Plötzlich horchte Suena auf. Sie
wandte sich um und blickte in Richtung der Tür, die zum Hauptraum führte. „Habt
ihr das auch gehört?“
Ich wog meine Axt in der Hand, schüttelte aber den Kopf. Jenn und Zedd erging
es ähnlich, da merkte Suena noch einmal auf. „Da ruft jemand. Es ist … Dario!
Hey, Dario! Wir sind hier!“
Ich blickte angesichts des Rufens argwöhnisch zur Treppe hinab in die
Dunkelheit, doch schien sich nichts hervorzutrauen. Noch nicht. Nun kam aber
der eben angesprochene durch die offenstehende Tür herein: Dario Anvari, nicht
mehr so blass wie am vorigen Morgen. Er schien sich kurz bei Suena und Zedd zu
beschweren, wobei seine Gestik wohl auf die Lautstärke hinweisen sollte, mit
der er nach uns gerufen hatte. Ich vor mir unwillkürlich an meinem Kopf
entlang, wo unter den dichten, braunen Haaren das verkrüppelte Ohr lag.
Suena setzte den Ordenskrieger knapp ins Bild über unsere bisherigen
Erkundungen, wobei sie ihm auch die Scheiben zeigte, die er neugierig
betrachtete. Schlussendlich zeigte sie auf die offenstehende Tür und die
dahinterliegende Treppe – hinab in den Abgrund unter diesen Ruinen.
Die Stufen waren dicht mit Staub
bedeckt, der bei unseren Schritten aufwirbelte und im Licht der Fackel flirrte.
Wie dünne Nebelschwaden waberte er um unsere Knöchel herum. Der Abstieg schien
wie ein Weg hinaus aus der Wirklichkeit. Es wurde kälter.
Die Treppe endete an einer Kreuzung, von der mehrere Wege auf gleicher Höhe
wegstrebten. Unser Licht ermöglichte es in keiner Richtung ein Ende zu
erkennen. „Der Beginn eines Labyrinths“, ächzte Zedd und Dario holte ein
Kreidestück hervor, mit dem er den Gang nach rechts markierte – dort gingen wir
weiter entlang. Die Luft hier war modrig, irgendwo musste feuchte Erde sein.
Doch unter dem Geruch lag noch etwas anderes, etwas, das Brutstätte für den
schlimmsten Gestank bot. Da sahen wir
die Nischen in den Wänden, in denen wie auf Betten menschliche Körper lagen.
Sie waren in Leinen eingeschlagen, am ganzen Körper umwickelt. Selbst das
Gesicht war verborgen. Doch die Graufärbung des Stoffs deutete auf das Alter
hin. Nicht weit von hier war ein leichtes Tropfen zu hören und die Feuchtigkeit
schien auch diese Verbände angegriffen zu haben, sodass sie aufgeweicht und an
manchen Stellen zerfallen waren. Darunter lag verdunkelte, schwarze Haut. Am
Fußende des Toten lag eine hölzerne Schatulle. Jenn machte einen Schritt darauf
zu, da hielt sie Dario an der Schulter und schüttelte leicht den Kopf. „Lasst
den Toten, den Mumien, ihre Ruhe“, übersetzte Suena für uns die Mahnung des
Ordenskriegers.
Eine weitere Kreuzung folgte auf
noch eine weitere. Lange Gänge, die sich Suena genau einprägte und uns
Orientierungsangaben machte, wo wir ungefähr sein mussten. Gerade als wir
begannen, in die Tiefe des unterirdischen Komplexes vorzustoßen, eine wichtige
Information. Ich klammerte mich an Axt und Schild, bereit, einem unerwartet
auftauchenden Feind entgegenzuspringen – gerade weil ich in dem durch die Enge
bedingten Gänsemarsch an erster Stelle war. Doch das erste was wir sahen, war
keine weitere Leiche, auch kein Wolf oder Bär. Es war ein weißer Nebel, der
noch außerhalb unseres Fackellichts in der Dunkelheit schwach glomm. Er hatte
in etwa die Größe eines Menschen, vielleicht auch seine Gestalt – auf Kopfhöhe
glühten zwei Punkte gelblich. Ich blieb sofort stehen, doch der Nebel schwebte
langsam auf uns zu.
Dario sagte etwas, was Suena rasch übersetzte: „Er will mit dem Geist reden!“
„Mit dem Geist? Gerne!“, gab ich
hastig zurück und wechselte mit dem Araner den Platz. Dieser ließ seine Waffe
stecken und hob in beschwichtigender Geste die Hände. Er rief auf einer seiner
Sprachen, die ich alle nicht verstand, weil man sie an Orten sprach, die ich
noch nicht bereist, von denen ich womöglich noch nicht einmal gehört hatte.
Doch der Geist schwebte unbekümmert weiter auf uns zu. Seine Gestalt rückte
näher an das warme Licht der Fackel und mir war, als würde es kälter um uns
werden. Aus dem Nebel schoben sich zwei dünne Fäden, die dabei dicker wurden.
Arme?
Er war nur noch ein halbes
Dutzend Meter entfernt. Dario machte einen Schritt zurück, in mich hinein. Das
Signal war eindeutig – langsam, mit festem Blick auf die körperlose Gestalt,
zogen wir uns zurück zur letzten Kreuzung und weiter in einen anderen Gang
hinein. Der Geist folgte uns nicht.
„Was hast du den Geist denn gefragt?“, fragte ich Dario, wofür Suena die
Übersetzerin spielte.
„Nach seiner Vergangenheit. Nach dem Grund seines Verweilens.“
„Wofür?“
„Vielleicht können wir ihm helfen, Ruhe zu finden. Doch entweder verstand er
meine Worte nicht, oder er ist nicht mehr als das, was man noch sieht. Ein
Feind allen Lebens.“
Wir wählten einen anderen Gang
und setzten unsere Erkundung fort, die uns laut Suenas Schätzung weiter in den
Süden führte. Bis die Gänge nur nach noch links und rechts abzweigten. War
damit der grobe Rahmen für dieses Wirrwarr aus Gängen abgesteckt? Während ich
noch nach Orientierung im schmalen Lichtbereich unserer Fackel suchte, war Jenn
bereits einige Schritte nach rechts gegangen und blickte in die Nischen in den
Seitenwänden. Auch hier lagen Mumien – doch waren in ihre Leinenverbände
Goldfäden eingewirkt und silberne Plättchen formten um ihre Hälse eine Art
Halsband. Die Schatullen an ihren Füßen waren auch nicht nur aus einfachem
Holz, sondern aus Metall, das über die Jahre vom Rost angegriffen war und
dennoch hielt.
„Seht!“, machte uns Jenn auf eine noch auffälligere Nische aufmerksam. Dem
Toten darin war ein Rapier beigesetzt worden, mit feiner Klinge und goldenen
Akzenten am Griff – trotz aller Widrigkeiten und Jahrhunderten: nicht
verrostet.
„Darf ich ihn mir nehmen? Er sieht so besonders aus!“, fragte uns Jenn mit
großen Augen.
„Dario hält das für keine gute Idee“, übersetzte Suena und setzte nach. „Ich
auch nicht. Wer weiß, was der einstige Besitzer getan hat und wie sich das auf
diese Klinge auswirkt. Oder was geschieht, wenn man sie entfernt.“
Jenn sah dennoch wieder zum Rapier, während ich mich an unsere Hexe wandte:
„Diese Geister – können unsere Waffen etwas gegen sie ausrichten, wenn sie sich
entschließen, uns anzugreifen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Zauberei und magische Waffen sind das einzige, was
uns dann helfen kann.“
„Könnte dieses Rapier so eine sein?“
„Möglich. Es könnte aber auch verflucht sein“, meinte sie und schürzte die
Lippen.
Für mich war die Sache an dieser Stelle jedoch klar. „Wenn das eine Möglichkeit
für uns ist, diese unnormalen Wesen zu bekämpfen – dann nimm das Rapier, Jenn.“
„Sehr gut, dass wir einer Meinung sind“, grinste die feiste Ywerddonerin und
griff sich flugs ihre neue Waffe. Bewundernd hielt sie ihn vor sich. Die Decke
fiel uns nicht auf den Schädel, also gingen wir weiter. In dieser Ecke mit den
edleren Mumien hatten wir eine Sackgasse erreicht und gingen nun in die
entgegensetzte Richtung. Am südlichen Rand des Labyrinths entlang, wenn die
Schätzungen stimmten.
Wir liefen nicht lange, da erblickten
wir in einer Entfernung in der Dunkelheit ein weiteres leuchtendes Augenpaar,
das aus dem Nebel hervorstach, der sein Körper war … falls man den Schemen
wirklich so bezeichnen wollte. Dario zog seinen Krummsäbel, eine feine Waffe
mit geflammter Klinge. Im Licht der Fackel schien sie golden zu glimmen.
„Auch diese Waffe ist magisch“, sagte er, was Zedd für Jenn und mich
übersetzte. Entschlossen schritt er daraufhin in Richtung des Geistes los, die
Ywerddonerin setzte sich mit ihrer neugewonnen Waffe direkt hinter ihn. Der
Geistschemen, der zunächst noch auf der Stelle verharrt hatte, setzte sich nun
in Bewegung auf uns zu – da stockte Dario plötzlich und machte einen Schritt
zurück. „Wir haben unsere Gebete vergessen!“, rief Zedd aus, der ebenfalls nervöser
geworden zurückwich. So wichen wir an die nächste Kreuzung zurück, um uns auch
vor diesem Geist zurückzuziehen – da hörte ich hinter mir ein Fauchen sowie das
dumpfe und langsame Schleppen toter Gliedmaßen. Suena, die noch hinter mir
stand, war noch schneller und rief: „Die Mumien erwachen!“
Ich drückte mich an ihr vorbei, um sie vor dem Angriff zu schützen, dann waren
sie auch schon vor mir. Zwei der mit Schmuck beigesetzten Mumien hatten sich
erhoben und versperrten uns den Rückweg. Damit mussten nun Dario und Jenn gegen
den Geist bestehen. Auch ohne den unsichtbaren, aranischen Freund.
In Kreuzung hatte ich etwas mehr
Platz und holte zu einem vollen Schwinger aus, als die die erste der Mumien
sich auf mich werfen wollte. Unter dem Verband auf ihrem Gesicht sah ich ein
schwaches, helles Glimmen – wie ein Totenfeuer, das auch meinen Geist in die
nächste Welt geleiten sollte.
Dann traf meine Streitaxt auf den Schädel, was sich anfühlte, wie in morsches
Holz zu schlagen. Verdunkelte Knochensplitter und Staub stieben davon, das
Leuchten verging und die Mumie sackte in sich zusammen. Der nächsten blickte
ich verächtlich entgegen, stieß einen Kriegsschrei aus. Sie antwortete aus
einer verdorrten Kehle, ein Todesröcheln, das dort seit Jahrhunderten festzuhängen
schien. Ein Zittern ging durch meine Brust. Dem Angriff mit schierer
Körperkraft konnte ich zunächst nur meinen großen Schild entgegenhalten, bis
ich mich wieder gefangen hatte.
Ich sah, wie Suena neben mir ihre magischen Frostgeschosse auf den Geist
schleuderte – noch mehr Eis für die Grabeskälte. Doch es schien zu wirken,
ebenso wie Darios Krummsäbel. Gleichzeitig hielt der Araner sich aber vor allem
vor der Berührung durch den Geist in Acht. Ich konnte diese Todeskälte bis zu
mir spüren.
Plötzlich schien sich Suena ihres Ziels nicht mehr so sicher. Sie schleuderte
einen Frostball und traf nicht den Geist, auch keine Wand. Sondern Dario am
Hinterkopf. Offensichtlich fluchend stieß er einige Sätze in Aranisch aus, dann
machte er jedoch weiter und ließ sich nicht weiter beirren. Suena sandte wohl
rasche Entschuldigungen aus, begleitet von weiteren Frostbällen, die sich ihres
Opfers wieder sicherer waren.
Ich schüttelte das Grauen des vor
mir wandelnden Todes ab, drängte mit dem Schild auf den Zombie ein. Er nutzte
eine Lücke, durch die er mir mit krallengewordenen Fingern die Haut aufriss.
Ein oberflächlicher Treffer, der das Wesen nahe an mich heranbrachte. Meine
Streitaxt krachte am Hals entlang in den Oberkörper der Mumie, die mit einem
Staubwirbel auseinanderglitt. Ich wandte mich sofort meinen Gefährten zu,
sodass ich nun auch Jenns Rapier in Aktion erleben durfte. Mit einem weiten
Ausfallschritt wagte sie sich gefährlich nahe an den Geist, was ihr sichtbar
das Blut aus der Haut trieb. Doch gleichzeitig konnte so selbst der wabernde
Schemen nicht mehr ausweichen. Ein ortloser Schrei hallte durch den Gang gleich
Eiszapfen, die langsam in den Gehörgang getrieben wurden. Die glühenden „Augen“
des Geistes flackerten einen Moment, dann traf sie ein weiterer Frostball
Suenas – sie verloschen. Und mit ihnen verging der nebelhafte Körper, als würde
er hinweggeweht werden.
„Man kann also einen Geist töten“, sagte ich nach einigen Momenten verblüfft.
„Du wärst erstaunt, was es noch alles gibt“, sagte Suena knapp, was auch Zedd
ein schiefes Grinsen abrang. Jenn betrachtete erneut freudig ihren Rapier. Die
drei bereits miteinander vertrauten Abenteurer besahen sich die Stelle, an der
der Geist vergangen war und schienen darüber zu debattieren, was das bedeuten
mochte. Indes blickte ich hinter mich in die Sackgasse voller verzierter
Mumien. Zwei Nischen waren nun leer – ihre Beigaben unbewacht. Ich nickte Jenn
zu, der mein Blick aufgefallen war, und ging flugs hinüber. Die Schatullen
waren unverschlossen, beinhalteten auch einen gewissen, wenn auch nicht
überwältigenden Haufen an Goldmünzen. Doch in dem Moment, wo ich das Gold an
mich nahm, um es in der gesamten Gruppe aufzuteilen, hörte ich hinter mir ein
Schlurfen.
„Pass auf“, setzte Jenn noch hinzu und ließ ihren Rapier aufblitzen. Ich drehte
mich um. Vor mir stand eine weitere Mumie, die sich scheinbar nicht mit der
Schändung eines anderen Grabes zufrieden geben wollte. Jenn traf sie an der
Schulter, was sie davon abhielt, mir in den Rücken zu fallen. Ein „Danke“
murmelnd, hieb ich selbst zu. Gegen den Axthieb versuchte sich die Kreatur mit
einem erhobenen Arm zu schützen, den ich glatt durchschlug, woraufhin Asche aus
dem Stumpf herausflockte. Jenn setzte sofort nach, griff diesmal von etwas
weiter unten an. Ihr Rapier bohrte sich unter dem Kinn in den Schädel hinein.
Das Stöhnen der Mumie erstarb und sie sank zu Boden.
„Was macht ihr denn da hinten?“, rief Suena, setzte aber noch nach. „Dario ist
etwas irritiert.“
„Wir dachten, leere Gräber sind zum Plündern freigegeben“, meinte Jenn
verschmitzt. Der Ordenskrieger rollte die Augen während er näherkam. Die
anderen beschwichtigten wir, indem wir den Goldfund aufteilten. Nicht genug,
dass sich das Plündern weiterer Nischen lohnen würde. Wer wusste, ob nicht
irgendwann alle Untoten zugleich erwachten.
Wir gingen weiter durch die
kahlen Gänge, vorbei an weiteren Nischen mit beigesetzten Menschen. Immer
wieder stießen wir auch auf Sackgassen an denen man womöglich beschlossen
hatte, es gut sein zu lassen. Sie waren nicht vermauert und offenbarten das
dahinter liegende, feste Erdreich. Ein feuchtes Erdreich, wie uns Jenn immer
wieder bewies, indem sie begeistert ihre flache Hand in den Dreck drückte.
„Aber von unterschiedlicher Feuchte …“, grummelte sie nachdenklich, nachdem wir
an dem dritten Ende dieser Art entlang gekommen waren und sie einen Vergleich
hatte.
Etwas weiter fiel das Licht unserer Fackel auf eine weitere Stelle, an der wir
nicht weiterkommen würden. Es war eine der magischen Türen – diese hatte jedoch
sechs Vertiefungen. Mit kaltem Metall lag sie abwehrend vor uns. Suena ging
unsere Scheiben noch einmal durch, doch konnte sie nur bestätigen: „Wir haben
nur fünf. Also müssen wir wohl weitersuchen.“
Das taten wir, wobei ich hoffte, dass es meinen Gefährten gelingen würde, uns
später wieder hierher zurückzuführen. Ohne einen Himmel zur Orientierung über
mir tat ich mir schwer, den so immergleichen kargen Gängen ein Muster
zuzuweisen – das sogar noch durch die Sackgassen immer wieder gebrochen wurde.
Wir entdeckten noch eine Sackgasse. Hier waren die Bauarbeiten jedoch scheinbar
durch einen Einsturz zum Erliegen gekommen. Einiges Geröll versperrte den Weg,
einige Brocken waren halb so groß wie ich. Zedd hielt das Licht der Fackel an
eine Öffnung, doch man konnte kaum erkennen, was hinter den Felsen lag.
Vielleicht war es einfach nur mehr Fels.
„Ich kann das auskundschaften“, sagte Suena. „Dafür brauche ich hinter den
Felsen jedoch Licht.“
Dario nickte, da wurde es plötzlich heller um uns herum. Verblüfft suchte ich
nach der Quelle, doch es gab keine Schatten die sie verrieten. Es war, als
würde das Licht der Sonne von allen Seiten gleichzeitig auf uns fallen – sogar
hinter den eingestürzten Felsen war ein Leuchten auszumachen. Der Araner grinste
nur. Dann hüpfte die schwarze Katze Suenas, die sich bisher effektiv in den
Schatten gehalten hatte, auf das Geröll und bahnte sich zielstrebig einen Weg
durch die Felsen hindurch. Die Hexe schloss einen Moment die Augen. Dann sagte
sie: „Dahinter geht es noch weiter, es kann aber lange dauern, bis wir die
Felsen weggeräumt haben. Wir sollten erst einmal den Rest hier unten erkunden.“
Kurz darauf huschte die Katze aus dem Schutt wieder hervor.
„Du kannst durch ihre Augen sehen?“
Suena lächelte nur verschmitzt, dann gingen wir wieder weiter. Diese Zauberer.
Wir machten uns auf die Suche
durch die verbliebenen Gänge, denn allmählich schien sich diese unterirdische
Ebene zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen. Einer der Pfade führte uns
wieder auf einen Geist zu – Dario und Jenn machten ihre Waffen bereit, während
Suena unmittelbar begann, Frostbälle auf das Wesen zu werfen. Zedd und ich
deckten nach hinten, um mögliche Untotenverstärkung abzuwehren. Doch dies war
nicht unser Moment.
Der Araner und die Ywerddonerin hatten ihre Furcht vor dem körperlosen Wesen
verloren, attackierten es direkt – dabei entglitt dem Ordenskrieger beim ersten
Hieb die Waffe. Klirrend schlug sie gegen den Fels, dann auf den Boden. Das
Metall schrie beinah, doch es hielt.
„Soll ich dir etwas Eis an den Kopf werfen, dass du wach wirst?“, rief Suena
lachend, während Dario seine Waffe mit dem Fuß aus dem Angriffsbereich des
Geistes heraustrat, ehe er sie aufhob. Jenn deckte ihn in der Zwischenzeit und
landete erste Wirkungstreffer. Kurz darauf hatte der Ordenskrieger sich wieder
seiner Waffe bemächtigt. Scheinbar etwas konzentrierter ging er nun zu Werke,
bannte schließlich gemeinsam mit Jenn den Geist.
„Gehe ein in Ormuts Reich“, flüsterte Zedd neben mir. „Mögest du Ruhe vor
Alamans Umtrieben finden.“
Er wollte wohl, dass ich die Gebete verstand, vielleicht ein erster
Bekehrungsversuch. Ich hob nur die Braue, dann ging es auch schon weiter.
Keiner von uns wollte länger als notwendig in dieser Gruft verweilen.
Der Weg führte uns an weiteren
Nischen vorbei, an dutzenden von ihnen. Insgesamt mussten hier unten mehr als
hundert Menschen bestattet worden sein, nach irgendeinem seltsamen Glauben in
Tücher eingewickelt und vergessen.
„Da ist ein Taler“, rief Jenn aus. Sie wies auf eine Nische in der eine
vergleichsweise unscheinbare Mumie lag. Doch zwischen ihrem Körper und dem
Stein eingeklemmt glänzte etwas im Schein der Fackel. Es war einer der
silbernen Taler. Suena machte schon einen Schritt darauf zu, da hielt ich sie
an den Armen, wies dann den Gang entlang. „Hier sind dutzende Mumien! Sie
werden uns den Taler doch nicht so einfach überlassen? So wenig, wie sie Jenn
ihren Rapier ließen!“ Die Ywerdonnerin unterstrich das mit einem unschuldigen
Pfeifen.
Suena verdrehte die Augen, wollte erneut nach dem Taler greifen, doch ich hielt
sie weiter zurück. „Einen Moment wenigstens! Du, Dario!“, ich wandte mich an
den Ordenskrieger. „Mach dich doch wenigstens … bereit. Oder wie man das nennt.
Bete zu deinem unsichtbaren Freund.“
Verwirrt sah der Araner mich an. Ich hob erklärend meine Hände und fuchtelte
damit vor seinem Gesicht herum, verrenkte meine Finger, wie es bei Suena
aussah, wenn sie hexte … oder so ähnlich. Dann deutete ich auf ihn. Er fuhr
sich langsam mit der Hand über das Gesicht und rieb sich die Augen. Dann lief
Suena schon hinter mir vorbei, wobei sie etwas Silbernes in ihre Tasche gleiten
ließ.
„Ach verdammt nochmal“, fluchte ich, zog die Axt und stieß einen Kampfschrei
den Gang entlang, der echoend durch das Labyrinth fegte.
Es geschah … nichts. Während ich
noch über diese unverständliche Hexerei fluchte, legten sich Jenn und Dario mit
dem letzten Geist in diesem Labyrinth an – dem ersten, den wir gesichtet
hatten. Gegen ihre mächtigen Waffen hatte auch er keine Chance und verging. Nun
war unser Rücken frei, wenn man annahm, dass die Mumien ohne Grabschändung
liegen blieben, und es ging zur Tür mit den sechs Vertiefungen.
Jeweils zwei schienen zusammenzugehören. Suena entsann sich der Kombinationen,
welche in der magischen Gerätschaft weißen Rauch ergaben. So legte sie die
Scheiben ein, murmelte dabei nachdenklich vor sich hin – jedes Mal glommen die
Scheiben kurz in „ihrer“ Farbe auf. Lila und Rot in der ersten Reihe, gelbgrün
und blau in der zweiten. Grün in der dritten, zusammen mit … hellblau. Die Tür
gab ein Zischen von sich, die Scheiben sprangen heraus. Dann schwang das Portal
auf und offenbarte, was hinter ihm lag.
Ein verhältnismäßig kleiner,
quadratischer Raum, der bereits ohne unsere Fackel schwach ausgeleuchtet war:
In seiner Mitte befand sich ein großer, steinerner Quader, der in einem leichten,
weißen Licht glomm. Sein Schein fiel auf einige Dinge, die im Raum verteilt
waren. Auf den ersten Blick wirkten sie wie Unrat, veraltete Rüstungsteile,
teilweise sogar Knochen. Doch lagen dort auch einige Goldmünzen – als wir
genauer hinsahen, konnten wir sogar mehrere Häufchen ausfindig machen.
Jenn und ich begannen zu zählen, während sich unsere Zauberkundigen mit dem
Steinquader auseinandersetzten. Wir kamen auf mehr als tausend Goldstücke, was
immerhin schon einmal die halbe Schuld war, die wir Aeldun zurückzahlen
mussten. Nur befürchtete ich, dass wir mehr Gold als hier nicht mehr finden
würden. Die Expedition drohte uns in eine bleibende Schuld zu treiben. Doch
während ich mir noch nachdenklich den Bart kratzte, hatte Jenn zwei weitere
Funde gemacht. „Hier, zwei Dolche! Die sehen etwas besser aus. Zumindest der
hier ist nicht verrostet und der andere hat sogar einen Rubin am Übergang zur
Klinge.“
Sie hielt die beiden Waffen grinsend hoch, die ziemlich genau ihrer
Beschreibung entsprachen; die eine auffällig unauffällig, die andere ein
Prunkstück sondergleichen. Vorerst verwahrte sie sie und wir sahen nach, was
unsere Gefährten am Quader entdeckt hatten. Dieser gab von seinem reinen
Äußerlichen nicht viel Aufschluss über sich. Am oberen Rand waren umlaufend
Bilder eingraviert, was zweifelsohne ein Kunsthandwerker vollbracht haben
musste.
„Dieser Stein wurde den Bildern zufolge als Hindernis geschaffen“, erklärte
Suena, wobei sie auf einen Bildteil wies, in dem ein mit Strahlen versehener
Block über einen geschwärzten Schlund geschoben wurde. „Wahrscheinlich
fürchteten sie, was hierunter liegt“, setzte sie fort, zeigte etwas davor, wie
dunkle Schlieren aus dem Schlund nach oben züngelten. „Und das hier … das kommt
uns wohl bekannt vor.“ Ihre Hand blieb über der Stelle stehen, wo die
Bildgeschichte endete, um kurz darauf ihren Rundlauf erneut zu beginnen. Es war
ein schlechtes Symbol: zwei Hörner, die zueinanderstanden als gehörte zu ihnen
ein Gesicht. Oder eine Fratze viel mehr, zu grausam, um sie abzubilden oder
abbilden zu können. Wie von selbst wanderten meine Gedanke zu meinem Traum und
den Augen aus glühenden Kohlen.
„Außerdem gibt es noch einige magische Symbole, die hie und da in die Malerei
eingebettet sind. Sie scheinen etwas zu bannen – etwas Böses.“
„Das dich verflucht hat?“
„So sieht es aus“, meinte sie verkniffen, warf dann einen Blick auf den Stein,
in dem sich Neugier zeigte, aber auch Furcht. Es war einer der seltenen
Momente, in denen ihre Katze auftauchte und sich dicht an ihre Beine schmiegte.
Unterdessen begab sich Jenn in
Hocke vor dem Stein. Intensiv blickte sie auf das Weiß, dann fing sie an zu
reden: „Hallo? Ist da jemand?“
Verdutzt blickten wir zur Ywerdonnerin.
„Hallo? Stein? Kannst du reden? Kannst du uns sagen, was unter dir liegt?“
Es tat sich nichts. Jenn erhob sich, rieb sich die Hände, sah dann unsere
verwirrten Gesichter. „Als wäre das das Seltsamste, was hier heute passiert
wäre!“
Wir beschlossen vorerst, diesen
Raum in Ruhe zu lassen. Stattdessen widmeten wir uns dem einzigen verbliebenen
Weg, der noch möglich war: durch den verschütteten Gang. Es dauerte beinah eine
Stunde, in der wir alle anpackten, bis wir alle Brocken soweit beiseite
geschafft hatten, dass man weitergehen konnte.
Der Gang, der sich hinter dem Geröll offenbarte, war mehr eine unbehauene
Höhle, die tiefer in den Berg hineinführte. Es war schwer zu sagen, wie stark
hier die Menschen von einst eingegriffen hatten, bis wir sein Ende erreichten:
Die Mündung des Tunnels war geradlinig und kunstvoll aus dem Stein
herausgehauen. Die am obenliegenden Querstück eingemeißelten Schriftzeichen
waren wieder in der fremden Sprache, sodass wir uns rasch dem zuwandten, wohin
der Gang führte: eine große Grotte.
Ein schmaler Fluss plätscherte
von links nach rechts hindurch, kaum hoch genug, um bis zu den Knien im Wasser
zu stehen. Auch Ab- und Zufluss waren schmal, beinahe unmerklich in der
Felswand. In der Mitte der Höhle umspielte der Bach eine kleine Insel, in deren
Mitte wiederum ein steinerner Pfosten war. Darauf eine Kerze – unangezündet.
Auf der anderen Seite des Flusses lagen linker sowie rechter Hand Ausgänge, die
noch tiefer in den Berg führen mussten.
„Ein seltsamer Ort“, konstatierte Suena. „Aber immerhin geht es hier weiter.“
Wir sprangen zunächst den knappen Meter über den Bach hinüber zur Insel mit der
Kerze. Auf dem Pfosten waren wiederum mehrere Schriftzeichen angebracht. Ein
undurchdringliches Rätsel. Da ich gerade die Fackel in der Hand hielt und
allmählich etwas unruhig wurde … hielt ich sie an die Kerze. Der Docht
entflammte zuverlässig, ungeachtet all der Jahrhunderte, die er hier der
Feuchtigkeit ausgesetzt war. Suena schnalzte mit der Zunge, auch Dario hob eine
Braue, eingedenk der Frage, ob das so eine gute Idee war. „Aber einfach so den
Taler von der Mumie nehmen“, grummelte ich angesichts der für mich
undurchschaubaren magischen oder nicht-magischen Zusammenhänge hier unten.
Wir beschlossen schlicht,
weiterzugehen. Ein weiterer kleiner Sprung, dann wählten wir den Ausgang linkerhand.
Durch einen kurzen Tunnel ging es in eine andere Höhle, aus der wiederum ein
Pfad herausführte – zum Tageslicht.
„Das Ende dieses unterirdischen Komplexes“, stellte Jenn fest.
„Dann sollten wir zunächst den anderen Weg erkunden, bevor uns etwas in den
Rücken fällt“, meinte ich.
„Oder wir schlicht etwas übersehen“, stimmte Suena zu, worin auch Dario nach
kurzem Austausch einstimmte.
So machten wir auf dem Absatz kehrt, gingen durch den kurzen, unbehauenen
Tunnel zurück, bis wir in einer Höhle ankamen.
Es gab keinen Fluss. Keine Kerze.
Nur einen Ausgang vor uns, der uns vage bekannt erschien … und auf unsere
Rücken fiel Tageslicht aus dem Gang hinter uns. „Was zum …“, begann ich, da
ging Jenn schon weiter und wir schlossen uns ihr an. Ich fuhr mit den Händen an
den Felsen entlang, doch sie fühlten sich wirklich an. Wir kamen erneut in
dieselbe Höhle.
„Ein ewiger Kreislauf“, stellte Suena fest. „Aber seht – über dem Ausgang ist
etwas von der Schrift dieses Volkes eingemeißelt.“ Dario streckte sich
daraufhin und rieb mit Kohle und Stoff die Zeichen ab, dann wandte er sich mit
einer Idee an uns, die Suena übersetzte: „Vielleicht finden wir dort draußen
jemanden, der diese Sprache übersetzen kann – dann verstehen wir
möglicherweise, wie wir zurückkommen.“
Ich schluckte. Hoffentlich würde das funktionieren, denn es behagte mir nicht,
mit einem Schlag von Pferd, einem Teil der Ausrüstung und überhaupt der ganzen
bisherigen Expedition abgeschnitten zu sein. Gar nicht.
Wir gingen den Pfad in Richtung
des Tageslichts, zunächst einen Tunnel entlang, dann erblickten wir den dunkler
werdenden blauen Himmel über uns. Es ging noch eine Meter weiter zwischen hoch
aufragenden Felsen hindurch – wir kamen auf ein kleines Plateau und der Blick
wurde frei, um diese Gegend in Augenschein zu nehmen. Eine weite, grüne Ebene,
durchzogen von Flüssen und Seen, erstreckte sich bis zum Horizont. Frischer
Wind wehte uns entgegen während wir erkannten, dass dieses Land bewohnt war.
Straßen führten durch die Landschaft, Brücken über die Flüsse. Unterhalb von
uns lag eine kleine Stadt, direkt umgeben von fünf großen Seen.
Trotz aller Irritation – ich konnte mir das Staunen nicht verkneifen. Wo waren
wir?
Wir folgten weiter dem alten
Bergpfad, bis er an einer Abzweigung wieder höher ins Gebirge führte, auf dem
anderen Weg aber in die Ebene. Das war der Pfad, dem wir folgten. Ein langer,
aber zumindest ungefährlicher Abstieg, bis wir schließlich über die weite
Graslandschaft auf die Straße zustapften, endlich zur Stadt gelangten. Es war
eine gewöhnliche Stadt, wie mir schien, mit einer Mauer, einem gewissen Treiben
innerhalb von ihnen, einigen Feldern davor. Sowie ein paar Stadtwachen am Tor.
„Entschuldigung, wir hätten eine Frage … welche Stadt ist das hier?“, fragte
Suena.
Verdutzt sahen die zwei Stadtwächter sich an, dann meinte der eine auf einem
mit klingendem Akzent versehenen Comentang: „Das hier ist Ealalinn, die Stadt
der fünf Seen.“
„Äh, dankeschön“, sagte die Lidralierin und mit einem Nicken schritten wir an ihnen
vorbei. Unser geringes „Reisegepäck“ war keiner größeren Untersuchung wert. Doch
nur wenige Meter weiter machten wir Halt, sahen uns alle verwundert an.
„Ealalinn, das ist doch Erainn. Wir sind auf unserer Reise nordwärts einige
Meilen entfernt von hier entlang gekommen“, überlegte Suena.
„Ich habe auch davon gehört … wie kann es sein, dass wir hier sind, wo wir doch
gerade noch in Ywerddon waren. In ein paar Stunden durchquert man doch nicht
das ganze Gebirge“, gab ich hinzu. Jenn rechnete derweil, sie kannte sich in
dieser Gegend noch am besten aus, hatte sicherlich mehr Karten gesehen, als wir
anderen zusammen: „Das sind zweihundert, vielleicht sogar dreihundert Meilen,
die wir … ‚gesprungen‘ sind?“
„Wer auch immer diese Einsiedler waren – sie hatten mächtige Magie zu ihrer
Verfügung“, schloss Suena. „Das muss eine Art magisches Portal sein.“
„Nur seine Bedienung ist uns ein Rätsel“, ergänzte sie auf eine Anmerkung
Darios hin. „Aber jetzt … wir sind so nahe bei so vielen Seen. Gebt mir etwas Zeit,
ich muss sie mir ansehen.“
„Was? Seebesichtigung? Ist das das Beste, was wir gerade zu tun haben?“, fragte
ich verdattert.
„Ich habe die Hoffnung, mich um etwas kümmern zu können.“
„Worum denn?“
„Nun, falls du dich erinnerst, da war ein gewisser Fluch, der mich getroffen
hat“, fauchte sie.
„Und da hilft ein Bad?“, gab ich nicht minder barsch zurück.
„Mir schon.“
„Wie? Sag doch endlich, was du machen willst. Diese verdammte
Geheimniskrämerei.“
Suena seufzte und ich befürchtete schon, sie würde wieder einmal in
nichtssagendes Schweigen verfallen. Dann sagte sie jedoch: „Ich muss mit meiner
Mentorin sprechen. Meine sichtbare Freundin, wenn du es so ausdrücken willst.
Sie ist eng mit dem Wasser verbunden und kann mir vielleicht helfen.“
„Geht doch“, brummte ich. „Dann viel Erfolg. Wir suchen uns in der Zeit ein
Gasthaus am Hauptplatz.“
Unsere Hexe verabschiedete sich vorerst von uns, doch Dario legte ein Veto
dagegen ein, direkt ein Gasthaus aufzusuchen. Die Sonne mochte noch ein, zwei Stunden
am Himmel stehen und wir hatten zahlreiche Zeugnisse der Schrift dieses
einsiedlerischen Kults. Also machten wir uns auf die Suche nach einem
Bibliothekar. Jenns Muttersprache war Erainnisch, sodass sie sich am
schnellsten durchfragen konnte. Ihr wurde der Name Fregal genannt und so
machten wir uns auf den Weg zu dem Mann.
Er war Besitzer einer kleinen,
aber prall gefüllten Bibliothek, die etwas in den Seitengassen der Stadt lag.
Bei unserem Eintreten waren wir die einzigen Gäste, sodass der ältere Mann sich
uns schnell beflissentlich näherte.
„Seid gegrüßt, seid Ihr Fregal der Bibliothekar?“, fragte Jenn.
„Durchaus, seid auch Ihr mir gegrüßt. Wie kann ich euch helfen?“
„Wir hätten einige Bücher … und einen Abrieb, zu denen wir die Übersetzung benötigen.
Könnt Ihr das für uns tun?“
„Um welche Sprache handelt es sich?“
„Das … wissen wir nicht.“
Einen Moment lang war der Mann verdutzt, dann glitzerten seine Augen jedoch. So
etwas schien wahren Nervenkitzel für ihn zu bedeuten. Wir präsentierten ihm
Bücher und Abrieb, über die er wuselig entlangfuhr. Die Nase berührt dabei
beinah das alte Pergament, bis Fregal davonwuselte, um mit einem großen, dunkel
eingebundenen Folianten wiederzukehren.
„Kein Wunder, dass ihr die Sprache nicht kennt, wir wissen nicht einmal, wer
sie gesprochen hat oder wie sie heißt“, erklärte der Mann. „Ein Volk von
Mönchen und Magiern, das kann man auf jeden Fall sagen, aber dann wird es auch
schwieriger. Aber ich habe hier ein Lexikon, in dem einmal ein Magister festgehalten
hat, was er von dieser Sprache übersetzen konnte. Gebt mir etwas Zeit, dann
kann ich euch sagen, was die Themen der Bücher sein könnten und was hier auf
diesem Abrieb steht.“
„Danke. Was wird uns das kosten?“, fragte Jenn.
„Wir könnten ihm ja welche der Bücher lassen“, meinte ich.
„Das wäre sehr gut! Dann könnte ich diese Sprache weiter studieren …“
„Ihr könntet uns morgen auch in die Ruinen begleiten, in denen wir diese
Schriftstücke gefunden haben“, schlug Jenn vor. Da wurde Fregal merklich blasser
um die Nasse.
„Ähm, also … ich denke, mein größter Nutzen ist mit meinen Büchern, Folianten,
Indexen und Akten, ja, also der ist … hier, in der Bibliothek. In Ealalinn.“
Ich grinste den Bücherwurm an, was vielleicht auch eher aussah wie ein Zähneblecken,
so schnell wandte er sich den Texten zu. „Ich denke, morgen kann ich euch einen
Eindruck geben!“, rief er.
„Danke“, sagte Jenn noch einmal, dann verließen wir den alten Kauz.
Wir suchten nun das erste Gasthaus auf, das sich am zentralen Platz von Ealalinn finden ließ – schließlich musste uns Suena ja noch finden. Ein größeres Zimmer war für uns vorhanden, wo wir unsere Sachen verstauten und uns dann einem guten Mahl zuwandten. Ich war gerade dabei angekommen, die Knochen aus der Suppe zu holen und aufzubrechen, da kam unsere Hexe schon durch die Tür – klatschnass. Das Haar hing ihr tief ins Gesicht, sie schleppte sich zudem mehr schlecht als recht auf den Beinen. Zedd eilte sofort zu ihr, doch sie winkte ab. „Das kann jetzt erstmal keiner heilen … aber ich werde auch nicht auf absehbare Zeit verdorren“, erklärte sie ermattet, aber dennoch sichtlich erleichtert. Am Abendessen nahm sie jedoch nicht mehr Teil, sondern wankte direkt in das Bett, das wir für sie organisiert hatten. Es dauerte nicht mehr lange, da zogen auch wir uns auf das Zimmer zurück und schliefen einen tiefen Schlaf – fern der Ruinen, der Untoten und frei von Alpträumen. Doch ich sah lange Tunnel vor mir und ein Ende, das noch nicht erreicht war.
Am nächsten Tag nahmen wir noch
ein schnelles Frühstück zu uns, bezahlten den Wirt und gingen dann direkt zu
Fregal. Suena hatten wir mittlerweile ins Bild gesetzt und wir erwarteten nun
gespannt die Übersetzungen des Bibliothekars.
„Bei den Büchern handelt es sich um Abhandlungen über verschiedene Bereiche.
Vielen davon würde man heutzutage kaum Beachtung schenken und es lässt sich
auch nicht leicht sagen, warum es damals anders war. Dieses hier zum einen: Es
behandelt das Rotkraut sehr intensiv. Aussaat, Pflege, Ernte, Zubereitung, Wechselwirkungen.
Rund zweihundert Seiten davon, wenn ich das so überfliege.“
„Das ist ja … interessant?“, meinte Jenn. Selbst Suena und Zedd, doch sonst
recht neugierig auf verschiedenste Wissensbereiche, stutzten hier etwas.
„Das hier behandelt die bekannten Weltmeere sowie Diskussionen über das, was
dahinter liegen könnte. Und so geht es weiter …“
„Was steht auf dem Abrieb?“, fragte ich dazwischen.
„Hm? Ach ja, das ist etwas seltsam: ‚Tretet herein, wer den Wind vor sich
trägt.‘“
„Was?“
„Ein Rätsel oder etwas dieser Art.“
„Und was bedeutet das?“
„Woher soll ich das wissen?“
Hilflos blickte ich den Bibliothekar an, dann meine Begleiter. Auch sie waren
in rätselndes Nachgrübeln versunken, ehe Suena in ihre Tasche griff und einen
Taler herausgriff. Seine Abbildung zeigte eine Hand – über ihr waren
wellenförmige Symbole eingezeichnet.
„Das ist ein Symbol für Luft … damit trägt man den Wind in seiner Hand!“,
folgerte sie. Erstaunt blickte ich sie an, aber es klang irgendwie plausibel.
Wir einigten uns mit Fregal darauf, dass er das Exemplar zum Rotkraut und noch
ein, zwei andere Werke seiner Wahl behalten durfte, dann machten wir uns wieder
auf den Weg in das Gebirge.
Es war ein steiler Aufstieg, doch
der uralte Pfad führte uns um Geröllhänge und andere Unwägbarkeiten sicher
herum. Gegen Mittag erreichten wir wieder die Höhle, blickten hinauf zur
eigentümlichen Inschrift, die laut Fregal das Rätsel über die Funktionsweise
dieser magischen Wegekreuzung preisgab. Suena hielt den Taler vor sich und schritt
voran. Wir folgten – und gelangten in eine Höhle, in der das leise Plätschern
eines Baches erklang, mit einer Insel in der Mitte dieses Flüsschens, darauf
eine Kerze. Unentzündet.
„Es funktioniert!“, jubelte ich, froh darüber, dass meine Gefährten dieses
Rätsel gelöst hatten. Doch für sie begann die Zeit des Experimentierens erst.
So stellten wir fest, dass ohne angezündete Kerze ebenfalls ein dauernder
Kreislauf entstand. Und wir erkundeten, was jenseits des anderen Tunnels lag.
Dort entdeckten wir eine langgezogene Schlucht, durch die eine solide
ausgebaute Straße führte. In der Ferne ließ sich eine Stadt ausmachen, doch war
sie viel weiter entfernt, als wir an einem Tag marschieren konnten. So legten
wir unseren Fokus schließlich wieder auf das Labyrinth dieses Volkes von
Mönchen und Magiern. Und dort gab es nur noch einen Weg zu gehen: Den Weg unter
dem weißen Stein.
Die Tür war mittlerweile wieder
zugefallen, doch mit den sechs Talern öffnete sie sich im Nu wieder vor uns. So
standen wir nun vor dem weißen Quader – es wurde Zeit. Gemeinsam stellten sich
Jenn und ich auf eine Seite und begannen mit dem Versuch, den Stein
wegzuschieben. Kaum, dass unsere Hände den kalten Marmor berührt hatten,
erscholl eine Stimme. In meinem Kopf – auf Twyneddisch: „Gebt Acht. Unter
diesem Felsen liegt jener, der einst in diesem Land wütete. Seine Horde hat
diesen Ort heimgesucht und nur unter Aufwand des letzten Willens konnte es
gelingen, ihn wegzusperren. Er liegt hier weggesperrt von der Welt, bis die
kommen, die auserwählt sind. Große Helden, die in der Lage sind, ihn
höchstselbst zu töten: den Dämonenfürsten Sharku.“
Dann wurde es still. Wir hielten inne und blickten einander an, Jenn und ich
hatten die Hände von dem Quader genommen. „Habt ihr das auch gehört?“, fragte
ich schließlich. „Diese Stimme? Auf Twyneddisch?“
„Ich habe eine Stimme gehört, aber sie sprach Erainisch“, erwiderte Jenn. „Apropos:
Ich habe es euch doch …“
„Psst“, machte Suena und warf ein: „Ich habe Neu-Vallinga gehört. „Das war
eindeutig Magie. Eine Warnung davor, den Stein zu entfernen.“
„Aber was, wenn wir die Helden sind?“, fragte Zedd. „Diejenigen, die
vorherbestimmt waren?“
„Was spricht dafür?“, sagte Suena.
„Wir sind hier“, stellte ich fest. „Aeldun ist mit seinen Gefolgsleuten nicht
so weit vorgedrungen, überhaupt war hier seit Jahrzehnten niemand. Außer wir.“
Zedd nickte sofort, Dario stimmte nach etwas Nachdenken auch ein.
„Einen Versuch ist es wert“, stellte Jenn auch fest. „Zur Not verschließen wir
das Ganze wieder.“
„Ob das so einfach wird“, seufzte Suena. Da sagte Dario noch etwas, wobei seine
Hände einen Kreis über seinem Kopf andeuteten. Zweifelsohne berief er sich auf
seinen unsichtbaren Freund, was mir Zedd prompt bestätigte: „Der Dämonenfürst wird
ein Knecht des Alaman sein. Wir sind Gefolgsleute des wahren Lichts der
strahlenden Sonne – Ormut wird uns führen und uns zur Seite stehen!“
Auch wenn ich nicht gerade begeistert von der Vorstellung war, von dem
unsichtbaren Freund meiner Begleiter irgendwo hingeführt zu werden, dies war
das Schlusswort. Jenn und ich stemmten uns noch einmal gegen den Quader. Doch
bereits beim bloßen Kontakt, ging ein Ruck durch den Stein und von selbst
schwang er von uns weg. Der Blick auf eine lange Treppe wurde offenbar, die
hinab in die Dunkelheit führte. Dario hielt unsere Fackel an das dunkle Loch,
in dem die Stufen bereits nach einem Meter kaum noch sichtbar waren. Die
Schatten verzogen sich nicht, sondern blieben wie eine dunkle Wolke haften. Der
Araner zog die Stirn kraus, schloss für einen kurzen Moment die Augen und
vertrieb mit seinem Zauber alle Schatten aus dem Raum – doch nicht aus dem
Loch. Dort waberten die Schatten, einige dunkle Fäden schienen uns gar entgegen
zu züngeln. Und es wurde kälter in der Kammer. Bei meinem nächsten Atemstoß sah
ich eine Wolke aus meinem Mund aufsteigen. Was auch immer dort unten lag, es
hatte Macht.
Doch wir ließen uns nicht
aufhalten. Mit gezückten Waffen schritten wir nacheinander in die Finsternis,
gingen langsam Stufe für Stufe hinunter. Dario schritt voran, darauf folgte Jenn, dann
ich, Suena und zuletzt Zedd. Als ich meinen Stiefel auf die erste Stufe
stellte, die in vollständiger Dunkelheit verhüllt war, fühlte es sich an, als
würde ich in einen eisigen Gebirgsbach treten. Die Kälte zog durch das Leder hindurch,
ging bis in die Knochen hinein. Jetzt gab es kein Zurück mehr, Schritt für
Schritt traten wir weiter in die Tiefe. Vor mir verschwand Dario in der
Schwärze – Jenn zögerte kurz, was ich dankbar für eine Pause nahm und die Augen
schloss.
Unmittelbar erblickte ich eine lachende Fratze vor mir, rote Haut, im Gesicht
tiefglühende Augen, Kohlestücke, die sich in mich hineinbrannten – ich riss die
Augen wieder auf, spürte Suenas Hand auf meiner Schulter und sah, dass Jenn
weitergegangen war. Verschwunden.
Ich folgte ihr, schritt weiter in
die eisige Finsternis, bis sie meine Brust erreichte, meinen Hals, dann meine
Augen. Es war vollständig dunkel. Einen Moment lauschte ich, doch wo ich vorher
noch das leichte Auftreten meiner Begleiter hatte vernehmen können, war jetzt
Stille. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, achtete darauf, nicht zu
stürzen. Wer konnte schon sagen, was seitlich der Treppe lag – oder ob sie
einfach im Nichts endete?
Doch mit jedem Schritt spürte ich den Boden weniger unter mir. Es war, als
würde ich nach oben treiben, wie Unterwasser. Ich hörte nichts mehr, verlor das
Gefühl für meine Umgebung. Ich spürte nur noch die Kälte, die sich wie Nadeln
durch meine Haut stach. Ich spürte sie in meinen Knochen, in meiner Lunge. Die
Luft schien zu schwer zu werden, sie zu atmen, ein Stechen in der Brust.
Dann eine Berührung an der Schulter. Ich fuhr herum, nur um nichts erkennen zu können, spürte eine andere leichte Berührung am Bein. Etwas war hier. Ein Lachen erklang irgendwo in der Ferne, oder mitten in meinem Schädel, ich konnte es nicht sagen. Eine weitere Berührung, ich schlug mit der Axt zu, doch ich traf nichts. Das Lachen wurde stärker, im nächsten Moment wurde ich gestoßen, ich spürte keinen Boden mehr unter den Füßen, schrie auf – dann waren da wieder Steinstufen unter mir, ich schlug auf mehreren auf, rollte einige weiter, blieb dann liegen. Und zog Arme und Beine eng an mich. Diese Kälte. Diese Dunkelheit.
Plötzlich sah ich in der Ferne
ein Licht. Es war, als wäre ich auf einer Empore und blickte hinab in eine
Arena. Es war ein lang gezogener Thronsaal, dessen Enden mit der Finsternis zu
verwachsen schienen. Zwei Reihen hoher, schwarzer Säulen verliefen in der Mitte
zu einem großen, dunklen Thron. Darauf saß eine menschengroße Gestalt mit roter
Haut, einem Schuppenpanzer und der Fratze des Dämons. Ein breites Grinsen aus
dem die spitzen Zähne herausragten, dunkle Widderhörner, die geschwungen aus
den Schläfen ragten. Augen wie glühende Kohlen. Das Wesen lachte, doch es war
nicht allein.
Vor ihm stand Dario – wie auch immer der Araner den Willen aufgebracht hatte,
so weit zu kommen. Der Ordenskrieger hatte sein Schwert gezogen und dem Dämonenfürsten
entgegengestreckt. Doch der Dämonenfürst machte eine wischende Bewegung. Das
Bild verschwamm.
Wir waren wieder alle beieinander
und auf den Beinen. Dario schnaufte, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Ich
spürte nun auch eine Hitze, die uns bedrängte. Wir befanden uns auf einer
kleinen Felsinsel inmitten eines roten Sees. Ein kochender See, darin
geschmolzenes Gestein … ein Lavasee. Die Luft brannte förmlich, ich hatte das
Gefühl, der schnelle Wechsel aus der Eiseskälte würde meine Knochen zum Splittern
bringen. Es gab nur einen Weg hier weg: über eine steinerne Brücke, über den
See hinweg zu einem großen, dunklen Turm.
„Sterbliche!“, erklang die Stimme des Dämons. Unwirklich, grausam. Ein Wort und
seine Boshaftigkeit troff aus dem Nichts auf uns. „Bleibt auf der Insel und
verweilt, wenn euch euer Leben lieb ist – oder beendet es schnell und springt. Doch
wenn ihr Schmerzen kennenlernen wollt, wirkliche Qualen, dann geht über die
Brücke und kommt zu mir. Ich bin der Dämonenfürst Sharku, ich werde euch
lehren, was Bedauern ist.“
Dario rief etwas in die Leere, Zedd übersetzte sofort: „Kein Zögern, kein
Zaudern. Wir werden dem Knecht Alamans ein Ende bereiten. Der Dämonenfürst muss
gebannt werden.“ Schon standen die beiden Araner Seite an Seite, beseelt von
ihrem unsichtbaren Freund Ormut. Ich packte meine Axt – konnte mich doch nicht
von diesem Ordenskrieger und dem Priester ausstechen lassen! Meine unflätige
Beleidigung des Dämons ließ ich unübersetzt, dann folgte ich den beiden Aranern,
Jenn und Suena an meiner Seite. Wir fünf schritten über die Brücke, dem Herz
des Bösen entgegen.
Die Szenerie wandelte sich, als
der letzte von uns die Insel verlassen hatte. Wir sahen wieder den Thron –
diesmal standen wir alle davor, blickten auf hinauf zum Dämonenfürsten Sharku. Der
rote Teufel war nun mehr als doppelt so groß wie wir, saß zurückgelehnt auf
seinem dornenbesetzten Thron.
„Eure letzte Chance, Sterbliche. Ergebt euch mir hier und jetzt, opfert euren
Willen, werdet meine Diener – und überlebt“, sagte Sharku und beugte sich vor. Seine
Augen glommen auf, wie ein verzehrender Feuersturm fegte sein Blick über uns
hinweg.
„Ja“, kam es aus meinem Mund, ich hörte meine Stimme, obwohl es nicht mein
Wille war. Doch ich spürte ihn schwinden.
„Ja“, sagte auch Jenn, die neben mir stand, der Blick glasig, der Körper starr.
Seine dämonische Zaubermacht hatte uns unterworfen, ich spürte mich schwinden. Doch
unsere Gefährten traten einen Schritt hervor. Suena, Dario, Zedd. Sie waren
entschlossen und aus ihren Mündern kam einstimmig: „Nein.“
„Dann sterbt“, sagte Sharku und erhob sich. Dario erhob die Hände zum Gebet,
Suena wollte einen Spruch zaubern. Doch der Dämonenfürst reckte ihnen eine Hand
entgegen, die sich langsam schloss – die Körper meiner Begleiter erstarrten. Sharku
hatte ihren Willen nicht unterwerfen können, aber ihre Körper schon. Im
nächsten Moment hielt der Dämonenfürst seine rechte Hand so, als würde er etwas
erwarten. Dann züngelte Feuerkugeln um seine Finger, formten einen langen Speer
… nein, ein Zweihandschwert aus glühendem Eisen, das der rote Teufel mit einer
Hand griff und langsam wie der Henker auf seine Gefangenen zu schritt. Dario,
Zedd, Suena – wehrlos, doch immer noch mit einer Entschlossenheit in den Augen,
die ihresgleichen suchte. Selbst angesichts des sicheren Todes.
Ich spürte plötzlich den Druck
auf meinem Geist schwinden. Ich konnte mich wieder bewegen. Die Axt ließ ich
fallen, machte mir keine Hoffnung, damit etwas gegen den Dämonenfürsten
ausrichten zu können. Meine Hände packten den Griff des Ogerhammers, vielleicht
vermochten es diese zwanzig Pfund Eisen.
„Lass sie los!“, brüllte ich und stürmte auf den Dämonenfürst zu, schwang den
Hammer hoch über meinem Kopf. Und überraschte Sharku, kurz bevor er Dario
erreicht hatte. Der Ogerhammer traf ihn vor die Brust, Funken stoben von ihm
auf – und ich drängte ihn einen Meter zurück.
Der Bann über meine Gefährten
brach, der Tanz begann. In Windeseile waren Dario und Jenn an meiner Seite,
während Zedd und Suena im Hintergrund ihre Zauber woben.
„Widerliche Sterbliche“, brüllte der Dämonenfürst und seine Stimme war ein
Donnerhall, dem sein erster Schwerthieb wie ein Rammbock folgte. Ein Streich
reichte aus, um drei Männer zu fällen – und der erste Hieb erwischte mich. Das
glühende Eisen schmolz meinen Lederharnisch, riss das Fleisch bis auf die
Knochen auf, verband blutige Wunde mit dem Rest meiner Rüstung zu einem
verdorbenen Wulst. Die Waffe Sharkus glitt weiter, traf Dario am linken Arm,
der fast abgeschlagen wurde, dann Jenn am Bauch, wo nur das gleichzeitige
Kauterisieren mit dem Treffer verhinderte, dass ihre Eingeweide nach außen
drangen.
Doch wir waren hier und unser Wille war ungebrochen. Mit Schreien auf den
Lippen attackierten wir Sharku mit allem, was wir hatten. Dario war schnell wie
der Wind selbst, ließ zwei Hiebe kurz aufeinander folgen. Die Haut des
Dämonenfürsten war mit dunkelroten Schuppen übersät, doch der Ordenskrieger
schlug ein Kreuz in sie hinein, dass Asche und Glut aus dem Inneren
hervorstieben. Jenn traf zielsicher mit ihrem Rapier in den Schnittpunkt
hinein, entlockte dem Dämon einen fürchterlichen Schrei. Dann folgte mein
Ogerhammer mit einem lauten Krachen, eine Feuerlohe spuckte mir aus dem Inneren
Sharkus entgegen und steckte meinen Bart in Flammen.
Während ich den Brand in meinem Gesicht erstickte, wollte mich der Dämon greifen, in der Luft zerreißen – ein frecher Frostball traf ihn da am Schädel und lenkte ihn ab. Sofort war Dario zur Stelle, tänzelte um den Riesen herum und hieb mit aller Gewalt auf die Achillessehnen Sharkus ein. Es gab einen lauten Knall, der Dämonenfürst stieß einen Schrei aus und ging auf ein Knie. Doch einen weiteren Angriff führte er nichtsdestotrotz, ein Rundumschlag sondergleichen. Aber Jenn konnte ihn unterlaufen und noch von unten gegen den Arm schlagen, dass er nach oben abgeleitet wurde. Hinein in den Hieb meines Ogerhammers. Der schwere Kopf der Waffe traf auf die riesige Hand Sharkus, zerschmetterte die Finger, das Schwert wurde davongefegt. Es zog einen Funkenflug hinter sich her, landete einige Meter von uns entfernt auf dem Boden und verging in einer Feuerwolke.
Sharku lachte. Ein lautes,
gellendes Lachen, dem auch ein unmittelbarer Stich Jenns in den Hals und Darios
in die Brust nichts anhaben konnte. Und er erhob sich, ließ die Zauber Suenas
an sich abprallen. Seine Hand fügte sich wieder, darum tanzten erneut
Feuerkugeln – und formten ein neues Schwert, noch feuriger, noch dämonischer
als das vorherige.
Dario schrie „Ormut“, war beseelt von seinem Gott und ließ sich selbst
angesichts dieser Demonstration ungebrochener Macht nicht aufhalten. Er hackte
noch zweimal auf den Dämonenfürsten ein, brächte jeden Menschen zu Fall. Doch
Sharku verzog zwar erneut das Gesicht, spürte die Schmerzen. Dann schlug er
jedoch zu und schlitzte Dario der Länge nach auf. Begleitet von einem
Feuersturm wurde er davon gefegt.
Sharku wandte sich nun Jenn und mir zu, die wir schreiend auf ihn losstürmten,
wir hatten Darios Namen auf den Lippen. Doch mit seiner Rückhand, als wäre es
eine lästige Fliege, wehrte der Dämonenfürst meinen Hieb ab, dann stach er zu.
Das glühende Eisen seines Schwertes drang durch meine rechte Schulter, ich sah
plötzlich nur noch Feuer und spürte als nächstes den steinernen Boden unter
mir, als ich zehn Meter weiter aufschlug. Und dann diese Kälte.
Jenn unterlief noch einen Angriff und noch einen. Suena warf Zauber für Zauber
auf Sharku, Zedd kniete an der Seite von Dario, den Blick zum Himmel gerichtet,
der hier ewige Schwärze war.
„Verdammte Sterbliche!“, brüllte
der Dämonenfürst auf. „Ihr habt mich lange genug herausgefordert – Geht!“
Sharku stieß sein Schwert in den Boden und alles verging in einer großen
Feuerkugel.
Um mich herum war es dunkel. Und
so kalt. War dies das Ende? Der Tod?
Ich spürte aber auch steinerne Stufen unter mir. Die Treppe. Mein Körper war
eine einzige Wunde, doch ich drehte mich auf den Bauch, robbte Stufe für Stufe
nach oben. Wenn ich sterben sollte, dann wenigstens im Licht.
Mein Kopf tauchte aus der ewigen
Finsternis und Kälte auf, ich erblickte den kleinen Raum. Und Suena, Jenn. Sie
zogen mich die letzten Stufen hoch, unsere Zauberin begann sofort mit der
Versorgung meiner Wunden. „Wo ist Dario? Wo Zedd?“, fragte ich.
Suena presste die Lippen aufeinander, sah hinab in die Schwärze. Entsetzen
breitete sich in mir aus, griff nach meinem Magen und drückte ihn zusammen. Doch
dann hörte ich Schritte, Füße auf Treppenstufen. Dann sahen wir sie: Dario gestützt
und gerettet von Zedd. Kaum, dass sie die letzte Stufe hinter sich gelassen
hatten, trat Jenn zum großen, weißen Quader und berührte ihn. Er schwang über
den Schlund zur Finsternis – und die Kälte wich. Wir hatten überlebt.