Bevor wir aufbrachen, entfernte ich mich etwas von dem notdürftigen Zeltlager, das die überlebenden Arthlinner beherbergte und holte die Rose aus Rubin hervor. Vorsichtig öffnete ich die Schatulle, die sie – oder eher uns – beschützen sollte und begann eine Meditation. Den Blick fest auf das magische Artefakt gerichtet, versuchte ich dessen magisches Wesen zu ergründen. Ich erwartete irgendeine Form von… Gefühl. Die Bernsteinrose hatte zugänglich und vertraut gewirkt. Geias blaugrünes Artefakt hingegen hatte mir einen geistigen Schlag versetzt.
Dann riss es mich fort. Mir war, als würde alles dunkel werden, ehe ich langsam und verworren meine Sicht wiederfand. Alles wirkte seltsam…unecht. Doch weniger war es eine Täuschung, als vielmehr eine alte Erinnerung, so oft aus den unteren Schichten des Gedächtnisses hervorgeholt und so oft mit schwerwiegender Bedeutung versehen, dass sie fern davon war unverfälscht zu sein. Und so sah ich eine Frau mit langen, braunen Haaren. Sie trug eine Robe, die von glänzenden Fäden durchzogen war. Die Arme waren ausgebreitet, bewegten sich gleichermaßen im Rhythmus einer magischen Beschwörung und dem Tanz der Körpersprache. Denn sie hielt eine Ansprache vor einer Gruppe von sieben weiteren Personen, die mir nur schemenhaft in den Blick kamen. Ein gewaltiges Flammenmeer umhüllte uns allesamt – die sieben und die achte sowie mich, den Beobachter, der weniger beobachtete als sich erinnerte. An etwas, das er niemals erlebt hatte.
Ich nahm einen tiefen Atemzug und sah wieder die weite, trostlose Ebene von Mallachtéara vor mir. Ein kurzer Moment des Innehaltens, dann blickte ich wieder auf das Artefakt und diesmal spürte ich eine gewisse Wärme – ähnlich zum angenehmen Glühen der Muskeln nach einer anstrengenden Tätigkeit, wenn man spürt, dass der Körper arbeitet. Der Stein versprühte eine eigene Dynamik, verhieß Geschwindigkeit und Stärke zugleich und umrandete das mit dem heißen Kuss des Feuers, der die Luft um mich herum langsam auszutrocknen schien.
Ich brauchte lange, bis ich mich aus der Faszination herausgerissen hatte und die Schatulle wieder verschloss. Dann kehrte ich zu Groam und Miyako zurück, die mich bereits fragend anblickten.
„Auch an diesen Stein ist ein Geist gebunden“, erklärte ich ihnen und gab eine kurze Zusammenfassung meiner Vision. „Wie Cirdor an den Bernstein und Geia an die Rose des Lebens. Ich weiß leider nicht den Namen der Frau, die an diesen Rubin gebunden ist. Aber es steht zumindest außer Frage, dass die Seelen dieser großen Zauberer von einst an ihre Artefakte gebunden wurden.“ Nicht, dass diese Ausführungen für Groam und Miyako irgendetwas geändert hätten. Ersterer fragte sich gerade ohnehin, wo er noch Alkohol für die Reise finden konnte und letztere sah dies sicherlich als einen weiteren Beweis für die Schlechtigkeit der Magie an sich. Indes empfand ich Kummer, denn ich mochte mir vieles vorstellen können, aber eine Ewigkeit an ein Ding gefesselt zu sein – ohne eine Chance, jemals die letzte Reise antreten zu können. Es mochte vielleicht nur ein Splitter der Persönlichkeit sein, doch an Geia hatten wir gesehen, welches Leid ein solcher Splitter erfahren konnte. So weit, dass es in den Wahnsinn trieb.
Zu dritt machten wir uns noch einmal zu Doronvath auf. Die zehn Pferde, welche wir von den Wegelagerern erbeutet hatten und für uns eindeutig zu viele waren, standen noch in den Ställen Arthlinns. Wir fanden die oberste Druidin als sie gerade die ersten Bauarbeiten innerhalb der Mauern beaufsichtigte, die nicht nur im Wegräumen von Schutt bestanden. Ein Zeichen des Neuanfangs. Obwohl die ältere Frau erschöpft wirkte, begrüßte sie uns erfreut.
„Wie kann ich euch helfen?“
„Grüße, Doronvath. Wir haben noch einige Pferde in euren Stallungen, die wir nicht benötigen. Könnte Arthlinn mit ihnen etwas anfangen?“, erklärte ich.
„Sicherlich. Es wäre äußerst großzügig, wenn ihr uns diese lassen würdet. Aber ihr wisst sicherlich, dass wir Euch keine Entschädigung zahlen können.“
„Das ist nicht notwendig. Wir müssten die Herde bis nach Téamhair bringen und obwohl wir Maglos dabeihaben… Mallachtéara hat sich als tückisch genug erwiesen.“
„Ich weiß nicht, wie ich euch noch meinen Dank ausdrücken kann, nach allem, was ihr für unser Dorf getan habt. Möge eure Reise mit Frieden und Ruhe gesegnet sein“, erwiderte die Druidin und damit war die Sache abgemacht. Der Zwerg wirkte zwar etwas stutzig angesichts der Tatsache, dass wir gar kein Gold erhielten, aber da schien er einen Moment geschlafen zu haben.
Dann brachen wir endgültig auf. Zunächst zwei Tage querfeldein nach Süden, um sämtliche Straßen in der näheren Umgebung Arthlinns zu meiden. Es mochten sich durchaus noch einige der Banditengruppen in der Gegend herumtreiben ohne zu wissen, dass ihr Auftraggeber von Groam hingerichtet worden war. Mit der Karte, die wir in Téamhair erstanden hatten, war es dann leicht, die Straße wieder zu finden, um auf dieser die Reise fortzusetzen.
Nach sieben Tagen erreichten wir dann ohne weitere Zwischenfälle das spirituelle Zentrum Erainns. Wir verkauften rasch die Pferde an die Frauengarde Téamhairs, ehe wir vergebens einen Alchemisten aufsuchten. Die Gefechte in der Mallachtéara hatten unsere Vorräte an Heilmitteln erschöpft und wenn wir eines mittlerweile sicher wussten, dann war es das: die Suche nach den Rosen der Macht war stets mit Blut befleckt.
So ließen wir bereits am Tage unserer Ankunft Heiligtum und Siedlung hinter uns und begannen die Flussschifffahrt nach Cuanscadan – dem Hafen der Heringe. Dieses Tor Erainns zur Welt jenseits von Vesternesse würde uns ein Schiff bieten können, das uns dann zu unserem Ziel brachte: Candranor auf Valian.
Dieser Reiseabschnitt führte uns auf dem Fluss Runan durch dünn besiedeltes Gebiet nach Süden. Der menschliche Einfluss zeigte sich nur am westlichen Ufer durch vereinzelte Gehöfte und Weiler, während sich im Osten weiter die Mallachtéara erstreckte, welche auch von einem Schiff aus betrachtet nicht ihre düstere Aura verlor.
Der Winter näherte sich langsam seinem Ende und wo uns in Alba endloser Regen erwartet hätte, blieb es in Erainn bei vereinzelten Schauern.
Dann erreichten wir auch schon die große Hafenstadt. Es zeigte sich schnell, dass dies wohl der größte Handelsposten dieses Landes war. Menschen aus den verschiedensten Gegenden Midgards trieben sich hier herum, man hörte ein halbes Dutzend verschiedener Sprachen und vor allem stach der Hafen hervor. Es schien beinah mehr, dass der Hafen sich eine Stadt geschaffen hatte und nicht andersherum. Dutzende Schiffe lagen vor Anker, die ebenfalls von den verschiedensten Baustilen geprägt waren. Von einem etwas verloren wirkenden Drachenschiff Waelands bis hin zu einem exotischen Segler aus östlichen Gefilden war alles vertreten. Einen großen Anteil schienen chryseiische Seefahrer zu haben, aber auch etliche Frauen und Männer der Küstenstaaten wuselten in diesem großen Schmelztiegel herum.
Mit einiger Verwunderung liefen wir durch die Straßen, bis wir einen vertrauenswürdigen Alchemisten ausmachen konnten. Man spürte wieder einmal, dass Olo fehlte, als es zu den Verhandlungen kam. Doch Miyako gab ihr Bestes, um den kleinen Halbling zu ersetzen. Tatsächlich gelang es ihr, den Preis etwas zu drücken, was vielleicht auch schlicht daran lag, dass der Erainner der schönen Frau einfach keinen Wunsch abschlagen wollte.
Nachdem wir wieder angemessen ausgestattet waren, suchten wir den Hafen auf. Es war schier unmöglich bei den sicher hundert anliegenden Schiffen auf eigene Faust diejenigen zu finden, die bald nach Candranor aufbrechen und auch Passagiere mitnehmen würden. So suchten wir die Hafenbehörde auf, welche uns an den Anlegeplatz 95D verwies. Dort sollte ein gewisser Velasco Caminantes von der Reederei Calderon aus Orsamanca mit der „Estrella d’Oro“ vor Anker liegen. Erwartungsvoll machten wir uns auf den Weg und kämpften uns den geschäftigen Pier entlang durch die Massen von Ankömmlingen und Abreisenden, Gepäckträgern und Kistenschleppern. Hier wurde Ladung gelöscht, da eingeladen – ein anhaltender Trubel, der mich wahnsinnig machte.
Dann erreichten wir den gesuchten Steg und die dort anliegende Estrella d’Oro. Das Schiff entpuppte sich als ein imposanter Dreimaster, der gleichermaßen robust wie elegant wirkte. Am Bug waren mehrere Wappen angebracht, die wohl Auskunft über die Herkunft des Schiffes und seiner Besatzung gab – wenn man davon etwas verstand. So blieb meinen Begleitern und mir nur über die bunt durcheinandergewürfelte Besatzung zu staunen. Die meisten entstammten wohl den Küstenstaaten, einige waren jedoch von dunklerem Teint und schienen dem weiteren Süden Lamarans. Aber da war auch ein blonder Hüne, der förmlich den Waeländer in sich herausschrie.
Was jedoch noch erstaunlicher war, als die Mannschaft, war die Ausstattung des Schiffes. Am Achterdeck hatten sie zwei Ballisten angebracht und am Vordeck sogar ein Mangonel! Weh den Piraten, die sich unbedacht der Estrella nähern wollten.
Als wir einen der Matrosen ansprachen, wurden wir zuerst schief angesehen, ehe uns der nächste heranwinkte und uns zum ersten Maat brachte. Der beobachtete gerade die Verladung der Ware, schenkte uns aber dennoch einen Moment seiner kostbaren Zeit.
„Grüße. Ich bin Fagundo Mondragon, erster Maat der Estrella. Wie kann ich helfen?“
„Seid gegrüßt, das sind meine Mitreisenden Groam Bärentod und Ilfarin Tinuhên. Ich bin Miyako Kinjo und wir suchen eine Überfahrt nach Candranor“, übernahm die KanThai das Gespräch.
„Ja, natürlich, das Ende unserer nächsten Reise. Wir haben noch einige Kajüten für Passagiere frei, die wir für euch reservieren können.“
„Das klingt doch ausgezeichnet. Wie lange wird die Reise dauern?“
„Etwa vierzig Tage. Sprecht doch kurz mit dem Schiffsjungen, er kann euch die Estrella zeigen. Ich muss noch dafür sorgen, dass hier alles ordnungsgerecht abläuft.“
Tatsächlich konnte uns der junge Nuno einiges von dem Schiff zeigen, auch wohin das Wasser abgeleitet wurde und vieles mehr (es gab sogar einen fachgerechten Abort). Die Estrella mochte das wohl fortschrittlichste Schiff sein, mit dem ich bisher die Meere bereist haben würde – was angesichts meiner eher kargen Erfahrungen nicht gerade repräsentativ sein muss. Doch auch die anderen wirkten nicht gering beeindruckt, selbst Groam war zuversichtlich, dass er diesmal heil über Wasser kommen würde. Zum Abschluss unseres Rundgangs führte uns der Schiffsjunge zum Navigator der Estrella: ein Mann namens Bartholo Demiana. Er erklärte uns, dass die Reise uns zunächst über den Golf der Blauen Wellen nach Chryseia führen würde. Nachdem wir dort in Argyra einen Zwischenhalt eingelegt hatten, würde die Route nach Süden führen, zu den Küstenstaaten. Parduna und Diatrava lagen auf dem Weg, ehe die große Strecke mitten über das Meer der fünf Winde uns einige Tage lang weitab von jedem Land führen würde. Bis wir schließlich am Ende der Reise angekommen wären: Candranor.
Anschließend bezahlten wir noch den nicht gerade geringen Preis für die Überfahrt. Aber beschweren mussten wir uns nicht, wirkte das Schiff doch endlich, wie eine solide und sichere Möglichkeit, die Meere zu bereisen.
Eine Nacht verbrachten wir dann noch in Cuanscadan, da wir an Bord den Matrosen im Weg gewesen wären. Zunächst entdeckten wir eine Spelunke, welche mit ebendiesem Namen für sich warb, und gingen geschwind weiter, bis wir im Vollen Kelch eine angemessenere Unterkunft für uns fanden.
Nach einer ruhigen Nacht, gingen wir am nächsten Tag zur Estrella; Groam, Miyako, Maglos und ich. Der misstrauische Zwerg erstand sich auf dem Weg noch rasch eine Angel, um sich auf hoher See im Notfall selbst versorgen zu können. Dabei erinnerte ich mich an die Angel, die ich derzeit mit mir herumtrug. Olo hatte diese Rute von einem jungen Twyneddin im Norden erhalten… eine Erinnerung, die in gewaltiger Ferne zu liegen schien, obwohl es gerade mal ein Jahr gewesen sein mochte.
Wie es schien, waren wir die einzigen Gäste, die von Cuanscadan aus mit der Mannschaft zusammenreisen würden. So kam es, dass die Matrosen entspannt mit uns ins Gespräch kamen. Glücklicherweise sprachen sie alle mehr oder weniger die Handelssprache. Einer der ersten Männer mit denen ich sprach, war der Geschützmeister, der mir versicherte, dass er mit den Ballisten auf dreihundert Meter genau schießen könne. Eine beachtliche Leistung, die mich staunen ließ. Wenn diese Reederei aus Orsamanca all ihre Schiffe dermaßen ausstattete und bemannte, könnte sie wohl jederzeit vom Handel auf Kriegsführung umsteigen. Eine beängstigende Vorstellung, die sich jedoch angesichts der recht freundlichen Seeleute verflüchtigte.
Die ersten Reisetage vergingen vergleichsweise eintönig. Die Estrella trug uns äußerst ruhig über den Golf der Blauen Wellen, bis wir einige Tage später Argyra erreichten. Die chryseiische Stadt wirkte wohlhabend und präsentierte einen geschäftigen Hafen, wenngleich er nicht gänzlich mit Cuanscadan mithalten konnte. Ein Landgang lohnte sich hier jedoch nicht, da wir nach wenigen Stunden bereits wieder aufbrechen würden. Allerdings bekamen wir weiteren Besuch: gemeinsam mit zwei vergleichsweise schlicht wirkenden Leibwächtern betrat eine Elfe in einem langen, roten Gewand die Estrella d’Oro. Erfreut, hier einen Angehörigen meines Volkes zu treffen, trat ich auf sie zu und begrüßte sie in Eldalyn.
„Seid mir gegrüßt. Ich bin Ilfarin Tinuhên.“
„Jasemina Alezia, sehr erfreut. Eine angenehme Überraschung einmal wieder die mütterliche Zunge sprechen zu können.“
„In der Tat. Wohin treibt es Euch? Ebenfalls nach Candranor?“
„Durchaus. Welche Ziele lassen euch Valians Herz anstreben, Ilfarin?“
„Meine Freunde und ich wollen einen gemeinsamen Bekannten nach längerer Zeit wieder einmal besuchen. Die Frage gebe ich auch gerne an Euch zurück.“
„Oh, es scheint mir angebracht, zu erwähnen, dass ich die Erzmagierin der hiesigen Gilde bin – dem Orden vom silbernen Siebenstern. In entsprechenden Angelegenheiten führt es mich daher nach Candranor. Sicherlich ist Euch bekannt, dass sich dort eine gewaltige Zahl herausragender Magier in den Gilden versammelt.“
„Dafür ist Valians Hauptstadt gut bekannt, durchaus. Kennt Ihr in diesen Angelegenheiten einen Mann namens Feanor? Er ist der Bekannte, den meine Freunde und ich besuchen wollen, und ein nicht gerade müßiger Zauberer.“
„Ja, der Name sagt mir etwas. Allerdings handelt es sich nur um eine flüchtige Bekanntschaft, dafür sind die Wege des Studiums der Magie zu weitläufig, um alle Praktizierenden zu kennen.“
„Verständlich.“
Im weiteren Gespräch ergab sich noch, dass Jasemina dieses Schiff nicht zufällig ausgewählt hatte: sie kannte den Kapitän und hatte großes Zutrauen zu ihm, was meinen Eindruck von der Estrella nur noch verstärkte. Es war faszinierend mit der Erzmagierin zu sprechen, die mir an Fähigkeiten und Erfahrung so weit überlegen war, während uns doch die Bande unseres Volkes verbanden. Aber auch ebenjene schienen zum Tragen zu kommen, als sie sich zurück- und damit weiterer Gespräche vorerst entzog. Die Neigung der Elfen, sich in Einsamkeit und stiller Nachdenklichkeit einzuhüllen, war mir gleichermaßen vertraut wie ungeliebt. Dies waren die Momente, wo ich die Lebensfroheit anderer Völker beneidete.
Und umso froher war ich über die Gegenwart der mehr als zwanzig Matrosen, die auf der Estrella zwar einiges zu tun hatten, aber in ihren Pausen gerne von den verschiedensten Schiffsreisen erzählten, die sie bereits unternommen hatten. Zwar kam die Estrella nur selten in wirklich exotische und abgelegene Teile der Welt, doch jene Strecken um die Küstenstaaten und Valian herum kannten die Männer an Deck nahezu in- und auswendig. Kapitän Velasco Caminantes achtete jedoch darauf, dass seine Matrosen nicht zu lange Geschichten erzählten. Und wehe einer spurte nicht direkt – dann offenbarte sich das aufbrausende Temperament des Herrschers an Deck. So wurde der soeben noch in einer Erzählung gewebte Traum von Freiheit auf See der knallharten Befehlsgewalt des Kapitäns unterworfen.
Doch an den Abenden nach dem Essen hatten die meisten Seemänner dienstfrei und konnten sich verschiedenster Spiele widmen. Groam, Miyako und ich gesellten uns immer häufiger hinzu – der Langeweile an Bord zu entfliehen war nicht gerade leicht, sodass man sich auch auf die manchmal etwas verschrobenen Spiele der Matrosen einließ. Die ersten Regeln lernten wir beim „Würfeljack“ und diese waren äußerst simpel: Würfel wurden geworfen, bis man sich nicht mehr traute, denn bei zu vielen Augen verlor man die Runde. Ich merkte bereits erste Anzeichen meines Würfelpechs, sodass ich dankbar zustimmte, als das nächste Spiel begann: „Hellseher“. Die mehr oder weniger sinnvollen Ansagen zum Wurf des folgenden Spielers waren einigermaßen erheiternd, wenngleich ich immer unglücklicher zu werden schien – während Groam eine Runde nach der nächsten gewann. Das dritte Spiel der Matrosen war schließlich ein Reaktionsspiel, was jedoch nicht gänzlich den Reiz ausübte, den die anderen Spielchen gehabt hatten.
So vergingen die Abende mit den Matrosen. Ich verlor einige Münzen, doch nie so viele, dass es schmerzen würde. Miyako hielt sich einigermaßen die Waage, während Groam die Matrosen geradezu ausraubte – wobei er pausenlos ein Wort in seiner Muttersprache Dvarska unablässig wiederholte…was er uns wohl sagen wollte? Aber noch ehe wir Parduna erreicht hatten, hatte er es geschafft, dass kaum einer an Bord noch mit ihm sprechen geschweige denn spielen wollte. Doch wenn es eines gab, dass der Zwerg höher schätzte als Gesellschaft, dann war es die Möglichkeit, Münzen zählen zu können. Immer wieder und wieder und wieder…
Dann erreichten wir schließlich Parduna, die größte Stadt des Fürstentums Leonessa. Hier bekamen wir sogar die Möglichkeit für einen Landgang, da die Estella hier mindestens eine Nacht verweilen würde.
Die gewaltige Stadt verblüffte mit unendlichen Eindrücken. Es schien hier in den Küstenstaaten, als würde sich die Welt versammeln. Nicht immer friedlich natürlich; die Hände waren stets nah am Geldbeutel und dunkle Gassen vermieden wir. Doch die meisten in Parduna waren zu beschäftigt, um sich mit übleren Dingen abzugeben. Hier gab es Menschen nicht nur sprichwörtlich in allen Farben und Formen, von den Angehörigen anderer Völker ganz zu schweigen. Schelmische Gnome, mürrische Zwerge, lebensfrohe Halblinge… und auch jene, die das übliche Bild aufbrachen. Wahrlich ein Schmelztiegel der Kulturen.
Uns trieb es zunächst zu einem alten Alchemisten, der ordentliche Preise verlangte, dafür aber auch ein erstaunliches Arsenal an Zaubermitteln aufbieten konnte. Mindestens die Hälfte seines Angebots hatte Namen, die mir selbst im gewöhnlichen Studium der Magie noch nicht untergekommen waren. Der Geldbeutel und die Notwendigkeit bestimmte jedoch und verbat Experimentierfreuden, sodass Miyako und ich uns mit Heiltränken zufrieden gaben. Anschließend führten uns unsere Füße wie von selbst in eines der größeren Gebäude in der Nähe des Hafens, beinah Komplex zu nennen. Zunächst gönnten wir (Groam selbstverständlich nicht) uns dort ein Bad, ehe wir im eigentlichen Gasthaus des „Sanften Rosses“ speisten – wo sich erneut die Vielfalt dieser Stadt zeigte. Delikatessen aus verschiedensten Teilen der Welt, obendrein fein zubereitet, verschafften uns eine Gaumenfreude, von der ich nach Jahren des albischen Haferschleims nicht mehr gedacht hätte, sie erleben zu können. Jüngere Ereignisse hatten uns mit genug Gold ausgestattet, dass wir uns das erlauben konnten.
„So, ihr beiden. Hier scheint’s ne ordentliche Sammlung zu geben, die danach schreit, gekippt zu werden“, schmatzte Groam erstaunlich verständlich, während er gerade eine kleine Hähnchenkeule abnagte.
„Ich werde nicht allzu viel trinken“, erwiderte ich und Miyako stimmte mir stumm zu. Der Zwerg verdrehte nur die Augen, erhob sich und wanderte zum Nachbartisch hinüber… natürlich nicht, ehe er noch drei weitere Hühnerkeulen mitgenommen hatte. Alsbald schien sich zwischen dem grimmigen Krieger und einem Küstenstaatler eine Art Partnerschaft zu entwickeln. Groam reichte seinem neuen Freund eine kleine, merkwürdige Phiole, die der Mann sogleich zur Hälfte hinab kippte. Und dann begann der Spaß.
Groam und sein Partner suchten sich weitere Männer im Gasthaus zusammen und begannen ein Gelage, wie ich es selten gesehen hatte. Dutzende Humpen an Bier, einige Flaschen Wein und zuletzt sogar noch ein Fässchen Schnaps, bis nahezu alle der feiernden Meute die Augen verdreht und eingeschlafen war – oder gleich den Sturm auf den Abort angetreten war. So saßen nur noch Groam und sein Kumpane zuletzt als Gewinner dieses Trinkspiels. Letzterer wirkte taufrisch, während selbst dem Zwerg bereits jegliches Körpergefühl entglitten war. Hicksend und lallend er mit dem Küstenstaatler zu uns.
„Ds waaar wielleischd nen Jelahche, du, des habsch so geern…“, murmelte Groam… oder vielleicht etwas anderes. Es war nicht wirklich verständlich…
„Vielleicht solltest du den Rest von deinem Zaubertrank trinken?“, riet ich dem verlorenen Zwerg.
„‘S ne unfaschba guhdee Idä, Ilfn…Ilfaaahiii… wie immer…“
Und der freundliche Mittrinker tat uns den Gefallen und flößte unserem betrunkenen Begleiter den restlichen Phioleninhalt ein. Es dauerte gerade einmal fünf Minuten, da erlangte Groam die Kontrolle über seine Zunge und einen kleines Teil seines Verstandes wieder – letzterer konnte aufgrund geringer Unterschiede ohnehin kaum im Mangel auffallen.
„Gutes Zeug“, kommentierte Groam trocken, während er sich wie selbstverständlich wieder ein Bier bestellte, sein Kumpane hatte sich indes verabschiedet.
„In der Tat… Groam, weißt du, dass du vor nicht einmal fünf Minuten etwas zu mir gesagt hast?“
„Oh Gott…was?“
„Etwas äußerst…intimes.“
„Was?!“
„Nun… du sagtest…“, ich zögerte noch einmal kurz. „… ich hätte eine gute Idee gehabt. Ein Lob.“
Der Zwerg wirkte einen kurzen Moment so, als hätte man ihn soeben geschoren, das Barthaar geflochten, in rosa eingefärbt und es anschließend als ewiges Mahnmal an die Wand gehängt. Dann schüttelte er nur noch den Kopf und ging zu Bett.
Am nächsten Morgen wollte ich eigentlich direkt zur Estrella gehen. Während Miyako und Groam zweifelsohne noch einmal wie Könige speisen wollten, fühlte ich mich nach mehr als einem Essen unwohl… deplatziert. Aber als mich der Geruch des Frühstück aus dem Schlaf weckte, entwickelten meine Füße ein seltsames Eigenleben und trugen mich unkontrollierbar zurück in den großen Raum des „Sanften Rosses“, wo Miyako bereits am überlangen Büffet entlangging und sich eine Köstlichkeit nach der anderen auf den Teller legte. Wunderbar zubereitete Eier mit Speck und vieles mehr, das einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, nicht zuletzt. Und ich erstarrte einen Moment lang voller Staunen, wie viele Teesorten hier zur Auswahl bereits lagen. Es waren weitaus mehr, als man einfach zählen konnte…
Nach dem Frühstück brachen wir aber wirklich auf. Ein kurzes Zwiegespräch mit dem Wirt hatte ergeben, dass in der Nähe eine Schmiede zu finden war, die zwergische Handwerker beschäftigte. Und da wir uns alle genötigt sahen, Waffen zu erstehen – für den Fall, dass unsere bisherigen zerbrechen sollten – machten wir uns auf den Weg.
Es stellte sich als einfach heraus, den Händler zu finden. Das Hämmern und Zischen des Schmiedens hallte laut durch die Gasse, an der das Gebäude lag. Beinah könnte man vermuten, dass die Geräusche akustisch verstärkt wurden, um als Werbung dienen zu können. Ein Schild aus ineinander verschlungenem Feineisen über der Tür wies den Suchenden zum einen auf den Eingang aber auch auf die zu erwartende, hohe Qualität hin. Ohne zu zögern traten wir ein und wurden umgehend von einem Mann begrüßt, der uns allesamt um einen halben Meter zu überragen schien. Dunkelblonde Haare und Bart schienen wild in alle Richtungen zu streben, während er seine muskulösen Arme ausbreitete, die beinah so dick wie meine Beine waren.
„Hallod Blutfaust mein Name! Willkommen in meiner Schmiede!“
„Grüße, Ilfarin Tinhuhên, Miyako und Groam Bärentod“, stellte ich uns vor, während ich den Blick schweifen ließ. Das Angebot bestand zu einem großen Teil aus Zierwaffen. Vergoldet, mit Ziereinlagen oder schlicht kampfuntauglich, um einen besonders wuchtigen oder grazilen Eindruck zu erwecken. Dass jemand mit einem solchen Namen, solche Angebote hatte, verwunderte mich etwas. Doch als er mir auf Anfrage einen Stoßspeer herbeiholte, wirkte dieser äußerst brauchbar… auch wenn Hallod mich zunehmend zweifeln ließ, da er die Waffe betrachtete, als könne sie jeden Moment zerbrechen.
„Wollt Ihr den Kasten mitnehmen, um den Speer angemessen transportieren zu können?“, fragte er.
„Das ist mir etwas zu sperrig. Die Waffe dürfte ja einiges aushalten, oder?“
„Sicher, aber bis zu ihrem Einsatz könnte wohl einige Zeit vergehen, bis ihr ihn benutzt, wenn ich mir Eure Ausstattung so ansehe. Dann nehmt doch wenigstens diesen seidenen Beutel für die Spitze mit.“
„Nun, meinetwegen. Aber nur zur Sicherheit…der Speer ist schon als Waffe gedacht, nicht wahr?“
„Aber natürlich!“, sagte der Mann, während er liebevoll den Beutel über meinen Speer stülpte. „Möchtet Ihr noch etwas Poliermittel mitnehmen?“
„Poliermittel?“, fragte ich stirnrunzelnd nach.
„Ja, damit Euer Speer immer glänzt, wenn die Sonne auf ihn scheint. Nur eine schöne Waffe ist eine nützliche Waffe, wie ich immer zu sagen pflege.“
„Ähm…“, zögerte ich kurz. „Ich glaube, ich brauche kein Poliermittel. Für mich sind das eher Werkzeuge als Kunstwerke, Hallod Blutfaust.“
„Was? Nun, das ist Eure Sache. Aber ich kann Euch nur empfehlen, etwas Poliermittel mitzunehmen. Seht nur Euren bisherigen Speer an. Das Silber ist schon ermattet, was habt Ihr denn gemacht? Etwas Poliermittel, kräftig reiben…“
„Ich brauche kein Poliermittel für meinen Speer!“, entgegnete ich – deutlich lauter, als gewollt. Draußen auf der Straße meinte ich Gelächter zu hören.
„Ist ja gut… wie kann ich denn meinen anderen Gästen weiterhelfen?“, wandte sich Hallod Blutfaust von mir ab und ließ mich mit seinem Poliermittel in Frieden.
Während Groam sich in den hinteren Teil des Gebäudes verzog – dort wo die Waffen hergestellt wurden – sprach Miyako mit Hallod über die Schwerter, die im Angebot des Händlers waren. Schließlich holte der Hüne eine große Kiste heran, die er behutsam auf den Tresen legte. Langsam hob er den Deckel an, um die darin auf einem roten Samtkissen liegende Waffe in Würde zu präsentieren. Es handelte sich um ein Schwert… das jedoch vollkommen anders verfertigt war, wie die üblichen vesternessischen Waffen. Es gab keine Parierstange, nur einen kleinen Ring am oberen Ende des Griffs. Die einseitige Klinge schien leicht nach hinten gebogen und besaß ein faszinierendes Muster im Stahl, das an Wellen erinnerte. Wie Miyako mir später erzählte, handelte es sich dabei um ein Katana – eine in KanThaiPan nahezu heilige Waffe, die selten verkauft wurde. Leider führte dies zu einem Preis, den sich die KanThai nicht leisten konnte.
So wurde es Zeit für uns aufzubrechen, nachdem Groam aus der Schmiede gekommen war. Kaum, dass wir die Estrella am Hafen erreichten, erwartete uns schon eine Überraschung: Alezia verkündete, dass sie sich gerne mit uns und der gesamten Mannschaft abends am Deck treffen wollte. Also kurz nach Ablegen aus dem Hafen, das auf die letzte Stunde vor Sonnenuntergang angesetzt worden war.
Und so versammelten sich am Abend alle an Deck. Die beiden Begleiter von Alezia hatten einige Fässer um den Hauptmast herum aufgestellt und auf eines davon hatte sich die Erzmagierin gestellt.
„Meine werten Freunde, Mitreisenden und verehrte Mannschaft“, erhob sie laut und klar die Stimme. „Es freut mich, dass ihr und ich hier einen gemeinsamen Moment erleben können. Denn dies ist ein besonderer Tag für mich: mein 200. Geburtstag! Zweihundert Jahre… eine lange Zeit, selbst für eine Elfin. Es erfüllt mich mit Freude, wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke und mit Hoffnung, wenn ich mir die Zukunft betrachte. Daher möchte ich diesen Moment nicht ungenutzt verstreichen lassen und euch an meiner Freude teilhaben lassen!“
In diesem Moment erhob sie ihre Arme, die Handflächen nach oben. Ein kurzes Flackern und plötzlich flirrten kleine Funkenhaufen über ihren Händen, einer grün, der andere blau. Sie wirkten beinah wie bunte Irrlichter. Langsam führte Alezia nun ihre Arme nach oben; es lag etwas Hypnotisches und Anmutiges in ihrer Bewegung, der die beiden Lichtkugeln folgten und dabei einen Funkenreigen hinterließen, der sich immer weiter auffächerte. Bis der gesamte Raum über den Fässern voll mit sich vermischenden, leuchtenden Funken war. Und langsam…ganz langsam legte Alezia ihre flach ausgestreckten Hände über ihrem Kopf aneinander, sodass die ihnen folgenden Lichtkugeln einander trafen… und das gesamte Deck in einem plötzlichen, bunten Spiel aller Farben erhellt wurde! Wie zischelnde Schlangen schoss das Licht zwischen uns umher. Ganze Silhouetten wurden aus kleinen Funken geformt, die daraufhin szenische Darstellungen begannen. Die gesamte Estrella verwandelte sich binnen Sekunden in eine gewaltige Lichtspieltribüne und offenbarte das enorme, illusorische Talent der Erzmagierin.
Die mit ihrem nächsten Streich die Herzen aller Männer an Deck gewann: mit einem schelmischen Lächeln brach sie kurzzeitig ihre natürliche Autorität auf und einem flinken Fingerschnipsen folgte das Ploppen zweier Fässer, aus denen nun erlesener Wein folgte. Hastig hielten die beiden Helfer der Elfin Kelche bereit, um das kostbare Rot aufzufangen und eilends an die nun johlende Besatzung weiterzureichen. Auch wir kamen nicht zu knapp und auch als seltener Weintrinker, musste ich anerkennen, dass Alezia sich beim Kauf dieser Charge nicht hatte lumpen lassen.
Unterhaltsam wurde es für uns, als wir sahen wie Groam nach seinem zweiten Glas bereits zur Erzmagierin hinüberwackelte und sie auf Dvarska ansprach. Einen Satz schien Alezia tatsächlich in der rauen und ungehobelten Sprache der Zwerge sprechen zu können, was unser Begleiter wiederum zum Anlass nahm sehr lange mit ihr zu sprechen. Oder viel mehr, zu reden, denn für ein Gespräch setzte ich durchaus eine beiderseitige Beteiligung voraus – hier sprach der Zwerg in Dvarska, da amüsierte sich lediglich Alezia. Und ließ alle im Unklaren, ob es an dem Gesagten lag oder daran, dass er einem Irrtum unterlag.
Schließlich zog sich die Elfin jedoch zurück und das magische Spektakel auf der Estrella endete. Für den Rest der Mannschaft ging die Feier jedoch weiter, bis die Fässer leer und die letzten Würfel gerollt worden waren. Nach einigen Partien „Hellseher“ verabschiedete ich mich dann ebenfalls.
Es sollte etwa vier bis sechs Tage, bis wir Diatrava erreichen würden. Dabei blieben wir recht nah an der Küste, die wir zwar nicht immer sahen, aber immer in angenehmer Entfernung wussten. Der kurze Zwischenstopp in Parduna hatte die eintönige Schiffsfahrt etwas aufgelockert, allerdings stellte sich nach einem Tag an Deck bereits der alte Trott ein, bei dem Sandkörner nach oben zu fallen schienen.
Es war einer dieser zähen Momente, als Groam, Miyako und ich am Bug standen und weit aufs Meer hinausblickten, als plötzlich Alezia an uns herantrat: „Miyako, ich habe gesehen, dass Ihr öfter mit dem Schwert übt. Bestünde Interesse eurerseits, dass wir einen Kampf bestreiten? Selbstverständlich mit bedeckten Waffen.“
Einen Moment lang sah ich tatsächlich etwas wie ein Stirnrunzeln auf Miyakos ebenem Gesicht. Die Erzmagierin wollte einen Schwertkampf? Und da suchte sie sich ausgerechnet Miyako aus? Mir wäre beinah wie Groam die Kinnlade heruntergefallen. Allerdings musste ich mir vergegenwärtigen, dass zweihundert Jahre definitiv genug Zeit sein konnte, um den Umgang mit einem Langschwert zu erlernen. Es schien nur so unwahrscheinlich, dass sich ausgerechnet eine Erzmagierin dieser Übungen annehmen würde.
Doch wenige Minuten standen die beiden Frauen bereit – die Langschwerter mit Tüchern umhüllt, um ihre Schneiden zu verbergen. Nichtsdestotrotz wäre ein Treffer nicht gerade angenehm, besaß die Waffe doch durchaus auch eine ordentliche Wucht.
„Eine Sache noch“, erklärte Miyako. „Keine magischen Tricks. Ein ehrlicher Kampf mit der Waffe und sonst Nichts.“
„Selbstverständlich“, erwiderte Alezia – dann ging es los.
Mit atemberaubendem Tempo griffen beide gleichzeitig an. Die Waffen wirbelten wild herum, schienen mal hier, mal dort zu sein und prallten nicht nur einmal gegeneinander. Die Frauen schienen einen komplizierten Schwerttanz aufzuführen, doch die Absicht, sich wirklich zu treffen, blieb unverborgen. Natürlich zog dieser schwirrende Wirbel von Schwertern die Aufmerksamkeit der gesamten Mannschaft binnen Sekunden auf sich. Alezia baute förmlich einen Wall aus Paraden um sich herum auf, um die deutlich aktivere Miyako zurückzuhalten, die um sie herum schritt und blitzschnelle Attacken auf die Elfin ansetzte. Die Erzmagierin musste sich ständig mitdrehen, um das Schwert rechtzeitig zur Verteidigung hochreißen zu können… da schoss sie vor, wollte den Angriffen der KanThai durch eine Ausweichbewegung entkommen, die sie in den Rücken ihrer Kontrahentin bringen würde.
Und verschätzte sich im Schritt. Der Ausfall geriet zu lang, das Gleichgewicht der Elfin war dahin. Miyako bestrafe diesen Fehler unerbittlich und rammte Alezia die umwickelte Spitze ihres Langschwerts gerade vor die Brust. Keuchend stolperte die Magierin zurück, fing sich aber wieder und ging diesmal deutlich aktiver auf ihre Kontrahentin los. Wenn die Spitze der Waffe unverhüllt gewesen wäre, hätte sie bereits jetzt tot am Boden liegen können.
Alezia begann einen Angriffsrhythmus, bei dem sie das Schwert permanent vor sich herschwang – es war seltsam anzuschauen, wie die Elfin immer wieder eine querliegende Acht vor sich beschrieb. Miyako fiel es nicht wirklich schwer, dieser Attacke auszuweichen, allerdings musste sie immer weiter nach hinten weichen. So entschied sie sich für einen plötzlichen Vorstoß und nutzte die Vorhersehbarkeit von Alezias Taktik. Das Schwert der KanThai zischte hoch, um die Waffe der Elfin bei Seite zu schlagen und dann schoss Miyako direkt auf ihre Gegnerin zu, um sie mit dem nächsten Hieb niederzustrecken.
Was genau das war, worauf Alezia gewartet hatte. Gerade als Miyako zum Gegenangriff ansetzte, unterbrach die Magierin ihren seltsamen Tanz, machte einen Schritt auf unsere Begleiterin zu, gleichermaßen an ihr vorbei und wirbelte herum. Die verblüffte KanThai sah nur noch einen roten Schemen an ihr vorbeiziehen, ehe sie das Langschwert quer gegen den Kopf traf.
Miyako stolperte zu Boden und fasste sich ungläubig an den roten Striemen im Gesicht – das hätte ihr auch den Kopf spalten können. Aber sie rappelte sich wieder auf und gratulierte Alezia zum gewonnenen Übungskampf. Ein erstaunlicher Kampf von zwei erstaunlichen Frauen. Die elfische Erzmagierin schien nicht nur für ihren Zeitvertreib Nahkampffähigkeiten zu trainieren.
Doch die Überraschung trat rasch in den Hintergrund, als der Ausguck ein sich näherndes Schiff ankündigte, das ohne Flagge segelte. Unruhe fuhr in die Mannschaft, die sogleich das Mangonel und die Ballisten besetzten, während wir Mitreisenden sogleich unsere Rüstungen anlegten und die Waffen bereit machten. Ich beschwor zudem noch die natürlichen Energien hervor, um meine Haut zu Rinde werden zu lassen, während Alezia mir sogar einen magischen Segen zuteilwerden ließ. Das Schiff kam indes immer näher. Es war etwas kleiner als die Estella, schien aber bizarr unterbemannt. Ich fragte mich, welches Zögern den sonst so forschen Kapitän Velasco Caminantes zurückhielt, zumindest einen Warnschuss mit der Balliste abzufeuern. Und so warteten wir sehenden Auges auf unser Verderben – es kam sodann, wie es kommen musste: sobald sich das flaggenlose Schiff so weit genähert hatte, dass Mangonel und Balliste nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden konnten, tauchten aus dutzenden Verstecken an Deck wüst aussehende Männer auf. Wild schreiend schwangen sie ihre Krummsäbel, einer hisste sogar sinnloserweise noch rasch eine Piratenflagge, um dem letzten Narren zu erklären, was hier geschah.
Rasch zog der kleinere Segler neben uns und die kapernde Meute schwang sich an Seilen hinüber, sodass binnen weniger Sekunden das Chaos ausbrach. Die Piraten landeten überall zwischen uns und der Mannschaft und wenn ich die Männer der Estrella nicht kennen würde, dann bekäme ich ernste Schwierigkeiten hier zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
Einer der Seeräuber machte mir die Unterscheidung jedoch besonders leicht, als er schreiend auf mich zu rannte. Ich machte einen Schritt zur Seite und stach schneller mit dem Speer zu, als der Mann sich umdrehen konnte. Die Silberspitze traf ihn zwischen den Rückenwirbeln und durchtrennte wichtige Nervenbahnen – der Pirat ging zuckend zu Boden.
Diese angreifenden Seemänner trugen allesamt leichte Rüstungen und Krummsäbel, manche sogar nur Kurzschwerter. Sie wirkten durchaus nicht ungefährlich, doch schienen sie nicht mit den Gästen gerechnet zu haben, die sich auf der Estrella befanden. Miyako schlug einem der Piraten zur Parade derart kraftvoll gegen die Klinge, dass sie ihm aus der Hand sprang. Verblüfft riss er die Augen auf, um nur noch besser sehen zu können, wie die KanThai seinen Bauchraum aufschlitzte. Nur wenige Sekunden später hätte Groam beinah einen Schädel zertrümmert, doch der Angreifer konnte sich durch einen Rückwärtssprung gerade noch aus dem Gefahrenbereich zurückziehen – die Delle in den Planken würde der Zwerg wohl bezahlen müssen.
Mein nächster Gegner erwischte mich beinah unvorbereitet, doch es schien mir, als hätte ich im letzten Moment ein seltsames Ziehen gemerkt, das mich gerettet hatte. Dann fiel ich im Gegenzug aus und bohrte den Speer durch die Flanke des Mannes. Mit einem Aufschrei riss er sich jedoch frei, und setzt mir wieder zu. Es war ein wilder Krieger, dessen dunkles Haar überall am Kopf zu wuchern schien. Allerdings wurde er sogleich von einem seiner eigenen Männer angerempelt und stolperte unter dem deutlich hörbaren Knirschen seines Fußgelenks auf mich zu.
Was mich derart unerwartet traf, dass er mir den Speer aus der Hand schlug.
Indes hatte Miyako mit ungeheurer Präzision eine weitere Lunge perforiert und den dazugehörigen Piraten ins Jenseits befördert. Auch Groam ließ sich nicht mehr aufhalten, hatte schließlich seinen ersten Kontrahenten mit einem Schwinger so tief erwischt, dass beide Kniescheiben zertrümmert worden waren – der Seeräuber war vor Schmerzen bereits ohnmächtig geworden. In ebendiesem Moment erkannte der Zwerg meinen kurzen Moment der Unpässlichkeit und machte einen Ausfallschritt mit dem Stielhammer. Mein Gegner schien einen Schwinger erwartet zu haben…und gluckste nur noch überrascht, als sich die Spitze von Groams Waffe durch seine Kehle schob.
Schnell hob ich meinen Speer auf, dann schoben der Zwerg und ich uns als Zwei-Mann-Keil über das Deck – und erledigten innerhalb der nächsten Minute drei oder vier weitere Angreifer. Miyako wurde einige Zeit von einem Piraten aufgehalten, doch auch der flinke Kämpfer konnte nur ein kurzweiliges Hindernis für den Schwertsturm der KanThai sein und brach schließlich nach drei heftigen Treffern zusammen. Den nächsten Kontrahenten besiegte unsere Begleitung noch einmal weitaus schneller, scheinbar angespornt von Groam und mir.
Dann trafen wir drei uns wieder, nachdem wir uns im Durcheinander an Deck kurzzeitig verloren hatten. Vor uns war der letzte, noch stehende Seeräuber – der aber dennoch nicht aufgeben wollte. Er lieferte noch ein erstaunliches, letztes Gefecht, doch als ich ihn schließlich mit einem Flankentreffer fixierte, holte ihn Groam mit einem Treffer des Stiels seiner Waffe auf die Knie und er wurde letztendlich von Miyako hingerichtet.
Während ich die Wunden von Groam und die Matrosen der Estrella versorgte, wurde das nun herrenlose Piratenschiff auf Nützliches untersucht. Neben den üblichen Verbrauchsdingen wie einer großen Menge Schnaps fand sich jedoch nur wenig von Wert. Es wurde herübergeholt, was gebraucht wurde, dann wurde der Schnaps verteilt, um für eine brennbare Grundlage zu sorgen. Caminantes brachte unser Schiff auf sicheren Abstand – und überreichte dann Miyako den Bogen und damit die Ehre, das Piratenschiff mit einem Brandpfeil auf den Grund des Meeresbodens zu schicken.
Es war ein Blattschuss – soweit man das bei einem Schiff sagen konnte. Innerhalb von Sekunden züngelten die Flammen über das gesamte Deck des Piratenseglers und schwarzes Rauch stieg gen Himmel. Groam wischte sich indes eine Träne weg und flüsterte: „Warum ist der ganze Rum weg?“
Doch zu seinem Glück war genug Alkohol gerettet worden um die Trauer über den Verlust von noch mehr Alkohol in Alkohol ertränken zu können.
Zwei Tage später erreichten wir Diatrava am späten Abend, nächtigten allerdings an Bord. Die größte Stadt Sereneas hatte mit Sicherheit einiges zu bieten, allerdings schienen Groam, Miyako und ich noch immer gesättigt von den Eindrücken aus Parduna. So verzichteten wir auf einen, ohnehin nur kurzen, Landgang und warteten, bis das Schiff wieder ablegte.
Das Gefühl ewiger Weite trug über diese blaue Welt. Der Blick in alle Richtungen kündete vom Wasser. Eine Intensität die den fernen Kuss, die sanfte Berührung der Erde zu leugnen schien. Es gab zwei Arten, diese eigentümliche Welt wahrzunehmen. Die eine lag in der Furcht. Das Gefühl eines sicheren Standes, der heißgeliebte Hafen, der Grund, der einen errette – das alles lag in unsagbarer Ferne. Doch der andere Umgang mit der blauen Welt lag in der Hoffnung. Eine im wahrsten Sinne entwurzelte Vorstellung von Freiheit. Die unvorstellbare Weite vor sich, die Zwänge der gesellschaftlichen Ordnung hinter sich. Wenngleich all dies nur zu oft von einem herrischen Kapitän zerschmettert wurde. Und es wurde klar, dass man vielleicht nicht so fern und so frei war, wie man es manchmal in den Schenken erzählte. Erzählte man es nicht vielleicht gerade deshalb?
Nach vielleicht zehn Tagen über das endlos wirkende Meer der fünf Winde erreichten wir schließlich Candranor. Den Ursprung des einstigen Valianischen Imperiums. Der Ausgangsort von großer Stärke… die schließlich in großes Grauen gekippt war. Candranor kündete immer noch von unglaublicher Macht. Die Stadt war von nicht überschaubarer Größe und im Hafen lagen hunderte Schiffe an, allesamt wie magisch angezogen von den riesigen, weißen Leuchttürmen der Stadt. Hinter den unzählbaren Häusern am Hafen lagen sodann auf den Hügeln der Insel gewaltige Prachtbauten. Villen, Türmen, Tempel, Bibliotheken, Kolosseen – allesamt aus Marmor und hell von der Sonne erleuchtet.
Mit großem Dank verabschiedeten wir uns von Kapitän Caminantes und seiner Mannschaft. Ebenso von Alezia, die nun auch an ihrem Ziel angekommen war. Dann standen wir für einige Momente etwas ratlos im schwirrenden Treiben dieser gewaltigen Stadt. Schließlich fragten wir uns durch und suchten zunächst ein Badehaus auf, um uns nach der langen Seefahrt wieder einmal anständig zu reinigen.
Es war Gero, den wir beinah vergessen hatten, weil er sich im Unterdeck der Estrella verborgen gehalten hatte, der uns anschließend informierte, dass wir Feanor im Westlichen Tempel des Elementarsterns treffen sollten. Dies war eine nicht geringe Entfernung, wie der Hausdrache uns aufmerksam machte. So nahmen wir eine Kutsche, während Gero selbst längst auf dem Weg war, um seinen Meister über unsere nahende Ankunft zu informieren. Die von uns gewählte Fahrt mit der Kutsche über die Insel Tanit erwies sich für die nächsten Stunden schlimmer als die gesamte Schifffahrt an Bord der Estrella. Am Ende übergaben wir dem verrückten Kutscher mit wackligen Knien sein Geld und ich wünschte ihm beinah das nächste Schlagloch an den Hals.
Doch wir waren an unserem Ziel. Nach etlichen Trideaden, immerhin war bereits Bärenmond, würden wir unseren Auftraggeber wiedersehen. Das Gebäude seiner Gilde, dem Elementarstern, war für valianische Verhältnisse beinah unscheinbar zu nennen. Doch obwohl der primär verwendete Baustoff Holz war, besaß das Haus drei Stockwerke und wirkte gleichermaßen robust wie durch seine feine Außenverzierung elegant. Hinzukam, dass wir am Rande Candranors waren und hier bereits etwas von der nicht urbanisierten Insel Tanit sehen konnten. Es war unvorstellbar, dass wir so lange mit der Kutsche gefahren waren und nicht einmal gänzlich aus der Stadt herausgekommen waren…
Wir schritten zur Pforte des Gebäudes, über der ein großer, detailreicher Elementarstern eingeschnitzt worden war. In jedem der Zacken fanden sich szenische Darstellungen wilder Stürme oder tosender Meere und was noch die jeweiligen Elemente charakterisieren mochte. Wir wurden von einer älteren, rüstigen Dame erwartet, die wahrscheinlich bereits ahnte, dass wir diejenigen waren, die Gero angekündigt haben dürfte, aber dennoch nachfragte.
„Wer seid Ihr?“
„Nun, ich bin der Fährtenleser dieser Gruppe – Ilfarin Tinuhên. Ich wurde angeheuert von Meisterhändler…“, und ich verstummte. Diese Zeiten waren vorbei, wie mir wieder einmal schmerzlich bewusst wurde.
Fragend blickte mich die Frau an und erhielt von Miyako dann die ordnungsgemäße Vorstellung. Sie nickte uns führte uns durch das Gildengebäude, bis wir schließlich an einer Tür klopften, hinter der uns eine lang nicht gehörte Stimme Einlass gewährte.
Feanor saß an seinem Schreibtisch über eine Reihe Dokumente gebeugt, Gero hatte sich vor ihm auf dem Teppichboden zusammengerollt und schien seine Heimkehr sichtlich zu genießen. Was der Gildenmagier wohl Büro nannte, wäre für andere sicherlich eine ganze Bibliothek gewesen. Die Wände standen voll mit Regalen, welche wiederum angefüllt waren mit Büchern in allen Sprachen dieser Welt, wie mir schien. Auffällig war die große Zahl bunter Ziereinbände, die vom nicht geringen Reichtum der Gilde kündeten.
Der Mann blickte auf, während sich seine Kollegin hinter uns zurückzog und die Tür wieder schloss.
„Ah, welch Freude Euch wieder zu sehen!“, rief Feanor aus und lächelte breit. „Wie ist es euch ergangen… und wo ist dieser Halbling Olo?“
„Er ist gefallen, als wir durch die Mallachtéara reisten“, erwiderte ich mit bitterer Stimme.
Feanor fluchte kurz auf Vallinga, dann sprach er wieder auf Comentang: „Ich wusste, dass es gefährlich werden würde, aber ich hatte gehofft, es würde keinen von euch das Leben kosten.“
Es folgte ein Moment der Stille, beinah der Andacht, bis Feanor wieder das Wort ergriff: „Und die Rosen? Wie viele konntet ihr bergen?“
„Alle drei, zu denen du uns Hinweise geliefert hast, Feanor“, erwiderte ich und holte die Rosen der Macht hervor. Zwei in sicherer Verwahrung in den Schatullen und diejenige aus Bernstein, welche keine unmittelbare Gefahr ausströmte. Zumindest bisher nicht. Wenn man an die Besessenheit des Vorbesitzers dachte…
„Die Rose aus Bernstein, dem Element der Erde zugeordnet. Wir haben sie durch einen Kampf gegen eine Wolfsbestie errungen. Es hatte eine seltsame Symbiose zwischen dem Stein und dem Tier gegeben“, begann ich eine kurze Vorstellung. „Dann diese Rose hier, dem Element Holz oder auch dem Leben selbst zugewiesen. Wir fanden sie in einer seltsamen, grünen Welt unter den Melgar-Bergen, wo sie in einem Baum versteckt war und ein eigenes Reich begründet hatte. Und zuletzt die Rubinrose des Feuers. Ein Finstermagier hätte sie beinah gestohlen und hat dabei ein ganzes Dorf niedergebrannt. Glücklicherweise konnten wir ihn ihm letzten Moment noch aufhalten.“
Feanor nickte während der kurzen Erzählung immer wieder und wirkte anschließend äußerst zufrieden. „Eine unglaubliche Leistung, die ihr erbracht habt. Ich habe erwartet, dass ihr gut seid, aber nicht, dass ihr so gut seid. Ich bin wirklich erstaunt. Lasst uns nun tun, wofür wir die Rosen eigentlich jagen – sie sicher verwahren.“
Die letzten Worte begleitete Feanor, indem er irgendwie einen Geheimmechanismus aktivierte – ob magisch oder mechanisch konnte ich nicht einmal sagen. Ein Stück des Bodens mitsamt darauf liegendem Teppich schob sich zurück und offenbarte eine kahle Steintreppe in den Geheimkeller des Gildenmagiers. Der nun aufstand und als erster die Stufen hinabstieg. Nun waren wir es, die erstaunt dreinblickten, ehe wir dem Mann folgten.
Es ging nicht gerade wenige Meter in die Tiefe, bis wir einen etwa zehn auf zehn Meter großen Raum erreichten. Der Boden war mit einem riesigen Elementarsterns bemalt werden und am Ende jeder Zacke befand sich eine kleine Säule. Wie am Eingang des Gildengebäudes waren auch hier in jeden Bereich des Sterns passende Szenen der Elemente eingraviert worden, sodass klar zuzuordnen war, welche Rosen wo hin gehörten. Die Wände des Raumes waren mit komplexen, ineinander verschlungenen Linien und Symbolen bedeckt. Mit meinen in Téamhair erworbenen Kenntnissen der Magie, wenngleich sie noch rudimentär waren, erkannte ich, dass es sich hierbei um ein Thaumagramm handelte. Ein einziges, verdammt riesiges und wahrscheinlich mehrstufiges Thaumagramm. Es war unfassbar, welche Komplexität Feanor hier eingesetzt hatte. Und wahrscheinlich war das auch unverzichtbar, um die gewaltige Macht dieser Rosen bändigen zu können, von denen bereits zwei hier unten auf den Sockeln ruhten: eine hellblaue des Elements Luft sowie eine schwarze des Elements Magan. Eine weitere befand sich in Feanors Magierstab, was durchaus noch einmal diskutiert werden sollte – aber zu einem angemessenen Zeitpunkt.
Nun legten wir die drei neuen Rosen – Erde, Holz und Feuer – auf die passenden Sockel. Gerade als wir sie alle abgelegt hatten, glühten alle fünf Rosen plötzlich auf. Es war ein helles Licht, das uns beinah blendete und den ganzen Raum nahezu zu erhitzen schien.
Ein ferner Schimmer von Macht. Fern und hell…oder nah und matt? Groß… klein? Der Blick wurde verzerrt, ein boshafter Nebel lag zwischen mir und dieser Macht. Ein Hindernis, doch kein lebloses Ding. Etwas, das sich wand, das auch klammerte und sogar biss. Die Barriere zwischen mir und der Macht, die da so verheißungsvoll schimmerte. Ein lockendes Funkeln, vielleicht selbst eine größere Gefahr, als die Barriere auf dem Wege. Spielte das eine Rolle? Es im Anblick dieses Sterns nicht zu versuchen, war eine Tat, die auch eine Ewigkeit nicht vergessen lassen würde.
Dann war es, als würde sich ein silberner Schleier vor meinen Blick legen und die ferne Macht wegrücken. Hinter dem neuen Hindernis schien sich das Schimmern zu wandeln… Form anzunehmen. Es offenbarte sich das Monster.
Gerade rechtzeitig schien sich das Thaumagramm Feanors zu aktivieren und die gewaltigen Kräfte der Rosen einzudämmen. Allein in Anwesenheit solcher Mächte zu sein strengte uns alle vier enorm an, sodass der Gildenmagier uns wieder nach oben in sein Zimmer bat, wo er die Geheimtür wieder schloss. Es war zwar deutlich angenehmer, hier auf den Schemeln in Feanors Büro zu sitzen – allerdings war ich nicht sonderlich beruhigt darüber, dass einige Meter unter uns eine derartige Ballung von Macht lag. Ich vertraute dem Magier, keine Frage. Doch stiegen mit zunehmender Stärke auch die Versuchung und mein Misstrauen. Eine seltsame Anspannung, die jedoch noch Monate würde halten müssen, denn zwei der Rosen fehlten noch, ehe wir sie zerstören konnten. So zumindest hatte ich Feanor verstanden.
Der Magier führte uns nun in den Speisesaal der Gilde, der an diesem späten Nachmittag wie ausgestorben war. Nichtsdestotrotz wurden wir mit gutem Essen versorgt und Feanor begann zu erzählen, während wir drei und Maglos mit Kauen beschäftigt waren.
„Ich musste beinah lachen, als ich in KanThaiPan angekommen war, das kann ich euch sagen. Als ich in der ersten Stadt nach einigen Söldnern suchte, die mich auf meiner Reise begleiten würden, stieß ich auf ein Trio, das euch unheimlich ähnlich war. Ein Zwerg mit dem von eurem Volk so geliebten Stielhammer, ein Elf mit einem Speer sowie eine kanthaipanische Schwertkämpferin. Wenngleich sie etwas mürrischer waren als ihr, haben sie – offensichtlich – gute Dienste geleistet. Ihre Namen waren Thrukal Eisenstiel, Amraran Ní sowie Wynna Éltun.
Wir machten uns zu Fuß in die Berge auf, denn ich erwartete den Stein auf den sturmumtosten Bergspitzen zu finden. Es war ein beschwerlicher Weg, umso anstrengender durch den beständigen Schneefall in den Höhen des Gebirges. Wir waren bereits mehrere Wochen unterwegs, da gerieten wir in einen üblen Wind, der uns den Schnee nur so ums Gesicht peitschte. Und dann… Säbelzahntiger!
Gleich zwei dieser gewaltigen Bestien sprangen aus dem wirbelnden Chaos um uns herum auf uns zu. Glücklicherweise traf Amraran direkt mit seinem Speer die Pranke eines dieser Biester, allerdings wurde Wynna vom anderen Angreifer umgeworfen und verlor kurzzeitig ihr Schwert im Schnee. Thrukal trieb die Bestie gleich von ihr weg, doch dann begann der Kampf erst richtig. Die beiden Tiger umkreisten uns und nach dem ersten Schockangriff zeigten sie nun die Geduld von Raubtieren, die nur auf den einen Fehler zu warten brauchten, dann würde unsere Verteidigung zusammenbrechen. Ich musste meine eigenen Kräfte schonen, denn ich ahnte, was uns noch erwarten würde.
Und auf die Söldner war Verlass! Thrukal schoss vor und hämmerte seine Waffe gegen den Schädel des von Amraran geschwächten Tigers, der sich nicht einmal mehr aufbäumen konnte. Der Elf selbst und Wynn attackierten die andere Bestie, landeten beide Treffer und flankierten es. Fauchend versuchte der Säbelzahntiger freizukommen, da war Thrukal heran und zerschmetterte mit seinem Stielhammer den Rückgrat des Tiers.
Aber wir ließen uns nicht viel Zeit zur Erholung. Der Sturm war bereits sehr heftig und wenn meine Vermutung stimmte – nämlich, dass der Stein die Ursache war – dann würde er auch nicht nachlassen. Wir mussten also bis zur Spitze vorstoßen oder scheitern. Zwei Stunden später hatten wir dann auch die letzten Meter geschafft und dabei fast jegliches Gefühl für unsere Körper verloren, so biss der eiskalte Wind. Dann kam er hervor: der Luftelementargeist, als Wächter des Steins beschworen.
Ich musste all meine Kraft aufwenden, um den Sturm zu bändigen, der mit der Ankunft des Elementars noch einmal zugelegt hatte. Beinah wären wir einfach vom Wind davongeschleudert worden, doch ich schaffte es, die wilden Energien zu bändigen. Die Bühne war bereitet und ich hoffte inständig, dass die Söldner nicht versagen würden.
Gleich zu Beginn schoss der Luftelementar jedoch heran, als wäre er der Gesandte eines Donnergottes. Den Angriff Amrarans schmetterte er zur Seite und brach dem Elfen beinah die Hand, Wynna wurde direkt zu Boden geschleudert. Thrukal blieb nur dank seiner zwergischen Sturheit stehen, wie es schien.
Aber wie schon bei den Tigern, bewiesen dieses Trio erstaunliche Gegenschlagkraft. Wynna sprang mit solcher Kraft vom Boden auf, als hätte sie eine magische Kraft hervorgeschleudert. Nach einem akrobatischen Sprung über Kopf schnitt sie mit ihrer Waffe mitten durch den Elementar. Glücklicherweise war ihre Waffe wie die ihrer Begleiter von, zwar bescheidener, aber ausreichender, magischer Beschaffenheit. Das Wesen aus einer anderen Sphäre gab ein bizarres Geräusch von sich, vielleicht ein Kreischen. Dann hüllten die drei Söldner es in einen Mantel aus Angriffen ein, wie ich es nur selten erlebt habe. Sie bewegten sich wie eine einzige Person, die Attacken genau aufeinander abgestimmt, sodass selbst einem Wesen, das aus wenig mehr als aus Luft und Magie bestand, keine Möglichkeit zum Ausweichen blieb.
So überwanden die drei den Luftelementar schließlich, auch wenn sie nicht wenige Wunden und vielleicht so manche Narbe mitnahmen. Für sie blieb eine ordentliche Belohnung meinerseits und für mich die hellblaue Rose, die ihr ja vorhin bereits gesehen habt.“
Wir hatten mittlerweile fertig gegessen und nickten nachdenklich. Dann begann ich, Feanor einige Fragen zu stellen, die mir schon seit längerem im Kopf herumlagen.
„Feanor, uns ist mittlerweile aufgefallen, dass einige der Steine, wenn nicht sogar alle, einen Geist beherbergen. Insbesondere waren das ein Mann namens Cirdor und eine Frau namens Geia. Wie kann das sein?“
„Ich glaube, ich hatte euch einmal die Geschichte von den Rosen erzählt. Sie wurden aus der Asche verstorbener, äußerst mächtiger Magier geschaffen. Es scheint, als hätte sich damit ein Teil der Geister dieser Zauberer mit den Schöpfungen verbunden.“
„Was geschieht mit ihnen, wenn die Rosen zerstört werden?“
„Nun, sie sind tot und ich bezweifle, dass es sie zurückbringen wird. Vielleicht finden sie dann endlich ihren vollkommenen Frieden.“
Ich nickte kurz, dann fuhr ich fort: „In der Mallachtéara gab es einen üblen Hexenmeister, der ebenfalls versuchte, die Rubinrose an sich zu reißen.“ Nach einer kurzen Beschreibung schüttelte Feanor jedoch den Kopf, mit dem Mann hatte er wohl nie etwas zu tun gehabt.
„Aber kann es sein, dass es ‚Konkurrenz‘ gibt? Andere, die all diese Rosen an sich bringen wollen?“
„Nun, es ist klar, dass ich nicht der einzige bin, der diese Artefakte sucht und wir suchen sie ja gerade deswegen, da wir einen Missbrauch verhindern wollen. Allerdings bin ich überzeugt, zusammen mit euch der einzige zu sein, der den großen Zusammenhang erkennt und weiß, dass es wirklich für jedes Element eine Rose gibt.“
Auch wenn ich glaubte, dass Feanor hier etwas zu überzeugt von sich war, erwiderte ich Nichts weiter, es wäre ohnehin zur Spekulation. So blieb nur noch eines: „Welche Rosen fehlen noch? Und wo finden wir sie?“
Feanor lehnte sich in seinem Stuhl nach hinten und seufzte schwer. „Es fehlen noch die Rosen von Eis und Wasser und mir fehlt leider jeglicher Anhaltspunkt, um sagen zu können, wo sie sich befinden. Daher werde ich euch vorerst freistellen.“
Das kam… unerwartet. Entsprechend verblüfft schauten wir den Magier an, der uns zunächst einen Moment in der Luft hängen ließ. „Ich weiß, es fühlt sich vielleicht erst einmal enttäuschend an, aber wir haben bereits viel geschafft! Wenn ich die Rosen nicht ausfindig machen konnte, heißt das auch, dass sie gut versteckt sind. Sie werden uns wahrscheinlich nicht weglaufen. Und sobald ich etwas weiß, werde ich euch kontaktieren können!“
Mit diesen Worten überreichte er jedem von uns ein Amulett. An der Halskette hing ein von reinem Alchemistenmetall umfasster Smaragd.
„Diese Artefakte würde ich Kommunikator nennen. Über sie kann ich euch ein Signal schicken. Dann wisst ihr, dass ich etwas Neues über die Rosen in Erfahrung gebracht habe und könnt mich hier in Candranor aufsuchen.“
Dankbar nahmen wir die Amulette an, dann kam Groam zu den für ihn wirklich wichtigen Dingen: „Wie steht es denn jetzt eigentlich mit einer Belohnung, Feanor? Wir haben nicht geringe Reisekosten gehabt und darüber hinaus waren wir jetzt fast ein halbes Jahr für dich unterwegs und haben einigen üblen Mist durchgemacht.“
„Selbstverständlich werde ich euch, die diversen Kosten für die Reisen vergelten. Ich denke mit etwa dreihundert Gold für jeden von euch sollte das ausreichend sein. Außerdem dürft ihr, so lange, wie ihr es wünscht, Gäste der Gilde sein. Das schließt selbstverständlich das Essen hier im Saal mit ein. Zudem werde ich meine Beziehungen hier in Candranor spielen lassen, wenn es darum geht, Lehrmeister für euch zu finden. Ich bin sicher, ich kann da an der einen oder anderen Stelle hilfreich sein.“
Dies war eine sehr indirekte Belohnung, aber ich vermutete, dass Feanor nicht übertrieb, wenn er unseren Vorteil durch seine Hilfe anpries. So waren wir wohlgesinnt und stellten uns bereits auf einige Monate in der großen Stadt ein. Ich war jetzt schon froh, dass die Gilde sich eher am Rand befand, sodass ich zwischendurch aus dieser urbanen Welt fliehen konnte.
Doch die Anspannung blieb – was war mit den übrigen beiden Rosen? Wann würden wir endlich etwas Neues erfahren? Die Monate vergingen… und wir hörten Nichts.