Das Tal der Verdammten

Zunächst suchten wir wieder Garnness‘ Stolz auf. Wir sehnten uns nach einer Pause und Erholung. Eine neue Bardengruppe hatte sich versammelt; die Narrenkönige heizten den Dyptichern ganz schön ein. Leonis und mir war jedoch nicht unbedingt nach feiern, wir waren schlicht erschöpft von diesem Tag. Leana dagegen schien hemmungslos nach Alkohol zu lechzen. Sie wirkte angeschlagen, blass und fast schon ein wenig verängstigt. Der Kampf schien ihr ganz schön zugesetzt zu haben, insbesondere, da sie ein, zwei Mal nur durch Glück dem letzten, verheerenden Schlag entgangen war. Ein Glas Wein nach dem anderen rann ihre Kehle hinunter und ihre Stimmung wandelte sich von angespannt zu hemmungslos enthemmt.

Während Leonis und ich weiter über Ischkur sprachen und ich ihn weiter in den Glauben an den mächtigsten Gott einführte, langweilte sich Leana und schließlich warf sie sich einfach gegen den chryseiischen Krieger und lallte ihm irgendetwas unverständliches, aber zweifellos obszönes ins Ohr. Man konnte sich nicht mal sicher sein, ob sie eine uns bekannte Sprache benutzte und angewidert rückte Leonis weg, sodass die Schamanin unsanft der Länge nach auf der Bank landete. Peinlich berührt sahen wir uns an, während Leana sich langsam aufrichtete und bei der wiederkehrenden Bedienung einen weiteren Wein bestellte.
Unsere Leistungen schienen sich etwas herumgesprochen zu haben und wir wurden deutlich freundlicher und vor allem schneller bedient, im Vergleich zum letzten Mal.

Leana begann gerade, ziellos in die Luft zu stieren, da trat plötzlich Alezzia an uns heran. Freundlich fragte sie, ob sie sich setzen dürfte. Wir sagten zu, wenngleich sie nicht gerade in meiner Sympathieliste ganz oben stand.

„Verpflegung und Übernachtung gehen heute auf mich, ihr habt es euch verdient. Des Weiteren habe ich noch drei Geschenke der hiesigen Thaumaturgen.“

Mit diesen Worten hielt sie drei kleine Briefe empor. Hastig forderte Leonis: „Ich hätte gerne zwei!“

Irritiert und etwas missbilligend sah ich zu dem Krieger hinüber, aber scheinbar wollte er lediglich den zweiten Brief haben und keine zwei. Versicherte er uns zumindest mit aufgesetztem Hundeblick. Leana forderte dagegen die „Draaaaayyyyyiiii“ für sich ein.

Alezzia zog die Augenbrauen hoch, verteilte die Briefe aber, wie gefordert. Wir machten durchaus einen überwältigenden Eindruck… Neugierig öffnete ich das Geschenk und entdeckte einen unscheinbaren Silberring. Aber der beiliegende Zettel informierte mich, dass ich mit diesem Schmuckstück die Nacht nicht mehr zu fürchten brauche. Neugierig zog ich ihn auf, doch in der beleuchteten Taverne zeigte sich keine besondere Auswirkung. Leonis sah aus wie gewohnt und auch bei Leana zeigte sich kein offensichtlicher Effekt. Es würde sich schon früh genug zeigen, was es sich mit ihren Artefakten auf sich hatte.

Alezzia erhob sich. „Morgen könnt ihr wieder Erik aufsuchen, er wird euch die eigentliche Aufgabe mitteilen. Ich werde nun aufbrechen, um mich für meine Heimreise zu wappnen.“
Leana erwiderte: „Bleeeeiibt doch *hick*, noch ein büsschen. Ähs machd scho *hick* wiel Spasch!“

Die Erzmagierin schien das geflissentlich zu überhören und schritt davon. Entsetzt sahen wir Leana an. Doch die schien nichts zu bekümmern und versuchte beinahe ebenso schäbig die Bedienung anzumachen. Verunsichert lächelte diese und suchte rasch das Weite. Leonis und mir blieb nichts weiter, als unsere Gesichter schamvoll in den Händen zu vergraben.

Der chryseiische Krieger begann, sich Bier zu bestellen und an die herumstehenden Gäste zu verteilen. Sein Plan, um Alezzias Börse zu erleichtern. Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte, nahm es aber erst einmal so hin.

Die Schamanin steckte sich ungerührt eine Pfeife an und grünliche Rauchschwaden stiegen empor. Entnervt verließen wir das Gasthaus und suchten unsere Zimmer auf. Die Frau war unberechenbar und ich hatte schon meine ganz eigenen Erfahrungen gesammelt…

Die Nacht war ruhig und äußerst erholsam. Meine Muskeln hatten nach den Kämpfen nur so nach Ruhe gebrüllt. Leonis war auch früh wach, vernünftigerweise hatte er keines der bestellten Biere selbst getrunken. In Garnness‘ Stolz war noch nicht viel los und schnell wurde uns ein üppiges Frühstück bereitet. Dann trat Larissa Therokles, eine der Bardamen, an uns heran und legte uns peinlich berührt ein Oberteil auf den Tisch. Bei näherem Hinsehen, entpuppte es sich als die Stoffgewandung, die Leana normalerweise trug. Irritiert sahen wir auf.

„Eure Freundin hat gestern noch mit zwei Kerlen getanzt…der eine hat sie wohl angegraben, da hat sie schon alles von sich geworfen und wenn die beiden nicht kräftig genug gewesen wären, um sie herauszutragen…nun dann hätten wir die Tanzfläche wohl besonders gründlich putzen müssen.“

Nun war es an uns, peinlich berührt da zu sitzen, bis die Übeltäterin selbst ins Gasthaus trat. Nur ein dünnes Tuch über den Brüsten eilte sie auf uns zu und zog sich eilig das Obergewand an.
„Was ist denn mit dir passiert?“
„Ähm…ich weiß nicht mehr viel. Bitte…nicht so viel fragen. Mein Kopf…“

Wir folgten ihrer Bitte und ließen sie die Folgen ihrer Herumhurerei erleiden. Lustlos stocherte die Schamanin in ihrem Essen und Leonis übernahm es gern, sich die Überreste einzuverleiben.

Danach machten wir uns auf den Weg zur Erik dem Aeglirer. Der Waeländer erwartete uns freudig in seinem Büro, räumte seine Zettel zur Seite und bot uns freundlich einen Platz an.

„Ihr habt eure Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit Dyptiches erfüllt und die Vampirgefahr ausgerottet. Damit ist bewiesen, dass ihr die wohl fähigsten Kämpfer seid, die ich kenne. Nun gilt es jedoch zu testen, ob eure geistige Stärke ebenso ausgereift ist. Für meine Aufgabe werdet ihr nämlich beides brauchen. Seid ihr bereit für die letzte Prüfung?“

Etwas erstaunt über diese Ansage, nickten wir. Etwas ironisch fragte ich aber vorher noch nach, ob er eine weitere Vampirmeute als „kleinen Test“ für uns habe. Erik verneinte und wies auf drei silberne Krüge in seinem Wandschrank. Einer trug die Beschriftung Gold, der nächste Silber, der letzte Gold und Silber.

„Einer dieser Krüge beinhaltet Goldmünzen, einer Silbermünzen und der letzte beides. Ich werde nach eurer Anweisung aus einem ziehen und ihr müsst mir danach erklären, wie die Beschriftungen eigentlich zuzuordnen sind. Die momentanen sind auf jeden Fall falsch.“

Wir überlegten eifrig, doch es dauerte nicht lange, ehe wir in eine Sackgasse kamen. Wie um Himmels willen sollte man auf den Inhalt der anderen beiden schließen? Es war unsere Schamanin, die den Dankanstoß gab und den letzten Satz wiederholte: „Die Beschriftung ist auf jeden Fall falsch!“ Also ordneten wir an, dass Erik aus der Gold/Silber Kanne ziehen sollte. Hervorkam eine Silbermünze. Also war „Silber“ Gold und „Gold“ Gold/Silber. Anerkennend nickte Erik uns zu und begann seinen Auftrag dar zu legen.

„Es gibt ein Tal im Süden Chryseias. Einst herrschten dort zwei mächtige Zauberer, welche jedoch in einen Wettstreit verfielen und einander bekämpften. Niemand weiß, was genau geschehen ist, doch plötzlich kehrte keiner der Händler oder Boten zurück, der dorthin ging. Seitdem spricht man von dem Tal der Verdammten…“

Erik endete und sah uns einen Moment forschend an. Dann erhob er wieder die Stimme: „Ich habe bereits drei Abenteurergruppen vor euch geschickt, um den sagenhaften Schatz der Zauberer zu finden – also vielleicht Gold, vielleicht Artefakte oder… nichts mehr. Niemand ist zurückgekehrt, doch ihr erscheint mir fähiger, als eure Vorgänger und ich glaube, dass ihr es schaffen könnt!“

„Und wir sollen euch den Schatz bringen, weil…?“, setzte ich fragend an.

„Ich gebe euch 1000 Goldstücke für eure Vorbereitungen und wenn ihr zurückkommt erhaltet ihr 2000 Goldstücke. Pro Person! Außerdem gestehe ich euch die Hälfte des Schatzes zu, wie auch immer er denn geartet ist.“

Da mussten wir doch ganz schön an uns halten, dass uns die Kinnladen nicht herunterklappten. Hastig sagten wir zu und Erik überreichte uns eine Karte, auf der das Tal der Verdammten eingezeichnet war. Außerdem schob er drei dicke Beutel voller Gold hinüber und empfahl uns, Pferde zu kaufen. Mit ihnen würde die einfache Reise zehn Tage dauern. Dankend verabschiedeten wir uns und begannen mit den Einkäufen.

Schnell waren drei Rösser erstanden und beim Alchemisten einige Hilfsmittel erstanden. Allerdings ruhten wir uns noch einige Tage in Dyptiche aus, damit wir (und vor allem Leana) bei vollen Kräften aufbrechen konnten. Die Abende spielten weiterhin die Narrenkönige, doch weitere Eskapaden seitens der Moravin blieben aus und so konnten wir in angemessener Ruhe die restliche Zeit verbringen und weiterhin Alezzia Aufschreibungen machen.

Dann brachen wir auf, wohl gerüstet und entschlossen, das Rätsel um das Tal der Verdammten zu lösen. Somit offenbarte uns sich zum ersten Mal die eigentliche Landschaft Chryseias, wo wir bisher nur Städte gesehen hatten. Etliche Weinberge säumten unseren Weg, ansonsten gab es viele Flüsse und Wälder. Ein leicht hügeliges, insgesamt jedoch angenehmes und vor allem warmes Land, das meinen Gefallen fand. Es war nicht so rau wie meine Heimat oder so kalt wie Waeland.

Wir kamen gut voran und hatten nach dem ersten Tag bereits die Hälfte des Weges nach Arta hinter uns gebracht. Die Nacht verging ruhig und bot mir die Möglichkeit, meinen Ring ausprobieren. Problemlos blickte ich durch die Finsternis und konnte es kaum fassen, dass mir alles taghell erschien. Ein zufälliger Blick ins Feuer brachte mich aus dem Konzept, aber ansonsten funktionierte diese Magie einwandfrei. Ab dem nächsten Abend übergab ich den Ring stets an den Wachhabenden, so waren wir nun deutlich sicherer!

Am zweiten Tag erreichten wir gegen Mittag das kleine Städtchen Arta, wo wir kurz im „Rebenhaus“ halt machten. Der Wirt stellte sich als Lytos Alezzia vor und Leana kombinierte messerscharf: „Der Name kommt mir bekannt vor, seid Ihr zufällig mit Jasmina Alezzia verwandt?“

Lytos nickte. „Ja, das ist meine Cousine. Seid ihr Freunde von ihr?“

Es folgte eine kurze Pause und dann ein zögerliches Ja. Vielleicht konnte man es auf irgendeine Art und Weise als eine entfernte Form von gewisser Zuneigung ansehen. Ganz sicher war ich mir da aber nicht.
Sonderlich weit brachte uns das jedoch nicht, hier hatte wahrscheinlich noch keiner vom Tal der Verdammten gehört, der sich nicht speziell damit beschäftigte. So ritten wir weiter und schliefen eine weitere Nacht ohne Zwischenfälle durch.

Der dritte Tag verging so ruhig, wie zuvor. Als wir jedoch am Abend ein Nachtlager suchten, erspähten wir eine kleine Lichtung am Rand des Waldes. Dort waren bereits zwei Zelte aufgestellt und drei Gestalten beugten sich über ein Lagerfeuer, welches nicht so recht angehen wollte. Leonis war skeptisch, doch wir hielten auf sie zu. Da wandelte sich plötzlich Leanas Erscheinung. Ihr rötlichbraunes Haar fing die Sonnenstrahlen auf und schien sie plötzlich zu reflektieren…erst blinzelte ich irritiert, doch ich irrte mich nicht: ihre Haare waren nun blond!
„Leana, alles in Ordnung?“
„Natürlich“, antwortete sie ohne eine Miene zu verziehen. Ich beließ es dabei, sollte die Schamanin tun, was sie wollte…

Die drei Personen trugen Lederrüstungen und hinter den Zelten waren einige Pferde angebunden. Einer glich mir hinsichtlich seiner Hautfarbe, die anderen beiden mochten wohl hier aus der Gegend sein; der eine lang und schlank, die andere Person war eine Frau mit gewelltem, braunem Haar. Sie kamen uns damit recht vertraut vor und wir mussten leicht grinsen, dass es tatsächlich noch so eine merkwürdige Zusammenstellung wie uns gab.
„Seid gegrüßt“, übernahm Leana die Wortführung. „Dürfen wir uns euch anschließen und hier unser Lager aufschlagen?“
Dankbar nickten die drei und winkten uns heran. Zunächst halfen wir ihnen das Lagerfeuer anzuzünden, was für uns lediglich eine Routinearbeit war. Dann stellten sie sich uns als Dacia und Kretos Lystotes vor, Geschwister, und Ibdul. Wir taten es ihnen nach und es entwickelte sich ein angenehmes Gespräch um das Lagerfeuer herum. Die drei waren Händler auf dem Weg nach Arta, wo sie Weinproben und Trauben präsentieren mussten, damit bestätigt wurde, dass ihre Familie „echten Dipto-Wein“ herstellen konnte.

Ibdul war tatsächlich einer meiner Landsmänner aus Urruti, genauer aus Lalapudawa. Diese Stadt meiner Heimat hatte ich noch nie betreten, aber wenn dort alle so schweigsam waren, wie sich Ibdul erwies, dann musste es ziemlich langweilig sein.

Die verging ereignislos während wir jeweils mit einem aus der anderen Reisegruppe wachten. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns und wünschten den drei alles Gute.

Gegen Nachmittag erreichten wir Rhabdos, das letzte Städtchen auf unserem Weg. Wir wollten diese Chance nutzen, noch einmal in einem richtigen Bett zu schlafen und vielleicht noch einige Informationen über das Tal der Verdammten einzuholen. Daher suchten wir das Gasthaus zu Keil und Käfer auf, wo sich uns ein vertrauter Anblick bot: die Narrenkönige waren hier und spielten erneut, um die Gäste zu bespaßen. Allerdings war ihre Liederauswahl diesmal deutlich ruhiger, was wohl an dem älteren Publikum liegen mochte. Schnell war eine Übernachtung für uns und die Pferde sowie Verpflegung ausgehandelt und wir konnten uns daran machen, nach Legenden und Mythen rund um das Tal zu forschen. Einer fand sich tatsächlich, der uns etwas erzählen wollte, nachdem seine Stimme reichlich mit Wein geölt und seine Augen durch Leanas Anblick feurig geworden waren.

„Es gibt die Legende von einem fernen Tal im Süden Chryseias. Einst war es an zwei Zauberer gegeben worden, welche dort mit ihren Schülern lebten und die verworrenen Wege der Magie studierten. Allerlei Artefakte und neue Zaubersprüche entstammten ihren Arbeiten und sie waren schon bald über die Grenzen ihres kleinen Tals bekannt. Im freundschaftlichen Wettstreit gegeneinander versuchten sie stets aufs Neue die Errungenschaften der anderen zu übertreffen. Doch eines Tages wandten sich die beiden Zauberer gegeneinander. Niemand weiß, was geschehen ist, doch plötzlich waren sie sich spinnefeind! Fortan nutzten sie ihre Kräfte nicht mehr, um Schönes zu erschaffen – sie begannen einander Werke zu zerstören und gerieten in einen schrecklichen Kampf. Am Ende tobte ein riesiger Sturm über dem Tal und Niemand hat es seitdem mehr betreten und ist zurückgekehrt. Seitdem trägt es den Namen: das Tal der Verdammten! Man spricht von ihm als den grausamsten Ort nördlich des Nyktoros.“

Dankbar verabschiedeten wir uns von ihm und fragten weiter herum, doch keiner wusste mehr. Woher auch, wenn Niemand zurückkehrte… Leonis ging schlafen, ich tat es ihm bald nach. Leana hingegen ließ es sich nicht nehmen mit einem der wenigen Jünglinge im Wirtshaus zu tanzen.

Am nächsten Morgen verloren wir nicht viel Zeit und brachen nach dem Frühstück auf. Wir brachen in einen großen Wald auf und bald umgaben uns etliche Meilen Wald. Nur die Straße führte uns, wenn man den Weg so nennen wollte.
Es war Mittag, wie wir um eine Kurve ritten und fünfzig Meter vor uns ein Wolfsrudel ausmachten, welches gerade ein Reh erlegt hatte. Einen Moment überlegten wir, uns zurückzuziehen, doch es war zu spät. Knurrend sprangen sie auf und eilten los. Leonis ritt ihnen entschlossen entgegen und zog dabei seinen Morgenstern. Ich kannte mich mit dem Reiterkampf nicht aus und stieg daher ab, ehe ich Ischkur um einen Beistand gegen diese Bestien bat. Leana wirkte jedoch zögerlich und trabte gar einige Schritte zurück. Was zur Hölle ging mit ihr vor, das waren wilde Tiere verdammt!

Leonis‘ Morgenstern raste knapp über den Kopf des ersten Wolfes hinweg, welche zusammen mit zwei weiteren zu mir rannte und sich von der goldenen Rüstung nicht schrecken ließ. Entschlossen trat ich ihnen mit meiner Axt entgegen, doch es waren flinke Gegner und mein erster Angriff ging daneben.
Leonis sprang währenddessen behände von seinem Pferd zwischen die restlichen drei Wölfe und schlug gnadenlos mit seinem Morgenstern zu, der eine gewaltige Wunde riss und einen der Wölfe beinahe direkt tötete. Von diesem Beispiel angetrieben versengte ich meine Axt tief im Pelz des einen Wolfes, welcher jaulend zur Seite knickte, aber noch weiterkämpfte. Doch ich hatte den anderen aus den Augen gelassen, welcher mich nun ansprang und zu Boden riss. Gierig schlug er seine Zähne in meinen Hals…doch da war die Rüstung, die meine Kehle schützte. Mit einem Schildschlag trieb ich das Tier von mir runter und stand wieder auf.

Der chryseiische Krieger wechselte unterdessen wieder auf seine zwei bewährten Langschwerter und entfesselte einen Sturm des Stahls über seine Gegner gegen den der Pelz des bereits getroffenen Wolfes keine Chance hatte. Jaulend ging das Tier zu Boden und Leana schien bestürzt die Hände vor den Mund zu schlagen. Auf wessen Seite war die Schamanin eigentlich?!

Immerhin jubelte sie nicht, als eines der Biester Leonis in die Hand biss und er einige Sekunden brauchte, um sie wieder zu befreien. Dann brüllte jedoch auf und schlug umso härter zu.
Einer meiner Gegner hinkte nur noch und griff schwächlich an. Meine Rüstung war durch Ischkur gesegnet und es dauerte nicht lange, bis die Wölfe begriffen hatten, dass es hier kein schnelles Durchdringen gab. Mehr und mehr schienen sie von Furcht ergriffen und schlichen nur noch um mich, in der Hoffnung mich zu ermüden. Aber ein Streiter Ischkurs wurde nicht schwach! Entschlossen schlug in meine Axtklinge in die Kehle des geschwächten Biests und noch während dessen Blut spritzte, setzte ich nach und zertrümmerte einem anderen das vordere Knie, sodass er jaulend vor mir niederging. Wieder stach ich gnadenlos zu und beendete das Leben des Angreifers.

Leonis fiel unterdessen wie ein Wilder über seinen verbliebenen Gegner her. Dem blieb nichts, als zurückzuweichen, doch der Wolf war einfach nicht schlau genug, zu flüchten. Ein böses Glimmen im Blick wollte er bei seinem Rudel bleiben und so erwarteten ihn die Angriffe des chryseiischen Kriegers wie die Schnitte des Sensenmannes.

Somit blieb nur noch eines der Biester bei mir. Aber anstatt davonzulaufen, griff es mich wieder an. Eines musste man den Biestern lassen, sie waren zäh. Aber es war ein sinnloses Unterfangen, diese Rüstung wurde von Ischkurs Gnade durchzogen und dagegen kamen die Zähne eines einfachen Wolfes nicht an. Somit beendete ich die verzweifelten Attacken mit einem einzigen Schlag, der den Kopf des Tiers beinahe abtrennte. Langsam kam Leonis herangetrottet und nickte mir grimmig zu. Keiner von uns hatte eine Wunde davongetragen und wir saßen wieder auf, um weiter zu reiten. Da trat Leana an die Wölfe heran, das Gesicht blass und elend.

„Ich möchte um sie trauern und sie begraben.“
„Was? Sie haben uns angegriffen Leana!“, erwiderte Leonis und ich nickte zustimmend.
„Es sind Tiere, das liegt in ihrer Natur“, hielt sie trotzig dagegen und scherte sich nicht weiter um uns.

„Komm, Abedi, lass uns vorreiten. Diese Frau hält uns nur auf! Bereits in Dyptiche haben wir vier Tage wegen ihr gewartet und nun schon wieder? Sie hat uns ja nicht einmal im Kampf unterstützt. Es wäre zwar nicht nötig gewesen, aber von einer Gefährtin erwarte ich es zumindest, dass sie es versucht.“ Leonis war sichtlich ungehalten und ich teilte seine Meinung. Doch ich hatte bereits einiges mit Leana durchgestanden und beschloss zu warten. Der Krieger schnaubte nur und ritt vor. Ich hockte mich an den Wegesrand und sah zu, wie die Schamanin zwei Stunden lang irgendein Ritual durchführte, wohl um die Geister der Tiere und vor allem ihres Totemgeistes zu beruhigen.

Später holten wir ihn ein, doch es wurde ein stilles Nachtlager. Die Stimmung in der Gruppe war reichlich angespannt, dazu kam noch die komplizierte Beziehung zwischen Leana und mir…

Am nächsten Tag verließen wir den Wald, doch die Schamanin wirkte weiterhin mitgenommen. Irgendetwas sah sie in diesen Tieren, was Leonis und mir verborgen blieb. Dennoch waren wir weiterhin fest davon überzeugt, dass es nichts Schlechtes daran geben konnte, sich selbst zu verteidigen. Es folgte der siebte Tag unserer Reise und das Gelände wurde deutlich hügeliger. Wir hatten die Straße bereits verlassen und ritten anhand der Karte durch dieses Niemandsland im Süden Chryseias. In der Ferne konnte man bereits das Gebirge ausmachen – und Rauchschwaden eines großen Lagerfeuers!

Wir banden die Pferde an und näherten uns vorsichtig der Quelle: es war ein kleines Lager, zehn Männer saßen dort und schienen entweder mit dem Saufen oder Gold zählen beschäftigt. Sie waren verwildert, jedoch sah man nirgends Jagdtrophäen oder etwas anderes, dass sie als Waldarbeiter auswies. Somit blieb nur eine Möglichkeit: Banditen!
„Wir sollten sie umgehen. Sollen sie machen, was sie wollen, es ist ein unnötiger Kampf“, setzte Leana an, doch da traf sie bei Leonis und mir auf Granit. Zum einen waren wir von unserem jüngsten Erfolg beflügelt, zum anderen war es eine heilige Pflicht, Wegelagerer ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Diese Männer würden keine Unschuldigen mehr überfallen!

Wir bereiteten uns gerade vor, da stürmten zwei Männer von einer anderen Seite heran. Sie schrien laut und warnten die Banditen vor unserer Ankunft. Na dann durfte der Tanz ja beginnen. Ich sprach noch ein letztes Gebet…doch da war plötzlich Leere. Ischkur? Ich wiederholte meine Worte, diesmal laut, pries seinen Namen und erbat seinen Beistand. Da merkte ich, dass er noch da war, aber er schien seltsam fern, irgendwie entrückt. Da wurde es mir klar: er strafte mich! Ich hatte einen schrecklichen Fehler begangen und Ischkur auf erzürnt. Aber war ich nicht immer fromm gewesen, hatte alles getan, um ihn zu preisen? Mein Blick wanderte zu Leana hinüber, die gerade eine Feuerkugel heraufbeschwor. Diese Hexe…

Doch vorerst war nicht die Zeit für ein Gespräch, die Banditen waren bereit und stürmten uns entgegen. Allerdings hatten sie wohl nicht damit gerechnet, dass ihnen eine Zauberin gegenüberstand, welche die Feuerkugel zwischen ihre Reihen schleuderte. Vier von ihnen riss es von den Füßen als das Ding explodierte, zwei flogen sogar mehrere Meter weit weg. Ihre Glieder waren, soweit noch am Körper befestigt, in schrecklichste Richtungen vom Leib gestreckt und es war klar, dass sich diese beiden nicht mehr würden rühren können. Grimmig lachte Leana auf und im nächsten Moment verwandelte sich ihre Haut in Rinde während sie den Dolch zückte.

Leonis lief voraus und fing zwei der Banditen ab, welche sich uns näherten. Aus dem Lauf heraus setzte er den ersten Angriff an, der zweite folgte, schräg von oben. Mehrfach zog er auf diese Weise ein X über die Verteidigung des Wegelagerers, bis es diesem die Waffe aus der Hand schlug und unser Gefährte ihm mit einem Knirschen den Brustkorb zerschmetterte und mit ihm die darunter liegende Lunge. Verzweifelt nach Luft ringend, ging der Mann zu Boden. Doch Leonis hatte mit diesem blindwütigen Angriff seine Deckung vollkommen offen gelassen und es war ein leichtes für den anderen Banditen, ein Messer in seinen Rücken zu bohren. Die Rüstung verhinderte das Schlimmste, doch minderte sie nicht die Wut des chryseiischen Kriegers, der herumfuhr und sich diesem Angreifer zuwandte.

Nun erreichten drei Banditen Leana und mich. Mein Gegner focht mit einem Langschwert und es gelang ihm, den ersten Schlag von der Klinge abprallen zu lassen, doch dann überraschte ich ihn. Mit einem Schildhieb hämmerte ich das Schwert zur Seite und öffnete mir so den Weg. Gierig fraß sich meine Axt in die Eingeweide meines Gegenübers. Was nach diesem Treffer nicht zerfetzt war, hing aus der klaffenden Wunde, die der Mann ungläubig anstarrte – ehe er wild schreiend zu Boden ging.

Leana kämpfte nun verbissen mit dem Dolch weiter, ein wölfisches Grinsen im Gesicht und die Augen voller Mordlust. Sie schien dringend einen Ausgleich für den Tod der Wölfe zu brauchen und hier fand sie ihn. Ihre Waffe war zwar klein, doch von Meisterthaumaturgen verzaubert und richtete verheerenden Schaden an. Damit überraschte sie ihren Gegner erneut, der seine Deckung angesichts eines „mickrigen Dolches“ vernachlässigte, und durchbohrte seinen linken Arm.

Leonis kämpfte unterdessen tapfer weiter, doch er war zu sehr auf seine Angriffe fokussiert. Wie mit einer Scheuklappe drosch er auf den Gegner ein, bis er schließlich auf eine Finte hereinfiel und beinahe stürzte. Zum Glück hatte er den Banditen bereits genug geschwächt, dass der lieber die Atempause genoss, als einen Schlag zu platzieren.

Mein Gegner focht weiter, trotz seines Kameraden, welcher elendig am Boden lag und nach seiner Mutter rief. Aber sein Kampfstil war unpräzise, vorhersehbar. Bald erahnte ich, wie sein nächster Schlag aussehen würde und wollte ihm gegen die Hand schlagen. Er reagierte schnell und drehte sie rechtzeitig weg. Sie blieb dran, doch war geprellt und er brüllte auf. Das nutzte ich und setzte einen Schlag gegen sein Bein an. Er wankte, als sich die Axt bis auf den Knochen durchfraß, doch wilde Entschlossenheit blitzte mir aus seinen Augen entgegen. Wäre er nie vom falschen Pfad abgekommen, hätte er einen Mut nutzbringend einsetzen können… getrübt von diesem Gedanken, war mein nächster Angriff nicht stark genug und er schlug ihn zurück, um gleich nach zu setzen. Doch das Gelände machte einen Strich durch die Rechnung, er blieb mit dem Fuß an einem Stein hängen. Reflexartig riss ich die Axt hoch und der Mann enthauptete sich durch seinen Sturz selbst.

Nun sah sich ein Bandit durch Leana und mich zugleich bedroht. Bei ihm spürte man deutlich die Angst – der eine Gegner golden schimmernd, die andere wie ein rachsüchtiger Naturgeist mit rindener Haut. Dennoch wehrte er meinen ersten Angriff ab, allerdings sollte dieser auch nicht viel mehr sein als eine Ablenkung. Die Schamanin sprang heran und bohrte den Dolch zunächst in die Achsel, riss ihn dann schnell heraus und bohrte ihn noch einmal durch den Brustkorb, dass die Lunge pfeifend in sich zusammenfiel.

Die restlichen Banditen hatten sich nun auch herangewagt und verteilten sich auf uns drei Streiter Ischkurs. Leonis lachte plötzlich laut, wie einer der Berserker des Nordens, dann öffnete er mit einem Streich den Hals seines Gegners und mit dem nächsten trennte er dessen Unterarm ab. Blut spritzte in einer Fontäne gen Himmel und besprenkelte die nahenden Gegner. Was sollten sie gegen solchen Wahnsinn ausrichten?

Plötzlich war ich umringt von drei Banditen, doch all ihre Angriffe prallen entweder an meinem Schild oder an der Rüstung ab. Ischkur war etwas von mir abgerückt, doch gegen diese verabscheuungswürdigen Verbrecher sandte er mir Hilfe! Unermüdlich teilte ich zur einen, dann zur anderen Seite aus und schließlich brach ein weiterer unter meinen Angriffen zusammen.

Leonis rannte zurück zu uns, anscheinend hatte er alle seine Gegner erledigt. Seine Geschwindigkeit überraschte die Wegelagerer erneut und er landete einen ordentlichen Schlag.
Währenddessen wandte ich mich einem der Männer zu, die bereits eine Feuerkugel abbekommen hatten. Seine Rüstung war sichtlich angesengt und er blutete, doch war er von irgendeinem wilden Geist besessen, wie mir schien. Zweimal schlug ich zu und zweimal wich er meisterhaft aus, um mir im Anschluss gegen den Arm zu schlagen. Jedes Mal keuchte ich und brauchte einen Moment, bis das Gefühl wiederkehrte, doch meine Rüstung verhinderte jeden Schaden.

Der andere „Verkohlte“ stand bei Leana und schien ihren Angriffen nichts entgegensetzen zu können. Zielsicher stach sie dorthin, wo das Feuer bereits schreckliche Wunden gerissen hatte und drang so mühelos tief ins Fleisch ein. Es war wie eine Szene aus einem Folterkeller, er hatte schlicht keine Chance. Es schien ihm wohl einer Erlösung gleich, als die Schamanin seine Kehle aufriss und damit sein Leben beendete.

Leonis hielt sich nicht mit den bereits geschwächten Banditen auf und schnappte sich einen, der bisher noch keinen Treffer abbekommen hatte. Der Verbrecher hatte sich wohl bisher hinter seinen Gefährten versteckt, doch dem chryseiischen Auge entging nichts. Er sprang heran und führt beide Schwerter gleichzeitig von rechts nach links. Das Gesicht wurde zerspalten und im nächsten Moment der Kopf abgetrennt.
Endlich gelang es mir, meinen Gegner zu umgehen und ich schlug mit meiner Axt von hinten gegen seine Niere. Die Wirbelsäule erbebte und wie eine Puppe knickte der Mann um.

Da blieb plötzlich nur noch ein Gegner, welcher vor Leonis stand und von Wahnsinn besessen sein musste, sich nun nicht einfach zu ergeben. Seinen Angriff schlug der Chryseier zur Seite, wie eine lästige Fliege, dann trat er dem Banditen vors Knie, dass dieser einknickte und beinahe kniend auf den Boden sank. Leonis legte seine Langschwerter um den Hals und mit einer Scherenbewegung trennte er ohne scheinbare Anstrengung den Kopf. Das Blut schoss zum Himmel und ein grausames Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Kriegers. Man sollte ihn Leonis Blutdurst nennen.

Leana und ich prüften, ob die Wegelagerer etwas Nützliches bei sich hatten, während der Krieger eventuellen Überlebenden das Sterben erleichterte. Wir kamen auf ein wenig Gold, das wir unter uns aufteilten, sowie Nahrung, welche die Schamanin für uns verwahrte. Dann wurde es Zeit für ein dringendes Gespräch.

„Leana! Wegen dir hat sich Ischkur von mir entfernt, mir ein Stück seiner Gnade entzogen!“

„Was? Warum soll ich daran schuld sein, dass du deinen Gott enttäuscht hast?“

„Tu dich nicht so! Du bist eine lasterhafte Hure, die durch die Gasthäuser schleicht und lüstern jeden Mann in ihr Bett zieht, der bei drei nicht auf dem Baum ist!“

„Ach so ist das also! Nur weil du so prüde bist, ist jeder andere, der ein wenig Spaß hat, eine Hure?“

Ich überlegte kurz, ob ich nun dieses eine Thema ansprechen sollte und entschloss mich schließlich dafür.

„Du hast mich missbraucht, Leana! Das hat Ischkurs Zorn auf mich gelenkt. In einer finsteren Nacht bist du wie ein Sukkubus in mein Gemach gekommen und hast mich benutzt!“

„Ach, stell dich nicht so an, Abedi. Du hast es doch genossen.“

Ich dachte an diese Nacht zurück. Nein, sie war nicht einmal gut gewesen. Für jemanden mit derart viel Übung hatte sie sich reichlich ungeschickt angestellt. Doch ich beließ das Gespräch dabei und wandte mich ab. Leonis sah uns mit offenem Mund entsetzt an. Dann wandte er sich schnell seinem Rucksack zu, den er wohl dringend organisieren musste…

Wir ritten noch ein wenig weiter, dann rasteten wir. Die Stimmung in der Gruppe war schon deutlich besser gewesen, aber vielleicht würde unser aller Zorn mit den kommenden Tagen verziehen. Immerhin stand die eigentliche Aufgabe noch vor uns und bisher haben wir ohne Verluste Wölfe und eine ganze Banditenbande ausgelöscht. Damals in Urruti hätte ich nicht im Traum daran gedacht, zu dritt gegen zwölf Mann anzutreten.

Die folgenden Tage reisten wir durch felsiger werdendes Gelände. Teilweise ragten links und rechts von uns Steinwände bis zu drei Meter in die Höhe und vermittelten ein unangenehmes Gefühl der Enge. Schließlich erblickten wir den Dennma – hinter dem hohen Berg soll das Tal der Verdammten liegen und damit das Ziel unserer Reise. Wir ließen die Pferde an einer Stelle zurück, wo sie grasen konnten und hofften, dass sie bis zu unserer Rückkehr nicht verdursteten, und begannen, den Berg über schmale Pfade zu erklimmen. Immer wieder mussten wir kurz klettern, doch es war nichts, dass uns sonderlich schwer fiel.

Gegen Mittag des zehnten Tages, ging es dann wieder bergab, bis wir einen zwei Meter breiten „Weg“ erreichten, zu dessen beiden Seiten Steinwände in die Höhe ragten. Schließlich hörte das Gefälle auf und auf ebenem Weg gingen wir, bis wir einen steinernen Torbogen erreichten. Die Art der Schriftzeichen hatte ich noch nie gesehen, da murmelte Leonis: „Das ist Maralinga, eine alte Sprache, die hier einst benutzt wurde. Mit meinem Chryseiisch kann ich ein wenig davon entziffern…“ Er überlegte kurz, dann las er laut vor:

„Im Tal der Verdammten,
Tage brechen golden,
Über grüne Wiesen glühen,
Bis die Nacht zurückkehrt.“

Das war mehr als kryptisch und achselzuckend traten wir durch. Es dauerte nicht mehr lange, da öffneten sich die Steinwände zu unseren Seiten und gaben den Blick auf die Landschaft frei. In der Ferne lagen große Wälder und Felder, durchzogen von klaren Flüssen. Vogelschwärme zogen dahin und am Horizont glitzerte verheißungsvoll das Meer. Dort lag eine große Stadt, welche Eriks Karte als Tyrre auswies. Aber direkt vor uns lag das Tal der Verdammten. Links und rechts gingen Pfade entlang, im Zentrum lag ein kleines Plateau. Unsere Augen wurden jedoch von einem Podest vor uns gefangen, genauer genommen von dem blauen Stein, der darüber schwebte. Seine Form war atemberaubend; irgendwie in sich selbst verschlungen, vernebelte er die Sinne. Wo war Anfang, wo Ende? Fasziniert von diesem Meisterwerk merkten wir gar nicht, wie wir näher traten und gierig unsere Hände ausstreckten. Nur noch ein paar Zentimeter, dann war dieser Schatz mein, meiner ganz allein. Ich würde ihn nicht teilen, nein, Niemand würde ihn bekommen… da durchfuhr mich von den Fingerspitzen ausgehend ein Blitz und ich machte einen Satz zurück. Der Stein verlor schlagartig jegliche Anziehungskraft. Leonis schien es ebenso zu gehen und verwundert blickten wir Leana an, die den Stein tatsächlich ergriff und zwischen beide Hände nahm. Verzückt blickte sie ihn an, bis sich ihr Gesicht zu einer Fratze verzog. Dann schrie sie laut vor Angst: „Nehmt es weg, nehmt es weg! Bitte!“ Sie warf das Ding von sich, welches summend seinen Platz über dem Podest wieder einnahm. Die Schamanin zitterte vor Angst wie ein kleines Kaninchen, dem man die Schlachtbank gezeigt hatte.

Wir nahmen sie zwischen uns und führten sie den linken Pfad entlang. Dort gab es mehrere Öffnung in der Steinwand und wir betraten gleich die erste Höhle, welcher früher einmal als Schlafstätte gedient hatte. Hier rasteten wir vorerst, damit sich die Schamanin vom Schock erholen konnte. Leonis wiederholte seine Predigt, dass die Frau uns nur aufhalte, doch fiel blieb uns sonst nicht übrig.

Die ganze Nacht durch zitterte Leana und schreckte immer wieder aus Alpträumen hoch. Dieses Artefakt war zweifellos ein Wächter, um jene aufzuhalten, die allzu furchtsam waren. Schien prächtig zu funktionieren, wenn keiner zurückkehrte und von dem schrecklichen, blauen Stein zu erzählen….

Am nächsten Morgen war Leana wieder die Alte, ein wenig mürrisch, aber ansonsten bei Sinne. So setzten wir unsere Erkundung auf der linken Seite des Tals fort. Zunächst fanden wir einen Balkon, von dem sich der große Platz in der Mitte hervorragend einsehen ließ. Nicht weit von ihm entfernt war allerdings auch ein Becken im Boden eingelassen, angefüllt mit Menschenknochen. Leana beugte sich darüber und begann die verschiedenen Überbleibsel zu untersuchen. Sie brauchte nicht lange, da erhob sie sich und verkündete stolz: „Diese Menschen sind an der seltenen Tiberius-Knochenmarkskrankheit gestorben. Äußerst bemerkenswert!“

Absolut überzeugend und über alle Maßen hin fasziniert von dieser einzigartigen Jahrhundertidee…beschlossen wir diesen Fakt vollkommen zu ignorieren und gingen eine Treppe nach unten.

Die Stufen führten in eine weitere Höhle, deren hervorstechendstes Merkmal eine große, rote Platte war, in deren Mitte ein fünfzackiger Stern eingraviert war. Auch hierzu hatte Leana eine Theorie, welche dieses Mal etwas sinnvoller klang: „Frühere Magier haben hier meditiert, um Einsichten über die Zukunft zu erlangen…ich werde das auch mal ausprobieren.“

Gesagt getan, wir warteten eine halbe Stunde. Die Schamanin erhob sich und zuckte mit den Achseln. Keine großartigen Visionen – Leonis rollte nur noch mit den Augen. Mir blieb es auch nur noch zu seufzen. Ja, ja, Frauen brauchen immer etwas…ich meinte, einen geistigen Schlag zu spüren, oder war es einfach nur der böse Blick, den mir Leana zuwarf?

Da wir nun das mittlere Plateau erreichen würden, allerdings noch nicht die rechte Seite erkundet hatten, gingen wir zurück und begannen auch hier Nachforschungen anzustellen. Zunächst befand sich hier auch ein Schlafgemach, ähnlich spartanisch wie auf der anderen Seite mit Nischen in der Wand. Eine weitere Kammer war hinter einer nahezu vollständig verrotteten Holztür zu finden. Aber außer gammligen Essen gab es nichts für uns.
Eine Treppe führte nach unten und wir entdeckten das ehemalige Kräuterbeet. Mittlerweile gab es jedoch nur noch Unkraut, was zwar schön anzusehen war, aber keinen Nutzen erfüllte.

Dann betraten wir endlich das große Plateau, dessen Boden merkwürdig zertrampelt aussah, als hätte jemand mehrfach hineingeschlagen oder gebissen. Es war sehr seltsam. Aufmerksamkeit generierte jedoch der Stein am Ende des Tals, hinter dem sich ein Ausblick auf die weite Landschaft ergab. Es war ein menschengroßer Monolith, welcher nach allen Seiten abgerundet oben zu einer sanften Spitze zusammenlief. Auf Kopfhöhe befand sich ein Loch, auf Brusthöhe war eine Inschrift eingraviert. Leonis übersetzte für uns: „Die starken zwei – die letzten zwei!“

Unzweifelhaft waren damit die Zauberer gemeint, welche hier im Zwist gelegen hatten. Nun überprüfte Leana den Stein und befand, dass dieser beinahe eine göttliche Aura ausstrahlte. Dann standen wir einen Moment ratlos herum, bis ich mich an die Zeilen vom Anfang des Tals erinnerte: „Bis die Nacht zurückkehrt! Lasst uns warten, bis es dunkel wird, vielleicht offenbart der Stein dann etwas.“

Die anderen stimmten mir zu und wir zogen uns zu der Höhle mit Balkon zurück, damit wir einen Ausblick auf den Monolith bei angemessenem Abstand hatten. So begann eine elende Warterei, bis es Abend wurde und die letzten Strahlen der Sonne auf das kreisrunde Loch fielen. Fasziniert beobachteten wir, wie dieses plötzlich hell zu leuchten begann. Links an der Seite des Steins flackerte es dann noch grün auf und rechts rot. Leana und ich gingen los, um dieses Schauspiel zu untersuchen, Leonis blieb jedoch zurück. Er schien der ganzen Sache noch nicht so recht zu trauen.

Während wir uns näherten, zückte ich behutsam mein Langschwert und hielt es nach kurzem Zögern mitten in das helle Licht. Es gab einen Ruck und beinahe wäre mir die Klinge ins Gesicht geschleudert worden. Wirklich weiter als vorher waren wir nicht, auch die Aura schien sich laut Leana kaum verändert zu haben. Einen Moment zermarterten wir uns den Kopf, da kam Leonis angelaufen. Er wirkte ein wenig angeschlagen, hatte einen blauen Fleck am Kopf, aber er winkte nur ab, als ich fragte.

„Ich habe einen Tunnel entdeckt! Durch eine der Wände kann man einfach so durchlaufen. Doch ich kam nicht sonderlich weit, es ist dunkel und die Fackel hilft nicht.“

Anerkennend klopfte ich Leonis auf die Schulter, dann gingen wir gemeinsam zurück. Es war tatsächlich so, wie der chryseiische Krieger beschrieben hatte: der Fels war an einer Stelle lediglich Illusion und man konnte hindurchgehen. Das Fackellicht verging hier, so beschwor ich Ischkurs Beistand herbei und mit einem Schlag wurde es hell, als meine Rüstung golden zu leuchten begann. Es schien weit in den Berg hineinzugehen und der Platz reichte nur aus, um hintereinander zu gehen. Da beschwerte Leonis sich scheinbar darüber, dass wir nur zu dritt waren – immerhin meinte er zu mir: „Du gehst in der Mitte und Leana und ich gehen vor!“

Der Plan ging mit drei Leuten nun nicht so ganz auf und das sah er auch zum Glück schnell ein…

Schließlich konnten wir uns einigen und ich führte die Expedition in die Tiefe an. Bald ging es eine lange Treppe nach unten und dann einige Meter weiter, bis wir eine alte Holztür erreichten, die die Zeit scheinbar problemlos überstanden hatte. Selbstsicher ergriff ich den Knauf und wollte sie öffnen, da durchfuhr mich ein unangenehmes Kribbeln. Plötzlich war es mir, als würde ich schrumpfen während die Tür vor mir in die Höhe wuchs und schrecklich zu gackern anfing. Schließlich war ich so klein, dass ich selbst mit einem Sprung nicht mehr an den Griff kam und ich begann verzweifelt zu schreien…

„Abedi?“ Ich schüttelte den Kopf und rieb mir die Augen. Nichts hatte sich verändert, ich stand nur da, den Mund noch zum Schrei geöffnet und einen Schritt weg von der Tür, welche zwar nicht mehr lachte, aber immer noch tiefes Unbehagen in mir auslöste. „Das ist Hexenwerk…ich muss mich ausruhen“, keuchte ich und sank an der Wand zu Boden.

Leonis schnalzte nur mit der Zunge, trat an mir vorbei und ergriff ebenfalls den Türknauf. Seine Selbstsicherheit schützte ihn jedoch nicht, er hüpfte weg und sank mir gegenüber zu Boden, zitternd und verängstigt. Leana beschloss nun zu warten, bis wir wieder einsatzfähig waren – doch es dauerte nicht lange, bis das Licht meiner Rüstung erlosch und sie in der Dunkelheit verzweifelte. Ihre Versuche, die Finsternis dieses Ortes zu bannen, blieben zwecklos, so sackte auch die dritte unseres Bundes nieder und kämpfte mit ihrer Angst.

Schließlich erhob ich mich wieder und brüllte laut „Ischkur!“. Meine Rüstung erstrahlte wieder in goldenem Licht, doch ich sparte mir den Kommentar Richtung Leana. Sie würde schon verstehen, dass es mit dem rechten Glauben ging, während ihre Tiere ihr hier nicht weiterhalfen.

Dann wand ich mich der Tür zu und lenkte die göttliche Kraft gegen den finsteren Zauber, dass man beinahe schon die schwarzen Schwaden davonstoben sah. Bevor wir nun jedoch weitermachten, segnete ich meine Begleiter, auf dass ihnen finstere Magie nichts mehr anhaben konnte. Das kostete mich einige Kraft, aber Leana schaffte es mit einem kurzen Zauber, mir etwas davon wiederzugeben.

Die Tür verschloss sich nach unserem Durchqueren sogleich wieder von selbst. Ein ausgeklügelter Federmechanismus bewerkstelligte dies leise und nahezu unauffällig. Doch uns interessierte mehr, was vor uns lag, ein langer Gang, wo wir nach etwa 20 Metern eine weitere Tür erreichten. Dieses besaß jedoch keine Aura und somit wohl auch keine Magie, aber rechts davon befand sich an der Wand eine Art Schiffssteuer. An seinen Enden waren die Zahlen 1, 2, 3 und 4 angebracht und darunter eine Inschrift „Zwei ist schlecht“, wie Leonis berichtete. Darüber war ein kleiner Pfeil, der auf das Rad zeigte. Sinn und Zweck war es wohl, eine der vier Zahlen einzustellen. Den genauen Effekt konnten wir noch nicht erahnen, doch Leana drehte das Rad zunächst und stellte es auf 1. Plötzlich polterte es um uns herum und einen Moment hatten wir das Gefühl, auf unsicherem Boden zu stehen, da war es auch schon wieder vorbei und scheinbar hatte sich nichts geändert. Ich öffnete die Tür und am Boden erspähten wir einen kleinen Spalt, der sich die Wand entlang zog. Scheinbar war dieser Bereich abgetrennt und was abgetrennt war…

„Wir befinden uns in einem sich drehenden Labyrinth!“, stellte Leana fest. Gemeinschaftlich stöhnten wir alle auf, doch es half nichts. Wir mussten dieses Rätsel lösen, denn es stand womöglich zwischen uns und dem Schatz der Zauberer.

In den folgenden Stunden irrten wir unter Tage umher. Immer wieder taten sich neue Gänge auf, andere verschwanden und ein, zwei Mal landeten wir wieder am Ausgang und ruhten uns kurz an der frischen Luft aus. Doch immer wieder kamen wir an dem Steuerrad vorbei, durch Leanas Markierungen wurde bald klar, dass es sogar zwei von ihnen gab; eines erhielt ein Dreieck, das andere ein Viereck. Die Dinger schienen sich immer mehr zu verklemmen und schließlich schaffte es die Schamanin nicht mehr, sie selbst zu drehen. Leonis schaffte dies jedoch weiterhin mit Leichtigkeit. Zumindest gelang es ihr währenddessen selbst Licht heraufzubeschwören, denn auf die Dauer war meine goldene Rüstung ein verschwenderischer Umgang mit Ischkurs Gunst.

Schließlich war es Leonis, der sich ein Herz fasste und das Rad auf zwei drehte – ungeachtet aller Konsequenzen, die da kommen mögen. Wir hofften einfach nur noch, dass dieser Alptraum enden würde. Ich hasse Labyrinthe!

Doch wir landeten wieder beim Ausgang, es war zum Haare raufen…zumindest, wenn man welche hatte. Aber als wir den Weg einfach wieder zurückgingen, erreichten wir einen längeren Gang, an dessen Ende eine weitere Tür und dahinter endlich einen neuen Raum! Hinter uns verschloss sich die Pforte und setzte uns einem weiteren Rätsel aus, welches sich uns in Form dreier Türen offenbarte, welche sich an der uns gegenüberliegenden Wandseite befanden. Sie waren aus Silber gefertigt und in ihnen befanden sich Gravuren.

Die erste: „Tür 3 ist eine Falle ODER Tür 1 ist richtig.“
Die zweite: „Wenn Tür 3 der Weg zurück ist, ist Tür 1 die Falle.“
Die dritte: „Wenn Tür 1 die Falle ist, ist Tür 3 die richtige.“

Minuten vergingen, jeder war tief in seinen Gedanken versunken. Immer wieder öffnete einer den Mund, sagte ein paar Dinge, doch sie wurden gleich wieder verworfen. Entweder brachten uns die Schlüsse nicht weiter oder sie waren Schwachsinn… Leonis überlegte kurz, einfach auf Glück Tür 3 zu öffnen, doch im letzten Moment wandte er sich ab. Wie sich noch erweisen sollte, eine gute Entscheidung.

Dann war es ausgerechnet ich, der eine Idee aufbrachte und gleichzeitig töricht genug war, diese auszuprobieren.

„Wenn Tür 3 der Weg zurück ist, wäre Tür 1 die Falle. Nach Tür 3 bedeutet dies jedoch, dass Tür 3 richtig ist. Sie kann aber nicht gleichzeitig der Weg zurück und richtig sein! Tür 1 wird die richtige sein!“

Geflissentlich ignorierte ich bei meiner Ausführung, dass Tür 1 nicht richtig sein konnte, wenn Tür 3 eine Falle war und sie sogar die Falle barg, wenn Tür der Weg zurück war. Rückblickend überlegt hatte ich keinen wirklichen Anhaltspunkt dafür, dass Tür 1 richtig war, außer, dass ich mir sicher war, Tür 3 sei in irgendeiner Form falsch. Aber ich glaubte es, also packte ich den Knauf und öffnete die Tür.

Keine Feuerkugeln explodierten, keine Gegnermassen fluteten uns entgegen. Vor uns lag nur ein weiterer Gang, den ich siegesgewiss durchschritt. Nach zwanzig Metern folgte eine weitere Türe, welche ich öffnete…und wir sahen uns wieder drei silbernen Türen gegenüber. Ich schluckte schwer und bemerkte, wie vorschnell meine Überlegung gewesen war. Aber eine schützende Hand schwebte fast schon sichtbar über mir.

Nun war jedoch alles klar, da Tür 1 nicht richtig war, blieb für Tür 3 nur die Falle. Mit ein wenig Kopfschmerzen gingen wir hindurch und erreichten einen zehn Meter durchmessenden, kreisrunden Raum dessen einziges Inventar eine einen meterhohe Säule aus tiefschwarzem Tisch. Darauf befand sich ein Becken, in dessen Rand Schriftzeichen eingeprägt waren.

„Auf den Schwingen des Todes,
Durch die Hände des Schicksals,
Durch das dunkelste Licht,
Vom dunkelsten Mond,
Durch stille Ozean,
Über hohe Berge,
Alle stehen als Einheit heute Nacht.“

Ratlos standen wir da, aber wirklich aufschlussreich waren die Worte nicht. Leonis packte frohen Mutes seinen Wasserschlauch aus und ließ etwas davon hineinfließen. Doch es verschwand und hinterließ keinerlei Spur. Da zückte der Krieger sein Messer und schnitt sich in die Hand. Plätschernd trafen die Blutstropfen auf das Becken, bevor es einen Schlag tat und uns die Splitter der Säule um die Ohren flogen. Sie richteten keinen wirklichen Schaden an, dafür schien es nicht ausgelegt zu sein. Dafür wurde im Stumpf des Steins der Griff einer Waffe sichtbar. Mit bloßer Hand packte Leonis ihn und riss ihn heraus.

Im nächsten Moment schienen sich Schatten um den Fund zu verdichten, dann war da plötzlich eine mattschwarze Streitaxt in Leonis‘ Hand, welche wir alle bewundernd anblickten. Einen Moment schien der Krieger sehr von seinem Fund verzückt, da verwies ich auf meine Axt und meinte, dass sie bei mir besser aufgehoben sei. Der Chryseier nickte, wenngleich er nicht sehr glücklich schien, diese prächtige Waffe aus der Hand geben zu müssen.

Ich verstand nie wirklich viel von der Zauberei der irdischen Magier, doch selbst ein Bauer hätte die Macht gespürt, die von dieser Axt ausging. Ehrfürchtig schwang ich sie ein paar Mal. Dann überlegte ich mir, wie praktisch es wäre, wenn sie bis auf den Griff schrumpfen würde… plötzlich löste sich das Axtblatt auf und ich konnte den Rest bequem an meinen Gürtel hängen.

Auffordernd hielt mir Leana die Hand hin und ich übergab ihr nach kurzem Zögern die Waffe. Die Schamanin ließ ihre fachkundigen Augen über den Stahl huschen.

„Diese Axt vermag Licht zu bannen und wird wohl die Ursache für die magische Finsternis hier drin gewesen sein. Vielleicht sollten wir das beim Monolith auf dem Plateau anwenden.“

Wir behielten uns dies als Idee im Hinterkopf und verließen endlich dieses Labyrinth, um uns auf den Weg zum Stein zu machen. Mittlerweile war es dunkel geworden, doch die Sonnenstrahlen schienen im Monolith gefangen zu sein. Aber die scharfen Augen Leanas ließen sich davon nicht ablenken und sie machte uns auf etwas aufmerksam: „Hey Jungs, seht mal, da hinten beim ehemaligen Kräutergarten leuchtet es!“

Und tatsächlich, wir erklommen die Treppe und eine der Höhlenwände leuchtete von innen heraus. Es war ein seltsamer Anblick und es war keine große Überraschung, als Leonis seine Hand hindurchstecken konnte. So traten wir in gewohnter Formation („einer in der Mitte und zwei vorne“) in das nächste versteckte Höhlensystem ein. Doch kaum waren wir eingetreten, mussten wir die Augen schließen – zu grell war das Licht, welches auf uns eindrang. Nun war es Zeit, unsere jüngste Beute auszuprobieren und ich erhob die Axt. Mittels des Schlüsselwortes, das Leana vorhin entziffert hatte, konnte ich die Kräfte entfesseln und um uns herum wurde das Licht gedämmt. So konnten wir voranschreiten und erreichten bald einen kleinen, runden Raum. Uns gegenüber lag eine Tür, welche sogleich von unserer Schamanin untersucht wurde. Ehrfürchtig wich sie zurück: „Sie verstrahlt eine göttliche Aura. Ich glaube nicht, dass uns Gefahr droht.“

Leonis vertraute ihren Worten und zog am Knauf. Tatsächlich bekam diesmal Niemand einen Angstanfall. Dahinter lag ein weiterer Raum, der ebenfalls drei Meter durchmaß und abgerundet war. In der Mitte befand sich ein weißer Stein, der auf den ersten Blick wie ein Tisch anmutete. Allerdings war seine Oberfläche gekrümmt, sodass er bei weiterer Betrachtung mehr Ähnlichkeiten mit einem Pilz aufzuweisen schien. Der Chryseier ließ es sich nicht nehmen und stieg sogleich darauf und schlug kräftig mit einem seiner Langschwerter dagegen. So langsam verfiel er in blinden Aktionismus… allerdings schien er plötzlich zufrieden mit sich, stieg wieder ab und setzte sich mit einem Lächeln vor den Stein und starrte ihn an. Seine Miene hätte jedem Wahnsinnigen Konkurrenz gemacht und irritiert blickte ich ihn an. Währenddessen entdeckte Leana eine Zauberformel an der Kante des Pilzes und murmelte etwas von Sesam. Was auch immer da geschah, plötzlich hob der Stein ab und schwebte zur Decke. Leonis‘ Zufriedenheit war mit einem Mal weggewischt, doch das interessierte uns nicht weiter. Durch das Loch würde ein Mensch problemlos durchpassen, darunter jedoch war Wasser und man würde tauchen müssen.

Grinsend zückte Leana den blauen Stein ihrer moravischen Saufkollegen. „Damit kann ich auch im Wasser atmen. Daher würde ich mir das mal anschauen und euch dann informieren.“
Ich nickte und Leonis brüllte plötzlich: „Ausziehen, Ausziehen!“

Das einzige, was mich noch mehr wunderte, als seine lüsternen Rufe, war, dass die Schamanin der Aufforderung tatsächlich folgte. Da war zwar nichts, was ich nicht schon gesehen hätte, aber ich wand mich dennoch ab. Leana lachte nur darüber und im nächsten Moment verschwand sie mit einem Platschen im Loch.

Während wir warteten, dass sie zurückkam, meinte Leonis mit einem spitzbübischem Grinsen zu mir: „Wie wäre es, wenn wir ihre Kleidung verstecken würden?“

Ich blickte nur noch fassungslos an. Er schien eine Renaissance der pubertären Fantasien zu erleben…
Natürlich taten wir nichts dergleichen und es dauerte auch nicht mehr lange, bis die Schamanin zurückkam. „Nach einer kurzen Strecke geht es in einen neuen Raum, dort konnte ich jedoch nichts erkennen. Es ist einfach zu hell.“

Es brauchte keine lange Diskussion, Leonis und ich zogen ebenfalls blank, ersterer sogar vollständig. Unsere Sachen steckten wir in den Rucksack und dann sprangen wir nacheinander ins Wasser. Es war ein erfrischendes Gefühl, nicht einmal übermäßig kalt. Doch wir mussten tauchen, was ich bisher nie gerne getan hatte. Aber irgendwas stimmte hier nicht, nach jedem Armzug verstärkte sich der Druck auf meinen Kopf, als würden wir uns in der Tiefsee befinden. Bald konnte ich kaum mehr die Augen öffnen, die Ohren schmerzten und ich verlor jegliches Gefühl für oben und unten. In Panik öffnete ich den Mund, um nach Luft zu schnappen. Stattdessen lief mir eine große Menge Wasser die Kehle hinunter und ich begann zu prusten und zu husten, sogar die Axt der Finsternis entglitt meinen Händen… da spürte ich eine Hand, die mich packte und in eine bestimmte Richtung zog.

Dann wurde es hell und ich konnte wieder atmen. Leana zog Leonis, der ebenfalls einen Panikanfall bekommen hatte, und mich ans Ufer, wo ich einige Momente brauchte, um wieder zu mir zu kommen. Beruhigt bemerkte ich, dass die Axt nicht in der Tiefe verschwunden war, sondern sich der Griff wieder an meinem Gürtel befand. Nach einigen Momenten der Entspannung gelang es mir dann auch wieder mit ihrer Hilfe, das Licht zu dämmen.

Während Leana und ich uns nun anzogen, stellte Leonis sich plötzlich auf, die Arme zur Seite gespreizt, die Hände an der Hüfte. Der Brustkorb war herausgestreckt und ebenso sein Becken. Mit der eindeutigen Position wollte er wohl posieren, doch den Anblick ersparte ich mir. Allerdings konnte ich mir das Grinsen nicht verkneifen, als ich Leanas Kichern hörte und sie von heftigen Lachern geschüttelt fragte: „Ist da noch was im Busch, lieber Leonis?“

Seine Gesichtszüge entgleisten und er sah nun selbst an sich herunter. „Ähm, das war sehr kalt da drin! Also…“ er wurde knallrot und zog sich rasch an. Danach ging er rasch zur Tür, um diese Peinlichkeit zu überspielen. Aber kaum hatte er den Knauf berührt, fuhr er wie wild herum, blickte mich an und sprang mir an den Hals.

„Ach, Abedi. Ich bin so froh, dass du hier bist. Bei dir fühle ich mich ganz sicher und geborgen.“

Leana rollte sich vor Lachen am Boden herum, während ich mit betretenem Blick Leonis die Schulter tätschelte. „Ähm, würdest du mich vielleicht loslassen?“
Aber der Chryseier ließ nicht ab und grinste selig. Mühsam versuchte ich ihn von mir wegzuschieben, doch er begann nur als Reaktion, fester zu drücken und ich ersparte mir dann doch lieber, von dem Krieger zerdrückt zu werden.

Eine Minute lang dauerte dieses Schauspiel an, dann ließ er mich plötzlich los, sah sich irritiert um und murmelte: „Wie? Wo? Was ist gerade geschehen?“

„Nichts wichtiges“, murmelte ich, während Leana nun zur Tür trat und sie aufzog. Sie schien der Hexerei widerstehen zu können und hielt uns den Eingang offen. Es folgte ein kurzer Gang, eine weitere Tür und dann standen wir erneut in einem annähernd kreisrunden Raum, uns gegenüber vier Pforten, allesamt mit einer Inschrift versehen.
Die erste: „Tür 1 ist richtig, wenn Tür 3 rot ist.“
Die zweite: „Die richtige Tür ist grün, alles andere ist ungewiss.“
Die dritte: „Keine Tür, die an die Gelbe grenzt, ist richtig.“
Die vierte: „Diese Tür ist blau.“

Die Farben mussten auf der anderen Seite aufgemalt sein, uns blickte nur jungfräuliches weiß entgegen. Schnell schlossen wir aus, dass Nummer zwei gelb sein konnte, da sonst nichts richtig war. Ihren weiteren Überlegungen konnte ich auf die Schnell nicht folgen, sie meinte nur schließlich überzeugt: „Ich nehme Nummer dreeeeeeeeeei.“ Warum auch immer diese Moraven die drei immer so betonten!

Aber die Entscheidung war offensichtlich richtig, direkt an die Tür, die sich von hinten als grün herausstellte, grenzte ein großer Raum in dessen Mitte eine kleine Säule mit eingelassener Schale stand. Er schien das Gegenstück zu dem Ort zu sein, wo wir die Axt fanden. Leonis entdeckte auch eine Inschrift, welche dieses Mal angab:

„Auf den Schwingen des Lebens,
In den Händen des Schicksals,
Durch das hellste Licht,
Von der hellsten Sonne,
Durch klare Seen,
Über grüne Täler,
Alle stehen als Einheit heute Nacht.“

Leana drängte jedoch schnell auf die Lösung und wies mich auf das Weihwasser hin, welches ich stets bei mir trug. Anerkennend nickte ich ihr zu und träufelte etwas davon ins Becken, welches direkt zersprang und uns um die Ohren flog.

Diesmal blickte uns ein silberner Griff entgegen, welcher schlicht gehalten war und dennoch edel erschien. Leonis zog ihn heraus und es wurde schlagartig dunkel. Damit war wohl die magische Helligkeit dieses Ortes gebannt und ich beendete den Zauber meiner Axt. Anschließend nutzte Leonis das neue Artefakt und wir konnten wieder etwas erkennen – er brauchte jedoch mehrere Anläufe, immerhin war er unvertraut mit jeglicher Art von göttlicher Macht oder Magie. Der Krieger hielt ein Langschwert in der Hand, welches er ein paar Mal schwang und dabei lächeln musste. Sie schien wohl mindestens so mächtig wie die Axt!

Leana untersuchte nun auch das Schwert, ließ es sogar einmal testweise fallen. Die Klinge verblasste und der Griff flog an ihren Gürtel, wie dies bei meiner Axt geschehen war. Ungeduldig forderte Leonis seine Waffe zurück und die Schamanin zögerte nicht, immerhin konnte sie einem so großen Gerät nichts abgewinnen…

Nun kehrten wir zum Monolithen zurück. Es dämmerte bereits, doch das Licht im Monolith war noch da, ebenso das es flankierende rote und grüne Leuchten. Leonis stellte sich auf die eine Seite, ich auf die andere und reckten die neuen Waffen ins Licht (verkehrtherum zu den Seiten, wo wir sie gefunden hatten).

Das Licht im Loch des Monolithen verstärkte sich, breitete sich aus und kam wie eine wohlige Flut über uns. Gleich einer Welle schlug es einmal über das Plateau, brandete auf und nahm mit einem Mal unser gesamtes Blickfeld ein. Dann verloren wir alle unser Bewusstsein.

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2 thoughts on “Das Tal der Verdammten

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