Eine neue Gemeinschaft

Ein Schatten huschte durch Alba. Es war ein mir wohl bekanntes Dunkel, wenngleich es normalerweise finstere Höhlen und verfluchte Wälder bevorzugte. Allein der Wunsch, Unheil anzurichten, konnte es aus der Sicherheit der Abgeschiedenheit herausdrängen. Es war ein mir bekanntes Böses, womöglich sogar der Mondschein selbst, dem ich hinterherjagte. Alles, was ich hatte, waren Gerüchte, lose Gesprächsfetzen, die mir die Albai, die keine Vorurteile gegen Elfen hatten und auch noch die Handelssprache beherrschten, mitgeben konnten.
Natürlich war das lückenhaft. Vielleicht reinste Zeitverschwendung, was mich auf meiner jüngsten Reise vorantrieb – doch konnte man etwas verschwenden, was man ohnehin unendlich hatte?

Der letzte Hinweis klang besonders bedrohlich und mysteriös. Kurz vor dem Dorf Crail erfuhr ich, dass immer mal wieder Vieh verschwand, ab und an mal ein Mensch. Manche sprachen von Wölfen, andere von einem Vampir. Letzteres wurde nur geflüstert, wie eine fürchterliche Beschwörung. Lediglich ein älterer Mann sprach diese Befürchtung aus und er schien mir selbst nicht im Klaren darüber, ob er daran glaubte oder nicht.
Ich wusste nicht, ob mich dieser Hinweis auf die Spur meiner Beute bringen würde, doch diese Nachrichten klangen ohnehin alles andere als gut, sodass ich beschloss, ihnen auf den Grund zu gehen.

Meinen Stoßspeer fest umschlossen, den getreuen Hochlandcollie Maglos an meiner Seite und die Kapuze gegen den dichten Regen aufgeworfen, erreichte ich Crail und erblickte ein Gasthaus, dessen Schild einen Ochsen zeigte, der sich scheinbar gegen die ihn führende Leine auflehnte. Schmunzelnd öffnete ich die Tür und trat in die wohlige Wärme.

Einige Gesichter blickten in meine Richtung als ich die Kapuze herunterzog und neben den langen, dunkelblonden Haaren auch noch meine spitzen Ohren sichtbar wurden, die mich als Elfen auswiesen. Es war keine Angst, die ich in ihren Augen sah, eher eine Mischung aus Neugier und Distanz. Dazu kam, dass ich mit dem Stoßspeer in der Hand und dem Rucksack als Wanderer, womöglich als Abenteurer wahrgenommen wurde. Für die einfacheren, albischen Gemüter war das ein Grund mehr, mir nach dem ersten Blick keine weitere Aufmerksamkeit mehr zu schenken. Es gab außer mir noch einiges, buntes Volk, das sich hier herumtrieb: eine Halblingsfrau, die sich ohne jegliche Manier und verschwenderisch den Wamst vollstopfte, einige Zwerge, die scheinbar naturgemäß wild zechten, dass schon dreizehn leere Krüge am Kopfende ihres Tisches eine ansehnliche Pyramide bildeten. Ich war jedoch zunächst darauf aus, einige Gerüchte zu erhaschen und setzte mich an den Tresen.
Um mich herum hockten nahezu nur albische Bauern, die sich derb in ihrer Landessprache unterhielten, die mir immer noch fremd und ehrlich gesagt auch etwas barbarisch vorkam. Die Handelssprache würden diese Männer wohl kaum kennen, so setzte ich meine Hoffnungen in den Wirt, der jedoch zunächst beschäftigt war, seine Stammkundschaft zu versorgen. Vielleicht machte ich, noch immer gerüstet, auch nicht unbedingt den einladenden Eindruck. Ich fühlte mich deplatziert…und wenn ich ehrlich war, dann entsprach das auch den Tatsachen. So schön die Wärme des Kamins doch war, so machte mir der Geruch von Schweiß und Alkohol zu schaffen und schon bald wünschte ich mich wieder ins Freie, wo der Regen fiel und diesen einen, so typischen Geruch zurückließ, der mich beinahe in eine tranceartige Entzückung versetzte – nur das Wasser, das über die Haut fließt und ein sanfter Wind, der sie einem in die Augen zu treiben sucht. Die Lider sind geschlossen, dies ist die Zeit anderer Sinne. Mit den Ohren nehme ich das prasselnde Orchester wahr, eine Melodie auf tausend verschiedenen Instrumenten; Blatt, Ast, Moos und Gras. Frische Luft durchzieht die Lunge, all der Schmutz wurde hinausgewaschen und was bleibt ist ein Gefühl von Ruhe.

Ich mochte wohl einige Zeit nahezu abwesend herumgesessen haben, als ich bemerkte, dass ich einen neuen Sitznachbarn hatte. Er war klein, doch besaß kräftige Arme, dazu aber auch einen durchaus mächtig zu nennenden Bauch. Ein Halbling, keine Frage. Zudem hatte er einen großen Rucksack zu seinen haarigen Füßen abgestellt und trug eine Weste mit Taschen…oder eher zu einer Weste zusammengenähte Taschen. Mit diesem Kleidungsstück brauchte er sicher keinen Bauchladen. Das ganze Bild rundete ein breitkrempiger, brauner Hut ab, der vielleicht sogar vor Steinschlägen schützte. In diese Darstellung eines gemütlichen Händlers aus dem Halfdal im Norden, fuhr die Waffe an seinem Gürtel hinein, wie ein Blitz in eine Scheune. Der kleine Mann trug tatsächlich einen Morgenstern bei sich.
Gerade hatte er sein Gespräch mit dem Wirt beendet, da sprach ich ihn hoffnungsvoll auf Comentang an.

„Seid gegrüßt. Ihr seht aus, als wärt Ihr schon weit gereist.“
„Hey, ja!“, wandte mein Sitznachbar sich mir mit einem breiten Grinsen zu. „Klar, ist schon ein ordentlicher Weg gewesen vom Halfdal hierher!“
„Direkt aus der Heimat, interessant. Ich bin Ilfarin.“
„Ilfaen?“
„Ilfarin.“
„Ilfaherin?“
„Il-fa-rin“, erklärte ich geduldig.
„Ihr Elfen habt echt komische Namen. Ich bin Olo. Olo Platschfuß.“
„Platschfuß?“, fragte ich schmunzelnd nach.
„Oh ja! Du siehst, ich trage meinen persönlichen Wohlstand vor mir her“, er wies auf seinen nicht geringen Bauchumfang. „Natürlich rein erblich bedingt, weißt du, meine Eltern…ich schweife ab. Aber auf jeden Fall drückt das ganz schön auf die Füße!“
„Nun denn, mich kannst du auch Ilfarin Tinuhên nennen. Auf Eldalyn bedeutet das ‚Kind der Dämmerung‘.“
„Klingt…bedrohlich“, meinte der Halbling und ich war mir nicht ganz sicher, ob er sarkastisch oder ernsthaft irritiert war. Ich beschloss auf jeden Fall das Thema zu wechseln, oder genauer, endlich zum Punkt zu kommen.
„Du hast doch bei deinen Reisen sicherlich einige Gerüchte mitbekommen, Olo. Gibt es etwas Interessantes zu berichten?“
„Hm… ich habe auf dem Weg hierher nicht viel Neues gehört. Aber der Wirt hat gerade etwas von einer Weisen Frau erzählt, welche sich im Wald versteckt und Wünsche erfüllt!“
„So? Nach dem, was ich in letzter Zeit erfahren habe, verschwinden im Wald immer wieder Tiere, manchmal sogar Menschen. Klingt nicht sonderlich nach dem Wunschtraum albischer Bauern.“
„Nein, wirklich nicht!“, bestätigte Olo mit einem Wackeln seines Kopfes. Dann wandte er sich plötzlich an den Wirt und rief energisch ein paar Worte der Landessprache. Was auch immer er sagte, es schien zu helfen, denn prompt reichte ihm der Wirt einen Humpen. Es schien sich lediglich um heißes Wasser zu fragen. Stirnrunzelnd wollte ich schon nachfragen, da wühlte der Halbling bereits in seinen Taschen herum, bis er schließlich einige Kräuter hervorholte und in eine Art Sieb stopfte. Diesen wiederum hing er in die kochende Flüssigkeit.
„Weißt du, das sind ein paar ganz besondere Kräuter. Wenn man sie in Verbindung mit erhitztem Wasser bringt…“
„Ich kenne Tee“, unterbrach ich Olo lachend.
„Ah, ein Kenner!“, meinte Herr Platschfuß zufrieden. „Willst du probieren?“
Sobald das Gebräu etwas abgekühlt hatte, nippte ich kurz daran. Es schien mir, dass der Halbling neben etwas Minze auch gestückelte Waldbeeren hinzugegeben hatte. Ein nahezu königliches Getränk, das meiner Nase eine kurze Entspannung von der stickigen Luft im Schankraum gönnte. Anerkennend nickte ich und reichte Olo seinen Tee zurück, der zufrieden grinste und sich dann ebenfalls einen Schluck gönnte.
„Kennst du eigentlich die Sage vom Nes-Tee?“, meinte er dann plötzlich.
Nichtsahnend schüttelte ich den Kopf, sodass ich prompt einen Mythos sondergleichen aufgetischt bekam. Der legendäre Nes-Tee, wohl als Kaltgetränk zu genießen, allein das ein Affront! Aber dann auch noch die Widersacher, Anhänger des geheimnisvollen Bundes von Libdon, wohl ein weiterer sagenhafter Tee – ein ewiger Wettstreit, den Olo fast schon als einen Krieg ansah!

Nachdem das Gespräch noch einige Minuten im Belanglosen verweilt war, erhob sich der Halbling schließlich und setzte sich an einen der Tische zu einer fremdländischen Frau und einem hochgewachsenem, narbigen Krieger. Etwas schien seine Aufmerksamkeit gewonnen zu haben, doch ich wollte mich vorerst noch mit den Gerüchten dieses Landstrichs auseinandersetzen. Da näherte sich mir ein wohl gekleideter, aber auch sehr junger Mann. Wams und Mantel waren aus feinem, gefärbtem Stoff gemacht, die einen höheren Stand erwarten ließen. Zudem hatte ich den Eindruck, es hier mit einem Städter zu tun zu haben. Lediglich ein kleiner Dolch am Gürtel ließ darauf schließen, dass er sich auf nicht auf Waffenkünste verlassen wollte. Vielleicht ein angehender Gelehrter?
„Mae govannen“, grüßte er auf der Sprache meines Volkes.
„Mae govannen“, erwiderte ich freudig überrascht und fragte sogleich weiter auf Eldalyn: „Ihr sprecht die Sprache meines Volkes?“
Der Mann zeigte ein verschmitztes Grinsen und wechselte auf Comentang. „Tut mir leid, ich beherrsche Eure Sprache nicht fließend. Ich wollte nur freundlich sein.“
„Das weiß ich sehr zu schätzen“, antwortete ich ebenfalls in der Sprache der Händler. „Ich bin Ilfarin Tinuhên, wie ist dein Name?“
„Garric Falstaff. Darf es was zu trinken sein?“
„Nun, gegen einen Ale hätte ich nichts einzuwenden.“ Nicht, dass ich diesem Getränk etwas abgewinnen könnte, doch ich hatte gelernt, dass es beinahe so elementar für den Kontakt mit Albai war wie ihre Sprache zu sprechen. Und da mir Letzeres noch schwer fiel… Garric wirkte ein wenig überrascht, wenn auch positiv, und bestellte beim Wirt auf seine Kosten. Als wir unsere Getränke erhielten, setzte er das Gespräch fort.
Ich bin auf der Suche nach jemand, der hier durchgekommen ist. Beinahe das halbe Gasthaus habe ich bereits befragt.“
„Da werde ich dich enttäuschen müssen, Garric, ich bin selbst erst vor einigen Stunden hier angekommen. Wen suchst du und warum?“
Der Gelehrte verzog kurz das Gesicht, er griff wohl nach jedem Strohhalm in diesem Gasthaus, packte immer wieder die Hoffnung beim Schopf – nur damit sie ihm jedes Mal entglitt.
„Shawn Tulpert. Er ist ein Bekannter von mir und wir hatten eigentlich ausgemacht, dass wir uns hier im Sturen Ochsen in Crail treffen würden.“
„Was treibt euch an, euch ausgerechnet hier zu treffen? Folgt ihr beide den Gerüchten von verschwundenen Menschen?“
„Ich kann es nicht genau sagen, Shawn war da sehr ungenau. Er wollte sich nur mit mir treffen. Und was ist das für eine Geschichte, von der du da erzählst? Ich habe bisher nur von einer Weißen Frau gehört, die in den Wäldern lebt und den Mutigen, die sie finden, einen Wunsch erfüllt.“
Dasselbe Gerücht, das Olo bereits aufgegriffen hatte. Ich musterte Garric noch einmal genau und teilte dann mit, was mir zu Ohren gekommen war.
Garric nickte, warf jedoch ein, dass einige der Verschwundenen wieder aufgetaucht seien – vielleicht handelte es sich doch nur um Trunkenbolde. Für das verlorene Vieh konnte auch einfach ein Wolfsrudel verantwortlich sein.
„Allerdings habe ich auch anderes gehört“, setzte ich nach und senkte ein wenig die Stimme. „Einige haben von etwas Gefährlicherem geflüstert, einem Grauen, das sie kaum beim Namen nennen wollten, wenngleich ich es nicht für sehr wahrscheinlich halte, dass mehr dabei ist, als eine Gruselgeschichte. Sie sprachen von einem Vampir.“
Garric zog die Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn. Wie ich schien er skeptisch, doch auch etwas besorgt und das nicht zu unrecht. Wenn es tatsächlich stimmen sollte, dann hatte es Crail mit einem wahrlich dämonischen Feind zu tun.
„Das klingt alles sehr seltsam. Wie bereits gesagt, ich hörte nur von der weisen oder auch weißen Frau und ihrer Wunscherfüllung. Kannst du damit etwas anfangen?“, fragte Garric nach.
„Ich kenne Weise Frauen aus Erzählungen. Ihre Wege scheinen denen der Druiden nah zu sein, auch wenn sie den Menschen manchmal näher stehen. Allerdings sind sie nicht gerade diejenigen, von denen ich erwarten würde, durch einen Wald zu wandern, um dahergelaufenen Albai Wünsche zu erfüllen.“
„Nein“, nickte der Gelehrte. „Glaube ich auch nicht. Aber was da wohl dran ist? Vielleicht steckt doch ein kleiner Kern Wahrheit. Zumindest Shawn scheint daran geglaubt zu haben, denn er soll sich wohl auf den Weg gemacht haben, sie zu suchen. Was suchst du eigentlich?“
„Ich … verfolge etwas. Es ist nicht klar auszumachen, wo es war und wohin es hinwill. Womöglich könnte sie – sofern es sich wirklich um eine Weise Frau handelt – etwas wissen, das mir weiterhilft.“
„Womöglich ist das etwas, das uns beiden weiterhilft“, stellte Garric zögerlich fest. Ich nickte zustimmend, wobei ich im Augenwinkel eine interessante Szene wahrnahm:

Olo war bei der fremdländischen Frau und dem Mann sitzen geblieben. Der Dame schien er ebenfalls einen Tee bereitet zu haben, allerdings war er wohl mit dem kräftigen und hochgewachsenem Albai aneinandergeraten. Dessen vernarbtes Gesicht wirkte im Moment wenig freundlich, doch der Halbling legte just in diesem Moment seinen Morgenstern ohne weiteren Kommentar auf den Tisch. Einen kurzen Moment wurde es still im Gasthaus und verstohlen huschten die Blicke zu Olo, der ein breites Grinsen präsentierte. Sein Gegenüber schien hingegen kaum beeindruckt.

Allerdings schien sich diese Konstellation kurz darauf etwas zu entspannen, sodass ich diesen Moment nutzte, um den Wirt einige Fragen zu diesen ganzen Gerüchten zu stellen. Der wiederum verwies darauf, dass es sich zum Großteil nur um das Geschwätz seiner Stammkunden handelte und dass es nichts Außergewöhnliches sei, wenn jemand nach einer längeren Runde nicht den direkten Weg nach Hause findet. Als ich dann den Begriff Vampir fallen ließ, weiteten sich seine Augen einen Moment lang, ehe er die Brauen zusammenzog und erklärte, dass es so etwas hier nicht gebe. Das sei ja wohl definitiv eine derbe Gruselgeschichte, betonte er, mit einem kurzen Blick zu seinen Kunden, denen er rasch neues Ale hinstellte. Nun, es war wohl nicht so geschickt, dem Wirt die Kundschaft ängstlich zu machen. Ich hakte jedoch weiter nach, wobei ich das Gefühl hatte, dass sich die gestaute Wärme und die schlechte Luft wie ein Gewicht auf meine Zunge legten. Immer wieder verlor ich den Faden, zwar nur kurz, doch unpassend. Es war schwer für mich, konzentriert zu bleiben und die richtigen Worte zu finden, dass der Wirt mir endlich sagte, was ich hören wollte. Ich fühlte mich hier nicht wohl. Ein Gasthaus war nicht meine gewohnte Umgebung, ein langwieriges Gespräch anstrengend. Es würde wohl noch lange dauern, bis ich diese Lektion gelernt hatte.

Schließlich gab mir der Wirt den Hinweis auf einen Mann nahe beim Kamin, der in einen grauen Mantel gehüllt war und unaufhörlich Nüsse knackte. Ein bereits sehr ansehnlicher Haufen hatte sich bereits auf dem Tisch angesammelt. Dieser Albai gehörte zu den Glücklichen, die verschwunden und wieder aufgetaucht waren, vielleicht mochte er etwas Genaueres zu erzählen haben.
Mit einem gezwungenen, aber hoffentlich freundlich aussehendem, Lächeln näherte ich mich ihm dann sogleich – den Stoßspeer noch immer in der Hand und den hechelnden Maglos neben mir.
„Seid gegrüßt“, eröffnete ich auf Comentang und blickte fragend zu einem der freien Stühle. Der Mann blickte an mir hoch und ich glaubte, dass sein Blick am längsten an meinen Ohren hängen blieb. Mit leicht zusammengezogenen Brauen fragte ich nach: „Versteht Ihr mich?“
Der Mann wandte sich wieder einer Nuss zu, die er geräuschvoll knackte und genüsslich verschlang.

Mit geschürzten Lippen suchte ich Hilfe bei Garric, welcher sich sogleich bereit erklärte, das Gespräch zu führen. Ich übernahm indes die Aufgabe, drei Ale für uns an den Tisch zu bestellen. Auf den Gelehrten reagierte der Nussknacker etwas offener, wenngleich seine vorgeschobenen Schultern und der ausweichende, auf sein Essen fixierte Blick nicht gerade davon zeugten, dass er gerne und viel erzählte. Aber zumindest ein paar Sätze brachte er heraus, wenngleich ich dem Albisch der beiden nicht folgen konnte.
Irgendwann sagte Garric etwas, das den Mann blitzschnell erbleichen ließ. Angst stand in seinen Augen, die ruckartig von ihm zu mir wanderten, woraufhin ich erneut ein gekünsteltes Lächeln aufsetzte. Das schien nicht sonderlich zu helfen und kurz darauf nahm ich einen abstoßenden Geruch wahr… ein kurzer Blick zum Schoß unseres Gesprächspartners bestätigte meine Befürchtung. Ich unterdrückte ein Stöhnen, während Garric dran blieb und versuchte, den Nassnussknacker zu beruhigen. Schließlich gab er es jedoch auch auf. Wir hockten uns wieder an den Tresen und der Gelehrte erzählte mir, was der Mann zu berichten hatte.
„Zunächst war er sehr ausweichend gewesen und hatte immer wieder betont, wie betrunken er gewesen sei. Das kurze Verschwinden sei ihm zwar unangenehm, weil die Leute redeten, aber es habe sich nichts Erzählenswertes ereignet. Als ich ihn nach den Gerüchten gefragt habe, hat er ebenfalls von der Weisen Frau erzählt, allerdings nichts Neues. Die Reaktion auf die Sache mit dem Vampir…“ – ich meinte einen kurzen, bösen Blick vom Wirt zu sehen, als der Begriff wieder fiel – „hast du ja mitbekommen. Danach war es aus. Ich glaube allerdings, dass er einfach nur sehr ängstlich ist, nicht, dass wir da einen Nerv getroffen haben. Ich habe allerdings von ihm und vorhin auch vom Wirt einen Namen gehört: Gill. Er ist Holzfäller und soll sich prächtig mit dem Gerücht von der weisen oder wahlweise auch weißen Frau auskennen. Zumindest erzählt er jedem, der danach fragt eine ausführliche und stets neue Variante der Geschichte. Vielleicht kann er uns weitere Informationen geben, die uns auf bei dieser Suche weiterhelfen.“
Und so hatten wir beschlossen, uns in den Wald zu begeben, um herauszufinden, was hinter all diesen Erzählungen steckte. Es mochte mein Ansinnen kaum berühren, womöglich gar nicht und war vielleicht die reinste Zeitverschwendung. Doch der Schatten, den ich verfolgte, hinterließ keine eindeutigen Spuren. Es waren Eindrücke, ein Hauch eines Zeichens, tief verschlungene Mysterien – kein Mensch würde mir wohl jemals sagen, diesen Feind habe er erst kürzlich auf der Straße gesehen. So war meine Jagd nicht zu vergleichen mit der Pirsch nach einem wilden Tier, es war mehr der entschlossene Griff nach jedem Ast, an dem ich mich aus dem reißenden Strom ziehen könnte, egal wie viele sich davon als zu dünn erwiesen und abbrachen.
Wir bezahlten bei dem Wirt für ein Bett im Gemeinschaftsraum und Garric arrangierte, dass wir früh genug geweckt wurden, um Gill vor einem alltäglichen Weg in den Wald zu erwischen. Anschließend ging der Gelehrte bereits nach oben, während ich noch einmal meinen Blick über die Tische schweifen ließ. Olo Platschfuß war nicht zu sehen, vielleicht war er nur kurz austreten, denn sein Morgenstern lag immer noch wie ein Mahnmal auf dem Tisch. Die östliche Frau saß immer noch da und nippte bedächtig und mit einer stillen Anmut an ihrem Tee. Ihr gegenüber saß weiterhin der narbenverzierte Mann, der sich vorhin noch mit dem Halbling gestritten hatte. Das Schweigen zwischen den beiden schien für mich beinahe greifbar, wahrscheinlich, weil ich selbst an diesem Abend bereits genug Probleme gehabt hatte, die richtigen Worte zu finden. Menschen waren kompliziert und manchmal auch sehr anstrengend.

So war es fast schon eine Erlösung, als ich ebenfalls den Gemeinschaftsraum im oberen Stockwerk betrat, in dem es etwas ruhiger zuging. Garric hatte gerade ein Fenster geöffnet und eine Krähe war herangeflogen gekommen, deren Gefieder er sanft streichelte und ihr einige Worte zuflüsterte. Dann holte er sie herein und verschloss den Raum wieder gegen den stürmischen Regen der draußen niederprasselte.
„Du scheinst dich gut mit dem Tier zu verstehen“, fragte ich, etwas oberflächlich. Ich hoffte, dass der Gelehrte etwas mehr über sich verriet, denn mir schien es nicht alltäglich für einen Albai, eine Krähe zu besitzen. Oder an seiner Seite zu haben, was weniger nach Sklaverei klingt.
„Nun, du ja auch“, erwiderte Garric verschmitzt und zeigte auf Maglos, der sich bereits am Boden vor einem der Betten zusammengerollt hatte. Da war wohl nicht mehr rauszuholen, doch ich vermutete, dass mehr hinter dem gelehrten Äußeren steckte als allein ein heller Geist. Vorerst hieß es jedoch zu schlafen, nachdem ich meine Ausrüstung verstaut und den Stoßspeer endlich aus der Hand gelegt hatte. Vielleicht war der beständige Griff ein Zeichen gewesen, dass ich noch immer nicht das größte Vertrauen gegenüber den Menschen hegte. Kurz bevor ich in das Reich der Träume glitt, kam mir der Gedanke, dass das vielleicht auch gut so war.

Am nächsten Morgen weckte uns eine Helferin des Wirts zu früher Stunde. Es dämmerte gerade erst und der Gastraum war voller verschlafener Gestalten, die wir behutsam ihren Träumen überließen, als wir auf Zehenspitzen nach unten gingen. Der Wirt war ebenfalls bereits wach, aber noch damit beschäftigt, etwas Ordnung in den Raum zu bringen. Seine rötlichen Augen untermalt von tiefen Augenringen machten mehr als deutlich, dass er gerade noch nicht zu Gesprächen aufgelegt sein dürfte. Aber er war dennoch nicht allein! Auf einer Bank lag tatsächlich Olo Platschfuß, die Beine angezogen und mit den Armen umschlungen. Nur noch geräuschvolles Schnarchen fehlte, um das Bild abzurunden. Garric und ich warfen uns nun aber die Mäntel über und traten vor die Tür.

Der Regen hatte nachgelassen und lediglich etwas Niesel verschleierte die Luft. Das war jedoch so normal für Alba, wie das Aufgehen der Sonne selbst. Wir marschierten ein Stück die Straße herunter, bis wir Richtung Wald abbogen. Die Hütte des Holzfällers lag am Rande des kleinen Dörfchens. Rauch aus dem Kamin und Licht hinter den Fensterläden verrieten, dass der Hausbesitzer tatsächlich so früh wach war, wie uns berichtet wurde. Wir traten heran und der Gelehrte klopfte kräftig an die Tür. Einen Moment sah er mich fragend an und ich nickte nur. Es war wohl einfacher, wenn er das Gespräch gleich auf Albisch führte. Einen kurzen Augenblick später öffnete sich die Tür und ein kräftiger Mann zeigte sich uns. Den landestypischen Kilt hatte er gegen eine feste Hose eingetauscht und eine hinter ihm an der Wand lehnende Axt offenbarte zugleich seine Tätigkeit, wie den Willen, seine Familie gegen Eindringlinge zu beschützen. Als Garric ihn mit „Gill?“ ansprach, nickte er. Nach den nächsten Sätzen warf der Mann mir noch mal einen kurzen, abweisenden Blick zu und ignorierte mich dann gänzlich. Missmutig wartete ich ab, während der Gelehrte mit dem Holzfäller sprach. Schließlich nickte mein Begleiter dem Albai dankend zu, welcher die Tür wieder zuzog.

„Er weiß einiges von der weisen Frau oder zumindest die Quintessenz aus allen Gerüchten, die wir bisher gehört haben. Etwa zwei Tage von hier, nach einem Marsch durch den Wald und ein kleines Sumpfgebiet, sollen wohl ‚weiße Kleider‘ in den Bäumen hängen, nahe bei ihrer Hütte. Gill hat angeboten, uns anfangs zu führen.“
„Das klingt zumindest nach einer konkreten Spur“, antwortete ich zuversichtlich.
„Das schon. Aber ich finde die ganze Sache merkwürdig. Im Wald verschwinden immer wieder Menschen und nun will uns der Holzfäller auf einen Pfad mitten hinein führen, zwei Tage von der nächsten Ortschaft entfernt? Ich sage es mal so; Fremde vermisst Niemand.“
Und ich hatte mir schon Sorgen gemacht, ich würde den Menschen nur Böses unterstellen, dachte ich bei mir, aber Garrics Gedanken schienen mir durchaus schlüssig. „So oder so. Dies ist die einzige Fährte, die wir haben und wir sollten sehen, dass wir vielleicht noch jemanden finden, der uns begleiten will. Mehrere Kämpfer, wenn es hart auf hart kommt“, legte ich meine Sichtweise dar. Schmunzelnd fügte ich hinzu: „Dieser Halbling hatte doch einen Morgenstern dabei. Wer sollte uns gegen Wegelagerer, gefährliche Bestien oder einen Vampir verteidigen können, wenn nicht er?“
Garric grinste und stimmte mir zu. Zweifellos würde sein Argwohn auch anderen, bisher unbekannten Begleitern gelten, doch dies war das Risiko, welches uns geringer erschien, als lediglich zu zweit aufzubrechen.

Als wir den „Sturen Ochsen“ wieder erreichten, regte sich mehr Leben darin. Einige der anderen Gäste waren bereits beim Frühstück, der Wirt schien wieder in Form und ein Mann spielte gedankenverloren wunderschöne Klänge auf einer Lyra. Es war eine leichte Melodie, die den Tag freudig zu begrüßen schien und einem die Müdigkeit aus dem Leibe zog. Begrüße die Sonne, atme frische Luft – eine schöne Botschaft, vorgetragen durch ein einfaches Instrument in der Hand eines Mannes, der nach viel aussah, aber nicht nach einem Musiker: es war der Mann mit den Narben, der gestern bei Olo und der östlichen Frau gesessen hatte, die auch nun wieder bei ihm saßen. Der Halbling wirkte deutlich wacher als noch vor einer halben Stunde und schien sich wieder begeistert mit seinen Nachbarn zu unterhalten. Zielstrebig hielt ich auf ihn zu und grüßte freundlich.
„Können wir uns zu euch gesellen?“, fragte ich auf Comentang in die Runde, was alle drei zu verstehen schienen. Ein Widerwort blieb aus, sodass es Garric und ich uns bequem machten und anschließend bei einer der Schankmaiden Frühstück bestellten.
„Olo, du warst doch auch an den Gerüchten von der weisen Frau interessiert“, leitete ich schließlich das Gespräch ein. „Garric Falstaff und ich haben einen Führer gefunden, der uns den Weg weisen kann. Es wird wohl ein Zweitagesmarsch bis zu ihr in den Wald hinein.“
„Zwei Tage?“, erwiderte Olo wenig begeistert.
„Richtig. Außerdem haben wir die Befürchtung, dass sich dort einige Wegelagerer oder schlimmstenfalls dieser Vampir aufhalten könnte anstatt einer Wünsche-erfüllenden Dame.“
Olo zog die Augenbrauen hoch. „Das klingt jetzt nicht sonderlich einladend.“
„Ich wäre durchaus interessiert“, warf die östliche Frau ein. Nun musterte ich sie überhaupt das erste Mal richtig. Sie war nicht so klein, wie man es sich von ihren Landsleuten erzählte, womöglich sogar zwei, drei Fingerbreit größer als ich – was allerdings auch nicht weiter schwer war. Ihr schwarzes, seidenglattes Haar war zu einem Zopf nach hinten gebunden, in welchem farbige, kunstfertig gearbeitete Nadeln steckten. Im ebenmäßigen, hellen Gesicht lagen zwei mandelförmige, dunkle Augen. Wo sie bei anderen in die Seele blicken ließen, schienen diese wie ein Spiegel, der jeden Versuch, etwas aus ihnen zu lesen, abblockte und zurückwarf. Es war ein Gefühl der Unnahbarkeit gemischt mit dem Wissen, dass sie wiederum genau erkannte, mit wem sie es zu tun hatte.
Die hellroten Lippen wiederum wirkten kräftig und verführerisch, der Ausdruck, der sie umspielte war jedoch auf seine eigene Weise…unerklärlich. Sie wirkte nicht unfreundlich, aber auch nicht einladend. Sicherlich verführerisch, doch auch distanziert, man könnte fast sagen erhaben. Es fiel mir nicht schwer, mir vorzustellen, warum Olo und der Lyra-Spieler ihre Nähe gesucht hatten.

„Ilfarin Tinuhên. Wie ist dein Name?“, fragte ich zunächst nach.
„Miyako.“
„Welches Interesse hast du an der weisen Frau?“
„Ich suche jemanden“, antwortete sie. Dann schwieg sie einen Moment, der ihr schließlich lange genug erschien, um nachzusetzen: „Einen MacRathgar.“
Ein kurzer Blick zu Garric, welcher nur die Achseln zuckte, dann nickte ich ihr zu. An ihrer Hüfte fiel ein Langschwert östlicher Machart auf, das nahezu keine Parierklinge, dafür jedoch einen dezenten, verzierten Griff besaß – ich zweifelte nicht einen Moment daran, dass sie wusste, wie es zu führen war. Bezüglich ihres Gesuchten machte sie nicht den Eindruck, genauer darauf eingehen zu wollen und es spielte vorerst auch keine Rolle.

Olo schien die Pause für sich genutzt zu haben und wirkte entschlossen: „Ich komme doch mit. Kann euch doch nicht ohne meinen Morgenstern losziehen lassen!“
Ich lachte kurz auf, dann wanderte mein Blick zu dem letzten am Tisch, der das Angebot ebenfalls vernommen hatte. Er war mindestens um einen Kopf größer als ich und wirkte kampferprobt. Sein Oberkörper steckte im Moment in einem ärmellosen, schwarzen Hemd, sodass etliche Narben an seinem rechten Arm auffielen – sie wirkten allesamt wie Schlachtüberbleibsel, für die er sich offensichtlich nicht schämte. Er hatte ebenfalls eine Narbe über seinem linken Auge, welche jedoch ebenso wie ein tiefer Kratzer am Kinn etwas besser verheilt schien. Das mittellange, schwarze Haar nutzte er, um diese Makel etwas zu kaschieren. Der Lyra-Spieler wirkte muskulös, trug aber einen Rapier bei sich, der weniger auf wilde Kraftausübung denn mehr auf gezielte Treffer setzte. Eine interessante Kombination.
„Ich würde ebenfalls mitreisen. Caileass MacBeorn mein Name.“
„Und was treibt dich in den Wald?“
„Nun, ich habe einige Tage Zeit, ehe ich nach Crossing zurückkehren möchte, und nach allem, was ich gehört habe, könnte diese Reise durchaus interessant werden. Ich bin neugierig“, schloss der Kämpfer.

Damit war die Gruppe wohl komplett. Ein Krieger mit Neugier, eine unnahbare Frau auf der Suche, ein Gelehrter mit verlorenem Freund, ein Halbling, der Tee zu finden hoffte. Und ich, ein Elf, der auf der Suche nach dem Schatten seines Lebens nach jedem Ast griff, der ihn aus dem Mahlstrom zieht, in dem er irgendwann versinken wird, sollte er scheitern.

Wir einigten uns darauf, dass sich jeder haltbaren Proviant für fünf Tage beim Wirt kaufte. Getrocknetes Obst, gepökeltes Fleisch und was er noch zu bieten hatte. Olo wunderte sich jedoch darüber, dass ich uns nicht einfachen versorgen könnte – ich sei doch ein Elf aus dem Wald!
„Mein lieber Herr Platschfuß, sollte ich in die Verlegenheit für dich jagen zu müssen, dann glaube ich, es braucht einen ganzen Tag, um deinen Hunger auch nur halb zu stillen. Sollten wir aber in Not geraten, werde ich sicherlich dafür sorgen können, dass wir überleben. Vielleicht finde ich ja auch ein paar Beeren.“
„Du kannst auch Bären jagen? Erstaunlich“, zwinkerte mir der Halbling zu, der bereits begann, mit dem Wirt den Preis herunterzuhandeln.
„Ja, die gefährlichen Waldbeeren. Nicht zu verwechseln mit den Vogelbeeren – riesig groß und flugfähig. Wenn man die isst, gibt’s Magenbeschwerden.“

Wenige Minuten später waren wir alle versorgt und machten uns auf den Weg. Gill erwartete uns bereits vor seiner Hütte, wirkte allerdings überrascht, dass Garric und ich nicht alleine waren und unsere neuen Begleiter waren nicht weniger auffällig als wir. Nichtsdestotrotz erhob er sich und sprach ein paar Worte Albisch mit dem Gelehrten, ehe er auch uns anderen mit einem Wink zu verstehen gab, dass es nun losging.
Der Holzfäller führte uns in den Wald hinein. Anfangs liefen wir noch auf einem Trampelpfad, schließlich ging es quer zwischen den Bäumen hindurch. Der Albai schien jedoch genau zu wissen, wo er hinwollte. Wir folgten ihm, wobei die Rollen vertauscht wirkten. Nun war es Garric, der scheinbar fehl am Platze wirkte, so gelehrt wie er aussah. Olo murrte bereits nach wenigen Minuten darüber, dass sein Gepäck so schwer sei, während sich Caileass und Miyako in geduldiges Schweigen hüllte. Ich für meinen Teil fühlte mich endlich wieder befreit. Die saftig grünen Bäume um uns herum, deren Blätter noch mit dem Morgentau verziert im Lichte der aufgehenden Sonne glitzerten – ein Nieselregen der die Luft frisch hielt und das Rascheln kleiner Tiere; Eichhörnchen, Igel, vielleicht war da auch ein Reh in der Nähe. Es war ein Frieden in diesen einfachen Ausdrücken des Lebens, der sich auf mich übertrug, mir eine innere Ruhe schenkte, die mir eine Stadt mit ihren vielen Menschen nicht geben konnte.

Am Mittag blieb Gill stehen und sprach eine Weile mit Garric und ging danach davon, ohne noch größere Worte an den Rest von uns zu verschwenden. Der Gelehrte fasste für uns zusammen, dass wir nun eigentlich nur noch geradeaus gehen müssten, bis wir die weißen Gewänder in den Bäumen sehen. Der Holzfäller habe dazu noch ein, zwei Andeutungen über seltsame Geschichten gemacht, die unser Übersetzer für äußerst fragwürdig hielt. Dazu komme, dass Gill durchaus ausweichend wirkte. Es folgte ein stummes Einverständnis in der Gruppe, dass wir ab jetzt die Augen offen halten sollten.
„Ich werde nun führen“, erklärte Caileass und setzte sich direkt an die Spitze, um der eingeschlagenen Richtung zu folgen. Es folgte kein Protest, schließlich war es auch nicht weiter bedeutend, wer nun zuerst seinen Fuß in den aufgeweichten Waldboden vor uns setzte – doch es blieb ein interessanter Eindruck über den Charakter des narbigen Lyra-Spielers.
Schließlich dämmerte es und wir machten ein Lagerfeuer, um das herum wir unsere Schlafdecken ausbreiteten. Einzig Miyako besaß ein Zelt, um sich etwas Abgeschiedenheit zu schaffen.
„Wir sollten Wachen einteilen, um üble Überraschungen während der Nacht zu vermeiden. Ich übernehme die erste“, stellte ich beim Verzehr unseres Abendessens fest – der Halbling fiel dabei durch sein schönes und äußerst vollständiges Besteckset auf.
„Dann werde ich dich dabei unterstützen“, gab Caileass kund. Miyako erklärte sich für die zweite bereit und Garric sprach sich für die letzte aus. Olo Platschfuß lehnte sich auf dem Baumstumpf, den er als Sitz auserkoren hatte, nach hinten, kaute genüsslich ein Stück Trockenobst fertig und meinte schließlich gedehnt: „Na dann. Sind ja alle Wachen eingeteilt!“
Unseren skeptischen Blicken folgten einige mahnende Worte, ehe er beschwichtigend die Hände hob. „Schon gut, schon gut! Ich wache dann mit Garric.“

So gingen die anderen dann schließlich schlafen, während Caileass seine Lyra zur Hand nahm und eine beruhigende Melodie spielte.
„Nun Caileass, was hat dich überhaupt erst nach Crail verschlagen?“, beschloss ich unsere Wache mit einem Gespräch aufzulockern.
„Ich komme aus Crossing, wo ich zuletzt für die Stadtwache gearbeitet habe. Ein Auftrag hat mich in dieses verschlafene Nest getrieben.“
„Du wirkst auch ziemlich…kampferprobt.“
„Ja, ich bin schon ziemlich herumgekommen und habe an verschiedenen Orten für Geld meine Klinge angeboten.“
„Ein Söldner“, warf ich ein – und hoffte zugleich, dass er das nicht falsch aufnahm.
Doch Caileass schien mit dem Begriff nichts Schlechtes zu verbinden und nickte. „In der Tat. Das treibt mich immer wieder umher, eine Reise führte mich bereits nach Chryseia in den Süden. Meist arbeite ich mit den städtischen Wachmannschaften zusammen. Ich würde sagen, ich kämpfe für Gerechtigkeit.“
Ich behielt meine natürliche Skepsis über den Begriff für mich und wir schwiegen den Rest der Wache, sorgsam darauf achtend, dass sich Niemand unserem Lager näherte. Schließlich weckten wir Miyako, die sich im Lotussitz ans Feuer setzte – ihr Langschwert über die Beine gelegt und somit jederzeit griffbereit. Die gerade Haltung sprach für eine hohe Herkunft oder für sorgfältig trainierte Körperbeherrschung. Zumindest wirkte sie sicher in dem, was sie tat, und ich konnte beruhigt einschlafen.

Olo und Garric weckten uns andere am nächsten Morgen. Es dämmerte gerade. Ich schüttelte die Müdigkeit sowie die Klammheit aus meinen Knochen während ich Maglos hinter den Ohren kraulte. Der albische Sommer bestach nicht durch seine Hitze, aber eine Nacht unter Sternen war immer eine Möglichkeit.
Caileass und der Halbling wirkten von etwas abgelenkt und wiesen schließlich über uns in den Baum. Ich folgten ihren Blicken und schaute auf – nur um festzustellen, dass wir tatsächlich etwas übersehen hatten, als wir dieses Lager aufgeschlagen hatten: ein weißes Gespinst hing über uns im Baum. Es wirkte aber sicher nur auf einen flüchtigen Blick aus hunderten Metern Entfernung wie ein Kleid. Aus dieser Nähe schien unzweifelhaft, dass es Spinnfäden waren, die eng gesponnen waren, beinahe wie ein Kokon mit einer stattlichen Größe von fast zwei Metern.

Olo fackelte nicht lange und kletterte nach oben, wobei er großen Nutzen aus seinen namensgebenden Füßen zog. Wenige Sekunden später war er auf gleicher Höhe angelangt und besah sich unseren Fund genauer. Schließlich schien er nichts weiter erkennen zu können und trat leicht dagegen. „Klebt ganz schön“, kommentierte er.
„Ich kenne nur eine Spinnenart, die so eine große Beute jagen dürfte“, gab Garric kund. „Gladiatorspinnen.“
Der Gelehrte verblüffte mich mit seinem Wissen um solche Tiere – ich kam erst nach seinem Hinweis darauf, dass es sich wohl sehr wahrscheinlich um eine dieser Riesenspinnen handeln dürfte. Doch waren sie für Alba und besonders für diese Gegend äußerst untypisch.

Platschfuß auf dem Baum entschied indes, die Beute des Spinnenwesens loszuschneiden, damit wir es uns genauer ansehen konnten – eine dunkle Ahnung hatte uns alle bereits befallen. Mit einem ordentlichen Rumpeln krachte der Kokon vor uns auf den Boden und die seidenen Fäden rissen stellenweise ein. Wie um unsere schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen, rollte ein menschlicher, noch behelmter Totenschädel vor unsere Füße.

Die Leiche wirkte seltsam; die Haut war ledrig und eingefallen. Nahezu wie ausgesaugt. Trotz dieses schrecklichen Zustandes war der Mann mit Sicherheit nicht viel länger als eine Woche tot. Als Erkennungsmerkmale besaß er noch eine Rüstung, die ihm offensichtlich keine guten Dienste geleistet hatte. Caileass nahm den Helm an sich und fand außerdem noch fünf Goldstücke bei der Leiche. Skeptisch blickte ich ihn an – er hatte nicht eine Sekunde gezögert, um dem Mann irgendwie Respekt zu erweisen sondern war direkt an sein Erbe gegangen. Sicher, er brauchte es nicht mehr, aber ich begann mich zu fragen, wie lange die Treue des Söldners hielt, wenn er Gold roch. Ob es eine Rolle spielte, wie warm die Leiche ist? Ob es eine Leiche ist?

„Das dürfte einer von Shawn Tulperts Begleitern gewesen sein. Er hatte zwei Söldner gedungen, die ihn auf seiner Reise begleitet haben“, stellte Garric fest.
„Dann hoffe ich, dass es den anderen besser ergangen ist“, murmelte ich. „Zumindest jagen Gladiatorspinnen in der Regel alleine. Unsere zahlenmäßige Überlegenheit könnte eine entscheidende Rolle spielen, sobald wir auf sie treffen.“

Anschließend packten wir unsere Sachen und gingen weiter unserem Ziel entgegen mit Caileass an der Spitze. Das karge Frühstück nahmen wir im Laufen ein, nach dieser Morgenentdeckung war der Appetit allseits niedrig. Und es sollte nicht besser werden.
Es war gerade Mittag, da rief Caileass aus, dass er etwas gesehen habe und wir wichen etwas von unserem Pfad ab. Und der Söldner hatte Recht: bei einem Baum lag eine weitere, ausgedörrte Leiche. Ihr zerschundener Leib war mit einer zerfetzten Lederrüstung bedeckt, die von einem harten, aber aussichtslosem Kampf kündete. Doch obwohl er scheinbar Opfer desselben Angreifers geworden war, hatte dieser Mensch hier keinen Kokon erhalten. Sprach das für Eile? Wir rätselten eine Weile darüber, in welcher Reihenfolge die Männer der Gladiatorspinne zum Opfer gefallen waren, beließen es aber schließlich bei den Spekulationen und gingen weiter – Garric bestätigte, dass dies der andere Begleiter Shawns gewesen sein musste.

Als die Dämmerung langsam einsetzte, erreichten wir den Rand eines sumpfigen Gebiets. Das Glucksen des Moors, untermalt von dem eigentümlichen Gesang von Fröschen und Kröten sowie das allgegenwärtige Summen lästiger Mücken, zauberte eine akustische Untermalung des Anblicks verfaulter Bäume und unklarer Tiefen.
Wir waren uns einig, den Weg erst bei Tageslicht fortzusetzen und schlugen ein neues Lager auf. Nach dem Abendessen, gingen Garric, Miyako und Olo schlafen, während Caileass und ich unsere Wache wieder aufnahmen. Maglos legte den Kopf auf seine Pfoten und machte zunächst ein Nickerchen, wenngleich ich mir sicher war, dass er bei sonderlichen Gerüchen in der Umgebung rasch aufspringen würde.

„Sprich Caileass, wie hältst du es eigentlich mit der Magie?“
„Ich war tatsächlich einmal in einem Kloster gewesen, in welchem die arkanen Künste studiert und gelehrt wurden“, gab der Söldner überraschend kund.
„Dann bist du auch der Zauberei mächtig?“, fragte ich nun, eindeutig neugierig geworden, nach.
„Nein, das nicht. Ich interessiere mich lediglich für die mannigfaltigen Spielereien, die sie mit sich bringt. Wie steht es bei dir, Ilfarin?“
Ich zögerte einen Moment, damit hadernd, die richtigen Worte zu finden. „Ich würde sagen, ich greife nach der allmächtigen Kraft des Lebens. Es ist eine Macht, die uns alle umgibt und durchdringt. Es ist schwierig, aber bringt die Welt nicht aus dem Gleichgewicht – ein Anliegen, das mir äußerst wichtig ist.“

Wir sprachen noch ein wenig über die Unterschiede des druidischen Ansatzes, den ich als Dweomer kannte, und den manipulativen, arkanen Strömungen, die Caileass studiert hatte. Der Söldner wies dabei erstaunliches Wissen auf, das ich bei einem Kämpfer nicht erwartet hatte. Schließlich weckten wir wieder Miyako und betteten uns zur Ruhe.

Am nächsten Morgen war es dann so weit. Ich übernahm nun die Führung von Caileass, um uns sicher durch den Sumpf zu geleiten. Der Schlamm schloss sich gierig um meine Stiefel, als ich die ersten Schritte tat und ächzte elendig, wenn ich sie wieder emporriss. Das Ende meines Stoßspeeres nutzte ich, um nach Untiefen zu tasten – ehe spätestens Olo restlos versinken würde, der ohnehin bereits seit der Dämmerung erneut meckerte, dass ihm sein Gepäck zu schwer für diese Wanderung sei.
Maglos blieb zunächst zurück und starrte uns mit schräg gelegtem Kopf nach. Vielleicht würde sich noch eine Möglichkeit finden, ihn herüberzuholen, sobald wir das Ende des Sumpfes erreicht hatten.

Plötzlich stieß ich mit meinem Speer auf etwas Festes im Untergrund – das Moor stand uns bereits bis deutlich über die Knie. Mir kam eine Schlange in den Sinn, doch die war für gewöhnlich nicht so hart, dass ich das Gefühl hatte, beinahe auf Stein und stoßen. Ich gab meinen Begleitern ein Zeichen und begann um diesen Widerstand herumzulaufen, als plötzlich einige Blasen aufstiegen und mein Fund mit einem lauten, sumpfigen Schmatzen nach oben trieb: es handelte sich um eine Leiche, ähnlich zugerichtet, wie die beiden vorherigen Opfer der Gladiatorspinne. Der sich aufdrängende Schluss zog mir kurz die Eingeweide zusammen, wenn ich daran dachte, wie angestrengt Garric versucht hat, seinen alten Bekannten wiederzufinden.
Wir zogen den Leichnam zurück aus dem Sumpf und der Gelehrte bestätigte mit einem Blick, dass dies hier sein alter Freund war: Shawn Tulpert.

Der Mann hatte aber noch einen Rucksack dabei gehabt. Die darin befindlichen Münzen wurden wieder aufgeteilt. Außerdem gab es noch eine Glasphiole, deren Inhalt durchsichtig war. Zuletzt war da noch ein stark angegriffenes Tagebuch. Die Tage im Morast hatten dem Papier arg zugesetzt und weite Teile waren nicht lesbar – sofern man sich überhaupt mit der albischen Schrift auskannte.
„Shawn“, stöhnte Garric auf. „Dafür gibt es doch Wachspapier oder Hüllen.“
Es mutete seltsam an, wie der Gelehrte mit der Leiche seines alten Bekannten sprach
Während Garric das Buch studierte, um einige nützliche Hinweise zu finden, was er eigentlich gesucht hatte, kümmerte ich mich darum, eine Möglichkeit zur Überquerung des Sumpfes für Maglos zu finden. Dabei griff ich eine Idee des Gelehrten auf, der davon gesprochen hatte, einen kleinen Baum für den nötigen Auftrieb zu nutzen – den zog man dann einfach hinter sich her. Simpel und effektiv, der Städter überraschte mich erneut. Gesagt, getan, die Arbeit war schnell vollbracht und ich konnte mich den Erkenntnissen Garrics widmen, die er aus dem Tagebuch Shawns gezogen hatte.

„Er schreibt hier – soweit man es noch entziffern kann und Shaun schrieb ohnehin nicht leserlich – er habe eine ‚Lösung‘ gefunden: einen Trank. Wahrscheinlich dieses durchsichtige Gebräu hier. Allerdings lässt sich nicht genau sagen, wofür er diese Lösung brauchte. Einige Seiten weiter erwähnt Shawn eine Frau, welchen ihren Geliebten sucht und ihn unbedingt retten will. Niemand werde sie davon abhalten können. Wenig später fragt er sich, ob sie wirklich helfen können. Ob es überhaupt möglich sei, diesen Fluch zu brechen. Das letzte, was ich dem entnehmen kann, ist, dass er glaubt, diese Flasche sei die letzte Hoffnung.“
„Klingt danach, als hätte Shawn versucht, einer Frau zu helfen, die ihrem verfluchten Geliebten gefolgt ist“, summierte ich die Ergebnisse auf und setzte eines der Gerüchte in Verbindung. „Womöglich ist er der Vampir, von dem einige, wenige sprachen.“
Olo und Caileass wirkten weiterhin skeptisch, was diese Blutsaugergeschichte anging – Miyakos Gesicht war kaum zu lesen. Sie verfolgte mit wachen Augen und offenen Ohren das Gespräch, doch schien sie kein Wort leichtfertig auszusprechen.
„Oder Mann und Frau sind schon verloren und Shawn hat versucht, ihren ruhelosen Geistern eine letzte Ruhe zu verschaffen“, warf Garric ein.
Wir überlegten noch eine Weile hin und her, spannen abstruse Theorien und verwarfen sie sogleich wieder. Der Gelehrte meinte schließlich mit einem Blick auf Shawn: „Ich frage mich, was uns die Dörfler womöglich verschwiegen haben. Vielleicht wissen sie von dem Fluch und der Spinne.“
„Und schicken uns, um ihren Hunger zu stillen“, vervollständigte Caileass den grausamen Gedanken. Garric nickte bestätigend.

Einen Moment später kündigte er dann an, den Leichnam seines Bekannten begraben zu wollen, damit ihn die Tiere nicht mehr fressen würden.
„Ist doch eh nichts mehr dran“, kommentierte Caileass zynisch und blickte in ein allgemeines Stirnrunzeln. Ich fragte mich zwar auch, warum wir die anderen beiden Männer hatten offen liegen lassen und nun für Shawn eine Sonderbehandlung anstrebten, allerdings hatte ich auch gelernt, dass manche Gedanken in menschlicher Gesellschaft nicht ausgesprochen werden sollten. Der Söldner beließ es aber auch bei bitteren Worten und half dem Gelehrten anschließend ein Grab für Tulpert auszuheben.

Dann wagten wir uns wieder in den Morast. Caileass zog dabei den improvisierten Einbaum mit, welcher Maglos als Floß diente. Wir kamen nur sehr langsam vorwärts, da uns der Schlamm rasch bis an die Knie und darüber hinausging. Ich versuchte mich auf die Schönheit zu besinnen, die auch dieser Ort zu bieten hatte – neben vereinzelten Blumen war das der allgemeine Klang des Lebens, den zu würdigen, viele Menschen vergaßen, sobald die Natur ihnen das Vorankommen erschwerte.
Doch immer wieder erblickten wir weiße Gespinste in den Bäumen, kleinere Kokons von Opfern der Gladiatorspinne, welche ein gewaltiges Jagdgebiet besitzen musste. Ihre Zahl stieg mit unserem Fortschritt und bald wurde es selbst für mich schwierig, diesem Ort abzugewinnen, dass er eine eigene Schönheit besaß. Wir marschierten schweigend und jeder hing seinen eigenen, düsteren Gedanken nach.
Nach einer halben Stunde wurde der Boden unter unseren Füßen langsam trockener und schließlich spürten wir endlich wieder feste Erde. Doch diese Erleichterung bildete einen krassen Kontrast zu unserem neuesten Fund: ein mehr als vier Meter hohes, die gesamte vor uns liegende Lichtung ausfüllendes Gebilde aus Spinnweben. Man könnte fast sagen, es sei ein…Haus. Es wirkte wie aus einer anderen Welt, denn es schien wie das Zerrbild einer menschlichen Wohnstätte – kreiert aus einem achtäugigen Blickwinkel. Bei diesem Anblick stiegen dunkle Erinnerungen in mir empor. Ich war mir ihrer kaum bewusst, wie sie langsam in mein Bewusstsein zurückkrochen, aus dunklen Ecken, die ich lange verschlossen glaubte. Es waren schreckliche Gedanken, die ich nicht mehr bewusst beschwören konnte, was mir wie ein Segen schien. Nun trafen sie mich jedoch wie ein Hammerschlag und ich benötigte einen Moment um die Nacht, die mich bereits so viele Jahre umschlungen hatte und nun erneut mit ihren dunklen Fängen nach mir griff, zurückzudrängen.

Als ich mich wieder konzentrieren konnte, sah ich wie Caileass Garric eine Fackel übergab, der sie schnell entzündete, um uns einen Weg in dieses Gebilde zu brennen. Maglos stand nehmen mir und stupste meine Hand erwartungsvoll an. Ich kraulte ihn beruhigend, während der Gelehrte jede Menge schwarzen Rauchs produzierte, als er die Spinnfäden bearbeitete. Mir fiel auf, dass dieses Netz teilweise silbrig glänzte – es wäre beinahe schön, würde es nicht so abweisend und starr wirken. Ob das noch etwas war, das eine gewöhnliche Gladiatorspinne zu tun vermochte? Wahrscheinlich nicht, allerdings war ich mir mittlerweile auch sicher, dass das kein gewöhnliches Tier war. Dennoch überlegte ich mir, dem Wesen eine Chance zu geben. Es würde ein Griff nach seinem innersten Geist werden und vielleicht könnte ich es überzeugen, dass wir nicht hier sind, um zu töten. Unser erstes Ziel sind Antworten auf die Fragen, die Shawns Tagebuch ebenso aufgeworfen hatte wie die bizarren Geschichten der Dörfler.

Der Rauch stank gewaltig, doch der Gelehrte schien sich keine schlimme Vergiftung zuzuziehen. Vielleicht hatte er das eine oder andere Alchemielabor überstanden. Ein menschengroßes Loch ermöglichte es nun, nacheinander in diese Behausung einzudringen. Ich umschloss den Stoßspeer fester, nun jederzeit bereit, einem Angriff zu begegnen.
Tatsächlich handelte es sich nicht einfach um eine verformte Kuppel, sondern dieses „Haus“ besaß sogar abgetrennte Kammern. Einige Wände schimmerten silbrig, lediglich die rechte wirkte wie aus gewöhnlichen Spinnfäden gemacht – von ihrer Dicke und Dichte einmal abgesehen. Es war Olo, der nun schließlich den Versuch wagte, durch die „versilberten“ Wände durchzudringen. Er zückte sein Kurzschwert und begann eifrig hinein zu schneiden – Faden um Faden, den er durchtrennen konnte, blieb an der Klinge haften. Rasch hatte sich ein dichtes Netz über die ganze Länge der Waffe gezogen und der Halbling hatte gerade einmal die Oberfläche angekratzt. Schließlich hatte er sogar Mühe, das Schwert nicht gleich aufgeben zu müssen. Mit einem letzten Kraftakt entriss er es noch einmal den gierigen Spinnweben. Missmutig blicke er zu uns anderen und wir konnten ihm nur ein Schulterzucken bieten. Garric gab die Fackel an Caileass weiter und der wandte sich dann der rechten Wand zu – der einzigen, die wir wohl in einer halbwegs sinnvollen Zeit durchdringen konnten.

Es folgte Kammer für Kammer und es schien bald, als würden wir beinahe wie in einem Strudel zur Mitte hin eilen. Das Licht wirkte seltsam hier – zum einen schluckte das Netz einiges vom Sonnenlicht, zum anderen widerspiegelten die Wände das Licht der Fackel. Insbesondere die Silberfäden glitzerten immer wieder auf. Doch es war eine seltsame Helligkeit, als würden sich diese Spinnweben dagegen wehren wollen, das Licht wieder preiszugeben und es überkam mich bald das Gefühl, dass die Wände immer weniger Helligkeit wiedergeben wollten desto weiter wir vorankamen, bis schließlich nur noch ein dämmerndes Zwielicht verblieb. Und es war ein mühseliger Weg voran. Bei jedem Hieb und jedem Schnitt, den die Klingen meiner Gefährten gegen die Spinnweben führten, rissen etliche davon ab und schlangen sich um den Stahl. Immer wieder mussten wir innehalten und die Waffen freimachen aus der Umarmung der klebrigen Fäden, die sich wie der Mantel des Todes um alles legen und langsam ersticken wollten.
Eine der nächsten Kammern bot ein unerwartetes Bild: im Raum stand ein Stuhl! Er wirkte ziemlich zerknirscht, Stücke waren herausgebrochen und ein Bein fehlte – doch es war eindeutig ein gewöhnlicher Stuhl, wie man ihn auch in jedem beliebigen albischen Haus finden konnte. Dieser einfache Gegenstand wirkte wie die gestaltgewordene Antithese zu allem, was uns hier umgab. Wir waren auf einer Lichtung, die offensichtlich das Lager einer gewaltigen Gladiatorspinne sein musste, die sich ein riesiges Nest aus Spinnweben geformt hat, das beinahe wirkte wie eine Hütte. Es gab keinerlei Spuren, dass hier früher ein Gebäude gewesen war: der von Spinnweben überzogene Boden wies nicht mehr auf, als gewöhnliche Erde. Und doch stand hier ein Stuhl.
„Vielleicht ein Beutestück“, mutmaßte Olo.
„Aber von welchem Opfer? Die Spinne hätte schon ins Dorf krabbeln müssen, um sich einen Stuhl mitzunehmen“, kommentierte Caileass.
„Nun, vielleicht hat die Frau diese Möbel besorgt…für ihren verfluchten Geliebten?“, warf jetzt Garric die nächste Vermutung in die Runde.
„Es könnte jedoch auch…“, formulierte ich zögerlich den Gedanken, der mir kam. „Und bedenkt, dass das reine Spekulation ist! Aber es könnte doch auch sein, dass der Geliebte dieser Frau in diese Gladiatorspinne verwandelt wurde. Das klingt auch für mich gewagt“, setzte ich noch hinzu, als ich einige skeptische Blicke erntete. „Aber womöglich sollten wir nicht direkt die Waffen ziehen, sobald uns diese Bestie gegenübersteht.“
Die anderen schienen nicht ganz überzeugt, denn welcher Fluch sollte einen Mann in eine Gladiatorspinne verwandeln können? Ich wusste es selbst nicht, doch es schien sich mir förmlich aufzudrängen, wenn man dieses Zerrbild einer menschlichen Behausung betrachtete.

Wir arbeiteten uns weiter voran, langsam aber sicher auf das Herz dieses riesigen Spinnenhorts zu. Dabei entdeckten wir zunächst einen Sattel, der das Wappen von Crossing trug und dessen Haltegurte zerrissen waren. Vielleicht hatte die Spinne ein Pferd gerissen und dann…den Sattel mitgenommen?
Kurz darauf fanden wir einen in Gold gefassten Handspiegel, in den Caileass hineinblickte, aber ansonsten unberührt ließ. Es geschah Nichts und wir gingen weiter; bald entdeckten wir ein grünes, zerschlissenes Abendkleid. Unsere Verwirrung stieg. Gegenstand für Gegenstand rückte in unsere Wahrnehmung und wir waren nicht mehr sicher, ob es Hinweise oder Ablenkungen waren. Warum diese ganzen menschengemachten Gegenstände?
Olo kam mit der Theorie auf, dass der Verfluchte diese Sachen womöglich gesammelt hatte, um sich an sein früheres Leben zu erinnern. Dies blieb vorerst unsere stützende Theorie, was hieß, dass wir unserem Ziel – wie auch immer es aussehen sollte – schon sehr nahe waren.

Gerade hatte Caileass mit einem letzten, geraden Schnitt den Weg in eine weitere Kammer freigemacht, da entdeckten wir dort ein kleines Diadem. Es war aus Silber gemacht mit einem eingefassten Saphir, der im Licht der Fackel vielfältig, blau schimmernde Facetten aufwies. Olo Platschfuß tat bereits einen Schritt auf das Schmuckstück hinzu!
„Halt ein! Wir sind umringt von verwunschenen Dingen an einem Ort, der von einem Fluch bewohnt wird. Diesem Diadem könnte etwas Schreckliches anhaften!“, rief ich dem Halbling zu. Doch er drehte sich nur kurz zu mir um und blickte mir aus Augen entgegen, in denen sich neben der Gier ein naiver Stolz zeigte. Trotzig machte er einen weiteren Schritt, hob das Diadem auf und setzte es sich auf den Kopf.

Mit einem Mal schien es, als wäre Olo in einen schwarzen Abgrund gerissen worden. Der Boden hatte sich unter seinen Füßen in eine dunkle, wabernde Masse verwandelt, die nun begann seine Beine empor zu kriechen. Der Halbling blass und starrte auf das Grauen, das er heraufbeschworen hatte, ehe er verzweifelt begann, auf den finsteren Schatten einzuschlagen. Da wurde es deutlich! Es waren nicht dutzende, nicht hunderte, wohl eher tausende kleine, schwarze Spinnen, die, vormals gut versteckt, zwischen den Spinnweben am Boden hervorgekrochen waren und sich nun in einer gemeinsamen Stampede über Olo ergossen. Der warf nun, endlich, panisch die Krone weg – doch es war zu spät und der Zorn der Horde entfesselt. Über seine Füße, durch die Hosenbeine über den Bauch und auf die Arme krochen jederorts diese kleinen Spinnen herum und begann ihren Versuch, den Halbling beim lebendigen Leibe zu verspeisen. Schreiend fiel er nach hinten in der verzweifelten und wahnsinnigen Hoffnung, sich an der Wand abreiben zu können. Binnen eines Augenblicks war er so verklebt, dass keinerlei Hoffnung mehr bestand, das er da alleine rauskommen würde.
Miyako und Garric stürmten los und zückten ihre Klingen, um Olo aus dem Netz herauszuschneiden. Der Gelehrte hatte jedoch nur einen Dolch zur Verfügung und riskierte nahen Körperkontakt – dutzende Spinnen liefen auf ihn über und begannen auch dort ihr übles Beißwerk. Aber im Vergleich zu den Myriaden, die über den Halbling strömten, war dies nur ein schwacher Abklatsch, den er mit Leichtigkeit abschütteln konnte. Währenddessen zog ich meinen Wasserbeutel aus dem Rucksack und schüttete seinen Inhalt über Olo aus – wie in einer Sintflut wurden die Spinnen fortgespült und der Alptraum schien ein Ende zu nehmen. Es war ein Stich in mein Herz, dass einige der kleinen Tiere einen elendigen Tod nahmen, als das Wasser sie übermannte, doch ich hoffte, dass dieser närrische Halbling noch einen Nutzen für eine höhere Sache haben würde.
Caileass riss ihn schließlich aus den silbrigen Spinnweben heraus, doch Olo war immer noch über und über mit den klebrigen Fäden bedeckt, dass er sich kaum bewegen konnte. Mühselig quälte er sich daher aus einer Kleidung und war sich nicht zu schade, sich uns nur noch mit einem Lendenschurz bewehrt zu präsentieren. Beinahe liebevoll strich er über seinen beträchtlichen Bauchumfang und warf Miyako ein kurzes, schelmisches Zwinkern zu. Ihr Gesicht blieb wie eh und je eine ruhige und ausgeglichene Maske, die nichts von ihrem Inneren verriet.
„Nun, Olo? Wirst du das nächste Mal auf mich hören?“, konnte ich mir die Spitze dann doch nicht verkneifen.
„Also, eigentlich bist ja du schuld, Ilfarin!“, entgegnete er mir mit einer beinahe kindlichen Überzeugung. „Du hast mich immerhin angestiftet!“
„Ich dich…? Was?“
„Na, du hast gesagt, das könnte gefährlich sein. Wer sollte es dann wagen, wenn nicht ich?“

Olo strahlte mit einem breiten, unverbesserlichen Grinsen in die Runde, während ich mein Gesicht verzweifelt in meinen Händen verbarg. Im nächsten Moment schulterte der Halbling dann wieder seinen Morgenstern und sprach diesem absurden Szenario, in das wir hineingerutscht waren, durch seine Figur dermaßen Hohn, dass ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen konnte. Dies war wohl unser Testlauf für das große Finale gewesen, es lag deutlich in der Luft, dass das Ende nahte.

Kurz darauf entdeckten wir ein zerstörtes Wagenrad – falls eine Logik hinter dieser wahllosen Ansammlung an Gegenständen steckte, so war sie verhüllt oder dieser Ort hatte sich wie Spinnweben auf unseren Verstand gelegt und alles verklebt. Danach fanden wir jedoch etwas, das schon wieder mehr in diese bizarre Geschichte passte: ein Kamm aus Perlmutt, an dessen Seite ein kleines Einhorn eingraviert war. Das sprach für nicht geringen Reichtum des einstigen Besitzers und Garric mutmaßte, dass dies das Wappentier eines großen albischen Clans sei – mit deren Namen ich allenfalls grob etwas anfangen kann. Aber vorerst ließen wir auch das liegen, ehe wir wieder die Pforte zum Abgrund öffneten, in dem wohl immer noch Heerscharen kleiner Spinnen warteten.

Dann war es endlich soweit: nur noch eine Wand trennte uns von der Mitte dieser Netzhütte und wir erhaschten einen Blick auf einen dunklen Schemen, der dahinterlag. Es war etwas Großes, das sich aber nicht zu bewegen schien. Vorsichtig schlitzte Caileass einen Sichtschlitz für uns und wir warfen einen Blick auf dieses großes Gebilde: es war ein gewaltiges, wohl mehr als die Hälfte der Kammer ausfüllendes Himmelbett, dessen Pfosten aus Birkenholz gemacht waren. Weiße Schleier ermöglichten lediglich einen getrübten Blick auf die dort liegende Person; eine junge Frau. Sie war auf ein Meer aus Blättern gebettet und schien tief und fest zu schlafen.
Behutsam bahnten wir uns dann den Weg weiter und konnten schließlich einer nach dem anderen eintreten. Auf dem Boden waren allerlei frische Nahrungsmittel verstreut, die deutlich dafür sprachen, dass die hier nahezu verschollen wirkende Frau keinen Hunger zu leiden hatte.

Es war Garric, der nun an das Bett herantrat und behutsam an der Frau rüttelte, um sie zu wecken. Doch ehe sie die Augen aufschlagen konnte, schien sich das Himmelbett über ihr zu bewegen. Die Decke drehte sich, Äste fielen herab und auch die Pfosten schienen sich zu teilen, weiße Fäden abzusprengen, die vormals wie die Schattierungen einer Birke gewirkt hatten… mit einem Mal wurde das ganze Ausmaß des Grauens offensichtlich: das Bett war die Gladiatorspinne! Ihre riesigen Beine hielten den Körper auf einer gewaltigen Höhe von zwei Metern, von wo aus ihre geifernden Zangen selbst auf Caileass herabwiesen. Schwarze, lichtverschluckende Augen waren rund um den Schädel herum angereiht, dass trotz ihrer scheinbaren Regungslosigkeit klar war, dass sie uns alle sehen konnte – und sie wirkte nicht erfreut.

Ein bedrohliches Klicken begleitete ihren Tritt gegen Garric, der gerade so unter dem Bein hinwegtauchte. In ein und demselben Atemzug zückte Caileass seinen Rapier, Miyako ihr östliches Langschwert und Olo legte beide Hände mit den Worten „Zeit zum Kämpfen!“ an den Morgenstern. Flehend rief ich in Erinnerung an meine Theorie des Verfluchten: „Gebt mir einen Moment! Einen Versuch!“
Dann tauchte ich in das Leben ein, das mich umgab und sprach Worte der Macht, die meinen Geist leiten sollten. Behutsam tastete ich nach dem Verstand der Spinne, wobei ich immer wieder beruhigend flüsterte. Ein Kampf war unnötig, genug Blut war bereits vergossen worden – das Leben war zu kostbar, um es jetzt in einem weiteren, sinnlosen Gefecht weiter zu vergeuden. Wir waren hier, um zu helfen und einen Fluch zu brechen, der schon viel zu lange auf diesen Menschen lastete. Dies war die Botschaft, die ich im Geiste an die Spinne aussandte – doch ich spürte da kein Tier, welches empfänglich sein könnte. So schien ich mit meiner Überlegung recht zu haben, doch zerriss es mir mein Herz: es schien, als wäre der Verfluchte wahnsinnig geworden, sodass nur noch eine Möglichkeit für uns geblieben war.
All dies geschah binnen weniger Sekunden und ich blickte schließlich in acht nachtschwarze Augen, die keinerlei Regung verrieten – die anderen sahen meine tiefe Enttäuschung und bildeten eine Kampflinie gegen die gewaltige Spinne. Der kurze Moment absurder Ruhe verkehrte sich und wich dem Krachen mächtiger, arachnoider Gliedmaßen gegen scharfes Metall.

Die ersten Angriffe Olos und Miyakos wischte die gewaltige Spinne beiseite, als wären sie lästige Fliegen – die Lücke nutzte jedoch Caileass für sich. Der Söldner tauchte blitzschnell unter den Beinen des Tieres hinweg und stach in den Unterleib hinein. Das Wesen quiekte feindselig auf und wandte sich dann dem gefährlichen Angreifer zu. Diese allgemeine Unruhe nutzte Garric und schüttete den Inhalt jener dubiosen Flasche auf die schlafende Frau – der Trunk benetzte ihr Gesicht und sie schien zu Zucken, als wäre sie plötzlich im Wachwerden begriffen. Aber war das nicht eigentlich für den Verfluchten bestimmt gewesen? Oder war es nun für ihn zu spät und es diente einer letzten Rettung der Geliebten? Wohl eine Frage für die Alchemisten in ihren düsteren Laboren, aber nicht für mich und nicht in diesem Augenblick!
Ich ließ meinen Stoßspeer fallen und beschwor eine neue Welle an Macht herauf. Schützend legte ich Caileass die Hand auf die Schulter und rief mir im nächsten Moment das Bild einer mächtigen Eiche ins Gedächtnis – fest stehend gegen jeden Sturm. Diese Kraft übertrug sich auf den Söldner und seine Haut verwandelte sich am ganzen Körper in eisenharte Rinde.
Mit diesem neuen Schutz versehen, machte er einen Ausfallschritt, auf den so mancher Fechtlehrer stolz gewesen wäre, und verpasste der Spinne einen weiteren Treffer. Das Biest gebärdete sich wie wild und schlug mit ihren vordersten Beinen um sich, als wären es gewaltige Sensen.

Ich versuchte indes dieselbe Magie beim Halbling. Zweimal packte ich die Eichenrinde, die mich wie ein Talisman begleitete, und versuchte die Kraft mächtiger Bäume auf Olo zu übertragen und zweimal scheiterte ich. Ob mir die Natur seiner Art Widerstand bereitete oder ich einfach nicht die nötige Konzentration aufbringen konnte, blieb mir unklar und ich hatte auch nicht mehr lange Zeit, darüber nachzudenken: die Gladiatorspinne bäumte sich auf und spann binnen weniger Sekunden ein gewaltiges Netz, das sie auf Caileass abschoss. Der Söldner verhedderte sich in den Fäden und stürzte zu Boden.
Die anderen beharkten das Biest direkt mit weiteren Angriffen, sodass sich ihr keine Möglichkeit bot, Caileass zur Strecke zu bringen – Garric rief sogar eine Zauberformel, welche jedoch die Spinne nicht zu kümmern schien. Hastig kniete ich neben ihm nieder und riss Spinnwebe für Spinnwebe von ihm herunter, bis er schließlich wieder frei war und sich erneut in den Kampf gegen die Bestie warf.
Ich sah zu dem Stoßspeer, der unweit von mir lag und fasste mit einem kurzen Blick zur Spinne einen kühnen Entschluss. Einen Handschuh wegschleudernd packte ich die Spitze fest mit einer Hand, sodass sich das Eisen in meine Haut bohrte und Blut herausfloss. Der Gelehrte Garric blickte mich entgeistert an, doch ich war fest entschlossen. Ich konzentrierte mich vollständig auf den Schmerz und das vergossene Blut – und weckte den tiefsten Überlebensinstinkt in mir.

Mit einem beinahe tierischen Knurren sprang ich auf, den Stoßspeer fest umklammert, und stieß auf die Spinne ein. Das Kampfgetümmel hatte sie unaufmerksam werden lassen und die Spitze meiner Waffe fuhr in sie hinein. Ein weiteres Kreischen, dann setzte schon Miyako nach, glitt zwischen den Beinen hindurch und zerschlitzte die Unterseite der Spinne. Ihr Kampfstil hatte etwas von einer Flamme, die immer wieder unberechenbar aufloderte.
Unser Gegner knickte bereits leicht ein, da schwang Olo den Morgenstern beidhändig über seinen Kopf und ließ die stachelbewehrte Kugel mit einem gewaltigen Krachen auf den Kopf der Spinne niederfahren. Ohne einen weiteren Laut fiel das Tier zur Seite und blieb regungslos liegen – das grünliche Blut sickerte aus einem halben Dutzend Treffern auf den Boden. Der immer noch halbnackte Halbling zeigte uns ein stolzes, aber auch fast schon wahnsinniges Lächeln.

Plötzlich erklang eine weibliche, schrille Stimme: „Wo ist Aldwin?! Was habt ihr getan! Ihr habt Aldwin getötet!“
Es war die Frau, welche sich halb von ihrem Blätterhaufen erhoben hatte und entsetzt auf die schlimm zugerichtete Leiche der Gladiatorenspinne blickte. Sie wurde leichenblass, doch nahm sie Garrics Hand und stand auf. Wir geleiteten sie sicher aus der Behausung, wobei die anderen noch mitnahmen, was als rätselhafte Einrichtung gedient hatte und noch einen kleinen Wert entwickeln könnte.
Nach einer Weile hatte sich die Frau dann beruhigt und brachte ein wenig Licht ins Dunkle.
„Mein Name ist Melioden NiAelfin. Aldwin und ich waren Geliebte, damals auf der Burg meines Vaters. Doch er fand etwas über den Zauberer heraus und der…hat ihn verflucht. Er ist geflohen und dann bin ich ihm nach…“
Sie wirkte immer noch verwirrt, sodass Garric nachfragte: „Wann seid Ihr ihm nach?“
„Ich weiß es nicht, die Zeit ist vergangen, als wäre ich in seltsamer Trance gewesen.“ Sie nannte uns die Jahreszahl und wir starrten uns erstaunt an: das war bereits ein Jahr her.
„Du sprachst von deinem Vater, Melioden. Wer ist er?“
„Er ist der Laird des Clans“, offenbarte sie, als wäre es eine Kleinigkeit. „Bitte…ich will hier weg“, flehte sie dann.
„Das ist kein Problem, ein Landsitz des Clans befindet sich nur wenige Tagesmärsche von hier entfernt bei Crossing.“
„Eine Sache noch“, hakte ich weiter nach. „Was ist mit dem Zauberer passiert?“
„Nach Aldwins Enthüllungen ist er geflohen…ich weiß nicht…“
„Wohin? Wie ist sein Name?“, ließ ich nicht locker.
„Ich weiß es nicht“, wiederholte die Lairdstochter. Dieses Jahr schien enorm an ihr gezehrt zu haben.

Wir beließen es dabei und rasteten etwas entfernt von dieser spinnwebverseuchten Lichtung. Anschließend reisten wir ohne weitere Zwischenfälle binnen zweier Tage zurück zum Sturen Ochsen. Der Wirt betrachtete uns mit hochgezogenen Augenbrauen, als wir vom Matsch gezeichnet und von Regen durchnässt wieder auftauchten und meinte dann mit einem breiten Grinsen: „Wollt ihr ein Bad?“
Erleichtert nahmen wir das Angebot an und bekamen sogar erwärmtes Wasser geboten, sodass wir uns eine deutliche Erholung von den vergangenen Tagen gönnen konnten. Während ich so im Bottich lag, sinnierte ich über das Kommende. Wir würden Melioden zurück zu ihrer Familie bringen, wo sie in Sicherheit war. Danach war ein Abstecher nach Crossing sicherlich sinnvoll, vielleicht würden sich dort neue Gerüchte auffangen lassen. Ich befürchtete, dass ich mit diesem Abenteuer zwar der Welt ein Stück ihres Gleichgewichts zurückgegeben hatte, allerdings meiner eigentlichen Beute keinen Schritt näher gekommen war. Der Schatten huschte sicherlich noch durch Alba, doch nun war ich erneut darauf angewiesen, nach jedem kleinen Hinweis und noch so unwahrscheinlichem Gerücht die Augen und Ohren offen zu halten.
Aber vorerst war ich nicht allein. Der Gelehrte und Magiekundige Garric Falstaff und Caileass, den Söldner, Lautenspieler und Zaubereiinteressierten. Die schöne, aber undurchschaubare Miyako aus dem fernen Osten sowie den seltsamen Halbling Olo Platschfuß mit seinem Morgenstern auf der Suche nach mystischem Tee.

Spannende Tage lagen vor uns.

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