Das Fachwerkhaus war rechteckig. Damit war es zusammen mit der Schmiede das einzige Gebäude im gesamten Dorf, das sich der Kreisform widersetzte. Die Tür war unverschlossen und als nach mehrmaligem Klopfen niemand antwortete, traten wir ein. Wir mussten uns allesamt bücken, als wir eintraten, scheinbar waren die Anwohner etwas kleiner.
Die Tür führte zunächst in einen Flur, der fast das halbe Erdgeschoss einnahm. Rechterhand führten drei Türen in weitere Zimmer, gegenüber von uns eine Treppe nach oben, unter der sich hinter einem schmalen Türchen wahrscheinlich eine Besenkammer verbarg. Links von uns hingen sechs Gemälde an der Wand. Die dargestellten Menschen wirkten im Vergleich zu den sie umgebenden Menschen etwas klein. Bei zweien gab es sogar ein Ganzkörperporträt, das auch ihre Füße zeigte – unbeschuht, auf der bloßen Erde.
„Das sind Halblinge“, stellte Jenn fest. „Allesamt.“
„Erklärt die Größe des Hauses, eigentlich des ganzen Dorfes, wenn ich so darüber nachdenke“, murmelte Mara, die sich gerade durch die niedrige Tür in den ersten Raum auf der rechten Seite gekämpft hatte. „Hier ist nur ein Ein-Mann-Schlafzimmer. Sieht aber aus, als könnte hier kürzlich jemand gewesen sein.“
Suena ging indes mit Jenn die Gemäldereihe ab. „Hier hängen Messingschilder mit den Namen der Abgebildeten“, stellte die Ywerdonnerin fest. „Dieser Greis hier am Anfang heißt Yrkoon. Der Rothaarige neben ihm ist Trason, der nächste Galron. Die Frau mit den langen, schwarzen Haaren heißt Lera, der Glatzkopf hier ist Galadis und hier …“
„Fehlt ein Bild“, stellte Suena fest. Die beiden standen vor einer Lücke in der Reihe, eine helle Stelle an der Wand verriet, dass hier ein Gemälde fehlte. Auch dass Messingschild schien entfernt worden zu sein.
„Und der letzte in der Reihe ist ein gewisser Boged“, las Jenn vor. Sie blickte auf einen etwas älteren Mann mit lockigen Haaren.
„Ich kenne diesen Halbling. Ich sah ihn in meiner Vision, die ich hatte, als ich Gembal berührte. Er wies auf etwas, wir standen in der Nähe eines Dorfes …“
„Dieses hier?“, fragte Zedd.
„Könnte sein, es war nur ein kurzer Eindruck, der vor meinen Augen aufgeflackert war.“ Wir warfen noch kurze Blicke in die übrigen Türen im Erdgeschoss, hinter denen sich zwei weitere Bettkammern und die erwartete Besenkammer befand. Dann gingen wir die Treppe nach oben.
Über etwas schmale und niedrig
ansteigende Stufen fanden wir unseren Weg in den ersten Stock, der von einem
einzigen großen Zimmer eingenommen wurde. In der Mitte befand sich ein Tisch
mit verschiedenen gläsernen und kupfernen Apparaturen sowie Kesseln über denen
ein eiserner Schacht nach oben aus dem Dach herausführte. Die Wand rechts von
uns war mit Regalen belegt, in denen dutzende Bücher und dazwischen gestopfte
Schriftrollen ihren Platz gefunden hatten. Gegenüber befand sich ein offener
Schrank mit großen Messern, überdimensionierten Scheren sowie einer unangenehm
erscheinenden Säge – aber auch einige Verbände, Gläschen und verschiedene
Tinkturen. Ein Medizinschrank. Links standen einige Truhen und ein großer
Schreibtisch. Und an diesem saß ein kleiner Mann, den Kopf vornüber geneigt.
Neben ihm lehnte ein Eichenstab gegen den Tisch, der im Licht meiner Lampe
glitzerte. Beim zweiten Blick ließ sich das feine Netz aus silbernen Fäden erkennen,
das sich darum spannte.
Mara ignorierte den Mann und machte sich daran, die Regale zu durchsuchen,
wobei sie rasch Jenn zu sich zitierte, um die Titel vorzulesen. Suena trat
indes an den Bewohner heran, Zedd und ich waren hinter ihr. Er war wirklich klein,
mehr als einen halben Meter kleiner als ein gewöhnlicher Mensch. Seine Füße
hingen unbeschuht unter dem Stuhl, der Kopf mit lockigem, grauen Haar ruhte auf
seinen Armen auf dem Tisch. Keine Regung ging von ihm aus. Es war ein sehr
alter Halbling.
„Das könnte dieser Boged sein“, überlegte Suena. „Nur noch älter als auf dem
Bild.“
„Ist er tot?“, fragte Zedd. Zur Prüfung rüttelte die Hexe ihn zunächst an der
Schulter. Als darauf keine Reaktion erfolgte hielt sie dem Halbling eine Hand
vor die Nase und die andere an den Hals. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er
schläft. Oder etwas in der Art. Der langsame Herzschlag erinnert mich an diesen
erstarrten Hund draußen.“
„Hat er etwas bei sich?“, fragte ich. Suena tastete den Mann ab, doch seine
Taschen waren leer. Doch als sie seinen Kopf etwas anhob, um an die Hände zu
kommen, wurde sie fündig. „Er hat einen Zettel in der Hand! Das dürfte
Erainnisch sein. Jenn, was steht hier?“
Die Ywerdonnerin kam rasch herbei, um den kurzen Schriftzug vorzulesen: „Gut und
Böse haben nichts gemeinsam. Mein Name und das Dorf hingegen schon. Sagt es
laut, wenn ihr es findet.“
„Was?“, stutzte ich. „Was soll das denn heißen?“
„Es ist ein Rätsel“, sagte Suena. „Gut und Böse haben nichts gemeinsam, aber
sein Name – Boged- etwas mit dem des Dorfes … wie heißt das Dorf?“
„Gute Frage“, meinte Jenn.
„Stand etwas in den Büchern dort hinten?“
„Sah nicht so aus. Viele Werke habe ich gar nicht verstanden, aber es gab ein
paar, die von den Halblingen unten auf den Porträts geschrieben wurden. Yrkoons Buch der Flora und Fauna, Trasons
Buch der Tore, Galrans Buch der Naturkräfte, Leras Buch der Illusionen und Galadis‘ Buch der Schilde. Und ein
Wörterbuch für die alte Sprache Maralinga.“
Ich brummte nur, da half mir Zedd: „Maralinga ist die alte Sprache, aus der
sich auch die Vallinga oder auch das Neu-Vallinga entwickelte. Sie wird
eigentlich von niemandem mehr muttersprachlich gesprochen, hat aber eine große
Bedeutung für manche Rituale oder auch Kulthandlungen.“
„Aha, ist ja interessant. Und hilft uns das?“
„Wer weiß? Ich nehme es mal mit.“
Ich grummelte noch etwas von Zauberern bestehlen in meinen Bart, aber Jenn
wandte sich schon in einer anderen Sache an Suena: „Weißt du, was es mit dem
Stab auf sich hat?“
„Das ist eher eine Sache für Magier, die eine akademische Ausbildung genossen
haben. Er kann verschiedene Zauber in sich tragen oder auch einfach ‚nur‘ ein
Stab sein, der mit einem Netz Alchimistenmetall umgeben wurde.“
„He!“, rief Mara. Sie hatte die Schränke scheinbar bereits durchgesehen und war
zu den Truhen gekommen. „Kann einer von euch Schlösserknacken?“
Jenn warf mir einen vielsagenden Blick zu, ich daraufhin einen etwas unsicheren
zu dem Zauberer – allerdings konnte ich das nicht so stehen lassen. Also packte
ich mir ein Herz und eine meiner neuesten Errungenschaften aus Ealalinn: eine
Brechstange. Ich ging zu Mara, nickte ihr kurz selbstsicher zu, setzte das
Eisen an und hebelte den Deckel nach oben … doch das Material hielt. Ächzend
stieß ich Luft aus. „Ganz schön widerspenstig.“
„Vielleicht geht es ja hiermit“, meinte Suena trocken, die indes einen
Schlüssel im Schreibtisch Bogeds gefunden hatte.
Ich machte etwas Platz, Suena
schloss auf und enthüllte, dass in der ersten Truhe Kleidung, in der zweiten
verschiedenste Zutaten gelagert wurden. Nichts, was sehr auffällig war, so die
Zauberer. Damit hatten wir das Zimmer recht gründlich durchsucht, nur das
Rätsel blieb.
„Wie war der Name des Dorfes?“, überlegte Suena noch, da rief Jenn: „Oristar!
Das war doch in die Steine vor dem Kuppelbau eingelassen.“
„Ah ja, aber was haben Oristar und Boged gemeinsam?“
„Vielleicht ist auch nicht dieses Dorf hier gemeint“, überlegte Mara. „Sondern
die Ruinen im Norden. Es waren ungefähr fünf Meilen bis dorthin, das schaffen
wir noch im Schutz der Dunkelheit, wahrscheinlich sogar noch zurück, wenn wir
müssen.“
Ich zuckte nur die Achseln, ehe ich sagte: „Alles besser, als untätig hier
herumzusitzen.“
„Dann versuchen wir es zunächst dort, bevor wir uns hier mit unvollständigen
Informationen den Kopf zermatern“, schloss sich Suena Maras Vorschlag an.
So zogen wir uns vorerst aus dem
Haus und Oristar zurück, falls das Dorf tatsächlich so hieß, und marschierten
in nördliche Richtung über das freie Feld. Mit Unbehagen glitt mein Blick über
den Nachthimmel, doch die Drachen schienen nun auch zu schlafen – hoffentlich.
Wir liefen unter den Sternen und dem fahlen Mond über die dunkle Wiese, als
Mara plötzlich stehenblieb. „Seht ihr das? Da vorne nähern sich drei Gestalten,
mindestens zwei Meter groß.“
Ich kniff die Augen zusammen, um in der weiten Dunkelheit vor uns etwas
auszumachen … tatsächlich erkannte ich drei Schemen, die sich noch gegen den
Hintergrund abhoben. „Sie kommen
auf uns zu – schnell. Aber was sind sie?“
„Nichts Gutes“, meinte Suena. „Vielleicht könnten wir im Nebel entkommen.“
„Welcher Nebel?“, fragten Jenn und ich gleichzeitig, da hob die Zauberin
bereits die Hände. Ich spürte, wie die Luft feuchter wurde, meine Kleidung
klamm wurde. Nebel erhob sich um uns und versperrte uns bis auf ein Dutzend
Meter die Sicht.
„Ob uns das hilft?“, fragte Mara skeptisch und zog ihren Bihänder.
„Rasch jetzt!“, zischte Suena und wir folgten ihr nach – in Richtung Osten, um
diese Gestalten zu umgehen. Der Nebel schien mir sehr wirklich, obwohl er durch
Zauberei hervorgerufen wurde, und wir kamen nur langsam voran. Dann hörten wir
Schritte, rasch, entschlossen. In unsere Richtung. Wir sahen sie wieder. Die
drei Gestalten standen zwanzig Meter von uns entfernt, allesamt mehr als einen
Kopf größer als wir. Sie trugen lange schwarze Mäntel, die ihre Gestalt
verschleierten, doch sie wandten sich uns unweigerlich zu und wir konnten
erkennen, was unter ihren Kapuzen verborgen lag: dunkle Haut spannte sich
straff über ein knochiges Gesicht, das mit anderen Proportionen hätte
menschenähnlich sein können. Uns standen jedoch dämonische Fratzen gegenüber
mit höckrigen Knochenauswüchsen und dreckgelben Augen, die zersplittert
schienen und uns doch fixierten. Sie rannten auf uns zu, die Hände allmählich
erhebend. Aus den Ärmeln tauchten Hände mit langen Krallen auf.
Ich zock Axt und Schild, Jenn Rapier und Parierdolch, Mara war bereits
vorbereitet. Zedd und Suena zogen sich zum Zaubern hinter unseren Keil zurück. Die
Dämonen näherten sich uns mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit, das erste
Biest sprang bereits einige Meter vor uns ab, segelte mit den Klauen zuvorderst
auf Mara zu. Ein Schrei entwand sich dem Hals der Kreatur, der wie zersplitterndes
Glas in die Ohren schnitt – dann machte Mara einen Schritt nach vorn. Eisen
zuckte durch die Luft und wurde vom Mondlicht beschienen. Sie zog den Bihänder
von unten schräg nach oben, durch den Körper des Dämons, der sich mit seinem
vollen Gewicht in diesen Angriff hineinwarf.
Der Kopf fiel mitsamt der rechten Torsohälfte vor Jenn, der Rest mir vor die
Füße.
Doch die anderen beiden Unholde
schienen nur noch entschlossener, der erste erreichte Jenn und wollte sich mit
seinen Krallen auf sie stürzen. Aber die Ywerdonnerin hatte dazu gelernt, rief
einen klingenden Befehl und Kiefer wie eine Presse schlangen sich um den
Knöchel des Dämons – der Wolfshund „Utz“ war zur Stelle. Jenn nutzte die
Überraschung des Angreifers, rammte das Rapier in seinen Hals, dass schwarzes
Blut hervorschoss. Ein Frostball aus Suenas Hand erwischte das Wesen im
Gesicht, riss es vom Jenns Klinge weg auf den Boden. Es regte sich nicht mehr.
Der letzte Dämon stürzte sich auf mich. Der Überzahl gewiss blieb ich ruhig,
ließ seinen Angriff von meinem Schild abprallen, ehe Mara und ich gemeinsam
angriffen. Mein Hieb traf die Kreatur am rechten Arm, brachte sie aus dem
Gleichgewicht – und die Elfe vollendete.
„Nicht schlecht“, meinte ich zu ihr, doch sie zuckte nur die Achseln.
„Keine würdigen Gegner für mich.“
Unsicher sah ich auf die zerschmetterten Gestalten vor uns. „Was sind das
überhaupt für Kreaturen?“
„Dämonen“, erklärte Suena knapp.
„Und wo kommen sie her?“
„Von einer anderen Ebene, nicht von
hier.“
„Also … so ähnlich wie wir?“
Suena verzieht das Gesicht „Nein, ich glaube, das ist wiederum eine andere
Sache. Aber ich denke, wir sollten hier nicht lange verweilen, sondern unseren
Weg fortsetzen.“
Weiterhin etwas ratlos sah ich mir die toten Kreaturen an, allerdings konnte
ich dem Drängen durchaus einiges abgewinnen und hing mich an die anderen, als
wir unseren Laufschritt in nördliche Richtung fortsetzten während sich der
Nebel allmählich verzog.
Das Dorf im Norden war kleiner
gewesen als sein südlicher Nachbar und nun war es vollkommen verwüstet. Wir
standen inmitten verkohlter Fundamente, aus denen nur noch vereinzelt das Holz
der einstigen Gebäude herausragte. Abgebrochene Stümpfe, die letzten Zeugen des
Feuersturms. Es lag noch immer viel Asche hier, obwohl es bereits länger her zu
sein schien, dass dieser Ort zerstört wurde. Einige Reste eiserner
Gerätschaften lagen verstreut entlang des Weges, doch ihr Metall war im
Feuerodem geschmolzen und hatte sich verzerrt. Die Reste reckten dünne Spitzen
gen Himmel – wie flehende Finger.
Es gab keinen Brunnen, der vielleicht einigen Anwohnern ein Fluchtort hätte
sein können. Allerdings war das größte Gebäude am Ende der Straße mit einem
steinernen Fundament versehen. Obgleich der Schutt von mindestens einem Stockwerk
dort den Boden verdeckte. Vielleicht gab es einen Kellerabgang zu einem Raum,
der vom Feueratem der Drachen unberührt geblieben ist.
Wir schritten in die Ruine,
versuchten die geschwärzten Balken beiseite zu räumen und etwas wie eine Treppe
oder eine Falltür zu finden. Zwischen dem Schutt lagen tote Körper,
skelettiert, die Knochen geschwärzt. Einen Moment hielten wir inne … da erhob
sich plötzlich eine der Gestalten. Ihre Überreste türmten sich aufeinander auf,
dann stand sie da und sah uns aus den leeren Augenhöhlen des Knochenschädels
an, an dem noch letzte lange Haare klebten. Mara hatte bereits ihr Schwert
gezogen, bereit den Untoten wieder zurückzuschicken – da sprach es mit einer
hohlen, aber weiblichen Stimme: „Was wollt ihr?“
Wir hielten einen Moment inne, dann trat Suena vor: „Wir haben Fragen über das
Tal.“
„Dann fragt“, sagte die Untote, wobei sie etwas wackelte.
„Wer hat euer Dorf zerstört?“
„Das war Wydor – der goldene Schrecken. Ein Drache“, sagte sie, da knickten ihr
plötzlich die Knie weg. Sie begann wieder zu zerfallen.
„Wie kommen wir in den Kuppelbau im anderen Dorf?“
„Unser Heiligtum“, sagte die Untote mit ihrer hohlfernen Stimme. „Es ist
wichtig … ihr kommt dort nur mit den Zeichen des Friedens hinein. Unbewaffnet.“
Mara ächzte. „Da war doch die Inschrift über der Höhle – wo es mit Gewalt nicht
weitergeht, führt sanfter Wille zum Ziel. Hätten wir uns eigentlich denken
können.“
Das Skelett vor uns blickte uns weiter an, ihre Arme fielen ab.
„Wer bist du?“, fragte ich, bevor sie gänzlich verging.
„Rilia aus Hasenen …“, gab sie noch von sich, da fiel ihr Unterkiefer vom
Schädel. Einen Moment später brach das Skelett vollständig in sich zusammen.
„Wir haben wieder eine Spur“, stellte Mara fest. „Zurück zum Kuppelbau.“
„Das sollten wir noch in der Nacht schaffen“, meinte ich mit Blick zum
Sternenhimmel – auch wenn dieser mittlerweile seine dunkelste Färbung verloren
hatte. Aber vielleicht sahen die Drachen im Zwielicht auch nicht gut.
Wir wandten uns wieder südlich,
die Augen offen. Doch diesmal versuchte uns niemand aufzuhalten und wir
erreichten ungeschoren die magische Kuppel. Wir spürten allesamt mit Ausnahme
Suenas einigen Widerstand beim Eintreten, aber es gelang. Mittlerweile graute
es im Osten bereits. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sich der goldene
Drache wieder am Himmel zeigen würde.
Als wir das „Heiligtum“ dieses Ortes betraten, offenbarte sich auf den zweiten
Blick ein anderer Gedanke: Möglicherweise waren die Bögen hier nicht
aufgehängt, um den Raum zu einer Waffenkammer zu machen, sondern waren schlicht
die Bewaffnung der Gesellschaft, die sich jetzt hinter der Pforte aufhielt.
Suena zückte nun ihren Dolch, legte ihn auf eine Bank und trat an die Tür – sie
schwang auf.
Unser Blick fiel in eine große Halle hinein, die zum Mittelpunkt hin abfiel.
Der Weg dorthin war abgestuft, sodass sich Ränge ergaben – die besetzt waren
von mehr als hundert kleiner Menschen, diesen Halblingen wohl. Allesamt
verharrten sie regungslos, die Köpfe zur Mitte hin gerichtet. Dort am tiefsten
Punkt der Halle stand ein großer, weißer Altar, über dem in ein
Schildkrötenpanzer in einer bläulichen Sphäre schwebte. Das blaue Licht dieser
magischen Szenerie strahlte in die ganze Halle aus, beleuchtete auch die hohe
Kuppeldecke auf der Tiere, Flora und Fauna sowie Landschaftsmerkmale des Tales
in einem großen Relief dargestellt wurden. Das auffälligste Tier jedoch, das in
dieser Halle dargestellt wurde, war auf der zu uns zeigenden Seite des Altars
selbst zu sehen: ein Einhorn.
„Nun, da die Tür ja jetzt offen
ist …“, deutete Mara mit einem Lächeln an – und trat vollgerüstet in die Halle.
Während ich noch zischend Luft ausstieß, blieb jedoch jeglicher magischer
Gegenschlag aus. Zumindest offensichtlich. Um zu vermeiden, von irgendwelchen
Hexereien verflucht zu werden, legte ich mein Arsenal ab, Jenn ebenso. Zedd
entschied, bei unseren Sachen zu warten, also gingen wir zu viert in die
Kulthalle der Halblinge, um uns weiter umzusehen. Unsere Blicke wanderten das
große Kunstwerk des Deckenreliefs entlang, auf der Suche nach Auffälligkeiten
in der Landschaftsdarstellung, doch fanden nichts. Mara untersuchte den Altar,
ob sich dort ein Geheimmechanismus versteckte, doch das endete ebenso
ergebnislos. Es war auch kein „Hohepriester“ oder dergleichen zu sehen, der das
Ritual eingeleitet hätte – oder wie auch immer man das nennen wollte, was hier
geschehen war.
„Dieser Panzer scheint mir im Zentrum des ganzen Dorfes zu stehen“, meinte
Suena. „Er könnte ein Fokuspunkt oder etwas dergleichen sein.“ Da gingen Jenns
Augen plötzlich auf und sie rief: „Gleich wieder da!“
Verdutzt sahen wir der Ywerddonnerin hinterher, der sich sogleich der Wolfshund
anschloss. Er schien an ihr einen Narren gefressen zu haben. Hoffentlich
vorerst nur den.
Wir blieben zu dritt in der
Kuppel zurück und eine gewisse Ratlosigkeit breitete sich aus. All die
Zeichnungen, die versammelten Halblinge, der Zauber … es half uns nichts
wirklich weiter, eine Idee für den Aufenthaltsort von Kuriens und seine Gruppe
zu finden oder gar eine Möglichkeit, gegen einen Drachen zu kämpfen. Da
beschloss ich, mir einen Jux aus der Sache zu machen. Ich griff mir einen
Halbling, der Arm in Arm mit einer, wahrscheinlich seiner, Frau in der ersten
Reihe saß, hob ihn hoch und setzte ihn auf den Schoß einer anderen
Halblingsdame. Alle Beteiligten blieben regungslos, als würden sie schlafen.
Suena sah mich verblüfft an, für einen Moment dachte ich, ich hätte etwas
Schlimmes getan. Dann sagte sie: „Du hast mich auf eine Idee gebracht. Wir
könnten versuchen, einen Halbling aus der Kuppel herauszutragen. Möglicherweise
erwacht er dann und wir können ihn befragen, was hier geschehen ist.“
„Könnte es nicht gefährlich sein, jemanden aus einem solchen Schutzzauber zu
entfernen?“, fragte Mara. Suena nickte abwägend mit dem Kopf. „Vielleicht
versuchen wir es erst mit dem Hund.“
Wir beschlossen, es auszuprobieren. Als wir den Kuppelsaal verlassen hatten,
fiel die Tür hinter uns zu, Suena und ich griffen uns wieder unsere Waffen,
wobei es einige Zeit dauerte, bis ich mein Arsenal verstaut hatte. Dann gingen
wir raus, wo uns der Morgen zwischen grauen Wolken hindurch begrüßte. Den Hund
fanden wir dort, wo wir ihn verlassen hatten: reglos dastehend auf dem Weg.
Suena hob ihn auf und ging mit ihm voran zum Rand der Kuppel. Da sie kein
Problem hatte durch die magische Barriere zu gelangen, trat sie als einzige
hinaus, den Hund auf den Armen.
In dem Moment, wo sie den Bereich des Zaubers verließ, zuckte die Nase des
Tiers, reckte sich gen Sonne – dann verlor es sämtliche Körperspannung.
„Er ist gestorben“, sagte Suena.
„Kann das etwas mit der vergangenen Zeit zu tun haben? Also wie lange das
Ritual schon wirkt?“, fragte Mara.
„Vielleicht. Er ist aber nicht auf einen Schlag gealtert. Sein Herz … hat
schlicht aufgehört zu schlagen“, stellte die Hexe fest und legte behutsam den
Leichnam des Tiers auf den erdigen Boden des brachliegenden Feldes.
„Sind dann alle hier drin, also alle Halblinge, zum Sterben verdammt, wenn der
Zauber endet?“, fragte ich. „Dann ist das doch kein Schutz!“
„Es kann auch ganz anders funktionieren. Vielleicht liegt es daran, dass das
hier nur ein Hund war. Oder eben daran, dass der Zauber nicht ordnungsgemäß
gelöst wurde.“
„Hey Leute“, rief Jenn, die gefolgt von Zedd zu uns geeilt kam. „Da seid ihr
ja. Ich habe mich daran erinnert, dass da doch dieses Buch war: Galadis‘ Buch der Schilde. Und was ist
das hier anderes als ein großer Schild? Und schaut mal hier, ich verstehe zwar
von dem ganzen Zauberkram nicht viel, aber das sieht doch interessant aus.“ Die
Ywerddonnerin schlug das Buch auf einer Seite auf, auf der ein
Schildkrötenpanzer dargestellt wurde. Suena kam neugierig heran, trat durch die
Schutzbarriere als wäre sie nicht vorhanden, und ließ sich von Jenn die Passage
vorlesen. Ich verstand von all diesen Dingen kein Wort – allerdings machte
selbst unsere Zauberin kein erhelltes Gesicht, als sie mit Jenn die Seite
durchgegangen war.
„Es bestätigt im Prinzip nur, was wir uns bereits gedacht haben. Dies ist ein
Schutzzauber, der den Schildkrötenpanzer als Grundlage hat. Das mit dem
Erstarren der Menschen oder auch Halblingen scheint dazuzugehören.“ Sie
seufzte. „Das ist aber alles nicht so leicht nachzuvollziehen. Der Text ist
sehr komplex. Und es ist spät … oder eigentlich früh.“
Mit zugegeben kleinen Augen blickte ich zur Sonne auf, die sich im Osten über
die Berge geschoben hatte. Wir hatten eine ganze Nacht nicht geschlafen, was
sich allmählich bemerkbar machte, auch angesichts der zurückgelegten Meilen und
vor allem der Kämpfe der letzten Stunden. Wir einigten uns schnell darauf, ein
Lager aufzuschlagen. Allerdings gab es ein Problem.
„Ich würde ungern in dieser Kuppel schlafen. Wer weiß, ob man dann überhaupt
noch einmal erwacht“, sagte Mara.
„Bis jetzt sind wir noch in keinster Weise vom Zauber betroffen. Ich glaube
nicht, dass wir unter den Bann fallen“, versuchte Suena, die Elfe von der
Barriere zu überzeugen. Etwas platter setzte ich noch dazu: „Draußen fliegen
Drachen herum. Da sind wir schutzlos – und da willst du dich zum Schlafen
hinlegen?“
Mara kräuselte die Lippen. „Machen wir es doch so: Ich schlage das kleine Zelt
außerhalb der Barriere auf, ihr das große innerhalb. Dann kann ich mich immer
noch rechtzeitig zurückziehen, sollte ein Drache auftauchen.“
„Wenn du meinst“, brummte ich, wenig überzeugt, dass das eine sichere
Vorgehensweise war. Zwar konnte ich die Magieskepsis vollständig teilen,
allerdings überwog meine Skepsis gegenüber dem Drachenfeuer.
Wir schlugen die beiden Zelte wie von Mara vorgeschlagen auf dem Feld auf und teilten Wachen ein, die den Himmel im Auge behalten sollten. Ich übernahm die erste Tagwache und sah dabei zu, wie die Sonne weiter emporstieg. Von einem Drachen war nichts zu sehen, innerhalb der Kuppel bewegte sich natürlich auch nichts. Das Tal wirkte in diesem Moment sehr trostlos. Die Mittagswache übergab ich an Jenn, um endlich in den wohlverdienten Schlaf zu sinken.
Ich erwachte von lauten Rufen auf
die ein tiefes Grollen folgte, als würde ein Donner nahen. Erst im zweiten
Moment erkannte ich, dass der Donner Worte formte: „Ihr könnt euch nicht
verstecken.“
Jenn lag im Zelt, es musste also bereits die 3. Wache an der Reihe sein, Suena.
Im nächsten Moment erscholl ohrenbetäubender Lärm, ein Knacken in der Luft,
dann spürten wir Hitze heranschießen.
„Der Drache ist da“, hauchte Jenn. Wir packten beide unsere Waffen und stürzten
aus dem Zelt.
Mitten hinein in eine Nebelfront, die so dicht war, dass ich meine Hand vor
Augen nicht sehen konnte. Doch einige Lichtunterschiede waren auszumachen –
rechts von uns glühte es orangerot hinter dem Nebel, etwas schwächer auch vor
uns. Ich machte einen Schritt nach vorne und stieß fast mit Suena zusammen.
„Was ist passiert?“, rief ich.
„Der goldene Drache ist aufgetaucht. Ich konnte Mara gerade wecken, da hat er
ihr Zelt in Flammen gesteckt. Aber er und seine Feuer können die Barriere nicht
durchdringen.“
„Und Mara?“
„Hier“, rief die Elfe. „Wir haben das Zelt reingezogen, ich bin dabei es zu
löschen. Hilfe wäre bequem.“
Wir eilten der Stimme nach und konnten den Schemen der hochgewachsenen Elfe
ausmachen sowie das glutversprühende Zelt. Hastig traten wir auf die Flammen,
warfen lose Erde des brachen Feldes darauf, dann wurde das Feuer weniger.
Erleichtert konnte Mara ihre Habseligkeiten retten – das Zelt selbst war jedoch
zerstört.
„Das war keine großartige Idee“, konnte ich mir nicht verkneifen. Ich konnte
noch durch den Nebel Maras giftigen Blick spüren, allerdings rettete mich Jenn
mit einer anderen Frage: „Woher eigentlich dieser Nebel?“
„Ähm, das war ich“, sagte Suena. „Er ist sehr dicht geworden, nicht wahr? Ich
musste nur feststellen, dass er nicht aus der Kuppel austritt … der Drache
wurde also nicht gerade irritiert.“
„Ist er noch …“
„Zeigt euch, Sterbliche“, grollte der Donner durch den Nebel heran. „Ihr wollt
doch nicht in eurem Kaninchenbau verhungern?“
„Ich schätze, wir haben ein Problem“, ächzte ich.
„Wir sollten noch einmal in Bogeds Haus nachsehen. Vielleicht verraten uns die
Bücher noch etwas mehr über dieses Tal und seine Bewohner“, schlug Suena vor.
„Übe seine Bewohner …“, echote Jenn. „Da war doch auch Yrkoons Buch der Flora und Fauna!“
Wir folgten dem Vorschlag der
beiden und kehrten zurück zu dem schlafenden Halbling. Jenn blätterte etwas in
besagtem Buch, bis sie eine Stelle fand, die von Drachen handelte. „Hier steht
etwas über diese Wesen … es gebe sie schon seit Jahrhunderten. Aber es wird
auch gesagt, dass sie im Einklang mit der Natur leben würden.“
„Da zählt der Mensch wohl nicht dazu“, meinte Mara lakonisch.
„Oder dieser goldene Drache ist etwas Besonderes“, überlegte Suena. „Er ist der
einzige, der bisher aggressiv uns gegenüber auftrat. Die Drachenjäger haben
durch ihn ihre Heimat verloren, Hasenen wurde von ihm verbrannt.“
Wir schwiegen eine Weile, in der jeder seinen Gedanken nachzugehen schien.
Plötzlich fragte Mara: „Was ist nun eigentlich mit dem Rätsel? Gut und Böse
haben nichts gemeinsam, der Name des Dorfes und der Bogeds hingegen schon.“
„Das Dorf hier heißt Oristar … Ach so!“, sagte Jenn und machte ein erstauntes
Gesicht, in dem ihre Lippen das „o“ noch formten, als sie nichts mehr sagte.
„Das ist ein Worträtsel. Die Lösung ist: ‚O‘!“
Mit einem erschrockenen Ruf fuhr plötzlich der Halbling am Tisch aus seiner
Position, sah sich wild um und erblickte schließlich uns. „Ihr seid es! Du bist
es!“, rief er und wandte sich an Suena. „Schnell, wir müssen uns beeilen. Ihr
müsst den Balron vernichten!“
„Wen?“, fragte die Zauberin nicht minder hastig, während sich der alte Halbling
bereits von ihr abgewandt hatte und in seinen alchemistischen Vorräten wühlte.
„Wydor! Den goldenen Drachen. Ihr müsst sein Versteck finden, nur dort könnt
ihr ihn vernichten. Dort ist die Schwelle zur Dämonenwelt. Ihr müsst sie
schließen!“
„Wie sollen wir einen Drachen töten, alter Mann?“, rief ich dem kleinen
Halbling hinterher, der sich just in diesem Moment von seinem Schrank
wegdrehte. In seiner Hand war eine kleine Phiole mit goldroter Flüssigkeit
darin, sie sah fast aus wie Blut durch das Metallflocken trieb. „Das ist der
Sanustrank. Der Held, der diese Phiole trinkt, wird von allen Wunden und Plagen
geheilt!“
„Was war das mit der Dämonenwelt?“, fragte Suena hastig – Boged hatte ihr
gerade das Fläschchen in die Hand gedrückt und stüzte den Halbling, dessen
Bewegungen nach der anfänglichen Hast rapide langsamer wurden. Er sackte immer
mehr und mehr in sich zusammen.
„Ihr müsst … die Schwelle finden. Seht ins … Buch … Tore“, die letzten Worte
kamen nur noch leise, dann sank er gänzlich in Suenas Armen zusammen.
„Er ist wieder eingeschlafen“, stellte sie fest. „Und um mehrere Jahre
gealtert. Seht, sein Haar ist jetzt fast schlohweiß, die Falten sind tiefer. Es
muss ihn große Kraft kosten, sich aus dem Zauber zu lösen.“
Jenn runzelte die Stirn und griff sich eines der Bücher.
„Wir sollten ihn wahrscheinlich nicht mehr wecken, oder?“, überlegte Mara.
Suena schüttelte entschlossen den Kopf. „Es sieht so aus, als müssten wir nun
gegen Wydor selbst vorgehen. Immerhin haben wir den Trank. Aber wer sollte ihn
nehmen?“
„Ich denke, der Trank wäre am besten bei Mara aufgehoben“, schlug ich vor. „Sie
ist die stärkste Kämpferin. Da wir nicht zwei von ihr haben können, wäre es
doch gut, sie einmal wiederherstellen zu können.“
Mara lächelte. „Danke. Dann nehme ich den Trank gerne an mich, falls es keine
Einwände gibt.“ Suena schüttelte den Kopf und gab der kampferprobten Elfe den
Trank.
„Ah, hier steht was!“, rief Jenn aus. „Der
Zauberer bindet sich mit seiner Lebenskraft an den Schutzzauber. Boged ist
also mit diesem Schutzzauber verknüpft.“ Sie hielt das Werk über Schilde in der
Hand und hatte mit Suenas Beobachtung nun einen weiteren Fund gemacht.
„Dann sollten wir ihn erst recht nicht mehr wecken. Wenn er stirbt, würde die
Kuppel wohl in sich zusammenbrechen“, schloss Suena. „Boged sagte auch etwas
von einer Schwelle. War da nicht ein Buch der Tore?“
„Von Trason, ja“, bestätigte Jenn und begann in dem Werk zu blättern. Suena
setzte indes den bewusstlosen Boged wieder auf seinem Stuhl ab. „Hier steht
einiges zu Portalen …“ Die Zauberin kam zu ihr und sie steckten zusammen ihre
Nasen in das Werk. Einige Zeit verging, in der sie scheinbar einige
Möglichkeiten hin und herwogen, ich hörte etwas von blauen und grünen
Versetzungszeichen, einem Portal für den Hinweg, eines für den Rückweg, von den
Folgen, wenn man sie falsch anwandte … aber ich verstand nicht viel und
schließlich zog Suena einen Punkt: „Ich glaube nicht, dass wir anhand dieser
Beschreibungen etwas ausrichten können.“ An Mara, Zedd und mich gewandt
erklärte sie kurz: „Es gibt verschiedene Formen von Kreisen, die man für
Versetzungszauber im weitesten Sinne anlegen kann. Manche sind dabei nur
einwegig und werden bei falscher Benutzung zerstört. Vielleicht hilft uns das
weiter, wenn wir den Kreis finden, der für die Dämonen geschaffen wurde, um
dieses Tal heimzusuchen.“
Wir nickten das stumm ab, dann fiel mir eine andere Sache ein. „Was hat es
eigentlich mit dem Begriff ‚Balron‘ auf sich? Boged hat Wydor so genannt.“
Suena und Zedd zuckten die Achseln, letzterer entsann sich dann jedoch: „War da
nicht auch ein Wörterbuch für Maralinga unter den Werken hier?“
Jenn zückte das entsprechende Buch und begann erneut, ihre Nase ins Papier zu
stecken. Ich befürchtete schon, sie werde bald ihre Finger nicht mehr spüren,
da schlug sie eine Seite fest auf und verkündete: „Balron – Bez. f. ark. Chim. Gut, ich habe keine Ahnung, was das
heißen soll.“
„Chim. steht wahrscheinlich als Kürzel für eine Form von Mischwesen“, meinte
Zedd. Und Suena ergänzte: „Der Rest ist ebenfalls in Abkürzungen gehalten …
Balron ist eine Bezeichnung für magische Mischwesen.“
Wir sahen uns verdutzt an. So recht wusste keiner von uns etwas daraus zu
machen. Doch wir waren damit am Ende unserer theoretischen Fragen angekommen.
„Dann wird es wohl Zeit“, stellte Mara fest. „Wir müssen gegen den Drachen
kämpfen.“
Nachdenklich verließen wir Bogeds
Haus, der Nebel hatte sich mittlerweile verzogen. Wydor kreiste immer noch über
der Kuppel, darauf wartend, dass wir ihm in die Fänge liefen. Bei dem Blick um uns herum stellten wir
fest, dass die Barriere ein Stück geschrumpft war – zusammen mit Bogeds
Lebensenergie.
„Wir müssen uns gut vorbereiten“, fing Mara an. „Ich könnte mit dem Bihänder
kämpfen, aber auch mit einem Langschwert und Schild.“
„Angesichts der Drachenschuppen wäre eine ordentliche Durchschlagskraft
hilfreich“, meinte ich. „Nimm den Zweihänder, du hast ja auch den Trank. Ich
werde dann mit Schild und Axt gegen ihn angehen, vielleicht kann ich etwas
Ablenkung schaffen.“
„Ich würde mich vorbereiten, das dauert einige Minuten“, verkündete Suena.
„Danach kann ich euch verzaubern, damit ihr flinker seid und besser ausweichen
könnt.“
„Sehr schön“, stellte Mara fest. „Jenn, du gehst am besten voll auf Angriff,
mit dem Wolfshund an deiner Seite.“ Die Ywerdonnerin nickte, ein halbverrücktes
Lächeln der Vorfreude auf dem Gesicht. Zedd überlegte etwas, dann sagte er:
„Wir haben hier eine gute Möglichkeit, dass wir am Rand der Barriere kämpfen
können. Ich bleibe am besten zurück, dann kann ich notfalls Verletzte hinter
den magischen Schutz ziehen und sie sofort versorgen.“
Mara nickte den Vorschlag ab, dann führte sie uns zu der Dorfschmiede, die ihr
bereits als guter Ort für einen Kampf aufgefallen war. Sie sprach sich mit
Suena ab, die sich daraufhin einen geschützten Platz im Gebäude suchte, durch
ein Fenster jedoch ihre Sprüche wirken konnte. Zedd hielt sich im Hintergrund,
während Mara, Jenn, ihr Hund und ich uns auffächerten. „Vermeidet, zu dicht
beieinander zu stehen. Das wird den Drachen geradezu einladen, euch gemeinsam
zu verbrennen“, machte Mara klar. Störenden Ballast legten wir zur Seite, dann
waren wir bereit. Suena sprach im Inneren der Schmiede vor sich hin, wog sich
dabei hin und her. Es dauerte an die zehn Minuten, während denen wir in den
Himmel blickten – der goldene Drache schien sich jedoch noch nicht um uns zu
scheren. Noch nicht. Dann war Suena mit ihrer Vorbereitung am Ende, begann
weitere Formeln zu sprechen, nacheinander auf jede und jeden von uns. Als ich
an der Reihe war, spürte ich, wie ein warmes Gefühl durch meine Gelenke glitt –
als wäre ich gerade heißen Quellen entstiegen. Ich war der letzte gewesen, Mara
sah mich fragend an – ich nickte. Dann trat die Elfe aus der Barriere. Jenn,
der Wolfshund „Utz“ und ich folgten.
Und der Drache hatte nur auf uns
gewartet. Mit tosendem Sturmwind unter seinen Flügeln stürzte er vom Himmel
nieder und stieß ein Flammenmeer aus, dass die vertrockneten Reste des Felds vor
uns in Brand setzte. Eine erste Machtdemonstration. Ich legte an und schoss
nach dem Geschuppten, der eine Kurve flog und nun direkt Kurs auf uns nahm – und
wir konnten Deckung in den außerhalb der Barriere liegenden Teil der Schmiede
finden.
„Ihr werdet ein ausgezeichnetes Fressen abgeben“, grollte der Goldene, während
mein erster Pfeil wirkungslos an seinem Panzer abprallte. Doch im nächsten
Moment schoss dem Drachen etwas anderes entgegen: Ein Schwarm aus Insekten
aller Art, die sich zu einer dichten, schwarzen Wolke geballt hatten. Ich sah
kurz zurück, ob sich Zedd dieser Sache angenommen hatte – aber es war Suena,
die einen Finger befehlend dem Drachen entgegenreckte.
Doch leicht ließ sich Wydor nicht aus den Konzept bringen. Er fegte über Jenn und
Utz hinweg und stieß noch einmal Flammen aus. Gerade so gelang es den beiden,
aus dem Flammenkegel herauszuspringen. Wo sie gerade noch standen, färbte sich
die Erde schwarz.
Ich schoss dem Drachen einen Pfeil hinterher, der ihn unterhalb des Kiefers
erwischte. Ein verärgertes Zischen war mir eine erste Belohnung – und Wydor
wendete, um mich ins Visier zu nehmen. Umgeben von einem Schwarm aus Insekten,
die eifrig versuchten, mit seiner Geschwindigkeit mitzuhalten, schrie er
plötzlich auf. Ich sah Suena im Fenster der Schmiede stehen, wo sie mit einer
Eisennadel in die Luft hackte, als würde sie den Drachen durchlöchern wollen.
Er schien es zu spüren.
„Gebt mir den Trank!“, grollte Wydor und setzte mit voller Wucht vor mir auf
dem Boden auf, dass es mich fast von den Beinen riss. Meinen Bogen hatte ich
bei seinem Anflug bereits fallen gelassen, jetzt griff ich Axt und Schild. Ich
hörte noch Maras Ruf: „Niemals, du Schlange!“ Dann klappten die gewaltigen
Kiefer des Drachen auf, ich blickte auf mehrere dolchlange Zähne, Geifer
spritzte und ich riss meinen Schild hoch.
Holzsplitter flogen mir um die Ohren, ich sah die Todeswerkeuge des Monsters
direkt vor mir, in meinen Schild gegraben, verlor das Gefühl für meinen Arm,
als der Drache an meine Verteidigung ruckte. Im nächsten Moment spürte ich ein
ziehen in meinen Gelenken, sah vor meinem inneren Auge bereits, wie das Monster
meinen Arm einfach wegreißen würde …
Da flitzte von links Jenn herbei
und stach aus einem Ausfallschritt mit dem Rapier gekonnt zwischen den
Halsschuppen des Drachen hindurch, ihr Utz war kurz dahinter und sprang die
Seite Wydors an. Von rechts kam Mara – den Bihänder hoch erhoben, im Eisen der
Waffe spiegelte sich das Feuer, das der Drache um uns herum entfacht hatte. Sie
schlug zu und machte sogleich eine Pirouette rückwärts, entging dem zischenden
Blut. Kochend fiel die Flüssigkeit auf die Erde und verbrannte, was dort an
Unkraut gewachsen war.
Mit der neuen Bedrohung vor sich, ließ Wydor von meinem Schild ab. Ich war
wieder frei in meiner Bewegung – und schlug mit der Axt zu. Der Hieb landete
direkt neben dem gelben Auge und sandte mir selbst Erschütterungen durch den
Arm. Doch der Dache war nicht so leicht zu beeindrucken. Er bäumte sich auf und
schlug mit Flügeln und Krallen um sich. Wir sprangen nach hinten, um uns vor
der Kaskade aus Klauen in Sicherheit zu bringen – außer Mara. Die Elfe tauchte
unter dem Sturm hinweg, schraubte sich nach oben und schlug sodann mit dem
Bihänder aus der Drehung heraus zu. Blut sprühte in einem Nebel auf, der sich
auch zischend auf Maras Haut legte. Fluchend sprang die Elfe zurück und wischte
sich den Lebenssaft des Drachen ab, ehe er schwere Verbrennungen anrichten
konnte. Ich starrte indes auf die eindrucksvolle Wunde, die die Elfe geschlagen
hatte. Eine menschliche Gliedmaße wäre nicht mehr an Ort und Stelle.
„Ergebt euch oder ihr werdet leiden“, stieß der Drache aus, ehe er sich vom
Boden abstieß. Er holte Luft, um einen Feuerstoß abzugeben – wir standen alle
direkt auf einem Fleck. Direkt unter ihm. Einen schweren Fluch auf den Lippen
blickte ich nach oben. Da verdunkelte sich die Luft vor Wydors Augen – Suenas
Ungeziefer hatten hartnäckig zum Drachen zurückgefunden. Wir stoben rasch
auseinander, doch nicht schnell genug. Der Drache schoss einen Feuerball aus
seinem Rachen in die Richtung von Jenn und mir. Mit einem großen Hechtsprung
gelang es mir, mich zur Seite zu werfen. Die Hitze schwappte über mich hinweg,
vom Boden aus sah ich Jenn und den Wolfshund einige Meter entfernt. Sie waren
nicht voll getroffen worden, doch einige von Utz‘ Haaren glommen.
Doch Wydor schien vorerst genug
von uns zu haben. Der Drache schraubte sich weiter in die Lüfte, wobei er die
lästigen Insekten rasch abgeschüttelt hatte. Dann drehte er ab nach Osten.
„Ihm nach!“, rief Mara. Und diesmal galt es. Suena und Zedd kamen aus dem sicheren
Rückraum, warfen uns unsere Rucksäcke zu, dann eilten wir im Laufschritt los,
dem goldenen Schimmer am Nachthimmel hinterher.
Wir liefen so schnell wir konnten, merkten jedoch noch schneller, dass wir ihn
zu Fuß nicht würden direkt einholen würden. So wechselten wir bald in den
Dauerlauf, die Augen jedoch fest auf den Himmel geheftet, wo der goldene
Schimmer kleiner und kleiner wurde – aber stetig nach Osten wanderte. Wir
folgten dabei dem Flusslauf, der zu unserer linken in Richtung des großen Sees
floss, bei dem Oristar gelegen war. Und das bis wir nach anderthalb Stunden den
Rand des Tals erreichten. Ein gewaltiger, dreißig Meter breiter und fünfzig
Meter hoher Wasserfall schoss über die Felswand vor uns in ein Becken, aus dem
das Wasser westwärts floss.
„Der Drache ist hier entlang geflogen“, bekräftigte Mara. „Irgendwie müssen wir
den Fels hoch.“
„Alles nass“, murrte ich. „Der Fels bietet zwar einige Kanten, aber so …“
„Wir müssen nicht klettern!“, rief Jenn, die bis zur Felswand an den Rand des
Wasserfalls gelaufen war, von Gischt besprüht wurde – aber hinter den
strömenden Fluten einen Weg entdeckt hatte. Wir liefen ihr nach und sahen es
dann auch. Der Wasserfall bildete einen tosenden Vorhang für eine Höhle, die
hinter ihm lag. Von dieser führte ein breiter Felsvorsprung zur Seite, den wir
als Weg nehmen konnten.
Nah an der Wand gingen wir hinter dem Wasserfall entlang, verstanden einige
Zeit unser eigenes Wort nicht und ich glaubte schon, mein Restgehör zu
verlieren. Dann erreichten wir die große Höhle, die roh und unbehauen vor uns
lag. Wir waren nicht durchnässt worden, sodass es mir ohne Probleme gelang,
meine Lampe anzuzünden. Aus der Höhle führte ein Gang breit genug für uns alle
nebeneinander in das Gebirge hinein.
Die Axt in der einen, die Lampe in der anderen Hand lief ich in der Mitte der
Gruppe, Mara und Jenn übernahmen die Spitze, wobei der Wolfshund eng an
letzterer blieb. Zedd und Suena waren am Schluss – die Katze der Hexe war
sicher auch irgendwo, aber die Höhle bot zu viele Schatten, um sie ausfindig zu
machen.
Der Gang führte uns in eine schmale
Schlucht. Durch den Riss in der Decke konnten wir Sterne sehen. Durch den Spalt
floss jedoch auch Wasser, wahrscheinlich aus dem nahen Fluss, in die Höhle und
machte sie zu einer rutschigen Klamm. Es ging nur in eine Richtung weiter,
geradeaus, und dorthin führte nur ein schmaler Sims auf der linken Seite – zu
schmal, um sich darauf zu verlassen, denn rechterhand ging es in einen tiefen
Abgrund, das Licht meiner Lampe hob nur undeutlich die Spitzen einiger scharfer
Felskanten hervor. Doch jemand hatte dort eine Eisenkette etwas über Hüfthöhe
angebracht, die sich an der Wand durch mehrere Ringe entlang zog. Eine
Griffhilfe.
„Dem Frieden trau ich nicht“, gab ich prompt meinen Kommentar ab.
„Das geht mir ähnlich“, meinte Suena. „Eine Seilschaft wäre sicherlich
sinnvoll. Eine Art doppelte Sicherung.“
Wir banden uns rasch aneinander, legten für Utz den Wolfshund ein Geschirr an,
dann trat Mara voraus. Die Elfe war überzeugt von ihren Fertigkeit und der
Gewandtheit ihres Volkes, wie es schien – sie rührte die Kette zur Sicherung
gar nicht erst an. Mir schlug das Herz fast durch den Hals, als ich sah, wie
wagemutig die Elfe über den nassen Fels am Rande des Abgrunds schlenderte. Stellte
mich schon auf den Ruck ein, der durch das Seil gehen würde. Und es kam, wie es
kommen musste. Mara trat sicher auf, doch auf dem nassen, zum Teil von feuchtem
Moos bewachsenen Fels rutschte ihr Fuß weg. Ihr Körper glitt nach in einer
fließenden Bewegung, auf den Abgrund zu. Doch der Ruck in der Seilschaft blieb
aus. Mara kam zum Stehen – mitten in der Luft über dem Nichts der Tiefe.
Plötzlich wurde der Abgrund unscharf, sah im nächsten Moment nur noch aus wie
ein Gemälde, dann wie eines dessen Farben zerliefen … und war schließlich nur
noch steinerner Felsboden.
„Das war ja … zu erwarten“, sagte Mara rasch. Den hundertsten Fluch über
Illusionen und Hexerei nuschelte ich in meinen Bart. Aber dank des Wagemuts der
Elfe hatten wir uns eine beschwerliche Hangelpartie gespart.
Der Weg durch den Fels führte uns
in eine eng anliegende weitere Höhle. Ein süßlicher Geruch kroch uns entgegen.
Verwesung. In der runden Höhle blickten wir auf ein Massaker. Drei Menschen und
ein Zwerg lagen zwischen weiteren Knochen tot am Boden. Ihr Leiden musste schon
einige Zeit her sein – sie waren verstümmelt worden. Die Ohren waren
abgerissen, die Finger abgeschnitten. Als Zedd und Suena sich die Toten näher
ansahen, stellten sie auch fest, dass die Zähne ausgeschlagen worden waren.
Folter, Verhör … oder Lust an der Qual?
„Eine Frau, zwei Männer. Ein Zwerg. Das könnten die Reste von Kuriens und
seinen Begleitern sein“, stellte Suena mit leiser Stimme fest. „Sie hatten zwei
Drachenzähne bei sich. Und er eine hier noch einen Zettel.“ Sie gab ihn Jenn
zum Vorlesen, doch die stutzte nur und gab seltsames Kauderwelsch von sich:
„bhcopo? Das ist nicht nur unvollständig, mir fällt auch kein Wort ein, in das
diese Buchstabenfolge passen würde.“
Plötzlich duckte sich Suena, hinter ihr ertönte ein Klackern. Gerade richtete
sie sich wieder auf, da ruckte sie zurück – aus ihrem Bein ragte der größte
Teil eines Drachenzahns heraus. Er war auf sie abgeschossen worden, als wäre er
ein gewöhnlicher Bolzen.
„Dort entlang!“, rief sie und Mara setzte bereits hinterher. Einen Moment
später waren dann auch Jenn und ich dem unbekannten Angreifer nach. Aus der
Höhle führte der Weg in einen Gang, der deutlich herausgearbeitet wurde. Er war
gerade, etwas schmaler und an den Wänden hingen angezündete Fackeln. Den zu uns
abschüssigen Weg rannten wir hinauf, Mara deutlich vor uns. Von dem Angreifer
hatte ich selbst nichts gesehen, zu überraschend war die Attacke gekommen.
„Hinter uns!“, rief plötzlich Suena. Wir machten auf dem Absatz kehrt. Unsere
Begleiterin war uns in den Gang gefolgt, doch ihr wiederum hatte sich auch
jemand angeschlossen – ein Gesichtsloser, einer der Wiedergänger, die bereits
Gembal zur Strecke gebracht hatten. Er hatte es auf Suena abgesehen, doch Jenn
und ich konnten uns gerade noch schützend vor sie stellen. Der Untote griff
sofort an, in seiner Hand lag ein Langschwert, das zudem noch mit Widerhaken
besetzt war.
Der erste Angriff kam zu schnell, traf Jenn und riss ihr durch die Rüstung eine
schreckliche Wunde ins Fleisch. Doch die Ywerdonnerin ließ sich nicht schnell
aus dem Konzept bringen und wir gingen zum Angriff über. Für den Wolfshund war
noch genug Platz, dass er dem Gesichtslosen ans Bein springen konnte. Knurrend
fixierte er den Untoten mit einem kräftigen Biss unters Knie. Jenn und ich
hieben daraufhin auf den Torso der Kreatur ein, dass deren altes, fauliges Blut
über den Boden spritzte. Doch das Monster ließ sich nicht so leicht
beeindrucken. Es schlug kraftvoll mit dem Schwert nach Utz, der sich im letzten
Moment vom Bein löste – sonst wäre er wohl enthauptet worden. Der Gesichtslose
setzte nochmal nach, traf den gegen die Wand gedrängten Hund. Fell wurde
aufgerissen, Blut spritzte, ein Winselns klang durch den Gang. Jenn rief einen
Befehl auf Eldalyn, der über ihre Zunge zwar nicht so klangvoll, aber
offensichtlich verständlich rollte – Utz sprang hinter sie und weiter den Gang
hinauf, raus aus der Reichweite des widerhakenbesetzten Langschwerts. Wir
schlugen zurück, meine Axt traf den Bauchraum und riss die Haut weg, Jenn stach
hinein, als wolle sie ihr Rapier in einen Fleischspieß verwandeln. Doch der
Gesichtslose kämpfte unbeeindruckt weiter.
„Diese verdammten Untoten halten viel aus“, knurrte ich. Dann segelte aus dem
Nichts Mara an uns vorbei. Ein letzter kraftvoller Schlug, durch das
Schlüsselbein in Richtung Brust. Und der Untote sank zu Boden.
Suena war sofort bei Jenn, um sie zu versorgen, während sich Zedd als
Tierkundiger vorsichtig um Utz kümmerte. Während der Ywerdonnerin ein Verband
angelegt wurde, fragte sie: „Hast du eigentlich gezaubert?“
„Diesmal nicht. Ich muss mit meinen Kräften haushalten, jeder Spruch kostet
mich Energie.“
Jenn nickte. Ich hatte auch einen kleineren Schnitt abbekommen, den Suena
verarztete, dann konnten wir weiter den von Menschenhand geschaffenen Gang
entlang.
Er mündete in einen langen Flur,
der ebenfalls von Fackeln beleuchtet nach links und rechts verlief. Von anderen
Personen oder ihren Spuren war hier nichts auszumachen, sodass wir uns besannen
und zunächst diesen eigentümlichen Ort erkunden wollten. Linkerhand lag eine
Sackgasse, an deren Ende eine Tür war sowie zwei uns gegenüber. Rechterhand
führte der Gang weiter in den Berg, weg von diesem Ort.
Wir wählten zunächst die Tür, welche fast direkt vor uns lag und betraten einen
großen Raum. Unsere Blicke fielen zunächst auf ein großes Ölgemälde das an der
gegenüberliegenden Wand angebracht war. Abgebildet war eine junge, hübsche und
blonde Frau. In der Mitte dieser Kammer war ein Bereich vollgestellt mit alchemistischen
Apparaturen verschiedenster Art. Rechts an der Wand hing eine Schiefertafel
voller Symbole, die Jenn pflichtbewusst in Augenschein nahm. Links an der Wand
standen indes ein halbes Dutzend Käfige – darin Katzen, Kaninchen, Ratten und
anderes Kleingetier. Sie hatten etwas Stroh, Nahrung und Wasser, wirkten alles
in allem gesund. Nur unsere Anwesenheit schien sie nervös zu machen, sie liefen
hinter den Gitterstäben hin und her, bedachten uns mit unruhigen Blicken.
„Diese Frau“, sagte Mara mit Blick auf das Ölgemälde. „Sie kommt mir bekannt
vor.“
„Das ist die junge Dame, deren Bild in Levins Haus war“, erinnerte sich Suena.
„Was macht sie hier?“
Darauf wusste keiner eine Antwort. Auch die Schiefertafel konnte uns nicht
weiterhelfen, wie Jenn feststellte: „Das ist nur Kauderwelsch, diese
Buchstabenreihenfolgen ergeben keinen Sinn. Zudem fehlen hier zwei Zeilen, die
jemand zerstört haben muss.“
So standen wir diesem seltsamen Raum etwas ratlos gegenüber. Eine
unverständliche Schrifttafel, das Gemälde einer jungen Frau und eine Handvoll
Nager. Wie ging das zusammen? Jenn warf dem Bildnis noch einen interessierten
Blick zu, hängte es dann einfach ab – und offenbarte eine quadratische
Eisenplatte, die an der Wand dahinter angebracht war.
„Ein Tresor“, stellte Mara fest. „Aber ohne Griff und Schlüsselloch.“
Suena holte aus ihrer Tasche eine seltsame kleine, blaue Kugel heraus, die sie
vor die Platte hielt. Sie begann, schwach zu leuchten. „Ein magischer
Verschluss. Was auch immer dahinter liegt, da kommen wir vorerst nicht ran.“
Damit mussten wir den
rätselhaften Raum vorerst auf sich beruhen lassen. Die nächste Tür führte uns
in ein opulentes Schlafgemach. Angesichts des mit Holz ausgelegten Bodens sowie
der vertäfelten Wände, vergaß man fast, dass wir uns unter der Erde
befanden. Eine Ecke des Zimmers wurde
von einem Himmelbett mit schwarzer Seide belegt, das seiner Größe nach durchaus
für einen Menschen gedacht war. Dies schien eher kein Halblingsterritorium zu
sein. Von der danebenliegenden Wand war ein Teil mit einem schweren Vorhang
bedeckt. In einer anderen Ecke stand ein bizarrer Kerzenhalter. Er sah aus wie
eine menschenartige Echse, die auf zwei Beinen stand, aber mehrere Arme
bereithielt, auf die Wachskerzen gestellt werden konnten.
Hinter dem Vorhang fand Mara vornehmlich Roben, alles in allem wies es aber
eher auf einen männlichen Bewohner hin. Der Bewunderer der blonden Frau? Wir
suchten den Raum noch etwas ab, doch die typischen Verstecke wie im Kopfkissen
schienen hier ausgelassen worden zu sein.
Die Tür am Ende der Sackgasse
führte in eine kleine Höhle. Es gab ein Loch im Boden unter dem ein Bach
reißend dahinfloss. Ein natürliches Scheißhaus.
Damit hatten wir die eine Seite des Flurs erkundet und wandten uns nun der
anderen zu. Wir gingen beinah dreißig Meter oder vielleicht mehr, bis wir eine
Tür auf der rechten Seit ausmachten. Sie war aus breiten Brettern
zusammengenagelt, wirkte deutlich gröber als der Rest. Schwungvoll warf sie
Mara auf, die Hand bereits wieder am Schwert. Doch auch hier war der Bewohner
nicht zuhause. Aber der Raum verriet bereits viel. Es war eigentlich eine
Höhle, natürlich vorgefunden und genutzt. Stroh in einer Ecke schien als
Schlafstätte auszureichen, an die Wände waren einfache Speere gelehnt – und
Schrumpfköpfe gehängt. Die meisten waren sehr klein und mussten von Halblingen
stammen, einige andere stammten jedoch auch von Menschen und ein, zwei sogar
von Ogern.
Suena wurde blass. Ich rang mir ein schiefes Grinsen ab. „Fühlt sich fast an
wie zuhause.“
„Das ist barbarisch!“
„Wie soll man denn sonst beweisen, wen man bezwungen hat? Ich verzichte ja auf
diese Tradition, da ich nicht ständig ein dutzend Schädel mit mir herumtrage
will“, führte ich aus. „Wobei es nicht gerade für den Bewohner spricht, so viele
Halblingsschädel zu haben. Das sind keine würdigen Gegner.“
„Wenn du das sagst“, meinte Suena und verzog noch einmal das Gesicht, ehe sie
sich von der schrumpfköpfigen Versammlung abwandte.
Dieser Höhle direkt gegenüber lag eine Küche. Mit baumeisterlicher Hand aus dem Fels geschlagen, gut eingerichtet und mit Schränkchen versehen in denen ein Porzellanservice aufbewahrt wurde. Drei Meter weiter hingen Schrumpfköpfe an einer Höhlenwand. Mehr als unverständliches Kopfschütteln blieb mir kaum noch. Falls sich nicht zufällig ein Twyneddin mit einer bizarren Geschmacksmischung aus uralter Tradition und modernstem Schick eingerichtet hatte, wusste ich nicht, wer oder was hier hausen sollte.
Der lange Flur mündete in einen
Zwischenraum aus dem eine Treppe nach unten, eine nach oben führte.
„Nach oben zu gehen heißt, dem Drachen näher zu kommen. Lasst uns keine Zeit
verschwenden“, schlug Mara vor.
„Ich hätte gerne den Rücken frei“, wandte ich ein. Vielleicht ist der Kopfjäger
gerade da unten und greift uns aus dem Hinterhalt an, wenn wir nicht
nachsehen.“
Mara wägte es ab. Vielleicht war es auch die Befürchtung, einen Kampf zu
verpassen, der diese kriegerische Elfe veranlasste, die Stufen hinabzugehen.
Wir folgten ihr.
Die Treppenstufen mündeten in einer natürlichen Höhle. Links von uns lagen und standen allerlei Kisten und Fässer herum, der hintere Teil dieser Kaverne war mit Eisenstäben abgegrenzt, als solle dort jemand eingesperrt werden. Der Höhlenteil dahinter lag in der Dunkelheit. Aus ihr erscholl der Ruf einer Frau: „Hilfe!“