Am nächsten Tage saßen wir gemeinsam bei einem Frühstück, für das die Dörfler wohl das Beste herangebracht hatten, was sie besaßen. Während wir aßen, sammelten wir Ideen, wie wir nun weitermachen sollten. Wir waren im Wald von Escavalon, oder eher gesagt in seinen Randgebieten. Irgendwo sollte einer dieser Steine sein – doch das war schon alles, was wir hatten. So blieb einmal mehr Nichts, außer die Ohren zu spitzen und dem Schicksal zu lauschen.
Da setzte sich Gustaff zu uns, der einmal tief durchatmete und wartete, bis wir unser Mahl beendet hatten. Dann setzte er an.
„Wir hatten hier im Dorf nicht von ungefähr die Befürchtung, dass sich ein Monster im Stollen eingenistet hat…es gab Berichte aus den umliegenden Dörfern, insbesondere denen im Süden. Eine gewaltige Kreatur, die bereits Dutzende Menschenleben auf dem Gewissen haben soll. Aber die Beschreibungen, von den wenigen Zeugen, die es gab, klangen nicht nach einer Spinne. Eher nach einem großen Hund… oder so. Das bedeutet, dass da draußen noch irgendetwas ist, das uns alle gefährdet.“
„Und Euch wäre daran gelegen, wir würden es erlegen?“, schloss Garric.
„Im Sinne der Menschlichkeit allemal! Hört, ein bis zwei Tagesmärsche südlich liegt Arthedhainn – dort gab es wohl einige Verschwundene.“
„Verschwundene oder Tote? Drückst dich ganz schön unklar aus“, grummelte der Zwerg.
„Nun, wohl…Verschwundene. Aber wenn man einen Menschen tagelang nicht mehr sieht, dann…“
„Ja, ja“, schnappte Rotbärtige und rülpste genüsslich nach seinem letzten Schluck des morgendlichen Biers.
„Wir werden unser Bestes geben, um der Gefahr ein Ende zu bereiten“, brachte ich mich schließlich ein, um den vermeintlich von uns überzeugten Vorarbeiter nicht gänzlich zu schockieren. „Könntet Ihr uns für die Reise ausstatten?“
„Aber sicher, ich werde es veranlassen. Ihr werdet hier immer willkommen sein!“
Mit diesen Worten machte der Mann sich auf zum Wirt und klärte unsere Verpflegung ab. Wenig später standen geschnürte Bündel vor uns, die uns sicherlich gut versorgen würden. Dann dauerte es auch nicht mehr lang und wir hatten wieder Sack und Pack bei uns und reisten über den südlichen Weg weiter in den Wald hinein.
Es war ein angenehmer Ritt zwischen den licht beieinander stehenden Bäumen. Die Nähe der Menschen hatte dem Wald zwar seine Urtümlichkeit genommen, doch immerhin war auch der Schrecken fort, den die Tiefen des Unergründeten mit sich tragen konnten.
Für die Nacht fand ich schnell einen guten Rastplatz nahe des Weges, der uns durch dichter stehende Bäume und etwas Gestrüpp Schutz von mehreren Seiten bot, falls sich doch eine Bedrohung nähern sollte. Aber die Sterne schienen vorbeizuziehen, ohne, dass eine größere Gefahr auftauchte – das ohrenbetäubende Schnarchen des Zwergs ausgenommen, das zweifellos dafür sorgen würde, dass im Falle eines Angriffes alle direkt wach waren…
Am zweiten Tag dieser kleinen Reise merkten wir rasch, dass wir weiter in den Wald vordrangen. Mittlerweile war auch das eine oder andere Großwild zu sehen, wenngleich es rasch davonsprang, wenn es uns entdeckte. Auch die Bäume selbst zeigten, dass die nächsten Dörfer mindestens einen Tag entfernt waren: sie wirkten alt und mächtig während Moose ihre Stämme überwucherten.
Das Lager, welches ich am Abend für uns aussuchte schien nicht ansatzweise den Schutz bieten zu können, den wir noch einen Tag vorher genossen hatten. Die Bäume standen hier weit auseinander, es gab keinen Felsen oder einen Teich, der unsere Flanken begrenzt hätte. So blieb auf eine ereignislose Nacht zu hoffen…
Die Welt schien dieser Hoffnung Hohn zu lachen, erschallte doch bei Miyakos Wache um Mitternacht ihr lauter Ruf: „Angriff! Spinnen!“
Mit einem Satz war ich von der warmen Decke, griff mit meiner einen Hand den Stoßspeer und mit der anderen zog ich Energie aus dem Rindenholz, das bei mir war. Binnen Sekunden verfestigte sich meine Haut und ich trat hinaus. Wenn Miyako beim Anblick der Achtbeiner schon um Hilfe rief, konnte es nicht gut aussehen…
Einen Moment lang suchte ich fahrig den umliegenden Wald ab. Wo waren die Angreifer? Lediglich die Dunkelheit selbst schien sich um uns herum zu bewegen, wandelnde Schatten, die sich aufbäumten und niedersanken, ein Schauspiel uns allumfassender Bedrohung… zwischen den Bäumen wimmelte es von den Spinnen. Mindestens zwei Dutzend stürzten auf unser Lager zu, allesamt beinah so groß wie Maglos, der sie durch lautes Kläffen von den Pferden fernzuhalten schien.
Ohne Zögern schoss ich nach vorn, die Speerspitze auf die mir nächste Kreatur gewandt – es waren zu viele Gegner um eine beruhigende Aura auszustrahlen. Mein Erscheinen war zunächst unbemerkt geblieben und nur noch ein kurzes Funkeln aus acht tiefroten Augen streifte meine Gestalt, da drang das Eisen meiner Waffe in den Leib und die Spinne sank ohne jeden Laut zu Boden.
Keinen Moment später zerschlug Miyako ebenfalls eine Gegnerin, während sich auch der Zwerg mit seinem Stielhammer aus dem Zelt mühte. Doch dann formierte sich der Schwarm und beinah jeder von uns sah sich binnen Sekunden umringt. Spinnfäden schossen um uns herum, triefende Zangen packten nach unserem Fleisch. Durch große Schwünge mit der gesamten Länge meines Speers, versuchte ich die Tiere auf Abstand zu halten – da traf mich ein Faden mitten im Gesicht und raubte mir jede Sicht und ohne Luft holen zu können, knickte ich ein. Ein Angriff auf meinen Rücken, weitere Fäden. Binnen weniger Sekunden war ich fast gefangen und riss mit schwächlicher Kraft an den klebrigen Netzen…
Dann war ich wieder frei. Ich atmete tief, ein, rollte mich zwischen den Spinnen hindurch und verschaffte mir einen neuen Überblick – der Zwerg blutete bereits während Miyako sich ihre Gegner souverän vom Leib hielt. Immer wieder zog sie die Spitze ihres Schwerts durch den Dreck und warf so Staub auf, der ihre Gegner blendete. Garric und Olo schienen indes Maglos beizustehen und unsere Pferde zu verteidigen.
Der Zwerg schien schließlich seinen Ehrgeiz zu entfachen – es konnte wohl nicht sein, dass ein Elf bereits einen Gegner erschlagen hatte. Wagemutig sprang er vor und mit einem gewaltigen Überkopfhieb zerschmetterte er eine Spinne. Eine Sekunde verharrte er, atmete durch…und gab sich die Blöße. Drei weitere Spinnen rissen ihn zu Boden, ihre Beißzangen durchdrangen gleich mehrfach seine Haut und Blut schoss in Fontänen aus dem Krieger heraus.
Doch keiner konnte zur Hilfe eilen. Bereits wieder zwei Netze umspannten meinen linken Arm und das rechte Bein, meine Bewegungen waren eingeschränkt und die Gegnerschar kaum zu überblicken. Da traf mich ein Biss, der dieses Mal sogar durch meine rindene Haut drang. Ich spürte wie ein Brennen durch meinen Körper zog, das von Gift kündete. Und ich zog Stärke aus dem Schmerz.
Mit einem wilden Aufschrei schlug ich um mich, zerfetzte dabei einer Spinne mit dem Speer das Gesicht und den Großteil ihrer Augen. Quiekend stürzte sie nieder, während ich nach meinem Angreifer ausholte und mein gesamtes Gewicht in den Angriff legte. Fauchend stürzte sich mir die Kreatur entgegen, angestrengt, noch einen Treffer zu landen – nur verfügte ich über die längere Reichweite. Die Spinne spießte sich förmlich selbst auf, dass ich Mühe hatte, meine Waffe frei zu bekommen. Währenddessen wurden mir zwei Dinge gewahr: einige Spinnen begannen den Zwerg davon zu schleifen. Aber Miyako hatte auch nur noch eine Gegnerin, sodass hier bald neue Hoffnung zu schöpfen war.
Die vor meinen Augen verkümmerte. Es war dieser eine Augenblick, da die Aufmerksamkeit der KanThai schweifte, das Schlachtfeld allgemein musterte… und die direkte Gegnerin vernachlässigt wurde. Ein schneller Stoß und die Kriegerin lag am Boden, kräftige Zangen durchbohrten gegerbtes Leder und schließlich ihre Haut. Ihre natürliche Disziplin verhinderte einen Schrei, aber sicherlich mussten einige Eingeweide verletzt sein.
Ich hatte nur noch eine Spinne vor mir, welche abzuwägen schien, ob der weitere Kampf mit mir lohnend war, wo doch bereits fette Beute gemacht wurde. Ein kurzes Klacken, dann die Entscheidung und der Angriff nach vorn. Keuchend hüpfte ich über sie hinweg und nutzte den Stoßspeer als Sprungstab. Die nach unten gerichtete Spitze durchbohrte die zentralen Organe des Biests und nagelte es an Ort und Stelle fest.
Nun hatte ich einen Moment der Ruhe und ließ beruhigende Energien auf die Spinne einfließen, die gerade daran war, Miyako einzuweben. Irritiert ließ sie von ihrer Arbeit ab und betrachtete mich einen Moment lang aus acht glühenden Augen. Dann schien sie sich zu schütteln und schoss in den Wald davon.
Viel Zeit blieb nicht, daher riss ich meinen Stoßspeer frei und eilte dort entlang, wo die Spinnen den gefangenen Zwerg entlanggeschleift hatten. Die Spuren waren eindeutig… bis sie verschwanden. Rasch schaute ich nach oben und erblickte den hochgezogenen Sack aus Spinnfäden, in dem sich dunkel eine Gestalt abzeichnete, die, so laut es die Netze durchließen, zu fluchen schien. Über dem Zwerg hingen die Spinnen im Baum und beobachteten mich boshaft. Einen Moment lang zweifelte ich daran, dass ich das überleben würde – dann stieß ich mit meinem Speer durch den armdicken Haltefaden und der Corpus des Zwergen sackte zu Boden. Ein lauter, zwergischer Aufschrei, dann packte ich den Sack und schleifte ihn unter Aufbietung all meiner Kräfte zurück ins Lager…und die Spinnen blieben wo sie waren.
Schweißüberströmt kam ich im Lager an und befreite den Zwerg sowie Miyako von ihren Fäden.
„Hättst auch schneller kommen können“, maulte der Zwerg los.
„Oder die Spinnen gleich wegschicken“, hakte Miyako ein.
„Das kann er? Du verfluchter…“, knurrte der stämmige Krieger.
„Dafür brauche ich einen ungestörten Moment – den ich nicht habe, wenn fünf Meter von mir entfernt vier Spinnen stehen“, wandte ich ein, doch meine Logik blieb ungehört.
„Ach so ein Quatsch. Siehst aus wie’n Baum, dafür ist Zeit. Bist auch blöd wie einer“, murrte der Krieger abschließend und auch Miyako schien sich dieser Hasstirade am liebsten anschließen zu wollen. Ungläubig starrte ich die beiden an.
„Dann lasse ich dich wohl am nächsten Mal am besten im Geäst hängen?“, fragte ich nach.
„Ja, wär‘ was. Haust mich runter, wie so’n alten Sack. Hat verdammt weh getan.“
Ungeachtet der Proteste begann ich damit, die Wunden der beiden zu verbinden, wenngleich ihre Tiraden schließlich doch meinen Zorn erregten und ich die Verbände im halbgaren Zustand an ihnen ließ.
„Denk übrigens daran, das nächste Mal einen besseren Lagerplatz zu suchen“, ergänzte Miyako schließlich.
„Nun…gut“, erklärte ich mit zitternder Stimme. „Soll ich die Naturkräfte nutzen, um eure Wunden zu schließen?“
„Mach ma‘“, grunzte der Zwerg.
„Wie heißt das?“
„Mach! Verdammter Elf, wofür hast‘ so große Ohr‘n?“
Fragend wandte ich mich an Miyako, die den Kopf schüttelte. „Dieses Zauberwerk… demonstriere es zunächst bei unserem Begleiter.“
Der stand mit fordernder Miene da.
„Geht das auch höflicher?“, fragte ich den in seinem ganzen Charakter mir in diesem Moment zutiefst widerwärtigen Bergschrat.
„Haste das verdient? Ne…glaub nich‘“, erwiderte der Zwerg, der offensichtlich unter Schmerzen litt, aber lieber seine Spielchen trieb. So beschloss ich, den beiden eine wohlverdiente Lektion in Höflichkeit zu geben und ließ sie mit ihren Wunden zurück. Rückgratlose Selbstaufopferung überließ ich lieber anderen.
Nachdem ich meine Meditation beendet hatte, graute bereits der Morgen und wir brachen wieder auf; der Zwerg trotz seiner Wunden offensichtlich belustigt, wo sich Miyako anzuschließen schien. Kopfschüttelnd schwang ich mich auf mein Pferd und seufzte angesichts meiner Gruppe zum wiederholten Male.
Es war der Mittag des vierten Tages als wir die kleine Ansammlung von Hütten erreichten, die Arthedhainn genannt wurde. Das offensichtlich einzige Gasthaus mit seinem Stall wurde unser erster Anlaufpunkt, um zunächst unser Gepäck unterbringen zu können. Das Schild zeigte einen dicken, lachenden Mann in brauner Robe, der sein Ebenbild in dem Wirt zu finden schien.
„Willkommen im einsamen Priester, wertgeschätschte Reisende!“, erklärte der Mann auf Comentang, als wir eingetreten waren. Offensichtlich schien er das Gehabe eines albischen Mönchs zu imitieren
„Grüße, Wirt. Wir bräuchten Zimmer für die Nacht, sowie ein Mittagsmahl“, erklärte Olo.
„Jaja, hab noch drei Schimmer, außerdem noch gut was schum essen.“
„Bitte, wen hast du?“
„Drei Schimmer! Und was schum essen! Schwätsch ich Twyneddisch?“
„Achso, Z-z-zimmer! Und z-z-zu essen! Was kostet das denn, in Z-z-zahlen ausgedrückt?“, betonte der Halbling den offensichtlichen Sprachfehler des Wirts.
Der machte allerdings ein finsteres Gesicht und schien den gewöhnlichen Preis spontan nach oben zu treiben. „Für euch… ein Goldstück. Für das…Schimmer. Und für euer Essen vier Silberstücke.“
Wir gaben dem Mann, was er verlangte und als wir schließlich einen dampfenden Teller vor uns hatten, begann der Zwerg den Mann auszufragen. Dieser druckste ein wenig herum, wenngleich er sich als einer der vier Mitglieder des Dorfrats bezeichnete, was nicht für den gesunden Zustand Arthedhainns sprechen konnte. Zur Bestie und den Opfern wusste er wenig mehr zu sagen, als dass es bereits vier Verschwundene gab. Für Weiteres sollten wir uns umhören, mehr wusste der „Herr Dorfrat“ nicht – ein bescheidenes Zeugnis.
Nach dem Essen suchten wir den gegenüberliegenden Gemischtwarenhändler auf, der sich beinahe so gesprächig verhielt wie der Möchtegern-Priester. Es dauerte einige Zeit, bis wir schließlich die Information erhielten, dass das erste Opfer der Jäger des Dorfs war – unglücklich für alle Beteiligten. Daran schlossen sich drei Bauernknechte an, die zum Vorsteher Koll gehört hatten. Deren Namen wiederum waren kaum bekannt. Man konnte beinah meinen, bei Arthedhainn handele es sich um eine gewaltige Stadt und nicht um die Ansammlung eines dutzend Hütten, so wenig sich die Bewohner gegenseitig zu kennen schienen…
Beim Getreidesilo fanden wir schließlich diesen Koll; ein großer und ungeschlachter Bauer, dessen kleine Augen finster dreinblickten, bis wir unsere Fragen gestellt hatten. Binnen weniger Sekunden wich die Farbe aus seinem Gesicht und der soeben noch beinahe furchteinflößende Mann schrumpfte in sich zusammen.
„Eine schreckliche Kreatur. Ich habe… Ausmaße erkannt. In der Dunkelheit bewegte sich etwas, dann leuchteten Augen grell auf. Ich habe mal von einer riesigen Katze aus dem Süden gehört, beinah so groß wie ein Pferd mit einer zottigen Mähne. So eine Ausgeburt hätte es sein können! Ein schrecklicher Dämon!“
Anschließend stapfte Koll davon, wankte, scheinbar unsicher, ob er in Tränen ausbrechen oder sich erbrechen sollte. Mit betrübter Stimmung sprachen wir uns getrennt im Dorf herum. Als wir uns am Abend wiedertrafen, grummelte zunächst der Zwerg, dass er keine neuen Informationen habe. Wahrscheinlich hatte er sich im „Einsamen Priester“ drei Bier eingefahren und es gar nicht erst versucht. Miyako indes hatte mit einem weiteren Zeugen gesprochen, der ebenfalls von einer katzenartigen Kreatur sprach. Gemeinsam mit Olo hatte ich abschließend zu sagen, dass es einen Dörfler gab, der das riesige Biest nach Westen hatte fliehen sehen.
Nachdem wir diese Informationen zusammengetragen hatten, schien es uns sinnvoll, Wache über Arthedhainn zu halten. Das letzte Verschwinden war einige Zeit her und es stand zu befürchten, dass die Bestie erneut auf Jagd ging. So machten wir uns auf den Weg zum Getreidesilo und bereiteten uns für die Nachtwache vor. Die Waffen bereit gelegt, die Sinne geschärft verteilten wir uns, um eine möglichst große Fläche im Blick zu behalten.
Bis Olo und Garric die Müdigkeit überkam und sie ins Gasthaus zurückgingen. Wenig später nickte auch der Zwerg ein – immer noch geschwächt, von den massiven Wunden, die ihm die Spinnen beigebracht hatten. Und noch immer zu stolz, um Hilfe anzunehmen. So verblieben nur noch Miyako und ich. Zwei stumme Wächter über dieses kleine Dorf, das bereits vier seiner Bewohner verloren hatte. Die vom Dorfrat selbst aufgestellten Verteidiger patrouillierten lediglich an der Hauptstraße – eine Maßnahme, um die Einwohner zu beruhigen und nicht ansatzweise nützlich, um gegen die Bedrohung eines wilden Tiers gewappnet zu sein.
Miyako wirkte alsbald wie eine Statur. Mit gerader Körperhaltung und ausdrucksloser Mine stand sie da, die Hand nicht am Schwertgriff – sie würde es ohnehin schneller ziehen können als es die meisten überhaupt wahrzunehmen vermochten. Ich wirkte da wohl etwas fahriger, ging ich doch beständig auf und ab, den Stoßspeer bereits in den Händen, um jederzeit einen schnellen Angriff ausführen zu können. Immer wieder blickte ich auch zu Maglos hinüber, der auf einer kleinen Anhöhe in Ruhe zu dösen schien. Seine feine Nase würde ihn zweifellos wecken, sollte sich die Kreatur nähern – sollte es ein gewöhnlicher Räuber sein.
Aber diese Nacht sollte ereignislos vergehen und nachdem wir den Zwerg aus seinem Schlummer geweckt hatten, kehrten wir drei zurück ins Gasthaus, wo uns Garric und Olo am Frühstückstisch erwarteten. Mit tief hängenden Augenlidern gesellten wir uns zu ihnen und sogleich offenbarten sie uns neue Erkenntnisse. „Es hat noch ein fünftes Opfer gegeben“, meinte Olo zwischen zwei Bissen. Garric fuhr fort: „Ein Alchemist außerhalb des Dorfes. Er hat nicht viel mit den Einwohnern zu tun, daher scheint sein Verschwinden kaum jemanden zu scheren. Nach ein wenig hin und her, konnten wir herausfinden, wo sein Haus liegen müsste.“
Die Augen rollend kümmerte ich mich um mein karges Frühstück. Von der Furcht, die umgehen sollte, wenn bereits fünf Menschen einer wilden Kreatur zum Opfer gefallen waren, schienen die Menschen entweder verschont oder gelähmt. In beiden Fällen würde es erklären, warum sie nur in den allerkleinsten Häppchen (selbst von den Dorfräten) wichtige Informationen herausrückten.
Nach dieser kurzen Erholung brachen wir bereits auf. Es wurde ein Weg querwaldein – der Alchemist schien seine Abgeschiedenheit wahrlich gewertschätzt zu haben. Über Stock und Stein, zwischen Busch und Baum, vorbei an Tier und Vieh, bis wir am Abend eine kleine Hütte erspähten, die sich zwischen den alten Stämmen des Waldes zu verstecken schien.
Vorsichtig näherten wir uns, bemerkten, dass keinerlei Spuren von Gewalt Drumherum zu sehen waren.
Die Tür war unverschlossen und wir traten ein. Auch hier keine Spuren von Gewalt, lediglich ein verwaistes Haus, das neben seinem gewöhnlichsten Mobiliar wie einem Bett lediglich Schreibtisch und ein kleines Regal mit Schriftrollen aufweisen konnte. Verschiedenste Informationen zu abstrusen Themen der Alchemie bei denen selbst Garric gelangweilt den Kopf schüttelte. Doch von weitaus größerem Interesse für uns war ein kleines, schmuddeliges Büchlein, das noch aufgeschlagen auf der Tischplatte ruhte.
„Er schreibt von einem Stein“, erklärte unser Gildenmagier nachdem er die letzten Einträge des Tagebuches überflogen hatte. „Dieser soll eine gewisse Wärme ausgestrahlt haben…und hat offensichtlich das Wesen des Mannes nachhaltig beeinflusst. Kein Satz aus den letzten Wochen lässt ihn unerwähnt. Eine Art Bernstein, dessen Kräfte es dem Alchemisten ermöglichten, Hasen mit bloßen Händen zu fassen…sogar einen Wolf hat er getötet.“
Einen Moment sann er nach, dann setzte er an: „Bernstein wäre der Essentia Erde zuzuordnen, wenn wir beim Schema bleiben, welches uns Feanor ausgehändigt hat. Dieses hängt auch mit den weltlichen Sinnen zusammen. Es scheint, als hätte der Alchemist tatsächlich eine Rose der Macht gefunden. Diese Kraft scheint ihn förmlich zerfressen zu haben. Zum Schluss schreibt er, dass er eine Höhle aufsuchen wollte, um dort weiter zu forschen…“
„Steht dort, wo sich diese Höhle befindet?“, hakte Miyako ein.
„Ja, bei einem Ahorn, einige Schritte davon entfernt ein Wacholderbusch und schließlich eine Spalte im Fels.“
„Das dürfte zu finden sein“, mutmaßte ich. „Allerdings nicht in der Dämmerung, wenn die Stunde der Bestie ist.“
Die anderen stimmten mir zu und wir schlugen unser Lager im Haus des verschwundenen Trankmischers auf. Hier schienen wir hervorragend geschützt gegen mögliche Gefahren und tatsächlich konnten wir eine ruhige Nacht verbringen, was gerade für Miyako und mich wichtig war, da wir uns nun zwei Tage in Folge auf den Beinen befanden.
Entsprechend ausgeruht erhoben wir uns am nächsten Tag und machten uns auf die Suche nach dem beschriebenen Baum. Der lichte Wald machte das Unterfangen vergleichsweise angenehm, da eine sich nähernde Gefahr schnell ausgemacht wäre. Doch die Tiere schienen die Umgebung ohnehin – wegen unserer Anwesenheit? – zu meiden. Am Mittag hatten wir, nach immer weiter um das Haus gezogenen Kreisen, den Ahorn mit dem nahen Wacholderbusch ausgemacht. Binnen weniger Sekunden war Miyakos scharfen Augen dann der Spalt in der Felswand aufgefallen, die sich nur wenige Meter entfernt erhob. Es wirkte wie ein kleiner Hügel, der aus dem Waldboden herausragte und die Innenwände des schräg hinab weisenden Eingangs waren deutlich kühler als die Umgebung. Vorsichtig ließ Olo Fackellicht hineinfallen, sodass auch die Augen unserer menschlichen Begleiter den ungefährlichen wenn auch engen Abstieg erkennen konnten. Nach gerade einmal drei Meter schien sich der schmale und niedrige Spalt bereits zu öffnen und wir beschlossen, uns hindurch zu zwängen. Garric überkam jedoch plötzlich ein Schweißanfall.
„Das ist…zu eng…zu stickig…“, japste er und ließ sich auf den Hosenboden fallen.
„Ich glaube, ich mache der armen Seele erst einmal einen Tee“, grinste Olo und begann, aus der Umgebung Holz für ein Feuerchen zusammenzusuchen. Miyako, der Zwerg und ich ließen die beiden zurück. Immerhin würden sie im Tageslicht eher sicher sein als wir, die wir uns nun in die Höhle des Löwen begaben.
Nachdem wir den Innenraum dieses Felsverstecks erreicht hatten, erhaschte aber auch uns der kalte Hauch des Unbehagens und sämtliche Nackenhaare stellten sich mir auf. Der Boden war übersät mit Skeletten sowohl menschlicher als auch tierischer Natur – allesamt abgenagt, zum Teil sogar aufgebrochen und ausgelutscht. Einige der Toten trugen noch die fetzenhaften Reste von ledernen Rüstungen. Den Schutz, den diese gegen die Angreifer geboten hatten, schien fast lachhaft, wenn man sich die Wunden betrachtete: durch hohe Gewalt gebrochene und zerschmetterte Knochen zeichneten ein furchterregendes Bild.
Zwischen diesem Unheil standen zwei Tische, vollgepackt mit dem Material, das nur einem Alchemisten gehören konnte: diverse Glaskolben, kleine, kontrollierbare Öfen mit höchstens kleiner Flamme. Die, wenn nicht schon verschimmelten, so doch eingetrockneten Mixturen in diversen Stößeln und Flakons wiesen darauf hin, dass dieses Behelfslabor seit einiger Zeit stillstand – unplanmäßig. Doch der Besitzer hatte uns keine Nachrichten überlassen: keine verschriftlichten Ahnungen, drohenden Unheils.
Fest umschlossen wir unsere Waffen, selbst Miyako zog bereits ihr Schwert. Gefahr lag in der Luft und vorsichtig folgten wir dem einzigen Gang, der aus der Höhle hinausführte. Nach bereits fünf Metern wurde klar, dass dieser nach links weiterführte, aber rechts schien er sich in eine deutlich geräumigere Öffnung zu erstrecken. Entschlossen hielten wir darauf zu und gelangten tatsächlich in eine hohe und breite Höhle. Doch ein tiefes Knurren beantwortete unsere Antwort und wir sahen uns ebenfalls einem Dreiergespann gegenüber. Links und rechts hielt sich jeweils ein Wolf mit schwarzem Pelz und rot glühenden Augen. Verpestete Energien hatten ihnen jede Seele geraubt und zu Monstern werden lassen, die aus reiner Vergnügung töteten. Ich spürte den dunklen Hauch abnormer Lebenskraft, der ihnen anhaftete. Sie waren Opfer eines Fluchs, der schwer auf dieser Welt lastete – doch ich kannte kein anderes Heilmittel als den Tod. Bitterkeit stieg in mir auf, wenngleich mir klar war, dass dies das Ende eines langen Leidensweges sein würde, würden wir sie erschlagen.
Doch der Anführer des kleinen Rudels überstieg seine Brüder noch. Mindestens eine halbe Armeslänge ragten seine Schultern höher und der Geifer sprühende Kopf wurde von einem schwächlich, golden schimmernden Stein gekrönt. Ein Bernstein, dessen grob erkennbare Form zwischen den verwachsenen Wulsten des Tiers an eine Rose erinnerte.
Wir hatten den Stein der Macht gefunden – in krankhafter Symbiose mit einer gefährlichen Bestie. Die Opfer, die das zur Folge hatte, ließen sich im hinter uns liegenden Raum finden. So blieb uns nur eine Wahl und stumm hoben wir die Waffen, um dem Rudel zu begegnen. Ihre Jagd sollte hier enden.
Der Bernsteinwolf schrie markerschütternd auf, dann sprang das Trio mit roher Gewalt auf uns zu – die vier Meter mit einem Satz überwindend, die zwischen uns gelegen hatten. Doch wir stoben auseinander, einem Schwarm gleich, in die ein Räuber einzutauchen hoffte. Plötzlich umzirkelt knurrten das Rudel auf, aber unser Gegenangriff erfolgte bereits. Blitzschnell stieß ich mit der Spitze meines Speers dem ursprünglich rechten Wolf in die Flanke, während Miyako auf der anderen Seite der Höhle mit einem fließenden, fast langsam wirkenden Angriff den Hals ihres Gegners erwischte. Eine Blutfontäne schoss zur Decke und besprenkelte die KanThai, doch das bösartige Tier blieb auf den Beinen. Unerbittlich setzte die Schwertkämpferin nach, aber unglaublicher Weise rollte sich der Wolf unter ihrer nächsten Attacke davon! Aber Miyakos Takt war noch immer im Gange. Der nächste Streich, eine nicht endende Folge, die selbst diese boshafte Kreatur an ihr Ende brachte und weiteres Blut schoss aus der neuen Wunde im Brustkorb. Schweres Keuchen, ein Jaulen – ihr Gegner gab dennoch nicht auf!
Zuletzt schwang der Zwerg in weitem Bogen seinen gewaltigen Stielhammer. Der große Wolf sprang zurück, glitt direkt wieder heran – und fiel auf die Finte des Kriegers hinein. Mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit ruckte er den schweren Kopf seiner Waffe zurück und dieser zweite Schwinger traf genau auf das Schultergelenk des rechten Vorderbeins, das unter einem lauten Knirschen nachgab. Knochensplitter traten unter dem Fell hervor, aber das Biest zeigte keinerlei Regung. Lediglich der Bernstein flammte kurz auf und Hautmassen schoben sich über die zerschmetterten Knochen. Eine verwachsene Masse blieb, doch das Biest griff ungestört wieder an.
Mein Gegner stieß erneut auf mich zu, diesmal jedoch etwas bedachter und tief geduckt. Mein Speer schoss über ihn hinweg und scharfe Zähne schlossen sich um meine Wade, um erbittert an ihr zu zerren. Es war zu hören, wie das Leder zerriss, dann ging das Reißen tiefer, zertrennte Fleisch und schabte über den Knochen. Wut packte mich und ich zerrte an jener rohen Wildheit des Lebens, bis mir eine rote Glut über die Augen glitt und tierische Kraft in meine Muskeln floss. Mit dem stumpfen Ende meines Speeres stieß ich nach unten und traf den Wolf an den Wirbeln, dass er fauchend zurückwich.
Da traf der Zwerg den Meisterwolf mit der vollen Breitseite seines Hammers in den Brustkorb – Rippen brachen, wenn sie nicht gar zerstückelt wurden. Das gewaltige Tier, so groß wie der Zwerg selbst, wurde nach hinten getrieben. Blut spuckend taumelte es, dann schimmerte der Bernstein wieder auf. Eine fleischige Wulst schob sich über den schweren Treffer, dann schrie der Wolf.
Eine Erschütterung jagte durch den uns umgebenden Fels, Steine bröckelten von der Decke, fadendünne Risse zogen sich durch den Boden und es war wie ein Schlag, der durch Mark und Bein ging. Der Zwerg suchte noch nach dem Gleichgewicht nach seinem wuchtigen Angriff, sodass es ihn niederwarf. Mir glitt der Speer aus der Hand und Miyako – stürzte sich ungeachtet des Chaos‘ wieder auf ihren Gegner. Aber das Beben brachte sie aus dem Tritt und sie stolperte. Der Dunkelwolf stieß nun ihr entgegen und riss sie durch einen mächtigen Sprung von den Beinen. Ein Ruck schoss durch ihren Körper, als sie auf den Boden prallte, das gesamte Gewicht des übergroßen Raubtiers auf sich. Das Schwert entglitt ihren Fingern und die Augen verdrehten sich vor Schmerz während sich die Kiefer des Biests oberhalb ihres Bauches in den Brustkorb gruben.
Entsetzt griff ich nach meinem Speer, die heiße Wut in meinen Adern. Der dunkle Lebensfluch zeichnete diese Kreaturen und dies würde hier und jetzt enden. Doch ich übersah den nächsten Angriff des Dunkelwolfs. Es wurde dunkel vor meinen Augen, als sich der Biss um meinen Kopf schloss – Blut schoss hervor, das Gefühl in meinen Beinen versagte und unfähig, mich zu bewegen oder überhaupt irgendetwas zu fühlen, sackte ich zu Boden.
Mit starren Augen, die ich nicht einmal mehr zu schließen vermochte, beobachtete ich, wie sich der Zwerg nach oben stemmte und den drei Wölfen gegenüberstand, die ihn nun boshaft zu umkreisen begannen. Dann zuckte kaum merklich der Kopf des Anführers und das Trio griff an.
Der Krieger schwang zur Antwort seinen Stielhammer in einem so großen Bogen, dass er sich ein Stück weit mitdrehte. Die Bestien wichen zurück, gerade rechtzeitig, um einem verheerenden Treffer des eisernen Kopfes zu entgehen. Dann griffen sie versetzt an.
Ein erster Sprungangriff, den der Zwerg mit dem Stiel seiner Waffe beantwortete. Das harte Holz krachte gegen die Schnauze des Wolfs und warf ihn zu Boden.
Der nächste Angriff, von hinten – Reißzähne blitzten auf, das Licht unserer am Boden liegenden Fackel reflektierte sich im spritzenden Geifer. Doch der Krieger war sich seiner Umgebung bewusst und mit einem beherzten Tritt mitten in die Fratze des Wolfes trieb er auch diesen Angriff zurück. Ein Kriegsschrei seines Volkes galt dem Bernsteinwolf als Antwort auf dessen Jaulen und er zuckte zurück!
Die Dunkelwölfe erhoben sich wieder. Doch dies war der Moment des Zwerges. Mehr als eine Sekunde hatte er nicht gebraucht, um erneut zu einem gewaltigen Schwinger auszuholen. Er schlug los und begann sich dabei zu drehen! Einem Kreisel gleich fegte er durch den Raum, einmal, zweimal. Der Kopf des Hammers traf den Schädel von Miyakos ehemaligem Gegner und zermalmte ihn vollständig. Ein dritter Schwung, immer noch dieselbe Bewegung, die Welt verschwamm unter den wirbelnden Attacken des Zwergs und sein Angriff war nicht zu erahnen. Der Leib des getroffenen Dunkelwolfes krümmte sich unnatürlich, als er gegen die nächstgelegene Wand geschleudert worden war – die Wirbelsäule in sich gestaucht und gleichzeitig zerrissen.
Dann war da nur noch der Bernsteinwolf. Dunkel glommen seine Augen, als er auf den Krieger zuschoss, der seine Attacke soeben beendet hatte. Doch der Hass hatte das Tier blind gemacht. Die Fänge schlossen sich um das Holz der Waffe, die zur Verteidigung hochgerissen wurde. Ruckartig verdrehte der Zwerg die Waffe und das Biest ließ los. Mit der Spitze stach der seinem bernsteingekrönten Gegner sogleich vor die Brust. Vor Schmerz zuckte der Wolf zurück – und der nächste Schlag folgte sogleich.
Eine Explosion aus Farben schoss durch die Höhle, geisterhafte Schemen flogen durch den Raum. An den Wänden tanzten körperlose Schatten im Reigen des Wahnsinns und bizarre Kreaturen erhoben sich rund um den Wolf – der Zwerg hatte den Schädel mit einem Hieb gespalten und die Rose der Macht beinahe ebenso, die nun zu Boden gefallen war. Die merkwürdigen Gestalten schienen an der Leiche des gestürzten Wolfs zu zerren und rissen ein geisterhaftes Abbild empor. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Es schienen nur wenige Sekunden vergangen, als ich wieder zu mir kam. Was wohl von den letzten Momenten vor meiner Ohnmacht Realität und was Schmerztraum gewesen war? Der Zwerg zumindest stand da, vor der Leiche des Wolfes und musterte die Bernsteinrose, die im Gegensatz zu meiner Einbildung unversehrt war. Außerdem waren da noch die anderen beiden toten Bestien, die dem Zorn des Kriegers nicht hatten standhalten können.
Dan-narmo Lilta, schoss es mir durch den Kopf. Der wider den Wolf tanzt.
Dann trat der Zwerg auf mich zu und verwundert blickte ich zu ihm auf. Es dauerte einen Moment, bis ich die Hand erkannte, die er mir zur Hilfe hinstreckte. Mit ins Gesicht gezeichnetem Staunen ergriff ich sie und ließ mich nach oben ziehen.
„Ilfarin Tinuhên“, holte ich nach, was lange ausgesetzt war.
Einen Moment grummelte der Zwerg etwas, aber dann sagte auch er: „Groam Bärentod.“
Es dauerte einige Minuten, bis Miyako und ich so weit waren, dass wir wieder selbstständig laufen konnten. Groam nutzte die Zeit, um den Bernstein in dickes Tuch einzuwickeln, da es ihm offenbar befremdlich gewesen war, was auch immer er bei direktem Kontakt gespürt haben mochte. Anschließend zogen wir uns zurück, denn eine finstere Aura lag in der Luft – ob wegen den Wölfen oder den Erscheinungen, falls es sie wirklich gegeben hatte, war nicht zu erklären. In dem kleinen Zwischengang legte ich die Hände auf meine Kopfwunde und ließ meine Sinne nach den natürlichen Heilkräften tasten, die bereits daran waren, sie zu schließen. Behutsam ließ ich das bisschen, was ich noch an Kraft in mir hatte, in diesen Prozess einfließen und binnen weniger Sekunden schloss sich die Wunde unter meinen Fingern. Ich atmete mehrfach tief durch, dann blickte ich fragend zu den anderen. Skeptisch tastete Miyako meine frisch geheilte Haut ab, ob sich nicht irgendeine abartige Machenschaft darunter verbarg. Schließlich nickte sie missmutig und wies mir ihre Wunde. Es war ein schrecklicher Treffer, der zudem einige Rippen zerschrammt hatte. Sorgsam legte ich meine Hände auf und begann einen unterstützenden Singsang während ich ihre natürlichen Heilkräfte unterstützte. Sie besaß bereits von sich aus einen starken Körper und als ich meine Energie darbot, schien sich das vielfach abzuzeichnen. Nach einer Minute war die Wunde beinahe vollkommen geschlossen und nur noch eine dünne, rote Linie zeigte, wo der beinah verheerende Biss angesetzt war. Miyako nickte mir sogar anerkennend zu.
„Groam?“, fragte ich nun auch den Zwerg.
„Bei allem Ernst, Ilfarin, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir auf Tuchfühlung gehen können!“, knurrte der Zwerg zur Antwort, was mich schmunzeln ließ.
Der noch offene Gang dieser Höhle führte nur zu einem weiteren Ausgang, sodass wir kehrtmachten und Olo sowie Garric abholten. Die beiden erwarteten gespannt unsere Erzählung, bei der ich keinerlei Einzelheiten ausließ oder sie noch eher ausschmückte. Dann machten wir uns auf den Rückweg nach Arthedhainn.