Die Straße nach Westen zeigte deutlich, dass sie nicht oft benutzt wurde. Kamen wohl nur wenige Kleinkrämer bis nach Arkendale, reiste keiner weiter. Die Strecke zwischen Broceliande und Melgar-Bergen wirkte somit urtümlich und verwachsen. Häufiger waren die eingelegten Steine von Pflanzen herausgehoben oder verschoben worden. Eine eigentümliche Stimmung lag auf diesem Weg, eine Stille auf gepflasterter Straße, beinah eine Verkündung vom Ende der Zivilisation.
Aber wir hielten uns auf dem Weg und entgingen so drei Tage lang allen Unbilden, bis uns der albische Herbst einen Regenguss bot, der uns bis auf die Knochen durchweichte. Wir beschleunigten unsere Schritte, als wir einige Lichter in der Entfernung sahen und zu unserem Glück erreichten wir ein kleines Dorf oder eher eine verfallene Ansammlung von Hütten. Mehr als die Hälfte war dunkel und unbeleuchtet oder gleich gänzlich zerfallen, aber immerhin das größte, grob gastlich wirkende Haus war intakt. Vor der Tür hing an einem schiefen Schild ein aufgemalter schiefer Krug. Es erklangen Trinkgeräusche von drinnen und wir machten so schnell, wie wir konnten, dass wir aus dem Regen kamen.
Aus der grünen Hölle…
Meine Gedanken rasten. Die geballte Lebenskraft, die uns hier entgegenwallte, verschlug mir den Atem. Hier lag Macht in der Natur. Und meine Gedanken zogen weiter zu meiner Heimat. Ich dachte an die tiefen des Broceliande, an all das, was dort lebte, die tiefen Kräfte, die friedlich schlummerten. Und ich erinnerte mich an den Brocendias und die anderen Wälder, die Alba bedeckten. Auf eigentümliche Weise entwurzelt, einer Seele entrissen, deren Existenz den meisten nicht einmal bewusst war. Alte Verbitterung trieb in meinen Gedanken empor, die Erinnerung an das, was einst war und nun verloren schien.
Doch hier lag die Macht vor uns. Eine Rose, die Kraft des Lebens. Eine Möglichkeit, zurückzuholen, was zerschmettert worden war? Gier wallte auf. Die anderen würden es mir nicht gestatten, mir diese Macht wegnehmen. Mit ihnen hätte ich keinerlei Chance, den Wäldern Albas ihre alte Form zurückzugeben!
Grüne Pfade
Als wir wieder in Arthedhainn angekommen waren, sprach sich die Nachricht vom Tod der Bestie in Windeseile herum. Die näheren Umstände verschwiegen wir, um eine Hexenjagd auf den Stein zu vermeiden, der sich sicher verhüllt in Groams Tasche befand. Bald war der Einsame Priester mit dem ganzen Dorf gefüllt und der offensichtlich überforderte Mann rollte ein Fass nach dem nächsten für seine durstigen Gäste herein. Während Miyako und ich uns in weitgehender Zurückhaltung übten, kosteten die anderen drei den kostenlosen Ausschank für uns „Helden“ reichlich aus. Schließlich zeichnete sich jedoch unsere Erschöpfung ab und wir zogen uns auf die uns kostenfrei überlassenen Zimmer zurück.
Am nächsten Tag beim Frühstück begann die Überlegung, wohin nun eigentlich mit dem Bernstein.
„Feanor wollte uns ja noch einen Boten zuschicken“, erinnerte ich. „Da dürfte die nächstgrößere Stadt am sinnvollsten sein, immerhin sind wir hier im Wald von Escavalon ziemlich weit weg von den albischen Zentren.“
„Das dürfte dann ungefähr Glenachtor sein“, gab Garric hinzu.
„‘Nen Moment. In Cambryg gibt’s eine größere Botengesellschaft. Is‘ nicht viel weiter und dort werden wir auf jeden Fall gefunden“, merkte nun Groam an.
„Außerdem eine Magiergilde und eine Universität“, setzte unser Gildenmagier hinzu.
„Das klingt vernünftig“, gab ich zu und somit war es ausgemacht. Wir riefen den Wirt herbei, um ein paar Fragen über Reisedauer und Verpflegung einzuholen.
Der wider den Wolf tanzt
Am nächsten Tage saßen wir gemeinsam bei einem Frühstück, für das die Dörfler wohl das Beste herangebracht hatten, was sie besaßen. Während wir aßen, sammelten wir Ideen, wie wir nun weitermachen sollten. Wir waren im Wald von Escavalon, oder eher gesagt in seinen Randgebieten. Irgendwo sollte einer dieser Steine sein – doch das war schon alles, was wir hatten. So blieb einmal mehr Nichts, außer die Ohren zu spitzen und dem Schicksal zu lauschen.
Da setzte sich Gustaff zu uns, der einmal tief durchatmete und wartete, bis wir unser Mahl beendet hatten. Dann setzte er an.
„Wir hatten hier im Dorf nicht von ungefähr die Befürchtung, dass sich ein Monster im Stollen eingenistet hat…es gab Berichte aus den umliegenden Dörfern, insbesondere denen im Süden. Eine gewaltige Kreatur, die bereits Dutzende Menschenleben auf dem Gewissen haben soll. Aber die Beschreibungen, von den wenigen Zeugen, die es gab, klangen nicht nach einer Spinne. Eher nach einem großen Hund… oder so. Das bedeutet, dass da draußen noch irgendetwas ist, das uns alle gefährdet.“
Die Rosen der Macht
Wehrhaft wie eh und je ragte Deorstead vor uns auf, als wir über den großen Grenzfluss Devern übersetzten und damit nach einigen Wochen Clanngadarn wieder hinter uns ließen. Der Rückweg war ohne größere Schwierigkeiten vonstattengegangen, sodass wir einigermaßen ausgeruht in die „Zivilisation“ zurückkehrten, wie Garric stark betonte.
Wir setzten auf altvertrautes und suchten das Goldene Hufeisen auf. Kaum hatten wir es uns bequem gemacht, so näherte sich uns bereits ein bekanntes Gesicht: der Schäferssohn Jeremy!
„Na, Hallo! Ihr seid mir ja welche, seid einfach ohne mich abgehauen!“, beschwerte er sich sogleich, was Caileass mir grinsend übersetzte.
„Aber wir haben doch einen Treffpunkt ausgemacht und dann mussten wir eben dringend los… so lange waren wir ja auch nicht weg!“, beschwichtigte Olo seinen speziellen Freund, dem das in Verbindung mit einem Dünnbier bereits zu reichen schien. Wenig später scharwenzelte er wieder um Miyako herum, die ihn mit einer vergleichsweise freundlichen Nichtbeachtung konfrontierte. Aber Jeremy war ein hartnäckiger Bursche und so hatte die KanThai, ganz gegen ihren Willen, den ganzen Abend einen getreuen Verfolger, der sie auf Albisch zuschwafelte, dass ihr die Ohren bluten mussten. Indes stellte Landis unverhofft die Frage, wie es denn mit seiner Entlohnung aussehe.
…
Ein Ende mit Schatten
Die untergehende Sonne färbte den westlichen Himmel scharlachrot. Die Farben wirkten beinahe wie ein Dunstschleier, dessen ferne Wärme Trost brachte, dachte man an die dunklen Wolken, welche im Süden verharrten – der ständige Begleiter, wenn man in Alba reiste, und nun waren sie zurückgeblieben. Die sommerliche Aura hatte dennoch auch hier ihren starken Konterpart. Der harte Wind Clanngadarns, der wohl alles schliff, außer die rauen Einwohner des Landes, begrüßte uns immer wieder, sobald wir aus den kleinen Tälern über die Hügelkämme zogen.
Die seltsame Mischung aus Spannung und Entspannung einer Reise hatte mich ergriffen. Zum einen war das Ziel klar gewählt, ein Zurück war abgelehnt und das weitere Tun benötigte keine Diskussionen mehr – doch blieb die stetige Frage nach der Sinnhaftigkeit und viel mehr nach der Erfolgsmöglichkeit unseres Unterfangens. Earn MacRathgar war dem Zorn eines gesamten Clans entronnen, sollte es da einer kleinen Gruppe an Abenteurern – die sich erst seit einem Mond kannten – gelingen, ihn zur Strecke zu bringen?
Die Gefährten ziehen nach Norden
Wir verbrachten die nächsten zwölf Tage in Haelgarde. Die Gilde befasste sich mit der runenverzierten Streitaxt, um ihren Fähigkeiten und ihrer Herkunft auf den Grund zu gehen, während wir unsere Fertigkeiten schulten: eine Zeit lang übte ich mit den Stadtwachen in ihrer Kaserne, aber schließlich trieb es mich einige Tage aus der Stadt heraus, weg von diesen gewaltigen Menschenmassen. In tiefer Meditation versunken genoss ich wie ich die Zeit an mir vorbeizog, Sonne und Sterne auf mich herablächelten und spürte das Leben in einer lange gemissten Intensität.
Meine Begleiter hatten ebenfalls an ihren Fertigkeiten gefeilt – den Gesichtsausdrucks des Unteroffiziers würde ich wohl nicht so schnell vergessen, als Olo ihn bat, seine Fertigkeiten im Umgang mit dem Morgenstern zu schulen.
Die abendliche Auszeit nutzte jeder auf seine Weise. Ich schloss mich das eine oder andere Mal Caileass an, der durch die Kneipen und Spielhäuser der Stadt zog, die Ohren stets gespitzt, um Gerüchte über die Magiergilde aufzusaugen: es gab schließlich drei Ratsmitglieder, die einem Giftanschlag zum Opfer gefallen waren. Die Zauberer selbst hatten uns nicht aufklären wollen, wie weit ihre Ermittlungen waren – das Misstrauen hinsichtlich des Verrats aus eigenen Reihen war überwältigend. Sogar, oder vielleicht insbesondere, Garric konnte nichts herausbringen und wirkte erschüttert über die für uns lethargisch wirkende Haltung der Gilde.
Vom unerwarteten Ende einer Hatz
Stunde um Stunde verging, während Miyako, Garric und ich mitsamt Maglos gen Norden eilten – irgendwo vor uns waren Caileass und Olo sicherlich nur kurz hinter dem gefährlichen Krieger mit der magischen Axt. Außerdem waren sechs Stadtwachen, ebenfalls zu Pferd, vorgeprescht und hatten sich an die Verfolgung des Attentäters gemacht. Meine Hoffnung, dies würde eine kurze Jagd geben, hatten sich binnen weniger Minuten verflüchtigt – keine schicksalshafte Gnade hatte dem Flüchtling ein Hindernis beschert. Und mittlerweile hatte ich die Spur im unübersichtlichen Schlamm auf der Straße verloren, zu viele andere Hufe waren zuletzt hindurchgekommen. Was blieb war die verzweifelte Hoffnung, irgendwann auf jemanden oder etwas zu stoßen…
Es war bereits später Nachmittag, als sich uns zwei der Wachen näherten. Sie waren zu Fuß unterwegs und hatten einige Schrammen abbekommen, einer hatte eine leichte Kopfwunde.
Nur Irrungen und Wirrungen
Am nächsten Morgen saßen wir beim gewöhnlichen Haferschleim beisammen. Melodien wirkte zumindest etwas erholt und konnte die Geschichte um ihren Geliebten Aldwin und den Schwarzmagier weiter ausführen.
„Wir lebten alle auf dem Landsitz meines Vaters Bryan südlich von Crossing. Aldwin war einer der Krieger und uns beiden war klar, dass wir für immer zusammen bleiben wollten… doch mein Vater hatte andere Pläne. Er befürchtete, ich würde damit unter Stand heiraten und drängte mich dahingegen auf eine Ehe mit dem Hofzauberer Earn MacRathgar zu. Schließlich kam es dann zu dem schrecklichen Streit zwischen ihm und meinem Geliebten in der großen Halle… der grausame Magier hat die Beherrschung verloren und Aldwin in diese riesige Spinne verwandelt. Er war verwirrt und wurde zornig, sodass er beinahe Amok lief. Es war schrecklich als ihn die Wachen meines Vaters umkreisten, doch er konnte schließlich durchbrechen und fliehen. Das Chaos nutzte dann auch Earn, um davonzukommen, bevor er die gerechte Strafe für seine Hexerei erleiden konnte …“
Eine neue Gemeinschaft
Ein Schatten huschte durch Alba. Es war ein mir wohl bekanntes Dunkel, wenngleich es normalerweise finstere Höhlen und verfluchte Wälder bevorzugte. Allein der Wunsch, Unheil anzurichten, konnte es aus der Sicherheit der Abgeschiedenheit herausdrängen. Es war ein mir bekanntes Böses, womöglich sogar der Mondschein selbst, dem ich hinterherjagte. Alles, was ich hatte, waren Gerüchte, lose Gesprächsfetzen, die mir die Albai, die keine Vorurteile gegen Elfen hatten und auch noch die Handelssprache beherrschten, mitgeben konnten.
Natürlich war das lückenhaft. Vielleicht reinste Zeitverschwendung, was mich auf meiner jüngsten Reise vorantrieb – doch konnte man etwas verschwenden, was man ohnehin unendlich hatte?
Der letzte Hinweis klang besonders bedrohlich und mysteriös. Kurz vor dem Dorf Crail erfuhr ich, dass immer mal wieder Vieh verschwand, ab und an mal ein Mensch. Manche sprachen von Wölfen, andere von einem Vampir. Letzteres wurde nur geflüstert, wie eine fürchterliche Beschwörung. Lediglich ein älterer Mann sprach diese Befürchtung aus und er schien mir selbst nicht im Klaren darüber, ob er daran glaubte oder nicht.
Ich wusste nicht, ob mich dieser Hinweis auf die Spur meiner Beute bringen würde, doch diese Nachrichten klangen ohnehin alles andere als gut, sodass ich beschloss, ihnen auf den Grund zu gehen.