Die Straße nach Westen zeigte deutlich, dass sie nicht oft benutzt wurde. Kamen wohl nur wenige Kleinkrämer bis nach Arkendale, reiste keiner weiter. Die Strecke zwischen Broceliande und Melgar-Bergen wirkte somit urtümlich und verwachsen. Häufiger waren die eingelegten Steine von Pflanzen herausgehoben oder verschoben worden. Eine eigentümliche Stimmung lag auf diesem Weg, eine Stille auf gepflasterter Straße, beinah eine Verkündung vom Ende der Zivilisation.
Aber wir hielten uns auf dem Weg und entgingen so drei Tage lang allen Unbilden, bis uns der albische Herbst einen Regenguss bot, der uns bis auf die Knochen durchweichte. Wir beschleunigten unsere Schritte, als wir einige Lichter in der Entfernung sahen und zu unserem Glück erreichten wir ein kleines Dorf oder eher eine verfallene Ansammlung von Hütten. Mehr als die Hälfte war dunkel und unbeleuchtet oder gleich gänzlich zerfallen, aber immerhin das größte, grob gastlich wirkende Haus war intakt. Vor der Tür hing an einem schiefen Schild ein aufgemalter schiefer Krug. Es erklangen Trinkgeräusche von drinnen und wir machten so schnell, wie wir konnten, dass wir aus dem Regen kamen.
Wir traten auf einen Boden, der leidlich mit Sägespänen bedeckt wurde. Die meisten der Tische waren staubig oder mit Spinnweben versehen und viele der Stühle wirkten nicht gerade, als sollte sich Olo darauf setzen. Mühselig erhob sich ein dicklicher Mann von einem der beiden überhaupt besetzten Tische und humpelte hinter den Tresen, um uns von dort aus lustlos zuzurufen: „Wilkomm‘ in Bokdale, das hier is‘ de schiefe Hump‘n. Woll’er was zu ess’n?“
Mehr oder minder begeistert bestellten wir, was wir brauchten und suchten uns einen Sitzplatz. Da wir weder die Absicht hatten auf halbverrotteten Stühlen oder bei den zwielichtigen Dörflern zu sitzen, wählten wir den Tisch, an dem ohnehin nur eine Person saß. Er wirkte schon älter, besaß einen gepflegten wenn auch etwas bierfleckigen, weißen Rauschebart und trug die wohl bunteste Zusammenstellung an Kleidung, die ich jemals gesehen hatte. Grüne Fäustlinge mit gelb-blau kariertem Wams mit silbernen Knöpfen, ebenfalls etwas fleckig (diesmal vom Essen) rote Hosen, dunkelbraune Stiefel und zum Abschluss ein schief sitzender Hut mit geknickter, lila Feder. Eine rote, etwas verquollene Nase zeugte von jahrelangem Alkoholkonsum und sein Gewicht schwappte bereits derart in die Breite, dass diese beinah seiner geringen Größe gleichkam.
„Ah, neue Gäschde“, begrüßte er uns und setzte ein theatralisches Hicksen hintendran. „Isch hab‘ ne Haafe. Bin en doller Schbiela. Woll’er was hör’n? Komm, komm, nisch so schüschdern, isch geb eusch e’sma‘ was aus, seid’s ja arg nässich…äh, nass.“
Mit einiger Belustigung, immerhin schien es dem Mann trotz all seinem Alkohol nicht sehr schlecht zu gehen, ließen wir uns auf die Gesellschaft ein. Er stellte sich uns als Balthasar vor und berichtete von seinem vorzüglichen Weinkeller. Bei den untermalenden, ausufernden Gesten, vergoss er stets einen Schluck seines Getränks – meist auf sich selbst. Auf seine Aufrufe, einen mitzutrinken, folgte stets große Zustimmung seitens Groam
„Balthasar, hier in der Umgebung scheint es Nichts zu geben, wo jemand ein Anwesen mit einem Weinkeller unterbringen wöllte“, merkte ich schließlich an.
„Nun, isch bin eigen’lisch auch nisch von hier. Aber habe einen Turm in der Nähe. Könnt‘ auch gern übernachten…wär vielleischd sogar besser, wenn misch einer heimbringt…“ Ein ausladender Hickser folgte. Zugegebenermaßen wurde ich an dieser Stelle eine Zeit lang skeptisch. Gastfreundschaft schien mir stets mit einem Tausch verbunden und es war nicht klar, was Balthasar bezwecken mochte. Allerdings wirkte er nicht gerade so, als könnte er jemanden etwas Böses tun und so beschlossen wir schließlich aufzubrechen – auf eine Nacht im schiefen Humpen war keiner von uns scharf.
Langsam marschierten wir durch die Nacht, der Regen unser Begleiter. Groam war mittlerweile auch angetrunken, wenngleich er eigentlich ebenso wie Balthasar darin so geübt war, dass es kaum auffallen sollte. Allerdings zeigte der eine Mond ohne Alkohol seine Wirkung und brachte den Zwerg bei nahezu jedem dritten Schritt aus dem Gleichgewicht.
Schließlich erreichten wir komplett durchnässt den Turm Balthasar. Das viereckige Gebäude ragte etwa fünfzehn Meter in die Höhe und eine Kante maß sicherlich acht Meter. Das breite Eingangsportal wies Türklopfer in Form eines Drachen auf. Als wir anschlugen, dauerte es keine zwei Augenblicke, da öffnete sich bereits ein Flügel und eine kleine, alte Frau stand dahinter.
„Oh je, ihr seid ja vollkommen aufgeweicht. Schnell, schnell, kommt herein!“
„Das ist Fräulein Purana, meine Haushälterin“, erklärte Balthasar während wir unserer nassen Mantel erleichtert und dann in den ersten Stock geführt wurden. Uns erwartete eine lange Tafel in einer großen Halle, die sich über zwei Stockwerke erstreckte. Von oben konnte man über eine Balustrade herunterschauen, allerdings gab es hier Niemanden für den das eine Chance geboten hätte.
Bevor wir uns versahen, hatte Balthasars Bedienstete uns bereits mit einer warmen Decke versorgt, einen süßen Tee aufgestellt und Kekse gereicht. Das alles war mit einem unablässigen Schnattern über den Regen, das allgemein schlechte Wetter in Alba (wohnte zumindest sie nicht schon länger hier?) und die törichten Trinkwanderungen ihres Dienstherrn unterlegt. Dann verabschiedete sie sich, um unsere Zimmer vorzubreiten, während wohlige Wärme in meine Glieder kroch. Maglos hatte sich bereits am Kamin zusammengerollt und während Balthasar begann, etwas von einer Aufgabe zu erzählen, die er für uns geeignet hielt – seine Trunkenheit schien wie weggewischt – sank meine Wachsamkeit langsam zu Boden…wir wurden wir eingelullt, das konnte doch nicht gut enden… und ich dämmerte weg.
Etwas später gingen wir in das Gästezimmer. Balthasar war schließlich auch zu müde gewesen, um jetzt noch etwas zu besprechen und so genossen wir es, als wir in wolkenweiche Betten sanken und ein Schlummer der Gerechten herabsank.
Köstliche Gerüche verschiedenster süßer Backwaren weckten uns. Sie kamen von einem Stockwerk unter uns und zogen durch die Falltür direkt in das Zimmer. Die Ausstatter des Turms hatten offensichtlich damit gerechnet, dass der eine oder andere Gast nachts noch nach einer Kleinigkeit für das leibliche Wohlbefinden suchte. Unsere getrockneten Mäntel lagen sauber zusammengelegt auf einer Truhe in der Ecke des Raumes. Irgendwie war Fräulein Purana hereingeschlichen ohne, dass es einer bemerkt hatte. Sogar Miyako wirkte eigentümlich beeindruckt und wir alle konnten gar nicht anders, als mit frohem Gemüt zu dem reichhaltig gedeckten Frühstückstisch in der großen Halle zu schlendern. Balthasar erwartete uns bereits und prostete freundlich in unsere Richtung, als wir uns gesetzt hatten. War das etwa schon Wein? Aber bevor ich mich weiter wundern konnte, begann unser korpulenter Gastgeber bereits mit einer kleinen Geschichte.
„Meine Freunde, ich sprach gestern bereits von einer kleinen Idee, die ich habe. Aber lasst mich zuerst von mir erzählen. Ich bin ein Schüler des großen Zauberers Schubidupp dem Schönen…ja, ja, schmunzelt nur. Aber er ist ein großer Zauberer Valians! Wobei ich leider von war sprechen muss, denn mein langjähriger Mentor ist nun ihm hohen Alter verschieden. Es bekümmert mich, wenngleich ich sicher bin, dass er ein erfülltes Leben hatte und er zufrieden gehen konnte. Und wie ich nun bereits ansprach, so war ich einer seiner Schüler. Nun ist es so, dass es auch weitere Vertraute gibt, die bei Schubidupp lernten und unser aller Meister beschloss mehr oder weniger uns mit seinem Erbe, denn leider hat er keine Verwandten, die erwähnenswert wären, eine letzte Aufgabe zu geben. Wir sind zu fünft und jeder hat einen eigenen Brief erhalten, der einen Teil des Schlüssels zu dem Turm und damit zu den Hinterlassenschaften Schubidupps beinhaltet. Unser Meister tat das nicht unbedacht; wir sind alle miteinander mehr oder weniger im Streit. Niemand gönnt dem anderen mehr als die Butter auf dem Brot, wie Schubidupp selbst so schön formulierte. Nun ist es die Aufgabe von uns fünf, irgendwie an das Ziel zu kommen und ich sage euch eines, das wird eine Sisyphusarbeit. Mein Angebot an euch ist, dass ich euch eintausend Goldstücke für jeden Teil des Rätsels übergebe, das ihr mir überbringt.“
Einen Moment lang blieben wir still, jeder in seinen eigenen Überlegungen vertieft. Es war eine große Goldmenge, die uns da geboten wurde. Zwar verachtete ich die Sklaverei, die sich die Menschen mit den glänzenden Münzen selbst auferlegten, doch war es ein für mich notwendiges Übel, um größere Ziele in dieser Welt erreichen zu können – einer der vielen Kompromisse, die mir abverlangt wurden. Des Zwergen Augen funkelten bereits und auch die anderen schienen letztendlich nicht abgeneigt, allerdings sprach ich schließlich aus, was uns alle noch hadern ließ.
„Balthasar, was du vorschlägst, klingt verlockend. Doch es trägt den Hauch des Verbrechens mit sich, deine Mitschüler um ihr Erbe zu bringen.“
Der Mann, nun mittlerweile offenbart als Zauberer, verzog kurz das Gesicht, wackelte dann aber mit dem Kopf. „Seht es mehr als Wettbewerb. Schubidupp war sich unserer Konkurrenz immer bewusst gewesen und nun scheint es diese letzte Prüfung zu sein, um herauszufinden, wer denn seinem Erbe am würdigsten ist. Außerdem gibt es viele Möglichkeiten, an die Briefe zu gelangen und weitaus die meisten sind sicherlich nicht am schnöden Diebstahl orientiert – das wäre Nichts, was ich von euch abverlangen möchte, wenn es eurer Ehre zuwider läuft! Und es scheint mir untröstliche Wahrheit, dass eine Zusammenarbeit der Schüler des großen Meisters absolut unmöglich ist, dafür sind unsere Interessen einfach zu verschieden.“
Miyako, Olo, Groam und ich zogen uns kurz zurück. Wir hatten ein großzügiges Zeitfenster, bis wir Feanor in Valian treffen sollten, sodass diese Aufgabe dem großen Ziel nicht entgegenstand. Schließlich einigten wir uns darauf, dass wir so weit gehen würden, wie wir wollten. Sollten wir nur einen Brief schaffen, so war das immerhin eine Verstärkung unserer Börse, die uns notwendig erschien.
„Nun, Balthasar – wir nehmen dein Angebot an“, gab Olo kund und der Zauberer klatschte erfreut in die Hände.
„Dann lasst mich euch von meinen Mitschülern erzählen. Ihre Türme sind allesamt nicht weit entfernt von hier. Der erste und älteste von uns ist Mumpitz „der Milde“. Er ist harmlos, vielleicht etwas zerstreut, aber im Grunde dürfte er zugänglich sein. Denkt das aber bloß nicht von Furunkel! Er ist ein gefährlicher Mann, den ihr nicht unterschätzen dürft. Gormigust ist der Dritte und soweit in Ordnung. Das Gegenteil gilt für seine Schwester Gundel. Sie ist unglaublich garstig und widerwärtig. Wahrscheinlich ist sie sogar das größere Problem. Zuletzt ist da Babajaga. Seid vorsichtig vor ihren Pralinen denn sie verleiten zu gewissen… Amourösitäten. Wenn ihr diese Frau überzeugen könnt, dann besitzt ihr meine Hochachtung, werte Freunde. Zuletzt möchte ich euch diesen Ring hier geben. Er schützt euch vor magischer Beeinflussung. Immerhin bekommt ihr es mit einigen äußerst fähigen Zauberern zu tun, die in Valian lernten.“
„Wer sollte ihn nehmen?“, fragte Miyako in unsere Runde.
„Ich natürlich!“, rief Olo schneller aus, als einer von uns reagieren konnte und hatte ihn dann auch schon in der Hand, den schlichten, silbernen Ring.
„Aber, brauchst du ihn überhaupt?“, fragte ich.
„Wie meinst du das?“
„Deinen Dickschädel meint er“, brummte Groam.
„Ich würde von einer Art… natürlich rein magischem … Vakuum sprechen“, ergänzte ich verschmitzt.
„Pah!“, rief Olo aus und steckte den Ring an.
„Um auf unseren Auftrag zurückzukommen“, mischte sich Miyako augenrollend ein. „Wir sollten wohl zuerst zu Mumpitz, wenn er unser leichtester Gesprächspartner ist. Welchen Weg müssen wir nehmen, Balthasar?“
„Ihr müsst durch die Senke, am Sumpf vorbei. Das ist bei dem Regen einigermaßen verdrießlich, aber sicherlich seid ihr bis heute Abend am Ziel. Seinen Turm ist eigentlich unverfehlbar.“
So erhoben wir uns und begaben uns, natürlich von der prompt erschienen Fräulein Purana geleitet, zur Tür. An der Schwelle fiel mir allerdings noch eine Frage ein:
„Balthasar?“
„Ja?“
„Du sagtest, dass ihr in Valian ausgebildet wurdet und eigentlich nicht hier wohnt. Warum habt ihr alle fünf dann einen Turm hier stehen?“
„Oh? Ach, das. Wir können unsere Türme versetzen.“
Der Marsch dauerte den ganzen Tag, wobei uns anhaltender Regen von oben und sumpfiger Boden von unten vollständig durchweichten. Selbst Maglos ließ die Ohren hängen, bis wir endlich am frühen Abend den Turm fanden, den Balthasar gemeint haben musste: es handelte sich um eine nahezu perfekte Kopie seines eigenen. Lediglich die Eingangspforte war anders beschaffen. Anstatt drachenförmiger Klopfer fand man hier einen Klingelzug vor und außerdem war in den rechten Torflügel noch einmal eine deutlich kleinere Tür eingelassen, gerade einmal einen halben Meter hoch. Olo zog an der Klingel und wenig später öffnete sich tatsächlich der kleine Eingang und eine winzige, menschliche Gestalt trat hervor: ein Wichtel! Vielleicht so groß wie mein Unterarm stand er da, vollständig in eine glänzende Plattenrüstung gehüllt, das Visier hochgeklappt und den fordernden Blick zu uns hinaufgerichtet. An seinem Gürtel hing das, was er als Schwert, Groam als Zahnstocher bezeichnen würde. Und dabei hätte der Zwerg nicht einmal Unrecht.
„Was wünscht Ihr am Hause des ehrenwerten Meisters Mumpitz dem Milden?“, schnatterte der kleine Mann.
„Seid gegrüßt, ehrenwerter Ritter des großen Meisters Mumpitz. Wir sind Reisende und wünschen mit deinem Herrn zu sprechen“, erklärte ich und machte eine tiefe Verbeugung vor dem Kobold.
Der Krieger wackelte mit dem Kopf, trat wieder hinter sein Türchen und schien alle möglichen Hebel in Bewegung zu setzen. Es ratterte und knatterte und schließlich schwangen die großen Pforten auf. Dabei offenbarten sie auf der Innenseite komplizierte Mechanismen, die es scheinbar dem kleinen Wichtel ermöglichten, sie zu öffnen.
Das Innere des Turms wirkte nicht minder abenteuerlich und wirkte mit einem deutlich anderen Stempel versehen als jener Balthasars. Überall waren kleine Gerätschaften wie Kräne, Seilwinden und schwenkbare Treppen. Und dutzende Vögel flogen umher, meist Tauben und auf einem dieser Tiere saß ein Wichtel, der auf uns zuflog, einmal schwungvoll umkreiste und dann die Treppe rechterhand hinaufsauste. Staunend liefen wir hinterher und stellten fest, dass es hier nur von Wichteln wimmelte, die scheinbar alle die Hände voll zu tun hatten mit … irgendwas. Sie tüftelten an Miniaturmachinen, wuselten hin und her, fegten den Boden, trugen dies, trugen jenes, flogen immer mal wieder mit einer Taube abenteuerliche Kreise. Es war schwindelerregend welche etwas sinnfreie Beschäftigung hier betrieben wurde. Entweder steckte dahinter ein großer Geist mit unergründlichem Plan oder höchste Verwirrung.
Den Zauberer Mumpitz fanden wir in seiner Version der großen Halle, die hier allerdings primär als Bibliothek diente. Sämtliche Wände waren bis zur Decke hin (und das waren wohlgemerkt zwei Stockwerke) voll mit Regalen, angefüllt mit Büchern. An einem Lesepodest stand ein großer, schlanker Mann in weißer Robe und las sorgfältig in einem gewaltigen Folianten. Das Kopfhaar war bereits ausgedünnt und von hohem Alter zeugender, silberweißer Farbe. Das faltige, aber ruhige Gesicht wurde von einem seltsamen Drahtgestell geziert, welches zwei geschliffene Glaslinsen vor seinen Augen hielt. Dadurch wirkten diese deutlich größer als gewöhnlich, wenngleich klar war, dass dies nicht ihr eigentlicher Zweck sein konnte.
Der Wichtel landete mit seiner Taube auf dem Podest und flüsterte seinem Meister etwas zu, der sich daraufhin an uns wandte.
„Ah, seid gegrüßt. Ich bin Mumpitz der Milde. Wen darf ich willkommen heißen?“
„Das ist der Händler Olo Platschfuß und seine Frau Miyako. Groam Bärentod ist ihr Leibwächter, während ich, Ilfarin, ihr Fährtensucher bin. Maglos ist mein Spürhund und Gero ist ein Hausdrache in unserer Begleitung.“
„Oh, interessant! Wollt ihr Schutzamulette erstehen?“
„Schutzamulette? Klingt interessant!“, meinte Olo, während ich ihn fragend anblickte, aber mich nicht einmischte.
Mumpitz wandte sich wieder seinem Buch zu und blätterte eine Seite um. Uns schien er plötzlich vergessen zu haben.
„Äh, Meister Mumpitz? Ihr wolltet doch gerade noch Amulette verkaufen“, hakte unser Halbling nach.
„Hm? Hach, Gäste. Wie schön. Wer seid ihr?“, richtete sich der offensichtlich verwirrte Mann wieder an uns.
„Olo Platschfuß, Meisterhändler – Miyako, seine Frau – Groam, der Leibwächter – ich, Ilfarin, Fährtensucher – Maglos, Spürhund und zu guter Letzt: Gero, gepäcktragender Hausdrache“, erklärte ich ein zweites Mal.
„Sehr gut. Also, Amulette. Welche Amulette möchtet ihr denn haben, Meisterhändler Plattenfuß?“, kam Mumpitz auf den Handel zu sprechen.
„Platschfuß… welche Amulette habt ihr denn da?“
„Oh, das sind ganz viele. Die meisten dienen dem Schutz vor Blitzen, Feuer, Eis, Giften, Gedankenangriffen, verschiedensten Dämonen, Elementaren, Untoten, das eine sogar vor einem Sturz wenn ich mich recht erinnere…nein, vielleicht doch nicht. War es gegen das Ertrinken? Nein…auch nicht. Vielleicht solltet ihr das nicht kaufen.“
„Und sonst?“
„Hm?“
„Was habt Ihr sonst für Amulette?“
„Wie direkt! Wer seid Ihr noch gleich?“
„Olo, Händler. Miyako, Ehefrau. Groam, Wächter. Ilfarin, Reiseführer. Maglos, Hund und Gero, Lastesel“, erklärte ich augenrollend.
„Interessant. Also, ihr fragt nach meinen wunderbaren Amuletten. Also, da sind einige, die können Zauber verschießen!“
„Welche?“, begann wieder unser Halbling.
„Nun, das eine arbeitet mit Blitzen. Oder einer Feuerkugel. Oh, wenn die vor euch explodiert wäre das natürlich schlecht. Hm, vielleicht ein anderes…“
„Blitze schleudern klingt doch ganz gut…“, meinte Olo.
„Eine gute Wahl! Falls es nicht doch eine Feuerkugel ist.“
„Vielleicht solltet Ihr unserem Elfen einmal ein solches Amulett übergeben, er kennt sich damit doch aus“, erwiderte der Halbling im Brustton der Überzeugung. Ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu. Als Druide war ich mit den natürlichen Wegen des Lebens und der damit verbundenen Zauberei vertraut. Es war die tiefe Magie, die dem Atmen und Vergehen eines jeden Lebewesens inne wohnte, welches die Kraft ausmachte, die ich nutzen konnte. Die arkane Wissenschaft, welche die Zauberer als Thaumaturgie bezeichneten war mir so fern, wie dem Zwerg das Wasser. Doch das änderte Nichts daran, dass ich Sekunden später von einem Wichtel ein seltsames Artefakt in die Hand gedrückt bekam, mit dem ich Nichts anfangen konnte. Es war rund und hatte eine Kette, die es ermöglichte, es um den Hals zu legen. Die handwerkliche Arbeit war durchschnittlich, die Runen mir unbekannt. Der Vorsicht halber behielt ich das Amulett einfach einige Minuten in der Hand um schließlich mit einem bedächtigen Nicken zu sagen: „Jaja, eine äußerst schöne Arbeit, Mumpitz.“
Der Zauberer nickte begeistert und sagte: „Das macht dann siebenhundert Goldstücke…“
„Ein stattlicher Preis, Mumpitz“, warf Olo ein.
„Das ist kein Mumpitz, ich liefere nur beste Arbeit.“
„Ich meinte euch!“
„Was ich? Ich bin doch kein Witz!“
„Nein, Mumpitz.“
„Ja, wahrlich!“
„NEIN! Ihr seid Mumpitz.“
„Ach so, ja. Das stimmt. Ich bin Mumpitz der Milde. Und ihr wart?“
„Also, Meister Mumpitz. Wir sind hier, um über den Brief zu sprechen, den ihr bekommen habt“, drängte ich mich dazwischen.
„Welcher Brief?“
„Den von eurem Meister Schubidupp!“
„Ich habe keinen Brief erhalten“, wehrte der Zauberer ab und ich meinte einen Moment lang einen Funken Ernst in seinen Augen zu sehen. Oder lag das an diesem Drahtgestell?
„Natürlich habt ihr! Alle haben einen Brief bekommen“, warf ihm Olo vor. „Balthasar, Babajaga, Furunkel und dieser andere… Garigast? Der mit der Schwester.“
„Woher wisst ihr solche Sachen?“, erwiderte Mumpitz mit der Stimme der Unschuld.
„Wir waren bei… halt! Habt Ihr jetzt einen Brief bekommen oder nicht?“
„Welcher Brief?“
„Der von Schubidupp, Mann!“
„Ach, mein alter Meister. Ein ehrenwerter Zauberer.“
„Gut, schön. Wisst Ihr was?“, murmelte Olo. „Wir sehen uns jetzt einfach im Turm um. Und wenn wir einen Brief finden, nehmen wir den mit … und gehen.“
„Bitte was?!“, begehrte Mumpitz auf, nur um sich gleich wieder um sein Buch zu kümmern.
Mit etwas schummrigen Kopf zogen wir uns aus der großen Halle zurück.
„Die haben doch bestimmt so etwas wie eine Poststelle hier“, murmelte Olo und begann sogleich zielstrebig loszulaufen.
„Eine Poststelle? Das wäre doch…“, ich stoppte, bevor ich absurd aussprechen konnte. Mumpitz war eigen.
Es gestaltete sich als herausfordernd, einen Wichtel so lange anzuhalten, dass er auch eine Frage beantworten konnte. Doch mit energischem Auftreten und schließlich auch etwas sanfter Gewalt konnten wir einen der Bediensteten festhalten. Aber es gab keine Poststelle. Und wir hätten auch überhaupt Nichts mit den Briefen des Hohen Herrn zu schaffen. Eine Unverschämtheit. Eine Griesgrämigkeit. Eine Naseweisheit. Wir ließen den Wichtel gehen, ehe er uns weitere Vorhaltungen machen konnte. Aber zum Schluss verriet er doch, dass ein Brief gekommen war. Und Meister Mumpitz hatte ihn erhalten!
Entschlossen marschierten wir wieder in die große Halle, wo der alte Zauberer neugierig von seinem Buch aufschaute.
„Meine freundlichsten Grüße, wen darf ich begrüßen?“
„Meister Mumpitz!“, erwiderte ich erbost. „Ich fühle mich zugegebenermaßen ziemlich verkniesknaddelt.“
„Oh, nun, das war nicht meine Absicht. Nennt mir doch eure Namen, dann können wir uns der Unannehmlichkeiten… äh, annehmen.“
„Jaja, dies ist der legendäre Meisterhändler Olo Platschfuß, der nach KanThaiPan und zurück reiste um von dort die junge Prinzessin Miyako, Erbin des Kaiserthrons, als seine Frau mitzubringen. Groam Bärentod, Schlächter von Riesen, Ringer von Drachen und Reiter von Ziegen ist ihr gefürchteter Leibwächter. Maglos mein prächtiger Hund dient mir als treuer Freund und Begleiter mit einer Nase, die so fein ist, dass er jetzt riechen würde, wenn sich draußen ein Wind regte! Gero ist unser stolzer Lastesel, dessen Intelligenz sich in seinen Schuppen spiegelt. Und ich bin Ilfarin Tinuhên, Kind der Dämmerung, Wanderer von Vesternesse und Reiseführer.“
„Ah…ja“, meinte Mumpitz ob des Ausbruchs etwas erstaunt. „Nun, wenn es so hohen Besuch gibt…wollt ihr dann nicht am besten hier übernachten?“
„Mumpitz, wir wissen, dass Ihr den Brief von Schubidupp dem Schönen erhalten habt“, entgegnete Olo. „Nun könnt Ihr euch nicht mehr herausreden?“
„Schubi-wer?“
„Euer Meister! Stellt euch nicht so an!“
„Nun, ja, klar. Also. Schubidupp. Ein Brief. Wie kann ich da weiterhelfen?“
„Mumpitz!“, rief ich aus.
„Was? Wo?“
„So sprecht doch endlich!“
„Ja, was denn?“
„Wo ist der Brief?“
„Welcher…“
„Mumpitz!“
„Was?“
Es schienen Äonen zu vergehen, während wir auf den alten Mann einredeten, der, so war ich überzeugt, seine Verwirrung vorspielte. Allerdings schien er Zauberbanne in dieses Theater einzuweben und langsam unseren Verstand zu umfassen. Eine wiegende Umarmung, hier und da ein Schütteln und das tröpfelnde Lösen jedes Knotens, der das Bewusstsein ausmachte, bis Nichts mehr blieb außer einem einheitlichen Brei, der sanft wie das Meer dahinwogte. Welle für Welle, die einen hinter den Horizont des Wissens trug, in die fernen Lande des ewigen Schlafs, wo die Schafe mähten und die Kühe muhten und das Gold vom Himmel fiel als wäre es Regen. Wo das Brot blau wie Laub und die Sonne grün wie die Tauben war. Da wo…
Ich blinzelte mehrfach, bis ich wieder das Gefühl hatte, in der großen Halle von Mumpitz‘ Turm zu stehen. Mindestens ebenso verwirrt schien er selbst dreinzublicken und auch die anderen wirkten etwas abwesend.
„Gehen wir doch alle erstmal…schlafen“, murmelte der alte Zauberer und schritt etwas zerstreut erst zur Treppe nach unten gen Ausgang, besann sich dann eines Besseren und kehrte um. Und auch wir suchten unsere Schlafgemächer – die Lage war genau dort, wo wir bei Balthasar genächtigt hatten, sodass wir sie problemlos fanden, wenngleich Olo zunächst noch einmal in die Küche hinabstieg. Um erst wieder zu kommen, als bereits eine Stunde oder sogar mehr vergangen sein mochte.
Die Nacht war bestimmt von seltsamen Träumen, die allesamt keinen Sinn ergaben oder vielmehr jenen ergriffen, der normalerweise darin verborgen lag. Dann warfen sie ihn empor, verwandelten ihn in bunte Bälle, jonglierten ein wenig, nur um sie dann in einem gewaltigen Feuer zu blauen Tauben zu verwandeln.
Mit einigen Kopfschmerzen als hätte ich dem Alkohol zu sehr zugesagt, stand ich am nächsten Morgen mit meinen Gefährten auf und wir begaben uns wieder in die große Halle zu Mumpitz. Der alte Zauberer saß mit seinem Drahtgestell auf der Nase bereits beim Frühstück, was er frevelhafterweise inmitten seiner Bibliothek abhielt. Für uns war allerdings nicht gedeckt und als er aufsah, wirkte er ebenso verdattert, wie am Vorabend.
„Ach, ich habe ja Gäste! Wie ungeschickt. Meine Wichtel, schnell, holt Ihnen doch auch Teller und etwas zu Essen. Meine Güte, wie peinlich. Ich bin Mumpitz der Milde und wen darf ich an diesem wunderschönen, wenn auch verregnetem Morgen begrüßen?“
Ich holte einmal tief Luft und dann ging es wieder los: „Mein Name ist Ilfarin Tinuhên, Waldläufer, Druide und Fremdenführer sowie Reiseleiter. Ich wurde angeheuert von Olo Platschfuß, dem Meisterhändler des Halfdals, welcher mit der liebreizenden Miyako liiert ist, während Groam Bärentod, Wolfstod und Träger von Pelzen ihr Leibwächter ist. Maglos ist mein Spürhund während Gero unser allzeit geliebter Esel…äh Hausdrache ist.“
„Schön!“, erwiderte Mumpitz und klatschte in die Hände. „Und was hatte euch noch gleich zu mir geführt? Ihr habt ja scheinbar hier übernachtet, aber vergebt meine Vergesslichkeit. Das Alter…“
„Kein Problem, ehrenwerter Gastgeber, wir konnten den Aufenthalt in vollen Zügen genießen“, erwiderte Olo und für ihn schien das sogar zu stimmen. War es der Wahnsinn, der ihn sich heimlich fühlen ließ oder das Essen, das er in unbegrenztem Maße zu sich nehmen konnte? Doch ehe ich weiter abschweifen konnte, nahm der Halbling den Faden wieder auf: „Wir sind neben unseren zahlreichen und weitreichenden anderen Tätigkeiten in Bereichen der Kämpfe und des Handels auch noch allesamt Angehörige der Gilde der Brieffreunde.“
„Gilde der Brieffreunde? Das klingt äußerst spannend, Herr Spatenfuß.“
„Platschfuß… nun, ja, das ist es auch! Wir reisen durch die Lande, wenn wir nicht gerade selbst in einem ebenso schönem Turm sind – wobei ich nicht sagen will, dass wir einen schöneren Turm haben, nur, dass wir auch einen schönen Turm haben, aber euer Turm ist natürlich der schönste von allen – dann reisen wir umher, um sicher zu gehen, dass all jene, die dieser Leidenschaft frönen, in absoluter Sicherheit und Glückseligkeit skriptieren können. Denn was könnte es schlimmer geben, als, dass eine gar wunderbar verfertigtes Pergament, ach, was sage ich, ein Kunstwerk der Schriftung, eine Leistung der Imagination, des händischen Geschicks und der ausgefallenen Sprachdiktion ist, nicht bei ihrem Ziel ankommt? Natürlich Nichts, den argen Tode ausgenommen, wobei auch dieser einzutreten vermag, wenn ein Brief zu spät ankommt. Ich hört gar einst eine Geschichte, wo ein verspäteter Rabe einen Krieg und damit das Ende gleich beider Königreiche auslöste. Bittere Geschichten. Also: Briefe dürfen nicht verloren gehen. Und dafür sind wir da. Beauftragt, zumindest dem Sinne des Geistes nach, von Schubidupp dem Schönen, verschiedener Altmeister der arkanen Zunft aus Valian, Herr der Türme und Lehrmeister von fünf gar eifrig-eifernden Schülern, wobei ich die eine Schülerin nicht ausnehmen möchte in dieser so überaus männlich geprägten Aussage.“
Zugegebenermaßen war ich bereits nach der Hälfte ausgestiegen, allerdings schien Mumpitz hellauf begeistert von der Zurschaustellung von Verwirrtheit.
„Ja, ich habe einen Brief von Schubidupp erhalten. Mein gütiger Meister, der uns selbst noch im Tod etwas Gutes tun möchte. Seid also versichert, es besteht kein Grund zur Furcht, dass… Königreiche untergehen oder dergleichen.“
„Könnten wir ihn kurz sehen, damit wir sicher sind, dass die Vollständigkeit gewahrt wurde oder gar, um zu vermeiden, dass es eine Fälschung ist? Denn wisst Ihr…“
„Nein, ich fürchte, das ist nicht möglich“, schnitt Mumpitz überraschend eindringlich Olo das Wort ab. Er wirkte nicht unfreundlich, aber bestimmt. „Es handelt sich um empfindliche Informationen, die einige meiner Mitschüler nur zu gern in die Finger bekommen würden. Ich bin mir sicher, dass sie bereits alle Hebel in Bewegung setzen, um an die Briefe der anderen zu kommen. Eine müßige Beschäftigung, denn so lange wir alle darauf verharren, dass einer alleine das gesamte Erbe erbeutet, wird es kein Erbe geben. Dafür ragt keiner weit genug über die anderen hinaus.“
„Und was würdet Ihr vorschlagen?“, fragte Olo, mittlerweile waren wir alle gespannt. Mumpitz schien seine Tarnung endgültig aufgegeben zu haben und wir konnten Klartext sprechen.
„Verhandlungen. Wir sprechen miteinander und gehen wie vernünftige und erwachsene Menschen gemeinsam zum Turm unseres Altmeisters. Dabei könnte ich ihnen auch noch ein paar Schutzamulette verkaufen. Hach ja, ein wenig Blitze hier, ein paar Feuerkugeln da. Vielleicht auch umgekehrt. Zum Glück habe ich auch entsprechende Schutzamulette. Braucht ihr auch welche?“
Während der Wahnsinn weiter aus Mumpitz‘ Mund troff, zogen wir uns rasch zurück – Olo zogen wir mit, ehe er erneut mit Verhandlungen beginnen konnte.
„Mumpitz wäre also prinzipiell nicht abgeneigt, wenn es ein organisiertes Miteinander gäbe“, begann Miyako. „Wie wäre es, wenn wir vorschlügen, dass alle fünf Briefe an uns gehen, sodass wir die Verwaltung des Erbes übernehmen können. Das wäre ein reibungsfreier Ablauf und jeder der Schüler würde den Teil bekommen, den er begehrte.“
„Das klingt gut! Ich meine sogar Olo hat im Rahmen wirtschaftlicher Bereiche einmal von etwas Ähnlichem gesprochen“, sinnierte ich.
„Ja! Wir gründen einen Treuhandfonds“, rief der Halbling aus. „Alle Briefe zu uns – die Investitionen – wir verwalten sie und sorgen für eine gleichmäßige Ausschüttung der Gewinne. Und als Risikoabsicherung können wir immer noch die Briefe, die wir haben, an Balthasar verkaufen und gehen.“
„Nein“, widersprach ich entschlossen. „Wenn wir das machen, dann ziehen wir es durch. Wir werden nicht wortbrüchig.“
„Schon gut, Ilfarin. Sodann, lasst uns auf Investorensuche gehen!“
Mit unserem neuen Meisterplan traten wir an Mumpitz heran, der sich mittlerweile wieder an sein Lesepult begeben hatte. „Nanu? Gäste? Normalerweise benachrichtigen meine Wichtel mich doch. Wärt ihr so freundlich, euch vorzustellen?“
Die Bühne: große Halle, die Wände voll mit Bücherregalen. In der Mitte ein Tisch, Essensreste werden gerade von kleinen Wichteln beseitigt. Alter Mann in weißer Robe an Lesepult, blickt durch Brille zu den Gästen: ein Elf, ein Mensch, ein Zwerg, ein Halbling, ein Hund, ein Hausdrache. Auftritt des Elfen.
(Elf – hüpfende Schritte über die Bühne):
„Verehrtester Meister Mumpitz der Milde, Herr des Turms und glanzvoller Oberwichtel. Es ist mir eine große Freude, Euch den Meisterhändler des Halfdals vorzustellen: Maglos den Nasvollen mit stets der richtigen Nase für das Geschäft seiner selbst und anderer. Danebst findet Ihr seine bärtig-bezaubernde Braut Groam Bärentod. Olo Platschfuß indes ist der Fährtensucher in dieser Gruppe. Obwohl seine Augen klein, die Ohren rund und der Bauch gar voll ist, so weiß er doch stets, wo der Morgenstern aufgeht und vermag uns zu führen, als wenn es keinen Abend gäbe. All diese Strapazen wären natürlich nicht möglich, wenn da nicht Miyako wäre, unsere gutmütige Eselsdame. Ein Maultier von fabulöser Gestalt! Ach, ich vergaß beinah Gero, unseren Leibwächter für die Fälle größer Not. Ich selbst bin natürlich Ilfarin – der Spürhund.“
Wahnsinn schoss meandernd durch meinen Verstand während er sich immer weiter verästelte und alles verschlang, was in seinem Weg war. Ein temporärer Zustand, gebunden an die eigentümliche Wesensart des Zauberers Mumpitz, die selbst schon wie ein Bannfluch zu wirken schien.
„Hocherfreut…Herr Hund. Und Hündchen, der Ihr Elf seid. Ich bin zugegebenermaßen etwas verwirrt“, erwiderte Mumpitz nach einer Weile.
„Keine Sorge, das sind wir alle. Das Alter… ich bin auch schon hundertzwanzig, das sind in Menschenjahren über tausend! Aber wir sind wegen ganz anderer, wenn auch nicht weniger komplizierter Angelegenheiten hier, als über das Verhältnis hündischer und menschlicher Zeitalter zu sinnieren. Wir schlagen Euch eine Beteiligung an einem Treuhandfonds vor. Wir sechs sind die Gesandten des Zauberers Balthasar, dessen Name Euch vertraut sein dürfte. Einer entsprechenden Mission dürfte er dem tieferen Sinne nach nicht abgeneigt sein, daher schlagen wir vor, dass Ihr den Anfang dieser Allianz macht, um einen Grundstein des Vertrauens zu legen, auf dass die Erben nicht erblos verbleiben mögen.“
„Nun…das klingt etwas verworren, aber genau genommen schon nach dem, was ich befürworten kann. Ja, ich bin einverstanden. Aber wärt ihr sechs auch bereit, das Erbe zu holen, denn es gilt selbst mit allen Erbteilen zunächst ein Rätsel zu lösen!“
„Das schaffen wir“, erklärte Olo mit dem Brustton der Überzeugung, wie ihn nur ein Teppichhändler kannte, der die Flickenreste seiner Großmutter verkaufte.
„Sehr schön!“, sprach Mumpitz. Und sein Blick begann sich in verheerender Art langsam wieder auf das Lesepult vor ihm zu richten.
„Haaalt! Mumpitz, wir brauchen den Brief. Damit wir einen Grundstein haben.“
„Ach so, ja. Aber ich weiß nicht wo er liegt.“
„Was?!“, riefen wir beinah alle gemeinsam aus.
„Nur keine Sorge, ich kenne da einen Zauberspruch: Dinge wiederfinden!“
„Dann wirkt ihn“, schloss ich, nachdem Mumpitz wieder einige Momente inne hielt, um mehrfach nichtssagend die Stirn zu runzeln.
„Aber, aber. Ich kann nur einen persönlichen Gegenstand wiederfinden. Als Zauberer müsst Ihr das doch wissen“, erwiderte Mumpitz an mich gewandt.
„Da habt Ihr, glaube ich, etwas falsch verstanden. Ich bin der Esel“, erklärte ich nachdrücklich. Und glaubte es fast selbst.
„Ist denn ein Brief nicht etwas Persönliches?“, hakte Miyako nach, den Blick auf das Ziel fixiert.
„Für den Schreiber, für mich auch… aber leider nur unzureichend.“
„Habt Ihr denn nicht einen persönlichen Gegenstand beigegelt? Nichts für ungut, aber Ihr vergesst doch öfters Sachen, oder nicht?“, blieb die KanThai dran.
„Ach so…stimmt! Mein alter Ring“, Mumpitz‘ Gesicht hellte sich auf. Dann wedelte er kurz mit den Händen und sein Blick klarte auf. „Folgt mir!“
Entschlossen schritt der alte Zauberer los und wir folgten hastig, peinlich genau darauf bedacht, nicht über einen Wichtel zu stolpern. Aus irgendeinem Grund liefen wir allerdings in die Küche und das Gefühl keimte in mir auf, dass die scheinbare Klarheit des Mannes bereits wieder vergangen war. Entschlossen griff dieser jedoch in einen Seitenschrank neben dem Herd und holte eine Schatulle hervor. „Genau, hier ist der Brief“, verkündete er und drückte Miyako das kleine Kästchen in die Hand. „Für die Kaiserin von KanThaiPan!“ Dann trottete er schon wieder davon.
Unsere Dame öffnete indes vorsichtig die Klappe der Schatulle. Und wenn Enttäuschung ein Gesicht kannte, Verzweiflung einen Blick, Resignation eine Mimik und Hilflosigkeit angesichts verlorener Geisteskräfte ein Stirnrunzeln – so vereinigte sich all dies in eine Maske des Grams, die über Miyakos sonst so ausdrucksloses Gesicht huschte. In der Schatulle war Pfeffer.
Nach einem stillen Moment in dem wir uns alle kurz von unserer geistigen Gesundheit verabschiedeten, da drohte, noch länger in diesem Turm zu verweilen, um an den Brief zu kommen, wühlte Miyako etwas in dem Pfeffer herum und förderte einen kleinen Lederbeutel zu Tage! Alle Resignation war vergessen und die KanThai stellte die Schatulle rasch weg und enthüllte, was in dem Fund verborgen lag: zunächst ein hässlicher, alter Ring aber auch ein Brief! Und als Olo begann, aus ihm vorzulesen, war klar, dass es der Brief des Meisters Schubidupp an Mumpitz den Milden war. Damit hatten wir den ersten Brief der fünf Schüler an uns bringen können.
Im Kern kamen aus dem Schriftstück drei Dinge hervor. Zunächst schien es in Mumpitz‘ Interesse, die Bibliothek seines Meisters zu erben. Des Weiteren lieferte dieser noch einen Hinweis auf seinen verschollenen Turm: „Wo versteckt man einen zwölf Meter hohen Turm? Natürlich hinter drei anderen Türmen!“
Zuletzt verriet ebenjener Brief, dass es ein Lösungswort gebe und, dass der Anteil Mumpitz‘ daran „SI“ sei.
Damit hatten wir unser Ziel in diesem Turm erreicht und reisten ab, um zu Balthasar zurückzukehren. Es galt zunächst, ihn von unseren leicht veränderten Plänen zu informieren, zumindest insofern, dass er uns seine unterstützende Stimme in dem komplexen Beziehungsgeflecht der fünf Schüler gewährte. Außerdem wusste er, wo sich die weiteren Türme seiner Miterben befanden. Und vor allem wollten wir weg von diesem Turm, welcher solches Ungemach über unseren und ganz persönlich über meinen Verstand gebracht hatte. Das war ein Erlebnis, welches man nicht unbedingt jedem an den Hals wünschte, zumindest, wenn dessen klarer Verstand noch einen Nutzen erbringen sollte.
Am Abend erreichten wir wieder Balthasars Turm und konnten dort eine weitere Nacht verbringen. Was unseren Erfolg in Hinsicht auf Mumpitz anging, so blieben wir noch etwas verschlossen, in der Hoffnung, bald einen weiteren Erfolg vorweisen zu können, um auch unseren ursprünglichen Auftraggeber auf diese Fährte zu ziehen.
Am Morgen machten wir uns dann auf den Weg Richtung Süden und fanden nach einem weiteren Tagesmarsch durch den Regen eine weitere Kopie dieser Türme. Wieder war die Gestaltung der Eingangspforte herausstechend: auf dem Torflügel war eine nackte Frau eingraviert worden, die ihre Kleidung lasziv herunterhängen ließ. Ein Zipfel davon war der Klopfer. Etwas unwohl pochten wir an die Tür und nur wenige Momente später wurde geöffnet.
Vor uns stand ein Beweis menschlicher Vergänglichkeit. Die Frau war gewiss einst schön gewesen, doch mittlerweile war sie leicht aufgedunsen und wirkte unförmig, was durch leider sehr freizügige Kleidung noch verstärkt wurde. Sie mochte erst fünfzig sein, aber sie hatte sich sehr schlecht gehalten. Die Haare waren rot eingefärbt und das wohl mehrfach, denn sie waren ziemlich mitgenommen. Sie versuchte – wenn auch auf die falsche Weise – die Erinnerung an vergangene Schönheit durch ein Übermaß an Schminke aufrecht zu erhalten, was ihr Gesicht in eine unorganisierte Masse verwandelte. Über all das hinaus trug sie noch dutzende wenn nicht sogar einhundert goldene Ringe, Spangen, Haarnadeln, Arm- und Halsreife sowie Ohrnadeln.
„Was wollt Ihr?“
„Wir wünsche mit Babajaga zu sprechen…“, begann ich und die Frau winkte uns herein.
„Meine Tochter kommt gleich“, gackerte sie und verschwand nach oben.
Wir konnten bereits eintreten und wurden von einem Ausmaß an erotischen Darstellungen überflutet, dass es einem schwindelig werden konnte. Jeder Zentimeter der Wand war in verschiedene Porträts der Natürlichkeit eingebunden. Außerdem standen dutzende kleinerer Statuen mit ausgeprägten Körpermerkmalen herum, manchmal bereits ineinander verschlungen. Und als wäre das nicht schon genug, so waren selbst die einfachsten Gebrauchsgegenstände an den Stil des Turmes angepasst: so stand auf einem der Tische – versehen mit Schnitzereien lasziver Frauengestalten – eine Schale voller Pralinen und nun ja, diese Schale war… Ich wandte etwas beschämt den Blick ab.
Wir setzten uns auf die beistehenden Sessel, wobei ich jedoch darauf achtete, meine Hände nicht auf die Lehnen zu legen, welche ebenfalls in sehr natürlichen Formen gestaltet waren.
Dann kam eine junge Frau herunter. Sie wirkte wie das Ebenbild der Alten, nur eben ohne die fatale zweite Lebenshälfte. Die Haut war glatt, das Haar war weich und der Hüftschwung irritierend, zumindest für den, der sich leicht ablenken ließ. Allerdings war uns die letzten Tage zu viel passiert, als dass ich glauben wollte, dass es hier tatsächlich eine „Tochter“ gab. Es musste eine magische Illusion sein, welche die Hexe nun nutzte, um einen von uns zu verführen. Ich konzentrierte mich, um sie vor meinem inneren Auge zu zerlegen, doch es wollte mir nicht gelingen. Entweder die Frau sprach die Wahrheit oder es handelte sich um eine Zauberei, die meine Widerstandskräfte überstieg – ein für mich nicht unwahrscheinliches Szenario.
Beunruhigt blickte ich zu den anderen, die ebenfalls bereits etwas skeptisch dreinschauten. Mit einer Ausnahme: Olo hatte bereits die Hälfte der Pralinen aus der fragwürdigen Schale herausgenommen und als die junge Dame, die sich nun tatsächlich als Babajaga vorstellte, Alkohol anbot, auch diesen verschlang, als würde es kein Morgen mehr geben.
Der Halbling begann schon bald auf die Frau einzureden, aber es hatte Nichts mit unserem Ziel zu tun. Er war schon zur Gänze in seiner Libido verloren, wie mir schien. Schließlich holte die junge Frau weitere Pralinen, da Olo schon alle aufgegessen hatte.
„Ich weiß nicht, ob ich hier unbedingt die Nacht verbringen will“, merkte ich an.
„Ich liebe sie! Sie ist das Schönste, was mir jemals begegnet ist. Ich kann nicht weg, will nicht weg. Oh, ihr Götter, schenkt mir eine Nacht und dann ein Leben mit dieser Lichtgestalt. Ich werde Opfer der Fruchtbarkeit darbringen und euch einen Schrein errichten. Möge das Glanzlicht meines Lebens nicht vergehen…“ Olo war verloren. Gänzlich. Aber vielleicht nur temporär.
Doch eine halbe Stunde sinnlosen Geschwätzes später, Babajaga war nur noch das Ziel von den Amouröisitäten des Halblings, verzogen sich die zwei tatsächlich nach oben. Kopfschüttelnd blickte ich zu Miyako, die nur mit den Schultern zuckte. Für ihre Verhältnisse eine kräftige Geste der Ungläubigkeit. „Dann können wir uns auch gleich hier umsehen, wenn Olo ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht.“
„Dann hofft mal, dass der Bursche auch wirklich lange durchhält. Sah ja aus, als wäre er schon bei der ersten Treppenstufe fertig gewesen“, brummte Groam, der zusammen mit Maglos und Gero den Weg in das Gästezimmer wählte. Für ihre leisen Schritte waren Zwerge schließlich nicht bekannt.
Mit diesem eigentümlichen Wunsch im Hinterkopf, begannen wir uns im Turm von Babajaga umzusehen. Wir durchstreiften die Küche, die große Halle und stellten vor allem fest, dass abseits von obszönen Skulpturen, Porträts, Bildnissen sowie Fresken erstaunlich wenig zu finden war. Die Küche war karg ausgestattet, die herumstehenden Schränke meist leer und insgesamt hatte ich den Eindruck, dass es hier nicht viel gab, was einer Erwähnung wert war.
Als wir am dritten Stock vorbeischlichen drangen seltsame Geräusch an unser Ohr. Es gab hier zwei größere Zimmer, zweifelsohne die Schlafgemächer Babajagas… es war etwas verstörend, was wir da vernahmen, denn es klang zuweilen mehr wie ein hochstimmiges Wehklagen (ob es die Hexe oder Olo selbst war, konnte ich kaum urteilen). Miyako und ich eilten uns, weiter zu kommen. Das eine oder andere Schloss fiel der KanThai dabei zum Opfer, wobei ihre Geschwindigkeit dabei mich gleichermaßen in Erstaunen wie Entsetzen brachte. Irgendwann würde es Zeit werden, dass sie etwas aus ihrer Vergangenheit erzählte, denn das umfassende Fertigkeitenreservoir aus dem sie schöpfte, gab mir doch einiges zu Denken. Aber bei dieser eher verschlossenen Person wäre es wohl geschickter abzuwarten, bis der erste Impuls kam.
Ganz oben im Turm fanden wir eine seltsame Tür am Ende der Wendeltreppe. Sie war mehrfach durch massive Schlösser gesichert, die für sich genommen schon hochwertiger waren als alle anderen in diesem Turm. Doch das war noch weniger unsere Sorge: auf Kopfhöhe prangte ein unruhig umherblickendes Auge aus dem Holz. Rote Adern erstreckten sich von der dunklen Pupille und verliehen dem Blicken etwas Rastloses und Unruhiges. Vorsichtig entfernten wir uns, um keine weitere Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, falls dies etwas war, mit dem Babajaga ihre wichtigsten Schätze schützte. Oder womöglich war dahinter tatsächlich das Zimmer ihrer Mutter – deren Existenz ich unlängst bezweifelt hatte.
Miyako und ich fassten uns also ein Herz und gingen zurück in den dritten Stock. Die Geräusche hielten an, sie kamen aus dem linken Zimmer. Also hatten wir wohl noch einige Zeit, dass rechte unter die Lupe zu nehmen. Das Schloss klickte, wir drangen ein – und kurz endeten die Misstöne von nebenan und wir sorgen scharf Luft ein. Stille…
Dann ging es weiter. Es war ein unschöner Aufruhr, aber immerhin versicherte es uns, dass wir Zeit zum… Stöbern hatten.
Doch auch das blieb ergebnislos. Die alte Schminke war nicht einmal für Miyako interessant und das war schon das Spannendste, was vorzufinden gewesen war. Damit zogen wir uns ins Gästezimmer zurück, während es langsam ruhiger wurde, was auch immer der arme Olo da zu erdulden hatte.
Beim Betreten des Gästezimmers hätte mich jedoch beinah der Schlag getroffen. Es gab die Möglichkeit, Wände zu bemalen und Menschen schienen daran eine große Freude zu haben. Und es gab jene dieses Volkes, welche diese Kunstform in eine Abstraktion überführten, die ich nur noch als Beleidigung jeglichen guten Geschmacks und genauer genommen als Beleidigung eines jeden lebenden Wesens bezeichnen konnte. Die Wände waren pink.
Wir erwachten am nächsten Morgen ohne die Begrüßung durch einen Wichtel oder Fräulein Purana oder gar „Babajagas Mutter“. Die Hausherrin schien zu schlafen, aber immerhin war Olo bei uns. Dieser wirkte etwas geschafft, aber dümmlich glücklich. Als jedoch sein Hunger einsetzte und wir feststellten, dass kein Frühstück bereitet war, fürchtete ich um das Bestehen dieses Turms – doch der Halbling überstand den ersten Anflug von Verzweiflung und begann zu kochen. Es war nicht viel, was die Vorratskammer der Hexe hergab, doch für Olo – Sohn des Halfdals, in dem jeder ein Meisterkoch war – schien es genug. Er zauberte gleich ein mehrgängiges Gericht, die Tatsache einer natürlichen Beschränkung des Magens einfach ignorierend. Und ich bin mir sicher, er hätte ewig in diesem Kochwahn verbleiben können – wenn nicht schließlich seine heiß geliebte Babajaga heruntergekommen wäre.
„Teuerste und schönste Frau! Ich hoffe, du genießt das Frühstück, welches ich dir bereitet habe!“, begrüßte Olo sie unterwürfig und wies auf die Tafel in der großen Halle, welche zur Hälfte mit allerlei Essbarkeiten bedeckt war, die nur für seine Herrin gedacht waren. Grußlos setzte sich diese hin und begann lustlos auf einem Stück Süßküchen herumzukauen.
„Oh, holde Maid! Du hast das Glück in meine Seele gesendet, ein Licht des Himmels meinen Augen geschenkt und eine Freude in diesen Leib gezaubert, der so lange gepeinigt und einsam gewesen war“, rief unser Halblingshändler aus und kniete sich neben seine Angebetete, während diese nur die Augenbrauen hob und verächtlich schnaubte.
„Warum seid ihr eigentlich noch immer hier?“, zischte sie uns an.
„Nun, wollen wir doch gleich ehrlich sein“, begann ich. „Wir kommen von Mumpitz und Balthasar. Es geht um das Erbe eures Meisters Schubidupp den Schönen…“
„Ah, ja. Interessiert mich nicht“, kam die mürrische Antwort.
„Hört mir doch zu. Wir wollen eine Gemeinschaftsarbeit vorschlagen. Momentan kommt keiner von euch fünf an sein Erbe. Das kann doch kein Zustand sein, den Ihr erstrebt!“
„Ich will, dass die anderen Nichts kriegen. Das ist meine Forderung. Gemeinschaft erübrigt sich.“
„Und euer Erbe? Wollt Ihr denn Nichts von dem, was euch Schubidupp hinterließ?“
„Er hinterließ mir die Freude, den anderen ein Dorn zu sein. Das möchte ich so schnell nicht aufgeben.“
„Das kann doch nicht alles sein, was Ihr begehrt! Hört zu, wir verwahren alle Briefe und sorgen dafür, dass jeder seinen gerechten Anteil am Erbe…“
„Gerechter Anteil? Gerecht wäre, wenn von den Idioten keiner irgendetwas bekommt. Was machen sie denn? Balthasar säuft, Mumpitz vergisst, Gormigust ist unter der Knute seiner Schwester… das sind doch nur Narren.“
„Und so bekommt auch Ihr Nichts. Und mir scheint, das ist, was Ihr verdient“, giftete ich zurück.
„Maßt euch nicht an, irgendein Urteil über mich zu sprechen“, blaffte Babajaga und zeigte mehr oder minder bedrohlich mit einem angebissenen Blätterteiggebäck in meine Richtung. „Ihr wisst Nichts über mich!“
„Dann sagt uns doch, was Ihr begehrt!“, fuhr ich auf.
„Es geht euch allesamt Nichts an. Und jetzt raus! Raus aus meinem Turm“, kreischte Babajaga, ehe sie ihre Fassung wiedererlangte. Doch ihre Wort meinte sie ernst und so mussten wir ihren Turm wie getretene Hunde verlassen. Ein missgünstiges Weib, dessen einziges Interesse war, anderen zu schaden. In mir keimte der fiese, menschliche Wunsch nach Genugtuung auf. Wir würden ihren Brief schon noch erhalten, auf die eine oder andere Weise.
Doch Olo begann zunächst wieder einmal seine Minne. „Oh große Babajaga, Stern meines Lebens. Ich liebe dich weit mehr als alles, was ich je gekannt habe. Mehr als mein Leben! Du bist mein Ziel, der Odem, der mir Kraft schenkt, der Antrieb meines Selbst. Du bist jene, ohne die ich nicht kann. Sende mich nicht fort, ich wäre nie mehr wieder ganz! Lass mich…“
„Olo. Geh.“
„Nein, Geliebte. Eher stürzte ich mich von dem Balkon des Turms oder dräute den Drachen der Berge. Ich würde die Ernte eines Landes alleine für dich einfahren, dir alle Kronen der Könige bringen und dich zur Regentin des Multiversums machen. Lass mich bei dir bleiben.“
„Meine Güte. Also gut, ich brauche da so ein…Kraut. Das wächst irgendwo, äh, bei dem Bauernhof von… Olaf, in …westlicher Richtung. Hol mir das, ja?“
Und Olo raste schon los, ehe wir einen zweiten Blick erhaschen konnten. Ich warf der Hexe noch einen finsteren Blick zu, den sie nur mit einem widerwärtigen Lachen erwiderte, dann schlug sie die Pforte vor unserer Nase zu.
Hastig liefen wir Olo hinterher und es war unser Glück, dass seine Beine den Halbling nicht gerade schnell und weit trugen. Ich wob Magie um seinen ohnehin verhexten Geist und drang durch die Hüllen und Schichten aus Lug und Trug, um im Kern den kleinen Funken künstlicher Liebe zu finden, den Babajaga dort eingepflanzt hatte. Unbarmherzig schloss ich meine Hände darum, sodass sie, abgetrennt von der Hexerei, die sie nährte, flackerte und schließlich erlosch. Die Erinnerungen würden bleiben und für einige Zeit wohl noch einige der falschen Gefühle – doch der damit verbundene Mut, den ich Torheit nennen würde, der war hinfort.
Das mochte grausam erscheinen, doch ich löste nur den Bann und nachdem die erste Enttäuschung vergangen war, wurde Olo wieder der uns bekannte Halbling und wir konnten mit unserer Aufgabe fortfahren.