Als wir wieder in Arthedhainn angekommen waren, sprach sich die Nachricht vom Tod der Bestie in Windeseile herum. Die näheren Umstände verschwiegen wir, um eine Hexenjagd auf den Stein zu vermeiden, der sich sicher verhüllt in Groams Tasche befand. Bald war der Einsame Priester mit dem ganzen Dorf gefüllt und der offensichtlich überforderte Mann rollte ein Fass nach dem nächsten für seine durstigen Gäste herein. Während Miyako und ich uns in weitgehender Zurückhaltung übten, kosteten die anderen drei den kostenlosen Ausschank für uns „Helden“ reichlich aus. Schließlich zeichnete sich jedoch unsere Erschöpfung ab und wir zogen uns auf die uns kostenfrei überlassenen Zimmer zurück.
Am nächsten Tag beim Frühstück begann die Überlegung, wohin nun eigentlich mit dem Bernstein.
„Feanor wollte uns ja noch einen Boten zuschicken“, erinnerte ich. „Da dürfte die nächstgrößere Stadt am sinnvollsten sein, immerhin sind wir hier im Wald von Escavalon ziemlich weit weg von den albischen Zentren.“
„Das dürfte dann ungefähr Glenachtor sein“, gab Garric hinzu.
„‘Nen Moment. In Cambryg gibt’s eine größere Botengesellschaft. Is‘ nicht viel weiter und dort werden wir auf jeden Fall gefunden“, merkte nun Groam an.
„Außerdem eine Magiergilde und eine Universität“, setzte unser Gildenmagier hinzu.
„Das klingt vernünftig“, gab ich zu und somit war es ausgemacht. Wir riefen den Wirt herbei, um ein paar Fragen über Reisedauer und Verpflegung einzuholen.
„Nach Cambryg…das dürfte ungefähr schehn Tage dauern. Nehmt daschu die Straße nach Süden, dann erreicht ihr die Königsstraße. Braucht ihr auch etwas schum Essen?“
„Ja…einige haltbare Rationen wären gut, schließlich dauert es noch etwas, bis wir wieder Gasthäuser erreichen, oder?“
„Schu wahr, schu wahr. Nun, das ist kein Problem. Ich bereite etwas für euch vor.“
Wenig später waren wir ausgestattet und auch einige Goldstücke leichter – die Dankbarkeit des Einsamen Priesters hatte sich sehr schnell in Wohlgefallen aufgelöst. Daher hielt uns nicht mehr viel in Arthedhainn, das mir für seine ausdauernde Gleichgültigkeit im Gedächtnis bleiben würde.
Der Ritt brachte uns auf ausgetretenen Wegen, die bei besserem Wetter sicherlich auch für Wägen geeignet waren, weiter durch den Wald von Escavalon. Er hatte noch etwas Urtümliches, eine Aura des Alten und Kräftigen. Aber die Siedlungen der Menschen hatten ebenfalls ihren Eindruck hinterlassen. Einem der Dörfler würde es womöglich nicht unmittelbar auffallen, doch die Scheue der Tiere war hier groß, die nähere Umgebung weitgehend gemieden. Ein stilles Zeugnis der Beeinträchtigung, wie es mir bitter aufstieß. Vielleicht würde ich eines Tages weise genug sein, um ihnen die Wege des Waldes lehren zu können. Vorerst würde ich jedoch nur diesen eher düsteren Gedanken zweifelnd anhängen und mich darauf konzentrieren, was unmittelbar vor uns lag.
Die ersten beiden Tage vergingen ruhig, doch kaum waren wir ein zweites Mal schlafen gegangen, erschallte Miyakos Ruf. Die Wachhabende hatte Wölfe ausgemacht!
Blitzschnell schoss ich aus dem großen Zelt heraus, in dem Olo und Garric ungestört weiterzuschlafen schienen. Und gerade einmal zehn Meter von mir entfernt machte ich in der Dunkelheit zwei Paar Augen aus, zu denen knurrende Tiere gehörten. Der Hunger blickte mir entgegen, sodass sie sich an diesen verzweifelten Angriff wagten.
Beschwichtigend hob ich die freie Hand, während die andere den Stoßspeer locker zur Erde hinhielt. Leise flüsterte ich Worte ohne direkte Bedeutung, die dennoch einen Singsang beschrieben, der langsam auf die Wölfe einträufelte. Der linke zuckte nervös mit dem Kopf, der rechte legte selbigen schräg, zuckte dann mit dem Schwanz und trottete von dannen – zu Maglos welcher die Szene unruhig von den Pferden aus beobachtet hatte. Einen Moment später standen sie beieinander…und beschnupperten sich. Ich gönnte mir einen Moment, um eine Augenbraue hochzuziehen, dann wandte ich mich dem verbliebenen Jäger zu, der mich weiterhin taxierte. Dann knurrte er und spurtete los. Enttäuscht umfasste ich meinen Stoßspeer mit beiden Waffen und rannte dem Tier mit gleicher Geschwindigkeit entgegen.
Ein Stich, ein Treffer – Blut schwappte auf den Boden und der Wolf jaulte auf. Doch Hunger und nun auch Zorn hielten ihn auf den Beinen.
Groam und Miyako hatten indes ebenfalls den Kampf aufgenommen, ebenfalls jeweils gegen einen Wolf. Während der Zwerg von seinem flinken Gegenüber ziemlich herumgescheucht wurde und mit dem langsamen Stielhammer kaum zum Angriff kam, tänzelte Miyako um ihren Gegner herum. Sie musterte ihn genau, entging jeder feindlichen Attacke, dann ein Ausfall, ein von unten nach oben gezogener Schnitt – die Kiefer zersplitterten beim Aufeinandertreffen mit blankem Eisen und der Lebenshauch verließ den Wolf binnen einer Sekunde.
Dann schrie Groam auf – während ich meinem nun boshaft flinken Gegner nicht ein einziges Mal mehr traf – und stürzte zu Boden. Das Biest hatte sich hinter ihn gebracht und tief in seine Wade gebissen. Gerade wollte es sich auf ihn schwingen, da glitt Miyako heran. Ein Stich fuhr durch die Augengrube hinein in den Schädel, welcher unheilig knackte.
In dem Moment, wo ich noch staunte, hielt die KanThai ihre Waffe seltsam an die Seite, als würde sie wieder in der Scheide stecken, spurtete die drei fehlenden Schritt zu mir herüber und zog die Waffe von unten schräg nach oben. Der Wolf vor mir, der sich ebenfalls soeben unsicher geworden schien, was nun zu tun sei, prallte zu Boden – der Treffer hatte das letzte Leben aus ihm gezogen. Der vierte Wolf jaulte auf und rannte von Maglos davon. Ein Stich in meinem Herzen und ich wünschte ihm, dass er ein klügeres Rudel finden würde. Dann nickte ich Miyako anerkennend zu, welche nicht einen Treffer abbekommen hatte. Es waren zwar diesmal keine Dunkelwölfe gewesen, dennoch hatte sie wieder einmal einiges an Talent gezeigt, das selbst Groam beeindrucken dürfte.
„Herr Zwerg“, rief ich zu ihm hinüber, als ersich gerade auf die Beine kämpfte. „Soll ich mir deine Verletzung ansehen?“
„Ist doch nur ‘ne Fleischwunde!“, kam es zurück, während er langsam zum Lagerfeuer humpelte. „Is‘ nun meine Schicht, könnt ruhig wieder schlafen.“
Grinsend zog ich mich zurück.
Baumwipfel erzitterten im Wind. Ein Hauch von Beweglichkeit in dem starr wirkenden Wald. Er mochte beinah leer erscheinen, ohne äußeren Einfluss, der ihm einen Sinn verlieh. Doch, was das Auge nicht sehen, das Ohr nicht hören und die Haut nicht spüren konnte, war etwas, das tief ins Herzen traf und eine Gewissheit ohne Ursache heraufbeschwor. Etwas, das man nicht erklären, nicht nahelegen, nicht deuten konnte. Tiefe Gefühle, dass der äußere Einfluss bereits da war. Gewaltige Wunden in das Fleisch des Waldes geschlagen, die auf den Grund all dessen gingen, was ihn einst ausgemacht, ihm einst einen Sinn verliehen hatte. Die Magie des Lebens war hinfort, geblieben war eine Hülle. Ein langsam sterbender Körper, in den sich die Menschen einnisteten und davon zehrten. Bis eines Tages alles um sie herum zusammenbrechen würde.
Wir reisten weiter durch den Wald von Escavalon und erreichten am Mittag des nächsten Tages die Hauptstraße, wo wir uns auf bequem gepflasterten Wegen nach Süden wenden konnten. Nach einer weiteren Nacht im Zelt, fanden wir unser erstes Gasthaus seit wir Arthedhainn verlassen hatten und konnten uns nun sicher sein, im Abstand von einem Tagesmarsch weitere aufzufinden. Das Wachhäuschen bot uns sicheren Schutz und nach einem geruhsamen Abend brachen wir wieder auf.
Am fünften Tage dieser Reise bemerkten wir recht schnell einen seltsamen Fleck am Himmel. Ein Schatten, wie ihn nur ein sehr großes Tier werfen konnte…oder es war eine Verzerrung in der Luft. Zunächst ritten wir davon unbeirrt weiter, doch es schien uns zu folgen. Als wir schließlich den gewaltigen Fluss Morne erreichten, welcher sich hier durch Alba zog, näherte er sich. Gewaltige Flügel trugen ein Pferd, dessen Kopf wie der eines Adlers wirkte. Die Beine endeten in beeindruckenden Klauen. „Hippogriff“, murmelte Garric erstaunt und auch wir anderen konnten unsere Begeisterung kaum verbergen.
Auf dem Rücken des exotischen Reittieres hockte ein Mann in gelber Robe, der sich zunächst in etwa fünf Metern vor uns in der Luft hielt. Schließlich setzte er auf und trottete gemächlich auf uns zu. Zunächst sprach er einige Worte in einer Sprache, der keiner von uns mächtig war, wechselte dann aber in das auch uns geläufige Comentang.
„Seid gegrüßt, ihr fünf. Ich bin Éwin der Gelbe, Bote der Zentronus-Gilde aus Valian. Ich überbringe euch feierlich eine Botschaft des ehrenwerten Herrn Feanor.“
„Wo kriegt man denn so ein schmuckes Pferd her?“, war Groams erste Reaktion und uns anderen stand noch ähnlich der Mund offen, während Garric den Brief annahm.
„Eine besondere Art der Nachrichtenübermittlung, in der Tat“, murmelte Éwin. „Das zeichnet unsere edle Botengesellschaft aber insbesondere aus. Und ist auch nicht gerade billig.“
Nach diesen Worten zog er aus einer Tasche noch eine kleine Schatulle heraus – offensichtlich für die Bernstein-Rose – und überreichte sie uns. Danach machte der Hippogriff ein paar Schritte zurück und brachte Éwin mit einem mächtigen Flügelschlag wieder in die Luft.
„Mögen eure Reisen wohl verlaufen und das Elend seine widerwärtigen Krallen von euch lassen“, rief er uns noch zu, dann schoss er mit seinem Reittier mit ungeahnter Geschwindigkeit davon.
„Was schreibt nun Feanor?“, fragte ich an Garric gewandt, der soeben den Brief überflog.
„Das war in der Tat eine Schatulle, um eine Rose sicher zu verwahren. Über einen gewissen Gero will er uns eine weitere zukommen lassen. Außerdem hat er neue Hinweise für uns! Von seinem Kollegen Vules hat er erfahren, wo sich die Rose des Elements Holz, also der Lebenskraft, befinden könnte. Im Süden von uns, an der Grenze zu Chryseia – in den Melgar-Bergen. Er gibt wenigstens zu, dass das genauso ungenau ist wie die letzte Beschreibung.“
„Und wer sind jetzt dieser Vules und Gero?“, fragte Groam irritiert nach.
„Dazu schreibt er nicht viel… eigentlich Nichts“, murmelte Garric.
„War wohl nicht ganz bei der Sache“, mutmaßte ich.
„Dazu würde seine letzte Information passen: er plant eine Reise nach KanThaiPan, um eine Rose ausfindig zu machen!“
Ein kurzes Lächeln schien über Miyakos Gesicht zu huschen, wenn sie an ihre Heimat dachte.
„Nun den…es scheint, als hätten wir ein neues Ziel. Erster Anlaufpunkt im Süden wäre für uns am besten Estragel“, schloss Garric.
„Wir sollten Ausschau nach übermäßigen Auswirkungen auf die Umwelt halten. So eine Rose hat sicherlich einigen Einfluss. Blühende Wälder im Herbst wären da wohl ein klares Anzeichen.“
Anerkennend nickte ich der KanThai zu, da mir dieser Einfall nicht gekommen war. Sie mochte Zauberei nicht, hasste sie vielleicht sogar, aber sie schien nicht so dumm, sie zu ignorieren. Ansonsten war nichts weiter festzustellen und wir überquerten den Morne, um auf der anderen Seite des gewaltigen Stroms im „Jagenden Fluss“ einzukehren. Natürlich waren wir etwas skeptisch angesichts des wieder einmal nebulösen Ziels, doch das Vertrauen auf unser bisheriges Glück hielt sich wacker. Immerhin war der Wald von Escavalon eine beinah noch ungenauere Angabe gewesen.
Unsere Reise führte uns am nächsten Tag ins kleine Städtchen Cambryg. Die Mehrzahl der Einwohner schien aus jungen Albai zu bestehen, deren durchaus wohlhabenden Eltern sie hierher zum Studium gesandt hatten. Sie maßen sich in rhetorischen Wettkämpfen, philosophierten oder tranken einfach nur am helllichten Tage Ale. Der wilde Trubel war vergleichsweise angenehm angesichts der geballten Lebensfreude, die hier verstrahlt wurde. Zweifellos würden noch die Tage kommen, da sie wieder in ihren Studierzimmern versackten, doch wir hatten wohl einen seltenen, freien Tag erwischt.
Groam regte an, dass wir uns zumindest versilberte Waffen anschaffen sollten, um gegebenenfalls dem einen oder anderen magischen Wesen beizukommen. Sein Wissen erstaunte mich zunächst, aber wenn es jemanden gab, der sich mit Metall gut auskannte, dann musste es schließlich ein Zwerg sein. So kaufte ich mir einige Pfeile, während der Krieger sich sogar einen Dolch leistete. Zuletzt erstand Miyako einige Bolzen. Irritiert blickte ich sie an, hatte sie doch offensichtlich nicht einmal eine Armbrust!
„Ich habe da ein Ass im Ärmel“, kam die übliche, nebulöse Antwort, der diesmal allerdings auch etwas Schelmisches beiwohnte.
Unsere Reise führte uns sodann weiter nach Süden. Auf der Königsstraße entlang konnten wir die Nächte in sicheren Gasthäusern verbringen und erlebten auch am Tage keine Unannehmlichkeiten. So ritten wir an Beornanburgh vorbei, der Hauptstadt des Landes, welche mir durch ihre außerordentliche Größe missfiel. Dem Tempo einer solchen Metropole angemessen schien jeder einzelne Mensch schrecklich gehetzt und gequält von seiner täglichen Arbeit.
Die Reise führte weiter durch den großen Wald von Brocendias – dem gezähmten Broceliande, wie es ein Albai wohl ausdrücken würde. Obwohl ich blinden Hass schon lange vergraben hatte, stieß es mir immer wieder bitter auf, dass nicht erkannt wurde, was verloren war.
Einen weiteren Zwischenstopp legten wir in Maris ein, wo sich Garric bereits unwohl beim Betreten der Stadt fühlte. Er warnte uns, dass dieser Ort als Umschlagplatz so mancher Verbrecherbande genutzt wurde, die in nahegelegenen, kaum erschlossenen Teilen des Waldes ihre Verstecke hatten. Tatsächlich wirkte die Atmosphäre im Gasthaus nicht sonderlich freundlich und finstere Blicke verfolgten uns, bis wir schließlich zu Bett gingen.
Es war die Nacht nachdem wir uns einen Tagesritt von Maris entfernt hatten, als ich wieder die zweite Wache inne hatte und Gestalten bemerkten, die sich langsam auf unser Lager zuschoben. Es mochten fünf an der Zahl sein, vielleicht mehr. Dunkle Silhouetten die sich zwischen den Bäumen abzeichneten und ohne meine die Nacht gewohnten Augen sicherlich noch nicht zu erkennen gewesen wären. Ich erhob mich, den Stoßspeer locker in meiner linken Hand, und rief laut in Richtung der Zelte: „Angriff!“
Dann konzentrierte ich mich auf die Banditen, die nun ihre Geschwindigkeit deutlich anhoben und rief herrische Worte durch den Wald. Es war keine gewöhnliche Sprache, sondern tiefer klingende Worte, die den Geist direkt ansprachen – doch während ich sie sprach, spürte ich, dass sie hohl klangen. Meine Intonierung war misslungen, die Magie zerfloss. So hielten die fünf unbeirrt auf mich zu.
Und ich auf sie. Mit angelegtem Speer sprintete ich ihnen fest entschlossen entgegen. Doch die Banditen, lediglich leicht gerüstet, wichen auseinander und meinem Angriff damit aus. Sie hatten lediglich Kurzschwerter und bis auf ihren offensichtlichen Anführer nicht einmal eine Rüstung. Lumpenhaft wie sie waren, hätte man Mitleid entwickeln können – würden sie nicht versuchen, einem die Haut abzuziehen.
Einen Moment stand ich so inmitten der Angreifer und fluchte über meinen Vorstoß. Da spurteten Miyako und Groam von je einer Flanke heran und schwangen ihre Waffen. Die Geräusche einer Schneide, die durch Fleisch fuhr sowie einem Hammer, der Knochen brach vermengten sich und die Banditen waren gezwungen, sich aufzuteilen. Der Anführer mit einem Komparsen auf den Zwerg, linker Hand von mir zwei auf die KanThai. Was auch immer diese Männer getan hatten, bevor sie verarmt waren, ihr Anführer behielt mit einer beneidenswerten Autorität den Überblick und bellte Befehle wie ein Hauptmann.
Und sie schlugen zurück. Miyako und Groam wurden weggetrieben, arg bedrängt von den wendigen Angreifern, die aus ihrer Not eine Tugend machten. Ein Schnitt gen Miyakos Schläfe…sie zuckte kurz, als Blut in ihr Auge lief, doch tänzelte unerbittlich weiter. Auch Groam wurde getroffen, was er mit einem lauten Kriegsschrei quittierte und begann den Stielhammer in weiten Kreisen vor sich her zu schwingen.
Mein Gegner tänzelte mich erschreckend geschickt aus. Vor und zurück, der Speer zuckte wie eine giftige Schlange auf den Banditen los, doch mehr als ein Streiftreffer war nicht drin. Dann, ein unbedachter Schritt, ich legte mein ganzes, wenn auch bescheidenes Gewicht in den Stoß – und ging fehl. Eine Finte und bereits eine Sekunde später spürte ich, wie Eisen sich in meinen Arm bohrte. Die Muskeln flammten im Schmerz auf und beinah hätte ich die Waffe fallen gelassen. Mein linker Arm, mein führender Arm, ließ sich kaum bewegen und so wechselte ich auf rechts.
Ein Schrei von links, Miyako hatte einem Gegner mit einem Tritt das rechte Bein weggezogen. Schräg kniete er vor ihr am Boden als nur einen Herzschlag später die Spitze des Langschwerts durch seine Kehle drang. Auf der anderen Seite fing Groam einen Angriff seines Gegners mit einem heftigen Stoß seines Hammers ab – das minderwertige Metall brach und der Bandit stand ohne Waffe da.
Die KanThai hatte nun Blut geleckt und mit ungewohnt weiten Schlägen trieb sie ihren verbliebenen Gegner vor sich her, bis das Duell hinter meinen Gegner getrieben war. Der warf einen besorgten Blick über die Schulter, was ich nutzte, um den Speer in seine rechte Flanke zu stoßen. Schnell zuckte ich zurück, um die Waffe nicht zu verlieren. Ich war tatsächlich über meinen Treffer verwundert, da es sich so fremdartig anfühlte mit der rechten Hand zu führen. Doch nun galt mir wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit und ein weiterer Stich wollte mir nicht gelingen. Da spritzte Blut hinter dem Banditen auf, besprenkelte seinen Nacken. Irritiert drehte er sich um, sah wie ich, dass Miyako mit einem kraftvollen Stich sicherlich einige Rippen ihres Gegners durchbohrt und seine Lunge zerfetzt hatte. Ohne zu zögern glitt sie hinüber zu dem neuen Gegner und zog die Klinge schräg durch die Luft. Es zischte, einen Moment lang starrten sowohl der Bandit als auch ich auf dessen linken Arm – dann fiel dieser zu Boden, sauber abgetrennt. Unter einer Blutfontäne ging er zu Boden. Ich blickte die KanThai an. Meinen Blick, eine Mischung aus Bewunderung und Angst, kannte sie mittlerweile wohl zur Genüge und sie nickte Richtung Groam, um mich zu erinnern, dass er noch Hilfe brauchte.
Doch auch der Zwerg schlug sich nicht schlecht. Der letzte Ungerüstete lag schon mit zerschmettertem Rückgrat am Boden und der Anführer in seiner Lederrüstung hinkte bereits. Das Knie schien einen empfindlichen Treffer erhalten zu haben, außerdem war auch sein Kurzschwert in die Brüche gegangen. Lediglich mit einem Dolch stand er noch da. Gerade holte Groam zum finalen Schlag aus, so schien es, da knirschte Holz und irgendetwas gab ein gleitendes Geräusch von sich…der Kopf des Stielhammers segelte nach hinten weg! Ungläubig starrte der Zwerg auf seine Waffe, die wie ein Teil von ihm war und sein Gegner gestattete sich ein Grinsen.
Das ich nutzte um einen Stich gegen seinen linken Arm zu landen, der sich krampfartig versteifte, als ich einige Nervenbahnen zertrennte.
Brüllend setzte nun auch Groam wieder nach – den Stiel hatte er fallen gelassen und hämmerte seinem Gegner die blanke Faust ins Gesicht. Die Nase brach, Blut rann hervor und der Mann taumelte zurück… direkt in Miyakos Klinge, die sich von hinten durch seine Eingeweide schob. Ohne einen weiteren Laut ging der letzte Bandit damit zu Boden.
Während ich meinen Blick entsetzt über das Blutbad schweifen ließ, gleichzeitig noch immer meinen vor Schmerzen unbewegbaren Arm festklammerte, taumelte Groam auf die Teile seiner Waffe zu. Wie von eintausend Pfeilen durchbohrt fiel er auf die Knie, das Kinn auf die Brust gelegt und den traurigen Blick kleiner, dunkler Augen auf den Stielhammer gerichtet. Einen Moment später warf er die Arme in die Luft und brüllte einen wohl zwergischen Wehklageruf in die Nacht hinaus. Langsamen Schrittes trat ich neben ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. Fragend blickte er mich an, dann auf den Hammerkopf in seiner einen und den Stiel in seiner anderen Hand.
„Es gibt Dinge, die kann ich leider nicht heilen, Groam“, flüsterte ich.
Enttäuscht ruckte der Kopf wieder nach unten.
Einige Zeit später hatte der Krieger sich wieder aufgerafft und eines der Kurzschwerter der Banditen an sich genommen. Die von mir vorgeschlagene Rückreise nach Maris lehnte er ab, wir würden es schon noch nach Estragel schaffen…wenn das mal kein Omen sein sollte.
Indes konnte ich meinen Arm wieder einigermaßen bewegen und machte mich daran, uns Verwundeten Verbände anzulegen. Schnell wurde klar, dass ich auf die tiefere Melodie des Lebens zurückgreifen sollte, um unsere schweren Verletzungen auszukurieren.
Doch gerade als ich meine Hände an Miyakos Kopfwunde gelegt und meinen leisen Singsang begonnen hatte, fiel ein Schatten über meine Augen und benommen zuckte ich zurück. Ich hatte einen Missklang erwischt und die Natur hat zurückgeschlagen. Ein ekelerregendes Stechen, das gleichzeitig meinen Verstand und meinen Körper so peinigte, dass ich kaum atmen konnte – aber ich wurde nicht mit dem Geschenk der Ohnmacht belohnt. Entsetzt starrte Miyako mich an, während ich auf die Knie sank und langsam begann, meine Atmung zu beruhigen. Der erste Schmerz ließ nach, doch ein Pochen verblieb in den Resten meines Kopfs, das es mir schwer machte, die Umgebung klar wahr zu nehmen. Zumindest in der Art und Weise, dass ich die Strömungen des Lebens kaum erblicken und nur behutsam zur Hilfe bitten konnte. Ein kurzer Anfall von Verzweiflung überkam mich. Selten hatte ich mich so blind gefühlt…
Doch ein Hauch von Kraft war noch in meinem geschundenen Körper, so trat ich erneut an Miyako heran und hielt behutsam meine Finger über ihre Wunde. Meine Stimme war kaum mehr als ein Wispern während ich langsam spürte, wie Wärme in meine Hände floss. Immer mehr Hitze wurde von ihnen ausgestrahlt – doch keine versengende Hitze. Es war ein wohltuendes Scheinen, das in einem Bruchteil auf mich zurückfiel, zuallererst jedoch der KanThai zuteil wurde. Binnen Sekunden schlossen sich ihre Wunden, während die Welt um mich herum aus dem dunklen Schleier hervorrückte, der sie noch Momente vorher vor mir verborgen hatte. Die Natur hatte meinen Fehler vergeben!
Etwas amüsiert blickten Groam und Miyako zu mir hinüber, während ich einen Luftsprung machte und begann den ahnungslosen, eben erst herangetretenen Maglos zu umarmen. Mancher Dinge muss man sich eben auf unerklärliche Weise freuen.
Unsere Reise forderte schließlich keinen weiteren Tribut mehr und nach insgesamt zwanzig Tagen seit wir Arthedhainn verlassen hatten, waren wir nun in Estragel, der südlichsten Stadt Albas und gewissermaßen der Pforte nach Chryseia. Zumindest was den Landweg anging. Mit achttausend Einwohnern wohl eine der durchschnittlichen Größen, war die Zahl gerüsteter Kämpfer hier erstaunlich. Eine Ordensritterburg beherbergte zahlreiche der heiligen Streiter für die Dheis Albi, die mit einer gewissen Herrschaftlichkeit zwischen dem Pöbel zu wandeln schienen. Darüber hinaus waren hier zahlreiche Söldner unterwegs, die im Zweifelsfall gegen oder auch in Chryseia eingesetzt werden konnten. Auf jeden Fall dort, wo ihnen das Töten bare Münze versprach. Es war widerwärtig, diese betrunkenen Raufbolde zu beobachten, die auch nicht zögerten, sich gegenseitig an den Kragen zu gehen. Inmitten der enormen Anzahl an Ratten – und in ihrem Gefolge Katzen – wirkten sie wie zu Hause. Doch der Männerüberschuss hatte sie wohl nahezu wild werden lassen und als Miyako mit uns durch die Straßen wandelte, schien es, als würden sie eine Epiphanie erleben. Lautes Pfeifen und beständige Rufe waren unser Begleiter, doch zu unserem Glück wagte sich keiner näher heran – oder eher gesagt, zu ihrem Glück.
Bei einem Schmied ließ Groam zunächst seinen Stiel wieder mit dem Hammerkopf verbinden, der mit seiner daran angebrachten Spitze überaus vielseitig einsetzbar war. Als wir nach getaner Arbeit wiederkamen rümpfte der Zwerg etwas die Nase; der Mann schien seine Waffe wohl ziemlich verhunzt zu haben, aber für das Erste könnte es reichen. Stolz verkündete Groam, sobald wir nach draußen getreten waren: „Nach der Reparatur meines Hammers, kann ich nun auch endlich wieder ordentlich zustechen!“
Das Gelächter von einer offenen Kneipe auf der anderen Straßenseite war ihm sicher.
Anschließend begaben wir uns auf die Suche nach einem Ortskundigen, der uns etwas über die Melgar-Berge berichten konnte, vielleicht sogar das eine oder andere über bizarre Tiere oder anderweitige Anomalien zu erzählen wusste. Miyako und ich gerieten dabei an einen Mann namens Portas, er gehörte zu dem Stamm der Melgaren, welchen in den Bergen lebten. Wir setzten uns mit ihm zusammen, nachdem Groam gerade so vermeiden konnte, dass ein verrückter Söldner sein Ohr abbiss…
„Wohin wollt ihr eigentlich?“, fragte Portas.
„Wir interessieren uns für die Melgar-Berge“, versuchte es Groam zunächst unverdächtig. „Was gibt es denn dort zu sehen?“
„Nun, am westlichen Ende meiner Heimat gibt es alte Ruinen, die liegen eher an der Bucht der Bäume. Das ist ein weiter Weg.“
„Kann man denn gut über die Berge reisen?“, hakte ich ein.
„Über die Berge? Nun mit angemessener Ausrüstung und wenn man die alten Pfade kennt, dann natürlich. Aber es ist langsam und beschwerlich“, wobei sein Blick deutlich machte, dass er insbesondere einer Frau und einem Elfen keine großen Kletterstrapazen zuzutrauen schien.
„Würdet Ihr euch denn als Führer anbieten?“
„Ich bin derzeit beschäftigt“, wiegelte der Mann ab. „Außerdem würde ich euch, was die Ruinen angeht ohnehin empfehlen, die Handelsstraßen zu nehmen, zunächst nördlich…“
„Da kommen wir gerade her“, stöhnte Groam auf. „Was gibt es noch?“
„Am Rande der Berge, zwischen Wald und Stein würde ich sagen. Allerdings gilt der Broceliande als, ähm…“, er warf mir einen scheuen Blick zu.
„Geheimnisvoll“, meinte ich mit einem Lächeln und im vollsten Bewusstsein, dass das nicht das gesuchte Wort war. Aber der Mann schluckte es runter.
„Nun, gibt es wirklich Nichts anderes, als diese Ruinen in den Bergen?“
„Die Dörfer meines Volkes, aber das dürfte für euch wohl kaum interessant sein“, machte Portas deutlich. „Ich denke, ich habe genug Fragen beantwortet?“
Nachdem der Melgare noch ein Bier mitbekommen hatte, machte er sich davon. Immerhin hatte er uns einen Hinweis gegeben.
„Sieht so aus, als hätten wir keine andere Wahl, nicht wahr?“, brummte ich, was die anderen mit einem Nicken bestätigten.
„Wie könnten denn die Elfen reagieren, wenn wir so mir Nichts dir Nichts durch ihre Heimat laufen?“, fragte Groam nach.
„Nun… es könnte schwierig werden.“
„Verdammt, Ilfarin! Hast du etwas angestellt?“
„Nein, so ist das nicht. Mein Volk dürfte misstrauisch sein, durchaus mit Recht. Aber solange ich bei euch bin, werden sie wahrscheinlich von einer Herausforderung absehen. Zumal wir lediglich am Rande entlang reisen.“
„Dann lasst es uns so machen. Keine Lust wieder diesen gewaltigen Umweg zu machen und am Rande der Berge zu marschieren, hebt vielleicht auch meine Stimmung. Außerdem…wir sollten an den Stein der Erde denken. Womöglich gibt er uns einen Hinweis auf den anderen“, schloss Groam.
„Damit sollten wir vorsichtig umgehen. Wer weiß, was geschieht, wenn zwei dieser magischen Artefakte aufeinanderstoßen. Außerdem bin ich immer noch misstrauisch, was den Einfluss dieser Rosen auf den Verstand angeht!“, mahnte ich.
„Bis jetzt ist Nichts geschehen, außerdem können wir sie abwechselnd tragen und nur eine kurze Zeit lang“, zählte Groam auf und zögerlich stimmte ich zu. Mit angemessener Vorsicht könnte das vielleicht unser Kompass sein.
Wir begaben uns am nächsten Tag auf den Markt und erledigten die notwendigen Einkäufe. So gaben wir unsere Pferde auf, welche uns zwar gute Dienste geleistet hatten, aber in dem bergigen Gebiet, das wir nun durchqueren wollten, keine Freude haben würden. Außerdem erstanden wir natürlich eine große Anzahl an haltbaren Nahrungsmitteln, um uns auf der Reise nicht aufhalten zu müssen. Zuletzt meinte Olo, dass es eine gute Idee sei, eine Hacke und eine Schaufel mitzunehmen, falls wir in den Ruinen Grabungsarbeiten durchführen müssten. Zugegeben, da hatte unser kleiner Freund einen guten Einfall und da ich ohnehin meinen zweiten Speer (für Notfälle wie bei Groam) weggeben musste, tauschte ich ihn einfach ein. Der Halbling war allerdings nur noch halb so glücklich, als ich ihm das Werkzeug in die Arme legte und klar wurde, dass er tragen musste.
Bevor wir jedoch aufbrechen konnten, hielt uns Garric an. „Meine Freunde, ich bin äußerst betrübt über den Zeitpunkt, aber die Phönixgilde hat einen Brief geschickt und meine Dienste werden benötigt. Ich muss also zurück nach Haelgarde.“
„Tu, was deine Pflicht von dir verlangt, Garric“, erwiderte ich. „Weißt du, wie viel Zeit das in Anspruch nehmen wird?“
Er schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Aber seid versichert, ich werde baldmöglichst wieder aufbrechen und euch ausfindig machen. Bei eurer Reisebegeisterung könnte das wohl schwieriger werden, aber ich bin mir sicher, dass es gelingen wird.“
„Bis dahin“, sagte ich und hielt dem Magier die Hand hin, welche er ergriff und fest schüttelte. Er verabschiedete sich noch von den anderen und somit waren wir vorerst nur noch zu viert. Zu fünft, man durfte ja Maglos nicht vergessen! Und an dieser Stelle lief ich schnell zurück zum Markt, um noch Verpflegung für meinen treuen Begleiter zu holen.
So brachen wir schließlich auf und nachdem wir Estragel durch das Nordtor verließen, wandten wir uns direkt gen Westen. Einige Zeit gab es noch so etwas wie ausgetretene Pfade und sicherlich führten auch einige Wege zu kleineren Dörfern, doch wir hielten uns eng an den Bergen und durchwanderten urtümliches Gebiet, das selten bereist wurde und dies auch offenbarte. Gewaltige Bäume blickten uns vom Broceliande her entgegen, aber ich wusste, dass diese nur einen Bruchteil der Größe besaßen, wie sie im Herzen dieses Reichs zu finden waren. Dennoch erfüllte mich der Anblick mit Freude. Es entsprach wohl leider der Wahrheit, dass Estragels Einfluss hier eher aus Angst und weniger aus Ehrfrucht gering war, doch das Ergebnis blieb sich gleich…zumindest für die nächsten Jahre.
Immer wieder holte Groam kurz die bernsteinerne Rose hervor, wobei jedes Mal aufs Neue ein Glanz über seine Augen glitt, der von Ehrfurcht zeugte – etwas, das dem knochentrockenen Zwerg eher selten anzusehen war.
Zwischendurch redete er ein wenig in seinen Bart: „Hm… diese Vision… erkenne hier Nichts…hrmpf.“
„Was sagst du Groam?“, hakte ich unmittelbar ein.
„Nichts, nicht so wichtig.“
„Du hattest eine Vision?“
„Nun, ein Traum… ist schon ewig her, grad als wir aus Arthedhainn los sind.“
„Das sagst du jetzt?“, empörte sich Miyako. „Was hast du gesehen?“
„Ach… das war doch nichts Wildes. So ein komischer Elfentraum eben. Ilfarin, du hast doch sowas bestimmt häufiger?“
Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. „Groam, was gab es zu sehen? Vielleicht ist es eine verschlüsselte Botschaft dieser seltsamen Macht im Stein.“
„Also gut, keine Aufregung. Ich habe von einem Wald geträumt. Große Bäume und so. Und dann war da noch ein Hirsch.“
„Von normaler Größe?“, fragte Miyako nach.
„Nein… er war gewaltig! Ein mächtiges Tier, das kann ich euch sagen. Sah aber so weit eher friedlich aus. Und, Ilfarin? Kannst du damit was anfangen?“
„Ehrlich gesagt, leider nicht“, verneinte ich. „Vielleicht es eine Bestätigung von Miyakos Theorie, aber Träume funktionieren selten wie Abbilder der Wirklichkeit. Die Symbolhaftigkeit entzieht sich mir an dieser Stelle.“
Groam zuckte mit den Schultern und marschierte weiter. Wir folgten ihm und es dauerte nicht mehr lange, da suchte ich uns eine geschützte Stelle für das Nachtlager, welches wir dann auch ungestört beziehen konnten.
Am nächsten Morgen brachen wir wieder auf. Da der Zwerg bisher nichts Außergewöhnliches wahrgenommen hatte, behielt er den magischen Stein weiter in der Hand. Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu. Könnte es bereits das erste Anzeichen sein, dass das Artefakt nach ihm ausgriff? Doch noch wirkte der Krieger unverändert und wenn man auf etwas vertrauen konnte, so doch auch auf die Beharrlichkeit dieses Volkes und ihren Widerstandskräften gegen magische Einflüsse.
Es war ein unbeschwerter Reisetag, die Sonne schenkte uns ein Lachen und der Wald schwelgte in einem goldenen Herbst. Bis zum Abend war unser Tritt leicht und der Rücken trug allen Ballast unbeschwert. Da machte ich eine schöne Stelle aus, die leicht erhöht zwischen den Hügeln war und nach drei Seiten steil abging. Ein sicherer Platz, der zudem eine schöne Aussicht bot. Der Boden ließ es gerade noch zu, die Zelte sauber zu verankern und bei einem Lagerfeuer blickten wir über den nebligen Wald zu unseren Füßen. Auch das war Alba, seine schöne, urtümliche Seite. Von flammend roten Wolken umgeben ging die Sonne langsam im Westen nieder und schweigend genossen wir diesen Moment der Ruhe und des Friedens.
Auch der dritte Tag brachte keine Neuerungen, außer, dass wir uns allmählich sicher waren, in der näheren Umgebung auf keine menschlichen Siedlungen mehr zu stoßen. Gewissermaßen wandelten wir durch einen Streifen Niemandsland. Mein Volk blieb im Herzen des sicher scheinenden Waldes, die Melgaren ebenso in ihren Bergen.
Beim abendlichen Lager brummelte Groam schließlich: „Ich glaube, das mit dem Stein und mir funktioniert nicht. Vielleicht probiert es mal einer von euch aus?“
Miyako wirkte bei dem Vorschlag, als hätte man ihr angeboten doch einmal Schafsdarm als Halskette anzulegen. Ich hingegen war mittlerweile äußerst neugierig und hielt Groam die Hand hin. „Lass es mich versuchen.“
Wenige Sekunden später legte der Zwerg mir die aus Bernstein gemachte Rose in die Hand.
Ich war weit weg. Irgendwo… Wasser plätscherte auf mir, ein Bach, der sich zwischen den alten Waldriesen hindurch schlängelte. Ihre Wurzeln gruben sich tief in mein Fleisch. Holten Kraft für die Stämme und die Äste, die Wipfel der Bäume, die Krone des Waldes. Sanfte Schwingungen trugen sich hindurch, wenn die Eichhörnchen durch die Äste kletterten. Da hob ein Vogel ab, da huschte ein Fuchs. Das Knacken eines Asts war wie ein Donnerhall als das Kaninchen davonjagte. Doch da waren noch kleinere Wesen. In einer Kette marschierten sie durch den Wald, ihre Tritte nicht zu spüren. Ein Gewicht auf ihren Rücken, das sie eigentlich kaum tragen konnten, doch eiserne Disziplin hielt die Ameisen in ihrem Bann. Und das Empfinden schweifte weiter… die Halme zitterten leicht in der Brise, welche ihren Weg durch den Rand des Waldes zog. Das Gras schien zu atmen, ein Rhythmus, der sich wiederholte, immer wieder. Eine Melodie, in die sanft alles hineinspielte, das sich hier bewegte. Und ich spürte sie alle. Auf mir.
Langsam zog ich meine Bahnen…schwamm ich durch die Erde, flog ich zwischen den Wipfeln? Alles schien gleichermaßen eine Verbindung zu mir zu haben. Es gab diese seltsame Einheit und ich vergaß, wohin ich wollte.
Fels. Massiver Stein, der sich auftürme, immer weiter der Sonne entgegen. Hartes Gras, das sich seinen Weg erkämpfte, sogar vereinzelte Bäume, die ihre knorrigen Wurzeln tief verankert hatten. Ein Steinbock schaute von hoch droben hernieder, die Füße gegen die Wand gestemmt, als würde er hier schon immer stehen und immer stehen bleiben. Gemächlich kaute sein Maul auf etwas herum, ein sanftes Zittern im Körper, der sich auf den Boden übertrug. Kaum merklich, doch ich spürte es. Ich war im Fels und ich spürte jedes Atmen des Tiers. Der Wind wogte über mich hinweg, nagte am Stein. Hie und da löste sich etwas, ein Staubkorn, das hinaufstieg und davongetragen wurde. Davon immer weiter, gesellte sich in den Rauch eines kleinen Feuers, das sich am Fuße meiner Berge entfaltete. Mochte ein Brand bevorstehen? Nein, es war zu weit weg vom Wald…und da waren andere. Gestalten saßen auf mir, hatten ihre Zelte aufgeschlagen und Pflöcke in die Erde hineingeschlagen. Es tat nicht weh, der Fels spürte, doch es schmerzte nicht. Und so richtete sich die Neugier auf die fünf. Ein Hund, den Kopf auf den Pfoten und langsam wegdämmernd. Sein Herzschlag war schnell, aber nicht ungewöhnlich für seine Art. Und da waren andere. Hüpfendes Beben, sprunghafte Atmung, wie nach großer Anstrengung. Ein kleiner Körper, der großes Gewicht tragen musste. Und tiefes Brummen…jeder Herzschlag wie ein Donnerstoß. Kraft lag in diesem Volk und Erinnerungen der Erde stiegen auf. Es lag eine Vertrautheit zwischen diesem Geschöpf und dem Fels. Und ein ruhiges, kaum merkliches Pochen. Ein Schatten, der auf dem Stein ruhte und nicht weiter auffiel, wenn man sich nicht konzentrierte. Versteckt. Und zuletzt… rasendes Beben. Flatternde Atmung und eine große Aufregung. Ein Wesen des Waldes, aber der Berg war nicht, was es beunruhigte. Es war…
Wie ein Sprung in tiefes, kaltes Wasser. Meter um Meter in die Dunkelheit, der Atem längst aus der Lunge herausgeschleudert, Druck, der sich über den Körper zieht. Ein Blick nach oben, das seltsame Flackern… so weit entfernt. Die Lider sinken, Müdigkeit sickert hinein.
Ein Moment vergeht. Die Augen werden aufgerissen, die Arme schlagen, die Beine schlagen. Ein unschönes Zappeln, das nur eines verkündete: Ich ertrinke. Doch der Lebenswille ungebrochen, so treibt es einen empor, dem Lichte entgegen, der Luft entgegen – das Durchbrechen des Wassers und frischer Odem, der in die Lunge brauste.
Eine beängstigende Erfahrung zunächst. Doch nun hatte ich die Kontrolle erlangt. Der Stein ließ einen nicht ertrinken. Er war nur überwältigend. Aber während sich meine Atmung beruhigte, stahl sich ein wildes Lachen auf mein Gesicht. Ich spürte…alles. Als ich Groam einen Blick zuwarf brummte er nur, schien aber zu wissen, was in mir vorging.
In der Nacht hatte ich einen leichten Schlaf, es war ein seltsames Gefühl, sich an diese unzähligen Eindrücke zu gewöhnen. Doch ich fühlte mich sicher – wer sollte sich an den Fels heranschleichen?
Am nächsten Morgen erwachte in mir das Interesse, mir einige Zeit zu nehmen, um den Stein der Macht genauer zu untersuchen. Zwar besaß ich wohl nicht das magische Fachwissen, wie es ein Gildenmagier wie Garric hatte, aber auch die druidischen Wege führten zu einem gewissen Verständnis. Die anderen waren einverstanden, erst gen Mittag weiterzureisen, da jede Information nützlich und vielleicht lebensrettend sein könnte.
Mit überkreuzten Beinen setzte ich mich in unser Lager und legte beide Hände um die Rose. Ich schloss die Augen und begann langsam, die Welt um mich herum abzuschirmen, wie bei einer Meditation. Das einzige, worauf ich meine Sinne lenkte, war der wärmer werdende Stein, den ich fest umschlossen hatte.
Licht flackerte hell inmitten einer großen Schwärze auf. Mich zog und schob es durch leeren Raum, wirbelte es herum, ein Spielball höherer Mächte. Mein Blick zuckte über alles hinweg, was mich umgab. Da waren tausende Lichter, einem grenzenlosen Sternenmeer gleich. Und eine plötzliche Welle reiner Kraft drückte mich hinfort.
Umgeben von Flammen riss ich meine Augen wieder auf. Es war eine ganze Welt, beherrscht von heißer Glut, die sich selbst zu nähren schien. Gestalten, die sich bewegten, doch Teil eines Ganzen zu seinen schien. Hier gab es Nichts außer der Hitze. Und eine weitere Welle.
Andere Welten, andere Sphären, die blitzlichtartig vor meinen Augen auftauchten und wieder verschwanden.
Es war einige Zeit vergangen, als ich geistig wieder zu meinen Gefährten zurückkehrte. Ich hatte fast das Gefühl, erst langsam wieder das Sprechen üben zu müssen, so gewaltig und bedrückend hatten die Eindrücke auf mich gewirkt. Wir waren so klein.
„Ich spüre große Macht in dieser Rose. Es gibt Verbindungen zu anderen Welten… beinah beängstigend“, erklärte ich meinen Gefährten, was ich gesehen hatte, wobei es weniger zur Klarheit als zur Verwirrung führen konnte, was ich da von mir gab. Aber wie beschrieb man eine geistige Reise durch gewaltige Sphären in denen Nichts unmöglich war?
Aber wir brachen zunächst wieder auf. Die Rose behielt ich bei mir, um ebenso wie Groam an den Vortagen auf besondere Zeichen zu achten. Doch der Tag blieb ruhig und wir kamen äußerst gut voran, bis wir das Abendlager aufschlugen.
Es war meine Wache, die Zeit kurz nach Mitternacht, als ich Erschütterungen im Boden spürte. Sie waren gewiss noch etliche Meter entfernt, daher blieb ich zunächst ruhig. Doch sie beschleunigten sich, näherten sich. Ich richtete meine die Dunkelheit gewohnten Augen dorthin, wo ich sie dank der Bernsteinrose spürte und sah drei große Schemen auf uns zu rennen. Meinen Speer in der Linken stand ich auf und rief laut: „Angriff!“ Binnen weniger Sekunden hatten sich Miyako und Groam aus den Zelten gequält und ihre Waffen bereit gemacht. Zu dritt standen wir der sich nähernden Gefahr gegenüber.
Drei ungeschlachte Gestalten, allesamt mindestens zwei Meter groß. Strähniges, dunkles Haar hing von ihren Schädeln, verdeckte jedoch leider nicht das verzerrte Gesicht, das grob einem Menschen ähnelte, aber durch massive Zähne, die mehr Hauer zu nennen waren, und verschrobene Knochen zu einer dunklen Parodie wurden. Ihr Körper schien eine steinern wirkende Ummantelung von Muskelbergen und die wild vor sich her geschwungenen Keulen – gestutzte, junge Bäume – kündeten von ihrer rohen Stärke. Es schien sich um eine Familiensippe zu handeln: ein Patriarch, etwas, das wohl eine Frau sein mochte und einer, der etwas kleiner war, als der Vater. Womöglich das Kind, aber bei der auch von ihm ausgehenden Kraft konnte es durchaus auch der Bruder sein.
Die Aufteilung geschah instinktiv und wir stürmten ihnen entgegen. Diese Gegner verfügten nicht über wirklich genug Intellekt, um Voraussagen zu treffen, doch an ihrem Verhalten war zu erkennen, dass sie andere Reaktionen auf ihr Erscheinen erwartet hatten.
Aus dem vollen Sprint warf ich mich mit meinem gesamten Gewicht in den Angriff und stieß den Speer durch die Seite des jüngeren Bergtrolls. Im ersten Moment fühlte es sich an, als wäre ich gegen Fels gerannt, doch dann gab die Haut nach und die eiserne Spitze fuhr durch das Fleisch, bis sie auf der anderen Seite herausbrach. Ich lief weiter…doch der Speer blieb stecken.
Miyako hatte die Mutter nur einen Moment später erreicht und einen blitzschnellen Schnitt ausgeführt: Blut trat aus der Wunde, die diagonal durch das Gesicht der Bergtrollin verlief. Diese brauchte einen Moment, um zu realisieren, was geschehen war, ehe sie reagieren konnte. Langsam fuhren ihre Finger über das hervorfließende Blut. Dann wurde klar, dass der Treffer viel tiefer gegangen war, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Ein Stück des Gesichts… verrutschte und die Mutter ging tot zu Boden.
Und dann war da Groam, der mit einem berserkerwürdigen Kriegsschrei auf den Lippen seinen Kriegshammer aus vollem Lauf vor die Brust des Patriarchen knallte. Felsenharte Haut brach, Knochen knackten und ein menschlicher Gegner wäre durch die Zerstörung sämtlicher Organe direkt tot gewesen – doch diese Wesen waren deutlich widerstandsfähiger. Doch, dass der Vater noch stand hieß nicht, dass er unberührt geblieben war. Sein nächster Angriff kam aus einem Taumeln heraus, langsam und ungeschlacht. Selbst für den stämmigen Zwerg war es leicht, dem auszuweichen, ehe er einen platzierten Hieb gegen die Waffe selbst führte. Es knirschte, das Holz gab ohne größere Gegenwehr nach und so hatte Groam die Keule seines Feindes zerschmettert. Fauchend ging dieser mit seinen Klauen auf die kleine Kreatur los, die ihn da zunehmend ärgerte. Er wirkte wie ein gehirnloser Zombie und zweifelsfrei hatten ihn seine Schmerzen in ein Delirium getrieben, das den ohnehin kleinen Verstand vollständig auflöste. Der Zwergenkrieger machte einen Schritt nach rechts, dann einen nach links, nahm Maß – und der Hammerkopf krachte seitlich gegen den Kopf des Patriarchen. Die ohnehin verformt wirkenden Knochen schienen sich aus ihrer Ordnung zu lösen, brachen, knackten, Blut spritzte. Es endete in der vollkommenen Verwüstung und auch der Trollvater ging zu Boden.
Während diese Dinge geschahen, wich ich den Schlägen des wütenden Bruders aus, dem immer noch mein Speer in der Flanke steckte. Schließlich ging ich erneut zum Angriff über. Ein ausholender Überkopfschlag bot mir genug Zeit, auf den Troll zuzuschießen und den Schaft meines Speeres zu greifen. Ich kam von der Seite und rannte mit aller Kraft dagegen, in der Hoffnung, dass das starke Holz nicht brechen würde. Und es funktioniert! Wie einen Kreisel stieß ich den Troll an, der dadurch herumgewirbelt wurde und seine Keule fallen ließ. Wild blinzelnd suchte er die Orientierung, währte ich mit einem kräftigen Ruck meine Waffe befreite und zum nächsten Stoß ansetzte – aber mein Gegner hatte den Überblick schneller wiedergewonnen, als mir lieb war. Er packte meinen linken Arm, riss mich ruckartig hoch und schleuderte mich einige Meter entfernt zu Boden. Es knackte, meine Schulter wurde ausgekugelt und widerwärtiger Schmerz durchflutete den gesamten linken Arm.
Miyako rannte nun herbei und lenkte die Aufmerksamkeit des Trolls auf sich. Der hatte jedoch mittlerweile seine Waffe wieder aufgehoben und mit einem Rückhandschlag traf er Miyakos Wirbelsäule. Der Treffer trieb ihr sichtbar sämtliche Luft aus den Lungen und riss sie zu Boden. Zorn wallte in mir auf und ich kämpfte mich auf. Grunzend registrierte der letzte Angreifer meine Bewegung und kam genüsslich langsam auf mich zu. Und dann tat ich etwas, was ich auch nicht von mir erwartet hatte.
Trotzig riss ich meinen rechten Fuß hoch, um nach dem Troll zu treten. Ich verfehlte, der Schwung wirbelte mich herum und instinktiv zog ich die linke Ferse nach, sodass sie mit zweifacher Kraft gegen den ausgestreckten Arm meines Gegners knallte. Anschließend krachte ich mit voller Wucht auf den Boden auf und der Schmerz schoss monsunartig von meiner Schulter nun durch den ganzen Körper. Doch das Jaulen meines Kontrahenten verschaffte mir Linderung – ich hatte wohl den trollschen Musikantenknochen erwischt.
Dann krachte der letzte Angreifer zuerst auf die Knie und kippte dann zur Seite weg. Der Hinterkopf glich einem Krater und nun erkannte ich Groam, der sich dem Troll von hinten genähert und seiner gerechten Strafe zugeführt hatte. Allerdings spiegelte sich keine Begeisterung in seinem Gesicht, sondern er überprüfte misstrauisch seinen Stielhammer. Der Kopf saß merkwürdig locker und rutschte unter den prüfenden Handgriffen des Zwergen hin und her.
„Diese menschliche Handwerksarbeit ist doch Mist. Ilfarin, weißt du, ob ich hier einen Zwerg herbekomme?“
Irritiert blickte ich ihn an, während ich mich unter Schmerzen auf die Beine kämpfte.
„Naja, wenn hier einer durch den Wald läuft…dann nehmt ihr Elfen den doch gefangen oder?“
Ich zog die Brauen zusammen und blickte düster auf meinen Begleiter: „Wir machen keine Gefangenen.“
Einen Moment lang huschte so etwas wie Entsetzen über das Gesicht Groams, doch dann klärten sich seine Gedanken und er grinste mich erleichtert an. „Hättest mich fast gehabt.“
Ich verzichtete an dieser Stelle lieber darauf einzugehen, inwieweit ich eigentlich die Wahrheit gesagt hatte.
Nachdem mein Arm wieder eingerenkt war – eine äußerst schmerzhafte, aber notwendige Arbeit – und wir alle soweit mit Verbänden ausstaffiert waren, konnten wir uns endlich wieder zur Ruhe betten und Groam übernahm die Wache.
Ein unruhiger Schlaf umfasste mich und Alpträume quälten meinen müden Geist. Innere Schmerzen zuckten durch mich hindurch. Dann wurde ich gejagt und rannte, rannte immer weiter. Eine weite Ebene, weit und breit kein Baum, kein Strauch, nicht einmal Gras. Eine weite Ödnis ohne Leben. Selbst die Erde war unter einer brennenden Sonne aufgebrochen und war zerrissen. Ich sprang über Spalten, die allesamt zu klein waren, als dass sie ein Versteck hätten bieten können, aber groß genug, um mich in meinem Vorankommen zu hindern. Und der Verfolger kam immer näher. Ich spürte zunächst nur seine Präsenz, das untrügliche Wissen des Träumenden, dass er gejagt wurde. Dann hörte ich die Tatzen, wie sie immer wieder auf den Boden schlugen. Erschütterungen wurden durch die Ödnis gesandt, eine gewaltige Kreatur saß hinter mir und wirbelte mit jedem Schritt Staub auf, der von hinten an mich herangeweht wurde. Bald war ich umwoben, verlor den Überblick und stürzte auf die zerbrochene Erde. Ich spürte die Hitze des vom Verfolger ausgestoßenen Atems, erblickte eine große Silhouette im Staub um mich herum. Dann offenbarte sich das Biest, ein gewaltiges Maul zuvorderst, voller scharfer Reißzähne…
Ruckartig fuhr ich hoch, als der Traum endete und ich in die Wirklichkeit einkehrte. Von draußen erklangen Kampfgeräusche!
Ich packte den Speer mit meiner linken Hand, was meine Schulter mir nicht dankte, aber es musste gehen. Dann stürmte ich nach draußen und sah, wie Miyako und Groam gegen Berglöwen ankämpften! Einer war bereits tot den Hang heruntergerollt, doch da war noch ein zweiter, auf den ich mit angelegtem Speer zueilte…da traf ihn ein seitlicher Schnitt der KanThai und öffnete das Fleisch bis zur Lunge. Sterbend ging auch das zweite Tier des Pärchens nieder, das von… nun was? Toten Trollen angelockt worden war?
Glücklicherweise war keiner meiner Gefährten schlimm verletzt worden. Es linderte etwas die Scham, die ich empfand, weil mein schwacher Körper sich nicht rechtzeitig aus dem Schlaf erhoben hatte. Doch die beiden Krieger wirkten nicht über die Maßen erbost, einen typischen Spruch von Groam hätte es so oder so gegeben und so konnte ich lächeln.
Dann endlich konnten wir so etwas wie einen Hauch von Erholung mitnehmen, ehe die Sonne aufging. Einzig Olo, der sich wohl irgendein beruhigendes Kraut in die Pfeife gemischt hatte, wirkte wirklich frisch wie der Morgentau und aß mit großem Vergnügen sein Frühstück.
„Miyako, möchtest du heute den Stein an dich nehmen? Vielleicht hast du noch andere Eindrücke als Groam oder ich“, richtete ich mich an die KanThai.
Die starrte mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Sicherlich nicht…ich bin doch nicht verrückt“, schien sie sich nicht verkneifen zu können. Ein Schmunzeln konnte ich wiederum nicht verhindern. So gab es doch wenigstens eine Sache, die man bei Miyako vorhersagen konnte, wenn sie doch sonst undurchschaubar blieb.
Wir packten unsere Sachen und brachen wieder auf. Es wurde ein beständiges Auf und Ab durch einen besonders hügeligen Teil des Fußes der Melgar-Berge. Zumindest ich merkte die Folgen der Nacht, die anderen waren in dieser Hinsicht weitaus weniger wehleidig und marschierten stillschweigend vor sich hin.
Da spürte ich ein…Ziehen. Unruhig blickte ich über die vor uns liegende Landschaft. Da war ein Einschnitt in die Berge. Und die Rose in meiner Hand begann Wärme auszustrahlen, während meine Sinne entkörperlicht wurden und es sich anfühlte als würde ich durch die Erde dorthin rasen. Stock und Stein zogen an mir vorbei, die Bäume über mir, eine tief liegende Hitze weit unter mir. Dann manifestierte sich etwas vor mir, das mir bekannt war…aber nicht in dieser Intensität.
„Ich weiß, wo wir hinmüssen“, richtete ich mich an die anderen. Stumm nickten sie mir zu und ich führte sie in den Einschnitt hinein. Einige Stunden vergingen, während wir bis zu seinem Ende liefen und die Rose beginnen immer wärmer zu werden, wenn auch niemals heiß und unberührbar. Sie führte mich, zog mich, riss mich weg und es brauchte einige Willenskraft, die letzten Meter nicht einfach loszurennen und langsamere Gefährten zurückzulassen.
Wir erreichten eine hoch aufsteigende Felswand, beinah am Ende dieses „Korridors“. Sie wirkte auf den ersten Blick unscheinbar, doch die Rose der Macht spürte, wo sie hinwollte. Ein Wille? Langsam begann das alles seltsam zu werden.
Und in der Wand erkannten wir eine abgehobene Stelle, welche durch einen feinen Spalt vom Rest getrennt zu sein schien. Als wir uns näherten, flackerte sie auf und helle Linien zogen sich über den Stein hinweg.
„Zwergentüren sin‘ schwerer zu finden“, brummte Groam nur, während sich ein Bild vor uns abzuzeichnen begann. Es waren Wirbel und Formen, die an Nebel erinnerten. Ein verwirrendes Schauspiel und schließlich prangten sieben Punkte hervor, sie wirkten wie Ankerpunkte des sie umgebenden chaotischen Durcheinanders.
„Sieben?“, fragte Miyako.
„Das könnten die Essentien sein“, mutmaßte ich. „Aber das waren acht.“
„Na, sieben sind draußen und einer ist dahinter“, grummelte Groam. Überrascht blickte ich zu dem Zwerg hinüber, das machte erstaunlich viel Sinn. Der Zwerg blickte nur auffordernd abwechselnd zu mir und auf den Bernstein in meiner Hand und so trat ich an die leuchtende Felswand heran. Ich hörte, wie Miyako hinter mir zischend Luft einzog und dann drückte ich mit dem Stein der Macht wahllos gegen einen der sieben der Punkte.
Ein kurzes Zittern, als der Bernstein in seinem sanften Licht aufflackerte, dann machte die Steintür einen Ruck um anschließend gleichmäßig im Boden zu versinken. Dahinter lag ein Gang in dem es bläulich zu schimmern schien. Entschlossen sahen Groam, Miyako, Olo und ich uns an und wir begannen unseren Abstieg in die Tiefe.
Es wurde bald offensichtlich, dass das Licht von seltsamen Pflanzen ausgestrahlt wurde, die unseren Weg begleiteten, der ohne Umwege und große Schnörkel davon führte…bis er sich in einer gewaltigen Höhle öffnete. Meine Kinnlade fiel mir auf die Brust und beinah wäre ich vor Ehrfurcht auf die Knie gegangen.
Der Fels schwang sich auf mehr als fünfzig Meter hinauf und das hintere Ende der Höhle war nicht zu sehen, denn ein mächtiger Urwald versteckte sich hier unter den Melgar-Bergen. Gewaltige Stämme, die sich vor den ältesten Riesen des Broceliande nicht zu verstecken brauchten, ragten wild empor, beinah bis zur Decke. Der Boden war von einer wilden Decke aus Moos und Gras überzogen und überall wuchs diese leuchtende Pflanze, hüllte diese Welt in ihr mysteriöses Licht. Wenn wir die Rose des Lebens finden wollten, dann hier.
schöner Tagebucheintrag 🙂