Stunde um Stunde verging, während Miyako, Garric und ich mitsamt Maglos gen Norden eilten – irgendwo vor uns waren Caileass und Olo sicherlich nur kurz hinter dem gefährlichen Krieger mit der magischen Axt. Außerdem waren sechs Stadtwachen, ebenfalls zu Pferd, vorgeprescht und hatten sich an die Verfolgung des Attentäters gemacht. Meine Hoffnung, dies würde eine kurze Jagd geben, hatten sich binnen weniger Minuten verflüchtigt – keine schicksalshafte Gnade hatte dem Flüchtling ein Hindernis beschert. Und mittlerweile hatte ich die Spur im unübersichtlichen Schlamm auf der Straße verloren, zu viele andere Hufe waren zuletzt hindurchgekommen. Was blieb war die verzweifelte Hoffnung, irgendwann auf jemanden oder etwas zu stoßen…
Es war bereits später Nachmittag, als sich uns zwei der Wachen näherten. Sie waren zu Fuß unterwegs und hatten einige Schrammen abbekommen, einer hatte eine leichte Kopfwunde.
„Was ist geschehen?“, rief ich ihnen entgegen.
„Unsere Gruppe hat sich an einer Kreuzung weiter vorne geteilt. Drei Männer mitsamt euren Freunden gen Westen, wir anderen gen Norden. Wir trafen den auf den Mann in seinem Umhang…er hielt inne, schwang die Axt… da überkam meinen Freund und mich eine schreckliche Wut und wir griffen einander an…“
„Wo sind die anderen beiden? Euer Begleiter, der Attentäter, eure Pferde?“, fragte Garric.
„Die Verfolgung ging weiter, während wir miteinander kämpften, wobei unsere Pferde gescheut sind und uns abgeworfen haben.“
„Und warum lauft ihr nach Süden?! Das ist die falsche Richtung“, polterte der Magier.
„Wir haben keine Pferde mehr, das hat keinen Sinn – sie sind zu schnell.“
„Uns tragen ebenfalls nur noch die Füße, hat es uns aufgehalten? Euer Freund ist alleine dem Attentäter auf der Spur, es geht hier um sein Leben und eure Ehre!“, ließ Garric nicht nach – und drang zu den Männern durch. Ihre Resignation legte sich nicht, doch schlossen sie sich unserem Dauerlauf gen Norden an.
Weitere Stunden vergingen und langsam wechselte das Licht. Die Sonne verlor an Stärke und sank hinter dem Horizont zurück, während Sterne und Mond immer kräftiger hinter den Wolken hervorblitzten. Es war das Erbe meines Volkes, dass ich weiterhin keine Probleme hatte, kleinere Löcher in der Straße oder herumliegende Steine zu erkennen – die anderen taten sich allmählich schwerer.
Doch es schien bald, als sei unser Dauerlauf vergebens. Wir erreichten nach weiteren vier Stunden ein Gasthaus an dieser Straße, allerdings ohne ein Zeichen von denen, die wir suchten. Etwas ratlos betraten wir das erleuchtete Haus, in der Hoffnung, neue Hinweise zu erhalten…
Manche nennen Wahnsinn einen beinahe wünschenswerten Wesenszug. Das restlose Eintauchen in eine Sache, ein Tun und Denken ohne jegliche Konsequenz zu beachten – eine Eigenart, die nach der Meinung dieser Leute Genies kennzeichnet. Sie sehen in diesem Verhalten ein Mysterium und ein geheimes Ziel, welches sich jenen, die nicht im ‚Wahn‘ leben konnten, auf ewig verschlossen bleibe. Sie waren fest davon überzeugt, es gäbe einen größeren Sinn.
Andere glauben in solchen Handlungen eine geistige Verwirrung zu erkennen und nennen die Menschen krank. Zumindest besteht keinerlei Verständnis für diese Handlungen – sei es, weil sie sinnlos erscheinen oder weil sie einen Grad der Absurdität erreicht haben, an dem es zweifelhaft scheint, es habe einst einen ‚gewöhnlichen‘ Gedankengang gegeben.
Ich muss mir den Vorwurf gefallen lassen, dass ich zu Fuß einem Reiter nachgelaufen bin. Eine verzweifelte Tat, die man beinahe wahnsinnig nennen könnte, hatte ich doch nicht bedacht, dass es vielleicht eine Ablenkung gewesen war. Dass ich Zeit verschwendete. Dass es andere gab, die diese Aufgabe bereits aufgenommen hatten und sehr wahrscheinlich auch besser erfüllen konnten. Doch war es Wahnsinn, seiner Überzeugung nachzugehen und einem kleinen Flämmchen Hoffnung die hohle Hand vorzuhalten, auf dass der Wind sie nicht ausblies?
Was mich betraf, ich würde jeden Moment erneut losrennen. Doch ich sollte bald Erfahrung damit machen, was Wahnsinn wirklich war.
In dem Gasthaus war nicht viel los, sicherlich hatte es die meisten Reisenden in letzter Zeit bereits nach Crossing gezogen und zudem war es bereits spät. Umso mehr viel der kleine, rundliche Halbling am Tresen auf, dessen Füße verträumt hin und her wippten während er gemütlich an einer Pfeife zog, um anschließend langsam den Rauch zur Decke zu blasen. Leichte Kringel fanden seine Aufmerksamkeit und er lächelte verzückt.
„Olo. Was machst du hier?“, fragte ich den Teehändler gedehnt und um Ruhe bemüht – dieses Bild stellte einen derart starken Kontrast zur gesamten Situation dar, dass ich schockiert war.
„Ich esse gleich zu Abend! Und der Wirt bringt bald auch noch heißes Wasser für Tee“, kam die verzückte Antwort. „Schön euch zu sehen, ihr wirkt erschöpft.“
„Nein! Ich meine, was machst du hier im Gasthaus. Wo ist Caileass?!“, fluchte ich, während meine Stimme langsam zu zittern begann.
„Ganz langsam, Ilfarin… wir sind hier angekommen und ich bin zum Wirt, um ihn zu fragen, ob er denn diesen ominösen Attentäter gesehen hätte…“, Olo nahm einen weiteren, tiefen Zug von seiner Pfeife. „Hat er aber nicht. Danach habe ich beschlossen, etwas zu Essen zu bestellen ebenso wie Wasser. Caileass war mir etwas zu hektisch und der ganze Tag war schon so anstrengend gewesen. Da brauchte ich das.“
„Und dann?“, knurrte ich mühsam.
„Nun, er ist weitergeritten, wollte nicht warten. Ich habe gegessen und bekomme hoffentlich bald meine zweite Ration, langsam knurrt mir wieder der Magen – ist ja schon einige Stunden her.“
„Du hast also…“, fasste ich zusammen, mit einer Stimme deren wütendes Zittern einem eiskalten Flüstern gewichen war. „… Caileass alleine einem Attentäter hinterherreiten lassen. Einem Mann im Besitz einer magischen Axt, die alleine ausreichte, um dutzende Wachmänner in einen magischen Schlaf oder in Rage zu versetzen. Unser Freund sieht sich alleine dieser Bedrohung ausgesetzt, weil es dir zu…hektisch war.“
„Kann man so sagen. Wollt ihr auch Tee?“, fragte Olo mit einem freundlichen Lächeln, das sich keiner Schuld bewusst zu sein schien.
Ich schwöre bei all den Lebensgeistern dieser Welt, dass, sollte ich jemals diesen so menschlichen, impulsiven Gedanken verspürt haben, jemanden spontan einen Pfahl durch den Leib zu treiben – so war dies jener Moment in dem kleinen Gasthaus am Rand der Handelsstraße nördlich von Crossing. Was mich zurückhielt war ein Übermaß an Geduld, ein Mangel an Zeit sowie die schiere Resignation darüber, dass mich Olo bis zuletzt fragen würde, was er denn falsch gemacht habe.
Miyako stieß einige Worte in ihrer Muttersprache aus, wobei sogar ihre porzellanhafte Maske der Ausdruckslosigkeit einen Sprung bekam, der sie für den aufmerksamen Beobachter zu einem menschlichen Abbild eines drohenden Abgrunds machte. Ich hoffte, niemals mich selbst an dieser Klippe wandeln zu sehen.
Lediglich Garric schien die Dinge so nehmen zu können, wie sie kamen. „Nun, das lässt sich wohl alles nicht mehr ändern. Sie dürften nun vorerst außerhalb unserer Reichweite zu sein und außerdem ist es zu dunkel, um die Verfolgung noch aufzunehmen. Lasst uns etwas essen und trinken. Wir brauchen erstmal eine Ruhepause.“
„Ruhe? Unser Freund ist da draußen mit einem verdammten Axtmörder“, fluchte ich laut auf.
„Ilfarin, es hat keinen Sinn, so dunkel…“
„Ich kann euch führen, meine Augen können in dieser Finsternis sehen, als wäre es taghell.“
„Es hat keinen Sinn!“, beharrte Garric mit fester Stimme. Auch Miyako schüttelte den Kopf.
„Dann breche ich alleine auf, ich werde Caileass nicht im Stich lassen!“, stellte ich fest und schritt Richtung Tür davon. Nun schienen sich Miyako und Garric doch in Bewegung zu setzen, während sich die beiden Stadtwachen einen Tisch gesucht hatten – da durchfuhr mit einem Mal ein stechender, heißglühender Schmerz meine rechte Wade. Beinahe wäre ich in die Knie gegangen als ich fluchend nach meinem Bein tastete. Die Muskeln und Sehnen waren vom Dauerlauf gereizt, weitere Belastung würde unweigerlich zu einem Riss führen. Die Verfolgung war für mich an diesem Tage vorbei.
Ein Schmerz anderer Art durchzog unmittelbar meinen Leib und fraß sich in mein Herz, während ich fast auf Knien im Gasthaus hockte und zur Tür starrte. Es war die tiefe Enttäuschung über mich selbst. Selten hatte mein Körper mich derart verraten – doch ich musste mir erneut eingestehen, dass ich an schwaches Fleisch gefesselt war.
Unter den besorgten aber auch zum Teil boshaft belustigten Blicken meiner Begleiter setzte ich mich wieder an den Tresen, ihr kurz aufgeflackertes Engagement war dahin. Olo schob mir einen Kräutertee zu und tätschelte meine Schulter. Wäre ich in diesem Moment nicht von mir selbst ebenso enttäuscht, wie von ihm, hätte ich die Hand weggeschlagen. So blieb mir nichts, als mich mit hängenden Schultern und dem Gefühl tiefer Demütigung wortlos zu ergeben.
Bald kam die Nachtruhe, welche wir zum Großteil im großen Schlafraum verbrachten, während sich Olo im Stall auf Heu wälzte.
Maglos weckte mich am nächsten Morgen, als er behutsam über meine Hand leckte, die aus dem Bett ragte. Es war noch äußerst früh, aber ich weckte die anderen – wir hatten beschlossen, so früh wie möglich, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Nach den ersten Schritten stellte ich beruhigt fest, dass sich der Schmerz aus meinem Bein verzogen hatte, zumindest vorerst. Gemeinsam mit meinen Begleitern schritt ich die Treppe zum Hauptraum der Gasthauses hinunter und fühlte mich augenblicklich in ein Déjà-vu geworfen.
Am Tresen saß diesmal nur nicht der dicke Halbling, sondern Caileass, der gerade ein Frühstück einnahm – neben ihm ein Mann der Stadtwache zu dessen Füßen ein unförmiger Sack lag.
Meine Verwirrung erschlug meine Freude darüber, dass der Albai offensichtlich unverletzt war, zudem befürchtete ich angesichts ihrer augenscheinlichen Ruhe, dass sie den Attentäter nicht erwischt hatten. Hastig eilte ich zu dem Söldner hin. „Was ist geschehen? Wie lange seid Ihr schon hier…“
„Ich begegnete Doran hier, der dem Attentäter dicht auf den Fersen war. Schließlich ist er dann angehalten und die beiden haben sich ein Duell geliefert. Unser Mann hier von der Stadtwache behielt die Oberhand und hat gesiegt! In dem Sack hat er dessen Kopf sowie den wichtigsten Besitz geworfen. Gemeinsam sind wir hierher geritten und vor kurzem angekommen.“
„Ihr seid ein Held!“, rief Garric aus und klopfte Doran auf die Schulter, der mit einem Nicken die Geschichte bestätigt hatte.
Miyako und ich hingegen, sowie der mittlerweile dazugekommene Olo, runzelten die Stirn. In mir herrschte der Unglaube vor – ich sollte eigentlich Freude empfinden, darüber, dass die Gefahr gebannt war. Doch ich konnte nicht fassen, dass ein einfaches Duell, Mann gegen Mann, das Ende dieser Geschichte sein sollte. Eine magische Axt, ausreichend, um dutzende Wachen auszuschalten, war nicht genug gewesen, einen Einzelnen auszuschalten?
„Dürften wir eure Fundstücke betrachten?“, fragten Garric und ich nahezu gleichzeitig. Doran nickte grimmig und öffnete die Verschnürung des Beutels, den er uns anschließend bedächtig hinhielt – er wollte wohl keine Abscheu unter den restlichen Gästen und vor allem beim Wirt hervorrufen. Darin schimmerte verheißungsvoll eine runenverzierte Streitaxt – zudem blickten uns die gebrochenen Augen entgegen, ein Gemisch aus dunkel und rot inmitten eines aschfahlen Gesichts, das selbst für eine Leiche ungewöhnlich blass erschien. Mein Blick wanderte über die langen, schwarzen Haare zu den… spitzen Ohren.
Zuletzt hatte ich wochenlang einen Schatten verfolgt. Es war die jüngste Etappe einer Jagd, die sich bereits über Jahre hingezogen hatte – es hatte mein Leben lange bestimmt, denn es war jene Finsternis, die mich so lange umhüllt, nahezu liebkost hatte, bis ich schließlich fast zugunsten eines kleinen Funkens namens Hoffnung vergangen war und doch auch dadurch befreit wurde. Nun war ein Teil dieser Aufgabe abgetragen, die Bedrängnis verlor an Stärke – doch wo ich Freude und Erleichterung fühlen sollte, als würden Ketten von meinem Herzen fallen, da empfand ich nur eine seltsame Leere. War es das schon, konnte das alles sein?
Garric sah mich neugierig an. „Was ist das?“
„Ein Schwarzalb“, sagte ich mit belegter Stimme. „Einer, den ich schon lange verfolgt habe.“
„Was ist ein Schwarzalb?“, fragte Olo. „Ein dunkler Elf?“
„Nein!“, fuhr ich ihn mit scharfer Stimme an. Es lag eine gefährliche Wahrheit in seinen unbedachten Worten – der Halbling war sich ihrer sicher nicht bewusst, doch würde man an den falschen Stellen, kleine Steine ins Rollen bringen, so könnte es bald eine Lawine geben. „Äußerlich ähneln sie uns zwar in manchen Dingen, wenngleich schwarzes Haar, blasse Haut und die verfärbten, für die Finsternis gemachten Augen eindeutige Unterscheidungen ermöglichen. Doch ihr Wesen unterscheidet sich gänzlich von dem meines Volkes. Sie sind grausam und heimtückisch, zumeist wahnsinnig und scheren sich nicht um das Leben anderer.“
„Dann sind sie normalerweise Einzelgänger?“, schloss Garric.
„Eigentlich schon. Es kann aber durchaus sein, dass sie sich für einige Zeit mit anderen zusammentun.“
„Doran, ich würde gerne den gesamten Besitz des Albs in Augenschein nehmen…“, wandte sich der Magier nun an den Krieger. Widerwillig übergab der den Beutel und Garric packte nach und nach alles auf einen langen Tisch, was sich darin befand – mitsamt dem Kopf, am Ende des Tisches. Der Wirt wurde blass und Dorans Augen weiteten sich, da er das wohl eigentliche hatte vermeiden wollen.
Neben der runenverzierten Streitaxt gab es nur zwei weitere Waffen, einen Dolch und ein Kurzschwert. Es waren ohne Zweifel ausgezeichnete Schmiedearbeiten, doch sah man ihnen ihre finstere Herkunft an. Das Metall war dunkel und matt, sodass sich kein Sternenlicht bei einem nächtlichen Angriff aus dem Hinterhalt würde spiegeln können und die Klingen wiesen kleinere Zacken auf, fast wie Scharten, aber zu regelmäßig, um Zufall sein zu können. Die Vorstellung, damit Haut aufzureißen, schien den Schwarzalben wohl Freude bereitet zu haben. Darüber hinaus gab es nur leichtes Gepäck, der Attentäter war wohl überstürzt oder mit nicht weit entferntem Ziel aufgebrochen.
Ich richtete das Wort noch einmal an unseren Helden: „Wie genau ist euer Duell abgelaufen?“
„Ich war kurz hinter ihm“, erklärte Doran. „Da hat er sein Pferd gewendet und die Axt geschwungen – diesmal geschah Nichts weiter und er ist auf mich losgegangen. Es war ein wilder Kampf, wisst ihr, aber schließlich ging er in die Knie und ich habe zugeschlagen. Das Ergebnis seht ihr hier.“
„Der Schwarzalb hat sich euch gestellt und ihr habt im direkten Kampf gewonnen? Nichts gegen eure Fertigkeiten, aber das ist erstaunlich“, stellte ich nüchtern fest, wobei ich schon einen Nerv getroffen hatte, wie mir schien.
„Was ist mit dem Pferd des Albs?“, fragte Olo nach.
„Das habe ich in die Wildnis geschickt!“, erklärte der Mann, mittlerweile etwas erbost über unser beständiges Nachfragen.
„Ein Pferd, einfach so weggeschickt? Und einen Schwarzalb im direkten Duell gegenübergestanden und überlebt? Ihr seid wahrlich ein großer Krieger“, fasste der Halbling mit beißender Ironie zusammen.
„Hört mir mal gut zu, verdammter Wicht. Ich habe den Attentäter zur Strecke gebracht, ich ganz allein! Währenddessen habt Ihr hier gesessen, Pfeife geraucht und herrlich geschmaust. Also beschuldigt mich nicht weiter!“, fuhr Doran den Teehändler an.
„Ich traue ihm kein bisschen, das klingt doch nach einer erlogenen Geschichte“, flüsterte mir Olo kurz darauf zu.
„Ich ebenso wenig. Warum sollte die Axt nicht funktionieren, warum sollte sich der Schwarzalb einem offenen Kampf stellen, wo doch List und Heimtücke ihr Mittel der Wahl ist – und selbst wenn, ich glaube kaum, dass ein einfacher Wachmann so viel Glück haben kann, um gegen diese Brut zu bestehen“, unterstützte ich Olos Vermutung.
Nach dieser Reihe von Beobachtungen und Feststellungen waren wir uns alle einig, dass wir die Überreste des Schwarzalbs suchen sollten. Vielleicht hatte Doran etwas übersehen oder mithilfe der Leiche würde sich seine Erzählung als Lüge entpuppen.
So brachen wir auf, die Gruppe wieder vereint, gemeinsam mit den drei Stadtwachen, von denen der „Held“ den Beutel voller Fundstücke wieder an sich genommen hatte. Es ging weiter nach Norden, mitten ins Gebiet der MacRathgars hinein, was insbesondere Garric zu beunruhigte.
Schließlich entdeckten wir am Mittag den Torso des Toten im Straßengraben. Er hatte einen grauen Mantel über die Lederrüstung getragen und wies einige Blessuren auf – es hatte tatsächlich einen Kampf gegeben und die Enthauptung war der letzte Streich gewesen. Ich konnte noch immer nicht fassen, dass dies einer Stadtwache gelungen sein sollte, vielleicht war noch jemand im Spiel gewesen?
In der Umgebung fand ich keine weiteren Anhaltspunkte mehr, Nichts, was Doran hätte übersehen können.
„Ich würde gerne nach dem Pferd suchen“, stellte ich fest. „Vielleicht hatte es noch etwas Gepäck dabei.“
„Ich glaube nicht, er hatte nur wenig dabei…“, warf der Krieger ein, wurde jedoch von Garric unterbrochen, der ihn darauf hinwies, dass es dunkel gewesen war.
Dennoch schloss sich lediglich Olo meiner Suche an und wir trotteten mit einem Pferd weiter nordwärts, während die anderen zurück zum Gasthaus ritten, wo sie uns erwarten würden.
Doch zu viel Zeit war vergangen und das Reittier hatte vielleicht auch die Straße verlassen – nach zwei Stunden gaben Olo und ich auf und ritten zurück. Bei Einbruch der Nacht erreichten auch wir erneut das kleine Gasthaus an der Königsstraße.
Als wir am nächsten Morgen schließlich wieder den Weg nach Süden nahmen, um nach Crossing mitsamt den Überresten des Attentäters zurückzukehren, kamen uns einige Händler entgegen. Das Fayre war vorbei, die vielen Reisenden hielt nichts mehr in der albischen Stadt. Einige der Menschen tuschelten angesichts unserer bunten Zusammenstellung sowie des Pferde mit weitem Überwurf – es transportierte den Leichnam, wie der eine oder andere wohl erahnte, aber sich nicht bestätigen konnte.
Abends erreichten wir denn das Stadttor: die Wachen waren trotz der abnehmenden Menschenmasse nicht verringert worden, vielleicht sogar eher verstärkt. Hier fürchtete man noch immer einen weiteren Angriff. Doch als man uns sah, brandete Jubel auf. Die Krieger reckten ihre Waffen gen Himmel und schlugen ihren Kollegen heftig auf die Schultern, kaum, dass sie in Reichweite waren. Der eine oder andere schenkte auch uns anderen einen anerkennenden Blick und wir erhielten geradezu einen Geleitschutz zur Kaserne.
Die Pferde wurden angebunden, Doran hielt den Beutel fest und dann traten wir Hauptmann Beglenn in seinem kleinen Büro gegenüber, was durchaus von unserer großen Truppe ziemlich dicht befüllt war. Garric erstattete dem Mann in aller Kürze Bericht, was immer wieder mit einem anerkennenden Nicken quittiert wurde. Die Szene mit Olo ließ der Magier glücklicherweise zu seiner Ehrenrettung aus.
„Es scheint, als wäre eine Entschuldigung angebracht“, meinte Hauptmann Beglenn an Caileass gewandt. „Verzeiht bitte, dass wir Euch nicht von Anfang an unterstützt haben.“ Der Söldner winkte fast schon gönnerhaft ab.
„Außerdem gibt es einige Neuigkeiten“, sprach der Wachhauptmann dann Miyako an. „Wir haben Informationen erhalten, dass dieser Niall, den Ihr gesucht hattet, mit den Attentätern im Bunde war. Meine Männer hatten ihn auf den Marktplatz fast gestellt, dann kam es zu dieser schrecklichen Explosion. Aus dem Mund des sterbenden Kriegers haben wir erfahren, dass euer gesuchter Seemann im Zentrum des Feuerballs stand und wohl auf bizarre Weise von innen heraus zu leuchten begonnen hatte.“
„Er ist also tot“, fasste Miyako fast tonlos zusammen. Beglenn nickte zustimmend, fragte dann jedoch: „Wie geht es euch damit?“
„Ich bin… enttäuscht“, meinte die KanThai knapp.
Die Parallelen waren kaum zu verkennen – zwei Jäger, zwei Ziele. Beide waren sie nahe dran, doch beiden wurde vor ihren Augen das Opfer weggeschnappt. Es war ein seltsames Gefühl, welches die Jäger da beschlich. Eigentlich sollte es doch nur darum gehen, dass die Aufgabe erfüllt und der Welt ein Stück Frieden gegeben war, oder? Doch es hatten sich persönliche Empfindungen miteingemischt. Es war sehr früh, sehr wichtig geworden und die Jagd war mit einer Bedeutsamkeit aufgeladen worden, dass es auch eine Rolle spielte, wer den letzten Streich ausführte. So schien es mir, dass Miyako und ich zu Statisten unserer eigenen Geschichte verkommen waren. Wir waren darin verwoben, blieben stets dabei und beobachteten, hatten hie und da die Illusion, näher zu rücken – doch zuletzt geschah, was geschehen musste und das ohne unser Zutun. Es blieb ein Gefühl der Niederlage, wo ein Sieg sein sollte und es schien keine Chance auf eine Revanche zu geben.
„Was ist mit dem Fest der Ardochs? Ist alles reibungslos verlaufen?“, fragte ich nach einem kurzen Moment der Stille.
„Es wurde abgesagt, um keine Angriffsfläche für einen weiteren Angriff zu bieten“, brummte Beglenn missmutig und fuhr dann damit fort, uns über die neuesten Informationen ins Bild zu setzen: „Es wurde noch ein weiterer Toter gefunden; ähnliche Umstände wie bei Macha und Donn. Es handelt sich um Alan Graham, einen Alchemisten der Phönixgilde. Er wurde wohl am Tag der Explosion erstochen und hatte offensichtlich mit dem Attentäter zusammengearbeitet: einige noch aufgeschlagene Bücher sowie Materialreste lassen darauf schließen, dass er diese schreckliche Bombe gebaut hat. Für weitere Informationen könnt ihr euch an meinen Unteroffizier Baran wenden, der die Ermittlungen leitet.“
„Danke für eure Zeit“, sagte Caileass, wonach wir uns erhoben, als klar wurde, dass Beglenn uns Nichts mehr zu sagen hatte. Es war bereits spät und das Stadthaus der MacAelfins schien förmlich nach uns zu rufen – Baran würde wahrscheinlich noch morgen zur Verfügung stehen.
Das Gebäude fanden wir so vor, wie wir es verlassen hatten und als uns der Hausdiener Gill öffnete, hellte sich sein Gesicht merklich auf: „Ah, ihr seid wieder da! Kommt herein, kommt herein!“
Ehe wir ein Wort sprechen konnten, drückte Caileass dem Buttler eine Gurke in die Hand. Langsam und deutlich irritiert blickte ich ihn an, doch der Söldner gingen nach einem knappen, gönnerhaften Nicken weiter als wäre Nichts gewesen. Gill zuckte anschließend nur mit den Schultern und machte sich daran, uns ein Abendessen zu kreieren. Anschließend wurde es Zeit, zu nächtigen. Es waren – trotz durchaus widerstreitender Gedanken hinsichtlich der Frage ob Sieg oder persönlicher Misserfolg – anstrengende Tage gewesen.
Das Frühstück am nächsten Morgen fand an einer langen Tafel statt, denn neben uns fünf waren auch Melodien sowie ihre Eltern anwesend; Graf Bryan MacAelfin mit Frau. Das dunkle Haar des Vaters wies bereits erste graue Schattierungen auf, dennoch strahlte der Mann noch immer eine natürliche Stärke aus, die sich weniger laut und tosend darstellte als viel mehr tief lauernd. Es war beruhigend als er uns – kurz nachdem wir eingetreten waren – freundlich heranwinkte.
„Ah, die Retter meiner lang verlorenen Tochter. Kommt, esst mit uns!“
Natürlich setzten wir uns und zugleich war es wieder einmal an uns, die gesamte Geschichte zu erzählen, bei der der Graf immer wieder bedächtig nickte.
„Ich kann euch nicht oft genug sagen, wie tief verbunden wir euch sind“, brachte Bryan es am Ende noch einmal auf den Punkt.
„Mein Herr“, begann nun ich. „Ich hätte einige Fragen zu Earn MacRathgar. Wir haben einiges von dem Finstermagier gehört und es drängt uns, gegen ihn vorzugehen.“
„Oh, da habe ich sogar einige Neuigkeiten für euch“, bemerkte Bryan mit einer seltsamen Stimmlage, als wüsste er nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte. „Wir haben erfahren, dass der Mann nach Norden geflohen ist. Er hat den Devern überquert und damit Alba hinter sich gelassen. Die Dornar-Hügel Clanngadarns sind seine neue Heimat; die Sippe der Olwydd scheint sich mit ihm zusammengetan zu haben.“
Ich nickte grimmig und verstand sofort den Zwiespalt des Grafen – so weit im Norden war er außer Stande, den MacAelfins weiteren Schaden zuzufügen. Allerdings entging er so auch seiner gerechten Strafe. Doch das Gespräch verlagerte sich nun ein wenig, es wurden weniger wichtigere Dinge besprochen, Einladungen ausgesprochen und zuletzt bemerkte Bryan etwas ärgerlich und mit leicht hochgezogenen Augenbrauen, dass Melodien sich tatsächlich für eagrel erklären wollte. Die rechtliche Gleichstellung mit den Männern konnte er ihr nicht verwehren, wenngleich er nicht wirklich erfreut über einen entsprechenden Rat unsererseits wirkte. Ich glaubte, ein kleines Lächeln über Garrics Gesicht huschen zu sehen. Schließlich löste sich dann die Gruppe auf. Die Familie zog sich etwas zurück und die meisten meiner Gefährten zogen los, um unterschiedliche Einkäufe zu erledigen.
Ich wand mich an den Gildenmagier: „Garric, es geht mich womöglich nicht viel an, aber ich würde gerne mit dir zu Anluan gehen und erfahren, welche Neuigkeiten es aus Haelgarde gibt. Immerhin gab es dort ebenfalls einige Morde und ich wüsste gerne, ob ein Täter gefasst wurde.“
„Das ist kein Problem, in der Sache sitzen wir mittlerweile alle in einem Boot, denke ich“, kam ohne Zögern die Zustimmung. „Zunächst will ich noch eine weitere Depesche aufsetzen, wir können uns dann am Haus meines Kollegen treffen. Aber noch eine Frage, Ilfarin: du sagtest, normalerweise verabscheuen Schwarzalben jeden außer sich – könnte unser Attentäter dennoch einen Partner haben?“
Ein kleiner Stich fuhr mir durch die Brust und ich überlegte, ob ich offen sein konnte. Nach einiger Zeit, in der man mir mein Zögern deutlich anmerkte, entschloss ich, das Nötigste zu sagen ohne alles zu offenbaren: „Es könnte eine andere geben. Zuletzt sah ich die beiden Schwarzalben gemeinsam, also vielleicht ein Paar.“
„Weißt du einen Namen?“
„Thiarâna, nein…Cirangal. Das ist ihr Name.“
Garric nickte bedächtig, ich hatte das Gefühl, er wusste wertzuschätzen, was ich gesagt hatte, weil er mein Zögern bemerkt hatte – wenngleich er den Grund dafür kaum kennen mochte.
„Zu den Morden habe ich übrigens eine neue Theorie!“, stellte der Gildenmagier dann noch fest. „Ein Schwarzalb ist durchaus auffällig und wenn er sich die letzte Zeit hier in Crossing aufgehalten hatte, so brauchte er auch sicher einen Ort für die Nachtruhe…“
„Eher Tagesruhe, sie lieben die Dunkelheit“, warf ich ein.
„Dann Tagesruhe. So hat in Donns Bett beispielsweise noch jemand geschlafen und die Morde waren, soweit ich mich erinnere, stets morgens.“
„Das klingt…durchaus logisch. Könnte eine gute Erklärung sein“, stimmte ich dem Magier zu. Dieser verabschiedete sich dann vorerst.
Ich spazierte eine Weile lang mit Maglos durch die Straßen, ehe ich zielgerichtet zu Anluan ging, wo ich dann mit Garric zusammentraf. Sein Kollege öffnete uns rasch die Tür und bat uns zu sich herein, wo wir uns ein weiteres Mal an seinem Tisch niederließen.
„Anluan, wir haben etwas von dem Alchemisten Alan Graham gehört. Er soll Mitglied unserer ehrenwerten Gilde gewesen sein?“
„Ja, außerdem hatte er offensichtlich mit dem Attentat zu tun. Es wurden Rezepturen für Sprengmittel aber auch für Gifte gefunden, vielleicht hat er also sogar mit den Morden an einigen unserer Ratsmitglieder in Haelgarde zu tun.“
„Das ist schrecklich. Wir haben die Reste des Flüchtigen gesehen, ein Schwarzalb. Ilfarin hat mich informiert, dass er wohl eine Partnerin namens Cirangal hatte.“
„Vielleicht steckt sie hinter den anderen Morden und der Geflohene war Richtung Norden unterwegs, um sie zu treffen“, merkte ich an. „Wärt ihr zwei in der Lage, diese magische Axt hier zu untersuchen, damit wir mehr über sie herausfinden können?“
Die Gildenmagier sahen sich an, schüttelten dann aber bedauernd den Kopf. „Dafür bräuchten wir ein umfangreiches Labor… eben wie in Haelgarde“, erläuterte Garric.
„Allerdings ist alles noch einmal komplizierter geworden“, warf Anluan ein. „Die Kirgh ist auf dem Weg und will sich das Artefakt wohl aneignen um es wegzuschließen.“
„Aber das ist unsere Angelegenheit! Es geht um abtrünnige Mitglieder und sogar Mordopfer in unseren Reihen!“, begehrte mein gelehrter Freund auf.
„Nach den unzähligen Toten auf dem Marktplatz sehen die Priester das anders“, murmelte sein Kollege, ebenfalls mäßig begeistert.
„Verdammt, die sind noch schlimmer als dieses fahrende Volk der Abanzzi.“
Ich seufzte kurz auf. Das albische Problem mit allem, was irgendwie fremd war, legte sich wie ein Schraubstock um den Schädel, es war ein elender Kopfschmerz. Gegen diesen tief verwurzelten Schwachsinn vorzugehen war jedoch die Aufgabe der Menschen selbst – als Elf würde ich ohnehin kein entsprechendes Gehör finden.
„Aber eine Sache fällt mir gerade ein“, murmelte Garric. „Der Schwarzalb wollte nach Norden…kennst du den Bro Bedwen, Ilfarin?“
Ich erinnerte mich. Ein großer Wald, nördlich von Alba. Man erzählt sich von riesigen Bäumen in seinem Innersten, die ein dichtes Blätterdach sponnen und eine Dunkelheit schufen, die nicht nur jedes Licht sondern auch jeden Ton zu verschlucken schien. Dort in jener unwirklichen Finsternis sollen schreckliche Dämonen hausen…
„Er könnte wohl tatsächlich zu Angehörigen seines Volkes unterwegs gewesen sein“, kommentierte ich die Idee des Gildenmagiers.
Nach diesen Worten verabschiedeten wir uns von Anluan und machten uns zur Kaserne der Stadtwache auf den Weg, wo wir Miyako, Caileass und Olo wiedertrafen. Wenig später saßen wir dann auch schon beim Unteroffizier Baran, der einen festen Händedruck zur Begrüßung sowie ein besonders warmes Lächeln für die KanThai auf Lager hatte. Caileass bekundete unser Interesse an den Mordfällen rund um Donn, Macha und zuletzt Alan Graham, woraufhin Baran im Großen und Ganzen wiederholte, was wir bisher bereits gehört hatten. Er führte noch etwas genauer aus, dass es nicht nur Materialreste gewesen war, die man bei dem Alchemisten gefunden hatte, sondern einen richtigen Bausatz.
„Gibt es noch jemanden in Crossing, der sich mit Zaubermitteln auskennt?“, fragte Garric an der Stelle nach.
Baran schüttelte nur den Kopf, kam dann aber auf Niall MacRathgar zu sprechen. „Wir erhielten am Tag der Explosion die Information, dass der Seemann in die ganze Sache verwickelt sein konnte, daher sind unsere Männer los, um ihn aufzugreifen. Sie kamen zu spät… nachdem das Inferno vorbei war konnte ich nur noch die letzten Worte eines Freundes vernehmen, der Niall gesehen hatte. Er schien seltsam geglüht zu haben, bevor er in einem Feuerball verschwunden war, der dann auch den ganzen Marktplatz verheert hat. Zumindest kann das Schwein nicht überlebt haben“, setzte er noch grimmig hinzu. „Aber eine Frage habe ich an Euch, Miyako. Ihr hattet nach ihm gefragt, als ihr zuletzt vor einigen Tagen hier gewesen wart. Woher kennt Ihr Niall MacRathgar?“
„Ich kenne nur sein Aussehen von Beschreibungen her“, meinte die KanThai und zögerte einen Moment. Doch schließlich hielt sie die Zeit für gekommen, ihre Geschichte zu erzählen. „Ich habe ihn wegen meiner Schwester gesucht. Sie war auf hoher unterwegs gewesen, da griffen Piraten, unter anderem Niall, an. Meine Schwester wurde wie viele andere auch getötet.“
Es wurde einen Moment still, als jeder für sich erst einmal verstehen musste, was für ein Grauen auf Miyako eingeschlagen hatte – und trotz allem saß sie hier, das Gesicht wie immer eine schöne Maske, die wenig über die dahintersteckenden Gefühle verriet. Man durfte wohl eine tiefe Trauer vermuten, zur Zeit jedoch noch verdeckt von Zorn, der jedoch nicht sein Ziel getroffen hatte – Niall war seinem Schicksal nicht entgangen wenngleich er so Miyakos Schwert geflohen war.
Caileass hielt es wohl für am besten, das Thema zu wechseln: „Aber warum sollten ein Schwarzalb, ein Alchemist und ein Pirat ein Interesse daran haben, eine Explosion auf einem Marktplatz auszulösen?“
„Das dürfte kaum gewollt gewesen sein“, schloss Garric daraus.
„Auf so Marktplätzen ist ja auch immer eine Menge los, vielleicht hat ihn jemand angerempelt und dann…naja, ihr wisst schon“, mutmaßte Olo.
„Dann hätte er aber einen anderen Weg nehmen sollen“, bemerkte Caileass.
„Also wird er wohl entweder nicht gewusst haben, was er transportierte oder wie empfindsam es war“, führte ich den Gedankengang des Söldners fort.
„Und das eigentliche Ziel?“, fragte Miyako.
„Darüber erfahren wir vielleicht etwas in Alan Grahams Haus“, schloss Garric und sah fragend zum Unteroffizier hinüber, der sogleich den Hausschlüssel herüberschob. „Vielleicht findet ihr etwas, das meinen Männern und mir entgangen ist.“
Wir bedankten uns und machten uns auf den Weg zum Haus des Alchemisten.
Alan Graham lebte dort, wo man durchaus die Mittelschicht Crossings verankern könnte. Die gewohnten zweistöckigen Fachwerkhäuser waren gut gepflegt allerdings ohne größere Verzierungen beispielsweise an den Balken – nur vereinzelt zeigten jüngst zu Reichtum gekommene Bürger, dass sie sich durchaus wertige Zimmermannsarbeit leisten konnten. Das Haus fiel durch seine geschlossenen Läden auf; Niemand war heute dort gewesen, der sie hätte öffnen sollen, bis wir gekommen waren.
Durch die Tür gelangten wir direkt in den wohl größten Raum des Hauses, der beinahe das gesamte Erdgeschoss einnahm. Vor beinahe jede Wand war ein Tisch platziert, auf dem allerlei Sachen standen, die nicht mehr in die Wandregale gepasst hatten. Eingelegte Tierinnereien, getrocknete Kräuter, Pilze sowie dutzende Phiolen ungewissen Inhalts. Am auffälligsten war jedoch ein massiver Schreibtisch auf dem ein halbes Dutzend Bücher aufgeschlagen waren. Eines davon zeigte deutlich eine kleine Konstruktion, um die herum ein kreativer Schreiberling Rauch und Flammen eingezeichnet hatte. Auf dem nebenanstehenden Tisch lagen noch einige Ton- und Metallstücke sowie Pulverreste versetzt mit roten Edelsteinsplittern. Es fiel wahrlich nicht schwer, die bisherige Detektivarbeit der Stadtwache bestätigt zu sehen. Die Antwort, warum alles hier so offen präsentiert war, fand sich auf dem Holzboden: das Blut des Alchemisten hatte sich eingebrannt und dunkel verfärbt – als hätte der Schatten eine kleine Erinnerung an sich zurückgelassen.
Caileass studierte gemeinsam mit Garric die aufgeschlagenen Folianten während der Rest von uns alles nach versteckten Hinweisen absuchte. Während wir alles abtasteten und -klopften erklärten sie uns, dass dies weit davon entfernt war eine Laienarbeit zu sein und es wurde klar, warum sich der Schwarzalb und dieser Niall mit einem Alchemisten zusammengetan hatten. Das Grundprinzip sei zwar nicht magisch, könnte jedoch durchaus damit gekoppelt werden. Zuletzt stellten sie nüchtern fest, dass es eine sehr fragile Konstruktion war, die auch aus Versehen explodieren konnte – was unsere Theorie einer unfreiwilligen Selbstentzündung des Piraten bestätigte.
Da fand ich einen Splint an der Wand, der verdächtig hervorragte. Nach behutsamen Drücken sprang eine Holzklappe im nahen Stützbalken auf: darin ein kleines Büchlein voller, eher unordentlich geschriebener, Notizen. Aufgrund meiner mangelnden Kenntnisse des Albischen reichte ich das Fundstück an Caileass weiter, der ein wenig hindurchblätterte und querlas – wobei sich seine Miene immer weiter verfinsterte.
„Das klingt nicht gut“, schloss er. „Der Schwarzalb hieß wohl Rythvar und hat sich bereits vor einiger Zeit an den Alchemisten gewandt. Alan Graham hat seitdem hierin einige für uns interessante Notizen niedergeschrieben, sehr nüchtern und neutral… es wurde eine große Menge Gold geboten und moralische Bedenken waren wohl keine vorhanden. Mit der Bombe sollte die Phönixgilde hier im Norden Albas empfindlich geschwächt werden.“
„Dazu passen die Morde an unseren ehrenwerten Ratsmitgliedern“, fügte Garric an. Caileass nickte und fuhr dann fort: „Sinn des ganzen Unterfangens war es wohl, den Weg für eine ‚dunkle Armee‘ zu bereiten, wie er hier schreibt. Dabei sollen Heerscharen von Untoten mittels eines mächtigen, magischen Artefakts gebändigt werden.“
„Verdammt“, fluchte der Gildenmagier auf. „Rythvar war sicher ein Ablenkungsmanöver, das eigentliche Artefakt ist bestimmt schon außerhalb unserer Reichweite.“
„Aber mit der Axt hatte er doch auch die Möglichkeit, Einfluss auf lebende Menschen zu nehmen. Warum nicht auch auf Untote?“, warf ich ein, wobei Garrics hochgezogene Brauen seinen Zweifel mehr als deutlich machten. Sicherlich war es etwas anderes, Schlafzauber zu wirken und zwei Stadtwachen aufeinander zu hetzen als ganze Heerscharen von Untoten unter seine Knute zu bringen, doch schien es mir nun besser, sich das Naheliegende zu betrachten als über ein Artefakt nachzudenken, dessen Existenz bisher auf Vermutungen basierte.
Wir suchten anschließend noch die oberen Stockwerke ab, fanden jedoch nur noch ein Tagebuch im Nachtschrank des Alchemisten. Hier war es wie auf dem Silbertablett serviert und präsentierte das normale Leben Alan Grahams; die geschönte Version falls die Stadtwache einmal das Haus nicht allzu gründlich durchsuchen würde. Eine weise Entscheidung, die uns jedoch nicht aufs Glatteis geführt hatte.
„Verdammt, wo ist denn das Geld für die Bombe geblieben“, brummte Caileass.
„Dir ist aufgefallen, dass da eine Blutlache im Erdgeschoss ist?“, erwiderte ich in einem meiner süffisant-bissigen Augenblicke. „Ich bezweifle, dass der Alchemist jemals seine Belohnung erhalten hat.“
Caileass murrte noch etwas weiter, gab aber seine Suche auf und gemeinsam befragten wir noch die Nachbarn. Diese hatten wenig Neues zu berichten; nur zweimal war eine beinahe vermummt zu nennende Gestalt bei Alan Graham gewesen – unter dem dicken grauen Mantel mit tief hängender Kapuze war Nichts zu erkennen gewesen.
So hatten wir nun eine erschreckende Erkenntnis gewonnen: Alba drohte eine große Gefahr aus dem Norden!
„Wir müssen eine Botschaft an all jene schicken, die für die Sicherheit der Nordmarken zuständig sind!“, rief ich aus.
„Das dürfte dann Ian MacRathgar sein, Laird des Clans und Heereswart des Nordens. Außerdem die Stadtherrin von Haelgarde sowie die Phönixgilde. Zuletzt sollten wir noch dem König oder genauer dem Reichsverweser Angus MacBeorn eine Botschaft zukommen lassen“, erklärte Garric, wer entsprechendes Gewicht im Königreich hatte. Doch bereits nachdem ich meine Worte ausgesprochen hatte, waren mir schon Zweifel gekommen: „Nun… andererseits ist alles, was wir haben die Notiz des ermordeten Alan Graham. Das wird nicht gerade dafür sorgen, dass sich der Adel des Landes zusammentut, um sich auf einen Angriff vorzubereiten. Vielleicht bleibt uns Nichts außer uns auf diese magische Axt zu konzentrieren. Wenn wir herausfinden, dass sie das Schlüsselartefakt ist, dann muss sie in Sicherheit gebracht werden.“
„Dann sollten wir uns darum kümmern, wo man sie zurzeit untergebracht hat“, schloss Miyako und erntete allgemeine Zustimmung.
So führten uns unsere Schritte zurück zum Unteroffizier Baran, den wir umgehend über unseren Fund in Kenntnis setzten. Er wirkte ähnlich alarmiert wie wir und schickte uns zur Burg der MacArdochs – die Axt war mitsamt allen weiteren Besitztümern des Schwarzalbs im Kerker untergebracht worden und es nun am Laird zu entscheiden, wie es damit weiterging. Garric fluchte vernehmlich, da sich sicherlich nun auch die Kirgh Albai der Sache angenommen hatte und genauso das Artefakt an sich nehmen wollte wie die Phönixgilde. Solche Revierkämpfe kamen nun durchaus ungelegen.
Wir verschwendeten keine Zeit und marschierten direkt zur Burg, wo uns zwei Krieger mit gekreuzten Stoßspeeren den Weg versperrten.
„Wir sind im Auftrag der Stadtwachen unterwegs“, erklärte ich während Garric den beiden die entsprechende Urkunde vorhielt. „Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Morden hier in Crossing sowie dem schrecklichen Attentat vor drei Tagen. Daher würden wir, als engagierte Ermittler der Stadt, gerne die sichergestellten Artefakte in Augenschein nehmen.“
Der eine Wächter ließ seinen Blick über uns schweifen und blickte mich schließlich an: „Nein.“
„Nein?!“, fragte ich unverständlich.
„Nein“, bestätigte der Mann.
„Aber wieso, da ist doch unser Brief, der uns als…“
„Gib’s auf Ilfarin. Die zwei könnten nicht mal lesen“, schmunzelte Garric und zeigte, dass er die Urkunde falsch herum gezeigt hatte.
„Aber das sollte doch keine Rolle spielen!“, begehrte ich auf. „Wenn die uns nun bei Alan Graham gesehen hätten, hätten sie uns dann für Einbrecher gehalten? Unsere Urkunde muss doch auch für Analphabeten kenntlich machen, dass wir im Auftrag der Stadtwache handeln!“
„Aber ich sehe keinen Grund, warum ihr wegen der Morde in die Burg müsst“, erklärte sich einer der Krieger.
„Keinen…Grund? Sagt, habt Ihr mir gerade ein Ohr geliehen oder steckt darin eine so dicke Portion albische Sturheit…“, entglitt mir deutlich der Ton, sodass der Mann mit seinem Speer auf den Boden stampfte und mich anfuhr: „Verschwindet! Wenn ihr fünf so wichtig seid, dann geht zu Hauptmann Beglenn.“
Es war für mich kaum zu fassen – da starben in wenigen Tagen dutzende Menschen und alles, was die Menschen beschäftigte war eine verkorkste Bürokratie, die auf Kriegern fußte, die ohnehin kein Wort lesen konnten. Die anderen nahmen es deutlich gelassener hin und waren bereits auf dem Rückweg zur Stadtwache. Einen Moment endloser Fassungslosigkeit später folgte ich ihnen.
Zumindest Baran schien meine Verärgerung zu teilen und marschierte schnurstracks mit uns zurück zum Tor, wo er seinen beiden Untergebenen einige klare Worte schenkten. Nun etwas kleinlauter meinten sie, einfach nur so vorsichtig wie möglich sein zu wollen, was ich ihnen dann doch auch nicht übel nehmen konnte. Diese Tage hatten an unserer aller Nerven gezehrt, nicht zuletzt an den meinen. Streit zu suchen war sonst nicht meine Art, doch die Ausmaße an Tod und Grausamkeit mit denen wir konfrontiert gewesen waren, hatten mich ziemlich erschüttert. Ich besann mich einen Moment auf mich selbst und versuchte meine innere Ausgeglichenheit wiederzufinden. Es gelang mir ein wenig zur Mentalität des Grases im Wind zurückzukommen: es schleudert mich hin und her, aber entwurzelt mich nie ganz – ich nickte den Wächtern entschuldigend zu und wir fünf begaben uns in die unteren Verliese der Burg.
Es war recht kalt, wenngleich unter der Sonne eine warme Sommerbrise wehte, die auch durch den immer wieder aufflackernden, typisch-albischen Nieselregen nicht getrübt werden konnte. Massiver Stein umgab uns und gab Menschen und Zwergen sicherlich das Gefühl von Sicherheit. Spärlich von Fackeln beleuchtete und dann auch noch angerußte Wände vermittelten mir jedoch den Eindruck bedrängender Enge. Ich atmete unbewusst schwerer, als wir die Treppen nach unten nahmen und schließlich von einer weiteren Wache durch eine verschlossene Tür gelassen wurden.
Der Leichnam Rythvars erfüllte den Raum mit einem üblen Geruch, wenngleich er sich aufgrund der Kälte immer noch in einem gewissen Rahmen hielt. Die Überreste des Schwarzalbs hatte man mit einem Leichentuch bedeckt während auf einem anderen Tisch seine Besitztümer lagen. Unser Augenmerk richteten wir nun auf die verzierte Streitaxt, die so gar nicht zu den anderen Waffen passen wollte. Nun hatten wir etwas mehr Zeit und Ruhe, sie genauer zu betrachten und rasch fielen uns einige Runen auf, die auf den Griff geprägt worden waren. Zwar konnte keiner von uns diese kantigen Schriftzeichen lesen, doch war ihr Ursprung recht eindeutig zwergisch. Wie passte das nun wieder?
Etwas verwundert fertigten wir einen Abrieb an und machten uns wieder auf den Weg in die Stadt, wo wir recht schnell einen zwergischen Grobschmied fanden. Er war ob unserer Anfrage zur Übersetzung etwas verwundert, aber als wir erklärten, dass es eine dazugehörige Axt gäbe und diese in ihren Grundzügen beschrieben hatten, war er wohl neugierig geworden und sah sich die ihm vorgehaltenen Runen an.
„Da steht, der Inhaber sei ein ‚Graf Alwar von den westlichen Inseln Ywerddons‘. Diese Menschen! Eine Axt braucht einen Namen, nicht einen Besitzer, der sich darauf verewigt. Eine Schande ist das.“
„Aber aufgrund der Beschreibung würdet Ihr von einer zwergischen Waffe sprechen, oder?“, hakte Garric nach.
„Nun, soweit ich das anhand Eurer Worte beurteilen kann, klingt das nach einem Meisterwerk nach der Art meines Volkes“, stimmte der Grobschmied zu.
„Könnt Ihr anhand der Runen grob einordnen, wie alt die Axt sein könnte?“, fragte ich.
„Es ist ein sehr altertümlicher Dialekt, der sehr alte Runen benutzt. Ich will nicht zu viel wagen, aber es könnte ein Artefakt aus der Zeit des Kriegs der Magier sein.“
Garric stieß einen Pfiff aus. „Älter als tausend Jahre. In dieser Axt muss eine Menge Magie stecken.“
„Nun, dann haben wir ja nun erfahren, was wir wissen wollten“, schloss ich etwas kurzangebunden und machte mich daran zu gehen. Den Zwerg hatte ich damit wohl eindeutig vor den Kopf gestoßen und auffordernd hielt er die hohle Hand auf.
„Herr Langbart, wendet Euch doch bitte an die Stadtwache, sie wird sicherlich eure Kosten decken“, kommentierte ich, ausnahmsweise selbst derjenige, der sich nicht schämte, derartige Vorurteile auszuposaunen. Nun, zu meiner Verteidigung könnte ich vorbringen, dass wir den Zwerg wegen der paar warmen Worte sicherlich nicht um mehr als ohnehin vergeudete Zeit gebracht hatten. Doch zumindest diesen Streit ließ ich in seinen Anfängen verharren.
Nun begaben wir uns erneut in die Mauern der Burg und wurden diesmal in den Thronsaal geführt – Laird Pendrach MacArdoch erwartete uns. Der große Raum im Kern der Anlage diente normalerweise dem Empfang des Adels dieses Landes oder zumindest seiner Diener, nicht allzu oft dürften herumreisende Abenteurer wie wir hier auf dem langen, im Muster des Clans gewebten, Teppich stehen. Die Kamine waren nicht entzündet, dürften jedoch auch im Winter für angenehme Temperaturen sorgen, sollte man die Läden vor den hohen Fenstern verschließen. Von hier aus hatte man einen guten Überblick über Crossings zehntausend Einwohner. Der Herrscher dieser Stadt hatte es sich auf dem hohen Thron bequem gemacht. Ein Schwan, das Wappentier des Clans, war jeweils rechts und links über den Schultern des Mannes in das Holz geschnitzt. Ihre Schnäbel trafen sich über dem Kopf des Mannes und schienen eine stilisierte Stadt zu stützen. Obwohl die MacArdochs nicht zu den großen Clans Albas gehörten, besaß Laird Pendrach eine nicht zu unterschätzende Macht und regierte mit Crossing über eines der Handelszentren in Alba. Entsprechend strahlte er eine natürliche Autorität aus.
„Seid gegrüßt“, richtete er das Wort an uns, nachdem wir uns knapp verbeugt hatten. „Man hat mich unterrichtet worden, wer ihr seid und was ihr wollt. Ich bin Laird Pendrach MacArdoch, Herr von Crossing. Sagt mir, warum sollte ich diese gefährliche Axt einer Gruppe von Abenteurern übergeben, wo sie doch hier sicher verwahrt werden kann?“
„Es ist unser Anliegen, dieses Artefakt zur Phönixgilde nach Haelgarde zu bringen“, eröffnete Garric. „Meine gelehrten Kollegen und ich sind bereits seit einiger Zeit auf der Suche danach und wir hegen den dringenden Verdacht, dass es mit einer Verschwörung gegen unsere Vereinigung zusammenhängt.“
„Zudem ist wohl allein die Magiergilde in der Lage, dieses Artefakt genauer zu erforschen“, ergänzte ich. „Denn es besteht Grund zur Annahme, dass es einer so genannten ‚dunklen Armee‘ im Norden den Weg nach Alba ebnen soll. Wir müssen uns sicher sein, dass diese Axt das Schlüsselelement ist, sonst ist es sinnlos, sie versteckt zu halten und wir müssen nach dem eigentlichen Artefakt suchen.“
„Ihr sprecht von einer Gefahr im Norden“, erwiderte Pendrach. „Warum sollte man dieses Fundstück also weiter in diese Richtung, womöglich dem Feind entgegen, tragen?“
„Es muss Klarheit geschaffen werden“, betonte Garric noch einmal nachdrücklich. „Wenn die Kirgh die Axt in einen Keller sperrt werden wir nicht erfahren, ob die Gefahr gebannt ist, oder ob wir einem Täuschungsmanöver anheimgefallen sind.“
Nachdenklich wiegte der Laird den Kopf hin und her. Schließlich sprach er aus: „Ich werde euer Ansinnen überdenken. Wir werden Morgen noch einmal darüber sprechen. Geht nun.“ Die letzten Worte unterstrich er mit einer knappen Handbewegung und wir verschwanden nach einer weiteren, kurzen Verbeugung aus dem Thronsaal.
Ohnehin war es bereits wieder Zeit geworden, zum Abendessen in das Stadthaus der MacAelfins zurückzukehren, wo wir auch bereits von der Familie an der langen Tafel erwartet wurden. Wir sprachen diesmal nur wenig, das meiste war bereits gesagt worden. Schließlich bat ich nur noch einmal Graf Bryan MacAelfin, dass er beim Laird ein gutes Wort für uns einlegte, sollte er um Rat gebeten werden. Der verzog zwar unmerklich die Mundwinkel, da er uns wohl dankbar war, aber sich ungerne dafür in Bürgschaft begab, gab mir allerdings zu verstehen, dass er Laird Pendrach hinsichtlich unserer bisherigen Errungenschaften unterrichten werde.
Am nächsten Morgen gingen wir nach dem Frühstück ein weiteres Mal zur Burg und wurden erneut direkt in den Thronsaal geleitet. Dort erwarteten uns neben dem Laird noch zwei weitere Männer: einer trug einen grauen Kilt, der ihn als Mann der Kirgh Albai auswies. Er war wohl schon etwas älter, wirkte dadurch allerdings nur umso rüstiger – und, was ein gutes Zeichen für uns schien, ziemlich unzufrieden. Der andere Mann trug eine Robe, die ihn unverkennbar als Magier kennzeichnete: die von Garric lang ersehnte und mit vielen Depeschen angeforderte Unterstützung aus Haelgarde. Doch beide Männer schwiegen und überließen Pendrach MacArdoch das Wort.
„Seid mir ein weiteres Mal gegrüßt. Ich habe über euer Anliegen nachgedacht und mich mit den Vertretern der Magiergilde und der Kirgh auseinandergesetzt. Es scheint mir, dass ihr fünf vertrauenswürdiger seid, als es auf den ersten Blick wirkte. Daher habe ich mich entschlossen euch die Habe des Schwarzalbs mitzugeben, um sie in Haelgarde an die Phönixgilde zu überbringen, die sie sich genauer ansehen und untersuchen kann. Ihr werdet erhalten, was ihr für die Reise braucht und außerdem stelle ich fünf Krieger ab, die euch begleiten sollen. Die Axt selbst soll hierbei von dir getragen werden“, wandte sich der Laird an Caileass. „Du scheinst besonderen Eindruck bei der Wache hinterlassen zu haben und sollst daher auf dieses mächtige Artefakt achtgeben.“
Der Söldner nickte stolz – die Anerkennung hatte er sich wohl verdient, immerhin war er derjenige gewesen, der am längsten am Attentäter dran geblieben war.
„Wir haben den Segen der Kirgh?“, fragte Garric noch einmal sicherheitshalber nach… und weil er sich die Spitze nicht verkneifen konnte.
„Ja“, knurrte der Mann. „Auch wenn ich es immer noch für besser halte, dieses gefährliche Artefakt in Moranmuir unterzubringen anstatt es weiter durch die Welt zu tragen.“
Dieses Bedenken traf jedoch auf keinen Nährboden mehr und so wurden wir mit den Worten entlassen, wir sollen uns gründlich auf die Reise vorbereiten.
So verbrachten wir noch einige ruhigere Tage in Crossing, die wir nutzen konnten um einige unserer Fertigkeiten zu verbessern und uns zu erholen. Dabei erfuhren wir auch von Melodien, dass sie vorhatte nach Norden zu reisen, um Earn MacRathgar seiner gerechten Strafe zuzuführen. Wir waren deutlich alarmiert, galt das Gebiet doch als äußerst rau und wild – eine Dame aus hohem Hause, so stark Liebe und Rachegelüste auch in ihr steckten, würde dort nicht überleben. Doch sie konnte uns beruhigen, dass sie nicht alleine reisen würde. Mein Angebot, zu warten, bis wir unsere Angelegenheiten in Haelgarde geklärt hatten, fand sie durchaus reizvoll, allerdings schien es sie auch sehr zu drängen und man konnte sich nicht sicher sein, dass es am Ende nicht doch einfache Söldner werden würden, die sie nach Norden brachten.
Doch unsere Aufgabe war zunächst eindeutig: die Reise nach Haelgarde. Nachdem wir noch ein wenig Gold zum Abschied von Graf Bryan MacAelfin erhalten hatten, brachen wir auf. Miyako, Olo, Garric und ich in einer Kutsche, Caileass auf einem Pferd, die Axt fest am Sattel verschnürt, sowie fünf Krieger der MacArdochs – ebenfalls beritten.
Die ersten Tage führten uns auf der Königsstraße nordwärts, auch an dem uns wohl bekannten Gasthaus vorbei. Am Mittag des vierten Tages erreichten wir schließlich eine Kreuzung, an der wir uns ostwärts wandten. Es waren gemütliche Reisetage, da die großen Straßen hier gut gepflegt waren und wir nicht mit mehr zu rechnen hatten, als mit dem gewöhnlichen Nieselregen. Zwar langweilte es ein wenig, nur in der Kutsche zu sitzen, doch übermäßig beschweren wollte ich mich nicht, dafür war die Reise nach Haelgarde zu lang.
Es war der fünfte Tag, wir durchquerten gerade einen lichten Wald, der sich über die nördlichen albischen Hügel zog, da wurde uns der Weg versperrt. Auf gesamter Breite der Straße kamen uns sechs Reiter entgegen, die zwanzig Meter vor uns anhielten. Sie trugen lederne Rüstungen über ihren Plaids und hatten Kurzschwerter an die Gürtel geschnallt.
„Ihr dürft nicht weiter“, rief einer der Männer, offensichtlich der Anführer.
„Sie tragen den Tartan der MacRathgars“, fluchte Garric. Ich musterte die sechs Männer skeptisch; auch der stolze Clan des Hochlands war scheinbar nicht davor gefeit, Wegelagerer hervorzubringen – oder ihre Kleidung an solche zu verlieren.
„Weswegen versperrt ihr den Weg?“, rief ich zurück, nachdem ich zum Kutscher gestiegen war.
„Es ist gefährlich hier“, kam die süffisante Antwort, deren eigentliche Bedeutung er noch betonte, als er anfügte: „Ihr seht aus, als wärt ihr reich beladen.“
Die Männer waren töricht zu glauben, sie hätten eine Chance gegen uns – es waren allein sechs Mann zu Pferd, ebenso viele wie sie. Dazu noch wir vier in der Kutsche. Ich beschloss, einen Versuch zu wagen, übermäßiges Blutvergießen zu vermeiden und konzentrierte mich auf einen Albai nach dem anderen. Bei jedem Einzelnen spürte ich eine grimmige Entschlossenheit, zur Not zu den Waffen zu greifen, wenn das notwendig war, um an das heiß ersehnte Gold zu kommen. Aber sie waren nicht viel mehr als einfache Banditen. Kein tiefer Hass hatte ihre Herzen vergiftet, es waren schlechtes Auskommen und Gier, die sich vermischt hatten und die Männer antrieb – keine tiefe Entschlossenheit. So sprach ich laut und deutlich Worte der Warnung. Es war weniger eine deutliche Sprache als vielmehr ein bedrückendes Gefühl, das sich in Töne legte und durch die Leiber der Männer fuhr. Herzen sollten schneller schlagen, Haare sich aufstellen, die Augen wild hin und her huschen. Ein Gefühl der Angst und Unsicherheit sollte sie vor einem tödlichen Fehler bewahren.
Doch lediglich zwei der Männer zuckten als Zeichen der Unbequemlichkeit mit den Schultern und trieben ihr Pferd unbewusst einen Schritt zurück. Der finstere Blick ihres Anführers hielt sie davon ab, weiter zurückzugehen.
„Und was, wenn wir bezahlen?“, mischte sich nun Olo ein.
„Wie viel hättet ihr denn zu bieten?“, blaffte der Sprecher zurück.
„Nun…ich hätte da zehn Goldstücke“, grinste der Halbling frech zurück. Der Wegelagerer wurde rot vor Zorn, wagte aber noch keinen Angriff.
Währenddessen griff ich nach dem Stück Eichenrinde, das ich als Ausdruck der natürlichen Macht bei mir trug und legte es Miyako auf den Unterarm. Verdutzt blickte ich sie an während ich mit einigen einfachen Worten die Kraft des Baumes, die noch immer in seiner Haut steckte, auf die KanThai übergehen ließ. Langsam verholzte ihre Haut und sie wirkte einen Moment später wie ein zorniger Naturgeist.
„Was soll das?!“, fauchte sie mich an.
„Das ist ein Schutz. Deine Haut ist nun deutlich widerstandsfähiger“, erklärte ich.
„Sowas brauche ich nicht. Lass es damit sein!“, stellte sie klar. Verwundert runzelte ich die Stirn und wandte mich wieder den Wegelagerern zu. Es hatte mich bereits einiges an Kraft gekostet, ihnen Respekt einzuflößen und nun auch Miyako einen zusätzlichen Schutz zu bieten, daher verzichtete ich auf weitere Versuche, die Lebenskraft um uns herum zu nutzen. Stattdessen griff ich Stoßspeer und Schild und stellte mich vor die Kutsche. Caileass kam auch einige Schritt angetrabt und saß von seinem Pferd ab. Schon im nächsten Moment hatte er ein Rapier gezückt und wandte sich grinsend den Banditen zu. Und kurz darauf waren auch die anderen an meiner Seite, insbesondere Olo lehnte sich lässig an den Wagen und schien zu überlegen, ob er noch eine Pfeife schmauchen konnte.
Doch unsere offensichtliche Gelassenheit und zahlenmäßige Überlegenheit konnte die Männer nicht ausreichend irritieren und sie trabten an, die letzten zwanzig Meter zu überwinden – lediglich die zwei, die auf meine Warnung reagiert hatten, blieben unruhig stehen.
Aber sie sollten nicht verschont werden! Die fünf Clankrieger der MacArdochs galoppierten zwischen den Angreifern hindurch und attackierten die unentschlossenen Banditen erbarmungslos. Währenddessen brachten die vier Reiter ihre Tiere vor uns zum Stehen und begannen mit ihren Kurzschwertern anzugreifen, wobei Garric sich im Hintergrund hielt und zu zaubern schien.
Ich unterlief den ersten Angriff, als mein Gegner seine Waffe von oben herabstieß. Nahezu wirkungslos rutschte sie über meinen kleinen Schild hinweg, doch ich erwiderte unerbittlich und stieß meinen Speer in seine offene Flanke hinein. Der Mann keuchte erheblich auf, drängte mich jedoch mit seinem nächsten Hieb wieder ein Stück weg.
Miyako hatte indes Schwierigkeiten mit dem Höhenunterschied zu ihrem Gegner klar zu kommen: ihr Angriff ging vorbei und der Bandit stieß mit dem Knauf seiner Waffe gegen ihre Hand. Ächzend ließ sie ihr Schwert zu Boden fallen – dem Angriff ihres Gegners entging sie jedoch mit einem eleganten Seitwärtsschritt und hatte auch nur wenige Momente später die Waffe wieder in der Hand.
Ich konnte mich jedoch kaum länger auf die anderen konzentrieren, denn der nächste Angriff des Gegners ließ nicht lange auf sich warten. Ein leichtes Ducken reichte aus, doch der Wegelagerer war diesmal vorsichtiger und drängt mich mit dem Pferd einen Schritt zurück – ließ allerdings diesmal die linke Seite offen! Unerbittlich stieß ich zu und traf von schräg vorne die Schulter. Der Mann gellte vor Schmerz auf und der Arm erschlaffte in einer schmerzlichen Haltung.
Da sprang mir plötzlich Garric bei und nutzte den Moment der Ablenkung, um einen empfindlichen Treffer gegen das Gelenk des rechten Arms zu landen. Der an empfindlicher Stelle getroffene Ellebogen knirschte merklich unter dem Stich und der Bandit winselte nur noch, als er gerade so sein Pferd wenden und davonreiten konnte. Dankbar nickte ich dem Magier zu, der mit einem breiten, aber auch etwas überraschten Grinsen antwortete.
Miyako hatte ihren Gegner in einem zweiten Angriff empfindlich unter die Rippen getroffen. Sich unter Schmerzen windend glitt der Wegelagerer vom Pferd, ihr direkt vor die Füße – und sie stach erbarmungslos nach, nicht nur einmal, sondern gleich zweimal. Der Todesschrei des Mannes erstickte bereits im Ansatz und etwas entsetzt blickte ich zur KanThai hinüber, die jedoch einen seltsam ruhigen und zufriedenen Ausdruck im Gesicht hatte, beinahe könnte man sagen, ihre Augen glänzten. Man könnte durchaus sagen, sie hätte Frust abgelassen, aber das war… erschreckend finster.
Der Halbling Olo Platschfuß hatte allerdings einige Probleme gegen seinen Gegner an- oder überhaupt heranzukommen. Den wuchtigen Hieben des Morgensterns entging der Angreifer problemlos, erreichte aber selbst auch kaum sein Opfer. Garric und ich wandten uns zur Hilfe, während ich Augenwinkel wahrnahm, wie Caileass tänzelnd um das Pferd seines Gegners herumschritt. Seine Ausfall- und Rückfallschritte kamen in einem für den Gegner kaum wahrnehmbaren Tempo und mit dem Rapier setzte der Söldner Stich um Stich, bis der Mann schließlich aus dem Sattel kippte. Kleine, aber präzise Einstiche hatten lebenswichtige Organe verletzt und der Wegelagerer verendete im Staub der Straße – es war der Anführer der Truppe gewesen.
Gemeinsam bedrängten wir dann den letzten Reiter, denn auch seine zwei Freunde hatten gegen die uns begleitenden Clankrieger verloren. Mit einem panischen Schrei und einem hohen Satz seines Pferdes preschte er davon. Wir ließen ihn gewähren, genug Blut hatte die Königsstraße befleckt.
Wir hatten Glück gehabt und keiner von uns war schwer verwundet worden, wenngleich ich mich hinterher trotzdem still für meine übermäßige Gelassenheit schalt. Einem Krieger sah man die Gefährlichkeit nicht an, Olo war das beste Beispiel dafür. Das nächste Mal sollte ich mich auch in Überzahl nicht allzu sicher wähnen.
Als wir die Fahrt wieder aufnahmen, erinnerte ich mich an Miyakos Reaktion auf meinen Zauber und fragte sie, was sie daran störte.
„Das ist meine Sache“, meinte die KanThai abweisend. Ich unterdrückte einen bissigen Kommentar, ob sie sich in ihrer Rolle als mysteriöse Fremde gefiel – letzten Endes kannten wir uns erst seit ungefähr einem Mond, da war es kaum ungewöhnlich, nicht alles von sich preiszugeben.
„Aber diese Sache mit den Wegelagerern. Alba ist wirklich ein barbarisches Land“, fluchte Miyako. „In KanThaiPan würde es so etwas nicht geben.“
Garric runzelte die Stirn, als wüsste er den Grund dafür und obgleich dies wahrscheinlich nur Gerüchte waren, schien es ihn nicht wirklich zu beruhigen. Caileass meinte nur: „Nun, ein Angriff in fünf Tagen ist eigentlich noch ein guter Schnitt.“ Sarkasmus mischte sich mit bitterer Wahrheit und ich konnte nur seine Aussage nur unterstreichen, obwohl ich lieber den Kopf schütteln würde.
Die kommende Reise wurde dann wieder ruhiger und am Nachmittag des neunten Tages blickten wir, als die Straße über eine letzte Anhöhe verlief, auf Haelgarde herab. Die gewaltige Hafenstadt mit ihren mehr als fünfundzwanzigtausend Einwohnern wurde durch dicke Mauern geschützt und wirkte wehrhafter als das meiste, was ich bisher in Alba gesehen hatte. Im Hafen lagen allerlei albische, aber auch eine Handvoll chryseiische Schiffe sowie einige waelische Drachenboote vor Anker. Haelgarde war eines von Albas Toren zur Welt, auch wenn es nahe des häufig als barbarisch bezeichneten Nordens, insbesondere Clanngadarns, war. Und da war auch der gewaltige, weiße Leuchtturm der Stadt – Wahrzeichen Haelgardes und der Phönixgilde.
Kurz hinter dem Stadttor brachten wir Pferde und Kutsche unter und machten uns auf den Weg zum Gildenhaus. Wir drängten uns über die breiten Straßen der Stadt, bis wir das in weiß gehaltene Gebäude erreichten. Ein imposanter Bau, der Macht und Einfluss der Magier betonte.
Mit Garric an unserer Seite und dem Schreiben von Laird Pendrach MacArdoch war es kein Problem zu einem Zauberer hohen Ranges gebracht zu werden, der sich interessiert unsere Geschichte anhörte. Schließlich fragte er nach der magischen Axt und Caileass hob sie grinsend empor – nur um sie im nächsten Moment in den Marmortisch des Magiers hineinzuschlagen.