Etwa zwei Wochen segelten wir mit einem Schiff die Küste Lamarans entlang, bis wir Tura erreichten. Die große Stadt – Zentrum des Küsenstaats Tevarra – wartete zunächst mit ihren Eigenheiten auf. Suena wusste bereits Bescheid und auch ich kannte es von meinen Karawanenreisen, die zuweilen bis nach Lidralien geführt hatten. Wir mussten alle magischen oder vielleicht-magischen Gegenstände anmelden. Zwar verfügte man in diesen Ländern über eine der möglicherweise fortschrittlichsten Organisationen in magischen Dingen, doch genauso reglementiert war auch der Umgang damit. Der Covendo Mageo de Cevereges Lidrales würde dann sogleich unser erster Anlaufpunkt sein, um all jene Gegenstände fachgerecht untersuchen zu lassen.
Zwar durchaus teuer, aber bürokratisch recht unkompliziert gelangten wir an eine Liste unserer Artefakte sowie eine Bescheinigung, dass wir sich fachgerecht registrieren ließen. Wir mieteten uns sogleich im Gasthaus „Zum kleinen Ufer“ ein – dann erwarteten wir mit Spannung die Untersuchungsergebnisse der Magiergilde, bei der wir unsere magischen Gegenstände abgegeben hatten. Es stellte sich heraus, dass einige Amulette zur Abwehr von Werwölfen gedacht waren – in nächster Zeit erwarteten wir keinen solchen Gegner und so überließen wir sie dem Konvent für einen nicht geringen Preis. Was den Dolch des Nekromanten anbelangte, so wurde dieser umgehend zerstört, da er scheinbar die Macht besaß, den Geist desjenigen zu verfinstern, der ihn führte. Das Kurzschwert mit der Skelettdarstellung am Griff besaß seltsamerweise die Eigenart beim Kontakt mit menschlichem Blut zu zerbrechen. Da es abgesehen von seinem finsteren Aussehen keine weiteren, schlechten Eigenschaften hatte, behielten wir die Waffe. Leider mussten wir feststellen, dass wir scheinbar auf unserer Reise in die Küstenstaaten bestohlen wurden: Axt und Bogen derselben Machart waren verschwunden. Das war ärgerlich, wenngleich nicht verheerend: wenn jemand Übles damit vorhatte, so würden sich die Waffen wohl ebenfalls selbst vernichten. Doch unnötig schien mir der Verlust, da ich eigentlich gedacht hätte, meine Gefährten würden darauf achten, was sie bei sich trugen …
Nach diesen neuen Erkenntnissen verbrachten wir zunächst drei Monde in der Sonne Lidraliens. Jeder von uns vieren erweiterte auf seine Art seine Fertigkeiten. Daneben kaufte ich mir bald auch eine lederne Augenklappe, die ich mit einem komfortablen Band an Ort und Stelle – über der rechten Augenhöhle – hielt. Es war etwas seltsam, sich allmählich an den Verlust zu gewöhnen, doch so schienen die Dinge nun zu liegen.
Schließlich fing Mara etwas auf, das sie mit großem Bemühen an uns herantrug: „Ich habe etwas von einem Turnier gelesen!“
„Diese Plakate?“, erwiderte Dario. „Ja, die habe ich auch gesehen. Irgendein Cypik Blackthorne macht da wohl ordentlich Werbung für seinen Wettbewerb. Aber ich habe auch gelesen, dass das Turnier in Kroisos ist.“
„Wo?“, fragte ich nach.
„Kroisos – in Chryseia.“
„Ach, auf der anderen Seite des Mees“, fiel es mir wieder ein. Das Land des Weines. „Aber lohnt es sich denn für ein Turnier dorthin zu segeln?“
„Wahrscheinlich nicht“, brummte Dario. „Außerdem was sollen wir da?“
„Mitkämpfen!“, erklärte Mara mit geschwollener Brust.
„Sind solche Turniere nicht eher für Ritter? Mit Lanzen auf Pferden gegeneinander anreiten, bis keiner mehr sitzt?“, warf Suena ein.
„Ich kann reiten!“, beharrte die Elfe.
„Ja, ich auch. Aber kannst du auch zu Pferde kämpfen? In voller Rüstung und das alles?“, bohrte ich weiter.
„Ja, tatsächlich“, bestätigte sie, was mir ein anerkennendes Nicken abrang.
„Dann kann Mara mitstreiten und wir? Feiern?“, brummte Dario.
„Ich muss auch zugeben, dass mir das nicht unbedingt die Schuhe auszieht“, gestand ich dem Araner zu. „Wir haben es uns ja in letzter Zeit nicht unbedingt schlecht gehen lassen.“
„Aber ein Turnier! Das ist doch etwas ganz anderes!“, betonte Mara und machte eine galante Geste, wobei sie darauf hinwies: „Da gibt es bestimmt einen schönen Ball und ich kann mein Kleid anziehen …“
Anschließend erzählte uns die Elfe eine kuriose Geschichte. Sie hatte wohl einst ein Wettrennen gegen einen aranischen Panzerreiter bestritten, dessen Gaul kurz vor dem Ziel einen Huf verlor. Später stellte sich heraus, dass ihr Konkurrent den Schmied vorher um Geld betrogen hatte. Nun denn, die Rache folgte … auf den Fuß.
Noch in Tura offenbarte sich jedoch, dass sich diesem Cypik Blackthorne und seinem Turnier etwas verbergen könnte. Dario hatte den Tag wieder bei einem Tempel der Zweiheit verbracht und konnte uns am Abend von der Neuigkeit berichten.
„Die Priester haben erzählt, dass es Gerüchte gebe, dieser Cypik Blackthorne würde sich mit schwarzer Magie beschäftigen! Wenn dem so ist, dann müssen wir ihm natürlich Einhalt gebieten – solchen Frevel kann Ormut nicht dulden!“
„Gut gesprochen“, stimmte ich zu. „Wurde es denn noch etwas konkreter?“
„Leider nicht. Es schien die Priester, die sich hier im Namen der Zweiheit breitgemacht haben, ohnehin kaum zu interessieren. Sie tun es als Problem der Gemeinschaft vor Ort ab.“
„Manchmal schwindet der Glaube, wenn man zulange unter Fremden ist. Diese Lidralier glauben ja lieber an ein endloses Pantheon anstatt die Zweiheit anzuerkennen“, brummte ich. „Dann wollen wir doch mit glühendem Beispiel vorangehen und diesem Cypik das Handwerk legen.“
Damit war es ausgemacht: Mara wollte des Turniers wegen nach Kroisos, Dario und ich wegen dem Verdacht auf schwarze Magie … und Suena ein bisschen wegen beidem.
Die Elfe entsandte sogleich einen Brief als Anmeldung los, das die schnellen Wege der Botendienste (und vor allem deren Vögel) nutzte, dann brachen wir selbst mit einem Schiff auf.
Auf einer Route, die sich zunächst an der Küste Lidraliens hielt, fuhren wir gen Westen. Die Meerenge überquerten wir in Sichtweite der kleinen wie größeren Inseln, deren genaue Zugehörigkeit mir nicht bekannt war. Dann waren wir in Chryseia angekommen und glitten bald schon über die Wellen des so genannten Illaeischen Golfs.
Von Kroisos bekamen wir jedoch wenig zu sehen: an den Toren zum Hafenviertel erfuhren wir, dass Cypik Blackthornes Turnier hier nicht stattfinden würde. Die Veranstaltung sei nach Thelios ausgewichen, das glücklicherweise keine Tagesreise mit einer Kutsche entfernt war. Eine entsprechende mieteten wir, wobei das Pferd, das ich noch aus Dairaba mitgenommen hatte, treu hinter uns her trottete.
Thelios erwies sich als kleines Städtchen, das mit einer Stadtmauer und einem Schloss aufwartete – sowie mit Feldern davor, die derzeit angefüllt waren mit Zelten, von denen die allermeisten eigene Wimpel und Wappen aufzeigten. Es hatte sich durchaus einiges an chryseischem Adel versammelt, wie mir schien. Auch fürs uns war sogar schon ein Zelt vorbereitet. Genauer genommen: ein großes für Mara und ein kleineres für ihr „Gefolge“. Ich hatte mich zwar damit abgefunden, ihren Herold zu spielen und bereits an einer Ode geschrieben, aber das kam mir doch etwas albern vor. Die Elfe schritt indes mit einem verwegenen Lächeln in ihre großzügige Unterbringung.
„Sie separiert sich wieder“, scherzte Dario in Anspielung auf unser jüngstes Abenteuer im Dschungel. Ich grinste und brachte mein Gepäck in das kleine Zelt, wonach ich mein Pferd anband. Suena schien indes nicht davon angetan, sich zu uns ins Zelt zu quetschen und baute daher ein eigenes auf – was tatsächliche Diener anderer Herren bemerkten. In Windeseile wurden im ganzen Lager dutzende weitere Schlafstätten aufgestellt.
Nun wurde es jedoch Zeit, sich unters Volk zu mischen. Ich machte mich zunächst alleine auf den Weg und versuchte mir einen Überblick zu verschaffen. Tatsächlich wirkte es so, dass der Aufruf von Cypik Blackthorne große Resonanz erfahren hatte: die meisten Adeligen schienen zwar aus Chryseia zu kommen, doch gab es auch welche, die sich ihrer schrecklichen Dudelsäcke wegen als Albai verrieten, dann noch ein, zwei Araner, die mit ihren schwarzen, schlanken Pferden ein direktes Rennen wohl in jedem Fall gewinnen würden, dort noch eine Handvoll Schariden und so weiter. Ihre Gefolgschaft war noch bunter gemischt, sogar einige Sklaven waren darunter – manche sogar, wie ich vermuten würde, aus dem Ikenga-Becken oder südlicheren Teilen Lamarans.
Ich hielt mich an diesen niederen Stand, wo ich derzeit auch hingehörte: Ich war ja nur „Gefolge“. Zudem sind sie stets offener in Gesprächen und wissen fast immer mehr als ihre adligen Herren glauben würden …
„Ordentlicher Trubel, dafür, dass das kein adeliges Turnier ist“, sprach ich einen chryseiischen Diener auf Vallinga an.
„Wie meinst du?“, fragte er.
„Naja, dieser Cypik Blackthorne ist ja nicht mal ein Adeliger, wenn ich richtig gehört habe.“
„Er ist ein berühmter Händler!“, erklärte der Mann.
„Aber warum gibt er eine so große Feier?“
„Mein Herr sagte, dieser Blackthorne habe vor einiger Zeit seine letzte, große Reise vorgenommen. Dieses Turnier findet also zu Ehren seines Ruhestands statt.“
„Eine letzte Reise also? Wo war er denn?“
„Ach, das weiß ich nicht so genau. Aber mein Herr war sehr von ihm angetan, es muss ein großartiger Händler sein, dieser Blackthorne.“
„Aber …“, und ich flüsterte weiter. „Ich habe auch gehört, dass es üble Gerüchte gibt. Cypik soll mit schwarzer Magie zu tun haben!“
„Ach das!“, tat der Diener mit einem beiläufigen Handwedeln ab. „Da war wohl mal was vor langer Zeit. Aber wer weiß, was davon noch stimmen mag. Jetzt richtet er dieses große Fest aus und ist ein angesehener Händler, ich glaube, das ist mehr als redlich!“
Ich verabschiedete mich von dem Mann und suchte weitere Gespräche, bei denen aber über Cypik nicht mehr zu erfahren war. Doch ein Name wurde genannt: Elwe Singollo, ein Elf, der scheinbar auch an diese „Gerüchte“ glaube und dem Händler daher schon länger an den Fersen klebe. Mit dieser Information kehrte ich zu meinen Freunden zurück und setzte sie über diesen Elwe in Kenntnis.
„Ich habe diesen Namen schon einmal gehört“, stellte Mara fest. „Er ist selbst ein Händler und durchaus nicht unbekannt.“
„Könnte er etwas wissen, das uns hilfreich ist?“
„Kann sein, kann nicht sein. Wollen wir uns nicht lieber danach erkundigen, wann die ersten Turnieraufgaben anstehen?“
Doch dem Wunsch der Elfe konnten nicht wir nicht nachkommen und etwas verdrossen ging sie mit uns mit, als wir uns auf die Suche nach jenem Elwe Singollo machten. Aber sie zog vorher noch ihr gelbes Kleid an, das sie in Dairaba erstanden hatte.
Zunächst hörten wir uns weiter im Zeltlager um … bis wir auf dem zentralen Platz einen aufgebauten Galgen sahen. Bestürzt wandte ich mich an einen Wächter, der dabeistand: „Was soll denn ein Galgen hier? Ich dachte, das wäre ein fröhliches Turnier!“
„Das wird ein Spektakel am letzten Tag! Da gibt es eine astreine Hinrichtung“, erklärte der Mann mit einem breiten Grinsen.
„Aber wer wird denn hingerichtet? Wofür?“
„Ein Kindermörder! Der hat noch Glück, dass er so milde hingerichtet wird!“
„Und warum hier? Obliegt das nicht vielmehr dem chryseischen Landherrn?“
„Herr Blackthorne hat diesen verurteilten Mörder … gekauft. Damit er hier als Attraktion hingerichtet werden kann!“
„Was hat Herr Blackthorne denn noch so alles gekauft?“, hakte ich mit gehobener Braue nach.
„Derzeit wohnt er im Schloss von Thelios und wir Stadtwachen tun unser Bestes, um für Ruhe und Ordnung während des Turniers zu sorgen … he! Unterstellt ihr uns etwa gerade Bestechlichkeit?!“
Wir waren schon weitergelaufen und ließen den eingeschnappten Wächter zurück. Cypik Blackthorne hatte also die güldene Unterstützung und das Wohlwollen der Stadtherren. Mit diesem Wissen im Hinterkopf machten wir uns auf den Weg, Thelios selbst zu betreten – wurden am Stadttor jedoch aufgehalten.
„Seid ihr Mitstreiter im Turnier?“, fragte uns die Torwache.
„Ich?“, entgegnete Dario, der als erster gegangen war. „Nein.“
„Ihr seid also Gefolge?“, stellte er fest und sprach es so verächtlich aus, wie er nur konnte. „Dann dürft ihr nicht in die Stadt.“
„Sie gehören zu mir“, sagte Mara und drängte sich zur Wache durch. Ihr eindrucksvolles Erscheinungsbild sowie der Brief, der ihr bescheinigte am Turnier teilzunehmen, stimmten den Wächter milde. Als Begleitung der Elfe durften wir Thelios betreten. Dario kommentierte das nur wieder süffisant: „Ja, ja, Mara grenzt sich weiter ab von uns.“
Nun innerhalb der Stadtmauern machten wir uns die Suche nach weiteren Informationen. Beim kurzen Durchgang durch Thelios konnten wir feststellen, dass es vier Tavernen gab, die wir nun nacheinander ansteuerten. In der ersten sahen wir drei Elfen an einem Tisch sitzen … nun, wenn man einen Elfen suchte, was mochte da näher liegen?
„Seid gegrüßt“, wandte ich mich an die drei – auf Vallinga.
Sie blickten mich an, nicht unfreundlich, hoben aber fragend die Brauen und runzelten die Stirn. Sie sagten etwas, das fast wie ein Lied klang, seltsam stimmig und schön. Aber ich verstand es nicht. Da wandte sich Mara an sie und redete in derselben Sprache, wie ich nun feststellte. Dies war also das Eldalyn, das dieses Volk sprach … ich wunderte mich nicht mehr, dass ich selbst in Eschar noch Geschichten von den großen Barden dieses Volkes gehört hatte. Jeder Satz war Gesang!
„Sie sprechen leider keine euch geläufige Sprache“, stellte Mara dann an uns gewandt fest. „Es sei denn, einer von euch kann Albisch oder Comentang?“
Allgemeines Schulterzucken. Nichtsdestotrotz schienen uns die drei willkommen zu heißen und wir setzten uns zu ihnen an den Tisch. Mara übernahm das Reden und übersetzte zwischendurch auch für uns.
„Sie suchen auch nach Elwe! Und sie wissen, dass er nur zum Schein Händler ist. Eigentlich sei er ein … barbarischer Krieger.“
„Barbarisch?“, fragte ich verdutzt. Es fiel mir schwer, dieses Wort in Verbindung mit einem Elfen zu bringen. Selbst wenn Mara ihren Bihänder schwang und Gegner fällte, hatte es immer noch eine unbestreitbare Ästhetik …
Doch auf meine semantische Frage wurde nicht näher eingegangen. Aber das Gespräch entwickelte sich sehr gut. Die drei schienen uns gewogen und teilten die Skepsis gegenüber Cypik Blackthorne. Der verweile derzeit jedoch im Schloss – in das man bei der großen Feier am Ende des Turniers kommen könnte. Mit angemessener Kleidung, versteht sich. Doch wir schmiedeten vorerst keine festen Pläne, sondern sprachen uns mit den dreien ab, gemeinsam Elwe zu suchen und seine Expertise bezüglich Cypik Blackthorne einzuholen.
Wir vier beschlossen, zunächst das zweitbeste Gasthaus aufzusuchen und ließen uns dort an einem Tisch mit Blick auf die Tür nieder. Noch war kein Elf auszumachen, da huschte nur eine Gestalt unauffällig herein – auffällig unauffällig. Mara neigte sich auf ihrem Stuhl nach vorne und fixierte sie. Der Statur nach war es ein Mann, dann sahen wir sein Gesicht kurz unter der tief hängenden Kapuze hervorlugen. Es war ein fein geschnitten, aber auch zerschnitten: nicht wenige Narben verunzierten das, was naturgemäß einst schön war. Ein Elf.
Mara stand auf und ging zu dem Mann hin, der sich an einen Tisch niedergelassen hatte. Als sie ihn ansprach, blickte er zunächst hastig nach links und rechts, dann normalisierte sich sein Verhalten etwas und die beiden unterhielten sich. Mara winkte uns schließlich zu und wir drei gingen zu den beiden Elfen an den Tisch hinüber.
„Das hier ist er: Elwe Singollo“, stellte Mara den Mann vor, danach nannte sie ihm knapp unsere Namen.
„Ihr habt mich also gesucht“, griff er den wohl letzten Gesprächsfaden auf. Er sprach glücklicherweise auch Vallinga, sodass wir Mara nicht als Übersetzerin bemühen mussten.
„Wir haben gehört, Ihr wärt im Besitz von Informationen zu Cypik Blackthorne“, erklärte Dario. „Und wir haben ebenfalls einiges von diesem Mann gehört.“
„So?“
„Man sagte uns, er sei im Bunde mit dunkleren Mächten, als gut für den menschlichen Geist ist.“
Elwe blickte sich noch einmal um, dann sagte er, noch leiser als bisher: „Ihr habt gute Ohren. Cypik ist in der Tat mit schwarzer Magie zugange.“
„Woher wisst Ihr davon?“
„Ich war einst sein Begleiter. Zuerst ein Bewunderer …“
„Ihr seid doch ein Elf?“, merkte Suena verwundert an.
„Und Cypik kein gewöhnlicher Mensch. Zumindest war er ein sehr erfolgreicher Händler und charismatischer Mann. Daher schloss ich mich ihm an und viele Jahre bereisten wir gemeinsam Midgard.“ Er hielt inne, um uns zu mustern. Dies schien der Moment, wo er entschied, dass er uns gegenüber weiterreden konnte. „Ich musste schließlich lernen, dass Cypik mehr als nur ein guter Geschäftsmann ist. Mit einigen Vertrauten hat er einen geheimen Kult begründet. Ich beobachtete einst eines ihrer Treffen: er ist der Oberste von ihnen, die insgesamt fünf sind. Sie beschäftigen sich mit Beschwörungen und dunkler Hexerei. Danach habe ich mich natürlich von ihm losgesagt und in den folgenden Jahren versucht, das Schlimmste zu verhindern, das sie jemals planten.“
„Was?“
„Sie planten den ‚Seelenfänger‘ an sich zu bringen und wie ich mittlerweile weiß, ist es ihnen gelungen.“
„Den was?“
„Ein Artefakt, das Seelen beherbergt. Und Cypik plant, es zu zerstören.“
„Ist das denn etwas Schlechtes?“, warf ich ein. Elwe warf mir daraufhin einen verstörten Blick zu, weswegen ich meinen Gedanken weiterausführte. „Jede Seele will doch ihren Weg ins Jenseits finden. Es kann doch nur in ihrem Sinne sein, sie aus diesem höllischen Gefängnis zu befreien.“
„Prinzipiell mag das stimmen … glaubt man an solche Dinge … aber ich bin der Überzeugung, dass diese Seelen nicht mehr den Weg in die ewige Ruhe finden. Cypik wird sie an Körper binden und sich damit ewigtreue Gefolgsleute schaffen. Was dann folgt, kann nur schrecklich werden.“
„Das klingt in der Tat alarmierend“, stimmte Dario dem Bericht des Elfen zu. „Aber was sollen wir tun?“
„Wenn ihr mir helfen wollt – am Ende des Turniers wird ein großes Fest im Schloss stattfinden. Sorgt dort für Ablenkung und ich werde den Seelenfänger an mich bringen.“
„Schafft Ihr das denn?“
„Ich bin ein Krieger und ein Magier. Die Vorsichtsmaßnahmen Cypiks dürften gegen mein Repertoire an Fähigkeiten nicht ausreichen“, gab der Elf selbstsicher seine Einschätzung ab.
„Nun, Aufmerksamkeit auf uns ziehen, dürfte leicht sein“, merkte ich an und dachte an die Möglichkeiten, die meine Zauberlieder boten. „Aber warum sollten wir Euch vertrauen?“ Erneut war Elwe verdutzt, diesmal fiel aber der Groschen von selbst: „Eine gute Frage. Schließlich kennt ihr mich nicht – ich euch auch nicht. Ich würde vorschlagen, wir werden die nächsten Tage nutzen, uns gegenseitig zu überzeugen.“
„Meine Idee wäre ein Pfand. Etwas, das Ihr uns gebt, damit Ihr auch wieder mit dem Seelenfänger zu uns kommt. Damit wir gemeinsam überlegen, was mir ihm tun.“
„Wenn wir schon davon sprechen“, warf Dario ein. „Es sollte doch möglich sein, der hiesigen Kirche das Artefakt zur sicheren Verwahrung zu übergeben. Aber ich frage mich, warum haben sie bisher nichts unternommen?“
„Cypik und sein Gefolge ist geschickt darin, keine Spuren zu hinterlassen. Es gibt Gerüchte, hie und da einen Verschwundenen. Aber nichts, das sich einwandfrei auf sie zurückführen ließe. Dass Kroisos ihn verbannt hat, ist bereits ein erster, zaghafter Schritt gewesen, aber einer von wenigen.“
„Deswegen wurde das Turnier also nach Thelios verlegt. Aber warum gibt die Geistlichkeit denn vor den Toren der Stadt auf?“, fragte ich.
„Sie sehen scheinbar einen zu geringen Nutzen darin, sich selbst um etwas zu kümmern, das sie nicht mehr betrifft.“
„Nach mir die Sintflut, diese Chryseier sind mir ja richtig sympathisch“, schnaubte ich. Elwe zuckte nur die Achseln und schlug dann vor: „Morgen beginnen die ersten Wettkämpfe. Treffen wir uns an der Pferderennbahn, dann können wir unsere Planungen vorantreiben und Beobachtungen machen.“
Wir nickten und verabschiedeten uns dann von Elwe Singollo, nicht ganz ohne Misstrauen, aber der Rest würde sich noch ergeben. Vorerst zogen wir uns jedoch in unsere Zelte zurück und verbrachten eine ruhige Nacht im Turnierlager Cypik Blackthornes.
Die ein unsanftes, verfrühtes Ende fand. Schreie gellten zwischen den Zelten hindurch und dann wurde auch schon der Eingang zu unserem Nachtlager aufgerissen. Der behelmte Kopf einer Wache sah herein. „Raus hier, Zeltdurchsuchung!“
„Was?“, stammelte ich.
„Herr Blackthorne ist bestohlen worden und wir werden nun herausfinden, ob ihr damit etwas zu tun habt.“
Recht sicher, dass dem akut nicht so war – und für Planungen schien man uns noch nicht belangen zu wollen – krochen Dario und ich aus dem Zelt und ließen die Wache gewähren. Eine zweite stand außen und sah sich um. Ein Blick reichte indes, um festzustellen, dass das gesamte Turnierlager in Aufruhr war. Cypik schien die gesamte Stadtwache mobilisiert zu haben, die nun entsprechend jedes Zelt untersuchte. Die Reaktionen der zuweilen weit angereisten Gäste mündeten in einer leicht belustigenden Kakophonie mehrsprachlich vorgebrachter Beleidigungen.
Ich wandte mich an den Wächter, der seinen Gefährten nicht in das Zelt begleiten konnte, weil es wohl sonst zerrissen wäre. „Was genau wird denn gesucht?“
„Hm? Ein Gegenstand von Herrn Cypik Blackthorne. Etwas sehr wertvolles.“
„Aber was genau? Ich könnte euch bei der Suche helfen!“
„Du willst dich freiwillig melden?“, fragte der Mann etwas träge. „Das wäre gut, denn es gibt hier echt viele Zelte, die wir durchsuchen müssen.“
„Ähm, ja! Natürlich melde ich mich freiwillig. Gleich kann uns ja der nette Herr hier …“
„Das Zelt ist sauber“, erklärte die andere Stadtwache, als sie aus dem beengten Schlafraum herauskraxelte. „Was ist mit dem da?“
Er wies auf das eigenmächtig errichtete von Suena. Sie „klopften“ dort an, die Lidralierin blickte raus und ließ sich über die Störung aufklären. Anschließend verschränkte sie die Beine und im Schneidersitz blieb sie am Eingang des Zelts sitzen. „Ich werde euch nicht reinlassen!“
„Oh! Verdächtig!“, rief der eine aus. „Wir müssen alle Zelte untersuchen! Anweisung von oberster Stelle!“
„Aber nicht mein Zelt“, beharrte Suena. Die Wachen fanden das allerdings nicht allzu erheiternd und packten die Frau unter den Achseln. Dann wurde sie einfach weggezerrt und ihr Zelt auf den Kopf gestellt – ohne den erhofften Fund seitens der Suchmannschaft.
„Was genau suchen wir jetzt eigentlich?“, wandte ich mich an den Mann, den ich bereits angesprochen hatte.
„Na … so einen Urnendings wurde uns gesagt. Mit Griff.“
„Das nennt man Karaffe“, merkte Dario an.
„Ja, so ein Teil. Aus Silber.“
„Und warum ist das so wichtig?“
„Hach … das kann ich doch eigentlich nicht sagen.“
„Aber ich bin doch jetzt Teil eurer Gruppe! Wenn du mir nicht alles sagst, kann ich euch nicht gut bei der Suche helfen“, beharrte ich und legte dem Mann freundschaftlich meinen Arm auf die Schulter.
„Na gut“, sagte der gedehnt. „Bei der Besprechung unseres Hauptmanns mit Cypik wurden ein paar Sachen gesagt. Und meine Freunde von der Wache haben auch so ein paar Sachen gesagt.“
„Gerüchte?“
„Ja. Man sagt dieses Urnenkaraffendings … es beinhalte Seelen! Von Menschen!“
„Oh, das klingt ja gar nicht gut!“, meinte ich mit überweit aufgerissenen Augen.
„Das habe ich auch gedacht! Aber es wird wohl alles gut, wenn wir dieses Seelengefäß zurück zu Cypik Blackthorne bringen.“
„Hm … ich bin da ganz skeptisch! Das klingt doch sehr gefährlich!“
„Meinst du?“
„Ja! Sieh doch mal, was will denn einer mit so vielen Seelen?“
„Ich weiß nicht … aber das ist doch so eine Sache für Zauberer.“
Ich merkte, dass ich die Sache etwas anders angehen musste. „Dieses Seelengefäß ist also sehr wichtig für Cypik Blackthorne?“
„Ja! Extrem wichtig!“
„Gibt es denn auch einen Finderlohn?“
„Einen Finderlohn? Hm, ich weiß nicht. Ich glaube etwas Kleines hat der Hauptmann erwähnt.“
„Aber das sollte doch viel mehr sein! Es scheint doch so wichtig zu sein!“
„Wie viel mehr?“
„Hm … zehntausend Goldstücke mindestens!“
„Zehn – t-t-t-tausend?“, stotterte der Mann.
„Vielleicht sogar mehr! Hör mal her, mein Freund … wie heißt du?“
„Tom Pressund.“
„Tom, wunderbar. Du hast doch bestimmt viele Freunde in der Wache.“
„Ich kann mich nicht beklagen“, erklärte der Mann mit einem breiten Grinsen.
„Dann habe ich einen Vorschlag für dich und deine Freunde. Wir werden dieses Seelengefäß finden und dann organisieren wir uns. Cypik wird uns gutes Geld bezahlen, damit wir ihm das Artefakt zurückgeben.“
„Und wir teilen das Gold?“
„Aber natürlich! Du kriegst bestimmt … tausend! Mindestens! Auf jeden Fall mehr als alle anderen!“
„Oh, das klingt toll!“
Und eine Stunde später trug ich einen Waffenrock der Stadtwache, Dario schloss sich ebenfalls an. Indes verbreitete Tom Pressund unter seinen engsten Freunden die Nachricht, dass alle Informationen zunächst im engsten Kreis bleiben sollten. Und manch einer der Stadtwachen tauschte bereits seine Anteile am späteren Gewinn für ein wenig Gold an andere …
Auf jeden Fall unterwanderten wir so innerhalb kürzester Zeit die Wache, was uns jedoch auf Anhieb keine Erkenntnisse einbrachte: die Männer waren mit mehr oder minder nutzlosen Zeltdurchsuchungen beschäftigt. In einem Zwiegespräch fanden wir heraus, dass die Kanalisation ebenfalls ein mögliches Versteck für den Dieb sei – doch nachdem Suena ihre Katze dort hinunter geschickt hatte, war das auch erst einmal ausgeschlossen.
Mare suchte zwischenzeitlich das Schloss auf. Furchtlos schritt sie mitten in die Höhle des Löwen und wurde sogar zu Cypik Blackthorne vorgelassen. Ein etwas älterer, schlanker Mann in schwarzen, geschmackvollen Kleidern. Er hielt die Elfe wohl für eine Prostituierte, wie sie später erzählte, doch dieses Missverständnis räumte sie unmissverständlich aus. Ihr gelang es dann herauszufinden, was mittlerweile auch einige der Wachen murmelten: Hauptverdächtiger des Diebstahls war ein gewisser Elwe Singollo.
Wir vier sammelten uns wieder und suchten nun die drei Elfen auf, die bereits mit uns nach diesem ominösen Elfenhändler gesucht hatten – dessen wahrscheinlich vorschnelles Handeln mich skeptisch stimmte. Und tatsächlich konnten die drei Mara mitteilen, dass sie am Abend Elwe gesehen hatten. Mithilfe eines Mittelsmannes ließ er sich beim Schmied Macheten anfertigen, welche wiederum in der Nacht gestohlen wurden. Danach hatten die drei den Elfen noch verfolgen können, bis er im nahen Wald verschwunden war. Die Nacht hatte für ihre Augen weniger ein Problem dargestellt, dafür aber der augenscheinliche Tarnumhang, der Elwe Singollo schließlich förmlich hatte verschwinden lassen.
Doch wir vier beschlossen, dieser Spur zu folgen. Wir holten unsere Ausstattung, wimmelten Tom Pressund ab, und ließen uns von den Elfen die letzte Stelle zeigen, an der sie den Flüchtigen gesehen hatten. Dort verlief ein Pfad durch den dichten Wald und diesem folgten wir.
Alsbald entdeckten wir einige Fußspuren, die durchaus zu dem Elfen gehören konnten. Dazu stellten wir fest, dass die Vegetation entlang des Weges so dicht und urwüchsig war, dass es auffallen musste, sollte Elwe irgendwo eine Abzweigung genommen haben. So verließen wir uns auf den Hinweis der drei Elfen und gingen den Pfad einen ganzen Tag und eine Nacht entlang. Der Flüchtige hatte einen halben Tag Vorsprung, vielleicht etwas mehr, daher hofften wir ihm durch den Gewaltmarsch bald an den Hacken zu hängen – vorerst vergebens.
Indes zeigte die Landschaft einen gänzlich neuen Charakter. Auf dem Weg von Kroisos nach Thelios hatten wir lediglich hügeliges Land, zuweilen ein Weingut und offene Felder gesehen. Dieser Wald bestand jedoch aus hohen Bäumen und der Boden war übersät mit dornigem Gestrüpp. Bald schon hatten wir das Gefühl, dass wir schnellstens zurückkehren sollten. Doch heroischere Gefühle drängten uns voran. Bis wir morgens eine kurze Pause einlegten, aus der uns Suenas zu ihrer Wachsicht, sofort wieder weckte.
„Da nähert sich etwas“, flüsterte sie und wir machten uns sofort kampfbereit. Schlurfende Schritte näherten sich aus dem morgendlichen Dunst … dann lag der Geruch von Verwesung in der Luft. Und schließlich sahen wir sie: fünf Menschen, die bereits im Grab geruht, sich aber wieder erhoben hatten, um nun halb verfault die Lebenden heimzusuchen. Zombies.
Mara trat ihnen sofort entgegen und drei der Untoten stürzten sich auf sie. Sie hielt sie mit einem vorsichtigen Schwung auf Abstand, während die anderen beiden Zombies links und rechts an ihr vorbeidrängten. Dario und ich schützten unsere Flanken, damit Suena geschützt war. Sie nutzte die Zeit sofort um den Untoten einen Fluch entgegenzuschleudern. Bereits beim zweiten Schlag auf mein Schild spürte ich, dass die Stärke unserer Feinde nachließ.
Die Zombies kämpften ohne Verstand. Sie schmetterten uns einfach ihre Glieder entgegen und wir konnten ihre Angriffe mit unseren Schilden blocken – während Mara eine Waffe mit solcher Reichweite führte, dass die Untoten nicht einmal an sie herankamen.
Dann streckte die Elfe bereits den ersten Zombie nieder. Der Schwertstreich zerschmetterte seinen Leib soweit, dass selbst frevelhafte Hexerei ihn nicht mehr auf den Beinen hielt. Dario und ich ließen uns nicht lumpen und schlugen aus der Deckung heraus zu – während die Zombies gar nicht versuchten, sich zu verteidigen. Sie nahmen unsere Hiebe einfach hin und kämpften mit aufgeschlitztem Arm und durchstochenem Brustkorb weiter.
Plötzlich tanzte Eisen durch die Luft und fing den Glanz des schwachen Mondlichts im Nebel ein. Mara vollführte einen Rundumschlag mit ihrem Bihänder, der einen ihrer Gegner traf und enthauptete. Die Klinge gleich weiter durch untotes Fleisch und zerschmetterte den Körper eines weiteren. Aber das Schwert zog weiter seine Kreisbahn entlang und zerteilte einen dritten Zombie am Ende der Wirbelsäule in zwei Hälften – das war Darios Gegner gewesen. Der Ordenskrieger und ich schlugen noch auf den letzten Zombie ein und brachten damit wenigstens einen Untoten zur Strecke. Im Vergleich zu Maras Schwerttanz ein blindes Dahinstolpern.
Achtungsvoll verneigten wir uns vor der Elfe, dann legten wir uns nur noch kurz hin, während Mara über uns wachte. Viel Zeit ließen wir jedoch nicht verstreichen und brachen auf, sobald die Sonne erste, schwächliche Strahlen in den Wald schickte. Wir merkten nun, dass es etwas leichtsinnig gewesen war, dem flüchtigen Elfen ohne Umwege zu verfolgen: uns knurrten die Mägen und darüber hinaus dachte ich wehmütig an mein Pferd, das noch im Lager stand und von Tom Pressund und seinen Kameraden versorgt wurde.
Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten wir eine Lichtung mit einer kleinen Hütte. Die Hoffnung auf einen Handel für etwas Essen wurde jedoch im Keim erstickt: vor der Hütte lag wohl der einstige Besitzer. Tot, dahingeschlachtet und … angeknabbert. Über der Lichtung lag aber noch ein viel durchdringender Geruch nach Verwesung als die Leiche verursachen konnte. Und die Tür der Hütte stand offen.
Ehe einer von uns überhaupt reagieren konnte, war Mara vorangestürmt und fegte mit dem Bihänder in der Hand in die Hütte. Jetzt hörten wir auch wieder das Fauchen und Stöhnen der untoten Zombies … aber nur für wenige Sekunden. Dann war es wieder still und wir rückten in das überfallene Gebäude nach. Die Elfe stand dort über drei nun endgültig toten Körpern und säuberte ihr Schwert. Entgegen unserer Befürchtung konnten wir hier noch etwas Verpflegung aufsammeln und dann folgten wir weiter dem Waldweg.
Doch wir kamen kaum eine Stunde weit, da wurden wir erneut aufgehalten. Diesmal waren es menschliche Körper, denen bereits sämtliches Fleisch von den Knochen gefault war. Braunfleckig standen die Skelette vor uns und schwangen noch immer voller Hass ihre Klauenhände nach uns. Es war ein anstrengender Kampf für die Ausdauer. Die Knochen mussten zerschmettert werden, bis sie sich nicht mehr regten. Doch Gefahr hatte keinen Bestand, wenn eine Schwertkämpferin wie Mara dabei war.
Dann endlich – so schien uns – erreichten wir eine Siedlung. Ein Dorf im Wald … doch scheinbar vollständig verlassen. Kein Mensch war auf der Straße, sämtliche Fenster und Türen mit Brettern vernagelt und verrammelt. Kein freundlicher Empfang, es roch nach Angst.
„Verdammt, was ist hier eigentlich los?“, fragte ich und keiner wusste eine Antwort. Dario ging indes voran; dorthin, wo der zentrale Platz dieses Ortes gewesen war. Ein größeres Haus, vielleicht die Schenke, erregte seine Aufmerksamkeit und der Araner nahm die Brechstange zur Hand, um etwas Nachforschung zu betreiben.
Die Tür gab mit etwas Nachhilfe nach – und aus der Düsternis des dahinterliegenden Raumes schossen zwei Bolzen und trafen Dario mitten in die Brust. Es hieb ihn auf der Stelle zu Boden und während wir noch verdutzt dabei standen, stürmten drei Männer aus der Hütte. Sie hielten improvisiert wirkende Waffen in der Hand. Aber sie waren lebendig!
Einen Moment später schienen sie dasselbe auch bei uns festzustellen und seufzten hörbar auf.
„Menschen!“, rief einer.
„Ihr hättet klopfen sollen!“, dann ein anderer mit Blick auf Dario, der sich mühsam und dank Suenas Stütze aufrichtete.
„Was in Ormuts Namen ist hier eigentlich los?“, entgegnete ich den Männern, die allesamt ziemlich fertig aussahen. Unrasiert, ungewaschen und mit durchgeschwitzter Kleidung schienen sie schon länger in dem Haus ausgeharrt zu haben. Sie winkten uns erst einmal herein und hielten bereits über unsere Schultern panisch Ausschau. Gerade waren jedoch keine zu sehen, wir gingen schnell hinein und hinter uns wurde die Tür erneut geschlossen und die Armbrustfalle neu geladen.
„Wir haben … eine Plage“, begann dann einer der Männer zu erklären, während ich erkannte, dass hier tatsächlich noch mehr Menschen Unterschlupf gefunden hatten. „Ich weiß nicht, ob ihr sie gesehen habt …“
„Die wandelnden Toten?“, fragte ich. Der Mann zuckte zusammen und nickte.
„Ja, die! Es ist schrecklich. Sie belagern uns schon seit Wochen …“
„Wann genau hat das angefangen?“
„Schwer zu sagen.“
„Hattet ihr zufällig Kontakt mit einem Elfen?“, fragte Mara dazwischen.
„Ein Elf? Ja, einer namens Elwe Singollo war hier gewesen. Wir haben ihn beherbergt … und als er gegangen ist … da ging es los!“
„Habt ihr ihn auch in jüngerer Zeit gesehen?“
„Einer unserer Jäger – die einzigen, die sich derzeit nach draußen trauen – hat vor zwei Tagen einen Elfen gesehen. Das könnte er gewesen sein!“
„Wo ist er hin?“
„In ein Bergtal, unser Mann könnte euch dorthin führen. Aber ich hätte vorher noch eine Bitte an euch. Wir geben euch auch Pferde und alles, was ihr braucht, aber bitte helft uns vorher! Wir sind abgeschnitten von der Außenwelt und wir können nicht so gut kämpfen, wie ihr es offensichtlich vermögt. Ihr seid ja ohne einen Kratzer durch die Horden da draußen durchgekommen.“
Dario räusperte sich an dieser Stelle, während ihm Suena die Brust verband. Der Mann bohrte etwas betreten mit der Schuhspitze im Holzboden, dann wandte er sich fragenden Blickes an mich. Ich seufzte und erwiderte: „Was können wir für euch tun?“
„Zwei unserer Jäger sind vor vier Tagen zu einem Heiligtum des Ylathor aufgebrochen. Der albische Totengott und seine Priester hier können vielleicht etwas gegen diese Untoten unternehmen! Aber sie sind noch nicht zurück. Wir werden immer weniger und wir brauchen auch etwas zu essen und Leute, die kämpfen können. Bitte, es muss ein Zeichen sein, dass ihr jetzt zu uns gekommen seid!“
„Wir werden euch helfen“, versicherte ich dem Mann und meine Gefährten stimmten ebenfalls zu. „Vielleicht können uns diese Priester wirklich helfen, so sie denn noch leben. Diese Ausgeburten aus Alamans Abgrund können gerne wieder dorthin zurück.“
Damit war es ausgemacht und wir verbrachten vorerst eine Nacht bei den eingepferchten Dörflern – und hörten nach Untergang der Sonne das Kratzen und Schaben menschlicher Hände an den hölzernen Wänden des Hauses. Das Gejammer der Untoten schlich sich in die Träume, sollte man es auch nur wagen für wenige Minuten wegzunicken …
Mit steifen Rücken und mattem Geist erwachten wir am nächsten Morgen und öffneten den Weg nach draußen. Während wir vier die Umgebung absicherten, schafften die Männer die Barrikade vor dem Stall beiseite und führten zwei Pferde heraus, die zwar gut genährt aber ebenfalls ziemlich enerviert wirkten. Es dauerte einen Moment, bis sie sich beruhigten und gesattelt werden konnten. Dann schwangen wir uns auf ihre Rücken und trotteten den Weg entlang, den uns einer der Männer wies. Zum Heiligtum eines Totengottes.
Dichter Nebel hielt die Umgebung weiterhin im Griff und von den warmen Temperaturen Chryseias war hier nichts mehr zu spüren. Doch der Weg war breit genug für die Pferde und bis zum Nachmittag begegneten wir keiner Seele.
Dann rückte ein Gebäude in unseren Blick, das wohl dieses Heiligtum war. Vielleicht eine Art Kloster, aber fast schon eine Festung. Viereckig ragte es wie ein Wehrturm auf, mit dicken, steinernen Mauern und einem großen Tor sowie einer kleineren Tür. Beide standen offen. Wir stiegen von den Pferden und banden sie an, dann zückten wir bereits unsere Waffen und gingen vorsichtig auf das Gebäude zu. Wir wählten zunächst die kleinere Tür und traten so in einen Korridor, der an der Außenseite des Heiligtums entlangführte. Weitere Türen gingen nach innen ab, wo sich uns nach und nach offenbarte, dass hier einige Menschen gelebt hatten. Wir fanden zunächst eine Waffen- und Kleiderkammer sowie Quartiere, die scheinbar für Verteidiger dieses Gebäudes angelegt waren. Dann entdeckten wir aber auch Gemächer von Mönchen oder Priestern – zwei von ihnen lagen noch in ihren Betten. Sie waren noch im Schlafgewand überwältigt, zu Tode gebissen und aufgeschlitzt worden. Das Werk von Zombies.
Wir suchten weiter und fanden eine Küche in der gleichzeitig gespeist wurde. Sie verfügte über einen Brunnen – und um diesen herum war ein riesiges Oktagramm auf den Boden gemalt. Es strahlte eine düstere Aura aus und kaum betraten wir den Raum, glomm es düster auf und aus dem Brunnenschacht krochen die Toten hervor. Acht an der Zahl, Zombies und Skelette bunt durcheinandergemischt. Mit dem Zorn verdammter Seelen stürzten sie sich auf uns und wir nahmen unsere Kampfformation ein: ein Keil mit Mara an der Spitze und Suena zu allen Seiten von vorn geschützt.
So hielten wir gekonnt die Flut von unserer Zauberin, die diese ihrerseits mit schwächender Magie bedachte. Speer, Nimcha und Bihänder bahnten sich dann den Weg durch heranbrandendes totes Fleisch und faulige Knochen. Die Masse war ermüdend, doch wir hielten diszipliniert Stand – bis der letzte Untote von Mara geköpft wurde. Dann warfen wir so schnell wie wir konnten das umstehende Mobiliar in den Brunnen und versuchten das Oktagramm zu verwischen. Keiner von uns verstand genau, wie es funktionierte – aber seine unheilige Wirkung war zumindest offenkundig.
Nachdem wir so hoffentlich an dieser Stelle einen Untotenquell geschlossen hatten, erkundeten wir weiter das Kloster, wo wir noch die Schlafräume zwei scheinbar höher gestellter Priester entdeckten: goldene Statuetten und kostbarere Stoffe ließen noch erahnen, dass einer der beiden die allerhöchste Rolle eingenommen hatte. Eine Art Hohepriester.
Doch dann entdeckten wir den Altarraum und unsere Mägen kippten beinah auf der Stelle. Wir hatten die Bewohner des Heiligtums gefunden.
Auf dem Boden verteilt lagen die Leichen zweier Wachmänner mit aufgeschnittenen Kehlen sowie fünf weitere, die Opfer der Untoten geworden waren. Daneben noch zwei Priester in einfachen Roben und zuletzt drei Männer mit Bewaffnung, die sich von derjenigen der Wachleute unterschied. Söldner? Von wem?
Außerdem war da noch ein älterer Mann, der seinem polierten Kettenhemd und dem Zierrat am Wams nach vielleicht der Hauptmann gewesen war. Ihm fehlte die rechte Hand – erst jüngst sauber abgeschnitten. Und immer noch war nicht Schluss: eine vermummte Gestalt lag nicht weit vom Hauptmann entfernt. Womöglich ein Assassine, der hier zu Beginn für Unheil gesorgt hatte. Bei ihm fanden wir Dolche und Fläschchen sowie einen Ring mit einem Dorn am Finger – eine geheimen, vergiftete Waffe wie es schien.
Es hatte einen Überfall gegeben und der Attentäter hatte sich wohl darum bemüht, so lange wie möglich den Alarm hinauszuzögern und daher alle Leichen hier versteckt. Dann war es jedoch auch ihm an den Kragen gegangen, so schien es. Oder einem von ihnen? Doch damit war noch nicht geklärt, wo der Hohepriester war – oder die Jäger aus dem Dorf. Oder woher die Söldner stammten.
Doch wir waren auch noch nicht am Ende: wir erblickten in einer Ecke den Zugang zu einer kleinen, gewundenen Treppe, die in die Tiefe unter dem Heiligtum führte.