Das Labyrinth von Thalassa

Zum Ende unserer Lernzeit in Usegorm waren wir drei – oder zumindest Ixcalotl und ich – uns sicher, dass wir Waeland verlassen wollten (insbesondere wegen des nahenden Winters) und nahmen daher einen Sprachkurs bei Krakar in Vallinga. Der Huatlani war dieser Sprache allerdings bereits mächtig, sodass er sich für Chryseiisch entschied, er schien da bereits so ein Gefühl zu haben…
Während dieser Wochen intensiven Sprachtrainings hörten wir immer wieder von einem Mann namens Tarukas, welcher herumlief und jedem, der es hören wollte, von einem mysteriösen Labyrinth erzählte. Unsere Aufmerksamkeit war geweckt und zielstrebig wanderten wir durch die Kneipen Usegorms, bis wir diesen Geschichtenerzähler fanden.
„Ja, ihr liegt richtig, ich bin Tarukas der Erzähler. Wer seid Ihr?“
„Wir sind die Streiter Ischkurs, Sieger des…“, weiter kam ich nicht, denn ein fieser, kleiner Ellbogen bohrte sich zwischen Rippen und Hüfte.
Die Schamanin und Besitzerin eines äußerst spitzen Armgelenks setzte das Gespräch dann fort: „Wir sind eine Gruppe Abenteurer; Abedi, Ixcalotl und ich, Leana. Uns wurde berichtet, Ihr kennt die Lage eines Labyrinths. Was hat es damit auf sich?“
„Oh ja, die kenne ich, aber versteht Ihr, ich verdiene mein Geld mit dem Erzählen…“
„Nun, versteht Ihr, dass wir die Freunde Asars, Jarl der Aeglirer, sind“, gab Leana zuckersüß zurück. 
Tarukas Gesicht wurde kurz blass, dann rötete es sich. „Sagt das doch gleich! Für Freunde des Jarls sind alle Auskünfte natürlich kostenlos! Also höret gut zu:
Man berichtete mir von einem Labyrinth aus längst vergangenen Tagen, welches sich in Thalassa befindet, einer Stadt des fernen Chryseias. Vor einigen Jahren legten die Einwohner dieser Stadt das riesige Monument frei. Nun wisset, dass man sich Legenden über einen Minotaurus erzählt, der im Kern auf Eindringlinge wartet. Viele reiche Händler dieses Landes würden gut zahlen für die Hörner dieses Ungetüms. So machten sich seit der Entdeckung immer wieder Abenteurergruppen in das Labyrinth auf, dessen Pforten sich nach jedem Eintritt für sieben Tage schließen… oder das Vorhaben gescheitert und der Minotaurus an Menschenfleisch gesättigt ist. Keiner weiß, was einen dort drinnen erwartet, doch stets gibt es neue Wagemutige, die auf den Tod des Biests drängen. Neben der Belohnung für die Hörner erhält man nämlich die Titel ‚Bezwinger des Minotaurus‘ und ‚Held von Thalassa‘.
Seid auch Ihr solcherlei Abenteurer, für die nur das Gefährlichste und Unmögliche einen Reiz hat?“
Es brauchte keine Diskussion. Rang und Ruhm für die Streiter Ischkurs? Wer konnte dazu Nein sagen!
„Da sind wir dabei. Danke für eure Auskünfte, Tarukas. Vielleicht sehen wir uns wieder“, damit verabschiedeten wir uns und gingen zu Asar.
Der Jarl war wie immer in den letzten Wochen mit der Planung des Frühlingsfeldzuges beschäftigt, denn der hereinbrechende Winter hatte seine Großmachtträume zunächst verschoben. Als wir eintraten, winkte er uns heran und versuchte uns ein weiteres Mal für sein Gefolge zu rekrutieren.
Nach einer weiteren dankenden Ablehnung, kam Leana zum Punkt: „Jarl Asar, uns drei drängt es, nach Thalassa zu reisen und dort ein Labyrinth zu meistern. Könnt Ihr uns ein weiteres Mal ein Schiff zur Verfügung stellen.“
Das Oberhaupt der Aeglirer überlegte kurz, dann meinte er: „Ja… ich habe da tatsächlich noch etwas, das für euch hilfreich sein könnte. Ein kleines Schiffchen sowie die Mannschaft unter Kapitän Prikel. Wachmänner kann ich jedoch keine entbehren, wer kampffähig ist, muss sich für meinen Siegeszug vorbereiten!“
„Das klingt gut“, meinte Leana. Ein Augenrollen angesichts des letzten Satzes unterdrückte sie gerade noch. „Wie heißt das Schiff?“
„Es hat keinen Namen. Aber fragt einfach am Hafen nach Kapitän Prikel. Ich denke, es kann nur einen Tag dauern, bis er auslaufbereit ist.“
Namenlos klang schrecklich entbehrlich, aber der Einmaster, den wir dann später am Hafen vorfanden, schien zumindest diese Fahrt noch nicht auseinanderzufallen. Der wortkarge Kapitän sicherte uns zu, dass wir den nächsten Morgen auslaufen könnten.
Somit verblieb uns noch ein Abend im eisigen Usegorm, welchen Ixcalotl und ich nutzen wollten, um zu unseren Göttern zu beten. Leana hingegen meinte nur verschmitzt zu uns, sie müsse dringend „Bedürfnisse befriedigen“. Dabei lunzte sie bereits verstohlen zu einem der Waelinger hinüber, der ebenfalls Kontakt aufgebaut hatte. Ich verdrehte die Augen und ließ sie mit ihrer Nymphomanie alleine. Zwar predigte Ischkur keine Enthaltsamkeit, aber es schien mir doch deutlich erfüllender, sich einen Partner fürs Leben zu suchen und sich nicht blind den Trieben hinzugeben.
Dass dies schließlich auch nicht immer erquickend war, bezeugte die Schamanin beim Frühstück mit einer säuerlichen Mine. Ergänzt durch eine gewisse Wortkargheit wagten Ixcalotl und ich gar nicht erst zu fragen, bevor sie wie eine Furie auf uns losging. Für mich ein kleiner Sieg der Tugend.
Nach dem Essen gingen wir zu Jarl Asar und verabschiedeten uns. Er versicherte uns wie immer, dass wir stets in Usegorm willkommen wären. Dann war seine Aufmerksamkeit auch schon wieder bei den Taktikern und wir machten uns zu Kapitän Prikel auf, welcher sein Wort hielt und wir segelten los.
Die Reise war äußerst eintönig, lediglich Leana brachte mit ihrer Querflöte etwas Unterhaltung mit. Die Waelinger schienen nicht gerade erfreut, uns wie ihre hohen Herren über die Meere zu fahren und machten sich dementsprechend bei unserer Ankunft in Thalassa schnell wieder davon.
Etwas perplex standen wir dann vor der großen Stadt, welche reich an alten Ruinen war und vor allem der einen, die wir suchten. Mit dieser Absicht waren wir definitiv nicht die ersten, denn bald kamen Kutschen in unser Blickfeld und jeder ihrer Besitzer pries marktschreierisch seine Dienste an. Ihre Wägen waren stets mit Plakaten verziert, welche bizarre Labyrinthe und verzerrte Minotaurusfratzen abbildeten.
Wir nahmen den erstbesten, welcher uns informierte, dass die Reise in die Kernstadt etwa zwei bis drei Stunden dauern dürfte, unter anderem den alten Häusern geschuldet, welche lange keinen Bewohner mehr gesehen hatten. Der Mann stellte sich uns als Goodwyn vor und wir nahmen seine Dienste an, auch wenn Ixcalotl gerne noch die gefühlt einhundert anderen gefragt und ein Wettbieten heraufbeschworen hätte.
Die Fahrt verbrachten wir schweigend, doch bei unserer Ankunft konnten wir Goodwyn dann noch dazu überreden, uns ein wenig über dieses Labyrinth zu erzählen.
„Nun, dieses riesige Gebäude sieht von außen eher wie eine Tempelanlage denn wie eine Todesfalle aus oder ein Gefängnis für dieses Monster. Es ist erstaunlich, dass es so lange unentdeckt geblieben war, bis man es vor einigen Jahren freigelegt hatte – immerhin erstreckt es sich über mehrere Kilometer! Einige der gelehrteren Abenteurer haben vor ihrem Eindringen kund getan, dass dieses Labyrinth mehrere Jahrhunderte alt sein muss, eventuell noch aus der Zeit, als die Seemeister hier residierten!
Ein kleiner Tipp für euch: ‚harte Abenteurer‘ gehen ins ‚Blutige Beil‘! Es ist gar nicht so weit von hier…“
Seiner Beschreibung folgend, war das Wirtshaus schnell gefunden und sein Name erklärte sich sogleich von selbst: in der Tür steckte ein großes Schlachterbeil auf dessen Spitze präzise der Kopf eines Mannes platziert war. Er wirkte sogar relativ frisch, aber nicht besonders glücklich über seine momentane Situation…
Zum Glück beschädigten wir diese „Deko“ nicht, als wir eintraten. Da der Tag noch nicht so weit fortgeschritten war, herrschte noch einige Ruhe und wir konnten ungestört an den etwas älteren Wirt herantreten, welcher sich uns als Erik vorstellte und sogleich einige Dinge über sein Gasthaus berichten konnte.
„Das Blutige Beil wird stets mit dem Kopf eines zum Tode verurteilen geschmückt. Der da draußen war zum Beispiel ein Menschenhändler gewesen, ziemlich miese Burschen“, an der Stelle hakte ich kurz ein und bestätigte, dass wir solches Vorgehen aus Urrutti kannten. Wir nutzten jedoch lieber Speere, worauf wir die Köpfe platzierten. Erik grinste halbherzig und setzte dann seine Erzählung fort.
„Hier ist alles kostenlos – Bier, Essen, Übernachtung, alles gratis. Mein Gasthaus lebt davon, dass jeder, der hierher kommt, freiwillig einen gewissen Betrag da lässt. Bisher hat es sich gut gehalten und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass mein Gasthaus das bekannteste und beliebteste in ganz Thalassa ist!“
Wir waren erstaunt, aber von der Idee grundsätzlich sehr angetan. So beschlossen wir auch gleich, etwas zu bestellen, bevor die langsam eintrudelnden Gesellen alles vernichteten. Leana und ich waren ziemlich erstaunt über die Größe unserer Gefäße. Aus einem „Glas Milch“ wurde ein riesiger Humpen und ein „Glas Wein“ wurde zur Flasche. Ixcalotl bestellte dann noch drei Bier – für sich drei Bier!
Der Huatlani knüpfte nun meinen Bericht über Verbrecher in Urrutti an. „Bei uns in Nahuatlan erfüllt ein jeder einen wichtigen Zweck. Wer keine Arbeit hat, kann immerhin noch die Straßen sauber halten. Doch wer Verbrechen begeht oder selbst für die einfachsten Arbeiten zu schwach ist, der wird geopfert. So erfüllt er einen großen, rituellen Zweck und dient damit der Gemeinschaft.“
Menschenopfer?! Ich versuchte sogleich mit Ixcalotl zu diskutieren, welche Götter er denn anbete, dass sie es verlangten, das Blut Unschuldiger zu vergießen. Doch sein rasch steigender Alkoholpegel machte ihn für jegliche Diskussion unzugänglich und er suchte sich dann lieber jemanden, der mit ihm mittrinken konnte.
Leana tauschte währenddessen Komplimente mit Erik aus, welche anfangs noch zaghaft, mittlerweile jedoch weitaus mehr als anzüglich waren.
Ich klinkte mich kurz ein, um wenigstens noch etwas Sinnvolles zu tun.
„Wir sollten so gut wie möglich vorbereitet sein, wenn wir in das Labyrinth eindringen. Erik, kennst du einige gute Läden hier in Thalassa, wo wir Ausstattung finden können?“
„Lasst mir einfach eine Liste da, wenn ich morgen meine Einkäufe erledige, dann bringe ich euch die Sachen mit. Aber das kostet natürlich den normalen Preis.“
Wir berieten uns kurz und stellten fest, dass es eigentlich nur noch einiger Fackeln und Wasserschläuche bedurfte, um gut ausgerüstet zu sein. Das konnte sich Erik auch so merken und auf Leanas Bitte hin, erklärte er noch den Weg zu einem der Badehäuser.
Die Schamanin und ich suchten dieses dann auch auf, aber der bereits recht angeheiterte Ixcalotl wollte sich nicht von seiner „Verzierung“ trennen und gerne weiter stinken.
Wie wir zurückkamen, war bereits ordentlich Stimmung ins Blutige Beil eingekehrt; unser Zöllner tanzte mit einigen anderen Arm in Arm auf einem Tisch und holte immer wieder eine Runde Bier – für sich.
Leana schnappte sich eine weitere Flasche Wein und begann weiter mit Erik anzubandeln. Es gelang mir noch, zu erfahren, dass vor etwa fünf Tagen eine sechsköpfige Abenteurergruppe in das Labyrinth eingedrungen war, weswegen dies noch verschlossen war. Dann warf die Schamanin dem Wirt einen eindeutigen Blick zu, gefolgt von einem verruchten Augenaufschlag, wie es die Konkubine des Kaisers von KanThaiPan nicht hätte besser machen können und der Mann vergaß alles um sich herum. Er sprang über den Tresen, packte die Schamanin, hob sie empor und rannte mit ihr in eines der Schlafgemächer.
Etwas peinlich berührt trankt ich weiter meine Milch und meinte, ab und an, ein lustvolles Stöhnen durch das wilde Treiben der Menschen um mich herum zu hören. Das könnte aber auch vielleicht daran liegen, dass einige andere Gäste noch weniger Hemmungen besaßen…
Zwei Stunden später tauchten die beiden mit breitem Grinsen wieder auf. Erik wirkte sehr erschöpft und schien alles gegeben zu haben. So zumindest schaute Leana drein, die sich mit einem wohligen Seufzer neben mir auf einem Barhocker fallen ließ. Diese Bärenmutter hatte ihren Honig bekommen!
Doch nun kam, was ich fast schon irgendwann bei diesem Lebensstil erwartet hätte. Erik begann zu betteln, dass unsere Schamanin nicht mit ins Labyrinth ging. Der arme Teufel hatte wohl noch nicht erkannt, dass Leana nicht unbedingt der klassische Beziehungstyp war. Sie winkte selbstsicher ab und meinte, dass wir das schon schaffen würden und weiterhin gestand sie ihm bereits offen, dass eine Ehe für sie nicht das passende wäre. Nicht, dass es Eriks Bemühungen beeinträchtigt hätte.
Der spielte dann auch prompt seine Rolle als Platzhirsch, als ein schlanker Mann mit blonden, langen Haaren heranschritt und Leana auf ein Glas Wein einladen wollte – in einem Gasthaus, wo alles zunächst kostenlos war. Ein paar kurze, heftige Worte, dann sprang der alte Mann wieder über den Tresen und eine wilde Schlägerei entbrannte.
An der Stelle wollte ich mir auch einmal einen Spaß erlauben und mit Ixcalotl über den Ausgang wetten, doch noch ehe ich den Huatlani entdeckt hatte, flog Blondie bereits in hohem Bogen aus der Tür.
Ein ereignisreicher und ziemlich prägender erster Tag in Thalassa lag somit hinter uns und wir beschlossen alle zu Bett zu gehen. Leana sogar in ein eigenes!
Am nächsten Tag standen unsere Sachen bereit, ebenso wie ein schön bereitetes Frühstück von Erik. Unsere Teller waren bereits üppig gefüllt, aber Leanas quoll schlicht über und sie hatte Probleme, auch nur die Hälfte in sich hineinzustopfen. Der Wirt kam dann noch einmal zu uns und berichtete, dass sich die Tore zum Labyrinth geöffnet hatten – die andere Abenteurergruppe war gescheitert. Ich sandte ein kurzes Gebet an Ischkur, die im Kampf Gefallenen aufzunehmen. Doch sie waren wohl nicht stark im Glauben gewesen und somit das Scheitern unvermeidlich.
Ich sandte einen kurzen Blick zu meinen Gefährten; Leana, welche hemmungslos ihren Trieben folgte und Ixcalotl, der gerade wieder zum Bier griff, um seine Kopfschmerzen mit erneutem Rausch zu verdrängen. Inständig hoffte ich, dass sie im rechten Moment den Fokus und den Glauben aufbringen könnten, um gegen die Gefahren des Labyrinths zu bestehen. Aber ich war zuversichtlich, schließlich hatten sie mich bisher nicht enttäuscht, trotz all der Fehler, die ihnen eigen waren.
Dann kam der Zeitpunkt des Aufbruchs. Wir ließen Erik eine großzügige Zahl an Goldstücken da, sodass sein Geschäftsstil sich wieder einmal bewährt hatte. Anschließend überlegten wir, ob wir die zwei Stunden zum Labyrinth wirklich zu Fuß bewältigen wollten und kamen stattdessen auf Goodwyn zurück, dessen Kutsche zufällig in der Nähe war. Jede Kraft, die wir sparen konnten, würde nützlich sein.
Ixcalotl war weiterhin in Gönnerlaune und bezahlte uns die Fahrt zum Eingang des riesigen Gebäudes. Seine Ausmaße überstiegen weit unsere bisherige Vorstellung. Das Gebäude, welches mehr einem Tempel, denn einem Labyrinth ähnelte, maß mehrere Kilometer der Länge der nach und mindestens einen in der Breite. Dazu gab es ein Nebengebäude, von welchem aus man diesen Komplex erkunden würde – hier befand sich das Tor, welches sich uns wie der Schlund einer gewaltigen Bestie entgegenreckte. Die Treppe, einer Zunge gleich, führte uns zu diesem Eingang. Goodwyn wünschte uns noch viel Erfolg und trieb dann eilig seine Pferde davon. Zu viele Leute schien er bereits hierher ins Verderben geführt zu haben, dass er es noch mitansehen könnte.
Wir beteten noch einmal, ehe wir in das Gebäude eintraten. Ich war voller Zuversicht, dass mein Gott mich auch dieses Mal nicht alleine lassen würde und empfand tiefe Beruhigung bei diesem Gefühl. Wir würden die Helden Thalassas werden und den Minotauren bezwingen!
Dann traten wir in den ersten Raum ein und prompt fuhren aus der Wand zwei Marmorwände, die den Ausgang versperrten. Doch es blieb hell; aus unbekannter Quelle heraus blieb die Luft erhellt und wir brauchten uns gar nicht erst abzusprechen, um zu wissen, dass wir es hier mit einem magischen Gebäude zu tun hatten – keine besondere Überraschung, aber es mahnte einmal mehr zur Vorsicht.
Die Wände waren kahl und alles, was es vielleicht einmal an Mobiliar gegeben hatte, war im Laufe der Jahrhunderte – oder Jahrtausende? – zu Staub zerfallen. Die Schamanin holte ein Pergament heraus und begann den Raum zu skizzieren, wie sie es mit allen weiteren Gängen und Verzweigungen tun wollte. So würden wir die Orientierung nicht verlieren.
Es gab drei Abzweigungen und die erste, die wir nahmen, wollte ich mit Kreide markieren. Doch diese haftete schlicht nicht an der Wand, egal wie sehr ich es versuchte. So mussten wir uns ganz auf Leana verlassen, welche mir bereits unterstellte, dass ich ihr nicht trauen würde. Da war aber jemand wieder empfindlich…
Zum Glück war sie in diesen Dingen erfahren und hatte eine neue Methode, alle Gänge und Räume übersichtlich aufzuzeichnen. Sie sprach dabei von „moderner Technik“ aus Nahuatlan, die Ixcalotl angeregt hatte, aber ich war kein Kartograph und vertraute schließlich stumpf auf sie.
Das war auch nötig, denn bei all den verwinkelten Gängen und leeren Räumen, die folgten, hatte ich bereits nach einer Stunde jede Orientierung verloren. Meine Axt bereithaltend, lief ich hinter den beiden her und brummte ab und an etwas, sobald wir über die Richtung unseres Weges diskutierten. An der Stelle musste ich einsehen, dass ich einfach Ischkurs Mann für offene Kämpfe war. Alles andere fiel mir deutlich schwerer.
So hatte ich jedoch einen genaueren Blick auf das uns umgebende Marmor, einem äußerst wertvollen Gestein, welches man in Urrutti quasi nicht vorfinden konnte. Dieses hier wies eine wechselnde Färbung auf, die mal dunkler, mal heller wurde. Allerdings schien dies keinem bestimmten Muster zu folgen und den Farbverläufen zu folgen, brachte mir schließlich nur ein, zwei Zusammenrempler mit Ixcalotl oder Leana und schmerzende Augen. So ließ ich es schließlich bleiben und lief weiter meinen Gefährten hinterher.
Leana merkte an, dass wir wohl mittlerweile nicht mehr im Nebengebäude waren und das eigentliche Labyrinth erst begann. Ich brummte unwillig, aber insgesamt kamen wir doch sehr zügig voran.
Schließlich erreichten wir eine Treppe, welche uns wohl auf eine andere Ebene führen würde… doch durch die erste Stufe trat Ixcalotl einfach durch! Ebenso durch die zweite und dritte. Schnell hatten wir begriffen, dass eine Illusion am Werke war und der Huatlani ging trotzig weiter, bis er für unsere Augen ganz in der Treppe verschwunden war. Etwas Skepsis machte sich in mir breit. Das wäre ein guter Ort für eine Falle… doch bald kam der Zöllner zurück und meinte, aus einer Sackgasse habe er nichts gefunden.
Einen Nutzen konnte ich ab dann erfüllen, als es plötzlich um uns herum dunkel wurde und wir unsere Fackeln einsetzen mussten. So brachte ich Ischkurs Licht an diesen dunklen Ort, um uns den Weg zu einem der Kreaturen des Bösen zu erhellen.
Wir eilten weiter durch die langen, verwinkelten Gänge und großen, leere Räume, bis wir eine weitere Illusionstreppe fanden. Die Öffnung zur oberen Ebene war jedoch keine Täuschung und mit gegenseitiger Hilfe spielerisch zu erreichen. Doch wir hörten auch bereits das Klicken und Klacken von Wesen, die Leana Insekten zuordnete.
So bereiteten wir uns ein weiteres Mal mit intensiven Gebeten oder Zauberei darauf vor, in den Kampf zu gehen. Meine Rüstung erstrahlte im warmen Gold, während Ixcalotls Arme an die Grenze des menschenmöglichen anwuchsen. Neu war jedoch Leanas Verwandlung; ihre Haut schien sich zu verfärben, schließlich zu verhärten und einen Moment fragte ich mich, ob etwas schief gelaufen war. Doch ein spitzbübisches Lächeln offenbarte, dass die Rinde, welche sie als Haut trug, genau das war, was sie sich erhofft hatte. Überraschend, was so alles in dieser kleinen Frau steckte.
Schnell hatten wir uns gegenseitig empor gehievt oder gezogen und machten uns bereit, die ersten Gegner im Labyrinth auszuschalten. Wenngleich wir siegessicher waren, jagte uns der erste Anblick dieser Kreaturen jedoch einen Schauer über den Rücken. Fünf hundsgroße Spinnen, welche beim Aufrichten unser Gesicht würden treffen können, krabbelten heran und zischten unheilvoll.
Ich hatte zwar keine Angst vor Spinnen, aber in der Größe waren sie mir doch etwas unbehaglich. Dennoch unterschätzte ich ihre Kraft und achtete zu wenig auf meinen Stand. So war es für die erste eine Leichtigkeit, mich umzuwerfen, als sie an mich herankam.
Ixcalotl setzte jedoch gleich einen Treffer, welches die helle, leicht grünliche Flüssigkeit aus dem haarigen Spinnenleib spritzen ließ. Doch auch seine riesige Axt hatte das Viech nicht direkt niedergestreckt – keine Gegner, die man unterschätzen durfte!
Wie durch ein Wunder traf mich nun jedoch weder die erste Spinne, noch die zweite, welche sich mir zugewandt hatte. Ein kurzer Dank an Ischkur, dann sprang ich auf eine der Kreaturen los und trieb ihr mit einem gewaltigen Hieb meine Streitaxt mittig in den Körper. Sie bohrte sich so tief ein, dass ich den Stiel mit zwei Händen greifen musste und mich einmal um mich selbst drehte, bis sich das Vieh löste und gegen eine nahe Säule klatschte.
Auch Ixcalotl traf in diesem Moment ein weiteres Mal und mit einem Hieb seines gewaltigen Schlachtbeils flogen drei Beine davon, sodass die Spinne zur Seite fiel und wild zu zappeln begann. Der Huatlani setzte einen Gnadenstoß und spaltete dabei die Reihe der acht Augen entzwei.
Ohne eine Miene zu verziehen, wandte er sich Leanas Gegnern zu, von denen eine soeben die Schamanin umgeworfen hatte und sich nun daran machte, über sie zu krabbeln. Einen kurzen Moment überlegte ich, zur Hilfe zu eilen – diese Ablenkung nutzte meine Gegnerin gnadenlos aus und sprang mich nahezu um. Ein Treffer im Gesicht blieb mir dank Ischkurs Schutz erspart… unterstützt von dem Metallhelm.
Doch meine Rache folgte auf den Fuß und riss den dicken Beutel der Spinne auf, dass sich ihr klebriger Körperinhalt auf dem Marmor entleerte.
Auch Leana und Ixcalotl setzten wieder zum Sturm an und setzten auf ihre jeweiligen Gegner zu, wobei sie ein äußerst gegensätzliches Bild darstellten. Die kleine Schamanin mit ihrer verholzten Haut setzte auf kleine Stiche, jedes Mal von einem wilden Aufschrei und Zähnefletschen untermalt. Ixcalotl dagegen drosch mit seiner riesigen Axt von links nach rechts und trieb die Speißspinne bis an die Wand. In die Ecke getrieben, bäumte sie sich auf und versuchte sich todesmutig auf den Huatlani zu stürzen. Der machte jedoch einen knappen Schritt zur Seite und rammte ihr entgegen der Bewegung das Beil in den haarigen Leib. Ein wildes Fiepen erklang, dann kringelte sie sich tot auf dem Boden zusammen.
Währenddessen trat ich zur letzten Spinne, die bereits einige Treffer durch die Schamanin eingesteckt hatte. Kurz betrachtete ich ihre langsam erlahmenden Bewegungen, passte den richtigen Moment und dann streckte ich sie mit einem deftigen Hieb zwischen die Augen nieder.
Grimmig nickte mir Leana zu, deren Haut langsam wieder das gewohnte blass-rosa annahm. Ixcalotl trat mit leichtem Grinsen heran. Dies dürfte keine Stelle gewesen sein, an der andere Abenteurer umgekommen waren.

Wir begannen mit der Erkundung dieser riesigen Halle, deren lange Säulen jenseits unseres Lichts die Decke stützten. Schnell wurde klar, dass auch dieser Teil des Labyrinths kahl war… bis wir am Ende eine Empore fanden, zu der einige Stufen hinaufführten.
Dort oben auf einem Thron ruhte eine verschwommen schillernde Gestalt: ein Geist. Leana merkte an, dass es sich um einen Geistlichen aus dieser Region handeln könnte und schritt sogleich Stufe um Stufe näher heran. Ich blieb dicht hinter ihr, dieser Geist und diese Empore allgemein vermittelten mir ein unsicheres Gefühl. Es war, als ob sich ein Schatten über mich legen würde, etwas stimmte hier nicht!
Ixcalotl schien dies ebenfalls zu spüren und blieb am Fuß der Treppe zurück. Leana jedoch schritt unbeirrt näher und näher an den Geist heran. Auf ihre Rufe in verschiedensten Sprachen folgte keine Reaktion. Schließlich, sie war nur noch einen Schritt entfernt, sprang das Biest auf und attackierte mit einem geisterhaften Schlag, der ihr durch Körper fuhr und ihr schlagartig ein Stück ihrer Lebenswärme raubte.
Ich rief nach Ischkur und wollte diese Kreatur binnen eines Moments bannen…doch ich verlor die Verbindung! Dieser Ort musste tief befleckt sein, dass mein Gott hier keinen Einfluss nehmen wollte!
Mit einem Satz sprang ich stattdessen heran und drang mit meiner magischen Axt auf diese Kreatur ein. Ischkur brüllend setzte ich nach und auch Leana erholte sich von der Überraschung und zückte ihren mystisch aufblitzenden Dolch. Der heimtückische Angriff schien ihre Wut entfacht zu haben, selten stieß sie derart wild und ohne jede Rücksicht zu.
Jeder Treffer ließ den Geist blasser werden und bald wandelte sich die arrogante Miene zu einem Bild der Furcht und schließlich war es Leana, die mit einem letzten Hieb dieses Wesen ins Nichts drängte. Gegen unsere Übermacht hatte es keine Chance gehabt.
Kurz wurde durchgeatmet, dann untersuchte die Schamanin den Thron, auf welchem der Geist geruht hatte. „Eine schwarze Aura hüllt diesen Ort ein. Etwas Schreckliches muss hier geschehen sein.“
Ich nickte und begann zu beten. Mit meinen Worten versuchte ich, Ischkur zu überzeugen, mir die Kraft zu geben, diesen Ort zu reinigen. Der Tod des Geistes schien ihm wohl gefallen zu haben und mit seiner Unterstützung reinigte ich diesen Hort des Bösen von der Finsternis!
Zufrieden konnten wir also diese Halle verlassen und kämmten weiter das Labyrinth ab. Viele Räume und Gänge, teilweise länger als eine Meile, lagen bald hinter uns, alle leer und tot. Eine Fackel folgte der nächsten und unsere Stimmung sank Stück für Stück. Gegen Monster zu kämpfen war manchmal weniger schlimm, als sich über scheinbar nie enden wollenden Marmorboden zu schleppen…
Plötzlich sprang die vor mir gehende Leana mit einem überraschten Aufschrei zurück. Fragend sah ich sie an, denn kein Monster erschien noch offenbarte sich eine Falle. „Schau mal genauer hin“, meinte sie schnippisch und ich erkannte es. Über dem Boden, der vor uns lag, flirrte die Luft. Ich fühlte mich an meine Heimat Urrutti erinnert, wo dies auch ab und an zu beobachten war. Vorsichtig setzte ich meinen Fuß auf den Marmor, aber zog ihn sogleich zurück. Er war heiß, als würde jemand darauf Fleisch braten wollen!
„Also…ich bin wohl der beste Läufer von uns, ich werde nach vorne sprinten und sehen, was dieser Gang für Geheimnisse verbirgt!“
Die anderen beiden waren zwar skeptisch, beschlossen aber, mich machen zu lassen. So blieb aller unnötige Ballast bei ihnen und ich sprintete den Gang entlang. Ich fühlte mich sogleich wie damals in Urrutti, als ich bei den Männern Ischkurs meine Ausbildung begonnen und häufiger schnelle Botengänger über das unwegsame Gelände hatte machen müssen. Zwar war der Marmor eben, doch ebenso wenig, wie ich auf dem brüchigem Boden hatte lange stehen dürfen, hielten es meine Füße hier auf dem „Herd“ aus.
Als links eine Abzweigung erschien, ergriff ich diese sofort, um meine leicht rauchenden Lederschuhe abzukühlen. Hier gab es weitere Abzweigungen, welche ich nur oberflächlich untersuchte, schließlich wollte ich die anderen nicht zu lange warten lassen. Auffällig war ohnehin nur ein Raum, dessen Wände mit Verzierungen bedeckt waren. Diese liefen auf ein zentrales Element zusammen: ein Bullenschädel stierte mir mit grimmigen Blick entgegen. Ich wäre fast erschrocken, so lebensecht war die Zeichnung. Doch dies war nur Kunst, weshalb ich zum heißen Gang zurückkehrte und die restliche Strecke nahm.
Diesmal zog sie sich länger und ich glaubte fast, es würden sich Brandblasen bilden, da erblickte ich ein Tor, durch das fast schon hindurchsprang.
Hinter mir verschloss sich blitzschnell der Eingang und ich merkte, dass ich in einer riesigen, erleuchteten Halle war. Genauer gesagt, eine Arena. Und in der Mitte stand… der Minotaurus.
Mein Herz sackte mir in die Hose. Mein Vertrauen in Ischkur war zwar stark, aber für solche Himmelfahrtskommandos gab er keinen Segen. Doch er musste seine schützende Hand über mich halten, das Monstrum bemerkte mich nicht. Fast doppelt so groß wie ich, stand es regungslos da, fest die riesige Axt umklammert, gegen die selbst Ixcalotls Schlachtbeil wie Kinderspielzeug erschien.
Links von mir erspähte ich eine weitere Pforte und sprintete zu dieser hin, wonach sich diese ebenfalls hinter mir verschloss. Ich atmete tief durch. Der Minotaurus war erstmal keine Gefahr. Doch nun war ich irgendwo in diesem riesigen Labyrinth und hatte keine Ahnung, wie ich meine Freunde finden sollte!
Es brauchte ein Gebet zu Ischkur, um mich wieder zu besinnen, dann war ich wieder der alte und schritt selbstsicher durch die Gänge vor mir. Keine Abzweigungen nichts, meine Befürchtung stieg, dass ich in eine Sackgasse kommen würde… und so kam es auch. Aber der letzte Raum beinhaltete etwas, was sich meinem genauen Blick zunächst entzog. Ein eigentümliches Leuchten, ein waberndes Etwas, kaum erkennbar. Ich trat an diese Leuchtkugel heran und musterte sie. Kein beklemmendes Gefühl befiel mich und da ich ohnehin keine Wahl mehr hatte, fasste ich dieses Ding an.
Kurz wurde mir schwindelig, dann konnte ich wieder klar sehen. Doch die Umgebung hatte sich verändert, ich war in einem anderen Teil des Labyrinths! Aber das Glück war mir hold, sofern es sich um solches handelte, diesen Bereich waren wir bereits gründlich abgegangen und ich bahnte mir zielsicher meinen Weg zurück zu meinen Gefährten.
Sie schienen mindestens so erleichtert wie ich, als ich wieder bei ihnen war und bekamen große Augen, als ich meine Erlebnisse schilderte. Nun war zumindest klar, dass die Legende über den Minotaurus wahr war.
Doch dies war genug gewesen für den ersten Tag im Labyrinth und wir suchten uns eine Kammer, in der wir schlafen konnten. Ich wollte wie üblich eine Wacheinteilung vornehmen, doch die anderen waren dagegen, jeder würde seinen Schlaf brauchen und bisher waren auch noch nicht sonderlich viele Gegner zu sehen gewesen, die sich herumtrieben. So unruhig wir dann auch schliefen, schien diese Idee nicht die schlechteste gewesen zu sein und Ischkur behütete uns, sodass keine Schrecknisse des Labyrinths die Nacht störten.
Am nächsten Morgen, sofern wir es einschätzen konnten, machten wir uns in die Gänge auf, welche wir bisher ausgelassen hatten. Zum Glück hatten wir Leana und ihren Plan dieses Labyrinths, sonst wäre ich wohl bereits wahnsinnig geworden.
In einem Raum fanden wir sogar tatsächlich Mobiliar, insbesondere eine Truhe, die mit einem eigentümlichen Schloss versiegelt war. Leana erklärte uns, dass es sich um ein Zahlenschloss handelte und die Symbole auf den drehbar gelagerten Eisenstücken für die Ziffern 0 bis 9 standen. Was folgte, war ein munteres Ausprobieren, bis es schließlich bei „12“ klick machte und die Truhe ihren Inhalt preisgab: ein paar schwarzer Stiefel. Ixcalotl hatte sie so schnell angezogen, wie Leana und ich nicht einmal schauen konnten. Aber sie schienen seine Füße auch nicht direkt aufzufressen, womit er diesen Leichtsinn zum Glück nicht mit Schmerzen bezahlte.
Ein paar Schritte offenbarten bald ihr wahres Geheimnis. Genauer genommen, verbargen sie es; kein Laut war zu hören. Dazu musste man sagen, dass der große und massige Huatlani bisher kein Musterbeispiel an Stille gewesen war! Er forderte mich dann noch dazu auf, die Fackel an den Stiefel zu halten. Feuerfest waren sie zwar, aber er spürte die Hitze. Seine Überlegung, hiermit den kochenden Gang überqueren zu können, war damit auf Eis gelegt.
Es ging weiter und immer wieder stießen wir auf Sackgassen, die Zahl gangbarer Wege wurde übersichtlicher. Aber jedes Mal, wenn ich diesen Gedanken äußern wollte, tat sich ein neuer Raum auf, der gleich drei Ausgänge hatte.
Ein solcher Ausgang erweckte bald unsere besondere Aufmerksamkeit: aus Düsen am Boden schossen Flammen zur Decke und versperrten den weiteren Weg. Unsere selbst ernannte Pyromanin bemerkte: „Bei einem Sprung dürfte man keinen größeren Schaden erleiden. Vorausgesetzt natürlich, man stolpert nicht.“
Ich nickte, ließ jedoch zur Sicherheit Ischkurs Kraft in mein Kettenhemd fließen, dass es das vertraute sanft-goldene Licht aussandte und die einzelnen Glieder enorm stärkte. Und einen Moment später war ich auch schon durch die Hitze gerannt. Ohne Probleme folgten Leana und Ixcalotl. Wir nickten einander zu und schritten voran, als wäre nichts gewesen.
Doch plötzlich vernahmen wir ein Krabbeln, ähnlich dem aus der großen Halle, doch irgendwie anders. Wir beschlossen, uns erneut vorzubereiten, da begann Ixcalotl erneut aufs Übelste zu fluchen. Bei dem, was ihm da über die Lippen kam, brauchte er sich aber auch manchmal nicht wundern, dass sein Gott ihm keine Hilfe war. Ohnehin wäre es besser, er würde direkt zu Ischkur beten, anstatt zu einem seiner Diener. Denn nur er ist der höchste und der mächtigste!
Dann tauchten unsere nächsten Gegner auf und erneut zog sich eine Gänsehaut den Rücken entlang. Drei mannsgroße Würmer näherten sich, ihre glitschigen Körper schimmerten im Licht der am Boden liegenden Fackel und ihre kopfgroßen Münder offenbarten mehrere Reihen scharfer Zähne, die sich ineinander verschoben.
Doch sie trafen hier nicht auf irgendwelche Abenteurer, hier waren die…
„Streiter Ischkurs! Kämpft!“, brüllte ich und wir setzten jeder auf eine der Kreaturen zu. Axt, Schlachtbeil und Dolch, alle fanden ihr Ziel und grüner Schleim spritzte auf den Boden und gegen die Wände.
Die Größe dieser Monstren verminderte aber nicht im Geringsten ihre Wendigkeit. Die Art ihrer Bewegung, ein rutschen und schlängeln, verursachte zudem ein tiefes Unbehagen, was ich in den Willen umzusetzen versuchte, es einfach umzubringen. Doch so schnell das Viech sich herumwand und immer wieder von einer anderen Stelle aus angriff, fiel es mir schwer den entscheidenden Schlag anzubringen.
Ixcalotl nutzte nun den vollen Vorteil seines gewaltigen Beils aus und hieb großzügig in alle Richtungen um sich herum. Was unkontrolliert und teilweise auch nicht sonderlich kompetent anmutete, verbarg eine brutale Effizienz, die sich perfekt gegen diese Würmer einsetzen ließ. Sein Gegner versuchte schließlich, direkt das Gesicht zu attackieren. Als sich das Beil dazwischen schob, zerfetzte sich die Kreatur selbst die erste Hälfte ihres Leibes. Der Huatlani setzte noch nach und trennte das Vieh dann ganz der Länge nach in zwei Teile.
Leana erlitt währenddessen zwar auch keine schlimmen Treffer, doch der massige Wurm hatte sich aufgerichtet und überragte sie somit deutlich. Immer wieder zuckte das Maul herab, was die Angriffe der Schamanin unterbrach und sie somit zur Passivität verdammte.
Schließlich erkannte ich dann doch eine Schwäche in der Bewegung des Wurms und ließ unbarmherzig die Streitaxt niedersinken. Chitin wurde gespalten und der Körperinhalt der Kreatur sackte auf den Boden. Unbeirrt schien sich aber die Hälfte mit Maul noch einmal erheben zu wollen. Ein Tritt meinerseits beförderte das Wesen in die Ecke, wo es dann endlich tat, was es sollte: sterben.
Nun eilte ich Leana zur Hilfe, während Ixcalotl zunächst seine große Axt polieren wollte. Ein zorniger Ruf meinerseits brachte ihn aber wieder zur Räson und zu dritt drangen wir dann auf den Wurm ein.
Doch dieses Wesen schien aus dem Untergang seiner Brüder gelernt zu haben und kämpfte umso verbissener, kaum einer unserer Schläge saß. Doch mit einem Mal war der Knoten geplatzt und der Huatlani und ich trafen kurz nacheinander den massigen Leib. Aber noch immer stand das Vieh und wollte Leana den gar ausmachen. Diese packte nun ebenfalls all ihre Wut zusammen und rammte einfach den Dolch zwischen den endlos erscheinenden Zahnreihen hindurch, tief in den Rachen. Dann drehte sie die Waffe noch einmal herum und zog sie ruckartig heraus. Grüner Schleim flog ihr entgegen, aber elegant schritt sie zur Seite. Ein letztes Röcheln, dann starb der letzte Wurm.
Wir gönnten uns einen Moment der Ruhe bis wir die Truhe untersuchten, welche von den Monstern beschützt worden war. In dieser befand sich eine Schriftrolle, Leana merkte an, dass es sich hierbei um den Spruch „Feuerkugel“ handele. Schnell war das Pergament in den Tiefen ihres Rucksacks verschwunden und wir machten uns wieder auf den Weg.
Schließlich ging es eine Treppe empor und wir erreichten erneut die Arena!
Nun hatten wir länger Zeit, als ich am Vortag, um die Umgebung zu begutachten. In der Mitte war ein großer Felsen, hinter dem Minotaurus. Die Treppen hinter uns würde er wohl nicht begehen können, dafür war er zu groß. So entwickelten wir die Idee, ihn mittels einiger Pfeile heranzulocken und dann auf der Tribüne, wo wir uns befanden, in die Zange zu nehmen.
Vorher kümmerte ich mich kurz um die Wunden Ixcalotls. Ischkur war zwar ein Gott des Krieges, aber er war auch gnädig und verhalf seinen Dienern zu einer heilenden Hand, um die rechtschaffenen zu unterstützen. Ixcalotl war da zwar vielleicht nicht das Musterbeispiel für jemanden, der göttliche Hilfe verdient hatte, aber immerhin ein Mitstreiter. Man muss nicht immer Gutes wollen, um es zu tun!
Dann legte ich auf den Minotaurus an, welcher leider so weit entfernt war, dass der Schuss äußerst schwierig werden würde.
Aber der erste Treffer saß! Wenngleich nicht sonderlich tief, aber die Aufmerksamkeit des Minotauren hatten wir. Ich ließ weitere Pfeile folgen, doch sie segelten wirkungslos an ihm vorbei. Gemächlich schritt das Monster hinter den Felsen und brachte sich so in Sicherheit.
Leana und Ixcalotl konnten sich die spitzen Kommentare kaum verkneifen. Davon ließ ich mich jedoch nicht beirren und schwenkte das Banner der Streiter Ischkurs: zwei gekreuzte, goldene Dolche auf blauem Grund.
„Hier sind die Streiter Ischkurs, Sieger des Fünfkampfes von Uchano und die Helden von Kalimar! Wenn du wirklich so schrecklich bist, dann komm her!“
Es erfolgte keine Reaktion. Sodann beschlossen wir, in die Arena hinabzusteigen und dem Monster von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Nacheinander halfen wir uns runter und machten uns dann bereits dem Minotauren entgegen zu treten, welcher unsere Ankunft bemerkt hatte und im Sprint auf uns zuraste.
Der riesige Manneskörper hätte so schon Respekt eingeflößt, doch der geifernde Stierschädel mit den langen Hörnern machte diese Kreatur zu einer Tötungsmaschine ohnegleichen. Die riesige Axt, die der Minotaurus führte war so gewaltig, dass wir sie nicht würden nutzen, wohl gerade mal anheben können. Doch Ischkur war mit uns!
Leichtsinnig trat ich dem Biest entgegen und versuchte einen Treffer zu landen. Zur Antwort hieb er mir mit dem Stiel seiner Axt gegen die rechte Hand, welche sofort in höllischem Schmerz aufging. Die Rüstung verhinderte wohl schlimmeres, doch erst musste ich in die Defensive gehen, bis das Gefühl in die Finger zurückkehrte und nicht vom Schmerz überdeckt wurde.
Ixcalotl und Leana griffen umso biestiger an, was den Minotauren jedoch nicht im Geringsten beeindruckte. Geschickt wich er den Angriffen aus und ließ hier und da ein verächtliches Schnauben hören. Doch plötzlich entglitt ihm seine Axt und die Pause in seiner Angriffsserie wurde direkt vom Huatlani genutzt, um eine Wunde in seine Seite zu reißen. Ein fürchterlicher Schrei erklang und sofort ergriff das Monster wieder die Axt und vollführte einen Rundumschlag, welchen Leana und ich gerade noch entgingen. Dafür traf Ixcalotl fast die ganze Wucht des Hiebes und es holte ihn von den Füßen. Geschickt sprang er wieder auf, doch das zahlreiche Blut, das aus der Wunde kam, verriet, dass er nicht noch so einen Treffer würde ertragen können.
Endlich konnte ich meine Hand wieder frei bewegen und griff mit viel Gebrüll an. So schnell hatte das Biest nicht mit mir gerechnet und der Treffer in die Kniekehle ließ es kurz zu Boden sacken. Ixcalotl nutzte diesen Moment und setzte einen Schlag gegen die Schulter an.
Mittlerweile troff dem Minotauren Blut aus etlichen Wunden, doch seine Bewegungen waren nicht im Mindesten langsamer geworden! Schließlich setzte sogar Leana noch einen Treffer und ritzte die Bauchdecke auf. Damit war der Zorn der Kreatur endgültig geweckt, die Augen begannen sich zu verdrehen und Schaum trat vor den Mund. Ein gewaltiger Schrei und noch brutaler als vorher, drang die Kreatur auf uns ein. Mich traf ein Hieb so heftig gegen den Schild, sodass ich einige Schritte nach hinten schlidderte. Es kostete mich alle Mühe, noch auf den Beinen zu bleiben und ich spürte, wie meine Kräfte nachließen. Ischkur, wo bist du?!
Aber noch schienen meine Freunde unbeirrt, Leana versuchte um den Minotauren herumzutänzeln und einen empfindlichen Stich in die Nieren anzusetzen. Doch die boshafte Intelligenz der Kreatur war größer, als sie angenommen hatte und sie lief genau in seine Falle. In einer fließenden Bewegung drehte sich der Minotaurus und führte seine Axt gegen ihre linke Seite. Sie drang tief in das Fleisch ein und mehrere Rippen schienen zu brechen. Nicht einmal ein Schrei erklang und die Schamanin ging zu Boden.
Hasserfüllt gingen Ixcalotl und ich wieder auf den Minotauren los, aber ein Hieb nach dem anderen ging fehl! Unsere Kräfte ließen weiter nach und der Schweiß lief immer wieder in die Augen. Schwer atmend vermochten wir schließlich nur noch die Angriffe zu parieren, alle Hoffnung schien sich in Nichts aufzulösen. Es wurde dunkel um uns und ich begann den Glauben aufzugeben. Ischkur, wo bist du nur?!
Doch da! Eine Lücke in der Verteidigung, der Schlag des Minotauren war zu hoch angesetzt, die Achsel entblößt. Ein wilder Schrei entfuhr mir und ich trieb die Streitaxt tief unter dem rechten Arm des Monsters ins Fleisch. Das Blut spritzte wie aus einer Fontäne und jegliche Kraft entwich dem Gliedmaß, das gewaltige Schlachtbeil ging zu Boden.
Der Minotaurus ging in die Knie und starrte gen Decke. Ixcalotl hob seine Waffe auf und enthauptete ihn mit einem einzigen, sauberen Schnitt. Es war geschafft!
Wir vergewisserten uns, dass Leana gerade noch so überlebt hatte, dann hörten wir ein Beben. Im Felsen in der Mitte der Arena öffnete sich eine Pforte zu einer Treppe. Gleichzeitig ging ein Zittern durch die Mauern um uns herum.
„Hier stürzt gleich alles ein!“, rief ich und packte Leana. Ixcalotl nahm die riesige Axt und den Minotaurenkopf und gemeinsam rannten wir die Treppe im Fels hinunter. Am Ende erwartete uns eine weiße Lichtkugel, wie ich sie bereits gesehen hatte.
„Los, berühren wir sie, dann kommen wir bestimmt raus. Zumindest ist das unsere letzte Möglichkeit!“, forderte ich Ixcalotl und Leana auf. Sie nickten und gleichzeitig griffen wir ins Licht.
Kurz war alles schwarz – doch dann erwachten wir inmitten eines weiten Felds, welches nicht bewachsen war und wie eingedrückt erschien. Es brauchte einen Moment, bis wir realisierten: wir hatten uns eigentlich nicht fortbewegt… aber das Labyrinth war verschwunden!
Dann erkannten wir noch etwas anderes: um uns herum standen Tausende von Menschen, der Großteil der Bewohner Thalassas. Und sie jubelten uns zu! Laut riefen sie ihre Glückwünsche für die Bezwinger des Minotaurus… für die Helden von Thalassa!
Ixcalotl hob den Kopf nach oben, sodass er deutlich sichtbar war und eine neue Jubelwelle brach los, die das bisherige in den Schatten stellte. Auch ich erhob mich und schwenkte unser Banner:
„Die Streiter Ischkurs haben den Minotaurus getötet!“
Wieder Jubel, wenngleich der Name Ischkur wohl den wenigsten ein Begriff war. Eines Tages, würden sie es verstehen und dann würden auch sie glauben!
Aber diesen Moment der Freude begannen sogleich die ersten Unterhändler ausnutzen zu wollen. Wie ein Schwarm Heuschrecken kamen sie heran und riefen die verschiedensten Preise, die sie bereit waren für die Hörner und die riesige Axt zu bezahlen. Ein Herr Luiz bot 2000, der Bürgermeister Wall 3000. Letzter lud uns sogleich in sein Haus ein. Wir baten den Boten jedoch zunächst, uns zu entschuldigen. Vor allem Leana benötigte Ruhe und die bisherigen Angebote stellten uns nicht zufrieden, damit würden wir nicht einmal unsere weitere Ausbildung bezahlen können.
So gingen wir zunächst, umgeben von der Menschenmenge, zurück ins Blutige Beil und zielstrebig in unsere angestammten Kammern. Der Schlaf kam schnell und war sehr beruhigend.
Am nächsten Morgen erwartete uns ein etwas befremdlicher Anblick, genauer genommen Leana. Erik hatte auf dem Weg von ihrem Zimmer zum Frühstückstisch Rosenblätter verteilt und sich ordentlich in Schale geworfen. Erneut bettelte er sie an, doch bei ihm zu bleiben. Ehrlich wies sie ihn ab, mittlerweile fast schon ein wenig ärgerlich. Es machte mich etwas traurig, wie sie mit dem Herzen des armen Mannes umging. Etwas weniger Hur… „Umtriebigkeit“ hätte das verhindert. Auf der anderen Seite hätte der Wirt durchaus wissen müssen, auf was er sich da einlässt. Immerhin veranstaltete er hier einen Zirkus, als würde seine geliebte Freundin seit Kindheitstagen auftauchen und nicht eine Dame, die er seit drei, vier Tagen kannte.
Nach dem Frühstück, beschlossen wir, dass es am besten war, wenn Ixcalotl mit dem Minotauruskopf in Blutigen Beil blieb, damit ihn Niemand stahl. Währenddessen würden Leana und ich uns in der Stadt umhören. Dabei ging sie einfach umher, während ich zielstrebig zum Bürgermeister ging.
Dort überreichten sie mir zunächst ein Pergament, auf dem laut ihrer Aussage festgehalten war, dass Ixcalotl, Leana und ich nun die „Helden von Thalassa“ und „Bezwinger des Minotaurus“ waren. Allerdings blieb es bei dem läppischen Angebot von 3000, gemessen an dem Risiko und dem, was wir benötigten, Nichts. Ungehalten verwies ich auf unsere neuen Titel, doch der Bürgermeister bestand darauf, dass es sich eher um Zeremonielles handele und redete noch einen weiteren Schwall heißer Luft.
„Gibt es denn hier vielleicht einen, der mehr zahlen würde?“
„Nun, ein Mann namens Schakal sicherlich. Er ist Sklavenhändler und besitzt eine Menge Gold.“
„Sklavenhändler? Ich dachte, die landen bei euch auf dem Blutigen Beil?“
„Schakal ist kein einfacher Sklavenhändler, er ist reich…“
Ich stand auf und ging. Wer solche Praktiken in Schutz nahm, konnte kein angemessener Handelspartner sein. Die Empörung saß tief in mir und auch Leana brachte wenig erfreuliche Nachrichten mit ins Wirtshaus. Hier in Thalassa war wohl keiner so reich, dass er uns würde angemessen bezahlen können. Ihr Vorschlag war, nach Valian zu reisen und wir stimmten dem zu. Mit der Obrigkeit von Thalassa hatte ich abgeschlossen. Hier gab es nichts als Augenwischerei und in Schutz genommene Sklaventreiber.
Im Hafen fanden wir ein Schiff, welches noch an diesem Tag ablegte und die Chance ergriffen wir beim Schopf. Gleichzeitig entsandten wir aber auch einen Boten ins ferne Waeland. Vielleicht besaß Jarl Asar Interesse an den Minotaurenhörnern – fragen kostete ja quasi nichts, es handelte sich schließlich um Botendienste.
Kurz vor der Abreise verkauften wir zumindest das Schlachtbeil für einen recht ansehnlichen Preis.
Die folgenden Tage brachten uns nur weitere Ernüchterung. Auch in Valian wollte Niemand unserer Preistvorstellung folgen und wir begannen uns zu überlegen, dass wir mit weniger zurechtkommen mussten. Da erreichte uns Asars Antwort: 2000 Goldstücke für jeden! Das traf unsere Vorstellung und schnell war ein Schiff in den Norden bestiegen.
Mit großer Freude begrüßte uns der Jarl. Mittlerweile schien er uns richtig lieb gewonnen zu haben und er war sofort damit einverstanden, dass wir wieder bei ihm wohnen und von seinen Männern unterrichtet werden wollten. Er hoffte wohl immer noch, uns für seinen Kriegszug im Frühling zu gewinnen.
So hatten wir schließlich wieder in vertraute Gefilde gefunden und bekommen, was wir wollten. Doch es war nun tiefster Winter in Waeland, die Temperaturen sanken unerträglich. Selbst der dickste Mantel verschaffte mir kaum Wärme und die ständige Dunkelheit drückte auf mein Gemüt. Da kam es, dass eines Abends Leana in mein Zimmer trat und einen nur allzu vertrauten Blick aufsetzte.
Ich beging einen großen Fehler.

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