Plötzlich horchte Suena auf. Sie
wandte sich um und blickte in Richtung der Tür, die zum Hauptraum führte. „Habt
ihr das auch gehört?“
Ich wog meine Axt in der Hand, schüttelte aber den Kopf. Jenn und Zedd erging
es ähnlich, da merkte Suena noch einmal auf. „Da ruft jemand. Es ist … Dario!
Hey, Dario! Wir sind hier!“
Ich blickte angesichts des Rufens argwöhnisch zur Treppe hinab in die
Dunkelheit, doch schien sich nichts hervorzutrauen. Noch nicht. Nun kam aber
der eben angesprochene durch die offenstehende Tür herein: Dario Anvari, nicht
mehr so blass wie am vorigen Morgen. Er schien sich kurz bei Suena und Zedd zu
beschweren, wobei seine Gestik wohl auf die Lautstärke hinweisen sollte, mit
der er nach uns gerufen hatte. Ich vor mir unwillkürlich an meinem Kopf
entlang, wo unter den dichten, braunen Haaren das verkrüppelte Ohr lag.
Suena setzte den Ordenskrieger knapp ins Bild über unsere bisherigen
Erkundungen, wobei sie ihm auch die Scheiben zeigte, die er neugierig
betrachtete. Schlussendlich zeigte sie auf die offenstehende Tür und die
dahinterliegende Treppe – hinab in den Abgrund unter diesen Ruinen.
Zedd
Knochentanz
Die Nacht brachte seltsame Träume
von hohen Hallen, zerfallenen Räumen, bodenlosen Löchern und daraus
hervorströmendem Nebel. Doch der nächste Morgen begrüßte uns, ohne, dass etwas
geschehen wäre.
Wir fachten das Lagerfeuer für das Frühstück wieder stärker an, da es seltsam
kalt zu sein schien. Doch Darios Gesicht wirkte unvermindert blass, egal, wie
nahe er an die Flammen heranrückte.
„Ich werde hierbleiben“, verkündete er nach einer Weile, während wir bereits
gegessen, er jedoch nur verkniffen auf das Dörrfleisch geblickt hatte. „Nach
den Pferden sehen, das Lager bewachen. Es ist kein schneller Weg von hier zu
den Ruinen. Und sollte uns jemand die Tiere streitig machen, bringt uns aller
Reichtum nichts.“
„Bist du denn sicher? Im Zweifelsfall stehst du dann alleine“, erwiderte Jenn.
„Ich stehe nie allein. Selbst wenn man ihn nicht immer sieht, so ist er da doch
immer da“, sagte Dario mit fester Stimme und wies auf die dichte Wolkendecke,
durch die das Licht der Sonne nahezu silbrig hindurchschimmerte – vielleicht
war sein Ormut irgendwo dort oben.
Reichtum aus Ruinen
Sechshundert Meilen war ich in den Süden gewandert und ich stand immer noch am Anfang.
Als ich am Vormittag die Tür zum
Gasthaus „Gekreuzte Klingen“ aufschlug, umwehte meine Nase der Geruch dicken
Eintopfes, verschütteten Biers und des schwitzendes Pulks dicht gedrängter
Menschen. Anfangs mühselig schob ich mich zwischen ihnen hindurch. Die
Unwilligen gaben dabei ihren Widerstand schnell auf, wenn sie meine langen, in
dichten Bündeln getragenen Haare, das kantige Gesicht und nicht zuletzt den
groben Knochenschmuck erblickten. Selbst unter Twyneddin galt meine Heimat und
die Art meines Stammes als wild.
Ich erspähte mit etwas Glück einen freien Platz und ließ mich ächzend fallen.
Mit einem Blick in die Runde stellte ich fest, dass hier weder die vor
Jahrzehnten unterworfenen Erainner noch herrschende Twyneddin am Tisch saßen.
Stattdessen waren vor mir zwei Männer mit hellbrauner Haut und gepflegtem
Auftreten. Der eine trug eine schwarze
Robe, der andere auffällige, rot gefärbte und leicht wallende Kleidung. Zu
meiner rechten saß eine junge Frau, die ebenfalls aus dem Süden zu kommen
schien, jedoch einen grundsätzlich helleren Hautton hatte. Ihr ebenmäßiges
Gesicht fiel durch eine Tätowierung auf: direkt unterhalb ihrer blauen Augen
zog sich ein ockerfarbener Strich quer über ihre Haut. Eine eigentümliche
Kriegsbemalung?