Von einer Welt unter dem Meer

Unsere Reise führte uns zwei lange Tage durch die Einöde der tegarischen Steppe. Gegen meine hügelige Heimat kam mir dieses flache Land befremdlich vor, doch ermöglichte es zumindest einen weiten Blick, sodass wir jeglichen Gefahren aus dem Weg gehen konnten.
Schließlich erreichten wir nachmittags die Stadt Ministry, welche ihre etwa fünftausend Einwohner mit Mauern und enorm hohen Türmen schützte. Von dort musste man jede feindliche Bewegung auf dutzende Kilometer ausmachen können. Im Kern der Stadt konnten wir ein seltsames Glitzern ausmachen, welches die langsam sinkende Sonne widerzuspiegeln schien. Doch weder Leana noch ich konnten zu diesem Zeitpunkt erkennen, was die Ursache dafür war.
Das Tor stand offen und mit unseren Ponys erschienen wir trotz unseres womöglich als befremdlich erscheinenden Aussehens keine sonderliche Gefahr und die Wachen ließen uns passieren.
Einmal durch die Pforte Ministrys geschritten, erblickten wir den ganzen Stolz der Stadt und das Ziel unserer Reise: die Magiergilde.
Umsäumt von einem großen Kranz aus dicken, hohen Bäumen stand das riesige, kreisrunde Gebäude im Zentrum Ministrys. Das Dach war komplett verglast und somit die Ursache für die seltsamen Spiegelungen, die Leana und ich ausgemacht hatten. Die Schamanin teilte mir sogleich mit, dass die Magier dies wohl nutzen, um magische Rituale durchzuführen. Ich hingegen war zu erstaunt, um weiter über das „warum“ nachzudenken. Dass es überhaupt so viel Glas auf einem Haufen gab, verblüffte mich bereits derart, dass sie mir in die Seite schlagen musste, damit ich weiterlief. 
Wir wandten uns in Richtung Marktplatz, da wir hofften, dort ein Gasthaus zu finden. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis wir mit dem „Goldenen Stab“ etwas gefunden hatten, dass unseren Ansprüchen genügte.
Rasch waren die Ponys versorgt und wir traten ein, wo wir just von einem der Kellner angesprochen wurden.
„Seid gegrüßt, ihr Wanderer. Ihr seid doch sicherlich am Buffet sowie einem Los interessiert?“
„Essen klingt gut, aber was für ein Los?“
„Heute Abend werden hier im Goldenen Stab einige Preise verlost. Deswegen ist heute auch so viel los“, antwortete der Kellner und wies einmal in die Runde.
Tatsächlich mussten sich hier etwa um die hundert Gäste in dem riesigen Gebäude tummeln, welches neben zwei Stockwerken zum Essen und Trinken ein weiteres mit Schlafzimmern bereithielt.
Unsere Neugier war geweckt, auch wenn das Los mit dem unverschämten Preis von zwanzig Goldstücken zu Buche schlug.
Anschließend gingen Leana und ich auf unsere Zimmer, wo wir unsere Sachen verstauten. So praktisch eine Kettenrüstung auch war, beim Essen sah sie doch etwas befremdlich aus.
Im 1. Stock fanden wir dann einen freien Tisch, wo wir uns den Bauch vollschlugen. Das Trockenfutter der letzten Tage war schließlich kein Hochgenuss. Währenddessen blickten wir umher und stellten fest, dass die meisten hier ältere Männer waren und viele Roben trugen. Meine Vermutung war, dass dieses Gasthaus besonders die Magier der hiesigen Gilde anzog. Eine Kneipenschlägerei in diesem Rahmen wäre sicherlich ein einmaliges Erlebnis. Unter anderem, weil es hinterher keine Kneipe mehr gäbe.
Bei Leana bemerkte ich rasch wieder ihren typisch lasziven Blick, mit dem sie das Wirtshaus absuchte. Während wir in Kalimar gelernt und uns allabendlich zum Essen getroffen hatten, hatte sie oft ebenso drein geschaut, ehe sie mit Begleitung verschwunden war.
Diesen Abend schien sie jedoch nicht fündig zu werden…bis ihre Augen verharrten. Ich folgte ihrem Blick und erspähte einen Mann, der uns mit seinem exotischen Äußeren noch in den Schatten stellte. Spärlich mit Fellen bekleidet und einem Knochen durch die Nase hatte er etwas sehr Wildes, die leicht kupferne Hautfarbe ließ eine Herkunft aus einem äußerst fernen Land erahnen. Seine Statur war athletisch, ähnlich der meinen, auch wenn er etwas größer war und sein Gesicht strahlte eine gewisse Strenge aus, die Leana zu faszinieren schien.
Andersherum schien dieser Mann die Schamanin zumindest bemerkt zu haben. Ausdruckslos starrte er zu unserem Tisch hinüber.
Da ihr spezieller Blick diesmal wohl die Wirkung verfehlte, ließ es Leana letzten Endes gut sein, gerade rechtzeitig, als sich jemand Fremdes zu uns an den Tisch gesellte.
Er war etwa Mitte fünfzig und hatte einen deutlichen Bauchansatz, der Kopf war weitgehend haarlos und ein freundliches Grinsen strahlte über das Gesicht. Er fiel durch seine enorme Körpergröße auf, mit der er mich um mehr als einen Kopf und Leana um etwa einen Schritt überragte.
„Guten Abend, der Herr, die Dame. Mein Name ist Ristalak. Meine Freunde und ich haben eure Ankunft hier bemerkt und wie Ihr eure Sachen abgelegt habt. Wir hegen stets ein großes Interesse an den Fremden, die in unsere schöne Stadt kommen.“
Sicherlich wollte der Mann wohl nur nett sein, doch ich hatte zu viele schlechte Erfahrungen mit Leuten gemacht, die mich dabei beobachteten, wie ich meine Sachen verstaute. Leana schien es ähnlich zu gehen.
„Nun, wir sind erschöpft von der Reise und würden lieber bald schlafen gehen. Tut uns leid“, lehnte ich also das Angebot ab.
Ristalak wirkte ein wenig enttäuscht, ließ aber nicht ganz locker: „Gut, dann ruht euch lieber aus. Es erzählt sich sowieso besser, wenn man ausgeschlafen ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr dann morgen in die Magiergilde kämt, um euch mit mir zu treffen.“
„Das trifft sich gut, wir müssen sowieso dorthin“, antwortete ich leichthin, auch wenn ich zu bemerken meinte, dass es Leana nicht so gut gefiel, wie rasch ich das Ziel unserer Reise ausplauderte.
„Vorzüglich! Dann wünsche ich euch noch einen angenehmen Abend.“
Mit diesen Worten entfernte sich Ristalak und ging zu dem Exoten hinüber. Bevor wir jedoch mitbekamen, was er mit diesem besprach, wurde gelost.
Leana gewann eine schöne Halskette, während ich mich mit einem schmucklosen Dolch zufrieden geben musste. Glücksspiel blieb eben Glücksspiel. Nachdem ich mich ein wenig über die geringe Ausbeute geärgert hatte, ging ich auf mein Zimmer, ebenso wie Leana auf das ihre.
Den nächsten Tag begannen wir damit, uns den Staub der Steppe vom Körper zu waschen. Anschließend genossen wir ein ausgezeichnetes Frühstück, ehe wir uns zur Magiergilde aufmachten.
Hinter der Reihe aus Bäumen versteckte sich eine kleine Parklandschaft, die sich bis zu den marmornen Mauern des riesigen Gebäudes erstreckte. Einige Menschen gingen hier spazieren, doch insgesamt war es sehr ruhig und es schien fast magisch, wie die Geräusche der geschäftigen Stadt hier abgedämpft waren. Der Eingang war ein riesiges Tor, mit einer eingearbeiteten Tür, an die wir anklopften.
Rasch befragte uns der Pförtner nach unserem Begehren, wonach er uns zu warten hieß. Zu diesem Zeitpunkt näherte sich stumm der Exot des letzten Abends. Ehe wir ihn fragen konnten, was er wollte, ging die Tür auf und Ristalak stand vor uns, ein breites Grinsen im Gesicht.
„Ah, da seid ihr ja. Ich freue mich, dass Ihr es geschafft habt. Kommt ruhig herein“, und er machte eine einladende Bewegung mit der Hand.
Wir kamen in einen Rundgang, von dem etliche Türen nach innen abgingen. Eingefärbte Glasfenster sorgten für buntes Licht, wo man auch hinsah. Zielstrebig lief Ristalak voran und uns blieb vorerst nichts anderes, als ihm hinterherzulaufen. Der Exot schloss sich uns dabei an und wir nahmen an, dass er dann wohl auch vom Magier eingeladen wurde.
Schließlich standen wir vor einer Tür, die sich in meinen Augen durch nichts von den anderen Unterschied, aber Ristalak schien sich sicher zu sein, dass wir hier richtig waren.
„Nun meine Freunde! In Ministry ist es Brauch, dass Reisende etwas von ihrer Heimat erzählen, sodass wir mehr über fremde Kulturen lernen und adäquat mit ihnen umgehen können. Es würde mich sehr erfreuen, wenn ihr euch dieser Tradition anschließen würdet.“
Wir waren etwas überrascht, aber das stellte ja kein größeres Problem dar. Auch der Exot schien dem nicht abgeneigt, wenngleich er nur mit einem wortkargen Nicken reagierte. Der Bericht dürfte wahrscheinlich kurz ausfallen.
Ristalak erzählte weiterhin, dass dies seit fünfzig Jahren geschehe und man in Ministry somit einen Überblick über fast die ganze, bekannte Welt habe. Anschließend ließ er uns mit den Protokollanten alleine.
Nacheinander berichteten wir von unseren Heimatländern, während die anderen sich ein wenig innerhalb des Gildengebäudes umsahen. Allerdings reichte die Zeit lange nicht, um sich auch nur einen Bruchteil anzusehen. Hervorstechend war aber der Garten direkt unter der großen Glaskuppel. Dieser war ungeheuer prächtig und man meinte das Leben in der Luft zu spüren.
Schließlich rief Ristalak uns zu sich ins Büro, welches in einem der oberen Stockwerke lag und von nicht bescheidener Größe war. Beherrscht wurde es durch einen riesigen Schreibtisch, aus hellem Holz, auf dem dutzende Bücher lagen. Weitaus mehr Pergamente und Papyri ergänzten das Bild. Der Magier schien mitten in einer anstrengenden Arbeit zu stecken.
„Nun, Ristalak, wir haben da noch ein Amulett der Magiergilde Ministrys. Unsere ursprüngliche Absicht war es, dieses hier abzugeben“, eröffnete Leana das Gespräch.
Die Augen des Magiers wurden groß und erfreut nahm er das Schmuckstück entgegen.
„Ihr habt meiner Gilde damit einen großen Dienst erwiesen. Hier, nehmt das Gold für eure Mühen!“
Gesagt getan, drückte er Leana und mir fünfhundert Goldstücke in die Hand. Das war ein netter Auftakt zu dem, was nun kommen sollte.
„Meine Freunde aus fernen Ländern“, setzte Ristalak an. „Vielleicht habt Ihr bereits gehört, dass in zwei Monaten der große Magierkonvent von Ministry stattfindet. Zu diesem Zeitpunkt möchten wir uns so prächtig präsentieren, wie dies möglich ist, doch wir haben ernste Schwierigkeiten.
Normalerweise handeln wir regelmäßig mit den Seeelfen. Ihre magischen Ingredienzen sind eine der Ursachen für den Reichtum der Gilde. Doch unsere letzten zwei Lieferungen blieben ohne Reaktion und wir wissen nicht, was geschehen ist.
Ich bitte euch nur ungern um einen solch enormen Dienst, aber die Not gebietet es mir: wäre es euch möglich, zu unseren Partnern zu reisen und die Sache zu klären? Wir brauchen diese Lieferungen, sonst sieht es auch langfristig schwarz aus. Natürlich würdet ihr entsprechend mit magischen Artefakten ausgestattet werden.“
Da fiel mir erstmal die Kinnlade herunter. Von Seeelfen hatte ich im Leben noch nichts gehört, aber das Angebot klang äußerst spannend!
„Warum wollt Ihr ausgerechnet Fremde schicken?“, fragte Leana.
Ristalak lächelte nur müde und wies auf den überfüllten Schreibtisch.
„Wir haben zu viel Arbeit und können Niemand vor dem Konvent entbehren. Allerdings weiß Niemand, ob es dann nicht vielleicht schon zu spät ist. Dort unten könnte sonst etwas geschehen sein. Ich hoffe, ihr nehmt an… es winken euch 2500 Goldstücke Belohnung.“
Leana und ich sahen uns an und wir nickten. „Wir sind dabei.“
„Gilt das auch für euren Begleiter?“
„Nun…wir kennen ihn nicht“, bemerkte ich, wandte mich dann an ihn. „Aber zusätzliche Unterstützung kann man bei solch einer Herausforderung immer gebrauchen. Bist du dabei?“
Der Mann schien kurz zu lächeln, dann nickte er.
Der Höflichkeit entsprechend begann ich nun, uns vorzustellen: „Dies ist meine Begleiterin Leana und ich bin Abedi. Wir sind die Streiter Ischkurs und die …“
Leana stieß mir dezent den Ellbogen in die Seite. „Jaa… Leana und Abedi. Wie ist dein Name?“
Der Mann holte einmal tief Luft und sagte mit tiefer Stimme etwas mir absolut Unverständliches. Leana und Ristalak erging es wohl ähnlich, sodass er es noch einmal langsam wiederholte:
„Ixcalotl Cuautl Ohticue“.
Nachdem somit die Streiter Ischkurs Verstärkung erfahren hatten, berichtete uns Ristalak, um was sich der Vertrag mit den Seeelfen drehte.
Einmal monatlich wurden speziell behandelte Eisenwaren im Wert von eintausend Goldstücken gegen besondere magische Ingredienzen des Meeres getauscht. Dieser Vorgang ereignete sich stets an einem Riff, welches ungefähr auf der Mitte der Strecke lag.
Des Weiteren klärten wir ab, dass wir Sachen, die nichts in der Tiefsee zu suchen hatten, in der Magiergilde verstauen durften und sich um die Ponys gekümmert wurde.
Nachdem dieser organisatorische Akt abgeschlossen war, händigte Ristalak jedem von uns feierlich einen Ring des ewigen Atems aus, der zugleich unsere Bewegungsfreiheit unter Wasser erhalten sollte.
Dann marschierten wir auch schon auf das Schiff, das eilig ablegte, um uns zu den Seeelfen zu bringen. Die Gilde hatte es wohl wirklich äußerst eilig und der Kapitän huldigte nur noch rasch seinen Göttern. Ohne größeres Aufsehen zu erregen, erbat ich mir von Ischkur Unterstützung für die Reise.
Der Zweimaster kam mit seinen zehn Männern Besatzung hervorragend aus, sodass wir drei nicht anpacken brauchten. So verstauten wir unsere Sachen im gemeinsamen Raum, ehe wir an Deck beteten, meditierten oder den Wellen beim Rauschen zuhörten.
Beim Essen unterhielten wir uns ein wenig mit Ixcalotl. Er kam aus Nahuatlan und war der dortigen Zöllnergilde angehörig. Zunächst musste er uns über die genaue Lage dieses Landes aufklären, dann berichtete er, dass er zusammen mit einem Partner hierher gereist war, um einige Schmuggler auszuschalten. Ixcalotl hatte keine Scheu zu sagen, dass er sich über den Tod seines Landmannes eher freute als trauerte. Und als er erwähnte, wie er die Schmuggler ausgelöscht hatte, meinte ich ein seltsames Flackern in seinen Augen zu sehen. Dieser Mann war vieles, aber sicherlich kein einfacher Zollbeamter…
Am Abend erwiesen sich die Gebete des Kapitäns als nutzlos. Ein gewaltiger Sturm fegte über uns hinweg, dass es das Schiff wie ein Blatt hin und her wirbelte. Ixcalotl, Leana und ich klammerten uns verzweifelt in unsere Hängematten, so etwas hatten wir noch nicht erlebt – auch wenn wir bis hierhin sehr weite Seereisen hinter uns gelegt hatten!
Aber Ischkur errettete uns aus der Not und vor der „Gnade“ falscher Götter. Ohne größere Beschädigungen am Schiff hinterlassen zu haben, verebbte der Sturm des Morgens.
Der Kapitän teilte uns mit, dass wir etwas vom Kurs abgekommen waren, es allerdings keine größeren Verzögerungen geben würde.
Gegen Mittag erspähten wir ein mastloses Schiff, welches ohne jede Regung auf dem Wasser verharrte. Fasziniert von diesem paradoxen Anblick, hielten wir weiter darauf zu. Wir erkannten aus der Nähe, dass Niemand auf dem fast verrotteten Deck herumlief und erblickten einige Risse in der Seitenwand.
Doch ehe jemand eins und eins zusammenzählte, tat es einen ordentlichen Schlag und das Schiff stoppte abrupt. Die Lippen des Kapitäns wurden schmal, sein Steuermann lächelte schuldbewusst. Aber wieder hatte Ischkur uns seine Gunst geschenkt und großen Schaden verhindert. Allenfalls einige Stunde würde es dauern, bis wir wieder fahrtüchtig wären, versicherte der Kapitän.
Der Blick von Ixcalotl, Leana und mir wanderte zu dem Wrack hinüber, welches wir nun ohne Probleme erreichen konnten. Wir wären keine Abenteurer geworden, wenn uns das nicht reizen würde, so ließen wir alles Unnötige in unsren Kabinen und schwangen uns hinüber.
Wir merkten bald, dass das Schiff höher gewesen war, als es von außen den Anschein hatte. Etwa drei Etagen befanden sich unter Deck, zu großen Teilen jedoch unter Wasser. Doch der Reihe nach. Da oben nichts zu finden war, schließlich war hier alles hoffnungslos Wind und Möwen ausgesetzt, gingen wir über die Treppe nach unten.
Den größten Teil nahm hier der Laderaum ein, gen Heck und Bug gab es weitere Räume. Da verfaulte Fässer mit verrottetem Tuch oder Essen nicht gerade das Ziel unserer Erkundung waren, gingen wir rasch weiter und begannen systematisch die Türen zu öffnen und die Geheimnisse zu entdecken, die hinter ihnen versteckt lagen – dabei fiel mir schnell auf, dass die Planken unter meinem Gewicht knarzten (wegen dem Kettenhemd!) … doch sie hielten zu meinem Glück.
Unser erster Fund wurde ein Skelett, dem das schimmernde Kettenhemd nicht geholfen hatte. Zwar war es nicht die feine Art, einen Toten zu berauben, doch dieses Kettenhemd schien nicht angegriffen von Rost oder anderen Zerfallserscheinungen. Diesen Schatz hier zu lassen, hieße, Ischkurs Gutmütigkeit zu ignorieren! Abgesehen von der Tatsache, dass der Tote es wirklich nicht mehr brauchte!
Ixcalotl und Leana gingen weiter, aber als ich dann zu ihnen aufschloss (das Knarzen zu meinen Füßen hatte sich erheblich verstärt!), berichteten sie nur von jeder Menge Unrat.
Dann fanden wir die Reste des Kartenraums. Leider waren alle Navigationshilfen durch die Unbilden der Natur zerstört worden. Doch… unter den Betten fand ich drei verschlossene Truhen, deren Schlösser rasch meiner Axt erlagen. Das darin befindliche Gold sowie die Schmuckstücke besaßen trotz der langen Zeit hier noch einen schönen Glanz – allerdings verrieten einige Glasscherben, dass ein darin befindlicher Heiltrank durch die rabiate Öffnung zerstört wurde. Ich ging zu den anderen beiden und wir teilten meinen Fund durch drei.
Dem Kartenraum folgte die ehemalige Kapitänskajüte. Zerschlissene und ausgebleichte Vorhänge an den Wänden, ließen den Reichtum erahnen, der sich einstmals hier den Augen anbot. Die rot verglasten Fenster waren jedoch zu großen Teilen mit Brettern verschlagen worden und verhinderten einen tieferen Einblick. Allerdings murmelte Leana nur kurz etwas und die Umgebung erhellte sich.
Im hinteren Teil des Raumes erkannten wir nun einen regungslosen Körper, welcher zwischen einem zerschlagenen Schreibtisch und einem großen Bett lag.
Die Schamanin eilte vor, um sich das anzusehen. Wir folgten und nahmen nach nur einem Schritt bereits einen heftigen Leichengeruch wahr. Leana berichtete mir später genau, was sie sah, als den Körper herumrollte um dem vermeintlich Toten ins Gesicht zu sehen.
Trotz des Gestanks wirkte der in feine, wenn auch zerschlissene, Kleider gehüllte Mann noch ziemlich „frisch“. Bei der Berührung durch die Moravin öffnete er die Augen, hinter denen nur tiefe Schwärze lag und verzog den Mund zu einem fratzenhaften Grinsen. Leana erstarrte einen Moment, dann bildete sich eine Glocke aus tiefer Finsternis über dem Haupt der Schreckensgestalt. Ihr Läuten erschütterte Mark und Bein, dass wir kurz betäubt stehen blieben.
Zum Glück verschwand dieses Musikstück der tiefen Hölle wieder, aber der Untote erhob sich – zumindest vermutete ich, dass dieses Wesen kein eigenes Leben mehr besaß. Seine Glieder schienen erschreckend verdreht und die Bewegungen waren ekelerregend abgehackt, als ob ein übergroßer Marionettenspieler hier seine Hand im Spiel hätte. Das Monster öffnete sein Maul und Finsternis quoll hervor, doch Leana wischte nur einmal mit der Hand durch die Luft und die Dunkelheit löste sich auf. Gegen unsere Lichtbringerin kam diese Höllenkreatur nicht an!
Dann waren Ixcalotl und ich zur Stelle und drangen mit unseren Äxten auf unseren Gegner ein. Mein erster Hieb saß gewaltig und riss ihm einen großen Teil des Brustkorbes weg. Davon jedoch unbeirrt wandte sich die finstere Gestalt Leana zu und stach blitzschnell mit seinen zwei kurzen Schwertern zu. Die Schamanin schrie auf und ging zu Boden!
Der Huatlani wollte sich das nicht gefallen lassen und drosch mit seinem gewaltigen Schlachtbeil auf das Monstrum ein, welches jedoch leichtfüßig zur Seite wich. Er setzte direkt nach und dieses Mal brauchte der Untote einen ordentlichen Satz, um der Enthauptung zu entkommen. Nun wollte ich einen zweiten Streich setzen, doch die Sorge um die Waffengefährtin am Boden vermischte sich mit Zorn und ich verlor meine Konzentration. Der Stiel meiner Axt entglitt mir und sie flog gegen eines der vernagelten Fenster, wo sie so unglücklich auftraf, dass der Kopf sich vom Holz löste.
Laut fluchend griff ich meinen Dolch – während Ixcalotl sich des Gegners gut zu erwehren wusste, welche mit unerhörter Geschwindigkeit auf ihn eindrosch. Und schließlich war es auch der Zöllner, der dem Wesen mit einem wuchtigen Hieb seiner riesigen Axt den Schädel spaltete, dass das Gehirn nur so durch den Raum sprühte. Ein stilles, unauffälliges Lächeln huschte über die Züge des Huatlani.
Schnell überflogen wir die Besitztümer des (endgültig) Toten, wobei sich auch zu meinem Glück eine Streitaxt befand. Dann brachten wir die verdrießlich stöhnende Leana zum Schiff zurück, wo sich ein Arzt um ihre Wunden kümmerte.
Ixcalotl teilte mir nun mit, dass er meditieren wolle, ehe er wieder auf Erkundung mitkäme. So blieb mir ein wenig Zeit und ich beschloss, mir die Leiche der Höllenkreatur nun genauer anzusehen.
Und tatsächlich: wir hatten einen 1,10m langen Eisenstab übersehen. Das Metall war tiefschwarz und ließ nur wenig erkennen, bis auf sieben Runen, die mir absolut unbekannt waren. Angesichts des Zustands dieser Kreatur blieb es ohne Zweifel, dass hier finstere Magie am Werke war. Daher nahm ich einiges von dem umherliegenden Tuch und hüllte das Ding darin ein.
Vorsichtig überbrachte ich es Leana, welche nun wieder einigermaßen auf den Beinen war. Während Ixcalotl und ich weiter das Wrack erkunden wollten, würde sie sich der Erforschung des Artefakts annehmen.
Nachdem der Huatlani mit seiner Meditation fertig war, ließen wir die geschwächte Leana zurück und gingen wieder hinüber.
Wir betraten zunächst die ehemaligen Baracken, deren Inhalt jedoch der Fäule anheimgefallen war, was unserem Entdeckergeist einen leichten Dämpfer verpasste. Aber der nächste Raum entpuppte sich als die einstige Schreibwerkstatt. Hier lag zwischen etlichen Büchern und einem großen Bett die regungslose Gestalt eines Elfen. Vorsichtig wälzten wir ihn auf die andere Seite und waren erleichtert, als er sich nicht erhob, um unsere Kehlen zu zerfetzen.
Bei ihm fanden wir ein Elfenlangschwert, einen Juwelendolch und ein Kettenhemd, welches für mich jedoch zu klein war. Die Sachen nahm ich mit, vielleicht konnte Leana das eine oder andere gebrauchen.
An der Wand hing außerdem ein Krummsäbel, welcher sich jedoch nach einem kurzen Testschlag gegen das Bett als nutzlos herausstellte.
Letzten Endes gab es hier dann noch eine Schatulle unter der Matratze zu finden. Diesmal wollte ich vorsichtiger vorgehen, als bei den Truhen und öffnete das Kästchen vorsichtig mit der Hand.
Das hätte ich mir auch sparen können.
Eine gewaltige Explosion schmetterte mich gegen die Wand hinter mir, auch Ixcalotl, der einige Meter entfernt stand, wankte. Von der Schatulle war freilich nicht viel übrig, doch die darin befindlichen Spruchrollenbehälter schienen extra feuerfest gearbeitet zu sein. Diese landeten dann natürlich auch in meinem Rucksack, um sie später der Schamanin zu übergeben.
Im letzten Raum der ersten Ebene fanden wir neben viel Unrat eine weitere Truhe. Das darin befindliche Gold nahmen wir an uns und teilten es später mit Leana. Außerdem entdeckten wir neben zwei roten Signalflaggen noch eine Bannerflagge: eine weiße Taube über dem Meer, welches an eine silberne Küste brandet, die den Rand einnahm. Einen Moment lang huschten meine Gedanken zu einem fernen Land, in dem Friede herrschte und der Waffengang längst vergangenen Tagen angehörte. Ein Land, wo die Menschen ihren verkommenen Absichten und der Gier abgeschworen hatten und sich halfen, wo sie nur konnten.
Doch unser Midgard war leider weit entfernt von diesem Ort. Ixcalotl und ich standen in einem halbzerstörtem Schiff, dass vor etlichen Jahren auf das Riff aufgelaufen war. Es roch an Dreck, Moder und vergammelten Fisch.
Der Huatlani sah mich auffordernd an und wir nahmen die Treppe zur zweiten Ebene, welche ebenfalls durch den großen, zentralen Laderaum beherrscht wurde. Hier lagen etliche aufgebrochene Kisten und Fässer herum, sodass der Boden nur so mit Gold und Silberbesteck übersät war. Das aufzusammeln könnte lohnend sein, doch würde es Stunden brauchen. So beschlossen wir, zunächst wieder Raum für Raum abzusuchen.
Kurz gesagt, stellten wir in diesem Stockwerk, welches bereits zur Hälfte unter Wasser stand, lediglich fest, dass es das Riff ordentlich getroffen hatte. Etliche Löcher ermöglichten einen Blick aufs Meer. Ansonsten fanden wir noch einige Schiffsvorräte, welche längst vergammelt waren und diverse Ersatzstücke für Mast, Segel und ähnliches – deren Zustand wir als Laien kaum beurteilen konnten.
Dann stiegen wir in die 3. Ebene ab und waren somit vollständig unter Wasser. Die Ringe erwärmten sich leicht und taten ihren Dienst. Eine zentimeterdünne Schicht aus Luft umgab unsere Körper, sodass wir nicht nur atmen konnten, sondern uns auch bewegten, als wären wir an Land.
Nachdem Ixcalotl Licht heraufbeschworen hatte, offenbarte sich uns diese Unterwasserwelt. Die einstigen Ruderbänke des Schiffes verrieten, dass hier wohl ziemlich viele Menschen untergebracht gewesen sein mussten, wollte man sie voll besetzen. Allerdings hieß das auch, dass sich in diesem Stockwerk nur ein Raum von Interesse befand: dort wo das Riff in das Schiff eingeschlagen hatte. Es wirkte bizarr, wie wir so dastanden und die merkwürdigen Formen und bunten Farben der Korallen betrachteten, um die einige Fische herumschwirrten. Diese Welt unter Wasser, so anders, wie die bekannte – so fremd, wie man sie sich kaum vorstellen konnte.
Unser fasziniertes Staunen schwächte jedoch unsere Aufmerksamkeit und erschrocken fuhren wir zusammen, als sich zwei gewaltige, schwarze Tentakel in den Raum schoben und nach uns griffen.
Sofort packten wir unsere Äxte und drangen auf die Kreatur ein. Deren Fangarme waren jedoch so biegsam und glitschig, dass ein sauberer Treffer schwer fiel.
„Ixcalotl, wir sollten uns zurückziehen! Wer weiß, wie groß das Vieh ist, was da dranhängt!“
„Niemals. Wir schaffen das locker!“
Ächzend vertraute ich auf das Wort meines neuen Kameraden, konnte ich ihn doch nicht alleine mit dem Seemonster lassen. Ischkurs Namen ging ich den Angriff über und versetzte dem Tentakel einen ordentlichen Treffer, aber ehe ich mich freuen konnte sackte dieser ein und schlag sich um meine Füße. Unsanft riss es mich um, während ich fahrig nach einem Dolch griff.
Auch Ixcalotl mühte sich sichtlich ab. Das Mistvieh wollte sich schlicht nicht treffen lassen, egal wie wuchtig das riesige Schlachtbeil durchs Wasser fuhr. Zu diesem Zeitpunkt sah es kurz nicht wirklich rosig aus.
Da rammte ich meinen Dolch tief in den Tentakel, sodass er mich losließ. Im Aufspringen ergriff ich wieder meine neue Streitaxt und schlug dorthin, wo der Dolch bereits einen tiefen Riss hinterlassen hatte.
Mit einem glitschigen Geräusch und dem Aufsprühen merkwürdig verblosen Blutes, wurde der Fangarm abgetrennt.
Gerade ertönte der Schmerzensschrei der Tiefseekreatur, da traf auch Ixcalotl. Sein Schlag war so heftig, dass sich die Axt durch den Tentakel ins morsche Holz bohrte.
Mit zwei Gliedmaßen weniger, entfernte sich das Monster und der Huatlani und ich gingen zurück zu unserem Schiff. Dem Kapitän teilten wir mit, dass es auf dem Wrack eventuell nützliche Ersatzteile gab, dann überbrachten wir Leana ihren Anteil am gefundenen Gold und Schmuck sowie die zwei Schriftrollen. Dann berichtete sie uns von dem finsteren Stab.
„Es handelt sich ohne Zweifel um einen finsteren Stab voller schwarzer Magie. Die Runen stehen für verschiedene Zauber; unter anderem einer Hexerei, um mit Toten sprechen zu können sowie Kontrolle über ihre Körper zu erlangen. Sahnehäubchen ist allerdings ein Spruch, um jegliche Materie zu verdampfen. Sobald wir zurück in Ministry sind, sollten wir den Stab der Magiergilde übergeben, damit sie ihn zerstört.“
Diesem Urteil konnten wir nur zustimmen, es bereitete mir ja bereits Unbehagen, das Ding anzusehen.
Bevor wir noch einmal auf das Wrack gehen konnten, um die Münzen und Bestecke der zweiten Etage einzusammeln, teilte der Kapitän uns mit, dass wir weiterfahren konnten. Ehrlich gesagt war mir das auch recht – im Trüben nach Silber zu fischen war nicht sonderlich berauschend.
Am folgenden Tag erreichten wir eine aus dem Meer ragende Felsformation, welche die Austauschstelle mit den Seeelfen markierte. Alles, was wir nicht gebrauchen konnten, schlossen wir in unserer Kajüte ein, dann sprangen wir von Bord.
Dabei zogen wir ein Seil mit hinunter, welches uns später den Aufstieg erleichtern sollte. Die zwei roten Signalfahnen markierten es, damit wir es auch ja finden würden.
Etwa 30 Meter trennten uns von der Oberfläche, als wir den Grund erreichten und obgleich uns die Ringe das Gefühl gaben, weiterhin an frischer Luft zu sein, erlebten wir doch eine ganz andere Welt. Das Wasser um uns herum schimmerte im Licht der Sonne blaugrün, was zusammen mit dem Korallenriff diesem Reich eine mystische Aura verlieh und wir brauchten einige Minuten, ehe wir uns an die neue Umgebung gewöhnt hatten.
Dann machten wir uns auf den Weg. Es brauchte gar keine großen Suchaktionen, denn rasch nahmen uns zwei Seeelfen in Empfang. Sie ähnelten ihren ländlichen Verwandten, besaßen jedoch Kiemen am Hals und Schwimmhäute zwischen den Fingern, während die Füße fast schon wie Paddel wirkten, durch die längliche Formung.
„Seid gegrüßt, ihr Wächter des Tiefseevolkes der Seeelfen. Dies sind meine Begleiter Leana und Ixcalotl, ich bin Abedi. Wir sind von der Magiergilde Ministrys hierher entsandt worden. Die Zauberer sind in Sorge, da die letzten Lieferungen nicht wie geplant ausgetauscht wurden und wir sind hier, um den Grund dafür zu suchen.“
Kurz unterhielten sich die beiden in einer merkwürdigen Sprache, die sowohl an den üblichen Singsang der Landelfen erinnerte, gleichzeitig jedoch etwas Blubberndes besaß. Dann antwortete einer in brüchigem Tegarisch:
„Grüße, Luftatmer. Bringen euch zu Felandor, ersetzt König, da König krank.“
Schon wandten sie sich ab und schwammen los. Kurz zuckten wir die Achseln, dann folgten wir ihnen. Zumindest schienen uns diese Seeelfen nicht feindlich gesinnt.
Der Palast erwies sich als eine weitläufige Höhle in einem riesigen Korallenriff. So erstrahlte jeder Raum, zur Not beleuchtet mit bizarren Fischen, in etlichen Farben. In der größten dieser Höhlen wurden wir schließlich von Felandor empfangen.
Unsere Führer stellten uns in ihrer eigentümlichen Sprache vor, dann traten sie zur Seite.
„Ich grüße euch, Gesandte der Magiergilde“, eröffnete der Truchsess das Gespräch in fehlerfreiem Tegarisch. „Was ist euer Anliegen?“
„Wir sind hier, da die letzten Lieferungen eurerseits nicht eingetroffen sind. Ministry ist in Sorge, dass es hier unten schwerwiegende Probleme geben könnte.“
Der Elf schien zu seufzen, was unter Wasser etwas ungewohnt klang.
„Wir sind wahrlich in Schwierigkeiten. Unser König ist erkrankt und die Meermenschen haben uns den Krieg erklärt, da sie vermuten wir hätten ihren Prinzen Sahi entführt – was jedoch eine Lüge ist. Ich glaube, dass die Hexe Tamara ihre Finger im Spiel hat. Sie muss Kierl, den König der Meermenschen, verhext und seinen Sohn entführt haben. Das Biest wünscht sich wohl einen Krieg zwischen den mächtigen Völkern des Meeres. Wahrscheinlich wird sie sogar unseren König verflucht haben!“
„Das sind schlechte Neuigkeiten“, antwortete ich. „Unter diesen Umständen seid ihr nicht in der Lage, den Magiern ihre Ingredienzen zu schicken?“
Felandor schüttelte den Kopf und ehe ich etwas sagen konnte, beschloss Ixcalotl: „Nun gut, dann sind wir hier fertig. Berichten wir den Magiern.“
Irritiert blickten Leana und ich ihn an, dann wandten wir uns an den Truchsess und erklärten, dass wir diese Hexe finden und töten würden – zumindest wollten wir den Krieg verhindern. Erfreut nickte der Mann und versprach uns eine Belohnung. Anschließend verwies er uns an die Fischmenschen, welche neutral (aber auch primitiv) waren und somit am ehesten mit der Hexe Kontakt haben könnten.
Felandor stellte uns einen Führer zur Seite, der die Sprachen der Meeresvölker ebenso wie fließendes Tegarisch beherrschte; sein Name war Elradir. Außerdem spendierte er uns einige Heiltränke.
Bevor wir jedoch abreisten, ging Leana zu dem kranken König der Seeelfen und untersuchte ihn. Es gelang ihr tatsächlich sein Leiden zu mindern, jedoch erwachte er nicht. Zu Ixcalotl und mir meinte sie dann noch, dass es sich hier eher um Gift und nicht um einen Fluch gehandelt hatte. Verwundert sah ich zu Felandor hinüber und meinte zu erkennen, dass der gar nicht so erfreut war, dass sich Leana um seinen König gekümmert hatte.
Für die Reise am Meeresgrund banden wir drei uns aneinander, was es ermöglichte, dass einer schlief während die anderen schwammen. Zusammen mit Leanas geschwächtem Zustand hatte dies zur Folge, dass wir dreimal langsamer waren, wie Elradir es sich gewünscht hätte. Allerdings war seine Forderung, schlicht nicht zu schlafen, für uns absoluter Schwachsinn. Seeelfen…
Aber letzten Endes erreichten wir ohne Zwischenfälle – einige wunderliche Fischschwärme ausgenommen, die wie Vögel in der Luft, durch das Wasser zogen – das „Dorf“ der Fischmenschen. Primitiv traf es wohl, denn sie lebten in Höhlen, zwischen denen sie riesige Felder von Nutzpflanzen angelegt hatten. Außer Algen konnte ich hier nichts identifizieren, aber einen grünen Daumen schienen diese „Wilden“ zu haben, die hier und da umherwuselten. Ihre Körper waren geschuppt und die Mäuler ähnelten wirklich stark einem Fisch, während der Rest weitgehend menschlich war.
Elradir kannte sich hier gut aus und führte uns zum Ältesten Nuwas. Rasch stellten wir uns ihm vor und kamen dann zur Frage, ob er die Hexe Tamara kenne oder jemanden, der über dieses Wissen verfügte.
„Nein, mit Tamara haben wir nichts zu tun. Aber auch ich vermute, dass sie den König der Meermenschen ihrem Willen unterworfen hat. Sonst war er nie so jähzornig! Allerdings war es nicht diese Zauberin, die Sahi entführt hat, sondern wir! Ja, wir! Die Fischermenschen! Da schaut ihr, was?“
Ein kindliches Grinsen umspielte sein tumbes Fischmaul. Langsam aber sicher begann es uns zu dämmern, warum dieses Volk so primitiv war…
„Warum habt ihr den Prinzen der Meermenschen entführt?“
„Nun, wir wurden lange genug unterschätzt! Es hieß immer nur, Meermenschen oder Seeelfen. Die haben das Sagen und alle haben sich über uns lustig gemacht! Aber wir haben die Gunst der Stunde genutzt. So! Jetzt werden nämlich wir mit den Magiern handeln. Dann werden wir schrecklich mächtig und alle müssen uns fürchten!“
Der zunächst quengelnde Tonfall begann bereits dem „Ältesten“ jegliche Autorität zu nehmen, doch wie er dann am Ende mit einem feisten Grinsen dastand und seine Idee für unheimlich toll hielt, begannen unsere Zwerchfelle bereits gefährlich zu beben.
„Und…was wollt ihr den Magiern geben?“, fragte ich gepresst, ein erstes Schnauben unterdrückend.
„Wir haben ganz tolle Wasserpflanzen! Unheimlich nahrhaft. Die sind viel besser als dieses ungenießbare Zeugs der Seeelfen.“
Ich konnte an dieser Stelle nicht mehr an mich halten und lachte lauthals los. Auch Leana und Ixcalotl hatten ersichtliche Schwierigkeiten, dieses Volk und ihren Anführer ernst zu nehmen.
„Könnten wir vielleicht mit Sahi sprechen?“, fragte nun Leana, die sich noch einigermaßen im Griff hatte.
Das schien kein Problem zu werden und sogleich wurde der Prinz der Meeresmenschen hereingeführt. Der Oberkörper menschlich, der Unterkörper endete in einer Fischflosse.
„Grüße, Prinz Sahi. Wir sind hier um euch zu befreien.“
Der nicht einmal gefesselte Mann wirkte erleichtert. „Danke!“
„Aber wie bist du diesen Fischmenschen überhaupt in die Falle gegangen?“
„Also naja…das war ein blöder Zufall. Ich bin da so lang geschwommen…plötzlich war ich in einem Netz… zusammen mit einigen Fischen.“
„Du bist in keine gezielte Falle getreten? Einfach nur achtlos in ein normales Netz geschwommen?“, fasste ich zusammen und verlor wieder die Beherrschung. Laut lachend lehnte ich mich an die Höhlenwand. Schön mochte sie sein, diese Unterwasserwelt. Aber ihre Einwohner waren von unfassbar geringem Intellekt – und man muss zugeben, dass ich weit davon entfernt bin, ein Gelehrter zu sein.
Weiterhin berichtete Sahi, dass Niemand Tamara jemals gesehen hatte. Unsere Vermutung erhärtete sich, dass sie schlicht ein Märchen war, das man kleinen Unterwasserkindern erzählte, um sie zu erschrecken.
Ich ließ nun meinen Blick durch die Höhle schweifen. Die Naivität der Fischmenschen drückte sich ein weiteres Mal deutlich aus: keine Wache war hier, lediglich Nuwas, der auch noch unbewaffnet. Es wäre ein Leichtes, ihm das Fischmaul abzuschlagen und Sahi einfach mitzunehmen.
Leana versuchte jedoch die deutlich nettere Variante und begann zu handeln. Das Versprechen von großer Macht, die sich Nuwas mit zwei Edelsteinen würde kaufen können, ließen seine Augen glitzern. Aber es schien ihm noch nicht genug und ich gab ihm zwei Hände voll Silbermünzen, die wir in dem Wrack entdeckt hatten. Dieser insgesamt lachhafte Preis genügte dem Ältesten, um uns den Prinzen zu übergeben.
Am folgenden Tag erreichten wir dank Elradirs Führung die Festung der Meeresmenschen. Rasch waren wir von einem Dutzend umzingelt, ein jeder richtete einen Dreizack auf uns. Allerdings war die Anwesenheit Sahis schnell bemerkt und umgehend wurden wir zu König Kirl geführt.
Deutlich erleichtert schloss er seinen (zwar äußerst bescheuerten, aber einzigen) Sohn in die Arme.
„Ich war fast durchgedreht! Vielen Dank, dass ihr mir meinen Erben wiedergebracht habt.“
„Damit wird nun Frieden herrschen, oder?“
„Aber…was soll meine Armee machen? Ich habe jetzt hunderte ausgerüstet, die müssen sich doch beweisen!“
Die folgenden Tage verbrachten wir damit, dem König diese Idee auszutreiben. Dann trommelten wir Kirl, Nuwas und Felandor zusammen. Letzterer hatte nun die Krone auf dem Haupt; er schien „unheimlich“ traurig darüber zu sein, dass sein Herrscher doch noch verstorben war…
Mit den drei handelten wir eine Gemeinschaft der Unterwasservölker aus, welche nun alle Waren an die Oberfläche schickten. Durch diesen neuen Bund hofften wir, den Krieg ein für alle Mal aus diesen Gefilden zu verbannen. Schlussendlich errichteten die bis jetzt gottlosen Völker an der Stelle des Austauschs einen gewaltigen Tempel zu Ehren Ischkurs – der Gott, der sie vor ihrer Auslöschung bewahrt hatte.
Zufrieden mit unserer Arbeit kehrten wir mit dem neuen Vertrag an die Oberfläche zurück. Schnell waren wir in Ministry, wo wir Belohnung und Lob für unser geschicktes Vorgehen erhielten.
Damit endete unser zweites Abenteuer als die „Streiter Ischkurs“. Einige Tage verblieben wir bei den Magiern der Stadt, um zu lernen – dann ging es jedoch weiter, in neue Gefilde!

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