Nur Irrungen und Wirrungen

Am nächsten Morgen saßen wir beim gewöhnlichen Haferschleim beisammen. Melodien wirkte zumindest etwas erholt und konnte die Geschichte um ihren Geliebten Aldwin und den Schwarzmagier weiter ausführen.
„Wir lebten alle auf dem Landsitz meines Vaters Bryan südlich von Crossing. Aldwin war einer der Krieger und uns beiden war klar, dass wir für immer zusammen bleiben wollten… doch mein Vater hatte andere Pläne. Er befürchtete, ich würde damit unter Stand heiraten und drängte mich dahingegen auf eine Ehe mit dem Hofzauberer Earn MacRathgar zu. Schließlich kam es dann zu dem schrecklichen Streit zwischen ihm und meinem Geliebten in der großen Halle… der grausame Magier hat die Beherrschung verloren und Aldwin in diese riesige Spinne verwandelt. Er war verwirrt und wurde zornig, sodass er beinahe Amok lief. Es war schrecklich als ihn die Wachen meines Vaters umkreisten, doch er konnte schließlich durchbrechen und fliehen. Das Chaos nutzte dann auch Earn, um davonzukommen, bevor er die gerechte Strafe für seine Hexerei erleiden konnte …“


Melodien machte eine kurze Pause und schluckte schwer. Das alles hatte sie schwer getroffen, umso mehr, dass Aldwin nun endgültig verloren war. Schließlich sprach sie weiter und erzählte weiter.
„Ich konnte es nicht ertragen, ohne meinen Geliebten zu leben. So brach ich auf und folgte den Gerüchten, die man sich erzählte, bis ich ihn in den Sümpfen hier in der Nähe fand. Er erkannte mich und tat alles, um mir ein einigermaßen angenehmes Leben zu verschaffen…wob mir ein Zuhause, brachte mir diese Fundstücke. Ich sollte mich fühlen, als hätten wir ein gemeinsames Heim. Doch das ist jetzt verloren und vielleicht war es immer nur eine Illusion gewesen, die uns vor der grausamen Wirklichkeit beschützt hatte.“

„Wie gedenkt Ihr, weiterzumachen?“, fragte Garric nun nach.
„Ich möchte zunächst nach Crossing, in das Stadthaus meiner Familie. Dort werde ich in Ruhe darüber nachdenken.“
„Nun, Ihr könntet euch auch für einen eigenen Weg entscheiden. Wenn Ihr euch für eagrel erklärt, dann ist euer weiteres Leben in eurer Hand.“
„Das ist etwas…worüber ich länger nachdenken will“, wiegelte Melodien ab. Ich wunderte mich ebenfalls, warum der Gelehrte sich nun in die Lebensplanung der jungen Frau einmischte.

Allerdings verweilten wir dann nicht mehr lange und packten unsere Sachen zusammen – der Fayre in Crossing lief bereits seit gestern und es war unser Glück, dass wir wenigstens nur noch einen Tag dorthin brauchten.
Wir konnten eine der großen Handelsstraßen ostwärts nutzen, sodass es einen unbeschwerlicher Marsch über gut gepflegtes Pflaster bedeutete. Dabei überholten wir immer wieder kleinere Händler, die gemütlich mal mit Pony, mal mit Karren in die gleiche Richtung wanderten. Die große Anziehungskraft des Fayres lockte sie aus allen Teilen Albas und darüber hinaus heran.

Zielstrebig erreichten wir am Abend Crossing. Die zentrale Handelsstadt Albas war von einer Stadtmauer umgeben, die von Türmen gekrönt durchaus geeignet schien, jedwedem Feind zu widerstehen. Der Reichtum, den die vielen Händler mitbrachten, machte es umso erstaunlicher, dass die Bürger nicht den Weg der Boroughs wie Haelgarde gegangen waren und sich selbstständig gemacht hatten. Hier regierte noch immer ein Clan; die MacArdochs. Ihr Schwanen-Wappen zierte beide Seiten des Osttores, durch das wir die Stadt betraten und war sonst immer wieder präsent, um zu zeigen, wer die schützende Hand über die Heerscharen der Händler hielt, die hier durchreisten – oder wie jetzt beim Fayre ihre Marktstände aufgebaut hatten. Es war ein erstaunliches Bild, wie sie sich eng an eng aneinanderreihten, dass sich die gesamte Stadt in einen einzigen Handelsbasar verwandelte. Es mussten hunderte sein, die ihre Waren aus aller Herren Länder preisten und Tausende, die diese betrachteten und in typisch albischer Manier abwogen, ob ihnen dieser oder jene Tand das Gold tatsächlich wert war.

Wir schoben uns zielstrebig durch die Massen hindurch zum zentralen Platz von Crossing, der das ganze Treiben noch einmal auf die Spitze trieb. Es roch nach kräftig angebratenem Fleisch und malzigem Bier sowie dem sauren Cidre, auf den man hierzulande sehr stolz war. Dazu spielten dutzende Spielmänner mit einer Vorliebe für Dudelsäcke ihre Balladen, Tanz- und Trinklieder, die sich mit den Rufen der warenanpreisenden Händler sowie den grölenden Kunden vermischten, dass am Ende nur noch eine Kakophonie blieb, die sich tief in meine Ohren einzubrennen schien.
Missmutig verzog ich das Gesicht und versuchte so viel des Treibens wie möglich auszublenden und an die gar nicht so ferne Ruhe abseits der Stadt zu denken. Immerhin sorgten die Massen und das viele bunte Volk dafür, dass mir nicht allzu viele schräge Blicke zugeworfen wurden. Miyako erging es als atemberaubende, fremdländische Schönheit freilich anders. Der eine oder andere lüsterne Pfiff blieb nicht aus – allerdings wagte keiner mehr; ihre natürliche, kraftvoll wirkende Ausstrahlung gepaart mit dem Langschwert an ihrer Seite verrieten genug, um keine Dummheiten zu begehen.

Das Stadthaus der MacAelfins war ein Symbol der Macht des großen Clans. Es lag direkt am Marktplatz und überragte die ohnehin nicht kleinen Gebäude der Stadt noch um ein Stockwerk. Zudem waren ausnahmslos alle Balken des Fachwerks mit kunstvollen Schnitzarbeiten verziert. Über der Tür stand ein Spruch, wahrscheinlich das Wahlmotto der Aelfins, sowie links und rechts davon ihr Wappen: ein Einhorn.

Garric klopfte kräftig an die Tür und ließ dann Melodien vortreten. Wenig später öffnete eine junge Dienstmagd die Tür und wollte uns freundlich begrüßen – da fiel ihr Blick auf Melodien und sie erstarrte einen Moment. Mit breitem Grinse meinte der dahinterstehende Gelehrte: „Ja, das ist sie! Heureka!“
Die Magd jubelte leise auf, ehe sie zur Form zurückkehrte und uns hereinbat. Melodien wirkte erleichtert, kaum, dass sie einen Fuß über die Schwelle getan hatte und drehte sich einmal beschwingt im Kreis, als wir im Vorraum standen. Es gab einen kleinen Kamin, vor dem Sessel standen sowie einen Tisch mit Bänken, auf denen man es sich wohl bequem machte, bis man in die weiteren Zimmer des Hauses geführt wurde. Nach ihrem kurzen Freudenausbrauch wandte sich Melodien wieder an uns: „Entschuldigt mich bitte, ich werde auf ein Zimmer gehen und mich frisch machen.“ Dabei wies sie auf ihre deutlich mitgenommene Kleidung, die sie immer noch trug. Kurz darauf war sie dann auch schon entschwunden und wir warteten, bis man sich weiter um uns kümmerte.
Es dauerte nicht lange, da betrat ein Mann in schlichter Kleidung und bereits leicht schwindendem Haaransatz den Vorraum und begrüßte uns auf Albisch. Das klang zwar freundlich, irritierte Miyako und mich allerdings, sodass ich freundlich darum bat, auf Comentang zu sprechen, was der Mann dann auch tat.
„Seid noch einmal gegrüßt, ich bin Gill und einfacher Diener der MacAelfins. Im Namen der Familie spreche ich Euch den tiefsten und innigsten Dank aus für die Errettung der Dame Melodien aus. Es würde mich und sicher auch meinen Herrn Graf Bryan MacAelfin interessieren, wie es sich ergeben hat, dass Ihr eine solche Heldentat vollbrachtet?“

Garric übernahm es, die Ereignisse knapp zu schildern; von den Gerüchten, die uns zufällig auf die Spur brachten, bis hin zu dem Ende: der Kampf mit der Gladiatorenspinne.
Gill wirkte ehrlich niedergeschlagen und seufzte tief. „Es trifft mich schwer, dass Aldwin nicht gerettet werden konnte. Ein uns bekannter Magier war überzeugt, den armen Krieger erlösen zu können und hatte dafür einen Trank gemischt, der einfach auf Kontakt hätte wirken sollen. Sagt, habt Ihr Shawn Tulpert getroffen? Wir haben seit seiner Abreise nichts mehr gehört.“
„Wir fanden leider nur noch seinen Leichnam im Sumpf. Das Tagebuch, was er bei sich geführt hatte, war leider nahezu unleserlich, sodass wir die entscheidenden Stellen nicht mehr entziffern konnten“, erklärte Garric betroffen.
Skeptisch blickte ich zu dem Gelehrten hinüber. Wir hatten durchaus die Theorie gehabt, dass der Trank für die Spinne Aldwin gewesen war, doch er hatte sich dafür entschieden, Melodien zu beträufeln. Ein einfacher Fehler?

Nun hatte Gill keine weiteren Fragen mehr und geleitete uns auf die Gästezimmer, wo wir sperriges Gepäck und die Waffen ablegen konnten. Danach hatten wir zunächst beinahe zwei Stunden Zeit, die Stadt zu erkunden – das Abendessen würde noch ein wenig auf sich warten lassen. Caileass fragte Gill, ob etwas besonders empfehlenswert sei, doch der antwortete nur lächelnd, dass es hier so viel gebe, dass man am besten einfach selbst herumging. Garric hingegen erkundigte sich konkret nach einem „Anluan“ und war auch schon verschwunden, sobald er die Information hatte.
Ich für meinen Teil beschloss, die Zeit zu nutzen, um weitere Gerüchte in Erfahrung zu bringen. Der Buttler hatte uns informiert, dass es noch fünf Tage dauern würde, also wohl bis zum Ende der Fayre, bis Graf Bryan MacAelfin selbst in Crossing einträfe, um uns zu danken. Es schien mir, als hätte ich jegliche Fährte des Schattens verloren und hoffte inständig, neue Indizien zu finden. Vielleicht ein Mord oder verschwundene Personen? Der Diebstahl mächtiger Relikte? Langsam begann ich zu befürchten, dass diese Jagd meine Fähigkeiten um ein Vielfaches überstieg und die Chancen, mich ein für alle Mal von dem Alptraum zu lösen, der mich so lange umschlungen hatte und noch bannte, davonwehten wie Blätter im Wind. Das einzige, was mich von der vollständigen Verzweiflung trennte, war die Hoffnung auf ein langes Leben, das mich irgendwann an mein Ziel trieb.

So betrat ich dann wieder den Marktplatz, auf dem bereits einige Händler in Begriff waren, ihre Sachen zusammenzupacken. Es wurde die Zeit der feiernden Meute, die sich an den Ständen für Alkohol und Fleischspieße sammelte. Allerdings muss ich trotz des augenscheinlichen Chaos bemerken, dass die Stadtwache stets präsent wirkte. Bereits bei kleineren Raufereien waren direkt zwei Krieger des Clans zur Stelle, um die Streitenden auseinanderzubringen – sofern überhaupt jemand wagte, direkt vor ihren Augen einen Konflikt vom Zaun zu brechen.

Zunächst sprach ich mit einem kleineren Händler, der gerade seinen Stand abgebaut hatte. Er kam nicht aus Crossing, wusste aber zu berichten, dass zumindest seine Anreise ohne Zwischenfälle geschehen war und es auch sonst keine Erzählungen von ungewöhnlichen Widrigkeiten rund um die Stadt gab. Außerdem fiel ihm ein, dass die MacArdochs ein Fest am Ende des Fayres geplant hatten – Näheres war ihm noch nicht bekannt.
Wenig später traf ich dann einen Crossinger Bürger. Der Juwelier war ebenfalls offen für ein Gespräch und ergänzte zur geplanten Feier, dass der Clan Nachwuchs erwartete, was mit allerlei höher gestellten Persönlichkeiten in der Burg zu feiern sei. Das einzige Unbill, welches das Fayre bisher getroffen hatte, war ein leichtes Unwetter gewesen – wahrlich keine Spur des Grauens, das sich verheerend über die Stadt gelegt hatte. Aber konnte es nicht auch einmal einige Tage ohne Schrecken geben?

Mit diesen Informationen kehrte ich zurück ins Stadthaus, wo sich Olo Platschfuß schon für das Abendessen bereit gemacht hatte. In Erwartung der Köstlichkeiten schien er nicht einmal einen Schritt vor die Tür gemacht zu haben. Die anderen trafen auch bald ein, sodass wir schließlich geschlossen in den großen Speiseraum des Hauses gingen.
An einer großen Tafel konnten wir alle Platz nehmen und erwarteten Melodien, die kurz darauf erschien. Sie schien die Zeit für sich gut genutzt zu haben und wirkte gut erholt. Die Schrecken der vergangenen Monate waren ein Stück weit zurückgetreten und machten dem sich wieder entfaltenden Leben und vor allem der Lebenslust Platz – wenngleich es noch immer wirkte, als läge ein Schatten über ihrem Blick und eine leichte, kaum wahrnehmbare Lethargie bestimmte ihre Bewegungen. Der Schmutz war abgewaschen und das zerschlissene Kleid gegen ein neues getauscht, welches schlicht, aber aus feinen Stoffen gewebt ihre natürliche Schönheit unterstrich. Aber der Verlust von Aldwin steckte noch immer in ihrem Herzen wie ein Stachel, den man nicht berührte, aus Angst, er würde sodann weiter hineinfahren.
Unwillkürlich fuhr ich mir mit Unbehagen über die Brust. Uns traf die Verantwortung, so redlich unsere Absichten auch gewesen waren. Wir hatten uns benommen wie eine Katze, die eine Maus gejagt und dabei alle Kostbarkeiten des Hauses zerstört hatte – und erwarteten nun unsere Belohnung für das tote Tier.

Mit entsprechend fadem Beigeschmack nahm ich die ganze Etikette wahr, die sich um uns herum abspielte. Nicht nur Gill, sondern auch noch einige Hausmädchen deckten den Tisch, brachten uns das Essen und schenkten nach, sobald wir den Weinkelch absetzten. Es gab feines Fleisch, das ein herausragender Koch mit Kräutern verfeinert hatte, ergänzt um einige Köstlichkeiten, die nur selten zu Tisch gebracht wurden. Es war ein solches Wirrwarr um uns herum, dass ich mich schon wunderte, dass wir das Besteck selbst zum Mund führen und kauen mussten. All die Gaumenfreuden hielten sich die Waage mit einem unbehaglichen Gefühl, hier nicht wirklich hinzugehören. Ich warf einen Blick hinüber zu Maglos, der unbekümmert in einer Ecke des Raumes hockte und von einer Schale die für uns „ungenießbaren“ Teile des Fleisches verspeiste. Er schmatzte und kleckerte und schien sich beinahe Mühe zu geben, für eine große Sauerei zu sorgen. Ich konnte nicht anders als nun doch zu lachen und verdrängte vorerst die düsteren Gedanken hinter einen mich schützenden Vorhang.

„Sagt, Melodien, wisst Ihr schon von dem Fest der MacArdochs?“, sprach ich unsere Gastgeberin nun an.
„Nein, das ist mir tatsächlich neu. Ich hatte noch keine Zeit gehabt, mit Gill über die Geschehnisse in der Stadt zu sprechen.“
„Nun, die Familie erwartet ein Kind, was am Ende des Fayres wohl in der Burg gefeiert werden soll. Ich vermute, dass Eure Familie mit Sicherheit eingeladen sein wird.“
„Das würde mich sehr freuen…ich denke, ich werde ihnen Morgen einen Besuch abstatten, damit wir uns austauschen können“, meinte Melodien.
„Besitzt Ihr einen Botendienst oder entsprechende Kontakte?“, ergriff nun Garric das Wort. Der Gelehrte schien sich recht gut mit dem Ambiente auszukennen und wirkte beinahe heimisch. Ähnliches galt auch für Miyako, sofern man über ihre skeptische Betrachtung des Silberbestecks hinwegsah.
„Selbstverständlich können wir einen Boten engagieren, wenn dafür Bedarf besteht. Um was geht es, Garric?“
„Ich würde gerne eine Depesche nach Haelgarde zur Phönixgilde schicken. Es geht um Shawn, darüber müssen sie Bescheid wissen.“
„Das wird machbar sein, sprecht einfach nachher mit Gill. Er wird sich um alles Weitere kümmern.“
„Bist du selbst ein Angehöriger der Gilde?“, warf ich fragend ein.
„Selbstverständlich“, erwiderte der Gelehrte.
„Phönixgilde?“, horchte Miyako interessiert auf.
„Ja, die älteste Gilde in ganz Alba“, meinte der Magier überzeugt.
Das behaupten sie alle“, warf Caileass ein.
„Schwachsinn, wir haben das Licht längst gefunden, das man in Beornanburgh noch so verzweifelt sucht“, kam es zurück. Ich schmunzelte, als ich an den Klüngel dachte, den die beiden Gilden in Alba miteinanderhatten. Der haelgardische Leuchtturm schien der Phönixgilde als ein Prestige-Symbol gegenüber den Lichtsuchern aus Beornanburgh. Kleinere Rivalitäten befeuerten wohl den Geist der Magier.

„Was sind eure Pläne hier in Crossing, bis der Graf eingetroffen ist?“, fragte ich nun meine anderen Gefährten.
„Nun, ich würde gerne Fackeln kaufen“, grummelte Caileass. Etwas irritiert blickte ich ihn an. Nun…wenigstens war das etwas Greifbares.
„Ich suche noch immer eine Person; Niall MacRathgar“, erläuterte unsere fremdländische Begleiterin.
„Willst du uns in diese Suche einweihen, Miyako?“
Sie überlegte kurz, schüttelte dann aber leicht den Kopf. „Noch nicht.“
Olo indes war so mit dem Schmausen beschäftigt, dass er meine Frage schlicht überhört hatte.

Ich wollte Caileass gerade etwas fragen, da bemerkte ich, wie er zu Melodien hinüberstarrte. Immer wieder zog er kurz die Augenbrauen hoch, wohl als neckisch-auffordernde Geste, wobei er den Kopf leicht schräg legte. Schließlich öffnete er den Mund, um etwas zu sagen. Die Gastgeberin schien den Offerten noch keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt zu haben und Caileass wog – wohlgemerkt mit weiterhin offenstehendem Mund – seine Chancen ab. Schließlich schien er sich einzugestehen, dass der Zeitpunkt, Melodien zu umwerben, unpassender kaum sein könnte und gab auf, bevor es wirklich peinlich wurde.
„Nun, Caileass“, sprach ich ihn an, als wäre nichts geschehen. „Ich würde morgen gerne einmal einige Kneipen durchgehen und schauen, ob es in Crossing nicht doch noch ein Gerücht gibt, das zu hören sich lohnt. Wärst du dabei?“
„Du fragst doch nur, weil du kein Albisch sprichst“, erwiderte der Söldner mit einem schiefen Lächeln.
„Nun…ja. Aber auch, weil du bereits betont hattest, dass du einmal hier als Stadtwache gedient hast und dich sicherlich auskennst.“
„Schon gut, wir sehen uns morgen mal ein bisschen um.“

Zufrieden nickte ich und sah kurz fragend in die Runde. Garric und Miyako schienen jedoch weiterhin ihren eigenen Angelegenheiten nachgehen zu wollen. Und Olo? Der putzte gerade den siebten Teller leer…

Nach einer ruhigen Nacht trafen wir uns am nächsten Morgen wieder bei einem ausgewogenen Frühstück mit allerlei Obst. An unseren Plänen gab es keine Änderungen mehr, so gingen die anderen alleine umher, während Caileass und ich zunächst Ausschau nach einem Juwelier hielten – der Söldner wollte einen Ring veräußern, den er in der Spinnenbehausung gefunden hatte. Natürlich hatten wir bereits mit Melodien abgeklärt, dass sie keinerlei Interesse mehr an diesen Gegenständen hatte.
Ich lotste meinen Begleiter sogleich zu dem einheimischen Juwelier, der mir am Vorabend erzählt hatte, was Crossing zurzeit bewegte – was nicht viel war, außer dem üblichen Treiben des Fayre.
„Seid gegrüßt!“
„Grüße, werter Herr. Freut mich, dass ihr noch einmal hergekommen seid!“
„Ich habe einen Bekannten mitgebracht, der gerne einen Ring veräußern würde.“
Damit überließ ich Caileass das Feld, da ich mich in Sachen Verhandlung wenig und in den für Menschen so kostbaren Schmuckstücken nahezu gar nicht auskannte. Er übergab dem Juwelier den Ring, der sogleich eine umfangreiche Überprüfung durchführte. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass dieser Fund zwar recht mitgenommen, aber immer noch recht wertvoll war und bot Caileass achtzig Goldstücke an. Ich nickte schon, überrascht, dass es doch so viel war. Doch der Söldner widersprach bissig: „Das ist merkwürdig. Ein anderer Juwelier, den ich besucht habe, hatte mir ein Angebot von neunzig gemacht!“
Argwöhnisch blickte ich zu meinem Begleiter hinüber. Wir hatten keinen vorher aufgesucht und er hatte auch nichts Entsprechendes erwähnt. Wahrscheinlich gehörte es zu diesem üblichen Gehabe, welches einen Verkauf erst zum Verkauf machte, doch ich konnte nicht widerstehen, Caileass etwas in die Bredouille zu bringen: „Welchen Juwelier meinst du?“
Mir huschte ein schiefes Grinsen übers Gesicht, als mich der Albai anblickte, als sei ich von Sinnen. „Den habe ich gestern aufgesucht, Ilfarin!“
„Wer ist das denn gewesen? Ich kenne ja meine Kollegen hier in Crossing!“, fragte der Juwelier nun nach, der angesichts dieses eher unvorteilhaften Schauspiels schmunzelte.
„Aus dem Süden der Stadt…nun, kommt Ihr uns entgegen oder nicht?“
„Vielleicht 84 Goldstücke. Mehr geht eigentlich nicht.“
„86!“
„Nun…gut. Solltet Ihr weitere Sachen haben, kommt doch gerne auf mich zurück.“

Damit übergab der Söldner im Tausch für einen ordentlichen Haufen Goldmünzen den Ring. Ich überlegte einen Moment, dass es für Caileass eigentlich keinen Grund geben würde, dieses Angebot anzunehmen, wenn es den anderen Juwelier tatsächlich gäbe – was wiederum bedeuten würde, der geschätzte Mann vor uns müsste mit seinem Angebot auch nicht nach oben gehen. Verwirrt schüttelte ich den Kopf, da dies keinen der beiden zu stören schien. Die Menschen mochten wohl diese basarhaften Verhandlungen, die wenig mehr waren als Täuschungen und Tricksereien.

Nach dieser kleinen Szene begaben wir uns in die Spelunken der Stadt, schnappten hier ein Gerücht auf und fragten da ein wenig nach, immer in der Hoffnung, auf Neuigkeiten, die auf Bedeutsames hindeuteten. Zunächst bekamen wir heraus, dass der Schwarzmagier Earn MacRathgar trotz all der verstrichenen Zeit immer noch nicht zur Strecke gebracht wurde. Das bot zwar womöglich noch die Chance für uns, ein Stück der Schuld abzutragen, die wir auf uns geladen hatten, war jedoch auch eine deutliche Ernüchterung; offensichtlich wusste er, wie er sich zu verstecken hatte und würde es uns nicht leicht machen.
Kurze Zeit später erfuhren wir jedoch auch, dass die vergangenen Tage nicht so ruhig gewesen waren, wie die Händler mir bisher erzählt hatten – wahrscheinlich hatten sie selbst noch nichts davon mitbekommen: es gab einen Mord in einem südlichen Stadtviertel, allerdings wurde nichts gestohlen. Das klang nach mehr, als einem Verbrechen aus schlichter Gier. Ich sollte mich zwar vorsehen, in jedem Zwischenfall das Wirken meines Feindes zu sehen, aber es schien mir langsam wie ein Wahlmotto: ich zielte nach dem Mond – selbst wenn ich verfehlte, landete ich zwischen den Sternen und konnte ein Übel dieser Welt bannen.

So machten Caileass und ich uns auf den Weg zu dem Haus des Unglücks. Es handelte sich um eines der ärmeren Stadtviertel, wenngleich der für Crossing übliche Stil beibehalten war und man von zweistöckigen Häusern umgeben war. An schmucklosen Balken und blätterndem Putz sowie schräg hängenden Geschäftswappen erkannte man jedoch, wo man war.
Es handelte sich um einen ehemaligen Gemüsehändler, dessen Geschäft nun jedoch abgeschlossen war. Keine Wache war mehr anzutreffen, die man hätte befragen können – es wirkte, als hätte die Stadt bereits mit dem Fall abgeschlossen. Entschlossen rüttelte Caileass an der Tür und sah sich schließlich demonstrativ um: es war keine Wache in der Nähe. Er warf mir einen vielsagenden Blick zu.
„Denk erst gar nicht dran“, knurrte ich ungehalten.
„Warum nicht? Ist doch keiner da. Wir gehen rein und sehen uns schnell um.“
„Abgesehen davon, dass das verboten ist und wir, sollten wir erwischt werden, eine Strafe erhalten. Was meinst du, wie es aussieht, wenn man sich an dem Ort umsieht, wo vor kurzem jemand umgebracht wurde. Insbesondere, da es bisher scheinbar noch keine Verdächtigen gibt.“

Caileass zuckte mit den Schultern. „Gut, gut. Du hast mich überzeugt. Dann lass uns zur Stadtwache gehen. Ich kenne noch ein paar der dortigen Männer. Vielleicht werden wir eingeweiht oder sogar engagiert.“
Ich nickte ihm zu und er marschierte zielstrebig los. Es war nur ein kurzer Weg, da begegneten wir Garric unweit der städtischen Kaserne. Überschwänglich begrüßte er uns. „Welcher Zufall! Was treibt euch hierher?“
„Wir haben von einem Mord gehört und wollten weitere Informationen einholen“, setzte ich unseren Gelehrten ins Bild. „Außerdem haben wir herumgehört, ob es was Neues zu Earn MacRathgar gibt. Der Hexer scheint noch nicht gefasst worden zu sein.“
„Ich komme gerade von der Stadtwache, aber sie haben nichts von einem Mord erzählt“, meinte er stirnrunzelnd. „Und zu Earn fehlen ebenfalls weitere Informationen. Es ist unklar, welchem Stand er entstammte und wo er genau herkam. Aber lasst uns doch erst einmal einen Cidre zusammen trinken. Es gibt hier klaren und trüben, welchen bevorzugt ihr?“
Zugegebenermaßen war ich doch etwas neugierig hinsichtlich dieses Getränks und murmelte, dass ich einen „Trüben“ nehmen würde. Caileass winkte ab und ging alleine weiter zur Stadtwache, um sich dort Informationen zu holen – währenddessen hatte Garric schon zwei Humpen geholt und drückte mir einen herzlich in die Hand. Das Getränk schmeckte nicht allzu schlecht, das musste ich zugeben. Der vergorene Apfel prickelte eigentümlich auf der Zunge und schmeckte mir auf Anhieb besser als das malzige Bier. Kaum waren die ersten Schlucke getan, meinte der Gildenmagier schon mit einem breiten Grinsen, ob wir denn nicht noch den „Klaren“ probieren wollten. Ich lehnte zunächst ab – es bereitete mir Unbehagen mich schon mittags derart dem Alkohol hinzugeben. Stattdessen teilte ich Garric mit, was wir bisher über den Mord in Erfahrung gebracht hatten. Er hörte interessiert zu, stellte allerdings auch fest, dass wir bisher wahrlich nicht mehr hatten, als ein Gerücht. Es könnte beinahe sein, dass es gar keinen Toten gab, so dürftig war unser Wissen. Schließlich fragte der Gildenmagier allerdings wieder nach, ob ich nicht doch noch einen klaren Cidre mit ihm trinken wolle. Wieder winkte ich ab.

Da kam Caileass wieder. „Die Stadtwache ist dermaßen desinteressiert, es ist kaum auszuhalten“, brummte er missmutig. „Bisher lautet der Verdacht auf eine Affekthandlung, allerdings wollte der Hauptmann mir nicht mehr verraten. Scheint so, als wären all meine Dienste für die Stadt vergessen gegangen.“
Mir schoss durch den Kopf, dass das wohl daran liegen könnte, dass man einem herumziehenden Söldner nicht sonderlich lange hinterherweinte, gleich wie tadellos sein Dienst auch war. Aber auch diese Anmerkung verkniff ich mir lieber.
„Keinerlei Informationen zur Familie oder Sonstiges?“, fragte Garric hoffnungsvoll nach.
„Nein, gar nichts“, antwortete Caileass verstimmt.
„Dann würde ich sagen, wir sehen uns das nochmal an, vielleicht kann uns einer der Nachbarn etwas erzählen. Trinken wir vorher noch einen Klaren?“

Ich rollte mit den Augen, auch Caileass schien eher abgeneigt – da sahen wir Miyako! Die Frau zog weiterhin alle Blicke auf sich, schlängelte sich aber zielstrebig zu uns durch.
„Wohin des Weges?“, fragte ich.
„Ich möchte zur Stadtwache, vielleicht wissen sie etwas über Niall MacRathgar“, erklärte sie sich, wirkte allerdings deutlich ernüchtert. Bisher war ihre Suche wohl wenig erfolgreich gewesen.
Nachdem ich auch sie auf den aktuellen Stand gebracht hatte, bat Miyako uns, zu warten und machte sich erst einmal auf den Weg zur Wache. Garric grinste breit und schließlich ergaben wir uns seiner drängenden Forderung nach dem klaren Cidre; Caileass spendierte die Runde sogar. Einen Moment lang fragte ich mich, ob es an der Frohnatur des Gelehrten lag, dass er unbedingt etwas trinken wollte, oder ob er versuchte, uns abzulenken. Anschließend überlegte ich, ob mein Verfolgungswahn schon pathologisch war.

Kurze Zeit später kam Miyako wieder und wirkte etwas frustriert. Wahrscheinlich hatte es viele anzügliche Kommentare gehagelt und keine einzige Information gegeben. So machten wir uns zu viert auf den Weg zum Haus des unglücklichen Opfers, von dem wir bisher nicht einmal einen Namen kannten.
Angekommen, musterten wir zunächst die nähere Umgebung, wobei uns ein Kräuterhändler direkt gegenüber auffiel. Garric empfahl mir, da ich ja doch ein waldeskundiger Elf sei, ich sollte mir die Auswahl einmal ansehen und ein wenig mit dem Verkäufer sprechen.
„Warum genau sollte ich das tun?“, fragte ich wenig begeistert nach.
„Damit der Mann sich ein wenig wohl fühlt? Aufwärmen, bevor wir auf die eigentliche Sache zu sprechen kommen? Ein kleines Gespräch vorweg! Das ist dir doch nicht neu oder?“, fragte Garric halb belustigt, halb entsetzt.
„Ihr Menschen…lebt doch nicht sonderlich lange. Habt Ihr Zeit für solche Nichtigkeiten?“, erwiderte ich.
„Sehr viel Zeit, Ilfarin, sehr viel Zeit. Keine Information ohne kleinen Plausch.“

Seufzend betrat ich sodann den Laden und sah mich um. Ein untersetzter Mann mit fettigen Haaren war gleich bei mir und begann mich hinsichtlich seiner Ware aufzuklären. Das war vor allem Tee. Ich witterte die Chance, eine Kleinigkeit für Olo zu besorgen, der leider anderweitig beschäftigt schien und suchte etwas besonders Exotisches für ihn raus. Für den Mann war das ein Vanille-Tee, den er mir für den ordentlichen Preis eines Goldstücks verkaufte. Unschlüssig, ob sich der Halbling darüber würde überhaupt freuen, beobachtete ich, wie der Händler nun zu Miyako schlenderte und sie bediente. Oder vielleicht sollte ich eher sagen, wie er sie hofierte. Schnell hatte er für die edle Dame einen besonderen Yasmin-Tee aus dem fernen KanThaiPan, ihrer Heimat, hervorgezaubert. Als mir der Händler dann noch einen Blick zuwarf, der förmlich zu schreien schien ‚Immer noch hier?‘, welcher an meinen Ohren hängen blieb, wusste ich wieder einmal, was gespielt wurde. Seufzend überließ ich Garric das Feld für die eigentliche Informationsbeschaffung und ging vor die Tür, um mir Luft zu verschaffen. Die Menschen machten es mir wahrlich nicht einfach.

Von außen beobachtete ich, dass es Caileass war, der das Gespräch führte. Mir schien, dass der Kräuterhändler recht abweisend und kurzangebunden antwortete, doch diese Ansicht drängte sich mir allzu gerne auf.
Es dauerte nicht lange, bis die drei nach draußen zu mir und Maglos kamen, der immer noch treu an meiner Seite blieb, ohne Schwierigkeiten zu machen. Caileass fasste zusammen, dass der Gemüsehändler namens Donn von einer älteren Dame gefunden wurde. Diese Lina lebe wohl wenig entfernt im Eckhaus der Straße. Ohne, dass wir weiter drüber sprechen mussten, machten wir uns auf den Weg dorthin und klopften.

Die Tür wurde zögerlich ein Stück weit geöffnet und wir erblickten eine alte Frau, die uns aus großen Augen anstarrte.
„Was wollt Ihr?“, fragte sie mit einem leichten Krächzen in der Stimme.
„Wir haben das von dem Mord am armen Donn gehört“, leitete Garric mit sanfter Stimme ein. „Ihr habt ihn gefunden, nicht wahr? Schlimme Sache. Als besorgte Bürger wollen wir der Sache auf den Grund gehen!“
Die Frau zog die Tür zwar wieder ein Stück zu, da sie wohl etwas von der bunten Truppe abgeschreckt war – allerdings obsiegte ihr Bedürfnis, sich mitzuteilen und sie begann zu erzählen.
„Ich gehe… ging jeden Morgen zu Donn, um mir mein Gemüse zu holen! Und als ich gestern da war, da lag er tot zwischen dem Gemüse. Er war angezogen wie immer, als hätte er den Laden gerade eröffnet. Blut war überall auf dem Boden. Der Ärmste. Aber wo soll ich denn nun mein Gemüse holen?“
Garric fragte noch ein wenig nach, bekam aber keine neuen Informationen mehr. So verabschiedeten wir uns mit den besten Wünschen und gingen noch einmal zum Haus des Toten. Ich ahnte schon, worauf das hinauslaufen würde und entsprechend missmutig stapfte ich hintendrein.
Auch die Hintertür war verschlossen, was meine drei Gefährten nicht im Geringsten zu stören schien.

„Ich wiederhole, ich halte es für eine dumme Idee. Sollte eine Wache vorbeikommen…“
„Aber wir sind an der Hintertür! Wer soll uns hier sehen?“, fiel mir Garric ins Wort.
„Sollte eine Wache vorbeikommen und uns sehen…“
„Wir stehen hinter dem Haus, Ilfarin!“, wies mich Caileass noch einmal drauf hin.
„Und wenn eine Wache ins Haus geht?“, gab ich zurück, ehe ich noch weiter niedergeschrien werden konnte. Aber dieser Einwurf schien an den dreien zu verhallen und es hing nur noch die Frage im Raum, wie man einbrechen sollte. Caileass schickte sich schon an, die Tür einzutreten, da murmelte Miyako nur: „Es geht auch leichter und unauffälliger.“
Ihren Worten ließ sie sogleich Taten folgen und zückte einen Dietrich.
„Ich werde mich dem nicht anschließen und warte vor dem Haus. Vielleicht wird Maglos bellen, wenn eine Wache vorbeikommt, um euch zu erwischen“, giftete ich noch und schritt davon. Ich bekam gerade noch mit wie Miyako das Schloss ohne Probleme geknackt hatte. Die junge Schönheit steckte voller Überraschungen, was wiederum wenig überraschte.
In Blickweite des Hauses hockte ich mich mit Maglos in eine Seitengasse und tat so als würde ich ein Nickerchen nach zu vielen Cidre zu früher Stunde machen.

Tatsächlich kam eine Wache vorbei, welche es jedoch bei einem flüchtigen Blick beließ und meinen drei Freunden so Unannehmlichkeiten ersparte. Diese sahen sich scheinbar lange um, ehe sie dann wieder herauskamen.
„Ein ziemlich reicher Gemüsehändler war das gewesen, aber die Geschäftsbücher verrieten nichts Ungewöhnliches“, kommentierte Caileass ihre Beobachtungen im Haus. „Außerdem schien es so, dass er eine Bettgefährtin hatte, wenngleich er wohl allein lebte. Zuletzt fanden wir einige Briefe seiner Tochter. Sie heißt Melissa, dürfte jedoch kaum Trauer über den Tod ihres Vaters empfinden. Es klingt so, als wolle sie Nichts mehr mit ihm zu tun haben. Vielleicht kriegen wir bei Lina etwas mehr über sie raus.“

Dem Vorschlag folgten wir sogleich – Lina war sofort zur Stelle, als hätte sie nur darauf gewartet, noch ein paar Fragen beantworten zu können. Sie wusste allerdings nicht viel über Melissa außer, dass sie an einem Marktplatz im Norden der Stadt lebte und etwa fünfundzwanzig Jahre alt war. Dankend verabschiedeten wir uns erneut und machten uns auf den Weg.
„Mal sehen, was die junge Dame uns erzählen kann“, murmelte Caileass hoffnungsvoll.
„Nun, so jung ist sie jetzt nicht. Ich bin auch erst neunzehn“, meinte Garric etwas verwundert über diese Aussage.
„Hätte ich kaum erwartet“, kommentierte der Söldner überrascht, womit er meine Einschätzung unterstrich. „Und du Miyako?“
„Etwas jünger; achtzehn“, kam eine überraschend ehrliche Antwort. Es war erfrischend, dass nicht jede Frau ein Geheimnis aus ihrem Alter machte, als wäre es ein Fluch.
Caileass musterte mich kurz. „Dich brauche ich wahrscheinlich nicht fragen.“
Mit einem süffisanten Lächeln nickte ich.

Schließlich erreichten wir den Marktplatz, an dem Melissas Haus stehen sollte und begannen uns durchzufragen. Wir waren in einem der besseren Stadtviertel unweit der Burg. Die hier herumstreifenden Albai trugen kostbare Kilts und waren gut frisiert, auch wenn sie das nicht davon abhielt, so viel Cidre zu trinken, wie das einfachere Volk andernorts. Wir fragten uns rasch durch, ob einer von ihnen die Dame Melissa kannte, was rasch bejaht wurde und man wies uns ihr Haus.
Es zeichnete sich, hier wirkte das beinahe gewöhnlich, durch einiges Zierrat über der Tür aus. Hier schien jedoch die Ästhetik Überhand vor einer tieferen Bedeutung zu haben, oder sie erschloss sich mir nicht – wobei ich gestehen muss, dass Schönheit für mich niemals einen weiteren Sinn braucht.

Nachdem Garric geklopft hatte, dauerte es nicht lange, bis die Tür von einer jungen blonden Frau in einem dunkelgrünen Kleid geöffnet wurde. Eine goldene Kette lag um den schlanken Hals und sie hatte sich schlichte Silberringe über ihre grazilen Finger gestreift. Sie war sehr schön, sodass es mich ein wenig wunderte, dass wir bisher noch nichts von einem Ehemann gehört hatten.
„Was wünscht Ihr?“, eröffnete sie.
„Dame Melissa?“, fragte Garric zaghaft.
„Ja, das bin ich.“
„Ihr habt sicher bereits vom Tod eures Vaters gehört, dazu unser Beileid…“
„Er war ein Schweinehund, da gibt es nichts zu bedauern“, fiel sie ihm ins Wort. Es blitzte in ihren Augen auf und ehrlicher Hass verunzierte ihr Antlitz.
Garric redete weiter auf sie ein, doch meine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt: Miyako wies Caileass und mich unauffällig darauf hin, dass uns eine Stadtwache eingehend musterte. Wir nickten einander zu und gingen zu ihm hinüber.
„Gibt es ein Problem?“, fragte die KanThai.
„Ach, nein. Ich bin nur neugierig. Wisst Ihr, Ihr seid eine recht bunte Truppe“, meinte der Mann mit schiefem Unschuldsgrinsen und blickte dabei zwischen Miyako, Caileass‘ kämpferischer Gestalt und mir, einem Elfen hin und her. „Ihr scheint ganz schön viele Fragen zu haben.“
„Durchaus. Ist das ein Problem?“, fragte der narbige Söldner nach.
„Nein, nein. Macht nur.“

Augenrollend ließen wir den Mann stehen und gingen zu Garric zurück, dessen Gespräch mit Melissa ebenfalls geendet war.
„Sie hat nicht mehr viel gesagt. Donn ist mit ihr vor fünfzehn oder sechzehn Jahren aus Haelgarde hergekommen, wo ihre Mutter noch immer lebt. Er war bei der dortigen Wache gewesen. Allerdings hat die Tochter nicht gesagt, was genau der Mann eigentlich verbrochen habe. Das gehe wohl außer ihr nur noch ihre Mutter etwas an.“
„Sieht so aus, als wären wir keinen Faden mehr, an dem wir ziehen könnten“, murmelte ich.
„Vielleicht haben wir noch eine Chance bei der Stadtwache, wenn wir unsere bisherigen Erkenntnisse aufzeigen“, erklärte Garric hoffnungsvoll.

So schritten wir ein weiteres Mal an diesem Tag zur Kaserne – vielleicht würden sie irgendwann aufgeben, wenn wir oft genug nachfragten. Ich konnte nun, diesmal ohne von Cidre aufgehalten zu werden, auch einen Blick auf das Gebäude erhaschen. Es war ein schlicht gehaltenes steinernes Gebäude, dessen zwei Oberstockwerke sicherlich Platz für eine nicht geringe Anzahl an Kämpfern bot, die hier nachts ruhten. Der allgegenwärtige Schwan der MacArdochs fehlte natürlich nicht und prangte überlebensgroß über der Eingangspforte.
Als wir eintraten, erblickten wir ein gutes Dutzend Männer und Frauen, die sich zum Teil ausruhten, zum Teil auch an Tischen saßen und einige Dokumente durchgingen. Neben den Offiziellen gab es eine Reihe einfache Bürger – womöglich Händler, die ihre Waren anbieten wollten, sowie jene, die Verbrechen zu melden hatten. Unser Eintreten wurde kaum bemerkt… bis Miyako durch die Tür geschritten war. Eine KanThai dürfte ohnehin auffallen, doch sprachen wir hier nicht von einer einfachen Bauersmagd, sondern von einer schönen Dame, deren anmutige Bewegungen eine tiefe, innere Selbstsicherheit ausstrahlten, die Männer gleichermaßen faszinierte wie abschreckte. Schon waren ein paar Wachen aufgesprungen, um Miyako jeglichen Wunsch von den Lippen zu lesen.

„Was wollt Ihr?“, bellte es von hinten. Ein vierschrötiger, schon etwas in die Jahre gekommener Mann in feinem Kilt mit dem Tartan der MacArdochs hatte eine Tür zu einem Seitenraum geöffnet.
„Auf ein Wort wegen Donn…“, rief Garric und wird wurden schon ins Zimmer gebeten. Es handelte sich um ein kleines Büro, allerdings machte die Ausstattung – nicht zuletzt der dunkle, mächtig wirkende Eichentisch – den Eindruck, es hier nicht mit einem einfachen Verwalter zu tun zu haben. Ein hinter dem Mann an der Wand lehnender Anderthalbhänder, von den Albai liebevoll Claymore genannt, verhieß einen kämpferischen Charakter.
„Hauptmann Beglenn“, stellte er sich uns knapp vor, wandte sich dann aber Garric zu. „Falstaff, wir haben doch schon gesprochen, es gibt noch nichts Neues.“
Verwundert sah ich den Gelehrten an, der jedoch eine wegwischende Handbewegung machte. „Es geht um den Tod des Gemüsehändlers Donn. Die rätselhaften Umstände seines Todes hatten meine Gefährten und mich stutzig gemacht. Ich habe die Vermutung, es könnte mit meiner Untersuchung zusammenhängen. Ihr hattet mir schließlich alle Unterstützung zugesagt.“
Beglenn zog die dunklen Augen etwas zusammen und mahlte mit den Zähnen. Er schien nicht sonderlich erfreut über die Einmischung, sah jedoch scheinbar eine Chance dahinter, als er antwortete: „Donn ist mittlerweile nicht mehr der einzige Tote in der Stadt. Unter ähnlichen Umständen ist auch die Wahrsagerin Macha wohl gestern Abend ermordet aufgefunden worden.“
„Was könnt Ihr noch zu ihr sagen?“, hakte Garric nach.
„Nun, sie war eine alleinstehende Frau, aber viel mehr gibt es bisher nicht.“
Also hatten wir es mit einer unfähigen Wache oder einem sehr geschickten Assassinen zu tun, dachte ich bei mir. Beides ein Grund zur Besorgnis – womöglich sollten wir die nächsten Nächte mit offenem Auge schlafen.
„Gibt es eine Verbindung zwischen Macha und Donn? Wir vermuten, dass der Gemüsehändler eine Liaison hatte, so zerwühlt sein Bett gewesen war.“
„Sein Bett? Wart ihr in seinem Haus?“
„Ja…die Hintertür stand offen.“
„Wir hatten sie verriegelt, als unsere Untersuchung beendet war“, knurrte Beglenn.
„Als wir da waren, stand sie offen. Vielleicht haben sich dort unehrlichere Personen vor uns umgesehen?“
Es war Garrics Glück konnte man sagen, dass ich nicht in ähnlicher Laune wie beim Juwelier war, und vor allem, dass der Hauptmann scheinbar dringend Unterstützung gebrauchen konnte und daher über diese Sache hinwegsah.
„Um auf eure Frage zurückzukommen: uns ist keine Verbindung zwischen Macha und Donn bekannt, außer, dass sie ihre Todesumstände teilen. Womöglich findet Ihr noch etwas mehr heraus.“ Mit diesen Worten schob er uns einen Schlüssel zu – wahrscheinlich zum Haus der Wahrsagerin.
„Können wir das als offiziellen Auftrag betrachten?“, fragte ich zur Sicherheit nach.
„Ja“, erklärte Beglenn knapp. „Nun wünsche ich viel Erfolg, ich habe noch andere Dinge zu tun…“

Nach diesen Worten verließen wir den Hauptmann und die Kaserne. Wir hatten einen neuen Ansatzpunkt gefunden, dem wir nachgehen konnten, was immerhin etwas war. Doch zunächst schlenderten wir zurück zum Stadthaus – es war Abend geworden und unsere Mägen knurrten.

Das Essen unterschied sich in seinem Prozedere kaum vom Vorabend, allerdings wusste Melodien zu erzählen, dass die Gerüchte um die MacArdochs stimmten: die Dame besäße bereits einen äußerst runden Bauch. Unserer Gastgeberin schienen die vielen Menschen und die vertraute Umgebung gut zu tun, sie wirkte gesünder und kraftvoller. Auf die Frage hin, ob sie uns einladen könne, wirkte sie zögerlich, aber sicher würde es kein größeres Problem sein, ihre Lebensretter einzuladen, versicherte sie noch. Wie Garric zu Recht betonte, war das zu viel der Ehre, doch schien es für Melodien – und sicher auch für uns – leichter zu sein, wenn wir uns auf das Gute unserer Taten besannen und versuchten, aus dem Sog von Schuld und Trauer herauszukommen. Caileass schien dies recht gut zu gelingen und mit böser Zunge könnte man ihm eine wahre Söldnerseele unterstellen, während Miyako dahingehend ein Rätsel blieb. Wobei das nicht ganz stimmte, sie war nicht nur dahingehend ein Rätsel – es wusste immer noch keiner von uns, was sie überhaupt hierher getrieben hatte. Garric war wohl bereits mit seinen Gedanken bei neuen Angelegenheiten, ganz der strebsame und eifrige Albai.
„Welche Unternehmung hat Hauptmann Beglenn eigentlich angesprochen, Garric?“, fragte ich unseren Gelehrten.
„Ich habe einen Auftrag meiner Gilde erhalten. Uns wurden Informationen zugespielt, dass hier in Crossing demnächst ein magisches Artefakt ausgetauscht werden soll. Es ist meine Aufgabe, das zu verhindern.“
„Handelt es sich um etwas Gefährliches?“
„Mit Sicherheit, allerdings fehlen mir weitere Anhaltspunkte. Es ist uns nur bekannt, dass wohl ein Mitglied unserer ehrenwerten Vereinigung in diese Machenschaften verstrickt ist.“
„Keine Informationen über Größe, Form oder Zweck…?“
„Nein, gar nichts“, erklärte Garric niedergeschlagen. Es schien so, als sei ich nicht der einzige, der vagen Vorstellungen nachjagte und Spuren las, die vielleicht nicht mehr waren, als ein zufällig gefallenes Blatt.

Nach dem Abendessen sprachen wir kurz mit Gill, welcher uns eine Lampe mitgab, damit wir trotz der recht späten Stunde noch zu Machas Haus aufbrechen und dieses untersuchen konnten.
Das Haus im Westen der Stadt machte von außen einen unscheinbaren Eindruck, allerdings wusste man bereits einen Moment, nachdem man durch die Tür geschritten war, was für einer Profession die Frau sich verschrieben hatte. Das schummrige Licht der Lampe passte gut zu dem kleinen Vorraum, dessen Wände allesamt mit gefärbten Tüchern verschleiert waren. Es waren rote und lila Töne, die das Gesamtbild beherrschten und aufgebauscht, wie sie waren, den Eindruck verstärkte, man habe die irdische Ebene verlassen und sei in einen Äther eingedrungen, dessen Mysterien einzig und allein von jener Frau gelöst werden könnten, die normalerweise hinter dem kleinen Tisch in der Mitte dieser Sphäre saß. Es gab ansonsten nur zwei Stühle, wobei Macha beinahe einen Thron hatte genießen können, dessen verschlungene Formen und die eigentümliche Bemalung wirkten, als wäre es ein urwüchsiges Ding. Der Boden aus dunklem Holz dämpfte die Schritte, ebenso wie die normalerweise sicher angesteckten Rauchkerzen die Sinne benebelten.
Ausgemachter Schwachsinn und Betrügerei, aber immerhin schien Macha ihr Täuschungswerk verstanden zu haben. Echte Visionen wurden hier sicherlich nicht ausgesprochen, doch die Menschen waren nur allzu leicht zu täuschen – ein Vorwurf, den ich mir ebenso gut gefallen lassen muss.

Hier gab es nichts weiter Interessantes, außer die Möglichkeit, eine Kerze unter die Wahrsagekugel zu setzen, wodurch Macha faszinierende Bilder hervorrufen konnte. Daher suchten wir hinter den rückwärtigen Vorhängen weiter und betraten ein weitgehend normales Haus. Die Hellseherin hatte hier deutlich zurückgefahren, aber dutzende kleine Figuren, Schreine, Fetische und Traumfänger hüllten die Wohnung immer noch in den dumpfen Hauch von Esoterik. Eine eingetrocknete Blutlache am Boden kündete von ihrem Tod, doch schien dies der einzige „Hinweis“ zu sein, den der Mörder uns hinterlassen hatte. Des Weiteren stellten wir nur fest, dass Macha wohl alleine gelebt hatte. In einem Versteck hatte sie einen verzierten Dolch aufbewahrt – sicherlich nicht kultisch sondern nur verschwenderisch mit allerlei edlem Metall besetzt. Eine Schande, dass der Natur dafür schwere Wunden beigebracht wurden, die Wahrsagerin hatte die Waffe nicht einmal zur Verteidigung nutzen können.
Schlussendlich waren da noch einhundert Goldstücke, die Caileass sicherheitshalber an sich nahm, ehe hier eingebrochen wurde. Söldner, Lautenspieler, Zaubereiinteressierter und nun auch Nachlassverwalter. Der Albai steckte voller Überraschungen.

Als wir das Haus verließen, wandte sich Garric an uns. „Ich werde mich jetzt auf den Weg zu einem Treffen mit einem Gildenkollegen begeben. Ihr könnt euch mir gerne anschließen, ich glaube, wir sitzen wieder alle im selben Boot.“
Wir nickten und folgten dem Gelehrten zum Haus seines Kontaktmanns.

Es war schon recht spät geworden, als wir durch die Straßen von Crossing zogen. Doch das Dunkel der Nacht wurde von unzähligen Lampen und großen Feuern zurückgedrängt – dies war die Stunde der Spielleute in den Spelunken und auf den Plätzen, diese Zeit, in der sich jeder, der es sich irgendwie leisten konnte, jedes Ale und jeden Cidre ergriff, der ihm unter die Finger kam. Die Menschen waren so meist mit sich beschäftigt und wir erreichten rasch das Haus des Magiers. Garric klopfte und es dauerte nicht lange, bis geöffnet wurde. Ein Mann mit etwas längeren, braunen Haaren und fein getrimmten Bart öffnete die Tür.
„Ah, Garric. Da bist du ja, ich habe schon gewartet!“
„Ich habe einige neue Informationen zusammengezogen, wobei mir meine Freunde geholfen haben.“
Der Mann ließ den Blick über uns schweifen, schien jedoch nicht weiter beunruhigt. „Ich bin Anluan, seid gegrüßt. Kommt herein.“

Danach betraten wir den Wohnraum des Hauses, das sich äußerlich kaum abgehoben hatte. Auch der Innenraum bestach nicht gerade durch größere Auffälligkeiten. Aber wir konnten es uns an einem größeren Tisch bequem machen. Garric fasste unsere neuesten Erkenntnisse zusammen: zwei Morde, am Gemüsehändler Donn und an der Wahrsagerin Macha. Zweimal erstochen, ohne, dass es eine Gegenwehr gegeben hatte soweit wir wussten. Und nie ist etwas gestohlen worden, wenngleich diese Bürger über einen nicht geringen Goldvorrat verfügt hatten. Hinsichtlich Donn war die Familiensituation besonders auffällig, was uns bisher jedoch mehr Rätsel aufgegeben hatte, als dass es Hilfe gewesen wäre. Schließlich blickte der Gelehrte hoffnungsvoll zu seinem Kollegen.
„Nun… zu Macha gibt es eigentlich nichts Ungewöhnliches zu sagen. Sie war eine einfache Schwindlerin, fern davon, tatsächliche Visionen zu haben. Dementsprechend war sie auch kein Mitglied der Gilde. Allerdings hat sie auch hie und da mal eine Vorhersage getroffen, die den Zuhörern nicht gefallen hat.“
„…und sie so gegen sich aufgebracht?“, fragte Miyako.
„Könnte sein“, meinte Anluan langsam. „Sie hat seit acht Jahren hier gelebt und kam ursprünglich aus Chryseia.“
„Dann ist das alles gar nicht so dramatisch“, grummelte Garric abfällig als die Herkunft der Toten aufgedeckt wurde. Stirnrunzelnd blickte ich ihn an – allerdings war selbst mir mittlerweile aufgefallen, dass sich Albai und Chryseier nicht sonderlich mochten. Der Grund, falls es denn noch einen gab und es nicht mehr war als störrisches Beharren, war mir jedoch unbekannt.

„Konntest du etwas über Earn MacRathgar in Erfahrung bringen?“, fragte unser Gelehrter nach.
„Einige wenige Sachen, ja. Er ist im albischen Adel durchaus bekannt, wenngleich er selbst keiner der ihren war. Ein Aufsteiger mit fast schon nebulöser Vergangenheit. Bei den Rathgars galt er immer als ein ‚Mann für alle Fälle‘. Es bekümmert mich, feststellen zu müssen, dass er ebenfalls Mitglied unserer ehrenwerten Vereinigung, der Phönixgilde, war.“
„Sonst nichts?“, hakte Caileass noch nach – wie wir alle hoffend, dass wir doch noch einen weiteren Faden finden könnten, etwas Konkretes, das uns auf die Spur des Mörders oder des flüchtigen Hexers brachte. Doch Anluan schüttelte nur, ebenfalls etwas enttäuscht, den Kopf.
So tauschten er und Garric nur noch einige Floskeln aus, ehe wir uns wieder auf die Straße begaben.

„Mir scheint es, als ob uns wenig mehr bliebe, als durch die Spelunken dieser Stadt zu ziehen“, legte ich eine meiner letzten Ideen dar. „Sobald die Menschen einen Cidre zu viel getrunken haben, lässt sich vielleicht endlich herausfinden, wer einen Gemüsehändler und eine Wahrsagerin umbringen wollte.“
Die anderen nickten, sodass wir uns wenig später, und nachdem ich Maglos beim Stadthaus der Aelfins gelassen hatte, durch ein stickiges Gasthaus nach dem anderen fragten. Hier ein Getränk ausgegeben, da ausführlich zugehört. Ich versuchte etwas beizutragen, indem ich mich besonders feierwütig zeigte – vielleicht würde das die Albai etwas wohlgefälliger stimmen. Garric und Caileass übernahmen die Gespräche und ersterer vor allem das Trinken – Miyako schließlich schuf allein durch ihre Anwesenheit eine Anziehungskraft, die ohne Unterlass Trunkenbolde herantrieb, die sich allzu gerne mit ihr unterhalten würden. So mangelte es uns bei weitem nicht an Gesprächspartnern.

Zur Wahrsagerin Macha gab es jedoch keine neuen Informationen mehr und hinsichtlich Donns wussten die Städter nur zu sagen, dass er ein friedlicher Geselle gewesen sei. Der Streit mit seiner Tochter schien noch auf die Zeit in Haelgarde zurückzugehen, allerdings fanden wir Niemanden, der auch nur eine grobe Ahnung hatte, was vorgefallen sein konnte. Zu keinem der beiden Toten fanden sich Indizien, dass sie in verbrecherische Sphären verwickelt gewesen waren – wir bissen im Großen und Ganzen auf Granit. Zwar durchaus mit Anlauf und Leidenschaft, aber wir bissen auf Granit.
Zuletzt schnappten wir noch ein Gerücht auf, dass der Schwarzmagier Earn MacRathgar in Ränkespiele zwischen den Rathgars und Beorns verwickelt war. Er hatte wohl nach Großem gestrebt, dieser Aufsteiger und dabei scheinbar jeglichen Skrupel abgelegt.

Nach einigen Stunden, die mir allein durch die Menschenmassen und die oft stickige Luft in den Schenken ein dumpfes Pochen im Schädel beschert hatten, gingen wir dann zurück zum Stadthaus.

Am nächsten Morgen bereiteten uns die Diener erneut ein Frühstück wie es nur der Adel kannte. Anschließend sprach ich mich mit Caileass ab, dass wir noch einmal zum Hause Donns gehen wollten, während Garric etwas davon murmelte, sich erneut mit Anluan zu treffen.
Nachdem wir in der Stadtwache den Schlüssel geholt hatten, konnten wir diesmal sogar ohne Miyakos Fähigkeiten das Haus betreten. Caileass marschierte zielstrebig zur Kasse und packte das Gold ein – er gab wohl weiterhin den „Nachlassverwalter“…
Indes suchte ich das Haus näher ab, insbesondere in der Nähe der Blutlache. Meine Freunde hatten jedoch offene Augen bewiesen und es gab Nichts mehr, was ich noch entdecken konnte. So verließen wir nach einiger Zeit frustriert das Gebäude und ich begab mich ein weiteres Mal zu dem Kräuterhändler.
„Seid gegrüßt.“
„Ah, Grüße! Wollt Ihr noch mehr Tee kaufen?“
„Nein, danke, ich bin noch wunderbar versorgt“, erklärte ich leicht säuerlich. „Ich habe noch eine Frage zu Donn. Hatte er öfters… Damenbesuch?“
„Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte der Verkäufer abweisend.
„Nun gut… gibt es denn in der Nähe ein Freudenhaus?“
„Das war aber ein rasanter Themenwechsel“, meinte der Mann breit grinsend.
„Nein, war es… egal, also, wie sieht es aus?“
„Durchaus, etwas südlich in der Nähe der Stadtmauer gibt es ein Bordell.“
Ich nickte und verließ mit einem knappen Gruß das Haus.

„Also Caileass“, sprach ich den wartenden Söldner an. „Ich glaube, wir haben noch zwei Möglichkeiten. Zum einen könnten wir noch einmal Melissa aufsuchen. Womöglich wird Donns Tochter uns etwas erzählen, wenn wir ihr klar machen, dass die Vergangenheit ihrer Familie mit diesen Mordfällen verknüpft sein könnte – sie also versteht, dass es mittlerweile um mehr, als nur ihren Vater geht. Zum anderen könnten wir uns ein… nahegelegenes Freudenhaus ansehen. Irgendwo muss Donn seine Bettgefährtin gefunden haben und diese weiß vielleicht auch etwas. Allerdings würde ich ersteres bevorzugen, es erscheint mir noch am ehesten…“
„Können wir machen“, meinte Caileass rasch.
„Also gehen wir zu Melissa“, stellte ich fest.
„Nein, zum Freudenhaus“, kam es breitgrinsend zurück. Ich warf ihm einen scheelen Blick zu und wir schritten gen Norden davon.

Wir kämpften uns parallel zu den Hauptstraßen und den großen Marktplätzen durch, in der Hoffnung, so der großen Masse aus dem Weg gehen zu können, die sich bereits wieder in Heerscharen aus den Gasthäusern und den Zelten vor der Stadtmauer wälzte. Da schien es mir, als würde einen Moment lang alles innehalten. Es war wie das tiefe Luftholen vor dem Sprung, die Zeit hörte auf zu existieren – dann der Knall. Eine mächtige Erschütterung fuhr durch die Stadt und ließ überall die Läden klappern, erschrockene Gesichter wandten sich zum Zentrum, wo sich jedoch Nichts zeigte, was Aufschluss geben konnte.
Caileass und ich sahen uns nur kurz an, nickten und begannen loszurennen – das Zentrum der Detonation dürfte beim Marktplatz gewesen sein…unweit des Stadthauses der Aelfins. Es dauerte nicht lange, bis uns die ersten Menschen entgegenkamen, die sich in einer bedrückenden Welle davonschoben – Verwirrung und Panik zeichneten ihre Gesichter. Etwas Schreckliches musste geschehen sein!

Im Chaos verlor ich den Söldner aus den Augen, doch hielt ich weiter auf den Marktplatz zu. Bis ich schließlich in einen Alptraum hineinstolperte.
Im Südteil des Platzes war ein Krater, als wäre ein zorniger Gott herabgestiegen und hätte seinen Hammer niederfahren lassen. Drumherum züngelten die Flammen über dutzende zerstörte Marktstände zwischen denen in Stücke gerissene Tote lagen, teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die nächste Reihe bildeten Verwundete, zumeist von Trümmerteilen getroffen, die sich in Gliedmaßen und Gesichter gebohrt hatten. In einem unvorstellbaren Delirium wälzten sie sich auf der Straße, beteten zu Göttern oder riefen Namen ihrer Liebsten.

Ohne weiter nachzudenken, stürzte ich zu dem mir nächsten Verletzten hin, dessen linkes Bein durch einen Treffer durchlöchert wurde. Etliche Mengen Blut waren bereits davongeflossen, daher zerriss ich schnell sein Hemd und begann den Bereich oberhalb abzubinden – es war nur das Allernotwendigste, aber vielleicht gab es dem Mann die wichtigen Minuten, bis Heiler und Feldscher zur Stelle waren.
So lief ich von Verwundetem zu Verwundetem, sah dabei auch Miyako, die ebenfalls versuchte zu helfen. Zum allerersten Mal schien sie hilflos angesichts all dieser Verletzungen, deren Behandlung normalerweise nicht ihre Aufgabe war.

Dann kamen die Stadtwachen heran, löschten die Feuer und versorgten diejenigen, die noch zu retten waren. Kurz darauf kam auch schon Caileass herbei und drückte mir meinen Stoßspeer in die Hand.
„Garric ist nach Norden gelaufen, dort muss etwas geschehen sein – keine Wache ist von dort herbeigeeilt!“
Ich nickte grimmig und wir liefen los, Miyako war direkt hinter uns.

Wir fanden Garric am Nordtor, um den herum etliche Wachen sich langsam zu regen begannen. Sie schienen aus einer Art tiefer Trance zu erwachen. Bereits einer hatte dem Magier bereits Rede und Antwort stehen können.
„Ein vermummter Mann kam, eine verzierte Axt schwingend, von Süden herangestürmt – kurz darauf sind diese Wachen allesamt schläfrig geworden… und haben sich hingelegt. Er hat sich wohl noch ein Pferd genommen und ist nach Norden geritten.“
„Wir müssen ihm nach“, rief ich nur und rannte bereits los – Miyako folgte mir und Caileass sah sich selbst nach einem Pferd um.
„Ilfarin, warte, er ist beritten, du hast keine Chance.“
„Es kommt auf jede Sekunde an, irgendwann wird er rasten müssen“, rief ich zurück, verärgert, dass Garric Zeit vergeudete.
„Aber es könnte ein Ablenkungsmanöver sein!“

Ich ignorierte die weiteren Einwände des Gelehrten und stürmte nordwärts davon. Rasch sah ich im Schlamm auf der Straße frische Hufspuren und rannte ihnen nach. Wenig später ritt Caileass an mir vorbei, den Halbling Olo hinten auf dem Pferd. Ich wies nur mit dem Stoßspeer in die Richtung der Spuren und er preschte in höllischem Galopp davon.

Wir ergriffen Faden um Faden, scheinbar zusammengesponnen zu einem Netz, dessen Ausmaße wir gerade erst zu erahnen, kaum schon zu begreifen begannen. Die Frage war nur, ob wir dabei waren, die Knoten zu lösen, oder wir uns bereits hoffnungslos in diesem Netz verloren hatten.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar