluchte auf die unheilige Magie, welche tote Körper in Bewegung setzte und damit das Gleichgewicht des Lebens zerstörte.
„Wir müssen angreifen – sie dürfen nicht weiter existieren“, gab ich meinen Begleitern kund und sie zogen ihre Waffen. Es gab keine Rückfragen. Wir waren uns bewusst, dass das weitere Folgen haben könnte, doch hier ging es um ein unumstößliches Prinzip.

Schnell wirkte ich schützende Rindenhaut auf mich und Olo während Miyako das ablehnte. Groam blieb zurück, um im Zweifelsfall unseren Rücken zu decken. Die Zombies ignorierten uns völlig und schlurften langsam weiter.
Dann preschte ich los, den Speer auf den hintersten in der Reihe angelegt und fest entschlossen, ihn direkt aufzuspießen. Langsam drehte sich mein Gegner um und starrte aus ausdruckslosen, toten Augen in meine Richtung, ohne irgendeine Regung.
Doch ich blieb auf dem letzten Meter vor ihm an einer Mulde im Schlamm hängen und stolperte an dem Zombie vorbei. Mein Ungeschick verfluchend sah ich, wie er mit der Schaufel nach mir schlug – aber glücklicherweise verfehlte. Ich brachte mich wieder ins Gleichgewicht und umkreiste den Untoten, welcher sich nur so weit bewegte wie er musste. Seine Kumpane wollten, durch den Angriff ungerührt, einfach weitergehen: da waren Miyako und Olo zur Stelle und banden sie. Bald sah sich ein jeder von uns zweien von ihnen gegenüber, doch wir waren fest entschlossen, sie von ihrem unheiligen Fluch zu befreien.
Doch so stark mein Wille war, so hinderlich war mir der Untergrund. Wie ein Anfänger stolperte ich erneut, diesmal über eine Wurzel und ein Zombie schlug ungerührt mit seiner Hacke gegen meinen Kopf. Mein lederner Helm schützte mich vor einer schlimmen Wunde und meine verstärkte Haut vor größerem Schaden, doch ich musste zischend Luft ausstoßen, als ich nach hinten getrieben wurde.
Aber ich gab so schnell nicht auf. Genau maßnehmend stieß ich vor, das volle Gewicht in der Spitze meines Speers. Die Geschwindigkeit war zu hoch für den Zombie und so blieb ihm nur ein stumpfes Stöhnen, als sich das Eisen durch seinen Brustkorb fraß und Rippen sowie nicht mehr genutzte Organe zerfetzte. Der Schaden am Leib war groß genug und die Hexerei verflog – der erste Untote stürzte zu Boden.
Keine Sekunde später sah ich, wie Miyako einen Schritt zurückmachte, als ein Zombie nach ihr schlug, der dabei so viel Wucht hatte, dass er unkontrolliert vorwärts glitt. Die KanThai sah das Ungleichgewicht auf den Beinen und mit einem Tritt quer dagegen, brachte sie ihren Gegner zu Fall. Ohne eine Sekunde zu verlieren, setzte sie nach und bohrte die Klinge ihres Schwerts mitten in den Kopf des Zombies, der dabei aufplatzte.

Doch nach den raschen Ersterfolgen begann ein mühseliger Kampf. Die Zombies wirkten zwar lahm und in ihrer „Taktik“ stumpf, doch immer wieder schafften sie es, einen Schlag abzuwehren oder zurückzutreten. Einer entwaffnete kurzzeitig sogar Miyako während Olo gänzlich glücklos blieb. Wir hatten nicht erwartet, dass der Kampf gegen ein paar Ackeruntote dermaßen langwierig werden konnte und die Entschlossenheit meiner Freunde schien nachzulassen.
Plötzlich traf eine Schaufel Miyako quer am Kopf und fluchend zuckte sie zurück. Blut lief aus dem Ohr, welches äußerlich nahezu unversehrt wirkte – irgendetwas musste im Inneren beschädigt worden sein. Während die KanThai dennoch besonnen blieb, schien Olos Kampfeswut endlich entfacht und er schmetterte die verheerende Kugel seines Morgensterns mitten in das Gesicht seines Gegners. Der Kopf zerplatzte und damit waren wir nur noch drei gegen drei.
Und auch ich landete wieder einen Treffer, gerechterweise am rechten Ohr des Zombies und riss es einfach hinfort. Während der Schädel blank lag, blieb mein Gegner noch ungerührt und hieb weiter nach mir. Miyako stieß indes einen kanthanischen Schrei aus, ungewöhnlich für ihre Verhältnisse, und rammte ihrem Gegner das Schwert bis zum Heft in die Eingeweide. Ohne eine weitere Regung sank dieser zu Boden. Und durch einen weiteren Stich fällte dann auch ich meinen letzten Feind.

Es verblieb nur noch ein Zombie bei Olo und der traf gerade auf den Kopf des Halblings – die Schaufel zerbrach. Verblüfft blickte ich zu dem Halbling, dessen Dickkopf ich zwar kannte, aber bisher nur im übertragenen Sinne. Aber auch gegen einen unbewaffneten Gegner schien er sich diesmal schwer zu tun. Sein kurzer Wutausbruch war vorbei und ziellos schwenkte er den Morgenstern herum. Eilends stürmte ich herbei, um ihn zu helfen – und verfehlte den Zombie. Stattdessen fuhr mein Speer in einen nahestehenden Baum, der bereits halb verrottet war. Ungeduldig ruckte ich am Stiel…mit einem Knirschen gab die Waffe nach und die eiserne Spitze blieb stecken, während ich nutzloses Holz in den Händen hielt. Ehrlich fluchend warf ich das in einen Tümpel und blickte nunmehr ohne eine Waffe für den Nahkampf auf Olos Gegner, der gerade von Miyako mit einem Streich von hinten enthauptet wurde.

Immerhin besaß ich noch Fertigkeiten jenseits des Speerkampfes, doch ich war auch meiner zentralen Waffe beraubt und so trottete ich missmutig zu den anderen. Es galt Miyakos Wunde am Ohr zu untersuchen. Es war nichts Gefährliches…doch nach einigem Fingerschnippen zum Test wurde klar, dass sie etwas von ihrem Hörvermögen eingebüßt hatte. Es fiel kaum ins Gewicht, doch standen die Chancen schlecht, dass es irgendwann wieder heilen würde und dieser Makel traf die KanThai offensichtlich ins Mark. Was ein kurzer und gerechter Kampf hätte werden sollen, war in einem halben Desaster geendet – und es sollte in absehbarer Zeit nicht besser werden.

Wir wandten unsere Aufmerksamkeit wieder dem Turm zu und uns fiel rasch die riesige Tür auf, die im Vergleich zu den anderen Zaubererbehausungen deutlich erweitert worden war. Ein mulmiges Gefühl stieg in uns auf. Pforten wurden meist nach Notwendigkeiten gestaltet…was machte eine Tür von der mehr als doppelten Größe meiner selbst notwendig?
Auf unser Pochen hin, glitt ein Flügel langsam auf – doch offenbarte er keinen Riesen, sondern eine menschengroße Gestalt. Was jedoch zu einer anderen Art der unangenehmen Überraschung führte: vor uns stand ein Mann, oder eher, was einst ein Mann gewesen war. Nun war seine gesamte Haut mit pergamentig-rissigem Papier umhüllt, das keinerlei Blick auf den Körper ermöglichte. Lediglich um die Augen gab es einen schmalen Spalt durch den man auf verweste Haut und in tiefe, leere Höhlen blicken konnte. Der grausige Anblick wurde mit einer grünen Livree kontrastiert und hätte durchaus amüsant sein können. Doch angesichts solcher krankhafter Ausmaße magischen Missbrauchs verging mir jeglicher Humor. Ein Mann war um ein abschließendes Ende und das Eingehen in den Kreislauf des Lebens betrogen worden…um als Page an der Tür zu stehen. Ekel stieg in mir auf, wenn ich an den Hausherrn dachte und langsam bildete sich das Urteil, welches zu fällen, ich gezwungen sein würde.
Der Diener hielt uns ein breites Brett vor auf dem ein Stück Papier sowie Federkiel und Tintenfässchen lagen. Er selbst war scheinbar unfähig zu sprechen, aber oben auf dem Zettel stand die Aufforderung, kenntlich zu machen, wer wir sind und was wir wollen. Also schrieb Olo schnell unsere altbekannte Geschichte nieder und ergänzte auf unser Anraten hin, dass wir wegen Schubidubs Erbe hier waren. Da Hausierer oder andere nicht erwünscht waren, schien hier nur die Wahrheit interessant genug, um Einlass zu erlangen.
Die Mumie nickte ruckartig und trat zurück, während sie den Torflügel zuzog. Wir warteten einige Minuten, ehe dieser abnorme Diener zurückkehrte und die Antwort auf dem Brett präsentierte. Kurz und knapp las Olo vor: „Zwei dürfen rein.“
„Ich werde auf jeden Fall gehen, ich will mir ein Bild von diesem Nekromanten machen“, stellte ich fest und auch Miyako wirkte entschlossen. Dass wir ihre Fähigkeiten im Schleichen und Schlösser öffnen brauchten, brauchte sie kaum weiter zu betonen.
„Gut und ich zähle sicherlich nicht als Ganzes, bin ja Halbling“, schloss Olo feixend. „Die meisten Menschen runden doch immer ab.“
Dem konnte man kaum widersprechen und mit gewisser Belustigung betraten wir zu zweieinhalb den Turm – der Untote in der grünen Livree hielt uns nicht auf, sondern führte uns die Treppe hoch in die große Halle, die hier wieder einmal einem ganz eigenen Stil unterworfen war. Und dieser schien noch Babajagas zu unterbieten. Die Einrichtung war spartanisch, es gab kaum genug Stühle und nur einen Tisch. Der Großteil des Platzes verblieb ungenutzt und doch schien er penibel sauber gehalten zu werden. Kaum ein Staubkörnchen war sichtbar. Aber nicht nur, dass es wenig Möbel gewesen waren, sie waren darüber hinaus auch allesamt seltsam verzogen, ungleichmäßig und in einer Art und Weise unbequem, dass man lieber stehen als sitzen wollte. „Begrüßt“ wurden wir von einer älteren Dame, die am Kopfende der schrägen Tafel saß. Sie trug ein hochgeschlossenes, schwarzes Kleid, welches seltsam altbacken wirkte, als würde sie ihre zahlreichen Jahre zelebrieren wollen. Das graue Haar war streng zurück gebunden, während das Gesicht mit scharfen Zügen und tiefen Falten wenig liebevoll wirkte. Ein wahrhaft tödlicher Blick aus grauen Augen ruhte auf uns und es war nicht gerade einladend zu sehen, dass sie überall Falten hatte außer um den Mund. Offensichtlich ein Leben ohne Humor.
Sie blaffte etwas auf albisch, was mir entgang, doch ich versuchte mein Glück auf Comentang.
„Ich grüße dich, bezaubernde Gundel. Wir sind hier, um mit deinem Bruder über das Erbe seines Meisters Schubidub den Schönen zu sprechen.“
Sie zog die Augenbrauen zusammen und ich sah wie sich die langen, dürren Finger um die ungleichförmigen Armlehnen krallten, als hätte ich sie gerade beleidigt. Olo fragte rasch etwas, dann sagte er an mich gewandt: „Sie spricht nur albisch.“
Nun war es an mir, die Stirn zu runzeln. Die Schwester eines großen Magiers aus Valian und sie beherrschte nicht einmal die Gemeinsprache Vesternesses? Schnaubend trat ich einen Schritt zurück und beließ es dabei, Olo einige Tipps zu geben, der das Gespräch nun führte.

Gundel stellte sich als mindestens so griesgrämig heraus, wie Balthasar sie beschrieben hatte, wobei auch der ganze Charme unseres Halblings auf Granit stieß. Immerhin schaffte er es, sie zu überzeugen, dass wir zum Abendessen und für die Nacht bleiben durften. Zunächst führte uns also der Mumiendiener zurück in das Erdgeschoss, wo sich unsere Zimmer befanden…im Stall. Doch das war noch nicht genug, denn als wir den strohgedeckten Boden betraten, konnten wir in der weitaus größten und beinah die halbe Fläche einnehmenden Kabine einen riesigen Schatten ausmachen. Nachdem sich die Augen an das hier etwas dämmrige Licht gewohnt hatten, war der Blick frei auf ein riesiges, graues Tier, das auf vier Beinen wie Baumstämmen stand. Der riesige Kopf wurde von großen Ohren flankiert während anstatt einer Nase eine Art Schwanz aus dem Gesicht ragte – ein Rüssel. Darüber hinaus besaß es noch zwei gewaltige Hauer, die neben diesem Rüssel hervorragten und mehr als tödlich wirkten. Und ebendieses Tier war, wie scheinbar alles in diesem Turm, untot. Abgefallene Haut ermöglichte den Blick auf abgestorbenes Gewebe, gelbtrübe Augen stierten vor sich hin.
„Ein Elefant“, hauchte Miyako erstaunt. „Diese Tiere kenne ich nur aus Rawindra, dem Nachbarland meiner Heimat. Und auch dort nur lebendig.“

Nachdem wir unsere Sachen in eine Kabine des Stalls gelegt hatten, konnten wir einen ungestörten Moment für die weitere Planung nutzen.
„Vielleicht gelingt es uns, diesen Brief bereits beim Abendessen zu erlangen. Aber so oder so: wir müssen heute Nacht angreifen. Es handelt sich hier um einen Untotenbeschwörer – von der Sorte haben wir bereits einen erledigt und diese Plage darf keinen Bestand haben“, erklärte ich entschlossen. Auch Miyako schien die Idee magisch manipulierter Leichen anzuwidern, sodass ich sie kaum überzeugen musste. Bei Olo war ich mir nicht sicher, ob es schlicht die Abenteuerlust oder wirkliche Überzeugung von der Schlechtigkeit Gormigusts war, doch auch er wollte sich unserer Sache anschließen. Bei den weiteren Überlegungen fiel uns der Kamin auf, der törichterweise auch im Stall war. Im Optimalfall konnten wir hier ein Feuer legen, um Chaos zu stiften. Miyako regte an, dass sie zunächst die Gemächer von Bruder und Schwester infiltrieren konnte. Mit diesen kühl kalkulierten Plänen begaben wir uns nach oben, als der stumme Diener zurückkehrte und damit deutlich machte, dass das Essen bereitet war.

In der großen Halle war aufgetischt worden – was nicht sonderlich eindrucksvoll wirkte. Es gab nur wenige Teller und diese waren nur gerade soweit gefüllt, dass es nicht peinlich wurde. Gundel saß bereits zu Tisch und neben ihr eine kleine Männergestalt, die das Elend förmlich auszustrahlen schien. Er war klein, trug alte, mehrfach geflickte Kleidung. Sein Haar war weitgehend ausgedünnt, offenbarte leberfleckige Haut. Seine Augen standen aus den Höhlen und hatten einen schmierigen Schimmer, etwas Glasiges, das ihn krank aussehen ließ. Bei jedem Biss, den er tat, schien er etwas zusammenzuzucken. Seine Zähne waren schlecht, sofern nicht schon ausgefallen, dann kurz davor oder schlimm entzündet. Es war eine Gestalt, mit der man hätte Mitleid haben können und vielleicht sollen – doch mein Blick blieb an den beiden Zombies hängen, die in den Ecken des Raumes jeden einzelnen Zoll von Staub befreiten und mit Wasser reinigten, bis sich ihre toten Gesichter nahezu darin spiegelten. Und so blieb mir Nichts als gerechter Zorn gegenüber unseren unmenschlichen Gastgebern, wenn ich auch diesen vorerst zurückschieben musste. Wir setzten uns und nahmen etwas von dem kargen, ungewürzten Essen.
Ohne auf Gundel zu achten, wandte ich mich direkt auf Comentang an das eigentliche Ziel unserer Reise: Gormigust.
„Meister Gormigust, seid uns gegrüßt. Die Namen meiner Begleiter und mir sind euch schon geläufig?“
„Hm…nein…Gundel hat Nichts gesagt“, kam die etwas verschüchterte Aussage.
Gundel keifte etwas dazwischen und Olo übersetzte rasch: „Ist auch nicht wichtig. Essen wir und dann belästigt Gormigust nicht weiter!“
„Gormigust, wir sind hier, wegen dem Erbe deines alten Lehrers Schubidub dem Schönen.“
„Still, esst jetzt!“, fuhr Gundel dazwischen, was Olo beinah nicht übersetzen musste, so klar war die feuchte Aussprache der „garstigen Schwester“. Und ich überging sie weiterhin.
„Gormigust. Du hast doch einen Brief erhalten. Aber alleine kommst du nicht an dein rechtmäßiges Erbe. Mit Balthasar und Mumpitz besteht bereits eine Art Vertrag, dass wir – Olo Platschfuß, Miyako, Groam Bärentod und ich, Ilfarin Tinuhên – diese Briefe verwahren.“
„Ja…ich habe einen Brief erhalten“, nuschelte der Zauberer.
„Bruder, rede nicht weiter mit diesen Leuten. Iss fertig und dann kümmere dich um deine Arbeiten. Dieses unhöfliche Pack verdient deine Aufmerksamkeit nicht“, zischte Gundel.
„Gormigust“, blieb ich hartnäckig. „Willst du uns den Brief geben, damit wir das Erbe heben können?“
„Das klingt… nicht so schlecht“, murmelte der Mann, ehe ihn weitere Worte Gundels wie Peitschenhiebe trafen und er beinah in sich zusammensackte. Es war mir schleierhaft, wie er das offensichtlich schon Jahrzehnte aushielt. Frühzeitig traumatisiert, würde ich vermuten.
„Gundel – lasst euren Bruder in Ruhe! Ich verlange mit ihm zu sprechen und nur ihm“, wandte ich nun meine Aufmerksamkeit der verfluchten Schwester zu und Olo übersetzte.
„Ich denke gar nicht daran, meinen armen Gormigust euch Vagabunden auszuliefern!“
„Gormigust, willst du dich wirklich von deiner Schwester bevormunden lassen?“, rief ich dem Magier nun zu und stand dabei auf.
„Ich, äh, also… das ist…“
Gundel kreischte los und ich wartete gar nicht, bis Olo übersetzte, sondern sagte einfach: „Gundel, du bist alt und närrisch. Lass diejenigen reden, die wissen, was sie tun.“

Der Halbling grinste, als er übersetzte und ging gleich danach in Deckung in Befürchtung, die alte „Dame“ würde handgreiflich werden. Sie wurde jedoch nur laut und als sich plötzlich aus mehreren Richtungen Zombies näherten wurde deutlich, dass wir nicht länger beim Abendessen geduldet wurden. Verdrossen machten wir uns den Weg in den Stall. Das Urteil war für mich schon längst gefällt, aber nun würden wir hinterher obendrein den Brief suchen müssen, was ziemlich anstrengend werden könnte.

Zur Befürchtung stand, dass wenn wir den Turm verließen, um Groam als Verstärkung zu holen, wir nicht mehr hereingelassen würden. Also war es an uns dreien.
„Am besten, ich schleiche mich zunächst hoch. Vielleicht kann ich eine Art…Erstschlag landen“, verkündete Miyako, als wir sicher waren, dass kein Zombie außer dem Elefanten in der Nähe war – wobei diese wahrscheinlich ohnehin Nichts berichten konnten.
Die Sicherheit, die die KanThai bei diesen Worten ausstrahlte wirkte furchteinflößend und so stimmten Olo und ich direkt zu. Wir würden nach ihrem Aufbruch eine Stunde warten und dann ein Feuer entfachen, um für Chaos zu sorgen, ehe wir zur Hilfe nachrückten. Hoffentlich würde dieser ganze Turm in Flammen untergehen, wenngleich das bei dem massiven und womöglich auch magisch verstärkten Stein unwahrscheinlich war.
Wir warteten noch einige Zeit, bis wir davon ausgingen, dass Bruder und Schwester im Bett waren, dann machte sich Miyako auf den Weg. Olo und ich setzten uns und begannen die Minuten zu zählen.

Beinah hätte mich der Schlag getroffen, als ausgerechnet nach etwa einer halben Stunde Gormigust selbst den Stall betrat, Miyako kurz hinter ihm. Der Zauberer schien Nichts von unseren Plänen zu wissen, denn er trug lediglich ein Nachtgewand und wirkte im Vergleich zum Abendessen recht entspannt.
„Gormigust…was führt euch in unser wunderschönes Zimmer?“, begrüßte ich den Mann kühl.
„Ja, der Stall, es tut mir leid. Ihr müsst meiner Schwester verzeihen, sie meint es nur gut.“
„Sie meint es gut? Die alte Hexe führt sich auf wie die Herrscherin dieses Kontinents.“
„Sie ist in Sorge um mich!“, begehrte Gormigust auf und glaubte es tatsächlich selbst.
„Hör mir jetzt gut zu: Gundel ist in Sorge um sich. Du bist ein Zauberer einer großen valianischen Gilde, Schüler Meister Schubidubs und Herr über einen wandelnden Turm. Vor was genau musst du Angst haben?“ Ich machte eine kurze Pause und fügte in Gedanken hinzu ‚außer vor uns‘. Dann fuhr ich fort: „Deine Schwester lebt hier wie die Made im Speck, wobei dieser Speck zugegebenermaßen etwas faulig ist. Sie unterdrückt dich, damit sie überhaupt eine Berechtigung hat, hier zu wohnen. Das alles ist deine Sache, aber bedenke meine Worte.“
„Sie ist meine Schwester! Ich könnte sie doch nicht aus dem Turm werfen.“
„Aber deinen Respekt einfordern. Wie dem auch sei, wir sind nicht wegen einer Therapie sondern wegen dem Erbenbrief hier. Wir sind beauftragt, das Erbe zu heben und eine gerechte Aufteilung zu gewährleisten. Bist du dabei?“
„Ich würde ja…aber ich habe den Brief nicht“, gab Gormigust stotternd zu.
„Was soll das heißen?“, fragte ich, während mir klar wurde, dass es in diesem Gespräch zu keinem sinnvollen Ergebnis kommen würde. Unauffällig gab ich Olo mit der rechten Hand einen Wink und er ging langsam in den Rücken des Magiers und zog den Morgenstern. Gormigust, der gerade mit den Worten rang, achtete gar nicht darauf.
„Also, Gundel hat davon Wind bekommen. Und dann hat sie den Brief in sichere Verwahrung genommen. Natürlich nur, damit Nichts passiert.“
„Aber du könntest ihn dir zurückholen, oder?“
„Wenn ich frage…wahrscheinlich. Wobei Gundel bei so Sachen etwas…eigen ist.“
„Es geht um deinen Besitz!“
„Sie meint es doch nur gut.“
Glaub das ruhig. „Nun gut“, meinte ich seufzend. „Etwas anderes. Warum hast du Untote als Hausdiener?“
„Ach die“, meinte Gormigust und sein Gesicht hellte sich auf. „Sind ganz schön nützlich, was? Brauchen Nichts, machen genau, was man sagt. Selbstverständlich sind sie allesamt eines natürlichen Todes gestorben.“
„Natürlich. Und wie sieht es mit ihrer verdienten Ruhe aus?“
„Die Seele ist tot, der Leib verbleibt. Ich sehe keinen Sinn darin, ihn verrotten zu lassen.“, meinte Gormigust nur. Er schien sich seiner tiefen, kindlichen Unschuld sicher, doch es machte die Tat nicht geringer. Dann setzte er noch nach: „Aber ich weiß eigentlich nicht, wie diese Zauberei funktioniert. Ich habe die Diener nur erworben.“ Kein richtiger Nekromant, aber in Handel mit solchen verwickelt und damit noch schlimmer als gewöhnliche Sklavenhändler. Ich war es nun endgültig leid und gab Olo einen Wink mit der linken Hand.

Der Kopf des Morgensterns surrte knapp am Kopf des Zauberers vorbei. Der Mann zuckte erschrocken zur Seite – während Miyako von der anderen Seite aus den Schatten auftauchte und einen Stich gegen seine Kehle setzte. Die Bewegung wirkte sicher, fließend, wie lange einstudiert und auch erprobt. Ein Angriff, der in einem Zuge Luft- und Atemröhre durchtrennen würde, um das Opfer direkt zu töten. Der Angriff einer Assassine.
Doch der Angriff des Halblings hatte Gormigust genug erschrecken lassen, dass er durch Glück der tödlichen Wirkung entging, wobei dennoch das Blut aus dem tiefen Schnitt am Hals herausschoss. Entsetzt blickte er zu mir: „Was geschieht hier?“
Aber ich gab keine Antwort, machte einen Schritt zurück und zog meinen Bogen. Der Zauberer schien langsam zu verstehen und nun begann der wirkliche Kampf.

Olo und Miyako nahmen den Magier in die Zange, während ich mich an der Aufgabe versuchte, einen sicheren Schuss ins Gemenge zu machen. Und Gormigust verblüffte mit erstaunlich raschen Bewegungen. Den ersten Angriffen entging er, biegsam wie ein Grashalm. Dann schlug er zurück und enthüllte seine magische Kraft, die Angst und Furcht in unsere Herzen trieb. Vor meinen Augen bildete sich eine Aura der Finsternis um ihn herum und der Bogen drohte aus meinen plötzlich schweißüberströmten Händen zu gleiten. Doch dann erblickte ich meine Begleiter und wir sahen uns alle an, um innerhalb dieses kurzen Moments, der kaum einen Herzschlag währte, zu unserer Entschlossenheit zurückzufinden. Und wir griffen wieder an.

Gormigust blieb jedoch fehlerfrei in seiner Abwehr und begann seltsames Gemurmel von sich zu geben, das langsam aber sicher den Turm in Schwingungen versetzte. Ich fluchte innerlich, denn zweifellos hatten wir nicht viel Zeit, bis die Zombiediener herbei eilten, um ihrem Herrn beizustehen – und dann hätten wir ein ernsthaftes Problem. Doch die Bewegungen des Zauberers wurden langsamer, seine Atemzüge zu erschöpften Schnaufen. Das Alter forderte seinen Tribut von dem zweifelsohne mächtigen Mann.
Dann schlug plötzlich von der Seite ein gewaltiger Stoßzahn nach uns und überhastet sprangen wir davon: der untote Hauselefant war erwacht und auf Befehl seines Herrn in Kampfeswut entbrannt. Miyako keuchte auf und uns wurde langsam gewahr; sie war noch immer von dem Kampf am Abend erschöpft gewesen, Olo und ich kaum weniger.

Diesen Moment des Entsetzens nutzte Gormigust und eilte zum Ausgang des Stalls. Nun war der Augenblick des freien Schussfelds endlich gekommen, ich legte an, zielte – und traf!
Der Pfeil bohrte sich von hinten in den Rücken des Flüchtenden, der laut aufschrie und gerade lang genug stoppte, dass Miyako und Olo den Weg zum Ausgang wieder versperren konnten.

Gormigust setzte seinen Singsang fort, das Beben im Turm verstärkte sich, doch unser momentan größeres Problem war schlichtweg der Elefant, welcher in wilder Stampede den Stall verwüstete, dass Holzsplitter durch die Gegend schossen und Staub die Sicht einschränkte. Gerade so entging Olo einem Treffer, da erwischte es Miyako auf der anderen Seite. Knochen knackten hörbar und die KanThai ging zu Boden. Ich fluchte laut – da traf die Rückwärtsbewegung Olo und riss ihn ebenfalls von den Beinen. Der kleine Halbling regte sich nicht mehr.
Gormigust verschwendete keinen Moment und humpelte los, der meisten Kraft beraubt. Endlose Verwünschungen in der Sprache meines Volkes auf den Lippen ließ ich meinen Bogen fallen und rannte hinterher. Auf dem Weg lagen sowohl Miyako als auch Olo und ich hatte die Gelegenheit, einem einen Heiltrank zuzuwerfen. Während sich die KanThai noch etwas bewegte, wirkte der Halbling ohnmächtig…und so entschied ich mich für diejenige, die im Kampf noch eher eine Hilfe sein konnte und rollte Miyako ein Fläschchen mit der rötlichen Flüssigkeit zu.

Dann war ich auch schon aus dem Stall und sah, wie Gormigust um die Ecke lief – in eine Sackgasse, wenn mich meine Erinnerungen nicht täuschten. Die nahestehenden Zombies wirkten seltsam steif, wahrscheinlich an einfache Befehle gebunden, da der verhexte Verstand nicht mehr zu leisten im Stande war. Und so stürmte ich dem Zauberer hinterher, der nur langsam vor mir weghumpeln konnte. Da waren es nur noch zwei Meter zwischen mir und ihm und ich machte einen Satz, soweit ich nur konnte – und erwischte den Unterleib des Mannes und riss ihn zu Boden. Gormigust ächzte auf und seine alten Knochen knirschten. Doch noch setzte er sich zu Wehr, mittlerweile mit Hand und Fuß und viel mehr war mir nun auch nicht mehr geblieben. Erbarmungslos aufeinander einschlagend rollten wir über den Boden, bis mein Hieb plötzlich seine Kehle fand und sie in den Hals hineindonnerte. Gormigust riss die Augen weit auf, krächzte, würgte – doch der verheerende Treffer, mehr Glück als Verstand, war gelandet.
Da bemerkte ich Miyako, die sich so schnell sie konnte heranschleppte, die Wunden grob durch den magischen Trank geheilt. Als wäre es ein Ritual, kniete sie sich neben den panischen Gormigust, der langsam sein Bewusstsein verlor und ins Jenseits dämmerte. Die KanThai blickte einen Moment lang fest in seine Augen – dann stach sie den Dolch in sein Herz und der Herr der Toten war endgültig tot. Der seltsame Ausdruck kindlichen Unschuldsbewusstseins auf seinem Gesicht ließ beinah Reue in mir aufsteigen. Dann sah ich die Zombies langsam auf uns zu wandeln und wusste, wir hatten das Richtige getan. Nun hieß es jedoch: Überleben.

So schnell wir konnten, eilten wir zurück in den Stall, wo immer noch Olo lag. Und wurden Zeugen, dass sich der Elefant genähert und bereits den Fuß über dem Halbling erhoben hatte. Dann senkte sich der Baumstamm nieder und sandte Erschütterungen durch den Boden und den Turm. Ich schlug bereits die Hände vor Entsetzen zusammen – da sah ich, dass der kleine Händler sich mit letzter Kraft zur Seite gerollt hatte. Miyako packte Olo unverzüglich und zog ihn nach draußen. Nachdem ich mit einem Griff meinen Bogen und unser leichtes Gepäck geschultert hatte, kam ich ihr zu Hilfe und gemeinsam zerrten wir den kleinen Halbling unter den Augen der trägen und orientierungslosen Zombies nach draußen. Sie gingen uns nur langsam nach und blieben schließlich im Eingang stehen, während wir uns mit letzten Kräften in das Lager Groams schleppten, wo Maglos bereits unruhig hin und herlief.

So erschöpft ich auch war, ich versuchte zunächst Olo einen Verband anzulegen, während Miyako Groam ins Bild setzte.
„Ilfarin, warum hast du mir keinen Heiltrank gegeben?“, fragte der Halbling währenddessen schwach.
„Ich…“, ein Zögern, dann die Wahrheit. „Ich dachte, Miyako könnte im Kampf die größere Hilfe sein. Der Heiltrank hätte bei dir möglicherweise nicht ausgereicht.“
„Hattest du nicht sowieso zwei?“, blieb Olo hartnäckig und mich durchlief es erst heiß, dann kalt.
„Das stimmt. Es…vielleicht war es so etwas wie Geiz. Es tut mir leid.“
„Gib ihn mir doch jetzt.“
„Lass mich erst konventionelle Methoden versuchen“, widersprach ich – und legte einen der schlechtesten Verbände an, den ich jemals gemacht hatte. Er war lose und wenn Olo nicht von Natur aus über eine eigentümliche Robustheit verfügen würde, dann würde es wahrscheinlich gar Nichts nutzen. Also versuchte ich es mit der Magie des Lebens. Und auch diese gab dem Halbling nur wenig von dem zurück, was er im Kampf verloren hatte. Ich war weit davon entfernt, der Heiler zu sein, als den ich mich selbst gerne sah, wenn mich diese heimtückischen Momente von Selbstzufriedenheit übermannten.
Auch bei Miyako konnte ich wenig Hilfe leisten und nun, vollkommen zerschlagen und aller Kraft beraubt, wollte ich nur noch schlafen. Der Tod des Nekromanten hatte nichts Ruhmreiches, es war eine reine Notwendigkeit gewesen.

Am nächsten Morgen kehrten wir zum Turm zurück, schließlich hatten wir noch einen Brief einzufordern. Doch meine Erwartung, dass die Zombies ohne ihren Herrn nach einer Weile in sich zusammenfielen oder zumindest zur Untätigkeit verdammt waren, erwies sich als falsch. Sie streunten um den Turm herum, etwa ein Dutzend und viel zu viele für einen offenen Angriff und so zogen wir uns zurück. Angesichts Olos immer noch schwerwiegender Verletzungen schien es ohnehin sinnvoll noch etwas abzuwarten und wir verbrachten den Tag am Rande des Sumpfes; der Turm wie ein dunkles Omen im Hintergrund.
Schließlich brach die Nacht herein und wir schlichen zunächst auf hundert Meter heran, um in Augenschein zu nehmen, ob die vergangene Zeit Auswirkung auf die Untoten gehabt hatte. Immerhin hatten sie sich zum Turm zurückgezogen, doch wurden die beiden möglichen Eingänge zum Stall und in den Eingangsraum von jeweils drei Untoten bewacht, wie ich an meine Begleiter weitergeben konnte. Es wirkte, als wäre der Belagerungszustand ausgerufen worden. Obwohl sie einen mehr als unfähigen Eindruck gemacht hatte, schien es wahrscheinlich, dass Gundel noch irgendwie Einfluss ausüben konnte.

Aber wir hatten den Vorteil von Fernkampfwaffen und so zog ich meinen Bogen und legte einen Pfeil für den ersten Schuss an. Angesichts meiner durchaus mangelhaften Übung, zweifelte ich, dass ich einen Zombie niederstrecken konnte, aber andererseits war der Versuch nahezu kostenlos. Ich hob, spannte, zielte einen Moment – und Schuss.
Ein kurzer Schnitt durch Luft, es klang beinah wie ein Seufzen, dann war das Geschoss bereits beim Turm angekommen und traf einen der Zombies in der rechten Augenhöhle. Er ruckte zurück, prallte gegen das Tor und rutschte an ihm zu Boden. Den ersten Jubel konnte ich kaum zurückhalten, aber dann überwog die Vorsicht. Doch…die Untoten blieben an Ort und Stelle, ihre Befehle waren wohl zu eindeutig.
Also legte ich wieder an, schoss noch einmal, zweimal. Diesmal gruben sich die Pfeile zwar in totes Fleisch, aber ohne irgendetwas zu treffen, was den Zombie außer Gefecht setzen könnte. Doch mit dem dritten Pfeil für ihn schien es mir sicher, dass es nun vorbeigehen musste. Ich spannte an – und vernahm ein unheilvolles Knacken vor mir. Dann gab auch schon das Holz um die Einfassung der Sehne nach, schlug durch den Zug wild umher und ich war froh, dass keiner verletzte wurde, während der Pfeil zerbrach.
Und dann folgte die Feststellung, dass ich absolut waffenlos war. Ehrlich fluchend warf ich nun auch die Reste des Bogens ins Moor, da ich nicht damit rechnete, dass ein solcher Schaden sinnvoll zu reparieren war.

Wir verbrachten noch den Rest der Nacht in unserem Lager, um am folgenden Tag aufzubrechen. Vielleicht würde sich der Belagerungszustand mit der Zeit wieder geben, um uns eine Möglichkeit zum Eindringen zu ermöglichen. Oder wir fanden zufällig einen Waffenhändler, welcher Stielhämmer und Stoßspeere zu verkaufen hatte.
Der letzte Turm auf unserer Liste war jener Furunkels und laut Balthasar galt er als gefährlich. Nicht unbedingt das beste Reiseziel, wenn man die Verfassung Olos betrachtete und unseren allgemein ziemlich heruntergekommenen Auftritt. Aber viel schlimmer als ein Haufen Untoter konnte es eigentlich nicht werden…

Gen Nachmittag erblickten wir den Turm, welcher geschickt auf einem Hügel platziert worden war. Der aus dem Sumpf herbeigleitende Nebel ließ den Boden beinah vollständig verschwinden. Die Behausung Furunkels schien so über ein waberndes Meer zu gleiten. Das ohnehin unnahbare Äußere der Türme ohne wirkliche Fenster wurde dadurch noch weiter verstärkt. Doch das kalte Äußere wurde durch den Schriftzug auf dem Eingangstor kontrastiert: „Tritt aus freiem Willen herein.“ Oder sollte es Sarkasmus sein, der mit der zweifelhaften Erscheinung spielte?
Aber kaum, dass wir die Hand ausgestreckt hatten, um sicherheitshalber doch zu klopfen, wurde uns geöffnet. Erstaunt fielen unsere Blicke auf ein Wesen, das vielleicht einen Kopf kleiner war als ich und gänzlich mit roten Schuppen bedeckt war. Es hatte grobe, menschenähnliche Züge, allerdings ragten aus dem Mund gleich vier Hauer, hinter denen sich nadelspitze Zahnreihen versteckten. Ein gefährliches Wesen zweifelsohne, wenn es denn wollte. Die überlangen, fast auf dem Boden schleifenden Arme waren zweifellos kräftig genug, um einen wie mich hoch und hinfort zu werfen, wenn dazu Anlass gegeben werden sollte. Doch der Blick aus seinen kleinen, schwarzen Augen wirkte zurzeit nicht sonderlich angriffslustig. Zuletzt fiel der sich unruhig schlängelnde Schwanz auf, der in einer herzförmigen Spitze endete.
„Seid gegrüßt“, eröffnete das Wesen mit zischelnder Zunge. „Was wünscht Ihr?“
„Das ist Olo Platschfuß, der Händler, und Miyako, seine Frau. Groam Bärentod ist ihr Wächter, während ich, Ilfarin Tinuhên ihr Spurensucher bin. Maglos ist mein Hund und Gero ein edler Hausdrache, der sich zurzeit unserer erbarmt hat“, grüßte ich beinah gewohnheitsmäßig in unserer üblichen Form. „Wir wünschen mit Furunkel zu sprechen. Ist er dein Meister?“
„Ja, ich werde euch zu ihm geleiten, tretet doch ein.“
So winkte uns der bizarre Diener herein und ich musste die Frage stellen, was er denn eigentlich sei.
„Nun, ich bin ein Impranat. Herbeigerufen, um Furunkel zu dienen.“
Anerkennend neigte ich den Kopf. Wesen aus anderen Sphären… ein weiterer Beweis, dass es sich bei den Schülern Schubidubs nicht gerade um Allerweltsmagier handelte. So folgten wir dem seltsamen Wesen, das sich so gar nicht in eine bekannte Kategorie einordnen ließ. Auf dem Weg merkte Miyako leise an: „Ich glaube nicht, dass wir diese Täuschung hier gebraucht hätten.“
„Ist es noch eine Täuschung? Es gibt Philosophen, die vermuten, dass eine jede Wahrheit einst eine Illusion war, bis sie oft genug wiederholt wurde, um nicht mehr hinterfragt zu werden“, erwiderte ich, als wäre der alte Mumpitz in meinen Verstand gefahren. Entsprechend skeptisch blickte die KanThai mich auch daraufhin an und beließ es dabei.

Auch hier wurde die große Halle als Empfang für uns genutzt und zugegebenermaßen schien Furunkel einen gewissen Geschmack zu haben. Die Möbel wirkten allesamt aus seltenen Hölzern gemacht, meist etwas dunkles und häufig von Bäumen, die ich sicher war, noch nicht gesehen zu haben. Es waren viele Schnitzereien hereingearbeitet worden, die nur ein Meister in so feinen, genauen Linien hätte schaffen können. Die Stühle waren mit dunkelroten Samtpolstern belegt. Das Licht war hier äußerst dämmrig, da schwere Vorhänge vor den schmalen Schussscharten hingen, die das waren, was Fenstern am nächsten kam. So blieb als Quell der Helligkeit der Kamin und dutzende Kerzen, die auf dem Tisch oder auf Leuchtern in den Ecken des Raumes standen. Neben dem fremdartigen Holz zeugten auch einige Andenken von den weiten Reisen unseres Gastgebers. Ein großer Lamellenpanzer für Pferde war auf einem entsprechenden Gestell angebracht. Er würde beinah den gesamten Körper bedecken und so das für den Kampf so wichtige Tier vor nahezu allen Widrigkeiten schützen. Eine hochwertige Arbeit aus einem fernen Land, die beeindruckender als der klobige Schutz albischer Schlachtrösser wirkte – zumindest jene, die ich bisher gesehen hatte, was zugegebenermaßen nicht viele waren.
Der Impranat zog sich zur Wand zurück, während wir uns auf den Mittelpunkt des Geschehens konzentrierten. Dies war der etwas erhöhte Thron am Kopf des Tisches und wurde von einem nun hereinschreitenden Mann in Anspruch genommen, der es sich elegant bequem machte. Seine Kleidung bestand zum Großteil aus dunklem Brokat, an den Fingern glänzten schwere goldene Ringe, jedoch nicht im Übermaß – gerade genug, um Eindruck zu erwecken. Das dunkle Haar war zu einem Zopf zusammengebunden, was das blasse Gesicht mit seinen scharfen Gesichtszügen betonte. Fast schwarze Augen blickten uns an, der schmale Mund verzog sich zu einem Lächeln, welches gleichermaßen einladend wie bedrohlich wirkte. Besonders lange schien der Blick auf Miyako zu ruhen, dann sprach er.
„Seid willkommen in meinem Turm, verehrte Gäste. Ich bin Furunkel. Es ist mir eine Freude, euch bewirten zu dürfen. Sagt, welches Begehr führte euch in meine Halle?“
„Wir danken Euch für diese freundliche Einladung. Ich bin Ilfarin Tinuhên, das sind Olo Platschfuß, Miyako und Groam Bärentod. Uns führt das Erbe eures leider verblichenen Meisters Schubidub dem Schönen hierher. Gemeinsam mit Balthasar und Mumpitz konnten wir den Plan eines treuhänderischen Verfahrens entwickeln. Wir vier wollen sämtliche eurer Erbenbriefe und die darin enthaltenen Teile des großen Rätsels zusammentragen, um zum Erbe zu gelangen und für eine gerechte Verteilung unter euch zu sorgen.“
„Hm“, meinte Furunkel nachdenklich, während er seinem Diener einen Wink gab. „Vergebt meine Manieren, Impranat! Bring unseren Gästen doch bitte etwas zu Trinken. Was wäre denn euer Wunsch? Ein guter, roter Wein?“
Olo und Groam waren sofort bei der Sache, während Miyako und ich etwas reservierter waren. Diese ganze Aura machte mich skeptisch, was die Arten des Mannes anging. Zu sehen, wie er eine bereits herbeigetragene, rote Flüssigkeit trank, ließ einen Verdacht in mir aufsteigen, den ich jedoch kaum belegen konnte. Doch ich winkte stattdessen ab und Furunkel, als wäre Nichts gewesen, bot uns stattdessen einen Tee.

„Nun, zurück zu eurer Angelegenheit. Ihr spracht von Mumpitz und Balthasar. Wie sieht es mit den anderen aus? Sind sie einverstanden? Ich kann mir vorstellen, dass Gormigust zugänglich sein dürfte, aber seine Schwester…“
„Gormigust ist leider…verschieden“, gab ich zu.
„Hat das etwas mit eurer Treuhandidee zu tun? Ach, antwortet mir nicht. Unhöflich von mir, an dieser Stelle vorwurfsvolle Bezüge herzustellen. Es ist mir einerlei. Gormigust war ein Narr und sein Tod scheint mir kein großer Verlust. Aber sagt mir, hat es wenigstens auch seine Schwester erwischt? Das Biest war schlimmer als es jeder Dämon sein könnte.“
„An der Stelle muss ich leider eine gewisse Enttäuschung vermitteln. Daher gibt es auch noch gewisse Komplikationen in der Sache des Brieferwerbs“, merkte ich an. „Kennt Ihr zufällig einen anderen Weg in einen Turm außer durch den Haupteingang?“
„Über das Dach, aber ich befürchte, das ist keine wirkliche Alternative. Wo liegt das Problem?“
„Nun, die Zombies, welche Gormigust als Diener missbrauchte, sind trotz seines Todes noch aktiv und verteidigen den Turm.“
„Oh, das. Nur einer von so geringem Format wie Gormigust nutzt diese niederen Formen einer Dienerschaft. Sie folgen blindlings dem genauen Wortlaut von Befehlen. Die meisten dürften sogar ‚schlafen‘, wenn ihr Herr schläft, da sie keine Ordnung besitzen.“
„Eine interessante Anmerkung, ich dank Euch. Gundel ist nun die Herrin der Untoten?“
„Es scheint wohl so, das dürfte mein Mitschüler so festgelegt haben. Aber es ist davon auszugehen, dass mit ihrem Tod jegliche Bindung vergeht und die Zombies nur noch stierend in der Ecke stehen, bis die Zeit sie zermalmt.“
„Durchaus beruhigend. Aber zurück zu unserem eigentlichen Punkt: wollt Ihr ein Teil unserer Abmachung werden?“
„Ich habe den Eindruck, dass ihr vier das schaffen könnt. Daher stimme ich zu und werde den Brief meines Meisters an euch versenden, sobald ihr alle anderen beisammen habt. Aber ich vergesse immer wieder meine Pflichten als Gastgeber! Wollt Ihr für die Nacht bleiben und mit mir speisen. Mein Diener hat wunderbares Fleisch zubereitet.“
„Also…“, begann ich zögerlich. Was für Fleisch dieses Wesen zubereitete, wollte ich nicht so genau in Erfahrung bringen. Und eine Nacht im Turm dieses Mannes wirkte ebenfalls nicht wie das, was man bei klarem Verstand tun sollte. „Ich glaube, wir sollten zunächst noch einmal zu Gormigusts Turm reisen und versuchen, den Brief zu erbeuten. Daher muss ich zumindest dieses großzügige Angebot ablehnen.“
Miyako stimmte mir zu, während Groam und Olo bei dem Gedanken an ein vorzügliches Mahl bereits Feuer und Flamme waren. Und Furunkel blieb ganz der Edelmann: „Oh, ich fürchte, ich bin da in ein Fettnäpfchen getreten, nicht wahr? So viel ich gereist bin, aber elfische oder kanthaipanische Sitten sind mir weitgehend fremd. Ich biete euch gerne fleischloses Essen an, wenn es das ist, was euch störte. Eine kleine Mahlzeit, sodass ihr gestärkt seid, bevor ihr wieder strebsam eurer Aufgabe nachgeht.“
„Das klingt…gut. Ich danke Euch für die Rücksicht“, ging ich auf das Angebot ein und so speisten wir doch noch mit dem seltsamen Mann, in dessen Blick ich einen tieferliegenden Hunger zu sehen glaubte, der immer wieder aufflammte, wenn er uns beobachtete, wenn wir gerade nicht hinsahen. Doch vielleicht war ich mittlerweile einfach ziemlich paranoid geworden. Kurz bevor Miyako und ich dann aufbrechen wollten, fiel mir noch eine Sache ein: „Furunkel…besitzt Ihr zufällig einen Stoßspeer? Eine Waffe, die Ihr entbehren könntet, denn meine ist leider zerbrochen.“

Und unser Gastgeber gab ohne Umschweife seinem Impranat einen Wink. Nur zwei Minuten später kehrte dieser mit einer langen Kiste zurück und darin eingebettet fand ich einen wunderschön gearbeiteten Speer mit dunklem Schaft und versilberter Spitze. Mit offener Begeisterung hob ich die Waffe empor und verneigte mich dankbar vor Furunkel.
„Keine Ursache. Wenn Ihr diese Aufgabe erfolgreich beendet, so dürft Ihr ihn behalten. Wenn nicht und Ihr gebt ihn nicht zurück…seid versichert, ich habe Möglichkeiten.“

Ich schluckte schwer, als diese Worte ausgesprochen worden waren und hatte das Gefühl, der Speer hätte sein Gewicht verdoppelt. Doch es nützte Nichts, ich brauchte eine Waffe und diese hier war zweifelsohne ein Meisterwerk, das ich nutzen wollte.
So ließen wir den verletzten Olo und auch Groam zurück. Während wir davon schritten, begann der Zwerg das Gespräch auf das Thema Hämmer zu lenken…

Es war eine dunkle Nacht, der Mond wurde immer wieder von Wolken bedeckt und so fand nur wenig seines fahlen Lichts den Weg auf den Boden zu unseren Füßen. Doch fürs Erste reichte es aus und wir hatten den Vorteil, dass es kein weiter Weg zum Turm Gormigusts war.
Und schließlich sahen wir in einiger Entfernung das sich dunkel abzeichnende Gebäude, das nun wie ein drohender Finger emporragte. Schmale Schatten vor den breiten Eingangspforten verrieten die Zombies, die offensichtlich den Befehl hatten, diese Türen zu verteidigen. Wenn wir Furunkels Worte richtig verstanden hatten, waren dies womöglich die letzten Wachen, die uns begegnen sollten – der Rest war nun hoffentlich in einer Art Starre, da die Befehle Gundels zu unklar waren und sie selbst nun schlief. Soweit der Plan.
Ich griff nach dem altbewährten Stück Rinde und begann die Kraft der Eiche auf mich hinüberzuziehen und langsam verholzte mein Äußeres. Fragend blickte ich hinüber zu Miyako und diesmal schien sie gewillt, die Zauberei zu erdulden – immerhin bestand die dringende Wahrscheinlichkeit eines Kampfes gegen Überzahl. So hielt ich die Eichenrinde an ein Stück freier Haut zwischen Handschuh und Ärmel und ließ die stärkende Kraft auf die KanThai übergehen. Sie zischte unbehaglich, als sie spürte, wie ihre Haut sich wandelte. Dann huschten wir wieder los. Ich streute noch einige Flugsamen verschiedener Pflanzen in die Luft, sodass mein Tritt leicht und die Geräusche leise wurden.

Wir näherten uns von der blinden Seite des Turmes her, da die Pforten an angrenzenden Wänden waren kein größeres Problem. Zudem schienen die Untoten nicht sonderlich darauf bedacht, Ausschau zu halten. Dann waren wir an der Mauer, ich machte meinen Speer bereit, Miyako zog ihren Dolch und griff ihn so, dass die Klinge ihren Arm entlang nach unten wies.
Nur wenige Schritt, die KanThai mit ihren richtigen Schleichkünsten zuerst, dann ich, noch profitierend von dem Schutz, den mir die Natur gewährte. Wir erspähten drei Untote an dem von uns ausgesuchten, etwas kleineren Tor. Eine machbare Aufgabe, wenn man davon ausging, dass die anderen so fest durch Befehl an ihre Pforte gebunden waren, dass sie sie auch bei Kampfgeräuschen nicht verlassen würden.

Miyako machte den Schritt aus den Schatten, legte den rechten Arm von hinten um den Untoten, packte die linke Schulter und zog das Wesen dicht an sich heran. Dann blitzte Stahl im Mondlicht auf und ein dünner Schnitt durch Fleisch verkündete das Ende, ein Flüstern des endgültigen Todes, gegen den auch böse Hexerei nicht gefeit war. Die KanThai hatte mit einem Schnitt sämtliche, einst lebenswichtige Organe im Hals zerteilt, der Kopf hing nur noch halb daran fest und der Wächter des Turms stürzte ohne weiteren Laut zu Boden. Der Angriff einer Assassine, da war er wieder und diesmal erfolgreich. Entsetzen stahl sich in mein Herz. Wo hatte sie das gelernt?

Doch es gab bessere Zeiten, Fragen zu stellen – nun standen uns zwei Zombies bevor, die eifrig ihren Turm verteidigen wollten. Es war nun ein Kampf jeweils eins gegen eins und mit einem bizarrem Lächeln musste ich feststellen, dass mein Gegner zwei Pfeile in sich stecken hatte, die beide mehr oder weniger wirkungslos zwischen verwestem Fleisch hingen. Vergebliche Versuche einer vergangenen Nacht.
Aber ich schoss unbeirrt vor, den Speer mit der linken Hand umgriffen. Ein Stoß, der Untote wollte die Waffe mit einem Kurzschwert zur Seite fegen. Aber kurz vorher riss ich die Spitze nach oben, überging den Abwehrversuch und rammte die silberne Spitze unterhalb des Kiefers schräg in den Schädel des elendigen Zombies, der zurückzuckte und dann, als er sich freigewunden hatte, zusammenbrach.

Miyako hatte währenddessen ihr Langschwert gezogen und lieferte sich einen wilden Schlagabtausch mit ihrem Gegner, der etwas kampfesgeübter wirkte, als unsere bisherigen Gegner. Seine Bewegungen waren langsam, aber umso kraftvoller und kleinere Schnitte waren für ihn ohne Bedeutung. Begleitet von tiefem, hohlen Stöhnen eines einst Begrabenen hackte er ohne Unterlass nach der KanThai. Angriff um Angriff konnte sie entgehen, da stand sie plötzlich mit dem Rücken zur Wand und es gab keine andere Möglichkeit: sie musste mit dem Schwert parieren. So lenkte sie die größte Wucht des Schlages ab, doch die rohe Kraft schlug ihr die Waffe aus der Hand.
Eilends machte ich einen Ausfall, um dem Untoten von hinten die Kniesehnen zu durchtrennen, doch ich rutschte auf den glitschigen Steinen aus – der Regen der letzten Tage hatte den Weg vor dem Tor ziemlich nass gemacht. Einen Moment lang sah ich schon die silberne Spitze meiner Waffe fatal auf den Stein zurasen, aber im letzten Moment konnte ich das Unheil verhindern und rollte mich über die linke Schulter ab.

Der Untote versuchte mir den Schädel zu spalten, doch rechtzeitig hatte ich den kleinen Schild emporgerissen, um Schaden zu verhindern. Das Holz ächzte hörbar und ich hatte alle Mühe, der Kraft entgegenzuhalten – dann war Miyako da. Sie hatte ihre Langschwert wieder aufgenommen und führte die Klinge am rechten Knie des Torwächters entlang. Sehnen rissen, faules Fleisch hing in einem großen Fetzen herab und grunzend ging der menschliche Zombie halb in die Knie. Er versuchte noch einen schwächlichen Hieb in Richtung Miyako, die ihn jedoch durch einen Tritt gegen den Handrücken entwaffnete. Dann rappelte ich mich auf und stieß dem Untoten den Speer durch das rechte Ohr hindurch in den Schädel. Knochen knackten und der unheilige Funken von Existenz erlosch.

Schwer atmend nickten wir einander zu. Ein anstrengender, erster Kampf, aber immerhin war keiner von uns schlimmer verletzt worden. Also hieß es, weiter in den Turm vorzudringen und Miyako machte sich daran, das Schloss zu knacken.
Es dauerte gar nicht lange, dann gab es das verheißungsvolle Klicken und die Tür sprang auf. Vorsichtig zog die KanThai sie auf und wir traten ins Innere – wo wir bereits erwartet wurden.

Gundel schien bessere Befehle gegeben zu haben, als wir (und Furunkel) erwartet hatten. Es erwarteten uns drei weitere Zombies direkt im Eingangsbereich und schlurften mit ihrem Kurzschwertern auf uns zu.
Doch es schien, als wäre der Kampfeszorn in uns gefahren. Einen kleinen Tick schneller als Miyako, schoss ich auf den Gegner am rechten Rand zu. Der kleine Schild hing nur durch den Gurt an meinem rechten Arm, als ich beide Hände um den Stoßspeer legte, zwei, drei Schritt machte und mit vollem Gewicht in den Untoten hineinsprang. Knochen splitterten, Staub lang verwester Organe wurde aufgewirbelt und der Zombie auf den Rücken geschleudert. Ich segelte über ihn hinweg, machte den Speer frei, wobei sich die silberne Spitze durch die unteren Eingeweide des Untoten schnitt und landete dann holprig auf meinen Füßen.
Auf der linken Seite war Miyako mit einem Ausfallschritt auf einen Gegner zu und hatte mit einem sauberen Hieb aus der Scheide nach links oben die zum Schlag erhobene Waffenhand des Zombies abgetrennt. In einer ebenso fließenden Bewegung führte sie die Klinge zurück – durch das rechte Schlüsselbein, über den Brustkorb, bis hinunter zur linken Hüfte: gespalten sackte der Untote zusammen.

Dann wandten wir uns zu zweit dem letzten Gegner zu, der nicht einmal zu realisieren schien, wie schnell seine Gefährten gerade niedergemacht worden waren. Mit dem seligen Vertrauen eines Seelenlosen in seine Fähigkeiten, ging er auf uns los und hackte tumb mit dem Schwert durch die Luft.
Und landete alsbald kleinere Treffer. Meine Rindenhaut verhinderte Schlimmeres, doch es floss Blut, welches sich bizarr auf der hölzernen Haut abzeichnete. Schließlich segelte ein Hieb genau auf meinen Schädel zu und ich riss den Schild in letzter Sekunde hoch – etwas zu schräg und die Kraft riss mir die Verteidigungswaffe aus der Hand. Ich fluchte laut und stach nun mit beidhändig gefasstem Speer zu…um blinzelnd festzustellen, dass der Untote ausgewichen war. Was bei allen unheiligen Geistern war in dieses Wesen gefahren?
Aber Miyako war auch noch da, Stich um Stich, Schnitt um Schnitt. Es war ein Hagel kanthanischer Schwertstreiche… doch der Zombie schien einfach jedem Angriff zu entgehen. Schließlich ließ sich die Kämpferin zu einem wüsten Fluch hinreißen und hackte ungestümer nach dem Untoten. Die rohe Kraft trieb die Schneide auf den Brustkorb des Gegners zu…der zurückwich. Die Spitze glitt weiter, an dem Untoten vorbei und mit einem lauten, schrillen Klirren traf sie auf die steinerne Wand. Erschütterungen glitten durch das Schwert, ein Riss – und ein langes Stück Stahl splitterte davon.

Erschüttert blickte Miyako auf ihre kostbare Waffe, die sie aus der Heimat mitgebracht hatte. Dann blickte sie zu dem Untoten und ihre Augen verengten sich, während ein dunkles Glitzern das baldige Ende dieses Kampfes verkündete.
Ich lenkte die Aufmerksamkeit des Zombies vorerst auf mich, doch er drehte seinen Körper immer wieder rechtzeitig zur Seite, um meinen Stichen zu entgehen. Vor, zurück. Ein Meister im Speerkampf hatte einmal gesagt: jeder Stich – ein Treffer. Dem machte ich nicht gerade Ehre.

Dann tauchte Miyako wie der lebendig gewordene Racheengel auf, ihren Dolch in der Hand und stach von hinten gleich zweifach in den Brustkorb. Der Zombie gab ein Geräusch von sich, als würde er pfeifend Luft holen und wandte sich um. Nur um weitere Stiche in die Eingeweide abzubekommen, bis er schließlich in sich zusammensank.

Miyako fluchte noch einmal auf KanThai, dann straffte sie sich wieder. Die Kämpfe gegen diese Untoten wirkten, als hätten wir selbst einen Fluch auf uns geladen. Es schien nie einfach, das Richtige zu tun. Und als ich nun Miyako verbinden wollte, da sie ebenso wie ich aus einigen, kleineren Wunden blutete, waren mir die Hände so unruhig, dass die Verbände auch ein alter Greis hätte anlegen können.

Wir brauchten eine Pause und zogen uns vorerst aus dem Turm zurück, die Leichen von sechs endgültig toten Zombies zurücklassend. Draußen regnete es und die Luft trug kalte Winde in sich, doch selbst das war schlicht erfrischend im Vergleich zu dem bizarren Leichenhaus, das sich Turm eines Zauberers schimpfte.

Dann kehrten wir zurück – das freigekämpfte Tor war weiterhin unbewacht und wir konnten in die Behausung des verstorbenen Gormigusts eindringen. Auch die Eingangshalle war weiterhin verwaist, die Leichen einmal ausgenommen. Den Stall beachteten wir nicht weiter: ein Kampf gegen den untoten Elefanten schien vieles zu sein, aber nicht sonderlich erstrebenswert, wenn man noch einen Sinn im Leben sah. Dann schlich Miyako die Treppe nach oben, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Auf dem behauenen Stein würde meine Umgebungsmagie nicht wirken, sodass ich lieber zurück blieb, die Waffen aber bereit, um im Notfall eingreifen zu können.
Es verging einige Zeit, da lief die KanThai im Eilschritt wieder herunter und gestikulierte eindeutig Richtung Tor – wir verließen den Turm wieder. Draußen murmelte Miyako dann nur: „Das dürfte eine längere Nacht werden. Da oben erwarten uns noch einige Untote.“

Ächzend nickte ich und wir packten unsere Waffen wieder fester. Dann, wieder voran. Ein weiterer Sturm, den unsere Klingen entfesseln würden. Während mein Körper noch konnte, setzte sich langsam ein dumpfes, brummendes Gefühl über meinen Geist.
Und wir schlichen die Treppe nach oben, erreichten die große Halle und entdeckten zwei Zombies, welche regungslos an der Wand standen. Doch wie wir die letzten Stufen genommen hatten, Miyako ihren Dolch, ich meinen Stoßspeer in der Hand – da zuckten sie und liefen auf uns zu.

Und ich war überrascht, wie schnell der erste Angriff auf mich niederprasselte. So schnell ich konnte, riss ich mein Schild nach oben, versuchte dann einen Stich in die offene Flanke des Angreifers zu landen. Doch der Untote trat mir schlicht mit voller Wucht vor den Bauch. Meine Augen weiteten sich, während es mir sämtliche Luft heraustrieb. Der Stoß warf mich auf den Rücken, was mich noch einmal Ächzen ließ, ehe ich wie ein Ertrinkender nach Atem schnappte. Der nächste Hieb; ich rollte mich zur Seite. Nun bäuchlings kam ich wieder auf die Beine und stolperte einen Schritt zurück, um dem dritten Angriff der Serie zu entgehen. Was ein verfluchtes…
Da sah ich im Augenwinkel wie sich Miyako auf ihren Gegner stürzte und mit ausdruckslosem Gesicht aber offensichtlich voller Zorn mehrfach auf den Brustkorb des Zombies einstach, bis dieser erschlaffte und jegliche Regung verging. Davon angetrieben, stieß ich nach vorn – und verfehlte knapp. Ein kräftiger Rückhandschlag des Untoten gegen den Speerschaft trieb mir die Waffe aus der Hand. Ich fluchte und stürzte dann mit hoch gehaltenem Schild dem Silberspeer  nach. Derart unbeholfen zu agieren, hätte mir mit Sicherheit eine Wunde eingebrockt, wenn nicht Miyako gewesen wäre, die unseren letzten Gegner nun umtänzelte. Als ich meine Waffe wieder hatte, konnten wir den Zombie in die Mangel nehmen…doch er schien vom der Finsternis selbst beseelt und wich den Angriffen aus als wäre er zu Lebzeiten ein Schwertmeister gewesen. Doch Glück, Können oder Fluch hin und her, schließlich hatte er genug Schnitte Miyakos erlitten und seine Bewegung war eingeschränkt. Dann traf ich mit dem Speer und zertrennte die Wirbelsäule, sodass das miese Getier zusammenbrach.

Seufzend lehnte ich mich gegen die Wand, als wäre das gerade ein Kampf gegen einhundert und nicht gegen zwei gewesen. Auch Miyako wirkte deutlich abgekämpfter, als sie sich das eingestehen wollte. Nichtsdestotrotz versuchte ich unsere Wunden zu heilen. Aber dieser leblose Ort und meine Verfassung machten das zu einer Probe, die ich verlor. Die Wundränder meiner Begleiterin fanden nur einen Hauch zueinander und die ohnehin stiller werdende Blutung wurde gestoppt. Ein großartiger Heiler…

Doch alles Lamentieren brachte mich nicht weiter. Ich raffte mich wieder auf, Miyako war auch bereit und wir nahmen den weiteren Weg nach oben. Einige Minuten später standen wir dann endlich vor der Tür, die in Gormigusts oder Gundels Zimmer führen musste. Und so traten wir sie auf und traten hinein.
Das Zimmer war spartanisch ausgestattet, ebenso wie der Rest des Turms und ebenso penibel sauber gewischt. Hervorstechend war jedoch das gewaltige Himmelbett, in dem sich eine Gestalt wälzte: Gundel im Nachthemd. Direkt neben ihr stand ein Zombie, der bei unserem Eintreten ein charakteristisches Stöhnen von sich gab und dann seine Herrin wachschüttelte. Binnen einer Sekunde war sie aufgefahren und blickte giftig in unsere Richtung.
„Ahhh! Diebe! Mörder! Der Geist meines Bruders soll euch holen, ihr verfluchten…“
„Gib auf, Gundel!“, rief ich. „Wir haben deinen gesamten Hofstaat besiegt, es wird an dir nicht scheitern. Gib uns den Brief deines Bruders und entlass die Untoten aus dieser Existenz.“
„Niemals!“, brüllte sie und sprang aus dem Bett, einen Dolch in der Hand. Dann stürmte sie los, der Zombie gemütlich hintendrein.

Gundel hatte in ihrem Leben nie eine Waffe in der Hand gehalten, das war offensichtlich. Oder es war so lange her und sie hatte sich so lange auf ihrem Bruder ausgeruht, dass entsprechende Fertigkeiten verkümmert waren. Einfach wild schreiend und geifernd lief sie auf uns zu und ich machte einen einzelnen Ausfall, der den silbernen Speer auf Bauchhöhe brachte – sie spießte sich größtenteils selbst auf. Miyako nutzte den Moment und stach den Dolch in die Seite der Frau. Blut spritzte aus der Achsel, während ich noch einmal nachstach, bis die Spitze des Speers aus dem Rücken heraustrat und das Licht in den Augen der garstigen Schwester erlosch.
Dann war der Zombie heran und schwang wild eine übergroße Keule nach mir. Der Schild war etwas klein für die Abwehr, doch trotz eines hässlichen Knirschens hielt das Holz. Allerdings war mein Arm hinterher taub und ächzend stolperte ich zurück, mein Speer immer noch in der Leiche gefangen.
Doch Miyako war wieder zur Stelle und versenkte mit einem freundlichen Gruß auf den Lippen die Klinge zuerst im Knie des Zombies. Die Sehne wurde hörbar zertrennt, der Untote ging nieder und die KanThai zerschnitt die Kehle, ehe sich das Wesen weiter wehren konnte.

Mit letzter Kraft wühlten wir in den Falten von Gundels Gewand und fanden den Brief, der eigentlich ihrem Bruder gehörte. Dann gönnten wir uns einen Moment der Ruhe und inneren Meditation. Immerhin hatten wir Verrückte aufgehalten, die dachten, Untote seien Schoßtierchen – dafür hatte sich der Abstecher rund um diese verrückten Türme schon einmal gelohnt.

Es dämmerte fast, als wir uns wieder auf den Weg machten. Der Magierturm blieb nun wahrlich ausgestorben hinter uns zurück, bis womöglich eines Tages jemand sein Mysterium erkunden würde oder sich (etwas wahrscheinlicher) einer der anderen Schüler um ihn kümmerte. Und am Mittag erreichten wir Furunkels düster wirkendes Heim, welches uns nun jedoch wie das Paradies vorkam. Der Hausherr begrüßte uns freundlich, ließ das Bad für uns bereit machen und wir konnten zusammen mit Groam und Olo zu Mittag speisen. Die beiden waren putzmunter. Mein erster Eindruck von Furunkel war vielleicht doch etwas negativ gewesen…
Aber so angenehm dies alles auch war, wir mussten schließlich weiter und machten uns, nun wieder in voller Truppstärke, auf den Weg zur letzten Bastion gegen unser Vorhaben einer gemeinsamen Erbaufteilung: Babajaga.

Der Turm der Hexe fand sich so vor, wie wir ihn verlassen hatten und wir überließen Olo das Anklopfen und Reden. Immerhin hatte er so etwas Ähnliches wie… bleibenden Eindruck hinterlassen. Es dauerte auch gar nicht lange, da öffnete die ältere Variante Babajagas die Tür. Übermäßige Paste im Gesicht, eine überwältigende Parfümwolke und geschmackloser, goldener Tand überall an den Armen und den Ohren.
„Ah, verehrter Schwiegermutter in Lauerstellung“, meinte Olo mit einem breiten Grinsen. „Es drängt mich zu deiner Tochter, zu der einen, die ich liebe. Wir haben wichtige Sachen zu besprechen.“
„Na, mein Schatz. Erkennst du mich etwa nicht?“, erwiderte die ältere Frau und bestätigte das, was eigentlich allen außer dem Halbling klar gewesen war. Aber er war schließlich auch für seine Hartnäckigkeit bekannt…
„Ja, natürlich erkenne ich dich. Du bist die Mutter von Babajaga. Und nun komm, lass meine Freunde und mich rein in den Turm.“
„Aber ich bin es doch. Zugegeben, ohne den ein oder anderen kosmetischen Trick, aber…“
„Ja, ja. Komm, lass uns doch bitte rein“, blieb Olo beharrlich, wenn auch freundlich.

Babajaga runzelte die Stirn und holte uns dann tatsächlich erstmal herein. Sie wirkte insgesamt etwas ausgeglichener als bei unserem letzten Besuch. Nun, das mochte wahrscheinlich anhalten, bis wir auf den Brief zu sprechen kamen…
Wir setzten uns an den eigentümlichen Tisch mit den eigentümlichen Schnitzereien, die einfachere Gemüter wohl bereits nervös machen konnten. Doch insgesamt fühlte ich mich hier derart unbehaglich, dass jegliche amouröse Gedanken erstickt waren.

„Also, wie kann ich…helfen?“
„Nun, es ist so. Wir waren hier wegen Schubidubs Brief. Erbe und so. Unser Treuhandfonds läuft zurzeit sehr gut. Steigende Kurse, stetige Investments, also eine reine Kurve nach oben. Import, Export, die ganzen Sachen“, begann Olo einen merkwürdigen Monolog über wirtschaftliche Gegebenheiten, die irgendwie… unzusammenhängend waren? Aber sei’s drum, der Halbling kam schließlich zum Punkt: „Wir haben auf jeden Fall die Briefe von Gormigust, Balthasar, Mumpitz und Furunkels!“
„Furunkel?“, merkte Babajaga auf und ein seltsames Glitzern stahl sich in ihre Augen. War da plötzlich so etwas wie Interesse?
„Ja, ja! Ich habe sogar einen Brief von ihm“, murmelte Olo und holte tatsächlich ein Schriftstück hervor. Erstaunt blickte ich unseren kleinen Händler an. Manchmal neigte er zu gar cleveren Ideen. „Den könnt Ihr ja eurer Tochter überreichen…“
Aber Babajaga interessierte die Täuschung nicht sonderlich, welche der Halbling sich noch immer aufrecht erhielt und überflog die mysteriösen Zeilen, die der Magier ihr geschrieben hatte.
„Also gut…ich gebe euch den Brief. Zu einem Zeitpunkt, an dem auch alle anderen ihren Brief gleichzeitig übergeben.“
Mir wäre fast die Kinnlade heruntergefallen. Beim letzten Mal standen wir meiner Erinnerung nach näher daran, in Kröten verwandelt zu werden, als den Brief zu erhalten. Und nun…ein paar Zeilen Furunkels und das Problem war gelöst. Ein Dank an Olo Platschfuß.
So verabschiedeten wir uns, wenngleich der Halbling bis zum Ende traurig war, dass er die „Tochter“ nicht sehen durfte. Den halben Weg zu Balthasar schimpfte er über seine „angehende Schwiegermutter“, bis er schließlich weit genug vom Turm entfernt war, dass sich seine Gedanken normalisieren konnten. Freilich glaubte er immer noch, es gäbe das jüngere Exemplar von Babajaga, aber seine unsterbliche Minne war gedämpft.

Als wir unseren ursprünglichen Auftraggeber wiedertrafen, galt es zunächst, auch ihn hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen ins Bild zu setzen, glaubte er eigentlich noch, dass wir ihm die Briefe verkaufen würden. Aber er zeigte sich über unsere Eigeninitiative sehr erfreut und gemeinsam machten wir aus, dass in drei Tagen der Treffpunkt für alle Erben sei, um die noch fehlenden Briefe zu übermitteln, damit wir dann an die Bergung des Erbes gehen konnten. Die Zeit bis dahin nutzten wir, um die anderen eben darüber zu informieren und so verging die Zeit mit einigen Fußmärschen und schließlich war es so weit…

Der Abend dämmerte, als wir uns in der großen Halle Balthasars einfanden. Die Briefe von Mumpitz und Gormigust waren bereits in unserem Besitz. Da kam der erste Bote: der verwirrte, alte Zauberer hatte einen Kobold auf einem Falken geschickt mit der Entschuldigung, dass er den Brief gerade nicht finde. Er hatte wohl glatt vergessen, dass wir ihn bereits hatten. Nun, er würde sich wohl schon rechtzeitig daran erinnern. Und wahrscheinlich war der Kobold hier, um seine Augen und Ohren zu sein, denn gänzlich so verwirrt, wie er sich gab, war Mumpitz wohl mit Sicherheit nicht.
Dann, der zweite Bote. Ein Kohlrabe von Babajaga, den Brief ans Bein gebunden. Und schließlich klopfte es wieder an der Tür: es war der seltsame Diener Furunkels, der Impranat aus einer anderen Welt.
Feierlich legte Balthasar als Letzter den für ihn bestimmten Brief in die Mitte der langen Tafel und so waren alle fünf Schriftstücke vollständig. Olo ging sie der Reihe nach durch und las uns die wichtigsten Teile vor. Das waren jeweils ein Hinweis sowie zwei Buchstaben für das „Schlüsselwort“.

Der Anfang war Mumpitz.
„Wo versteckt man einen 12m hohen Turm? Natürlich unter drei anderen Türmen.
Dein Anteil am Schlüsselwort: S I.“

Dann Gormigust.
„Der Sumpf von Bogdell ist nicht unbewohnt.
Dein Anteil am Schlüsselwort: M E.“

Babajaga.
„Man sagt, Leute, die ihren gesamten Besitz in einer Hand halten können, seien arm. Sei versichert, dass das nicht immer der Fall ist.
Dein Anteil am Schlüsselwort: E S.“

Furunkel.
„Es blinkt und lockt in dunkler Nacht den Nassen oft vom Wege ab.
Dein Anteil am Schlüsselwort: E T.“
Olo war etwas empört, als er in Schubidubs Brief an Furunkel die Anmerkung fand, dass der Magier Babajaga erhören solle, da sie sich sehr nach ihm verzehre. Nun immerhin erklärt das ihre plötzliche Hilfsbereitschaft…

Und Balthasar.
„Eins zu sechs, zwei zu sieben, drei zu acht, na, und so weiter.
Dein Teil vom Schlüsselwort: E R.“

Es schien recht offensichtlich, dass wir in den Sumpf aufbrechen mussten und gemeinsam hatten wir auch schnell heraus, dass es wohl ein Irrlicht sein könnte, was uns diesmal den richtigen Weg weisen würde. Beim Schlüsselwort zerbrachen Miyako und ich uns jedoch einige Minuten den Kopf, bis schließlich Olo laut ausrief: „Seemeister!“
Es dauerte einen Moment…dann war es mir auch klar. Der Halbling war gut im Rätsellösen! Anerkennend nickte ich ihm zu. Aber dann wurde es Zeit und wir brachen auf. Balthasars Brief hatte einen weiteren Hinweis getragen: Schubidub riet uns dringend, seinen Turm im Dunkeln zu betreten. Dies und die Theorie mit dem Irrlicht verlangte von uns, bei Nacht durch den Bogdell’schen Sumpf zu wandern.

Olo entzündete seine Lampe, sobald wir den Turm verlassen hatten. Balthasar wünschte es uns viel Erfolg, wirkte aber sehr erleichtert darüber, nicht selbst durch den Schlamm stapfen zu müssen. Und den Regen. Das Wetter war schlechter, wie es kaum sein konnte und binnen weniger Minuten waren wir durchnässt und halb erfroren, während wir im Sumpf schließlich um jeden Schritt mit dem Matsch kämpfen mussten. Immerhin hatten wir das Licht des Halblings, denn in dieser finsteren Nacht konnten nicht einmal die guten Augen des Zwergs und von mir die Dunkelheit durchdringen.

Wir stapften eine Ewigkeit durch den Morast. Ohne ein genaues Ziel zu haben, blieb uns wenig mehr, als einfach das Beste zu hoffen und irgendwann jenes verheißungsvolles Licht zu sehen. Und natürlich stand in diesem Zusammenhang die dringende Annahme, dass wir Recht damit hatten, einem Irrlicht zu folgen oder was auch immer für die „Orientierung“ dienlich sein würde. Hoffentlich machte sich Schubidub Nichts aus sinistren Scherzen.
Dann – es mochten gut zwei Stunden vergangen sein und wir waren bereits etwas geschwächt – ein Licht. Wie eine Kerze, weit entfernt in der Düsternis. Es hüpfte nicht auf und ab, wie das ein Irrlicht tun mochte. Also etwas anderes…und wir hielten darauf zu. Das Moor mit seinen gefährlichen Löchern und tückischen Untiefen zwang uns zu einem umständlichen Weg und wir brauchten wohl noch eine ganze Stunde, bis wir an der Quelle des Lichts angekommen waren…

Es war eine kleine, riedgedeckte Hütte und in einem Fenster stand eine große Kerze. Das Gebäude war zwar nicht verfallen, wirkte aber deutlich mitgenommen. Das Holz der Wände war durch die anhaltende Nässe verfärbt und etliche Pflanzen woben sich um das Gebäude herum, sodass kaum auszumachen war, wo sie eigentlich ihren Anfang hatte. Wollte man es poetisch sagen, könnte man vermuten, der Sumpf hätte diese Hütte irgendwie geboren. Blickte man in die Zukunft, erschien es mehr wie eine Rückeroberung.
Wir klopften und traten sogleich herein. Und fanden unseren „Gastgeber“ vor: ein uralter Mensch, der auf einem kleinen Schemel an einem ärmlichen Holztisch saß. Seine Haut war faltig und vom Wetter gegerbt, das Haar schlohweiß und lang. Ein langer Bart fiel ihm bis auf die Brust. Gekleidet war er lediglich in einen ärmlichen Kittel. Wer auch immer er war, er schien es nicht zu größerem Wohlstand gebracht zu haben. Die Hütte besaß in ihrem Inneren wenig mehr als Stuhl, Tisch, ein schmales Bett sowie einen kleinen Schrank. Als wir eintraten hob der Mann den Kopf, den er auf eine gichtige Hand gestützt hatte. Seine Augen waren gräulich weiß… er war blind.

„Ahh, seid gegrüßt. Besucher zu so später Stunde? Eine angenehme Überraschung“, begrüßte uns der Mann. Seine Stimme klang trocken und hohl, er schien für einen Menschen ein wirklich gewaltiges Alter erreicht zu haben, so, wie er davon gezeichnet war.
„Seid uns ebenfalls gegrüßt. Dies sind meine Begleiter Miyako, Olo Platschfuß, Groam Bärentod und ich bin Ilfarin Tinuhên. Wie ist euer Name?“
„Umba.“
„Sagt, kanntet Ihr den verstorbenen Meister Schubidub?“
„Ah…dann ist es also so weit. Ihr findet eine Schatulle im Schrank, die hat mir der Zauberer gegeben, falls es seine Erben tatsächlich schaffen würden, herzukommen.“

Danach schwieg der Mann und schloss die Augen. Das Gespräch schien ihn bereits sehr angestrengt zu haben, also ließen wir ihn in Ruhe und holten die Schatulle aus dem Schrank: darin befanden sich geschnitzte Figuren aus Ebenholz und Elfenbein und ein zusammengeklapptes Brett mit einem Muster. Ein Schachspiel, wie es die Adeligen Albas zum Zeitvertreib kannten.

Wir legten das Brett aus und holten die vier Türme hervor. Es galt irgendwie, ein Rätsel zu lösen, dessen genaue Frage uns womöglich noch mehr verborgen war, als die Antwort.
Wo versteckt man einen Turm? Am besten hinter drei anderen Türmen.
Also stellten wir die vier in verschiedensten Mustern auf, als würden drei einen Schutzwall für den letzten bilden. Es geschah Nichts. Olo stapelte sie aufeinander – Nichts. Auch das merkwürdige, für uns noch immer unklare „eins zu sechs, zwei zu sieben“ und so weiter, was Balthasars Brief beigelegt war, brachte uns nicht voran.
„Wir sollen den Turm im Dunkeln betreten…“, meinte Miyako dann. „Umba, können wir das Licht der Kerze ausmachen?“
„Nur zu, aber entzündet es hinterher bitte wieder. Mein Enkel wird es brauchen, um mich im Morgengrauen zu besuchen. Wisst Ihr, er kommt regelmäßig, um mich zu besuchen. Ein guter Junge.“

Und so trat die KanThai an das Licht und pustete es aus. Und es geschah… Nichts. Langsam etwas verwirrt, kratzte ich mich am Kopf während Miyako die Kerze wieder entfachte.
„Könnt Ihr euer wichtigstes Hab und Gut in einer Hand halten?“, fragte Olo den alten Umba in Anlehnung an den Ausspruch in Babajagas Brief.
„Das würde ich so nicht sagen…“
„Aber vielleicht habt Ihr trotzdem eine Idee? Oder hat Schubidub Euch irgendwas mitgegeben, ein weiteres Rätsel oder dergleichen?“
„Nein, da muss ich Euch leider enttäuschen. Ich weiß Nichts von dieser ganzen Angelegenheit, außer, dass dieser bizarre Zauberer wollte, dass ich die Schatulle aufbewahre.“

Und so probierten wir noch eine Weile herum, während wir langsam ratloser wurden. Schließlich nahm Olo gedankenverloren einen der Türme des Spiels in die Hand und betrachtete ihn eine Zeit lang.
„Hey, wir haben doch noch das Schlüsselwort…Seemeister…“

Und ein Donnerhall fegte durch die Nacht.

Olo und ich wurden nach hinten geschleudert, während die Hütte um uns herum in ihre Bestandteile zerfetzt wurde. In dem Chaos aus herumfliegenden Holzsplittern, verrotteten Moorpflanzen und Schachfiguren verlor ich die anderen gänzlich aus den Augen.

Dann landete ich auf dem Rücken, der Aufprall ließ meine Rippen ächzen und dunkle Punkte tanzten vor meinen Augen. Erst einen Moment später setzte ich mich auf, Olo zu meiner Linken, und konnte begreifen, was eigentlich geschah: einer der kleinen Spieltürme wuchs gerade binnen weniger Sekunden zu uns altbekannter Größe heran: es war der Turm Schubidubs des Schönen!
Grinsend blickte ich zu Olo hinüber, der langsam realisierte, dass der das Rätsel gelöst hatte.

„Meinen Glückwunsch, Olo. Vielleicht sollte ich dich fortan den ‚Meister der Geheimnisse‘ nennen; Turingóle.“

Dann standen wir auf und sahen dann die anderen, die sich ebenfalls aufrappelten. Es war keiner ernsthaft zu Schaden gekommen, nicht einmal Umba. Allerdings würde dieser am Morgen von seinem Enkel in ein neues Heim geführt werden müssen. Eine etwas unglückliche Wendung für ihn. Für uns wurde es jetzt Zeit, den Turm selbst zu erkunden, da wir noch mit einigen letzten Herausforderungen rechneten, ehe wir das Erbe an die drei Schüler und die Schülerin Schubidubs verteilen konnten. Ich wollte Olo gerade sagen, dass er die Lampe wieder entfachen sollte, da eilte Miyako herbei: „Wir sollten den Turm im Dunkeln betreten. Halten wir uns am besten so genau daran wie möglich.“
Ich zuckte die Achseln, aber unsere Begleiterin hatte schon Recht und so öffneten wir das Tor zu Schubidubs Turm ohne weitere Beleuchtung zu haben. Und fast direkt liefen wir gegen eine Wand. Es schien nur knapp ein Meter Platz zwischen der Türschwelle und dieser spiegelnden Fläche, sodass man sich eher Rechts daran vorbeischieben musste. Bei dem wenigen Licht konnten wir nur Schemen von uns erkennen…

Dann hörten wir von draußen Tumult und kehrten wieder um. Gerade rechtzeitig um zu sehen, wie Balthasar aus einem Sumpfloch herbeigestolpert kam. Er schwankte leicht, also so wie immer, und prostete uns mit seinem Bierkrug zu, der als einziges nicht schlammbespritzt war und es schien auch, als hätte der Zauberer trotz seines Ungeschicks, nicht einen Tropfen verschüttet.
Und die anderen kamen herbei. Babajaga und Furunkel kamen gemeinsam, die Hexe sogar mit ihrem wahren Äußeren. Die zwei ritten einen Besen, was zumindest für den Zauberer nicht sonderlich bequem zu sein schien. Aber immerhin schien er auf den Vorschlag seines Altmeisters eingegangen zu sein.
Zuletzt war dann Mumpitz zur Stelle, der es sich nicht nehmen ließ, prachtvoll mit einem Pegasus aufzutreten, den er elegant landete und abstieg wie ein Held aus altvorderer Zeit.

Auch die Boten der Zauberer waren wieder zur Stelle und der Impranat Furunkels stieg ein misstrauisches Zischen aus, als er einen Blick durch die Tür warf.
„Meine Güte! Das ist ein Simulacrum!“, rief er aus.
„Ein was?“, fragten wir verwirrt, doch der Geschuppte ging nicht darauf ein, sondern fragte uns nur hektisch: „Ihr habt nicht hineingesehen oder? Sagt, dass Ihr nicht hineingeschaut habt!“
„Nicht wirklich, es war dunkel, wir haben nur Schemen gesehen…“
„Was ein Glück. Nun, wir sollten das Ding am besten bedecken…ja, gebt mir eure Mäntel…“

Wir sollten nie erfahren, was das Simulacrum eigentlich war und vor welcher Gefahr uns Miyako da gerettet hatte, denn ehe wir uns versahen, gerieten wir mitten in die Streitereien der vier verbliebenen Erben. Sie hatten keine fünf Sekunden gemeinsam hier herumgestanden, da flogen schon Erinnerungen an alte Beleidigungen durch die Luft, die gleich um neue Schimpfereien ergänzt wurden. Doch als wir hartnäckig dazwischen gingen und an den eigentlichen Grund unseres Hierseins erinnerten, konnten wir die Führung übernehmen und überwachten die faire Aufteilung der Schätze des Altmeisters. Furunkel erhielt seinen neuen, schwarzen Stab, Mumpitz die Bibliothek, Balthasar den alten Weinvorrat und so weiter und so fort. Der Morgen graute, bis wir unsere Tätigkeit beendet hatten und der Treuhandfonds somit seine Zielsetzung erfüllt hatte. Und ich fühlte mich glatt zehn Jahre älter.

Zum Dank legten die Magier unmittelbar zusammen und wir glaubten unseren Augen kaum, als ein jeder von uns zweitausendfünfhundert Goldstücke in Form von Münzen und größtenteils kleinerer Diamanten erhielt. Darüber hinaus überließen sie es uns, aus den kleineren, magischen Gegenständen etwas auszuwählen, als ergänzenden Obolus.
Während Groam sich bereits mit Balthasar daran gemacht hatte, eine erlesenes Fässchen Dvarheimer Doppelbock zu öffnen, dass es irgendwie in Schubidubs Besitz geschafft hatte, überlegten Olo und Miyako hin und her, wer einen Dolch oder einen Ring der Flinken Finger an sich nahm…zumindest soweit mich meine Erinnerungen nicht trübten. Ich konnte mit all dem nicht viel anfangen und entschied mich für die Wünschelrute, die ausschlug, sobald sie auf eine Illusion gerichtet war. Damit hoffte ich mir in Zukunft viel Leid zu ersparen.

Und so wurde es Zeit Abschied zu nehmen. Mumpitz wirkte wie immer etwas verwirrt, als hätte er direkt vergessen, wer wir eigentlich waren, aber ein dankbarer Schimmer in seinen Augen verriet, dass zumindest etwas hängen geblieben war. Babajaga blieb uns gegenüber kurzangebunden, warf nur Olo eine spielerische Kusshand zu, der daraufhin etwas verblüfft war.
„Grüßt mir eure Tochter sehr herzlich!“, erwiderte er nur.
Furunkel machte eine elegante Verbeugung, ehe er sich wieder auf den Besen quälte und mit seiner neuen Liebe davonflog.

Und gemeinsam mit Balthasar kehrten wir dann aus dem Sumpf zurück. Er sang noch einige Trinklieder mit Groam, was unsere Ohren malträtierte, bis uns schließlich Fräulein Purana wieder empfing und uns in ihrer üblichen, gutmütterlichen Sorge mit Essen und warmen Decken ausstattete.
Wir schliefen bis zum Mittag, dann gab es wieder eine köstliche Speise und ich hatte eine Idee…
„Balthasar, dieser Turm kann sich versetzen, richtig?“
„Ja, das ist richtig.“
„Könntest du uns vielleicht…nun mitnehmen?“
„Das wäre eine Möglichkeit. Ich wollte ohnehin nicht mehr lange hier verbleiben. Nichts gegen Bogdell…eigentlich schon… es ist nicht sonderlich angenehm hier. Wollt ihr mit nach Valian?“
„Tatsächlich wäre unser nächstes Reiseziel eher Teámhair in Erainn. Wir haben dort in der Nähe zu tun.“
„Immer beschäftigt, was? Nun, das dürfte kein Problem sein. Die magischen Energien dieses Turms sind zurzeit gut angefüllt… ich will euch nicht mit den theoretischen Einzelheiten langweilen. Haltet euch einfach gleich gut fest…“

Und nach dem Mittagessen führte Balthasar den Versetzungszauber aus. Entgegen seines Ausspruches, der wohl als Scherz gedacht gewesen war, verlief die „Reise“ sehr ruhig. Es wurde nur kurz dunkel, als würden gleichzeitig sämtliche Lichter flackern, dann waren wir bereits da – und von der Spitze des Turmes aus konnte man in der Ferne die Stadt sehen. Balthasar hatte klugerweise einen angemessenen Sicherheitsabstand gewahrt, um keinen gefährlichen Pöbel anzustacheln.

Dann nahmen wir auch Abschied von unserem ursprünglichen Auftraggeber. Er umarmte uns fest und wünschte uns viel Erfolg; Groam und Olo erhielten noch einige Trinkempfehlungen für Teámhair und Erainn allgemein. Und so brachen wir wieder auf.

Teámhair erwies sich als eigentümlicher Ort. Hier waren Weise Frauen hoch angesehen, welche mit der allumfassenden Schlange Nathir in Verbindung standen und wie Druiden Grüne Magie beherrschten. Es gab viele Barden und auch bewaffnete Kriegerinnen, die entschlossen entlang der vielen Heiligtümer, die sich hier befanden, Wache hielten. Und dann waren da die Coraniaid, die Elfen mit ihrer grünlich-schimmernden Haut. Es war ein seltsames Gefühl, mit ihnen Kontakt zu haben, da sie einen gänzlich anderen Weg gewählt hatten, als das bei den Siolcin, meinem Volk, der Fall gewesen war. Den Geschichten nach hatten sich viele von ihnen mit den Menschen hier vermischt, die sich ihrem Glauben nach das „Volk der Schlange“ nannten. Und tatsächlich wies auch der eine oder andere von ihnen einen gewissen Schimmer in der Haut auf.
Auch die Sprache hier war geprägt von diesem Erbe und ich stellte eine Verwandtschaft des Erainnischen zum Eldalyn fest, die mich erfreute und so nutzte ich die Wochen, die meine Gefährten und ich hier zunächst verbrachten auch, um sie zu erlernen.

Doch schließlich drängte die Zeit erneut, wir mussten den Stein des Feuers finden, der sich in Mallachtéara bei einem kleinen Dorf befinden sollte. Dann hieß es mit den drei Fundstücken nach Valian zu reisen, wo Feanor dann hoffentlich ebenfalls drei bereithalten würde.

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