Fieber im Süden

Drei Monde vergingen, da rief Feanor Miyako, Groam und mich wieder zu sich. Wir waren bereits seit einigen Tagen mit unseren Lehrstunden fertig und waren ratlos, wohin wir uns wenden sollten. Da kam der Aufruf des Magiers gerade recht und neugierig gingen wir zu seinem Büro. Wo er uns in altbekannter Manier hinter seinem gewaltigen Schreibtisch erwartete.

„Ah, gut, dass ihr so rasch kommen konntet. Setzt euch doch… ich habe eine Idee, wie wir weiter verfahren können. Meine bisherigen Nachforschungen haben einige wenige blinde Flecken, um die ich mich bisher nicht kümmern konnte. Einer davon ist Rawindra. Jenes Land tief im Süden, in grober Nähe zu KanThaiPan. Es ist weitläufig und undurchsichtig, darüber hinaus verfügt es über nahezu keine Geschichtsschreibung. Abgesehen von den westlich gelegenen Städten ist es überdies für Fremde nicht gerade leicht, Anklang zu finden. Die Menschen leben in einer tiefreligiösen Gesellschaft, die sich in Kasten gliedert… und Fremde sind kein Teil des Systems.
Nun sehe ich aber eine Möglichkeit, dass ihr euch dort umsehen könnt und wie wir das sinnvollerweise mit einer weiteren Tätigkeit verbinden können. Ich habe mich vor einigen Monaten zwei junger Talente aus dem Ausland angenommen. Dank meiner Hilfe konnten sie hier in der Gilde lernen und sind besonders an Rawindra interessiert, einer hat bereits die wichtigsten Grundlagen der Sprache erlernt. Ich bot ihnen an, Geleitschutz für eine Reise aufzutreiben. Da kommt ihr ins Spiel. Von den Rosen habe ich den beiden Nichts erzählt. Ich habe Vertrauen in ihr Potenzial, aber alles weitere wird sich erst zeigen müssen. Daher werde ich euch zunächst als einfache Begleiter vorstellen und wenn Anomalien erkennbar werden, könnt ihr die beiden in die richtige Richtung stupsen.“


„Was könnten solche Anomalien sein?“, fragte Miyako nach. „Im Falle der Eis-Rose wohl ungewöhnlich niedrige Temperaturen…“
„Und wenn das Element Wasser aus dem Gleichgewicht geriete, dann könnte das den üblichen Monsun in Rawindra sicherlich um ein Vielfaches verstärken. Die Folgen wären womöglich verheerend.“

Es folgte einen Moment der Stille, ehe Feanor wieder das Wort ergriff: „Nun, ich habe bereits damit gerechnet, dass ihr nicht abgeneigt sein werdet. Die beiden dürften bereits vor dem Raum stehen.“
Und tatsächlich – wenige Sekunden später traten zwei Gestalten herein. Der erste war ziemlich groß und überragte mich sicherlich um mehr als einen Kopf. Er trug dazu eine fremdländische Reisekleidung. Sie wirkte bereits etwas schäbig und abgetragen, sodass die bunten Farben weitestgehend ausgeblasst waren. Seine Kleidung schien jedoch nicht gänzlich seiner Herkunft zu entsprechen. Teint und Haarfarbe erinnerten mehr an einen Küstenstaatler. Der zweite Schützling Feanors mochte vielleicht seinen Gesichtszügen und den blonden Haaren nach zu urteilen ein Waelinger sein – allerdings war er ziemlich klein und schmächtig für einen dieser nordischen Krieger.

„Seid gegrüßt. Dies sind die drei Abenteurer, von denen ich euch berichtet habe. Mit ihnen dürfte die Reise nach Rawindra kaum noch eine Gefahr für euch darstellen“, stellte uns Feanor mehr oder weniger vor. Allerdings hielt er es wohl nicht für nötig, irgendwelche Namen zu nennen. Ebenso wie die beiden Studenten, die sich nun zu uns an den Tisch setzten. Daher beugte ich mich schließlich vor und begann: „Mein Name ist Ilfarin.“ „Miyako.“ „Groam“, setzte es sich hinten dran.

„Ach, wie konnte ich das vergessen. Mein Name ist Ricardo… das genügt vollständig“, erklärte der Küstenstaatler.
„Leif“, erklärte sich der andere, der damit seine nordische Herkunft bestätigte. Sie machten beide einen nicht gerade unfreundlichen Eindruck, gaben sich allerdings auch keine sonderliche Mühe, sich vorzustellen. Wir waren die Wächter, sie die Geschützten und damit gab es wohl Nichts mehr zu bereden.

„Was sollten wir denn noch alles für die Reise organisieren?“, fragte Miyako.
„Nun, wir brauchen noch weite Kleidung. Ricardo hat bereits passende Kleidung, wir finden bestimmt etwas auf dem nahen Marktplatz“, erklärte Leif. „Ansonsten müssen wir lediglich das Schiff finden, was uns an den ersten Ort unserer Reise führen kann: Mangalwar!“
„Das Schiff werde ich suchen“, verkündete Ricardo. „Ich mache mich am besten gleich auf den Weg.“

Schon war der Küstenstaatler verschwunden, ehe irgendjemand Einwände hätte erheben können. Leif, Miyako und ich erhoben uns ebenfalls. Groam grummelte und murmelte irgendwas in seinen Bart und machte sich anschließend ebenfalls auf – allerdings nicht mit auf den Marktplatz. Angemessene Kleidung würde bedeuten, sein Kettenhemd auszuziehen. Da dies für den Zwerg einer Häutung gleichkäme, beschloss er, die Temperaturen zu nehmen, wie sie kamen. So ging Groam also in die Mensa, um sich dort die Zeit zu vertreiben, während wir zu dritt auf die Suche nach weiter Kleidung gingen. Möglichst bunt, um nicht aufzufallen.
Wie üblich in Candranor, war auf dem Markt einiges los, wenngleich sich dieses eher am Rande gelegene Gebiet nicht mit dem Hafen messen konnte. So konnten wir recht schnell einen Händler ausfindig machen, der in seiner Auslage allerlei bunte Stoffe und daraus gefertigte Kleidung hatte. Gerade stand lediglich ein anderer Mann bei ihm, der angeregt mit ihm zu diskutieren schien. Geduldig reihten wir uns hinter ihm auf. Mir fiel bereits auf, dass der schnell daherredende Käufer immer wieder hustete…bis er nicht mehr damit aufhörte.

Gerade, als ich überlegte, dem Mann zur Hilfe zu kommen, hustete er besonders heftig los und besprenkelte die gesamte Auslage mit Blut. Schreiend wich der Händler zurück, während der Kranke herumtorkelte und wild um sich hustete. Blutstropfen flogen durch die Luft, einige erwischten mich mitten im Gesicht. Wo sie auftrafen, flammte ekelhafter Schmerz auf und ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen.
Ich hatte kaum mitbekommen, dass ich auf die Knie gesunken war, da machte ich die Augen wieder auf. Es waren nur wenige Augenblicke vergangen: der Kranke lief so schnell er konnte davon, der Händler zeterte hinter ihm her und Miyako blickte auf mich herab, um einzuschätzen, ob ich tatsächlich in größerer Gefahr schwebte. Leif indes lief los…um einen anderen Stand zu finden. Keinen meiner Gefährten interessierte der flüchtende Bluthuster.
„Alles in Ordnung, Ilfarin?“, bekundete Miyako immerhin ihre Sorge um mich.
„Ja…nein…ich weiß es nicht. Am besten gehe ich zurück zum Gildenhaus und lasse mich untersuchen.“

Miyako nickte mir zu, dann schloss sie sich Leif an, damit die beiden geeignete Kleidung erstehen konnten. Ich indes machte mich auf den Weg zurück zum Haus des Elementarsterns. Unablässig fuhr ich mir dabei über das Gesicht. Es hatte sich angefühlt, als hätten sich die Blutstropfen in meine Haut hineingebrannt. Davon war nun Nichts mehr zu spüren, doch das beruhigte mich nicht ansatzweise.

Bei den Magiern angekommen, wandte ich mich direkt an Aregolos. Er war ein fähiger Arzt und in diesen Sachen auch in den letzten Monaten mein Lehrmeister gewesen. Zwar musste ich warten, bis er einen Vortrag beendet hatte, dann brachte er mich jedoch umgehend ins Untersuchungszimmer und ließ mich sehr genau schildern, was geschehen war.
„Hm… das ist extrem ungewöhnlich. Ich werde eine Vielzahl von Tests durchführen müssen, da ich kaum einschätzen kann, wie etwas derart Seltsames geschehen konnte und inwiefern es Euch geschadet hat.“

Das nahm ich hin – nicht, dass ich eine Wahl gehabt hätte. Aregolos tat dies und jenes, was ich kannte und einiges mehr, das mich die Stirn runzeln ließ, wie mein Blut in verschiedenste Lösungen zu geben. In der Zwischenzeit kam sogar Feanor kurz vorbei, der nebenbei von meinem Zustand erfahren hatte und erkundigte sich in seiner üblichen Eile, wie es um mich bestellt sei. Am Abend besuchte mich schließlich noch Miyako, der ich allerdings noch genauso wenig sagen konnte, wie Aregolos mir.
Die Nacht über wälzte ich mich unruhig im Krankenbett. Ein unruhig schlagendes Herz und Schweißausbrüche machten es mir unmöglich, Ruhe zu finden, sodass ich am nächsten Morgen trotz aller Erschöpfung froh war, dass die Sonne ihre ersten Strahlen ins Zimmer sandte.

Dann wurde ich auch schon von einem Diener „geweckt“. Ein Mann sei gekommen und warte mit Feanor im Büro des Gildenmagiers. Etwas verwirrt stand ich auf und ging los. Noch brauchte ich keine Stütze, allerdings ließ mein Gang deutlich seine übliche Sicherheit missen. Maglos wich keinen Zentimeter von meiner Seite. Als ich schließlich angekommen war, erkannte ich den Mann vor Feanor direkt wieder: es war der Mann, der diesen seltsamen Hustenanfall auf dem Markt gehabt hatte!
Er war wirklich recht schmächtig, wenngleich etwas größer als ich. Seine bunten, meist orangenen Gewänder verstärkten geradezu die krankhafte Blässe in seinem Gesicht. Ein merkwürdiger, weißer Punkt auf der Stirn und die etwas dunklere Haut wiesen ihn eindeutig als jemanden aus, der nicht gerade aus Vesternesse oder Valian kam. Verstärkt wurde das durch seine ungewöhnliche Schminke: der junge Mann hatte seine Augen mit schwarzer Farbe umrandet, die nun allerdings etwas verwischt war und ihn ganz schön abgekämpft wirken ließ.

„Ah, Ilfarin. Gut, dass du so schnell gekommen bist. Du hast sicherlich bereits Ghotam bemerkt. Er ist ein mir bekannter Magier aus Mangalwar. Er ist nun zu mir gekommen, da er sich ebenfalls nicht erklären kann, was gestern auf dem Markt geschehen ist.“
„Ja…“, setzte der Mann selbst mit heiserer Stimme hinzu. Er räusperte sich, redete weiter, allerdings trug das kaum zur Verbesserung der Stimmlage bei. „Ich hatte vor einigen Wochen eine typische Tropenkrankheit…dachte ich. Allerdings habe ich mittlerweile meine Zweifel daran…“
„In der Tat. Aregolos hat die ganze Nacht experimentiert und ist sich mittlerweile sicher, dass es sich um ein hochkomplexes Gift handelt, Ilfarin. Eines, das über Ghotam hinweg den Weg zu dir gefunden hat.“
Ich schwieg einen Moment, überlegte, was das alles bedeutete, dann sagte ich: „Und wer hat Ghotam vergiftet?“
„Das ist die Frage“, meinte der rawindische Magier selbst. „Ich kann mir nur wenige Vorstellungen machen, immerhin war ich die letzten Monate sicher in Mangalwar.“

Gerade als ich vorschlagen wollte, meine Freunde herbeizuholen, ging die Tür auf und Miyako betrat mit einem mäßig begeistertem Groam im Schlepptau den Raum. Ihnen folgten auch Ricardo und Leif. An ihren fragenden Gesichtern ließ sich allerdings erkennen, dass sie noch nicht wussten, was vor sich ging.

„Seid gegrüßt. Ich habe euch alle rufen lassen, da die Forschungsreise der jungen Studenten zunächst etwas in den Hintergrund treten muss. Ghotam hier ist ein rawindischer Magier aus Mangalwar und ihr habt ihn ja bereits gestern auf dem Markt gekommen“, begann Feanor eine kurze Zusammenfassung. „Wie Aregolos anhand Ilfarin und einiger erster Untersuchungen an Ghotam feststellen konnte, handelt es sich bei dieser ‚Krankheit‘ um ein komplexes Gift. Also hat jemand in Mangalwar versucht, Ghotam auszuschalten. Dies hat nun leider auch auf euren elfischen Freund übergegriffen.“
„Also brauchen wir ein Gegengift“, schloss Miyako.
„In der Tat. Allerdings bräuchte Aregolos oder jeder andere Arzt eine umfassende Probe des Gifts, um das Gegenmittel herstellen zu können.“
„Dann müssen wir nach Mangalwar und die Attentäter finden?“, brummte Groam.
„Exakt“, bestätigte Feanor.
„Wir können dafür das Schiff nehmen, das mir der Schakraradscha von Mangalwar zur Verfügung stellte um hierherzukommen. Die Nostromo ist einer der schnellsten Segler des Meers der Fünf Winde. In zehn Tagen dürften wir ankommen“, erklärte Ghotam.
„Wendet euch dort am besten an einen… Bekannten von mir. Sein Name ist Mandalusarashan Durmeklarakishan.“
„Ist das ein Name?“, fragte Ricardo verwundert nach.
„Ja, das ist sein Name. Mandalusarashan Durmeklarakishan.“
„Wie? Mandala…“
„Mandalusarashan.“
„Ah ja.“
„Durmeklarakishan.“
„Das ist ein Wort?“
„Ja…, nun um auf den eigentlich Punkt zurückzukommen: er ist etwas eigen, aber ein fähiger Alchemist. Mit einer ausreichenden Portion des Gifts, dürfte er auch in der Lage sein, das Gegengift herzustellen. Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Zeit äußerst knapp ist.“

So war es beschlossene Sache. Wir mussten nach Mangalwar… sonst würde nicht nur Ghotams sondern auch mein Leben schneller und sinnloser enden, als ich es mir vorstellen wollte.
Wir verloren nicht viel Zeit und schafften noch am selben Tage alles, was wir brauchten an Bord der Nostromo. Es war ein kleiner Segler, mit einer überschaubaren Mannschaft. Doch kaum, dass wir abgelegt und uns aufs Meer begeben hatte, wurde klar, dass es sich hier nicht um irgendein Schiff handelte. Die Männer arbeiteten wortlos Hand in Hand und brachten uns auf eine enorme Geschwindigkeit, die von einem enormen Schaukeln begleitet wurde. Während die Matrosen das nicht einmal zu bemerken schienen und wie an Deck genagelt sicher standen, wurden wir anderen, sofern wir haltlos waren, durcheinander geworfen.

Doch bereits nach einem Tag bekam ich davon nicht mehr viel mit. Hitze waberte durch meinen Körper und lähmte jeglichen Gedanken, sofern ich überhaupt einen fassen konnte. Meine Beine verloren an Kraft und am zweiten Tag stand ich nicht mehr aus der Koje unter Deck auf. Zur Linderung erhält ich einige nasse Umschläge, was schließlich auch nicht mehr verhindern konnte, dass ich ins Delirium glitt…

Ich rannte durch den Wald. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Lunge drohte meine Rippen zu zertrümmern – während mir gleichzeitig Angst und Hass durch den Kopf schossen und meinen Blick trübten. Gehetzt wie ein Tier blickte ich mich um, sah weitere Gestalten. Sie rannten, ebenso wie ich. Wir alle spurteten mit allem, was unser Körper hergab durch diesen Wald. Doch kein Geräusch war zu hören. Kein Zweig wurde geknickt, kein Blatt aufgewirbelt. Und auch mein keuchender Atem gab keinen Laut. Nur eisige Wolken, die vor mir aufstiegen und mir gewahr machten, dass es Winter war. Waren wir über die Monate hinweg gerannt? Ich sah nach links und nach rechts. Die Gestalten waren noch da – rannten immer noch. Ich… schaffte es zum Halt zu kommen. Zu Stehen. In diesem Moment der Ruhe, ebbte der Sturm an Emotionen ab, sodass ich klarer sehen konnte, nur um sogleich das Unklare zu erkennen. Wir hetzten durch Schemen. Die Bäume vor uns und der Boden unter uns… wo waren die Formen? Und die Gestalten, sie schimmerten, warfen das unklare Licht entfernter Sterne wieder, als wären sie aus Glas.
Doch die Hatz traf mich wieder und ich rannte, denn ich spürte den Zorn, der die Wildheit entfachte und ich rannte mit den anderen Gestalten weiter. Und wir waren nicht allein. Da waren Hunde, die zwischen uns liefen. Geifer sprühte aus ihren Mäulern, die Muskeln zeichneten sich bei jeder Bewegung in den abgemagerten Körpern ab. Da schoss ein neues Gefühl… nein, neues Wissen in meinen Kopf. Wir jagten Nichts. Wir liefen auf etwas zu. Einem Ende der Jagd, einem Ende…

Die Hunde begannen zu bellen. Erst einer, dann fielen die anderen mit ein. Es war ein aggressives Brüllen, eine Kakophonie, die sich zwischen den schemenhaften Bäumen emporschraubte. Die Gestalten und ich blieben stehen. Wir rückten zusammen, doch wenngleich ich sie nun besser sah, erkannte ich nicht mehr. Das Gebell der Hunde nahm zu. Sie bildeten einen Kreis um uns… einen Schutz. Doch wir mussten rennen! Wir mussten doch rennen…

Es war ein kurzer, wacher Augenblick, als ich die Augen aufschlagen konnte. Ich war allein in der Kammer. Nun, nicht ganz allein. Unter meiner Koje lag Maglos, der sich nicht aus dem Raum entfernt hatte, seit ich hier war. Und der mit einem Knurren jeden angegangen war, der einfach so hereinspaziert war… wenn er ihn den kommen sah. Die Tür ging plötzlich zu und ich meinte in dem sich schließenden Spalt noch eine bekannte, schmale Silhouette erkannt zu haben. Da hatte es jemand geschafft, einen von Maglos unbemerkten Blick auf mich werfen zu können. Sorge oder Neugier, was auch immer… doch meine Gedanken verloren sich wieder.

Als ich schließlich wieder einigermaßen bei Kräften war, hatten wir bereits den neunten Tag auf See hinter uns gebracht. Die zwischenzeitliche Erholung brachte mir zwar Ruhe, doch schmeckte die Erholung fahl, wenn man wusste, dass der nächste Krankheitsschub kommen würde. Und ein Blick auf Ghotam genügte, der sich mittlerweile bei jedem Husten ein Tuch vor den Mund halten musste, um zu wissen, dass dies der letzte sein würde.

Dann erreichten wir schließlich nach nur zehn Tagen die große Hafenstadt, die sich nicht vor der Konkurrenz in den Küstenstaaten zu verstecken brauchte, wie es mir auf den ersten Blick schien. Und das, was vielleicht doch an Größe mangeln mochte, machte sie durch eine unfassbare Farbenpracht wett. Nahezu jeder, der an den Docks entlanglief, trug bunte – nahezu leuchtende – Kleidung. Sogar die Häuser waren, soweit der Eigentümer es sich wahrscheinlich leisten konnte, reich verziert und in schwindelerregenden Mustern bemalt. Im Vergleich dazu verblasste Alba in meiner Erinnerung zu einem tristen Grau, das zusätzlich von Regenschleiern umrandet wurde, um der Trostlosigkeit Vorschub zu leisten. Allein die Hitze beeinträchtigte das Gesamtbild. Zwar konnte ich zurzeit wieder selbstständig gehen, doch mein Geist war noch müde, sodass die schläfrige Temperatur mich niederzuhalten schien. Auch Groam wirkte nicht sonderlich begeistert. Da der Zwerg sich weigerte, sein Kettenhemd abzulegen, hatte er einen Schweißfluss, den selbst mein fieberndes Ich vor einigen Tagen nicht zustande gebracht hätte.

Wortkarg verabschiedete sich der Kapitän von uns und wir schoben uns durch das Gedrängel am Hafen, bis wir schließlich das Stadtviertel erreichten, wo Ghotam wohnte und ein gutes Gasthaus kannte. Die anderen beschlossen, direkt mit Untersuchungen loszulegen und so suchten wir das Haus des Magiers auf. Das von außen recht bescheiden wirkende Häuschen offenbarte in seinem Inneren einen nicht gerade bescheiden zu nennenden Wohlstand. Die Arbeit für den Schakraradscha schien Ghotam zu einem reichen Mann gemacht zu haben, auch wenn ihm das in der jetzigen Situation auch Nichts nützte.
Nachdem erste Untersuchungen Nichts zutage gefördert hatten, beschloss Ghotam zu dem Gasthaus zu gehen. In seinen eigenen vier Wänden fühlte er sich verständlicherweise nicht mehr sicher. Groam und ich schlossen uns ihm an, während Miyako und Leif das nächstgelegene Badehaus suchen wollten. Ricardo verkündete noch, dass er in Ghotams Haus Stellung beziehen werde, woran sich der Waeländer anhängte.

Nicht in der Lage, mir selbst tiefgründige Pläne für die Ermittlungen auszudenken, war ich froh, als ich mit Ghotam und Groam im „Bhavan“ einkehren konnte. Das Gasthaus bot laut dem rawindischen Magier gute Küche und Getränke zu einem vernünftigen Preis. Und hier müsste man nicht fürchten, im Schlaf ausgeraubt zu werden. Der Wirt schien Ghotam gut zu kennen und brachte uns gleich Tee und wenig später auch einen orangefarbenen Brei, in dem dutzende Gemüsesorten enthalten waren, von denen ich nicht einmal die Hälfte kannte. Was ich jedoch schnell herausfand war, dass die hiesigen Gewürze ungeheuer scharf waren. Während ich mich nur langsam und unter Hilfe einiger Brotscheiben vorkämpfen konnte, genoss Ghotam das Mahl sichtlich und der wohl von einer Esse abgebrühte Gaumen des Zwergs schien ebenfalls keinen Halt zu kennen. Er war doppelt so schnell fertig wie der Rawindi und bestellte sich gleich einmal alles, was Alkoholhaltiges im Hause zu finden war. Während er die prompt gelieferten Getränke hinunterstürzte, erklärte Ghotam, dass es sich dabei unter anderem um Palmwein und Lycheeschnaps handeln würde. Das erleuchtete mich nicht sonderlich, aber der Zwerg schien einigermaßen zufrieden zu sein (sofern man sich anmaßen kann, in dem ewig-griesgrämigen Gesicht eine positive Regung in Form der Kräuselung der äußersten Bartspitzen zu erkennen).
Ich verabschiedete mich jedoch schließlich auf mein Zimmer. Gerade sah ich noch, wie Leif und Miyako das Bhavan betraten, dann war ich auch schon die Treppe nach oben gegangen und fiel wie ein Stein in das Bett in meinem Zimmer.

Am nächsten Morgen erwartete uns ein ebenfalls unbekanntes Frühstück, das glücklicherweise nicht so scharf ausfiel wie das Abendessen. Es schmeckte sogar recht gut und vor allem weitaus intensiver, als ich es aus Alba kannte. Doch die Speise trat bald in den Hintergrund, als Ricardo und Leif zu uns stießen und der Küstenstaatler zunächst Ghotam zu einem Zwiegespräch heranwinkte. Sein waelischer Studienkollege wirkte ebenso verdutzt wie wir, doch nach zwei Minuten waren die beiden wieder da und verloren kein Wort über ihre Abwesenheit. Wäre ich in besserer Verfassung gewesen, so hätte ich versucht, sie auszuhorchen, aber gerade war ich froh, dass meine Hände nicht zitterten.

Allerdings schienen auch die anderen nicht so stark irritiert, dass sie es weiter zur Sprache brachten. So brachen wir auf und machten uns auf den Weg zu Feanors Bekannten in dieser Stadt: Mandalusarashan Durmeklarakishan. Während Ricardo den Namen immer wieder – und immer wieder falsch – vor sich hinmurmelte, näherten wir uns dem seltsamen Gebäude, das dem Alchemisten als Wohnstatt diente. Es war ein kleines, schiefes Türmchen, das durch einige Bäume von den Häuserreihen Mangalwars abgetrennt war. Das Gebäude wirkte bereits stümperhaft gebaut und noch schlechter repariert, wenn man sich die bescheidenen Flickwerke an Dach und Mauern besah. Und obwohl er sich bereits mit den „niedrigen, menschlichen Baustandards“ abgefunden hatte, war Groam sogar aufs Neue schockiert, was hier „Haus“ genannt wurde.
Noch seltsamer war dann nur noch die Melodie, die an unser Ohr drang, als wir uns näherten. Sie hatte etwas Schnelles und Treibendes, dass man gleich mit den Fingern schnipsen wollte. Aber irgendwie empfand ich bei dem Gedanken daran, diese Musik zu feiern, eine seltsame Scham.

Behutsam klopfte Miyako an die Tür, um sie nicht aus Versehen aus den Angeln zu drücken. Es dauerte etwas und die Musik ebbte ab, dann öffnete sich die Pforte und wir erblickten einen kleinen, recht rundlichen Mann. Er trug Kleidung, die zum Haus passte: immer wieder geflickt und genäht, ursprünglich wohl einmal giftgrün und mittlerweile auch mit Flicken in blau, rot und gelb. Dagegen wirkte der knallrote Turban auf dem Kopf des Mannes trotz einiger Flecken wie neu. Das von Falten zerfurchte Gesicht zeigte etliche Rußflecken, die ebenso den schlohweißen Bart zierten. Das breite Lächeln mit dem wir empfangen wurden, schien gleichermaßen Freundlichkeit und Zerstreutheit auszudrücken.
„Seid Ihr Mandalusarashan Durmeklarakishan?“, fragte Miyako zur Sicherheit nach.
„Aber natürlich! Wie kann ich euch helfen? Wartet, sagt Nichts… ich habe da eine Idee. Schöne, junge Dame?“
„Ja…?“, erwiderte die KanThai. „Miyako heiße ich.“
„Habt Ihr euch schon fortgepflanzt?“
Uns allen fiel bei dieser Frage die Kinnlade direkt herunter und Groam versteckte ein derbes Grinsen unter seinem Bart. Miyako antwortete mit einem eiskalten Blick und einem leisen, aber scharfen: „Nein.“
Mandalusarashan schien die Anspannung seiner Gesprächspartnerin schlicht zu übergehen. „Aber bei solchen Genen! Schönheit und Stärke, das muss doch weitergegeben werden. Ich habe da natürlich etwas, das helfen kann….“
„Würdet Ihr das selbst übernehmen?“, fragte Ricardo belustigt nach, was ihm einen tödlichen Blick von der Seite her einbrachte.
„Natürlich nicht, dafür bin ich selbst zu alt, aber wenn ich eine Empfehlung unter den Anwesenden vornehmen dürfte…“
„Wir sind nicht hier, um über meine Fortpflanzung zu sprechen“, schnitt ihm Miyako das Wort ab. „Ghotam und Ilfarin hier wurden vergiftet und bedürfen der Heilung. Unser gemeinsamer Freund Feanor schickte uns zu Euch, Herr Durmeklarakishan, da er Euch wohl für äußerst kompetent hält.“
„Ach, so ist das. Nun, dann erzählt mir doch erst einmal, was ihr alles in Erfahrung bringen konntet…“

Nachdem wieder einmal die Geschichte vom Marktplatz in Valian erzählt worden war, ergänzt mit der Krankengeschichte von Ghotam und mir, nickte Mandalusarashan Durmeklarakishan verstehend. „Nun, am besten ist es wohl, wenn die beiden vorerst bei mir bleiben. Ich kann mich an einigen Experimenten versuchen, um vielleicht auf eigene Faust ein Gegenmittel herzustellen. Doch macht euch keine allzu großen Hoffnungen. Ich werde mit größter Wahrscheinlichkeit eine Probe des Gifts selbst brauchen.“
„Dann werden wir uns wieder auf die Suche begeben“, erklärte Miyako. „Ghotam, bevor wir gehen, habt Ihr noch Ideen, wo wir Anhaltspunkte finden könnten?“
„Nun, bei meinen Unternehmungen im Norden Serendibs war ich nicht allein. Mein Freund Karan half mir, gegen die Akimba vorzugehen, die die einfache Bevölkerung bedrohten.“
„Also gut. Dann sehen wir uns bald wieder“, verabschiedete sich Miyako.
„Gutes Gelingen, wünsche ich. Herr Mannalau…“, versuchte es Ricardo ein weiteres Mal. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Alchemisten und er erwiderte: „Ach, Freunde können mich Tim nennen.“

Ghotam und ich folgten „Tim“ nun in das Innere seines Gebäudes und verstanden, warum er nicht gleich alle hereingebeten hatte. Den wenigen Platz, den es in dem seltsam deformiert wirkenden Raum gab, der das komplette Innere des Türmchens einnahm, nahmen dutzende Einrichtungsstücke ein. Von dem diversen, alchemistischen Material, was herumlag, ganz zu schweigen. Mindestens sieben verschiedene Feuer in drei unterschiedlichen Farben brannten unter diversen Apparaturen, die aus einigen Glasgefäßen in unterschiedlichen Zusammenstellungen bestanden – jeweils fixiert durch kupfern glänzende Drähte und Stangen. Wenn ich den Inhalt einiger Amphoren richtig erkannte, so besaß Tim ein durchaus üppiges Arsenal an Zauberöl, das eindeutig zu nah am Feuer lag. Doch all diese Materialien wären kaum genug, an den Wänden hingen noch zehn Regale voller Bücher und Gefäße, in denen Pflanzen, Teile von Tieren und gänzlich exotische Dinge eingelegt waren. Noch erstaunlicher war der zwischen diesen ganzen Dingen umherspringende Frosch – mit schwarzen, glänzenden Haaren.

Allerdings bekamen Ghotam und ich nicht sonderlich viel Zeit, nachzufragen, was Tim mit diesen ganzen Sachen bezweckte, oder was das überhaupt für Dinge waren. Der Alchemist komplimentierte uns binnen weniger Sekunden auf wenig vertrauenserweckende Stühle und steckte dem rawindischen Magier erst einmal einen dicken Wattebausch in den Mund. Während ich noch verdutzt hinübersah, schob Tim mir bereits eine eiserne Hohlspitze in die Ader an meinem Arm und nahm über einen biegsamen Strohhalm Blut ab. Auch wenn ich nicht verstand, was er damit anstellen wollte (für den üblichen Aderlass war es schließlich zu wenig), konnte ich nicht anders, als den wuseligen Mann machen zu lassen. Denn gerade nahm er Ghotam die Watte aus dem Mund und wrang den Speichel über einer kleinen Phiole aus, die er in eine Art Wagenrad einlegte. Dieses beschleunigte er dann über ein Fußpedal, bis es eine schwindelerregende Geschwindigkeit erreichte.

Diesen und weiteren bizarren Tests und Proben folgten zahllose Experimente mit sämtlichen Apparaturen, die Tim zur Verfügung standen. Seine bisherigen Projekte schien er erst einmal auf Eis zu legen, was er tatsächlich wörtlich nahm: irgendwie war es ihm gelungen, in einem kleinen Keller arktische Temperaturen zu schaffen. Ich konnte nur nicht erkennen, was als Ursache überwog: die Sorge um das Überleben anderer oder das wissenschaftliche Interesse und die Herausforderung. Was den Alchemisten aber definitiv zu erfreuen schien, war die Möglichkeit, sich mit uns zu unterhalten. Nachdem er uns beiden einen Tee verabreicht hatte, dessen Geschmack ich nicht zuordnen konnte, unterhielten wir uns stundenlang über die magophysische Konstellation Midgard innerhalb des Multiversums und welche spezielle Auswirkung ebenjene auf das Haarwachstum von Fröschen hatte. Wie es sich herausstellte, war das wohl eine geringe; dem Experiment Tims sei diese Erkenntnis gedankt.

Während die Stunden vergingen, merkte ich außerdem, dass mit der Luft in der Hütte etwas nicht stimmte. Sie wirkte angereichert, voller feiner Stoffe, die man nicht sehen, aber sehr wohl riechen und schmecken konnte. Leider war das die eher unangenehme Seite von Tims Experimenten, wobei ich nicht sagen kann, ob es wirklich die unangenehmste war, da ich die anderen nicht verstand. Zusammen mit den merkwürdigen, schillernden Trünken, die der Alchemist bald zusammengebraut hatte, führte das dazu, dass ich jegliches Gefühl für Raum und Zeit verlor. Selbst die Farben schienen verrückt zu spielen, wirkten Ghotams Haare schließlich sogar blau während sein Gesicht eine grüne Blässe erhielt. Maglos lag während der ganzen Zeit ruhig bei mir. Nach den Tagen an Bord des Schiffs, in denen er mich ununterbrochen bewacht hatte, wirkte er nun selbst ziemlich erschöpft und schlief tief und fest. Er hob nicht einmal den Kopf, als die Tür aufging und Groam, Miyako, Ricardo und Leif erschienen. Sie suchten wohl Rat bei Tim. Aufgrund meines benebelten Zustands bekam ich nicht alles mit, aber es ging wohl um den Freund Ghotams. Dieser Karan schien ebenfalls erkrankt zu sein, wohl noch schlimmer als der rawindische Magier. Aber meine Freunde hatten zumindest in dessen Wohnung eine Gnomenkappe gefunden, die sie veranlasste einen Vertreter des kleinen Volkes zu suchen. Davon gab es in Mangalwar wohl nicht gerade viele, wie Tim ausführte und er schickte die Gruppe zu einer Händlerin in der Nähe, von der aus man sich hoffentlich würde durchfragen können. Groam und Miyako warfen noch einen kurzen Blick auf mich, dann brachen sie auf.

Die folgenden Tage vergingen für mich ohne Unterschied. Zwar führte der Alchemist Tim immer weitere Experimente durch, von denen keines dem anderen glich, doch mein Zustand verbesserte sich nicht. Ghotams Erkrankung wurde sogar schlimmer, sodass Feanors Bekannter zu scheinbar immer radikaleren Methoden griff, um gegen das Gift vorzugehen. Es gab dutzende Kräutersude, etliche Pasten, einige Tränke, einen Aderlass und den eher unangenehmen Kontakt mit exotischen Insekten, welche ihr eigenes Gift in die Haut des rawindischen Magiers spien. Tim erklärte zwar, dass das an sich keine Gefahr berge, aber diese Stoffe vielleicht das ursprüngliche Gift auslöschen würden – doch auch das brachte keine Verbesserungen.
Meine Freunde kamen immer wieder vorbei. Vor allem suchten sie bei Tim um Rat, der ihnen unter anderem eine Liste gnomenonischer Wörter zusammenstellte. Miyako sah manches Mal nach mir, auch wenn ich bei ihr nicht sicher war, ob es sich um wirkliche Sorge handelte. Bei Groam konnte ich das selbstverständlich ausschließen, aber er sah wohl immer noch einmal nach, nur um Bescheid zu wissen. Und was Ricardo und Leif anging, so fürchtete ich allmählich, dass es ein kurzes Vergnügen der gemeinsamen Bekanntschaft werden würde.
Immerhin gelang es Tim, Ghotam und mich einigermaßen bei Laune zu halten. Ich schloss zwar nicht gänzlich aus, dass meine zunehmenden Halluzinationen von gewaltiger Farbenpracht auf die uns zugeführten Mittelchen zurückzuführen waren – aber… was? Wo?

Einige Tage später, oder auch vielleicht nur einige Minuten… kamen dann… meine Freunde. Noch einmal vorbei. Sie, sie… sie suchten ein Buch. Eines, das Ghotam bei sich hatte, der von Tim in einen Erholungsschlaf versetzt worden war. Miyako nahm es an sich, ohne, dass der Rawindi es bemerkte. Und ich…

Tim gingen langsam die Experimente aus, sodass sich mein Verstand zwar klärte, ich jedoch wieder die Schmerzen meines Körpers spürte. Und es schien, als wären die Ermittlungen an einen blinden Punkt angekommen. Mehrere Tage vergingen, in denen die anderen nur vorbeikamen, um nach dem Rechten zu sehen, aber keine Fragen mehr an den Alchemisten hatten.
Dann brachten sie die Nachricht, dass Ghotams Freund Karan gestorben war.

Und dann, drei Tage später, starb Ghotam. Nach etlichen Hustenkrämpfen, gab sein Körper schließlich auf. Zuletzt hatten sogar die Tränen des Rawindi aus Blut bestanden und sein Herz versagte.

Dann, als ich schon nicht mehr zu hoffen wagte, kamen Miyako, Groam, Ricardo und Leif mit einer Probe des Gifts herbei und Tim extrahierte daraus in Windeseile ein Gegengift. Meine Freunde erzählten jedoch nur grob, was geschehen war – ich konnte nicht sagen, ob es vielleicht der Gram war, der sie schweigen ließ. Zumindest in den Augen des zwergischen Kriegers konnte ich so etwas wie Bedauern ausmachen.

Ich erholte mich schließlich und stand ein weiteres Mal in der Schuld meiner Freunde. Doch ich trauerte um Karan und Ghotam, die dem grausamen Gift zum Opfer gefallen waren. Sie wurden bescheiden beigesetzt, ohne, dass außer uns viele anwesend waren. Es blieb in Mangalwar Nichts mehr für uns und wir verabschiedeten uns von Tim, der ebenfalls schwer betroffen wirkte. Kurz bevor wir gingen, sprachen die anderen noch einmal mit ihm und als wir dann allesamt an Bord eines Schiffes zurück nach Valian waren, nahmen sie auch mich zur Seite.
Miyako holte das Buch hervor, das sie Ghotam abgenommen hatte. Auf dem Ledereinband befand sich ein seltsames Zeichen, was wohl der Grund dafür war, dass die KanThai es nicht gänzlich geschlossen hatte. Leif begann aus dem, was sich als Tagebuch entpuppte, die letzten Einträge vorzulesen:

„Morgen werden wir aufbrechen. Die Angriffe auf die Dörfer im Landesinneren können nicht länger hingenommen werden. Die menschlichen Verluste stimmen mich selbstverständlich im höchsten Maße traurig. Jedoch sind es die wirtschaftlichen Folgen dieser ständigen Kämpfe mit den Akimba, welche uns in die Bredouille bringen.

Karan und ich haben diese Bande ausfindig gemacht. Die Narren haben ein festes Lager errichtet. Sie glauben wohl, sie können es sich hier bequem machen und mit ihrem Diebesgut ein ungestörtes Leben führen. Karan ist gerade auf dem Weg, ihre Wasserquelle zu vergiften. Die Kinder könnte das bereits töten, die Erwachsenen sind aber höchstens geschwächt. Daher suche ich den hiesigen Katria auf.

Das war es. Gemeinsam mit zwanzig Mann des Katrias haben wir einen Überraschungsangriff gestartet. Diese Akimba wussten gar nicht, wie ihnen geschieht, als ich meine Blitzen zwischen sie schoss. Sie trauerten gerade noch um das erste, verstorbene Kind. Die Männer des Katrias haben sie umzingelt und abgeschlachtet. Auch die Frauen und Kinder. Dies ist ein Exempel, an das sich die Akimba erinnern sollen. Da kommen die zwei, drei Überlebenden, die es gab, gerade recht. Einer davon fiel mir besonders auf. Einer ihrer „Wunderheiler“, der gerade versuchte, so eine Dreckhaut zu retten, während alles um ihn herum in Flammen aufging. Ich habe ihn mit einem Windstoß weggeschleudert. Hässlicher Mann, mit einer schwarzen Tätowierung im Gesicht, die aussieht wie eine Kralle. Er hat mich nur noch entsetzt angeblickt und ist dann ins Unterholz gekrochen. Ich bezweifle, dass er überlebt hat, blutete ganz schön übel…

Ich war krank. Ganz schön schlimm sogar, aber mittlerweile habe ich mich etwas erholt. Meine Reise nach Valian kann ich nun also antreten. Wenn nur noch dieser elende Husten aufhören würde. Ich sollte bei bester Verfassung sein, wenn ich Feanor überzeugen will, dass die Gilde des Elementarsterns weiterhin unseren Feldzug gegen die Akimba unterstützt. Er scheint Verdacht gegenüber unseren „Methoden“ zu haben…was ein Unfug…“

Entsetzt blickte ich in die Gesichter meiner Freunde. „Ghotam war ein…Mörder“, sagte ich, mehr um es mir selbst zu vergegenwärtigen, denn es hätte der Worte nicht bedurft. Feanor war getäuscht worden, ebenso wie wir. Wir waren in den Kampf zwischen den Ureinwohnern der Akimba und den rawindischen Städten geraten. Ich fühlte mich benutzt, meine Freunde wohl noch mehr. Instrumentalisiert für den Krieg des Schakraradschas von Mangalwar. Fast hätte es mir Genugtuung verschafft, dass die anderen das Gegengift nicht rechtzeitig für Ghotam und Karan gefunden hatten – doch die Scham angesichts solcher Gedanken ließ mein Herz sogleich schwer werden. Es bleib schließlich nur ein bitterer Geschmack, den dieser fast allgegenwärtige, sinnlose Tod hinterließ.

Wir kehrten zurück nach Valian und berichteten Feanor von den Ereignissen in Mangalwar. Er war ebenso schockiert über die Ereignisse wie wir und sprach darüber, wie er mit den Informationen über den unmenschlichen Krieg gegen die Akimba umgehen wollte. Doch aus diesen politischen Entscheidungen wollte ich mich heraushalten und das ging meinen Begleitern ebenso wie mir. Wir zogen uns zurück und besprachen die nächsten Tage, was wir weiter tun sollten. Neue Aufgaben mussten her, die Rast war nicht gut für uns. Auch Ricardo und Leif wirkten an einer weiteren Reise interessiert und Rawindra schien ihnen vorerst genug von sich gezeigt zu haben.

So warteten wir, auf einen neuen Tag…

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