Ihr wollt also wissen, wie alles begonnen hat? Eine kleine Geschichte hören, von den Anfängen jenes Abenteurers, der als einfacher Söldner begann und als Syre seine Laufbahn beenden würde?
Nun, da möchte ich euch nicht enttäuschen, schließlich war ich schon zu jungen Zeiten nie verlegen darum, die eine oder andere Heldentat zu berichten.
Nachdem ich Harkfast frustriert verlassen hatte, war ich auf der Suche nach Abenteuern, die mich zu Reichtum und Unabhängigkeit führen sollten. Dass mir dabei mein geliebter Anderthalbhänder – oder wie wir Albai meist sagen: Claymore – eine große Hilfe sein würde, war selbstverständlich. Doch allein würde ich es nicht mit der Welt aufnehmen können, so suchte ich mir Gleichgesinnte.
Dabei stieß ich auf eine Heilerin namens Anora Lichtfalke sowie den Ordenskrieger Adarius Pilus. Erstere kam wie ich aus Alba, letzterer aus Valian. Sie waren wie ich auf der Suche nach höheren Aufgaben, die uns eine alltägliche Arbeit nicht bieten konnte.
Gemeinsam reisten wir dann einige Wochen durch Alba, auf der Suche nach jemandem, der gut bezahlte und ehrenwerte Aufgaben für uns hatte. Dabei blieben wir eine Weile lang glücklos, ehe wir ein ganz besonderes Gasthaus erreichten…
Zum ersten Mal sahen wir „MacArans Kneipe“ von einem Hügel aus. Es hatte einen äußerst guten Ruf, welchen es durch seine Fassade unterstrich: ein großes, gepflegtes Holzhaus ohne unerwünschten Bewuchs oder Zerfall präsentierte an seinen Balken schöne Verzierungen, die mal Blumen oder andere Schnörkel, an manchen Stellen auch ausführliche Jagdszenen darstellten. Berühmt war die Kneipe dafür, dass man sich seine Übernachtung und Verpflegung dadurch verdienen konnte, dass man eine Geschichte erzählte oder anderweitig die Besucher unterhielt. Eine nette Tradition, von der wir hofften, dass sie unsere schmalen Geldbeutel etwas schonen würde.
Erfreut eilten wir darauf zu und bemerkten etwas erleichtert, dass es nicht dermaßen extrem nach Alkohol und Schweiß stank, wie man es normalerweise von albischen Gasthäusern gewohnt war. Eine angenehme Abwechslung. So öffnete ich die Tür und wir drei traten ein.
In einer Ecke erblickten wir direkt den großen Tresen, hinter dem eine junge Dame soeben einige Krüge sauber machte. Zentral war jedoch das Holzpodest an der uns gegenüberliegenden Wand, welches von jenen genutzt wurde, die mit einer Geschichte oder Ähnlichem die Leute unterhalten wollten. Des Weiteren war der Gastraum mit langen wie runden, großen wie kleinen Tischen vollgestellt, welche gut besetzt waren.
So schnappten wir uns rasch einen Tisch für drei, wo wir uns nach einem Tag des Fußmarsches entspannt fallen ließen. Es dauerte nicht lange bis der namensgebende alte MacAran zu uns kam. Schon damals hatte er graues, spärliches Haar gehabt, welches jedoch noch immer krause Locken geschlagen hatte. Das tat jedoch seinem freundlichen, wenn auch faltigen, Gesichtsausdruck keinen Abbruch und mit tiefer Stimme fragte er, was wir wünschten.
„Drei Dünnbier, das geht auf mich“, eröffnete Adarius und reichte dem Wirt die sechs Silberstücke. Das waren noch Zeiten, als man lediglich zwei Silberstücke für ein Bier bezahlt hatte! Aber ich will nicht abschweifen…
Die junge Bedienung brachte uns das Bier und wir stießen auf unsere Gemeinschaft an, wenngleich wir noch auf unsere erste, richtige Aufgabe warteten.
Alsbald wurde es Zeit, Geschichten zu erzählen, auf dass wir vielleicht eine kostenlose Nacht bekämen.
Ich eröffnete mit einer kleinen Erzählung von meiner Zeit als Unteroffizier. An sich eine spannende Sache, doch die militärischen Einzelheiten sowie meine derzeit nicht gerade eloquente Ausdrucksweise minderten den Effekt auf die Gäste erheblich. Es reichte lediglich für eine leichte Vergünstigung für ein Bett im Gemeinschaftszimmer. Ich nahm, was ich kriegte und überließ dem Ordenskrieger die Bühne.
Adarius hatte uns zuvor berichtet, dass er vor seinem Aufbruch als Geschichtenerzähler für den Orden unterwegs war. Mit einer Mischung aus religiöser Predigt und unterhaltsamer Rhetorik hatte er den Menschen seinen Glauben näher gebracht und gleichzeitig etwas Gold verdient. Dementsprechend merkte man einen deutlichen Unterschied in seiner flüssigen Ausdrucksweise und der verspielten Sprache. Das Albische bereitete ihm längst keine Probleme mehr und es war kaum anzumerken, dass er nicht von hier war. Kaum hatte er geendet, brandete eine kleine Welle Applaus auf und der Ordenskrieger erhielt ein kostenloses Bett.
Lediglich Anora schien dieser Tradition abgeneigt und orderte darüber hinaus ein Einzelzimmer für sich. Über so verschwenderischen Umgang mit Gold konnte ich ja nur die Nase rümpfen, aber sollte die Frau ruhig tun, was sie für richtig hielt. Würde schon früh genug pleite werden!
Dafür trat jedoch eine andere Frau auf das Podest. Ihre gebräunte, ebenmäßige Haut in Verbindung mit den langen, schwarzen Haaren, die in Wellen auf ihren Rücken fielen allein hätten ihr die Aufmerksamkeit aller Männer im Gasthaus gesichert. Dazu kamen überdies noch die tiefbraunen Augen sowie ein bezauberndes Lächeln, welches bereits für die ersten begeisterten Klatscher sorgte. Sobald sie die vollen Lippen öffnete, ertönte ein nahezu himmlischer Gesang, welchen sie selbst mit einer künstlerisch gestalten Laute begleitete. Es war wie ein Traum und in mir keimte der tiefe Wunsch auf, sie möge nie verstummen. Doch die Minuten vergingen und schließlich endete ihr Stück.
Begeistert sprangen alle auf und klatschten. Dreimal verneigte sich die Dame mit einem weiteren Lächeln, ehe sie zu MacAran an die Theke ging. Adarius wollte sich bereits erheben und sein Glück herausfordern, da betrat der letzte Unterhalter für den Abend das Podest. Und mit einem Schlag war die Verzückung von gerade eben vergessen.
Ein großer, breit gebauter Mann, hässlich wie die Nacht und mit dem Gesichtsausdruck eines Orks, wenn man ihm einen Zahn zieht. Die Nase schief, die zusammengewachsene Braue buschiger als der lückenhafte, verdreckt wirkende Bart sowie schmierige Haare, die nur so am Schädel klebten. Sein Erscheinen hinderte ihn jedoch nicht daran, grinsend zur Bardin zu sehen, wobei er ungepflegte, gelbe Zähne offenbarte. Adarius begann bereits zu grinsen.
„Also…“, begann der Darsteller mit kratziger Stimme, welche wie ein Verbrechen wirkte im Vergleich zum lieblichen Gesang, der vorher unsere Ohren erfüllt hatte. Bereits jetzt wirkte der Sprecher unsicher und rieb sich die zittrigen Hände. „Es war einmal…“
Da hüstelte Adarius gerade laut genug, um den Mann erneut aus dem Konzept zu bringen.
„Ähm. Nun. Ja, also es war einmal…ein kleiner Junge. Ja… ein kleiner Junge mit einem Traum! Denn er wollte schon immer mal ein großer Ritter werden. Mit strahlender Rüstung und so.“
Adarius und ich mussten nun beide breit grinsen und wir waren bei weitem nicht die einzigen im Gasthaus.
„Eines Tages kam dann die Nachricht, dass ein Drache – so ein richtig großer – die Prinzessin des Königreiches entführt hatte. So machte sich der Junge aus mit seinem großen Schwert…“
„Größer als deines?“, rief Adarius rein. Schlagartig wurde der Hässliche rot und gerade die angetrunkenen Gäste amüsierten sich köstlich über den Einwurf. Schließlich brummte der Sprecher nur noch ein „nein“ und verließ das Podest. Wutentbrannt eilte er zu unserem Tisch, wobei er fahrig mit der rechten Hand in einer seiner Taschen herumwühlte. Mit der linken stieß er Adarius gegen die Brust.
„Warum hast du mich lächerlich gemacht?! Was soll der Mist.“
„Weil du eine schlechte Geschichte vorgetragen hast. Mit so einem Müll…“
„Ich gebe dir gleich mal Müll. Aber richtigen Müll!“, brauste der Mann auf.
Während ich mich bereits innerlich auf eine Kneipenschlägerei eingestellt hatte, fuhr Anora zwischen die beiden. „Wie wäre es, wenn wir uns beruhigen und von vorne anfangen würden? Ich glaube, damit kommen wir weiter.“
Tatsächlich beruhigte sich die aufgeladene Stimmung bei einem gemeinsamen Bier und der Mann stellte sich uns als Samin Nachtschatten vor. Er behauptete von sich, ein Krieger zu sein, der jedoch größeren Wert auf Geschicklichkeit denn auf Stärke legte. Zwar sei er nicht zum Geschichtenerzählen geeignet, aber immerhin könne er sich wohl mit seinen Jonglierkünsten über Wasser halten.
Wir unterhielten uns noch etwa eine halbe Stunde über unsere Ziele, wobei herauskam, dass Samin sich womöglich als nützlich erweisen könnte. Der anfängliche Streit zwischen Adarius und ihm löste sich in Wohlgefallen auf, sodass bald nichts mehr zwischen einer Erweiterung unserer Gruppe stand.
Nach diesem Erfolg fasste sich der Ordenskrieger ein Herz und schritt zur Bardin an die Theke. Aus späteren Gesprächen mit beiden konnte ich einigermaßen ableiten, was da abgelaufen war…
„Hätten Sie gerne ein Glas Wein, verehrte Dame? Ein solch wunderschöne Stimme bedarf besonderer Erquickung.“
„Ein verlockendes Angebot, welches ich gerne annehme“, erwiderte die Südländerin dankbar.
„Wirt, bitte deinen besten Wein für diese herausragende Schönheit!“, sagte Adarius gönnerhaft, während er scheinbar zufällig mit der Hand auf eine der billigen Flaschen wies. Das schien der Bardin zwar nicht aufzufallen, doch als sie an dem Glas nippte, schien ihr der Betrug aufzufallen. Noch blieb sie jedoch ganz entspannt.
„Meine Name ist Adarius Pilus und dürfte ich den Namen jener Frau erfahren, die allein mit ihrer atemberaubenden Erscheinung die Herzen aller Männer gestohlen hat – von dem Gesang gänzlich zu schweigen!“
„Elena Donna de la Vega, mein Mäzen“, letzteres kam mit einem Zwinkern. „Ich komme aus dem Süden, viele Meilen von hier. Ihr scheint mir ebenfalls keiner der üblichen kilttragenden Albai zu sein. Woher kommt Ihr?“
Adarius blieb ihr die Antwort schuldig und begann mit seiner Offensive: „Madame de la Vega, ich möchte nicht allzu sehr dem was noch kommen mag vorgreifen, doch erlaubt mir eine Frage: seid Ihr mit jemanden verbandelt?“
Elenas Augenbrauen hoben sich an, während sie sich leicht hüstelnd an dem billigen Wein verschluckte. Aber noch immer spielte sie mit. „Nun, eine sehr persönliche Frage. Aber wenn es Euch so brennend auf der Seele lastet: nein. Ich reise viel durch die Lande und dabei bleibt kaum Zeit für große Beziehungen.“
„Nun, wäret Ihr sodann einem kleinen Spaziergang gegenüber aufgeschlossen? Es scheint mir eine schöne Nacht zu werden“, setzte Adarius seine Offerte fort.
„Leider muss ich verweigern, der Tag war anstrengend gewesen und ich sehne mich nun nach meinem Bett und entspannter Ruhe.“
„Dann dürfte ich Euch womöglich begleiten?“, kam es schmachtend zurück.
„Wie? Wann? Morgen früh?“, nun wirkte Elena doch etwas verdutzt.
„Nein… auf euer Zimmer!“ Und Adarius setzte ein seiner Meinung nach verführerisches Lächeln auf. Es wirkte zugebenermaßen sehr lüstern.
Dann klatschte es einmal laut, dass die verbliebenen Gäste allesamt zur Theke sahen, wo sich ein Handabdruck rot auf Adarius‘ Gesicht abzeichnete. Elena Donna de la Vega hatte ein zweites Mal an dem Abend ordentlich Eindruck hinterlassen und schritt ohne weiteren Kommentar die Treppe hoch auf ihr Zimmer.
Der deutlich geknickte Ordenskrieger kam zu uns zurück, wo wir ihn mit neckenden Kommentaren aber auch einem gut gemeinten Aufmunterungsbier empfingen. Nicht, dass ich es bezahlt hätte, aber der Alkohol half trotzdem!
Schließlich gingen wir zu Bett, Adarius und ich im Gemeinschaftsraum und Anora mit Samin in einem Doppelzimmer – die Ersparnis schien der Heilerin Vorrang vor Gerüchten zu haben.
Die Nacht mochte kaum vorangeschritten sein, da rüttelte mich ein unruhiger Samin Nachtschatten aus dem Schlaf. Verschlafen fragte ich, was denn los sei, doch er war bereits los geeilt und eilends zog ich meine Hose an, um ihm nachzukommen. Unten im Gastraum fand ich dann einen ordentlichen Tumult vor. MacAran stand neben Anora, welche sich gerade über Adarius beugte. Mit entblößtem Oberkörper lehnte dieser an den Tresen und offenbarte somit einen gewaltigen Schnitt, der von seiner linken Seite nahezu bis zur Körpermitte verlief. Er war schrecklich blass und musste einiges Blut verloren haben, doch die Heilerin tat bereits ihr Bestes, um ihn wieder zusammenzuflicken.
Nach einigen Minuten saß der Verband fest und der Ordenskrieger war wieder in der Lage, mit uns zu sprechen.
Ich war kaum eingeschlafen, da riss mich ein Schrei aus dem Schlaf. Niemand außer mir schien ihn gehört zu haben, so beschloss ich, der Sache erst einmal selbst auf den Grund zu gehen. Zur Sicherheit nahm ich mein Langschwert mit und pirschte aus dem Gemeinschaftsraum heraus. Zugeben hoffte ich auch ein wenig, alleine den Helden spielen zu können – etwas, um vor Elena besser dazustehen.
Kaum hatte ich den Flur erreicht, hörte ich ein Krachen von außerhalb des Wirtshauses und spurtete schnell die Treppe hinunter. Im Gastraum war nichts, so sprengte ich die Tür nach draußen beinahe auf.
Draußen erblickte ich die Ursache des Lärms. Vor mir stand ein tiefschwarzes Ross mit rotglühenden Augen, dessen Atem Wolken in der kalten Abendluft schlug. Der Leib war bedeckt mit einer kunsthandfertig gearbeiteten Rüstung zu der ein breiter, lederner Sattel gehörte. Dort oben thronte er: ein Mann in geschwärztem Panzer, von einem dunklen Umhang umhüllt, der bis zum Schweif des Pferdes reichte. Der Kopf steckte in einem gehörnten Helm, welcher nur einen kleinen Sehschlitz ließ, hinter dem einzig und allein dämonische Schwärze lag. Die rechte Hand umschlag die Zügel des Rappen während sie zugleich auf der bewusstlosen Gestalt Elena Donna de la Vegas ruhte. Die linke dagegen fasste den Griff eines gewaltigen Schwertes, mit dem es problemlos möglich schien, einen erwachsenen Mann in der Mitte zu durchtrennen.
Mit einem Aufschrei auf den Lippen spurtete ich auf den schwarzen Ritter zu, mein Langschwert zum Schlag erhoben. Doch der Feigling kehrte das Pferd herum und galoppierte los. In der Hoffnung, ihn auf den ersten Metern noch irgendwie zu erreichen, rannte ich weiter, während ich überlegte, ob ein Schwertwurf sitzen könnte.
Da machte der Entführer scharf kehrt und ritt mir nun entgegen. Ich nahm maß, um mit einem gezielten Treffer das Pferd zu Fall zu bringen, da erreichte er mich auch schon und verpasste mir einen einzigen, gewaltigen Hieb mit seinem Bihänder. Der Schmerz zuckte wie ein Blitzeinschlag durch meinen gesamten Körper, sodass es mich direkt zu Boden streckte. Meine Klinge entglitt mir und ich versank einen Moment in Schwärze, während sich begleitet von einem boshaften Lachen Huftritte entfernten.
Kurz danach erblickte ich MacAran über mir, welcher unter lautem Fluchen meinte, dass ich dringend einen Heiler bräuchte. Immer noch benommen fragte ich, ob er denn einen kenne. Leicht ärgerlich entgegnete er, dass ja eine mit mir reise…
Und so saß er da vor uns; Adarius Pilus der große Held. Anstatt Hilfe zu holen, hatte er es alleine versucht und prompt die Bestrafung erhalten. So mussten wir ihn kaum rügen, damit er begriff, wie leichtsinnig seine Aktion gewesen war. Hätte der schwarze Ritter noch etwas mehr Zeit gehabt, so wäre es um den Ordenskrieger geschehen gewesen. Und selbst so, würde er uns kaum von Nutzen sein, denn unsere Entscheidung stand fest, ohne, dass es jemand hatte aussprechen müssen: wir würden Elena Donna de la Vega retten!
Zunächst legten wir uns wieder schlafen, um dann am beim Frühstück am nächsten Morgen mit der Planung unseres Abenteuers zu beginnen. MacAran stieß dabei zu uns und erklärte, was es mit dem schwarzen Ritter auf sich hatte…
Der einstige Adelige Corwin MacSeada hatte unweit von hier sein großes Haus im Wald, wo er am dunkelsten erscheint. Die Ländereien seiner Familie waren verloren und das angesparte Gold bald aufgebraucht, so wandelte sich der einstige Ehrenmann in einen Raubritter und begann die Umgebung zu tyrannisieren. Mit der Geiselnahme hatte er nun jedoch das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Dafür musste er bezahlen!
MacAran schilderte noch, wie wir zu dem Landsitz kommen würden, dann kehrte er zu seiner Arbeit zurück. Wir warteten noch bis Mittag, dann brachen wir auf – Adarius konnte mittlerweile zumindest selbständig gehen, wenngleich er weiterhin sehr geschwächt war.
Es war ein angenehmer Frühlingstag während wir mit aufmerksamen Augen durch den Wald schritten. Die Bäume hatten sich in helle, grüne Blätterkleider geworfen und hie und da wiegten die Spitzen sanft im Wind mit. Die Sonne schien auf den Waldpfad und wärmte unsere Gesichter. Ab und an sahen wir kleinere Tiere wie Eichhörnchen zwischen den Büschen und Sträuchern verschwinden oder hörten das Zwitschern der zurückgekehrten Singvögel. Dann erreichten wir jedoch die Biegung, wo wir angehalten wurden, rechts zu gehen.
MacArans Anweisung folgend machten wir uns auf den Weg und tatsächlich schien der Wald hier anders zu sein. Die Bäume standen dichter beieinander und das Blätterkleid wirkte nicht mehr bunt und lebendig, sondern düster und erstickend. Nach gerade einmal einer Meile war das Blätterdach bereits so geschlossen, dass kaum ein Lichtstrahl hindurchfiel und es wurde merklich kälter. Auch waren hier weder Vögel zu hören noch kleine Tiere zu sehen – dafür knirschte es immer wieder im toten Unterholz. Wenn es Waldbewohner waren, so keine Kleinen und nicht selten wandten wir uns ruckartig um, stets in Erwartung eine Horde Wildschweine vorzufinden. Oder Schlimmeres.
Es gab allerlei Geschichten über verwunschene Wälder in Alba und seit dem großen Krieg der Magier scheint es so, als hätten sich die friedlichen Feenzauber mancherorts in dämonisches Grauen gewandelt. Ob das hier auch geschehen war?
Da erreichten wir eine schmale Hängebrücke, die über einen breiten Abhang gespannt war. Sie wirkte alt und teilweise sogar morsch; zudem schwankte sie gefährlich im Wind. Darüber sollte Corwin MacSeada mit seinem Pferd gegangen sein? Wir waren skeptisch, ob die Bretter überhaupt einen von uns halten würden.
„Samin, du solltest gehen. Nimm es mir nicht krumm, aber du bist der Schwerste von uns. Wenn die Brücke dein Gewicht hält, so sind wir anderen sicher. Außerdem kannst du dich wohl am ehesten retten, bist ja der Geschickteste von uns vieren.“
Der Jongleur warf sich in die Brust und verkündete, dass dies eine sehr gute Idee war. Ihm schienen keinerlei Zweifel an der Honigschmiererei Adarius‘ zu kommen…
Ungerührt betrat er die Brücke und machte entschlossenen Schrittes einige Meter gut. Schon hatte er die Mitte erreicht, da erschien auf der anderen Seite plötzlich eine Gestalt. Er war von Kopf bis Fuß in eine geschwärzte Vollrüstung gehüllt, welche stellenweise Zacken aufwies. Der Schädel war durch einen Topfhelm, versehen mit zwei Hörnern geschützt. Von den Schultern herunter wallte ein schwarzer Umhang bis auf den Boden. Die gepanzerten Hände ruhten auf dem Griff eines in den Boden gesteckten Bihänders. Mit dröhnender, dunkler Stimme verkündete der Ritter:
„Wer über diese Brücke will, muss mich zuerst besiegen!“
Samin machte direkt einen Rückwärtssalto, rollte sich ab und stand sogleich neben uns. Damit war bewiesen, dass die Brücke tatsächlich stabil war – doch das war längst nicht mehr das eigentliche Problem.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Adarius und starrte finster zu dem schwarzen Ritter hinüber, wobei er sich über seinen Verband fuhr.
Im Anflug jugendlicher Genialität präsentierte ich meinen Plan: „Wir kämpfen! Sobald er tot ist, gehen wir auf sein Anwesen, schnappen uns, was er noch an Gold dort hat und befreien Elena.“
Wie gesagt, ich war dann doch eher der Mann für das Schlichte, wenngleich ich zumindest Samin überzeugen konnte, der mit einem dümmlichen Grinsen zustimmte. Aber auch von den anderen kamen keine besseren Ideen als „totmachen“, sodass wir uns kampfbereit über die Brücke wagten – ich zuerst, gefolgt von Adarius, Anora und Nachtschatten zuletzt. Noch immer befürchteten wir einen Hinterhalt oder dergleichen.
Doch die Aufregung war umsonst, als wir nach wenigen Metern die andere Seite erreichten, war der schwarze Ritter bereits verschwunden – was ein Feigling.
So marschierten wir weiter durch den Wald, der auch auf der anderen Seite der Schlucht nicht heller wurde. Es brauchte noch etwa zweihundert Schritt, dann erreichten wir eine Mauer, die sich einmal um das gesamte Anwesen Corwin MacSeadas zu schlängeln schien: wir waren am Ziel.
Einlass schien ein großes, hölzernes Tor zu sein, dessen steinerne Einfassung wie das Maul eines Riesen gearbeitet war. Einst musste der Adelige nicht wenig Geld besessen haben, wenn er sich so etwas leisten konnte. Oder zumindest daran geglaubt haben, immerhin war er nun verarmt…
Samin und ich schoben gemeinsam eine Seite des Tores auf und gelangten so in den Innenhof des Anwesens. Die große Fläche war wie erwartet komplett von der Mauer umfasst, die jedoch hie und da deutliche Schwachstellen aufwies. Der einstige Garten auf dem Weg zum großen Herrenhaus hatte sich wohl mit den Jahren in einen Wildwuchs verwandelt, der kränkelnd wirkte. Auch das große Gebäude selbst wirkte marode, an manchen Stellen war das Dach eingefallen und die Balken schienen morsch und faulig.
Gerade wollten wir die ersten Schritte darauf zu machen, da ertönte ein Jaulen und aus den Büschen kamen uns sechs Wölfe entgegen.
In einer flüssigen Bewegung zog ich Claymore und Schild gleichzeitig. Die erste der geifernden Bestien sprang direkt auf mich zu, um mir an die Kehle zu gehen. Rasch ging ich in die Hocke, hielt den Schild schräg vor mir, dass der Wolf abprallte und durch seinen eigenen Schwung über mich geschleudert wurde. Dabei hing mir einen Moment der faulige Gestank aus dem Maul des Ungetüms im Gesicht.
Rasch drehte ich mich herum und hämmerte den Anderthalbhänder zu Boden, das Biest war jedoch wieder aufgesprungen und begann mich zu umkreisen.
Adarius schien mit seinem Wolf zu tanzen, kein Angriff richtete wirklichen Schaden ab. Sie belauerten sich stattdessen und es wirkte unnatürlich, wie das Tier ihn anblickte: lauernd, berechnend, heimtückisch.
Samin nahm es währenddessen gleich mit zwei Gegnern auf, was er jedoch recht passabel handhabte.
Anora hatte den sie attackierenden Wolf mit irgendeiner Zauberformel unter Kontrolle gekriegt und davongejagt. Aber fehlte da nicht einer?
Ein Knurren ertönte hinter mir und gerade noch rechtzeitig fuhr ich herum und stieß reflexartig mit meinem Claymore zu – der heranspringende Wolf spießte sich selbst auf, dass die Klinge beinahe den gesamten Körper durchfuhr. So blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Anderthalbhänder zunächst loszulassen und mit einem Schildschlag den anderen Wolf auf Abstand zu halten. Rasch zückte ich meinen Dolch und ging wieder in die Offensive.
Adarius hatte seinem Gegner nun die erste Wunde beigebracht, womit er die Bestie in Anoras Arme trieb, welche einen gezielten Schlag zwischen die Augen setzte – der unscheinbare Stab zerbrach die Schädeldecke und der Wolf war direkt tot.
Samin hatte mit einem schnellen und präzisen Kehlstich ebenfalls einen Gegner erledigt, wonach nun sein anderer zu dritt angegangen wurde.
Währenddessen konnte ich mit dem Tempo meines Gegners nicht gänzlich mithalten, sodass er mich schließlich umrundete und mir einen Biss in die Hüfte verpassen wollte. Geifer lief mir über die Kleidung, doch das Kettenhemd verhinderte eine ernsthafte Verletzung. Dafür war der Wolf nun in Reichweite und ich schmetterte mit der Schildkante gegen seine Schädelseite, sodass der Kopf in die Spitze meines Dolchs befördert wurde.
Samin erledigte wenige Sekunden danach seinen letzten Gegner nach einem akrobatischen Sprung über das pelzige Biest mit anschließendem zielsicheren Stich in eine Beinarterie.
Dieses erste Scharmützel als Gruppe hatten wir überraschend gut überstanden. Zwar waren wir alle etwas aus der Puste, aber wirklich ans Fleisch war es nur bei Samin gegangen und auch das schien verkraftbar.
Zügig eilten wir nun auf das Herrenhaus zu und ohne innezuhalten, stieß ich die Tür auf. Das Innere offenbarte sich uns, wie man es beim äußeren Anblick hatte erwarten müssen. Eine dicke Staubschicht lag über den meisten Möbeln, die zum Teil bereits kaputt oder zumindest elendig verdreckt waren. Lediglich letzte Reste ließen erahnen, dass die Innenwände einmal verputzt gewesen waren. Ein alter Kronleuchter hatte an der Kette Rost und an den Kupferelementen Grünspan angesetzt – die Befürchtung wuchs, dass er gleich herabstürzen würde. Als Fluchtmöglichkeit boten sich uns zwei Treppen, die nach oben führten sowie zwei Türen, eine nach links, eine nach rechts.
Ohne größeren Plan liefen wir drauf los, und fanden ein Holzlager, eine Art Aufenthaltsraum indem ein Feuer wohl noch vor einigen Stunden im Kamin gebrannt hatte und einen Raum mit einem Brunnen. Wir betrachteten gerade dessen Wasser ob es vielleicht vergiftet war und der Raubritter Elena damit quälen wollte, da hörten wir einen Schrei. Es war ein hoher, langgezogener „Hilfe“-Schrei. Die Stimme wirkte abgekämpft und heiser, als hätte sie schon viele Male gerufen, aber sie wirkte nah…wohl direkt aus dem Zimmer rechts neben uns! Meine Freunde und ich sahen uns kurz an, wir nickten allesamt entschlossen, zogen unsere Waffen und ich trat die Tür auf.
Doch wir wurden bereits erwartet: vor mir stand Corwin MacSeada der schwarze Ritter. Er überragte mich um mehr als einen Kopf – zugegeben; bei meiner Größe nicht sonderlich schwierig – und führte einen riesigen Bihänder, mit dem er zugleich zuschlug.
Gerade rechtzeitig riss ich den Schild hoch, doch der Schlag hätte mich nahezu umgeworfen. Aber ohne Zögern setzte ich selbst zum Angriff an, den der Raubritter jedoch mit seiner breiten Parierstange abfing.
Die Situation war ungünstig: alleine hätte ich wohl keine Chance gegen den vollgepanzerten Krieger, also musste ich ihn irgendwie nach hinten drängen, dass meine Freunde nachrücken konnten.
Da fing ich wieder einen Schlag ab, wobei ich Thurion dankte, dass mein Schild hielt. Wieder setzte ich einen Gegenangriff mit einem Seitwärtshieb an, welchem Corwin durch einen Schritt nach hinten entging. Dabei erklang jedoch ein leises Knacken vom Knöchel und der Entführer ächzte kurz.
Da setzte ich nach und schob ihn nahezu mit einem Schild nach hinten, setzte noch einen Schlag gegen seine Seite an, dass das erste Blut floss und räumte so den Weg frei – meine Freunde folgten mir in den Raum!
Der Ritter wechselte sogleich die Taktik und führte einen Rundumschlag nach dem anderen aus, als wöge sein riesiges Schwert nicht mehr als eine Feder. Damit hielt er uns auf Abstand, während wir alle Mühe hatten in dem kleinen Raum, der Klinge zu entgehen.
Da unterlief Samin einen Angriff und stach in den linken Oberschenkel, was Corwin mit einem wütenden Aufschrei quittierte, aber direkt seine Waffe heranzog und unserem neuesten Gefährten mit dem Knauf vor die Schläfe hieb. Benommen ging er zu Boden und bevor wir die kurze Pause für uns nutzen konnten, griff Corwin erneut an – diesmal traf er sowohl Adarius als auch mich. Der Ordenskrieger ging über den neuerlichen Blutverlust direkt zu Boden, während auch ich merkte, dass meine Kraft nachließ. Da spürte ich Anoras Hand auf meiner Schulter während ihre Stimme wie ein sanftes Flüstern in meine Ohren drang. Der Kampfeswille entflammte wieder und mit einem Schildschlag wehrte ich den nächsten Bihänderangriff aggressiv ab, um kurz darauf mit dem Anderthalbhänder zuzustoßen. Unterstützt von einem Ausfallschritt bohrte sich die Waffe einmal durch den Brustkorb bis sie den Rücken durchstieß und die Rüstung vollkommen zerfetzte.
Corwin MacSeada ging vor uns auf die Knie, röchelte noch ein letztes Mal – dann starb er. Wir hatten gesiegt!
Elena lag gefesselt in der Ecke des Raumes. Samin befreite sie schnell nachdem er wieder zu sich gekommen war während Anora Adarius ein weiteres Mal zusammenflickte. Die Dame de la Vega dankte uns überschwänglich und versprach nebst einem gehauchten Kuss eine goldene Belohnung, wenn wir das Gasthaus wieder erreichten.
Vorher sahen wir uns rasch im Hause um und teilten die Beute auf. Unter anderem nahm ich eine hervorragend gearbeitete Streitaxt sowie das Pferd aus dem Abenteuer mit. Das Gold natürlich nicht zu vergessen!
Im Gasthaus angekommen, überreichte uns Elena ebenfalls etwas Gold. Dann verabschiedete sie sich vorerst und ging zu Bett.
So endete mein erstes Abenteuer beim warmen Kaminfeuer MacArans und dem einen oder anderen Bier. Vielleicht erzählte ich euch wann anders, wie es mit Elena und Vigales weiterging und, dass es uns schlussendlich erst ganz in den Westen und hinterher ganz in den Osten verschlug – bis ich hier ein ruhiges Plätzchen fand… es klingt immer noch seltsam: „Syre Osric Feuerklinge MacBeorn up Glengarry“!