Der Große Preis von Eschar

Mein Name ist Karim el-Musaafir ibn Dschawal al-Numan – der Wanderer, Sohn des Dschawal aus der Oase Numan. In frühester Kindheit gab ich einen festen Wohnsitz auf und reiste lange Zeit gemeinsam mit meinem Vater auf den Karawanenrouten Eschars bis in die Küstenstaaten. Er war Leibwächter und Pfadfinder und so begann ich bei ihm zu lernen. Als ich älter wurde, begann ich meine eigenen Wege zu gehen und mit den Karawanen bis in die Küstenstaaten zu ziehen.
Zuletzt führte eine Karawane mich aber auf der Weihrauchstraße vom Osten Eschars in den Westen: nach Dairaba. Eine prächtige Stadt im südlichen Teil des Landes. Die Wüste lag nah, doch auch die glitzernden Wellen der Regenbogensee. Meine Aufgaben fanden vor den Stadttoren ihr Ende und so ging ich allein – mit Ausnahme meines Pferdes – auf die Pforte Dairabas zu.

Kaum war ich an den Torwächtern vorbei drückte mir ein Mann beim Vorbeigehen einen Zettel in die Hand, den ich verdutzt überflog, während die übrigen Handelsreisenden um mich herum weiterdrängten. Jeder erhielt eine solche Nachricht, doch viele beachteten sie kaum und warfen sie in den Staub der Straße. Es war eine Benachrichtigung eines gewissen Luis Maskroni, der sich einen jeden Wanderer aus der Wüste scheinbar als Gast in sein Gasthaus wünschte: „Zum Goldenen Wüstenschiff“. Des Weiteren war dort auch vermerkt, dass mir der Mann, der mir den Zettel in die Hand gegeben hatte, sogleich hineinführen würde. Eine Einladung zu kostenloser Kost und Logis lockte mich bereits ausreichend und ich ging zu dem Mann hin, der mich sogleich zu dem gesuchten Gasthaus brachte.


Das „Wüstenschiff“ war ein nahezu pompöses Gebäude, das eher meinen üblichen Auftraggebern vorbehalten blieb anstatt einem einfachen Mann wie mir. Doch meine zusammengeflickte Kleidung, noch voller Staub und Sand aus der Wüste, schien keinen größeren Unbill zu erregen und ich konnte eintreten – nachdem sich ein Bediensteter meines Pferdes angenommen hatte. Indes dachte ich über diesen Maskroni nach. Der Name war mir nicht unbekannt, da der Mann ein großer Handelsfürst in der Gegend war. Seine Geschäfte reichten in nahezu sämtliche Bereiche hinein und es würde mich kaum wundern, wenn ich schon einmal seine Kamele durch die Wüste geführt hätte.

Doch er musste auch ein sehr eigener Mensch sein, der Wildfremde in seine gute Stube einlud. Und dabei machte er vor nichts Halt: als ich eingetreten war, sah ich kaum andere Menschen oder überhaupt gewöhnlich zu nennende Gestalten. Zwerge waren hier unterwegs, auch eine handvoll Gnome sowie zwei Gestalten mit grüner Haut und aus dem Unterkiefer hervorragenden Zähnen, die fast schon Hauer waren. Ich hatte solche Kerle noch nie gesehen, doch sie wurden von allen anderen gemieden und wenn ich die eine oder andere Geschichte in den Küstenstaaten richtig aufgeschnappt hatte, dann mussten das Orks sein. Doch hier wurden sie geduldet, wenngleich sie scheinbar stabilere Humpen als alle anderen bekamen. Das Personal fürchtete wohl um Tonscherben.

Ich beschloss, das alles zunächst auf mich wirken zu lassen und verzog mich mitsamt meiner Reisetasche, meinem langen Krummsäbel und meiner Laute an einen noch unbesetzten Tisch in der Ecke des Raumes. Wenige Sekunden später war eine Dame heran und ich konnte etwas zu Essen bestellen. Beinah ebenso zügig erhielt ich dann auch das vorzügliche Mahl, das aus erlesenen Früchten und gutem Fleisch zusammengestellt worden war.

Und dann war es schon so weit: ein Geck in hellblauer Kleidung betrat den Raum und zog sogleich sämtliche Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte blondes Haar und auch sonst weiche Gesichtszüge, die ihn in seinem seltsamen Aufzug fast weibisch wirken ließen.
„Seid mir gegrüßt ihr edlen Recken“, begann der Mann auf Vallinga, um der allgemeinen Vielgestaltigkeit seines Publikums Rechnung zu zollen. „Ich begrüße euch in meinem bescheidenen Gasthaus und hoffe, dass euch Wein, Leib und Gesang zusagen werden!“
Bei „Leib“ horchten die meisten auf und sogleich traten einige spezielle Bedienstete hinter Maskroni ihren Weg in die höheren Stockwerke – zu den Zimmern – an. Es handelte sich ausnahmslos um junge, meist gutaussehende Männer. Skepsis machte sich breit, zumindest unter der mehrheitlich männlichen Zuhörerschaft. Aber da waren auch Frauen, sogar eine Elfe, deren Einstellung ich nicht direkt erkennen konnte.
„Aber ich will euch allen weit mehr bieten als einen einzigen, wenn auch frivolen, Abend! Ich will euch etwas bieten, das euch körperlicher Genuss und selbst Gold nicht bieten können: unsterblichen Ruhm!“, setzte Maskroni seine Rede fort. Ein Raunen ging durch die Reihen, die Orks grölten sogar und nahmen einen tiefen Zug aus ihren Krügen.
„Was ich euch biete, ist die Teilnahme am ‚Größten Rennen der Dekade‘! Es ist eine legendäre Herausforderung, das wichtigste Wagenrennen in ganz Eschar und darüber hinaus – womöglich auf der ganzen Welt. Wer hier siegt, dessen Name wird unsterblich werden. Vielleicht sogar mehr als der Name!“
Nun verwandelte sich die gesamte Schankstube in ein Tollhaus, als nahezu jeder aufsprang und nach mehr Informationen verlangte.           Beschwichtigend hob Maskroni die Hände und fuhr fort: „Ich werde hier eine Liste auslegen und jeder, der sich einträgt bekommt eine Chance, sich zu beweisen. Morgen werde ich wiederkommen und mit denjenigen, die sich als Team formiert haben, die Vorbereitungen beginnen. Seid euch nur eines gewiss: ihr werdet vielfältige Talente benötigen, die noch über das reine Wagenlenken hinausgehen. Und es ist eine sportliche Veranstaltung, doch die Wege der Wüste sind unergründlich und der Tod wartete nicht selten auf jene, die die Gefahren unterschätzten!“

Natürlich konnte diese Warnung niemanden mehr davon abhalten – und sollte es auch nicht – sich auf der Liste einzutragen, die sogleich am Tresen aufgelegt wurde. Alle Männer und Frauen, und wer weiß was sich noch unter so manchem Schleier verbarg, strömten dorthin und setzten nacheinander ihre Unterschrift auf das Papier.
Ich ließ es mir natürlich nicht nehmen, den vollen Namen von mir mitsamt Spitznamen, Vatersnamen und Herkunftsnamen zu schreiben, dann wurde ich von einer jungen Frau angesprochen. Sie hatte helle Haut und trug nur einen leichten, bunten Schleier für die Haare und die Schultern, wobei letztere recht knochig wirkten – wahrscheinlich eine junge Dame aus Lidralien, den Küstenstaaten. Und dürr wie sie war, schien sie längere Zeit äußerst wenig gegessen zu haben.
„Könntet Ihr meinen Namen für mich eintragen? Ich kann leider kein Scharidisch schreiben“, bat sie.
„Sehr gerne. Wie heißt Ihr?“
„Suena“, antwortete sie. Ich wartete einen Moment, denn aus den Küstenstaaten waren mir durchaus Kompositionen bekannt, die durchaus an die kunstvollen Konstruktionen meiner Heimat herankamen. Während Suena jedoch nichts weiter sagte, erkannte ich die Tätowierung, die sie direkt unter den Augen trug. Es war ein Zeichen für Sklaven in den Küstenstaaten, um sicher zu stellen, dass sie auch nach einer Flucht wieder zurück zu ihrem Herrn kamen.
Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, schrieb ich Suenas Name so kurz wie er war, auf und lächelte sie an. „Mein Name ist Karim.“
Da trat noch jemand an mich heran: es war die Elfe, die ich vorhin bereits flüchtig gesehen hatte. Sie war ziemlich groß und hatte langes, blondes Haar, aus dem die spitzen Ohren unverkennbar hervorstachen. Bisher hatte ich nur wenige ihres Volkes in der Wüste gesehen – bedauernswerterweise, wie ich immer wieder erkennen musste. Diese Elfe aber unterschied sich noch einmal von allen andere, denn sie trug ein Kettenhemd und der Griff ihrer Waffe ragte ihr über die Schultern hinaus: ein beinah überlanger Bihänder, der jedoch bei weitem nicht so wuchtig wirkte, wie die klobigen, mir vertrauten Varianten aus den Küstenstaaten. Zweifelsohne ein Produkt elfischer Schmiede – und die gab es in der „Nähe“ wohl nur in Vesternesse. Auch diese Dame hatte einen ansehnlichen Weg hinter sich gebracht, um herzukommen.
„Ich bin mir nicht sicher, ob man meinen Namen lesen könnte, wenn ich ihn in mir bekannter Sprache niederschreibe“, eröffnete die Elfe das Gespräch und lächelte sanft. „Könntet Ihr es also für mich übernehmen, das auf Scharidisch zu tun?“
„Sehr gerne“, erklärte ich und die Elfe erklärte: „Mein Name ist Marathaentir Vènthiel.“
Ich stutze etwas, schrieb es aber so nieder, wie ich mir dachte, es könne passen. Namenstranskriptionen brachten ihre Schwierigkeiten mit sich, aber für diese Belange würde es reichen. Dann strahlte ich die beiden Frauen an: „Sieht so aus, als könnten wir schon bald ein Rennteam sein.“
„Durchaus“, erwiderte Marathaentir. „Wie war dein Name?“
„Oh, achso. Karim el-Musaafir ibn Dschawal al-Numan. Aber Karim reicht.“
„Mara auch“, erklärte die Elfe mit einem bezaubernden Lächeln. Dann machte sie sich noch mit Suena bekannt, die bisher kein weiteres Wort gesprochen hatte, und wir gingen zu dritt hinüber zu Maskroni, der gerade weitere Erklärungen zu dem Rennen machte.
„Das Rennen besitzt große Tradition! Seit zweihundert Jahren wird es regelmäßig abgehalten. Und ebenso traditionsgemäß gibt es sieben Wagen, die jeweils von zwei Pferden gezogen werden.“
„Pferde? In der Wüste?“, warf ein anderer Scharide ein.
„Ja, das wirkt zunächst verwirrend. Aber lasst euch gesagt sein, dass ihr, zumindest auf der richtigen Strecke, passenden Untergrund finden werdet. Und was die Tiere Kamelen ohnehin voraushaben, ist ihre Schnelligkeit!“, erklärte der großzügige Sponsor, der dann wieder seinen Faden suchte und fortfuhr: „Und ja, diese Kutsche mitsamt zweier wunderbarer Pferde stelle ich. Und außerdem stelle ich eine stattliche Belohnung von zweitausend Goldstücken pro Person, wenn ihr mir die Siegesbelohnung übergebt: das Wasser des Lebens!“
Ein Raunen ging durch die kleine Gruppe, die Maskroni gerade zuhörte, gefolgt von einem Stutzen.
„Ja, ja, das Gebräu ist kaum bekannt. Doch es handelt sich dabei um einen der mächtigsten Tränke, die diese Welt kennt! Er vermag Menschen ihre Jugend zurückzugeben – manche sagen sogar: das Leben selbst! Ein Trank dessen Ursprung so unbekannt ist, wie ihre Spender mysteriös: die Amazonen aus den tiefen, unerforschten Regionen dieses Kontinents.“
„Was gilt es beim Rennen selbst zu beachten?“, fragte ich nach, nachdem weiteres Gemurmel und Geflüster abgeebbt war.
„Es wird sieben Flaggen in verschiedenen Farben geben – sie alle gilt es auf der Reise einzusammeln und am Zielpunkt vorzuzeigen. Nur wer am schnellsten ist, wird sie alle gewinnen können. Und wie ich bereits sagte, wird nicht nur Geschwindigkeit, sondern auch Geschicklichkeit entscheiden. Denn Gefahren lauern auf dem gesamten Weg!“

Und damit war Luis Maskroni am Ende seiner Erzählungen. Er zog sich zurück und die restlichen Bewerber begannen, sich zusammen zu raufen und versuchten, ein Team zu bilden. Suena, Mara und ich beschlossen, das auf den nächsten Morgen zu verschieben und gingen auf unsere Zimmer – wo jeweils ein männlicher Sklave vor der Türe wartete und mit tiefen, dunklen Augen versuchte, jeden Wunsch von unseren Lippen abzulesen. Ich schickte meinen direkt in den Feierabend, soweit ich es mitbekam teilte Suena noch ein Abendessen mit dem ihren, bevor er entlassen wurde und Mara ignorierte ihren Diener nahezu vollständig.

Selten hatte ich eine Nacht so ruhig und entspannt verbracht, wie diese. Seidenbezüge, weiche Wolle in den Kissen – überhaupt Kissen. Nach Wochen in der Wüste, dreckig, in geflickter Kleidung eine unvergleichbare Erholung.
Beim Frühstück bemerkte ich, dass bereits einige der Gäste fehlten und unter den verbliebenen stach einer heraus: er hatte schwarz umrandete Augen und trug eine Kleidung in bunten Farben, die jedoch eine Rüstung nicht gänzlich verbargen. Wenn es mich nicht ganz täuschte, war dies ein Mann aus Aran, dem Land der Reichtümer und Schätze, aus dem der Glaube an die Zweiheit von Ormut und Alaman nach Eschar gekommen war.
„Frieden sei mit dir“, begrüßte ich ihn traditionell und setzte ich mich zu ihm.
„Und der Frieden sei mit dir“, erwiderte der Mann.
„Mein Name ist Karim – willst du auch am großen Rennen teilnehmen?“
„Dario – und ja, das hatte ich vor. Ich bin ein einigermaßen erfahrener Wagenlenker und kann mit Sicherheit meinen Teil dazu beitragen“, erklärte der Araner.
„Sehr gut! Ich habe gestern bereits zwei Frauen kennengelernt, die sich ebenfalls angemeldet haben. Womöglich könnten wir vier gemeinsam ein Team stellen?“, fragte ich ihn direkt.
Dario überlegte etwas und kaute dabei langsam auf seinem Frühstück herum. „Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Insbesondere, wenn ich mir diesen Rest ansehe.“
Und dabei wanderte der Blick aus dunkel ummalten Augen zu dem kunterbunten Haufen hinüber, den die übrigen Gäste darstellten und die beim Versuch, eine Gruppe zusammenstellen, beinah handgreiflich wurden. Ich lachte herzlich und stimmte mit Dario überein. Dann kamen Mara und Suena herunter und machten sich ebenfalls mit dem Araner bekannt.
„Was könnt ihr zu unserem Unterfangen beisteuern?“, fragte Dario schließlich.
„Ich habe mein halbes Leben in der Wüste verbracht und werde uns sicher durch ihre Unbilden führen können“, erklärte ich.
„Nun, mein Schwert spricht wohl Bände“, grinste Mara.
„Und ich … habe ein paar Tricks auf Lager“, zierte sich Suena etwas. Abgemagert wie sie war, befürchtete ich, dass ausgerechnet ein Rennen nicht das richtige für sie war. Auf der anderen Seite hatte sie es aber auch aus den Küstenstaaten hierher geschafft. Sie würde wohl selbst am besten wissen, was gut für sie war.

Somit war das Rennteam gerade rechtzeitig geschmiedet, denn Maskroni kam nun ebenfalls wieder in das „Goldene Wüstenschiff“. Verwirrenderweise verteilte er dabei zunächst einige Rosen an verschiedene Männer, wohl als weiteren Ansporn, für ihn zu arbeiten. Etwas verdutzt nahm ich diesen Gunstbeweis an und legte ihn dann sorgsam auf den Tisch.
„So … wer möchte für mich … fahren?“, fragte Maskroni, natürlich wieder in seinem grellblauen Aufzug, während sich dann auch unsere letzten Konkurrenten aus dem Gasthaus verzogen. Sogleich grinste er uns feierlich an. „Sieht so aus, als hätte ich meine Champions gefunden! Mit wem habe ich dieses unvergleichliche Vergnügen?“
Wir stellten uns kurz vor und Dario versicherte unserem Gönner, dass er ein guter Wagenlenker sei.
„Dann lasst uns gleich aufbrechen. Die Kutsche steht schon bereit und wir können gemeinsam zu meinem Handelskontor aufbrechen. Dort dürft ihr alles nehmen, was ihr braucht und was die Kutsche an Gewicht verträgt!“
„Vorher würde ich noch das Morgengebet sprechen“, erbat sich Dario.
„Selbstverständlich“, gestand Maskroni zu, knirschte aber auch etwas mit den Zähnen. „Aber schnell, ja? Ich kann es kaum abwarten, zum Startpunkt aufzubrechen und euch alle weiteren Einzelheiten zu berichten!“
„Ich schließe mich dem an. Ach und eine Sache noch, Herr Maskroni. Ich besitze ein Pferd, das derzeit im Stall untergebracht ist. Kann es hierbleiben, bis wir vom Rennen zurückkehren?“
„Aber selbstverständlich. Sollen wir es dann schon gleich zu Wurst verarbeitet haben?“
„Bitte was?“
„Entschuldigt, ein Scherz. Ich bin ein lustiger Typ, weißt du“, grinste Maskroni und fuhr sich verwegen durchs Haar. Beinah fluchtartig stand ich auf und folgt Dario nach draußen, wo er seine Gebetsdecke, ich ein einfaches Stück Tuch ausbreitete. Wir richteten uns natürlich nach Osten aus und sprachen unsere Bitten nach dem Schutz Ormuts gegen den Unbill Alamans aus.

Dann war es schon soweit. Unsere Taschen waren schnell gepackt und wir traten vor das „Goldene Wüstenschiff“, wo wir unser Reise- und Renngefährt erblickten. Eine imposante, geschlossene Kutsche, die sicherlich für sechs Mann Platz bieten konnte. Vorne neben dem Kutschbock hingen zwei Lampen, die sogar bei Dunkelheit Licht spenden konnten. Die hölzernen Seiten des Gefährts waren kunstvoll mit Schnitzereien verziert. Etwas zu viel für meinen Geschmack und auch dem Anlass gemäß, aber Maskroni wollte wohl nicht nur siegreich sondern auch repräsentativ sein. Das Beste an der Kutsche waren aber die beiden Pferde, die vorne eingespannt waren: prächtige Rappen, die einen breiten Rücken und starke Fesseln hatten. Im direkten Vergleich würden sie wohl nicht immer gewinnen, aber wenn es darum ging, tagelang eine Kutsche zu ziehen – ja, da waren sie die perfekte Auswahl.
Wir stiegen ein, verstauten unsere Sachen und Maskroni ging neben Dario auf den Kutschbock. Der Handelsfürst dirigierte den Araner durch das unübersichtliche Treiben auf den Straßen Dairabas, bis wir in ruhigere Randgebiete kamen und schließlich das angesteuerte Kontor erreichten. Wir waren hier auch nicht mehr fern des Hafens, von dem aus Schiffe einfachere Wege nahmen, als die Karawanen durch die Randlagen der Wüste.

Dann kamen wir zur ersten Probe für unser Unterfangen. Was sollten wir mitnehmen? Die Auswahl im Handelshaus war unfassbar breit und unerschöpflich.
„Wie genau wird das Rennen ablaufen?“, fragte also Dario nach.
„Wir werden heute noch zur Oase Al’Talif aufbrechen. Dort wird das Rennen mit allen sieben Teams beginnen. Es herrscht Kampfverbot in der Oase, sowie beim Zwischenstopp in Ba’il und zuletzt im Ziel Morvolo. In der Oase sowie in Ba’il könnt ihr euch mit frischem Wasser, Essen und sogar neuen Pferden ausstatten lassen. Sämtliche Kosten werden an mich übertragen, spart also nicht.“
„Wie lange wir das Rennen etwa dauern oder welche Strecke steht uns bevor?“
„Das kann ich leider nicht sagen, da dies ein Geheimnis ist. Mit einigen Tagen ohne Versorgung solltet ihr aber auf jeden Fall rechnen!“

Damit hatten wir alle Informationen, die Luis uns geben konnte. Und so begannen wir, Essen und Trinken (natürlich auch für die Pferde) für etwa zehn Tage zusammenzustellen. Dabei machte uns Suena darauf aufmerksam, dass sie noch einen Passagier mitbrachte: eine schwarze Katze. Sie war sich aber sicher, dass es das Tier schaffen würde, sich von den Resten zu ernähren, sodass kein Problem entstünde.
Neben dieser Grundverpflegung mussten wir natürlich auch für Ersatz sorgen, sollte unserer Kutsche irgendetwas zustoßen. Also nahmen wir Holz, diverse Ersatzstücke, insbesondere zwei Räder und Handwerkszeug mit. Zusätzlich auch eine Schaufel, Lampenöl, einen Eimer, Seile und Zelte. Natürlich brauchte es auch größere Planen, um bei einem Sandsturm unseren Pferden einen Schutz bieten zu können. Fackeln, einen Bogen sowie auf Suenas Bitten auch einige Dolche fanden ihren Weg in den Stau- oder Innenraum. Die Küstenstaatlerin argumentierte überzeugend, dass jeder mit einem Langmesser umgehen könne. Zuletzt spendierte Luis Maskroni uns noch ein Glas mit Dreck.
„Das ist magischer Schlamm!“, versicherte er uns. „Er schützt vor Feuer!“
Mehr oder weniger überzeugt packten wir dieses Zeug zu allem weiteren und ich ließ mir noch ein heiliges Amulett von Ormut geben, wo ich die Gelegenheit hatte. Hoffentlich würde es mir eine Hilfe sein, sollten in der Nacht Kreaturen Alamans einen Überfall wagen.

Damit waren wir mit unseren Vorbereitungen am Ende und Luis Maskroni drängte uns direkt wieder in die Kutsche und wir machten uns auf den Weg aus Dairaba heraus und dann Richtung Nordosten: zur Oase Al’Talif.
Die geschäftige Stadt ließen wir bald zurück und linkerhand erhoben sich die Sanddünen. Unser Weg war jedoch einigermaßen fest, sodass die Räder des Wagens ebenso wenig wie die Hufe unserer Pferde einsanken.

Wir benötigten vier Tage durch die Wüste Richtung Nordosten. Bereits ab dem ersten Mittag empfing uns die unbarmherzige Hitze aus dem Herzen Eschars. Ich war es nicht anders gewohnt und konnte es einigermaßen aushalten – solange wir uns daran hielten, nicht zur heißesten Stunde zu reisen. So schonten wir auch die Pferde, auf die noch größere Prüfungen zukommen würden. Dario und Suena waren die Wüste zwar weniger gewohnt, besaßen aber offensichtlich eine gesunde Konstitution und ertrugen die Hitze einigermaßen stoisch. Die Elfe litt am meisten, was angesichts ihrer Herkunft und ihrer besonders blassen Haut wenig verwunderte. Ich hatte schon einige Geschichten von diesem Kontinent Vesternesse im Norden gehört und alle waren sich darin gleich, dass ihre heißesten Tage kaum mit einem „kühlen“ in der Wüste zu vergleichen waren.
Doch letzten Endes gab es keine größeren Zwischenfälle und so erreichten wir am vierten Tage die Oase Al’Talif. Sie war vergleichsweise klein und lag etwas abseits der großen Karawanenrouten. Ein Ring von Palmen wirkte beinah wie eine Abgrenzung, was zur Lagerstruktur passte, die man hier aufgebaut hatte. Am Ostende waren sieben große Zelte aufgebaut mit jeweils einem Pferch dahinter, in dem die Kutsche mitsamt den Pferden abgestellt werden konnte. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich die Zelte der „Wächter“ dieses Rennens: der Veranstalter hatte es geschafft, einen Stamm der Asad für sich zu gewinnen, wie direkt offenkundig wurde. Das „Volk des Schleiers“ war besonders ehrfürchtig vor Ormut, spannenderweise gingen bei ihnen jedoch die Männer verschleiert und nicht die Frauen. Von diesen sahen wir hier nur leider keine – nur dutzende der verhüllten Männer mit Speeren oder Krummsäbeln, die uns sogleich begrüßten und unsere Kutsche zum letzten freien Zelt führten. Unsere sechs Kontrahenten waren bereits vor Ort.
„In dieser Oase herrscht das Friedensgebot“, klärte uns einer der Asad auf Scharidisch auf. „Das bedeutet auch, dass ihr eure Gegner im Wettbewerb zwar begutachten, aber nicht stören dürft! Hier geht es um den Sport, nicht um den Kampf!“
„Selbstverständlich“, nickte ich, während Suena für Mara übersetzte, da die Elfe kein Scharidisch verstand. Immerhin konnten wir vier uns problemlos mit der Handelssprache Vallinga unterhalten.

Nachdem wir unsere Kutsche abgestellt und den Pferden das grasen ermöglicht hatten, zogen wir uns in das große Zelt zurück, das für uns bereitgestellt worden war. Maskroni entdeckte sofort eine Wasserpfeife und begann, einen Kopf mit Tabak zu stopfen.
Ich war zunächst jedoch neugierig, wer unsere Gegner sein würden und beschloss, zusammen mit Suena, durch das Lager zu gehen. Sobald wir die Waffen abgelegt und einen Asad als Begleitung akzeptiert hatten, war das auch ohne Probleme möglich und wir begannen, die sechs Koppeln nebst der unsrigen abzugehen.
„Dies ist das Team aus Valian“, erklärte uns der Asad bei unseren direkten Nachbarn. Wir sahen einen Streitwagen nebst zweier Pferde, dazu eine schöne Frau und … noch eine Frau. Oder etwas in der Art. Sie hatte grüne Haut, aber glatter als die der Orks, die ich in Maskronis Gasthaus gesehen hatte. Ansonsten war diese Begleitung fast normal, nur hatte sie vier Arme.
„Ähm, Suena, bin ich betrunken?“, fragte ich verdutzt, doch die Frau schüttelte nur – ebenso verblüfft – den Kopf.
„Und hier sind die Orks“, führte man uns weiter. Diese überraschten mich nun eher weniger, schließlich hatten wir bereits solche Exemplare in Dairaba gesehen. Ihr schlechter Ruf schien die Veranstalter dieses Wettrennens nicht davon abzuhalten, sie als Teilnehmer zu akzeptieren. Besonders waren aber ihre Reittiere: übergroße, beharrte Schweine mit unterarmarmlangen Stoßzähnen.
„Und jetzt kommen wir zu den Gnomen“, sagte der Asad und zog uns zur nächsten Koppel. Das war ein bunter Haufen, wie man ihn sich kaum wüster vorstellen konnte. Acht Exemplare dieser kleinen, wuseligen Sorte, die durcheinander eilten und an ihrem Gefährt mal etwas anbauten und im nächsten Moment gleich wieder abbauten. Alles ging beständig durcheinander, im einen Moment wirkte das Gefährt wie ein Gerät direkt aus den Vorhöfen zur Hölle, dann fiel es wieder auseinander. Doch vor allem: es war ein durch und durch aus Eisen erbautes Gerät, das scheinbar keinerlei tierischen oder überhaupt natürlichen Antrieb besaß.
„Bitte weiter“, drängte der Asad, der wohl nicht allzu lange auf uns aufpassen wollte. „Hier sind die Schwarzalben.“
„Die was?“, ächzte ich.
„Schwarzalben, Elfen mit dunkel gefärbten Haaren oder irgend so etwas“, brummte der Mann monoton.
Fassungslos starrte ich zu den beiden wunderschönen Geschöpfen hinüber, von deren Grausamkeiten ich aber aus ein, zwei fernen Legenden wusste. Es gab sie hier in Eschar noch weniger als es Elfen gab und ich vermag nicht zu sagen, was über sie wirklich stimmt. Doch ihre Teilnahme stimmte mich nicht wirklich froh. Ebenso wenig auch die Sensenklingen, die an den Rädern ihres Streitwagens befestigt waren.
„Und jetzt, als eine kleine Überraschung: die Meketer!“, erklärte der Asad.
Und wir blickten auf zwei Gestalten, die man dereinst dick und mehrfach mit einem weißen Tuch umwickelt hatte. Wandelnde Mumien und dazu passend skelettierte Pferde.
„Das ist eine Verkleidung, oder?“, ächzte ich. „Die Meketer existieren seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden nicht mehr.“
„Wer weiß das schön“, trällerte der Asad und präsentierte uns dann mit einem Wink seiner Hand den letzten Gegner dieser Fahrt. Es handelte sich um einen geschlossenen Wagen, ähnlich dem unsrigen. Zu sehen bekamen wir nur einen des Teams, der gerade eine längliche Kiste hinten einlud. Ich konnte nicht genau erkennen, was es war und ich hatte das Gefühl, als würde sich die Dunkelheit um dieses Gefährt verdichten. Doch der schräge Blick dieses buckligen Gehilfen ließ mich erzittern.
„Wer ist das?“
„Das ist das Team aus Moravod. Ein gewisser Graf und sein Diener sind Nacht und Nacht geritten, um hierherzukommen.“
„Ist das eine Fledermaus?“, fragte Suena plötzlich, aber der Asad und ich konnten nicht mehr erkennen, was genau da in die Nacht davonflatterte. Aber es war von der Kutsche gekommen.
„Ja nun, das waren alle eure Herausforderer“, erklärte der Asad und schob uns zurück zu unserem Zelt. Wir wollten auch nicht mehr sehen: wir waren schon verwirrt genug. So konnten wir auch den anderen auch keine großen Erklärungen liefern, als wir uns neben sie fallen ließen und ebenfalls einige Züge aus der Wasserpfeife nahmen.
„Wartet es einfach bis morgen ab, uns werdet ihr jetzt nicht glauben“, ächzte ich.
„Herr Maskroni … wie viele Teams kommen denn üblicherweise von diesem Rennen zurück?“, fragte Suena.
„Nun. Eines für gewöhnlich. Die Sieger.“
„Und der Rest?“
„Geht … verloren“, meinte der Mann zögerlich.
„Und wie kommt es, dass Ihr einen Wagen stellen dürft neben diesen anderen, doch, ähm, bunt gemischten Teams?“, fragte ich nach.
„Ich bin so etwas wie der Mäzen dieser Veranstaltung“, erklärte Maskroni mit stolzgeschwellter Brust. „Ich tue, was ich kann, um die Organisation und Versorgung dieses großartigen Rennens mit seiner langen Tradition zu unterstützen.“
„Und warum steht nirgendwo Euer Name auf unserem Wagen oder auf den Zelten?“, fragte Dario.
„Wozu soll das denn gut sein?“, meinte Maskroni stirnrunzelnd.
„Nur so ein Gedanke“, sagte der Araner und winkte ab.

Bald danach zogen wir uns in unsere Betten zurück, die man in diesem luxuriösen Zelt für uns aufgestellt hatte. Es wurde eine kurze und unruhige Nacht, wenn ich an unsere ganzen Kontrahenten dachte und das Böse, welches einige von ihnen mit sich trugen. Doch das spornte mich nur noch mehr an, dieses Rennen gewinnen zu wollen!

Am nächsten Morgen ging alles sehr schnell. Die Pferde wurden vor die Wagen gespannt und zur Startlinie geführt. Ein großes Banner hing darüber und verkündete den Beginn des legendären Rennens. Die anderen sechs Teams und wir versammelten uns ein letztes Mal als Pulk vor einem kleinen Podest, auf dem zunächst Luis Maskroni einige Worte verlor, die wir so auch schon aus dem Gasthaus in Dairaba kannten. Dann jedoch trat eine andere Gestalt auf: eine Frau mit tiefdunkler Haut, aber silberweißen Haaren. Ihr Alter war kaum zu bestimmen und sie strahlte Macht aus. Ein gezieltes Wort von ihr würde reichen, um den Verstand zu verlieren, dessen war ich mir sicher.
„Seid gegrüßt, ihr Recken“, verkündete sie mit tiefer, aber wunderschöner Stimme. „Ich bin Usharia Ashanti, eine Hohepriesterin der Amazonen. Dieses Rennen ist eine heilige Angelegenheit, denn es geht hier um nicht weniger als um den Fortbestand des Amazonenreiches. Ihr Männer wisst, was das bedeutet!“
Und mit diesen Worten hatte sie schon genug gesagt und entschwebte unseren Blicken. Dario und ich ächzten etwas, als wir von Mara geknufft und zurück zum Wagen geschleift wurden. Das Rennen sollte nun beginnen.

Luis Maskroni höchstselbst übernahm diese Aufgabe, zückte ein grellrosa Taschentuch und ließ es zu Boden fallen. Die Pferde begannen unruhig mit den Hufen zu schaben und dann traf der feine Stoff auf die ersten Sandkörner.
Dario ließ die Zügel knallen und wir peitschten nach vorne, gemeinsam mit unseren sechs Kontrahenten: Gnomen, Orks, Schwarzalben, Moraven, Valianern und „Meketern“.

Wir hatten kurz vor der Abreise eine – nicht maßstabsgetreue – Karte der Strecke bekommen. Auf dieser konnten wir ablesen, dass es zunächst sechs Senken gab, durch die man reisen konnte. Mit jeweils einer Flagge, die als Beweis für die Überwindung dieser ersten Etappe diente. Zugleich bedeutete das, dass wohl gleich zu Beginn zwei Teams miteinander in Konflikt kämen. Ebenso auch, dass die dichte Formation des Rennstarts sich rasch auffächerte.
Wir wählten eine Strecke in südlicher Richtung, da Suena die dort aufgezeichneten Wesen am wenigstens gefährlich vorkamen. Für mich war das alles nicht viel mehr als Kritzelei, aber ich gab Dario die Richtung durch, in die er sich halten solle. Als einziger mit Erfahrung in der Wüste saß ich neben ihm auf dem Kutschbock, während die Damen im Innenraum Platz nahmen – wo es leider auch keine Abkühlung gab.

In unsere Richtung hielten auch die Orks und die Schwarzalben, beide Teams verloren wir aber schon bald zwischen den Dünen aus den Augen. Es war schwierig, sich hier zurecht zu finden, da wir immer wieder den zu sandigen Dünen ausweichen mussten, um mit der Kutsche voranzukommen. Eine Karawane aus Kamelen würde hier wohl mehr Sinn machen, aber auch viel langsamer sein.

Sobald unsere Kontrahenten außer Sicht waren, galt es nur noch, den Wagen sicher durch die Dünen zu führen. Wir beschlossen, zunächst nicht das größere Risiko einer höheren Geschwindigkeit einzugehen. Sollte sich auch nur einer unserer Kontrahenten als so wahrhaft bösartig herausstellen, wie es der erste Eindruck mutmaßen ließ, dann konnten wir ohnehin nur auf Glück hoffen. Dunkle Elfen, vierarmige Gestalten, Untote, Vampire. Das würde uns doch hinterher kein Mensch glauben!

Vielleicht hing ich diesen ersten Tag zu sehr meinen Gedanken nach. Als wir am Abend ein Lager aufschlugen, bestieg ich zusammen mit Dario eine nahe Düne und stellte fest, dass wir südlicher gelandet waren, als geplant war.
„Ich glaube, das kann ich morgen noch korrigieren“, überlegte ich und suchte bereits einen Weg über die Sandwüste hinweg. Dario zuckte nur mit den Achseln und stieg wieder hinunter. Ich folgte ihm nach einer Weile und wir beteten gemeinsam unter den letzten Strahlen von Ormuts Sonne, bevor Alamans Gesicht sich drohend an den Himmel schob. In der Nacht hielten wir natürlich nacheinander Wache – diesmal ohne Zwischenfall.

Am zweiten Tag des Wettrennens gelang es uns, den Kurs zu korrigieren. Wir erhaschten dabei eine Zeit lang einen Blick auf den Streitwagen der Valianer. Die Frau war durchaus schön, ihre mehr oder weniger weibliche Begleitung mit vier Armen eher erschreckend. Doch schließlich blieben sie hinter uns zurück und die Dünen versperrten die Sicht.

Erst am nächsten Tag erblickten wir wieder eine andere Seele in dieser Wüste: wir nahmen gerade Kurs auf die schmale Schlucht, die in die Senke hinabführte, da preschten linkerhand die Orks mit ihrem Streitwagen heran. Die großen Wildschweine grunzten und schrien wie wildgeworden und wahrscheinlich waren sie das auch, so wurden sie von ihren Herren geschunden. Und die nahmen ebenso mit unverminderter Geschwindigkeit Kurs auf das Tal.
„Sieht nach einem Kampf aus, wenn die so weitermachen“, konstatierte Dario, behielt aber auch weiterhin die Strecke im Auge.
„Sorgt dafür, dass wir Blickkontakt haben!“, rief Suena von hinten.
„Wozu das denn?“, fragte ich nach, während wir mit allmählich höherem Tempo in die Schlucht einfuhren, wo Dario einem Felsbrocken nach dem anderen ausweichen musste – die Orks waren nur noch etwa dreißig Meter von uns entfernt und das auf gleicher Höhe.
„Ich habe eine Überraschung!“, rief Suena. Dario zuckte daraufhin nur mit den Achseln und tat wie ihm geheißen. Ich blickte zu den Orks hinüber, die wiederum herüber sahen … und plötzlich wirkte der Kutscher ganz verwirrt. Die ungelenkten Wildschweine bretterten daraufhin über einige größere Gesteinsbrocken, die einiges am Wagen verhagelten. Was hatten die Frauen hinten im Wagen gezeigt, dass die Orks so verwirrt worden waren …? Doch ehe ich weiter schweinischen Gedanken nachhängen konnte, hörte ich trotz des Fahrtwindes leise fremdartige Worte aus dem Inneren unserer Kutsche. Dann war es wohl Magie, die Suena einzusetzen wusste. Jetzt wurde es interessant!

Die Orks fielen weiter hinter uns zurück, bis sie sich mit einem Mal zusammenrissen und ihre riesigen Wildschweine immer weiter antrieben. Weiter, immer weiter, bis sie direkt hinter uns waren.
„Was haben sie vor? Uns durchfahren?“, fragte Dario nach, dann krachten die beiden Zugtiere der Orks in unseren Wagen hinein und ich wurde beinah vom Kutschbock geschleudert. Doch die Tiere holten sich dabei im wahrsten Sinne blutige Schnauzen und fielen wieder etwas zurück. Und Mara kletterte aus dem Fenster der Kutsche aufs Dach. Ihr blondes Haar wehte im Fahrtwind, als sie den Bihänder erhob – und mit einem Sprung auf den Rücken der Wildschweine übersetzte. Die Biester quiekten auf und versuchten die Elfe abzuschütteln. Doch ungerührt balancierte sie sich aus, ein Fuß auf jedem Rücken, als stünde sie auf dem Deck eines ganz leicht schwankenden Boots.
Die Orks brüllten auf und reckten zornige Fäuste in Richtung der Elfe, die nun ihren Bihänder vom Rücken nahm und in einem weiten Schwung gegen unsere Gegner führte. Diese lehnten sich hastig zurück, auch wenn der eine immer noch eine Fleischwunde auf der Brust hinnehmen musste. Nun zogen auch sie ihre Waffen, doch waren die einfachen Äxte viel zu kurz, um an Mara heranzukommen. Also taten sie, was der orkische Verstand ihnen gebot: sie wurden langsamer und hielten schließlich den Wagen an.
Mara nutzte diesen Moment zu einem Sprungangriff direkt vom Rücken der Wildschweine weg. Noch in der Luft stieß sie ihren mächtigen Bihänder mitten in einen der Orks, der voll mit Fellen und anderen Fetischen behangen war. Schreiend ging dieser geistige Führer des Grünhaut-Duetts nieder, riss dabei aber auch die Waffe mit sich.

Die Elfe rollte sich hinter dem Wagen ab, stand dann jedoch mit bloßen Händen dem hünenhaften Ork gegenüber, der übrig geblieben war. Der führte seine Axt nun zweihändig und hieb damit nach Mara, als wollte er die Erde spalten. Einmal wich sie aus, ein zweites Mal rollte sie weg – dann erwischte er sie am Knie und schreiend blieb die Elfe liegen. Der Ork hob die Waffe an …
… und ein Speer bohrte sich vor ihm in den Boden. Mittlerweile hatten auch wir angehalten und Dario hatte nach einem seiner Wurfspieße gegriffen. Der Bär von einem Ork wandte sich nun uns zu. Suena hexte noch einmal vom Wagen aus, was uns noch einige wertvolle Sekunden verschaffte. Dann war ich mit meinem Krummsäbel, einem scharidischen Nimcha, heran und landete den ersten Treffer gegen diese Kreatur. Der grunzte wie eines der Wildschweine vor dem Streitwagen, dann kam Dario herangestürmt und hieb dem Ork aus vollem Lauf seinen Säbel quer in den Schädel. Dunkles Blut schoss aus der Wunde, die weit aufklaffte, als der Araner seine Waffe frei riss. Und damit gab es ein Team weniger im Großen Rennen von Eschar.
Suena kümmerte sich sofort mit Verbänden um Maras Wunde, während Dario und ich unsere Vorräte aus denen der Orks ergänzten. Wir schämten uns auch nicht, ihre Leichen zu durchsuchen, fanden aber nichts, was einen Nutzen für uns haben könnte.
„Sieht so aus, als könnten wir weiter“, schloss Dario. „Was machen wir mit den Schweinen?“
„Nichts“, schlug ich vor. „So wie die aussehen, brechen die schon aus ihrem Geschirr aus, wenn sie merken, dass nichts mehr passiert.“
Dario nickte und wir setzten uns wieder auf den Kutschbock, während Suena und Mara im Innern der Kutsche Platz nahmen.

Nun konnten wir ungehindert in die Senke einfahren. Rechts und links hoben sich immer stärker die Steinwände ab, gingen auseinander und trafen am Ende der Senke wieder aufeinander. Wir konnten auf den Felsen einige Asad-Wächter ausmachen, die scheinbar auch während des Rennens über uns wachten. Wozu das gut sein sollte, schließlich gab es kaum eine Regel, blieb mir schleierhaft.
Die Senke selbst war wie ein kleiner, abgeschlossener Teil der Wüste mit eigenen Dünen und Sandverwehungen. Dazu gab es hier einige Kalksteinformationen und ein paar wenige Stellen, an denen Dünengras wuchs. Von einer Flagge war auf den ersten Blick nichts zu erkennen – doch mitten in der Senke erhob sich ein Hügel so weit, dass man nicht erkennen konnte, was obenauf war. Die Kalksteinfelsen, aus denen er bestand, erschwerten das noch weiter, da sie beinah wie Zinnen über die Spitze hinausragten.
Wir fuhren direkt an den Hügel heran, dann stiegen Mara und Suena aus und wir vier berieten, was wir tun sollten.
„Wahrscheinlich ist die Flagge irgendwo da oben. Wir müssen wohl klettern“, erkannte Mara.
„Ich bin ein Kind der Wüste, mit den hohen Bergen hab ich’s nicht so“, wiegelte ich ab. „Ich kann bei der Kutsche bleiben und aufpassen.“
„Naja, man muss kein Gebirgshirte sein, um klettern zu können“, meinte Dario und schnalzte mit der Zunge.
„Ich kann und werde klettern“, erklärte Mara. „Mein Bein geht schon wieder.“
„Ich komme mit“, ergänzte Suena.
„Dann bleibe ich mit Karim bei der Kutsche“, schloss Dario. „Dann können wir schnell weiter, wenn etwas passieren sollte.“

Während ich nickte, machten sich die beiden Frauen bereits an den Aufstieg. Der karge Felsen bot ihnen zu Anfang einen leichten Aufstieg, doch ich merkte auch, wie sie mit steigender Höhe immer länger brauchten, um den nächsten sicheren Halt zu finden. Aber sie meisterten das beide ohne Probleme und verschwanden dann über den Rand des Hügels.
Dario und ich behielten währenddessen die Gegend im Auge, allerdings gab es nichts und niemanden, der sich näherte. So wurde es eine lange Wartezeit. Die Sonne ging unter und der Mond schob sich an den Himmel.
„Ob ihnen etwas zugestoßen ist?“, fragte ich.
„Ich glaube, die wissen sich zu helfen“, meinte Dario grinsend, wo ich ihm zustimmen musste.

Dann tauchten die Gesichter der beiden wieder am Rand des Hügels auf und Mara ließ die rote Flagge, unser erstes Etappenziel, die Wand herunterrollen. Die beiden Frauen zögerten keinen Moment und kletterten hastig hinterher. Ich fragte mich schon, ob sie einen Geist gesehen hätten, als sie unten ankamen, hastig die Flagge in den Wagen warfen und selbst hineinsprangen. Da blickte ich noch einmal nach oben und erkannte im schwachen Licht der Stirne eine riesenhafte Gestalt, die mit nur einem Auge im Gesicht auf uns niederstarrte.
Dario sah das Wesen ebenfalls und peitschte die Pferde voran – mit allem, was der Wagen herkam traten wir die Flucht nach vorne an und ritten in der Nacht noch einige Kilometer von diesem Berg weg, bevor wir kurz vor dem Ausgang der Senke ein Lager aufschlugen.
„Wie habt ihr das geschafft?“, konnte ich dann endlich die beiden Frauen fragen.
„Mara ist geschlichen“, erklärte Suena. „Nachdem die Zyklopen eingeschlafen waren, hat sie es geschafft, die rote Flagge an sich zu bringen und zu mir zurückzukommen. Nur ganz am Ende ist ein Stein unter ihrem Fuß weggerollt und hat eine kleinere Lawine ausgelöst. Zum Glück sind wir diesen Kreaturen entkommen, ich glaube kaum, dass wir einen Schlag überlebt hätten!“

Der Rest der Nacht war dann glücklicherweise erholsamer und wir konnten am nächsten Tag bereits wieder in der Frühe aufbrechen.

Die Sonne peitschte ihre Hitze wieder früher in die Senke, als es uns lieb sein konnte, doch fürs Jammern war keine Zeit. Hastig machten wir alles bereit und brachen wieder auf. Es waren nur noch wenige Meilen, dann verließen wir die Senke mit ihren Zyklopen – doch in die offene Wüste führte dieser Weg nicht zurück. Stattdessen erstreckte sich nun vor uns eine weitere Senke, aber um ein vielfaches größer als diejenige, die wir gerade verlassen hatten. So groß wie sie war, mutete sie wie eine kleine Wüste in der Wüste an, mit eigenen Sanddünen und vor allem einer gefährlichen Anfälligkeit für Sandstürme. Wir würden ein bis zwei Tage brauchen, sie zu durchqueren – je nachdem, wie hold uns das Wetter sein würde. In diesem Kessel befürchtete ich bei ungünstigen Windverhältnisse einen Sandorkan, wie ich ihn noch nie gesehen hatte.
Nur noch einen Blick warfen wir über die Schulter und sahen einige Asad-Wächter auf den Klippen über uns verweilen. Dann trieb Dario die Pferde wieder an und wir schossen hinab in die Wituku-Senke, die Berge an ihrem Ende fest im Auge. Dort würde es irgendwo einige Eingänge geben, die in ein unterirdisches Labyrinth zu führen versprachen. Zumindest ließ sich das aus der groben Karte entnehmen, die man uns in Al’Talif ausgehändigt hatte.

Entgegen all meiner Befürchtungen preschten wir ohne Probleme durch die gesamte Wituku-Senke, bis die Sonne sich allmählich zu senken begann. Einmal vermeinte ich im Norden einige Wirbel zu sehen, doch wenn es ein Sandsturm war, dann belästigte er nur andere Teams. So gelang es uns diese Etappe an einem einzigen Tag zu nehmen und in der letzten Stunde vor Einbruch der Nacht eine weitere Flagge einzusammeln – und Kurs auf einen großen Höhleneingang zu nehmen.
Doch wir waren nicht mehr allein: der Streitwagen der Valianer schoss aus den Dünen hervor und nahm ebenfalls Kurs auf den Weg in die „Unterwelt“, wie sie pathetisch auf der Karte beschrieben worden war.

Es lagen nur noch zweihundert Meter zwischen uns und der Engstelle – und die Valianer drängten immer näher an uns heran. Unbeirrt zerrte Dario an den Zügeln und wir fuhren haarscharf an einem größeren Felsen vorbei, der die halbe Schlucht vor uns blockierte.
Ich richtete mich etwas auf dem Kutschbock auf, um bessere Sicht auf unsere Verfolger zu haben. Die seltsame, vierarmige Frau führte gleichzeitig die Zügel, hatte aber auch Waffen bereit. Immer näher und immer rücksichtsloser trieb sie die Tiere, während ihr Streitwagen immer wieder auf dem unebenen Grund auf und nieder geschleudert wurde. Doch es gab kein Erbarmen für den Wagen und auch nicht für die Pferde.
Durch den Fahrtwind hörte ich Suena noch etwas aus dem Wagen rufen, doch scheinbar verfehlte ihre kleine Zauberei diesmal ihre Wirkung … und die mit Scheuklappen versehenen Rösser der Valianer krachten hinten in unsere Kutsche. Wehklagendes Wiehern hallte durch die Schlucht, ich wurde beinah zu Boden geschleudert und Dario konnte gerade so verhindern, dass wir mit einem weiteren Felsen kollidierten. Dann war Stillstand.

Die Tür zum Innenraum der Kutsche flog auf und Mara sprang heraus, ihren Bihänder bereits fest im Griff. Auch Dario und ich packten unsere Waffen und eilten der Elfe nach, während die Valianerin und ihre vierarmige Begleiterin in unsere Richtung liefen. Die Menschenfrau zog eine Peitsche mit sich, die andere eine Hellebarde, die sie mit zwei Armen führen konnte, während ein anderer einen Schild zur Deckung hielt.
Mara stürmte auf die Vierarmige los, holte weit aus – und verfehlte die unerwartet galant ausweichende Frau. Das Schwert fuhr so ohne Widerstand durch die Luft und traf mit voller Wucht auf den felsigen Untergrund. Eine Erschütterung zog sich bis in die Arme der Elfe hinauf und ich hörte den Stahl kreischen, bevor die Waffe in die Brüche ging: ein armlanges Stück brach von der Spitze weg und ließ Mara einen Scherbenhaufen.
Die Vierarmige holte nun selbst aus, um nach der geschockten Elfe zu schlagen. Doch ich war nur kurz hinter meiner Kampfgefährtin gewesen und hackte nun mit meinem Nimcha auf diese seltsame, grünhäutige, vierarmige Kreatur ein. Aus dem Augenwinkel sah sie den Schlag kommen und versuchte ihren Schildarm zu verdrehen, sodass der Angriff abgelenkt wurde – doch stattdessen traf die Klinge genau in den Ellenbogen und der grüne Unterarm wurde mit seinem fleischigen Geräusch abgetrennt.
Die nun Dreiarmige schrie auf und versuchte mich mit ihrer freien Hand zu greifen. Ich wich aus, sah die andere Valianerin von der Seite ihre Peitsche schwingen. Und in diesem Moment schoss Darios Wurfspeer herbei und erwischte diese Frau an der Schädelseite. Der halbe Kopf wurde verwüstet, das rechte Ohr abgerissen und nur noch eine blutige Masse übrig gelassen – und damit hatte sie noch Glück gehabt.

Mara hatte indes ein Langschwert gezogen, das sie als „Zweitwaffe“ am Gürtel getragen hatte. Zu zweit gingen wir nun auf die Dreiarmige los, während sich Dario jetzt mit seinem Krummsäbel auf die verwundete Valianerin stürzte.
Doch auch mit einem Arm weniger war die grüne Frau eine fürchterliche Gegnerin, die wild ihre Waffe herumwirbeln ließ. Zunächst traf sie Mara mit dem stumpfen Ende in der Magengegend, dann verpasste sie ihr einen Treffer an der Schulter. Die Elfe taumelte zurück, während ich versuchte sie mit einem eigenen Vorstoß zu decken, doch dieser Angriff wurde mit dem Stiel der Hellebarde pariert. Ich hatte das Gefühl mit meinem ersten, glücklichen Treffer einen Dämon geweckt zu haben.

Dario wich indes den Peitschenschlägen der Valianerin aus, kam näher, näher und schlug ihr schließlich mit einem Schlag seines Krummsäbels beinah den Kopf von den Schultern. Die Frau kippte tot zu Boden und der Gläubige aus Aran kam dazu – gemeinsam attackierten wir nun in deutlicher Überzahl die Dreiarmige, während Suena von hinten noch einige Sprüche rief, die unsere Gegnerin noch weiter schwächten.
Immer weiter wurde die Grünhäutige zurückgedrängt, dann traf ich sie am Oberschenkel und Dario landete den letzten, vernichtenden Treffer. Diese seltsame Frau aus einer scheinbar anderen Welt war tot.

Ächzend wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Die Sonne war im Begriff unterzugehen, doch noch immer war es eigentlich zu heiß für solche Kämpfe. Dario atmete ebenfalls einmal kurz durch, bevor wir gemeinsam durchsuchten, was der Streitwagen der Valianer noch für uns zu bieten hatte. Suena indes versorgte ein weiteres Mal Maras Wunden.
Wir fanden neben der üblichen Verpflegungen einigen Schmuck und Gold in einer Schatulle, was wir den beiden Frauen mitteilten und die ich dann zunächst einsteckte. Faszinierender war jedoch ein kleines Kistchen, das keinerlei Schloss besaß – aber ein Spalt verriet, dass man sie öffnen könnte. Nur bei all unseren Anstrengungen tat sich nichts. Ratlos brachten wir den Fund zu Suena und Mara, nachdem die Elfe versorgt worden war.
„Vielleicht hat die ja noch was zu sagen“, brummte die Kriegerin und stieß mit dem Fuß gegen die Grünhäutige. Tatsächlich flackerten ihre Augen auf und sie spuckte etwas Blut, ehe sie uns ansah.
„Ich verschaffe dir einen schnellen Tod, wenn du uns verrätst, was es mit der Kiste auf sich hat“, erklärte die Elfe ihr gnadenlos und mit einer Eiseskälte in den Augen, die mich noch einige Meter weiter frösteln ließ.
„Mondlicht“, stammelte die Frau. „Bei Nacht offenbart sich das Losungswort auf dem Deckel der Kiste.“
„Danke“, sagte die Elfe kalt und stand auf, während die Dreiarmige am Boden wieder etwas Blut hustete. „Können wir dann?“, fragte Mara nun uns.
Irritiert blickte ich auf die Verwundete, die im Begriff war einen elenden Tod zu sterben. Die Elfe folgte meinem Blick und zuckte nur mit den Achseln. Erst einen Moment später ließ sie sich zur Gnade herab und verschaffte der Grünhäutigen durch einen schnellen Stich mit dem Dolch Erlösung.

Dann konnten wir endlich wieder zur Kutsche und aufbrechen. Erst als Dario bereits die Zügel schnellen ließ, steckte die Elfe noch einmal den Kopf aus dem Fenster.
„Wer hat eigentlich die Kiste mit dem Schmuck genommen?“
„Ich dachte, du wolltest sie nehmen!“, rief ich zurück.
„Was? Nein, ich dachte du …“
„Das war doch eine ganz klare Sache!“, setzte ich erbost nach. Verwirrt zog sich die Elfe zurück in die Kutsche und ich konnte mir ein schelmisches Grinsen kaum verkneifen. Ich würde meine Beute schon noch teilen – vielleicht.

Und nun fuhren wir in die „Unterwelt“ ein. Ein großer Tunnel war das erste, was wir von ihr mitbekamen. Er war groß genug, dass wir ohne Probleme mit der Kutsche hindurchfahren konnten, allerdings mussten wir die vorderen Lampen entzünden, um etwas erkennen zu können. Dank der Karte, die wir in Al’Talif erhalten hatten, konnten wir einigermaßen sicher durch das Tunnelgewirr navigieren, denn schon bald kam eine Kreuzung – und noch eine, und eine Abzweigung und immer so fort. Monoton erschollen das Rollen der Räder und das Klacken der Pferdehufe mit jeweils leichtem Echo. Das ferne Tropfen von Wasser lag dahinter und ab und an hörte man das Fiepen kleinerer Tiere in diesen ewigen Katakomben der Welt. Schon bald verlor man jegliches Zeitgefühl oder überhaupt das Gefühl, dass da mehr war: eine Welt außerhalb es kleinen Lichtpegels unserer Lampen.

Dann fuhren wir in eine größere Höhle ein, deren Ausmaße sich schlecht abschätzen ließen. Das Licht der Lampen ließ noch einige Schemen erahnen, doch dieser Raum war deutlich größer, als dass wir alles erkennen konnten. Lediglich die Elfe mit ihren guten Augen konnte etwas mehr erahnen.
„Etwa zweihundert Meter lang“, rief sie von hinten. „Und voller Fledermäuse.“
Und dann hörten Dario und ich sie auch. Das Rascheln von der Decke, schlagende Flügel. Einige Schemen näherten sich unserem Lichtkreis, doch wichen letzten Endes wieder zurück. Vorerst.

Der Araner ließ die Pferde nun ganz langsam und ruhig durch diese unterirdische Halle traben. Indes griff ich zu meinem Rucksack und nahm die Laute ab, die ich an seiner Seite festgeschnürt hatte. Skeptisch sah Dario zu mir, sagte jedoch nichts. Wir fuhren weiter – und auf der Hälfte der Höhle, soweit konnten das nun auch menschliche Augen erahnen, stürzten sich vier Fledermäuse auf uns herab. Und ich schlug die Saiten meiner Laute an.
Es war eine Oud, wie sie bei uns in Eschar üblich ist, mit abgeknicktem Wirbelkasten. Doch es war nicht irgendein Instrument gewesen – ein alter Barde namens Halif hatte sie mir einst geschenkt, was der Anfang vom Ende meiner Tätigkeit als zielloser Karawanenwächter gewesen war.
Der erste hallte nicht weit, aber war durchdringend. Ich setzte rasch weitere hinzu, wob eine Melodie wie ein Netz und die heranrauschenden Fledermäuse verfingen sich darin. Ihre Flügelschläge wurden langsamer, ihre Zähne zogen sich zurück. Und ruhig, ja ganz friedlich setzten sie sich neben mich oder hängten sich an den oberen Rand der Kutsche. Und lauschten meiner Melodie, die die magischen Rhythmen anspielte, die die Welt in Bewegung versetzten – in diesem Falle in Verzückung.

Damit war der erste Angriff erboster und gestörter Fledermäuse unterbrochen, noch ehe er begonnen hatte. Wir fuhren weiter und näherten uns dem Ende der Höhle, als sich weitere kleine Biester von der Decke lösten und niedersausten. Einige verfingen sich ebenso im Netz meiner Musik, nur zwei versuchten mit boshaften Attacken Dario zu stören. Doch der Araner blieb ruhig und lenkte uns rasch aus der Höhle heraus. Die Fledermäuse ließen ab und nach einer Weile beendete ich meine Musik, sodass sich auch die Tiere zurückbegeben konnten, die bis gerade eben verzückt gelauscht hatten.

Und dann erreichten wir Ba’il. Inmitten eines großen, unterirdischen Flusses lag diese Insel, die wir über eine Brücke erreichten. Zahlreiche Asad-Wächter waren hier unterwegs und begrüßten uns feierlich, erinnerten uns aber auch sofort an das Kampfverbot, das in dieser Erholungszone herrschte.
„Können wir hier auch neue Pferde bekommen?“, fragte Dario nach.
„Natürlich Herr, ich werde es sofort veranlassen“, versicherte einer der Asad.
„Wer ist denn schon vorbeigekommen?“, hakte ich nach.
„Die Moraven sind bereits weitergezogen und diese Schwarzalben sind auch schon hier.“ Seine Stimme wurde leiser und er wies vorsichtig mit dem Finger auf ein Zelt. „Sie sind dort. Unheimliche Gesellen.“
„Sonst keiner?“
„Nein, sonst haben wir keinen gesehen. Damit seid ihr das dritte Team.“
„Ja, wir haben auch nur Orks und Valianer gesehen. Diese beiden Gruppen hatten Probleme, ähm, mit ihren Kutschen“, gab ich einen Statusbericht. Ich konnte nicht ganz erkennen, ob der Asad unter seinem Schleier lächelte, aber neu schien ihm diese halbwahre Information nicht zu sein.
„Dann sind diese Gnome und die seltsamen ‚Meketer‘ wohl noch hinter uns“, schloss Dario, während wir abstiegen. Man wies uns vieren ein großes Zelt zu, während sich die Asad vorbildlich um unseren Wagen und neue Pferde kümmerten. Wir waren im Großen und Ganzen etwas ermattet von dem Rennen bisher, aber nicht intensiv erschöpft. Daher beschlossen wir, nur wenige Stunden Pause zu machen, ehe wir wieder aufbrechen würden. Dario insbesondere war noch immer unermüdlich und übernahm es als erster, eine Stunde ein Auge auf den Wagen zu haben. Trotz der sehr aufmerksamen Asad wollten wir nicht riskieren, dass die Schwarzalben uns einen Strich durch die Rechnung machten.

Ich würde sagen, es war der frühe Morgen des nächsten Tages, doch in dieser unterirdischen und trostlosen Welt war das unmöglich zu bestimmen. Wir vier packten unsere Sachen, die wir ohnehin nur spärlich aus der Kutsche genommen hatten, und brachen auf.
„Was liegt noch vor uns?“, fragte ich nach hinten, wo Suena und Mara die Karte studierten.
„Wir können alle größeren Höhlen auf dem Weg an die Oberfläche umgehen“, gab die abgemagerte Zauberkünstlerin durch. „Dann kommt der Dschungel. Dort gibt es noch einmal mehrere Wege, ehe wir schließlich auf die letzten Meilen nach Morvolo einschwenken.“

Und so navigierten wir ohne weitere Zwischenfälle durch die verworrenen Gänge der „Unterwelt“. Wer weiß, was wir möglicherweise hinter uns ließen, aber wer konnte auch sagen, welchen Kreaturen wir so entgingen? Das Ziel war Morvolo – alles andere musste warten.
Schließlich sahen wir das Licht am Ende des Tunnels: das Licht der Sonne, das Geschenk Ormuts und die Erlösung von dem ewigen Dunkel und Halbdunkel der Höhlenwelt.

Der Übergang in die Welt der Lebenden, so kam es mir vor, verlief so abrupt, wie man es sich kaum vorstellen kann. Gerade noch waren wir durch unbewohnte Höhlen gefahren, nun standen wir an der Spitze eines Passes und blickten hinab auf ein grünes Tal. Der Dschungel erstreckte sich bis zum Horizont und weiter, während sich links und rechts von uns gewaltige Berge in die Höhe schraubten. Wir fuhren hinab, hinein zwischen farbprächtige Bäume und Tiere und hörten ihre Schreie, Rufe und Gesänge. Das Leben nahm hier tausendfache Form an, wie ich es noch nie gesehen hatte. Hier wirkte bereits der für die Kutsche frei geschlagene Weg wie ein Fremdkörper, so urwüchsig war alles.
Abgesehen von diesem Pfad fanden wir die ersten zwei Stunden nur wenig Spuren menschlichen Lebens, bis wir ein Dorf sahen, das mitten auf dem Weg lag. Es war mit einer primitiven Holzpalisade gesichert worden, besaß aber nur einen Torwächter.

Vorsichtig näherten wir uns und sprachen ihn vorsichtig auf Vallinga an: „Können wir passieren?“
„Woher kommt ihr?“, verlangte der Mann zu wissen, der glücklicherweise die Handelssprache verstand.
„Wir nehmen am großen Rennen teil!“
„Ich weiß!“, antwortete er – ließ aber offen, warum er trotzdem gefragt hatte. „Ihr dürft passieren. Aber mein Stamm braucht Hilfe.“
Es war offensichtlich, worauf der Mann hinauswollte, also fragte ich nur: „Welche Hilfe?“
„Es gibt nur wenig Eisen in diesem Land. Nur wenig Waffen, um sich zu verteidigen.“
Und ich dachte zurück an die Dolche, die Suena unbedingt noch hatte einpacken wollen. Schnell ging ich nach hinten und holte zwei der kleinen Waffen aus dem Gepäck und überreichte sie anschließend dem Torwächter. „Hier, nehmt das als Zeichen unserer Verbundenheit.“
„Vielen Dank!“, rief der Mann aus und machte sich sogleich daran, das Tor für uns zu öffnen.

So fuhren wir in das primitive Stammesdorf am nördlichen Rand des Ikenga-Beckens ein. Eigentlich dachten wir nicht daran, uns hier lange aufzuhalten, doch der Torwächter wich uns nicht von der Seite.
„Einer von euch muss mitkommen! Unser Schamane will euch sehen!“
Ich blickte die anderen an, zuckte mit den Achseln und ließ mich von dem Mann zu einem Zelt führen, das mitten im Dorf aufgebaut worden war. Dort erwartete mich bereits dieser Schamane mit seinen kultischen Tierfetischen und Bemalungen. Er sprang mich im Stammesdialekt an, doch der Torwächter übersetzte glücklicherweise problemlos. Dabei zeigte mir der Schamane, weswegen hier überhaupt ein Zelt stand: dieser Stamm hatte eine Ausgrabung vorgenommen und dabei eine Art Grabstein entdeckt. Über dieser Fundstellte war schützend diese Plane aufgebaut worden.
„Dies ist das Grab eines alten Helden unseres Stammes“, erklärte der Schamane über den Torwächter. „Wir begehren es nun, in einer Zeit der Not, zu öffnen, um unsere Leiden zu lindern.“
„Was plagt euer Volk?“, fragte ich.
„Wir können hier nicht mehr lange überleben. Der Dschungel ist nicht mehr so, wie er früher war und wir sind es auch nicht. Unsere Jungen ziehen weg oder werden versklavt. Wir brauchen eine neue Heimat.“
„Und was ist in diesem Grab, das euch helfen kann?“
„Wir hoffen Reichtümer – doch es gibt ein Rätsel zu lösen, dessen wir nicht Herr werden. Wir besitzen eine der Flaggen, die ihr für euer Rennen benötigt!“
„Und wenn wir euch helfen, gebt ihr sie uns?“, schloss ich.
„Nein. Die Flagge geben wir euch so oder so, denn das ist die Vereinbarung, die wir mit den Asad und den Amazonen geschlossen haben. Doch wenn ihr uns helft, so werden wir euch einen Teil des Schatzes geben, den der alte Held unseres Stammes für uns bereithält.“
„Ich denke, wir werden unser Bestes versuchen“, erklärte ich dem Mann, der mir bereits dankbar die Hand drückte.
Ich besprach mich kurz mit meinen Begleitern und wir beschlossen, uns an dem Rätsel zu versuchen. Der Schamane zeigte uns den Grabstein, auf dem einige Linien vertieft waren. Dazu gab er uns verschiedene Steine, die dort eingepasst werden konnten. Auf jedem waren zwei Bilder, meist Totenköpfe oder andere Dinge, die wenig Mut machten, eingraviert. Diese Ikonen mussten stets passend aneinanderliegen. Es waren dieser Steine etwa zwei Dutzend, doch Suena, Mara, Dario und ich schafften es schnell, sie sinnvoll aneinander zu reihen. Erst nach wenigen Minuten kamen wir an eine Grenze, mussten noch einmal alles verwerfen – und dann klappte es. Der Araner fügte den letzten Stein auf und der Grabstein hob sich mit einem vernehmbaren Knirschen an.
Der Schamane jubelte und schob ihn sofort zur Seite und gemeinsam blickten wir ins Grab … wo es nichts gab, außer einem Krummsäbel. Der war zwar sehr schön gearbeitet und trotz der möglichen Jahrhunderte noch immer unberührt von der Zeit und damit zweifellos etwas Besonderes. Doch dies war nicht, was sich der Schamane erhofft hatte. Er fluchte laut und stürmte aus dem Zelt. Der Torwächter zuckte nur mit den Achseln und sagte: „Ihr dürft den Säbel haben. Er ist das einzige, was wir euch geben können.“
„Danke“, sagte Dario und griff nach der schönen Waffe, die er sich sogleich an den Gürtel hängen konnte. Ich überlegte einen Moment lang, ob der Araner sich möglicherweise soeben einen Fluch aufgeladen hatte, doch zumindest viel er nicht auf der Stelle tot zu Boden. So verwarf ich den Gedanken fürs Erste und wir vier gingen zur Kutsche zurück. Ein anderer Mann des Stammes brachte uns schließlich die Flagge für dieses Etappenziel und dann machten wir uns wieder auf den Weg – mitten durch den Dschungel.

Damit hatten wir eines von vier Tälern durchquert, sofern ich es der Karte entnehmen konnte. Nun nahmen wir Kurs auf den Engpass, der vor der letzten Etappe lag. Dort würden alle übrigen Wagen entlangfahren. Es war uns jedoch unmöglich zu sagen, wer genau vor uns oder hinter uns lag, oder wer abgesehen von Orks und Valianern bereits ausgeschieden war. Wahrscheinlich waren die Moraven aber immer noch vor uns und ich konnte mir kaum vorstellen, dass wir es noch schaffen konnten, gegen diese untoten Pferde anzukommen. Doch womöglich ließ Ormut uns seine Gunst zuteilwerden und ein Unglück würde diesem unheiligen Wagen von einem anderen Kontinent zukommen.
Der Pass vor der letzten Etappe lag gerade vor uns, da hörten wir von hinten seltsame Geräusche. Irritiert blickte ich zurück … und sah das eiserne Gefährt der Gnome. Ohne tierischen Antrieb walzte es sich durch den Urwald. Es hatte nicht einmal gewöhnliche Räder, sondern eine Kette mit extrem breiten Gliedern, die angetrieben wurde. Nun klappte eine Art Verdeck weg und ich konnte die einige der bemützten acht Gnome sehen. Sofort begannen sie wüste Beschimpfungen zu schreien und unflätige Gesten in unsere Richtung zu machen. Mara, die ihren Kopf aus der Kutsche gesteckt hatte, rief nach vorne: „Sollen wir sie in Empfang nehmen?“
„Lieber nicht“, rief Dario zurück, der das ganze nur kurz begutachtet hatte. „Wer weiß, was noch in diesem Eisending wartet.“
Und damit hatte der Araner recht – aus diesem Konstrukt mochte alles Mögliche zum Vorschein kommen. Mein Glaubensbruder ließ also die Zügel schnallen und die Pferde brachten uns mit hoher Geschwindigkeit voran. Ich konnte erkennen, wie die Gnome versuchten, zu uns aufzuschließen, doch scheinbar waren sie sich nicht wirklich einig, wie sie das schaffen würden. Sie beschimpften sich auch gegenseitig und zerrten aneinander, manchmal machte sogar ihr gesamtes Gefährt einen Satz zurück, statt nach vorne. Dario schenkte dem ganzen wenig Beachtung, Suena indes hexte noch ein paar Sprüche und die Gnome vielen immer weiter zurück.

So gelang es uns, als erste die Engstelle zu passieren und immer mehr Abstand auf unsere Verfolger zu gewinnen. Wir fuhren nun durch noch dichteren Dschungel, aber auf einer vorbereiteten Strecke – die uns auf einen großen, sogar auf der Karte vermerkten Baum zuführte. Es war ein Mammutbaum, hoch wie ein Palast, der noch alles überragte, was sich sonst an gigantischen Gewächsen im Ikenga-Becken finden ließ.
Laut der Karte war an diesem Baum die letzte Flagge zu finden mit der wir als Sieger in Morvolo einfahren könnten. Sofern ein anderes Team nicht schneller war als wir.

Doch je näher wir kamen, während das Tageslicht allmählich abnahm, desto skeptischer wurden wir. Irgendetwas flatterte beständig um diesen natürlichen Turm herum. Schließlich erkannten wir, dass diese Wesen in dutzenden unterwegs waren und ein jedes hatte die Größe eines Menschen. Riesige Flügel hielten diese Kreaturen in der Luft und schließlich erkannte ich, was diesen Baum seine Heimat nannte: eine Harpyien-Kolonie.
Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Fluch, während Dario den Wagen in etwa einer halben Meile Abstand von dem Baum zum Stillstand brachte. Das Gekrächze dieser Wesen drang bis zu uns hinüber, doch auf diesen Abstand schienen wir sie nicht zu stören.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich in die Runde, als wir ab- und die beiden Damen ausgestiegen waren.
„Die Gnome sind nicht so weit hinter uns“, bemerkte Mara und blickte in die Richtung, aus der wir kamen. Und tatsächlich konnte man das seltsame Gefährt der Gnome in einigen Abstand erkennen.
„Lassen wir sie doch die Arbeit machen“, schlug Dario vor. „Entweder sie mühen sich an den Harpyien ab und dann versuchen wir es selbst oder sie schaffen es und wir jagen ihnen die Flagge ab.“
„Klingt auf jeden Fall besser als sich blindlings in diesen Pulk zu werfen“, stimmte ich zu. „Ein paar könnte ich mit meiner Musik sicherlich ablenken, aber garantiert nicht den gesamten Schwarm. Das sind ja mehr als fünfzig Stück.“

So war beschlossene Sache und wir bauten unser Nachtlager auf. Währenddessen fuhren die Gnome an uns vorbei, ohne uns große Beachtung zu schenken – ein paar Beleidigungen natürlich ausgenommen. Die kleinen Wahnsinnigen fuhren direkt an den Fuß des Baumes und soweit wir es im letzten Licht der Sonne erkennen konnte, bauten sie ihren Wagen auseinander, um eine Art … Treppe an der Rinde hochzubauen.
Wir teilten Wachen ein, wobei Mara die dunkelste Stunde übernahm, um die Gnome im Blick zu haben, falls es ihnen tatsächlich gelang, diese Harpyien zu überlisten. Doch bis zu meiner Wache, der letzten, wurde ich nicht vorzeitig geweckt. Während die Sonne allmählich wieder aufging erkannte ich, dass unsere Kontrahenten sich tatsächlich die ersten zehn Meter hochgebaut hatten. Doch für die restliche Strecke schien ihnen nichts eingefallen zu sein und als es fast soweit war, dass ich meine Gefährten wecken wollte, kamen drei dieser kleinen Wesen auf unser Lager zu. Einer hielt ein großes, weißes Tuch in die Luft.
„Kommt näher, aber lasst eure Hände, wo ich sie sehen kann!“, forderte ich sie auf.
„In der Luft?“
„Ja, meinetwegen“, erwiderte ich etwas über die komische Nachfrage verwundert. Dann trotteten die drei ans Lagerfeuer und setzten sich zu mir.
„Wir haben da einige Probleme“, begann ein Gnom.
„Und inwiefern interessiert das mich und meine Gruppe?“, verlangte ich zu wissen.
„Wir haben uns den halben Baum hochgekämpft und es fast geschafft die Harpyien zu überwinden. Allerdings sind dabei fünf unserer Gefährten gestorben“, erklärte der Gnom ziemlich nüchtern. „Nun haben wir keine Chance mehr, das Rennen zu gewinnen oder überhaupt hier wegzukommen, denn wir haben unser Gefährt komplett auseinander genommen.“
„Nun wollt ihr bei uns mitfahren?“
„Ja … wir können euch auch sagen, dass ihr keine Probleme mit den Harpyien bekommt, wenn ihr sie nicht angreift!“
„Hm, das klingt dann eigentlich nach einer einfachen Aufgabe, wenn man klettern kann“, schloss ich.
„Es sind aber auch fünf unserer Leute gestorben für diese Information!“, schnappte der Gnom. „Ich bin übrigens Norsi Tutwaserkannundmehr.“
„Ähm, Karim“, erwiderte ich die Vorstellung wieder etwas verdutzt. „Ich denke, meine Begleiter dürften mit euch kein Problem haben, wenn ihr versprecht, uns nicht auf den letzten Metern zu sabotieren!“
„Natürlich, wir versprechen es!“, erklärte Norsi und die anderen beiden nickten so eifrig, dass fast ihre Kappen herunterrutschten. „Wir können sogar noch unsere kleine Schmiede für unterwegs in eure Kutsche einbauen, wenn ihr wollt.“
„Ähm … warum eigentlich nicht“, stimmte ich zu. Dann ging ich zu den Zelten meiner Begleiter und weckte sie. Rasch war der Fall der Gnome vorgetragen und wir beschlossen, sie mit nach Morvolo zu nehmen. Ausschlaggebend war dabei, dass Norsi und seine Begleiter versprachen, Maras Bihänder neu zu schmieden, sobald wir am Ziel angekommen waren und etwas Zeit zur Verfügung stand.
„Wie heißt eigentlich ihr beide?“, wandte ich mich an die anderen Gnome, nachdem sie ihre Sachen zu uns getragen hatten.
„Hafnar Dreherimrohr.“
„Tjes Seinerislänger.“
Bei diesen Namen konnte sich keiner von uns ein Grinsen verkneifen, was die Gnome allerdings nicht verärgerte. Im Gegenteil, sie drückten stolz die Brust raus.

Dann galt es, ihre Erzählung auf die Probe zu stellen und wir marschierten zu dem gewaltigen Mammutbaum. Mara als beste Kletterin wollte es übernehmen, die fehlenden Meter von der Spitze der Gnomenkonstruktion aus zu überwinden. Ich hielt mich mit meiner Laute bereit, auch wenn ich nicht viel Hoffnung hatte, im Notfall viel ausrichten zu können.
Doch die Fähigkeiten der Elfe hatte ich offensichtlich unterschätzt. Ohne Probleme stieg sie zunächst das wacklige Ding hoch, das einst eine fahrende Maschine gewesen war, dann sicherte sie sich mit einem Seil, das sie um einen menschendicken Ast warf. Binnen weniger Sekunden war sie an der Rinde hochgekraxelt und verschwand in einer kleinen Höhlung im Baum. Und schon segelte uns eine Flagge entgegen. Souverän seilte sich die Elfe ab, als hätte sie ihr halbes Leben beim Klettern verbracht, und wir konnten nur staunen, wie unkompliziert das abgelaufen war.
„Also, los?“, fragte sie in die Runde.
„Ja, natürlich“, schloss Dario und wir vier liefen mit unseren drei neuen Begleitern zur Kutsche. Für die Gnome war genug Platz, nachdem wir einige Vorräte, die wir sicher nicht mehr brauchen würden, hinausgeworfen hatten. Und als der Araner nun die Zügel schnallen ließ, dachte ich zum ersten Mal in diesem Rennen, dass wir tatsächlich so viel Glück haben mochten, gewinnen zu können.

Nun gab es auch für unseren Kutscher kein Halten mehr und er trieb die Pferde zu einer letzten Höchstleistung, mit der wir durch den Dschungel preschten … und dann tauchten die zerfallenen Mauern einer einst gigantischen Ruinenstadt vor uns auf. Sie musste schon vor Jahrhunderten verlassen worden sein und war in großen Teilen überwuchert. Riesige Wurzeln hatten sich zwischen die Felsen geschoben und dichter Pflanzenwuchs ließ viele Steinquader mit dem Dschungel verschmelzen. Nichtsdestotrotz konnte man die einstige Pracht und Größe dieser Stadt erahnen und ehrfurchtsvoll blickte ich auf ihre Ruinen.
Und sie waren – derzeit – nicht unbewohnt. Hunderte Menschen und vieles weitere scharten sich zwischen Zelten und anderen provisorischen Wohnstätten und strömten nun zu einem großen Plakat, das über der einstigen Hauptstraße dieser Straße aufgehängt worden war. Die Ziellinie.

Jubel brach aus, als man unsere Kutsche erkannte und Blumen wurden auf unseren Weg geworfen.
„Haben wir etwa …“, fragte ich halb Dario, der nur noch grinste. Ja, wir hatten.

Schneller als ich es begreifen konnte, zerrten uns dutzende Hände von und aus der Kutsche. Man schlug uns auf die Schultern, manche umarmten uns, ein paar versuchten einfach nur die Sieger des größten Rennens der Dekade zu berühren.
„Wo sind die anderen?“, fragte ich, als ich endlich einen Asad-Wächter fand.
„Die Moraven und Meketer sind verschwunden. Wir wissen nicht, wohin oder warum. Aber keiner unserer Wächter hat sie seit einigen Tagen gesehen. Die Gnome sind bei euch, Valianer und Orks sind raus und die Schwarzalben … die kommen da hinten.“
Tatsächlich kamen die blasshäutigen Elfen einige Zeit nach uns in Morvolo an, doch es blieb ihnen nichts, als verbissen ihre Niederlage eingestehen zu müssen. Das taten sie, indem sie auf der Stelle kehrt machten und davonfuhren.
„Schlechte Gewinner“, mokierte jemand, doch eigentlich war es nicht wichtig. Mir war es nur recht, dass diese unheimlichen Gestalten schon bald wieder einen gehörigen Abstand zu uns gewannen.

Was folgte war eine beinah rauschhafte Abfolge von Bildern. Zuerst zerrte man uns auf ein großes Podest, das in Morvolos alten Tagen für alles Mögliche gedient haben mochte. Dort kam die Amazonenpriestern Usharia Ashanti auf uns zu und hängte einem jeden von uns eine goldene Siegermedaille um. Dann packte sie mich am Handgelenk und zerrte mich davon, während die anderen drei zu einem riesigen Fest gebracht wurden. Ich hörte noch, wie Suena mit wunderschöner Stimme zu Singen anfing, dann hatte mich die Amazone bereits in ihr Zelt gebracht. Sie strich ihre silberweißen Haare zurück … und alles was folgte, werde ich nie vergessen, wenngleich es sich für einen Mann von guter Erziehung nicht geziemt, ins Detail zu gehen.

Am nächsten Morgen, allen folgenden Morgen und vielleicht bis ans Ende meiner Tage erwachte ich mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Zum Abschied in Morvolo überreichte uns Usharia jeweils ein kleines Fläschchen mit klarer Flüssigkeit darin.
„Dies ist das Wasser des Lebens. Es kann euch jünger machen oder stärker, je nachdem, welchen Wunsch ihr bei der Einnahme hegt. Oder ihr vermögt damit jemanden von den Toten zurückzuholen – doch muss ich euch warnen, dass die Wirkung dieses Getränks nachlässt und wenn ihr von heute an allzu lange wartet, werdet ihr damit niemanden retten können. Ich wünsche euch alles Gute.“
Und leise, an mich gewandt, setzte sie hinzu: „Und, dass es eine Tochter wird.“

Ja, mit einem breiten Grinsen saß ich den gesamten Rückweg von Morvolo nach Dairaba neben Dario auf dem Kutschbock. Möglicherweise ging ich ihm damit auf die Nerven, doch der Mann hatte einen ausgeglichenen Charakter, sodass er es sich nicht anmerken ließ.
Es war ein etwas seltsames Gefühl, wieder in der „Zivilisation“ anzukommen, nachdem wir uns tagelang durch allerlei Unbilden gekämpft hatten. Aber es war auch sehr erleichternd und freudig näherten wir uns dem Kontor unseres Auftraggebers und Sponsors Luis Maskroni. Da kam eine Frage auf.
„Er wollte das Wasser des Lebens, oder?“, fragte Suena.
„Ja“, bestätigte Mara.
„Eine Portion?“
„Ähm … ja, so hat er sich ausgedrückt.“
Die Küstenstaatlerin grinste. „Dann würde ich mal sagen …“
„Gute Idee“, stimmte ich sofort zu, auch Dario fiel mit ein.
„Er kann meine Portion kriegen“, erklärte sich die Elfe sofort bereit. „Ich glaube, ein wenig Stärkung könnt ihr eher vertragen als ich.“ Sie zwinkerte, was dem kleinen Seitenhieb die Spitze nahm – und außerdem hatte sie Recht.

Luis Maskroni empfing uns feierlich, ja er hatte schon sehnlichst auf uns gewartet. Von unserem Sieg hatte er bereits erfahren und er kam aus den Lobeshymnen nicht heraus. Als Mara ihm dann noch das Wasser des Lebens überreichte, war er ganz außer sich und konnte es kaum abwarten, den Trank einzunehmen. Unsere Belohnung übergab er uns ohne ein Zögern und dann zog er sich zurück – um wenig später als deutlicher jüngerer Mann wieder unsere Bekanntschaft zu suchen. Allerdings mussten Dario und ich ihm seine spielerischen Avancen verwehren, was ihn aber auch nicht weiter störte.

Für uns Gewinner des „Größten Rennens der Dekade“ wurde es aber nun Zeit, etwas auszuspannen.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar