Das Juwel des Unlichts

Unsere neue Auftraggeberin blieb noch für eine Runde Getränke bei uns (großzügiger Weise von Anduil gespendet), was uns die Möglichkeit gab, sie etwas besser kennen zu lernen. Es wurde schnell klar, dass mich mein Gefühl nicht getrogen hatte: die „ah Kirnak“-Familie reichte weit zurück und stand für großen Reichtum. Mittlerweile war Yke jedoch die letzte, lebende Nachkommende, was ihr Interesse auf das alte Juwel lenkte. Ob das eher dem nostalgischen oder dem materiellen Zwecke dienen sollte, ließ sich nicht unbedingt feststellen – zurzeit machte sie noch einen gut gestellten Eindruck.
Das ergänzte sich, als offenbar wurde, dass die junge Frau noch nie für ihr Geld hatte arbeiten müssen. Auch ein Studium hatte es nicht gegeben. Die einzigen Fertigkeiten, die sie mitbrachte waren Aussehen und Geld. Letzteres war tendenziell hilfreich, aber als Yke offenbarte, dass sie mitkommen wolle, konnten wir uns kaum ein Aufstöhnen verkneifen.

„Ich habe immerhin einen Dolch! Damit verteidige ich mich, da müsst Ihr gar keine Angst haben!“, beteuerte sie sehr überzeugt von sich selbst.
„Nun…versucht einfach, Euch nicht in Gefahr zu bringen“, war Leanas Rat an die wohl gleichalte Frau, zu der sie wohl den härtesten Kontrast darstellte, den man sich überlegen konnte. Da ich bereits mit dem Schlimmsten rechnete, was Ykes Überlebenschancen anging, fragte ich mal nach…
„Verehrte Dame…wie genau war das mit der Belohnung? Neben den gefundenen Schätzen?“
„Mit Ausnahme des Familienjuwels!“
„Ja, habe verstanden. Also: Belohnung!“
„Hm…ich habe hier ein paar Diamanten, die als Ansporn dienen dürften. Ich weiß nicht ganz, was sie wert sind, aber eure eigentliche Entlohnung ist das, was wir bei meiner Familienburg vorfinden.“

Mit zufriedenem Lächeln besah ich mir den Edelstein, den ich erhalten hatte, ebenso wie Anduil. Leana schien dem ganzen keinen größeren Wert beizumessen, wenngleich sie es war, die mir später mitteilen konnte, dass unser Vorschuss auf einen Blick schwer schätzbar war, aber mindestens 300 Goldstücke einbringen sollte.

„Nun erzählt uns doch ein wenig von Eurer Familie“, forderte Leana Yke auf.
„Wir leben seit langer Zeit hier in Alba – wenn ich mich recht entsinne, wuchsen schon meine Großeltern hier auf. Aber einst hatten wir unseren Stammsitz auf Hoinath, einer Insel im Pfortenarchipel, welches südlich von Valian liegt… was ist Tikkmikk?“
Sie hatte meinen fragenden Blick gleich richtig gedeutet, daher rückte ich mit meinem Unwissen raus: „Von diesen Inseln habe ich schon gehört, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie dort die Natur beschaffen ist oder ob da Menschen in größerem Umfange leben. Was wisst Ihr darüber?“

„Es ist gar nicht viel heißer als hier und Menschen gibt es dort auch. Aber zurück zu meiner Familie: es gab irgendeinen Grund, dass wir Hoinath verließen, man vermutet eine Schlacht oder anderes, aber das ist, wie so vieles vergessen. Selbst vom Familienjuwel gibt es keine genaue Beschreibung.“

Wir stutzen: „Wie sollen wir es dann finden?“
„Wir werden es wieder erkennen, es dürfte schlicht das größte Juwel sein, das es dort gibt – an die zwölf Zoll im Durchmesser! Aber es wird langsam spät und ich möchte mich zu Bett begeben. Engagiert für morgen ein Schiff, das uns zum Ziel bringt. Um die Mittagsstunde werde ich Euch vor dem Alt-Corrinis erwarten.“
„Wartet, Yke!“, wandte Anduil rasch ein und zeigte zur Bühne, wo gerade eine neue Bardentruppe ein schnelles und mitreißendes Lied begann. „Lasst uns doch tanzen!“

Doch die Adelige winkte ab, erhob sich und verließ das Gasthaus. Prompt wandte sich der Albai an Leana, die natürlich sofort dabei war. Gemeinsam stürzten sie sich ins Getümmel, während ich am Rande des Pulks einige einfache Gaukeleien abhielt, um die Menschen zu belustigen.

Hinterher kam die Schamanin zu mir und erinnerte mich daran, dass wir noch einige Artefakte unseres letzten Abenteuers untersuchen lassen wollten. Skeptisch sah ich nach draußen, die Sonne war schon fast untergegangen. Aber andererseits tat der Versuch Niemanden weh, sodass wir rasch den einen der Umstehenden fragten, wo denn die nächste Magiergilde sei.
Es stellte sich heraus, dass das Haus der „Gilde des blauen Vogels“ nicht sonderlich weit weg war, sodass wir wenige Minuten später an der Tür des eher unscheinbaren Gebäudes klopften. Zwar war es recht groß, aber keineswegs so pompös wie dieses „Ministry“ von dem Leana einmal erzählt hatte. Und tatsächlich öffnete noch jemand: ein junger Mann, die Robe erweckte den Eindruck eines Magiers.

„Wie kann ich Euch zu dieser späten Stunde noch helfen?“, begrüßte er uns etwas lustlos.
„Wir hätten zwei Gegenstände, die wir gerne von einem eurer Thaumaturgen untersuchen lassen würden“, erklärte sich Leana und hielt dabei die Trillerpfeife und Nadel der verrückten Kultisten hoch.
„Nun…ich denke ich kann das veranlassen. Es wird allerdings einige Tage dauern. Die Untersuchungskosten belaufen sich auf 250 Goldstücke.“

Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging. Also in meinen sechshundert Jahren hatte ich einiges erlebt, aber so ein unverschämter Preisvorschlag war mir noch nicht untergekommen! Wenn er keine Lust hatte, sollte er es doch einfach sagen!
Im Alt-Corrinis traf ich Anduil wieder und kurze Zeit kam auch Leana nach. Sie schien sich zumindest noch freundlich verabschiedet zu haben, aber diese „Untersuchungskosten“ waren zu absurd.

Doch wir trösteten uns mit einer weiteren Runde Dünnbier und unterhielten uns ein wenig. So erfuhr ich auch, dass Anduil aus der Nähe Haelgardes kam. Er gehörte zu den Albai, die keinem Clan angehörten und dennoch frei waren. Allerdings hieß das in seinem kleinen Dorf nicht mehr, als ein Feld zu bestellen oder Schafe zu hüten. Verständlicherweise hatte er da irgendwann die Langeweile nicht mehr ausgehalten und sich in die Welt aufgemacht. Das war mir doch recht sympathisch, schließlich hatte auch ich aus Frust über den immer gleichen Alltag meine Familie verlassen.

Allerdings versandete das Gespräch allmählich und ich beschloss, schlafen zu gehen. Auch die Schamanin ging auf ihr Zimmer. Anduil sah mir noch enttäuscht hinterher, er hätte am allerliebsten die Nacht durchgezecht, wie ich ihn mittlerweile einschätzen würde.

Am nächsten Morgen nahmen wir eine Fähre zu den Docks am Festland – wo die größeren Schiffe anlegten, die als einzige für eine so weite Reise infrage kamen. Ein Kapitän war sogar relativ schnell gefunden…

„Wie lange dürfte die Überfahrt denn dauern?“, hakte Leana nach, sobald das Reiseziel geklärt war.
„Etwa zwei Monate…“

„Was?! Das ist ja ewig!“, begehrte ich in altbekannter Ungeduld auf. Leana blieb etwas ruhiger: „Mit was für einem Schiff soll es denn auf die Reise gehen? Uns bekannte Segler sind doch etwas schneller unterwegs…“

Als Antwort wies der Kapitän auf einen alten Fischkutter nicht weit von uns. Das klapprige Ding dürfte die hohe See niemals gesehen haben und der Mann vor uns musste einfach durchgeknallt sein. Daher ließen wir ihn einfach kommentarlos stehen und gingen weiter auf der Suche nach jemandem, der uns ein ernsthaftes Angebot machen konnte.
Tatsächlich fand sich recht schnell der Besitzer eines Handelsschiffes, welches zunächst Candranor in Valian anfahren sollte. Von dort aus war es nicht mehr weit zum Pfortenarchipel und es dürfte ein Kinderspiel werden, einen Kahn für die letzte Strecke zu finden – diese Stadt lag mitten im Meer der fünf Winde, mitten in Midgard. Gefundenes Fressen für Kapitäne aller Art.
Auch die Reisedauer von „nur“ fünfzehn Tagen kam uns angenehme entgegen, zudem wurden wir mit der geforderten Bezahlung von dreißig Goldstücken nicht derart ausgeraubt, wie wir das bisher gewohnt waren. Letzter Punkt war nur der Name des Schiffes, welches mit „Seetaucher Nr. 3“ nicht sonderlich glücklich gewählt war…

Anschließend machte ich mich auf den Weg in die Gossen und Kneipen Corrinis‘, stets ein, zwei Worte darüber verlierend, wie es denn wäre, wenn jemand eine Ermittler-Marke finden würde, die ihm Zugang zu diversen Bereichen der Stadt geben würde… Leana hatte ich vorher darüber informiert, dass ich schon irgendwie auf das Schiff kommen würde, falls ich an die falschen Leute geraten sollte.
Ich blieb vorsichtig, sodass ich anstatt einer alarmierten Wache schlussendlich einen Käufer fand, der mir zwei Exemplare für sechzig Goldstücke abnahm. Mein bestes und schönstes Werk behielt ich für den Fall der Fälle für mich. Vorausgesetzt natürlich, ich hatte nicht dieses abgegeben und das Original behalten – sie waren ja quasi nicht zu unterscheiden gewesen!

Mittags trafen wir uns dann vorm Alt-Corrinis, wo ich Anduil, Leana und Yke bereits beieinander stehen sah.
„Nun, Yke. Wir haben ein Schiff gefunden, allerdings wird die Reise zwei Monate andauern“, eröffnete unser Albai das Gespräch.
„Was? Zwei Monate?“
„Ja, wir fahren auf einem alten Fischkutter. Nicht unbedingt hochseetauglich, aber wir werden das bestimmt schon schaffen. Dafür bezahlen wir quasi nichts!“
„Ähm, also…“, die junge Frau wurde blass, allein schon die Vorstellung in einer Nussschale beim Sturm über die Wellen geworfen zu werden. Allerdings verrieten ihr Leana und mein Grinsen den Schabernack, den der Mann mit ihr spielte.

„Ganz ruhig bleiben, Lady ah Kirnak. Das Schiff heißt zwar Seetaucher Nr. 3, aber ansonsten wirkt es recht einladend. Die Reise dauert dann auch nur etwa einen halben Monat“, erlöste sie Anduil. „Was den Preis angeht…“
„Das bezahlt ihr ja dann, nicht wahr?“, fragte sie mit einem zuckersüßen Lächeln nach.
„Nun, verehrteste Yke. Leider sind wir nicht aus einem solch angesehenen und hohem Hause geboren, sodass wir stets von der Hand in den Mund lebten – stets mit harter Arbeit verbunden, denn kein Erbe war uns gegeben worden, welches uns vor dem Darben auf der Straße hätte erretten können! Nach meinen vierhundert Jahren in diesem Leben, wäre ich nun froh, wenn Ihr die Güte beweisen könntet, die man dem Adel eigentlich zuweisen sollte. Bezahlt uns doch bitte die Überfahrt, immerhin sind wir eure treuen Gefährten, bis zum Ende dieser Reise.“
Dabei machte ich noch die größten Gnomenaugen zu denen ich im Stande war – der Trick zog! Mit einem Seufzer beschloss die junge Frau, uns die Überfahrt mitsamt Verpflegung zu bezahlen.

Das fing natürlich bei der nächsten Fahrt von der Kernstadt zu den Docks wieder an. Dort fanden wir dann recht schnell das besagte Schiff mit einem schön geschnitzten Fisch am Bug. Es war ungefähr fünfzehn Meter lang und sechs Mann reichten, es voranzubringen – der Kapitän hieß Kelduros.
Zur Einstimmung auf die lange Reise zog ich zunächst meine Gaukelbälle hervor und wollte die Matrosen mit meinen Jonglierkünsten beeindrucken.

Die bunten Bälle flogen hoch, gleich fünf an der Zahl. Mit jedem Wurf schleuderte ich sie höher, dann begann ich dabei einen Schritt nach dem anderen zu tun – statisch zu sein, war doch langweilig! Plötzlich spürte ich die Reling in meinem Rücken. Aber meine Bälle flogen hinter mich… ich reckte mich, um sie noch zu kriegen…

Platsch.

Also…

um es kurz zu machen: nach zehn Minuten hatte ich dann einen Weg aus dem Hafenbecken hinaus gefunden und war klatschnass an Deck zurückgekrochen. Für Spaß hatte ich gesorgt, aber beeindruckend dürfte das falsche Wort gewesen sein.

Die nächsten Tage verschanzte ich mich in meiner Kajüte und versuchte langsam meine zittrigen Hände wieder in Form zu bringen, dass mir mein nächster Auftritt nicht so aus den Fingern gleiten würde. Vielleicht lag es auch einfach an diesen verdammten Schiffen…

Es verronnen die Tage wie zähflüssiger Brei, einer wie der andere und fade, dass es einem das Hirn zermarterte. Wenn ich eines in meinen dreihundertzwölfundsiebzig Jahren gelernt habe, dann das Eintönigkeit Gift für mich war!
Am zwölften Tag informierte uns Anduil, dass uns einige Vögel folgten – obwohl wir weit weg vom Festland waren. Es war eine seltsame Beobachtung, allerdings konnten wir uns keinen wirklichen Reim darauf machen. Sie waren nicht einmal nah genug, dass Leana hätte feststellen können, um was für eine Art es sich handelte.
Die folgenden Tage fielen sie auch uns anderen auf, aber blieben sie stets in großem Abstand, es hätten nicht einmal immer dieselben sein müssen.

So gingen wir recht unberührt am sechzehnten Tag endlich in Candranor an Land, nur um gleich das nächste Schiff suchen zu müssen. Zum Glück wurden wir schnell fündig – ein kleineres zwar, doch dafür mit einem Namen der weniger Unheil verkündete als Seetaucher Nr. 3: „Grüner Fuchs“. Entsprechend brauchte es neben dem Kapitän nur drei Mann, um sie zu steuern. Da würde es mit uns an Bord die nächsten fünf Tage, die angedacht waren, etwas kuschlig werden.

Bis zum Abend besuchten wir noch einmal eine Hafenspelunke und gönnten uns ein wenig Dünnbier. Dann ging es auch schon an Bord des Kahns und wir legten ab. Unser genaues Ziel war laut Yke die Insel „Hoinath“ im Archipel und Leana beschloss den Kapitän – er kam aus der Gegend – ein paar Fragen zu stellen.

„Nun, der Pfortenarchipel genießt recht warmes Wetter, ziemlich angenehm dort. Wovor man sich jedoch hüten sollte ist der gewaltige Mahlstrom, der zwischen den größten Inseln liegt und bereits etliche Schwachköpfe verschluckt hat, die meinten, sie könnten an seinem Rand entlangschiffen. Und was Hoinath angeht: da lebten vor etlichen Jahren die ‚ah Kirnaks‘. Reiche Familie und ziemlich einflussreich. Allerdings wurde ihr Schloss von finsteren Mächten heimgesucht, so erzählt man sich. Dabei wurde wohl alles zerstört, was dort einst gestanden habe, allerdings heißt es auch, das Böse hätte Hoinath mittlerweile verlassen. Im Keller der Ruine soll sich jedoch noch immer ein Schatz unbekannter Größe und Art befinden! Aber Niemand, der sich bisher dorthin auf die Suche gemacht hat, ist wiedergekehrt!“

Ich horchte überrascht auf, als offenbar wurde, dass diese Familie wohl bekannter war, als ich vermutet hatte. Das konnte doch etwas interessanter werden! Noch eine Prise Fluch und Dämonen-Überbleibsel, perfekt zubereitet.

Die nächsten Tage war uns die See dann sehr gewogen und wir brauchten nur vier Tage, bis Hoinath in Sicht kam. Immer wieder sichteten wir diesen dubiosen Vogelschwarm, doch nie kamen sie nah genug heran, dass Leana eine Chance hätte, sie zu erkennen. Aber solange das so blieb, musste es uns auch nicht unbedingt stören.
Die Schamanin vereinbarte mit dem Kapitän, dass er zunächst seine restlichen Geschäfte hier in der Gegend erledigen und dann in ein paar Tagen vorbeisehen sollte. Sofern wir ein Tuch an der Anlegestelle (ein halb baufälliger Steg) befestigten, solle er auf uns warten. Dann drückte Yke dem Mann sein verdientes Gold in die Hand, ehe wir an Land gingen und uns umsahen.

Vom Steg weg führte ein alter Weg in den dichten Wald der Insel. Zwar war das kein Dschungel, aber wer einmal im tiefsten vesternessischen Dickicht unterwegs gewesen war, konnte sich vorstellen, dass es auch dort recht schnell, recht unübersichtlich wurde. Der Pfortenarchipel war dem Klima tatsächlich recht ähnlich, nur etwas wärmer.
Die „Straße“ war zwar seit Jahrzehnten oder vielleicht Jahrhunderten nicht mehr gepflegt worden, doch konnte sie immer noch mit einem Trampelpfad mithalten. Das ermöglichte uns direkt am ersten Tag einigen Fortschritt, ehe Leana ein Nachtlager fand, das durch einen großen Felsen zumindest nach einer Seite hin geschützt war. Dann hieß es für mich die erste Wache übernehmen und dann gediegen ins Zelt kriechen und in eine Decke einwickeln!

„Wölfe!“, brüllte Anduil – die dritte Wachschicht. Kurz darauf erschallendes Wolfsgeheul unterstrich seine Warnung und die Müdigkeit war wie weggewischt. Schnell packte ich mir mein Kurzschwert und den Dolch, um aus dem Zelt herauszustürmen. Meine Freunde brauchten Tikkmikk Rasfareen!
Doch ein Rest Schlaf klebte immer noch an mir – in Form meiner Decke. Sie hatte sich um meinen rechten Fuß gewickelt, dass ich gerade einen Schritt gehen konnte, ehe ich es merkte und vornüber aus dem Zelt fiel.
Ein lautes Knurren ertönte und mir sprang ein riesiger, grauer Pelz entgegen, dem ich hoffnungslos verheddert entgegenstürzte. Da spürte ich Widerstand für mein Schwert…dann für meinen Dolch! So fest ich konnte, hielt ich dagegen bis sie mir entglitten, dann schlug ich auf dem Boden auf. So elegant es mir die Decke erlaubte, die immer noch unglaublicherweise am Fuß hing, rollte ich bei Seite und humpelte auf die Beine. Das Knurren war weg…der Wolf lag halb in meinem Zelteingang und rührte sich nicht. Da sah ich, dass sich mein Kurzschwert kurz über dem rechten Vorderbein und der Dolch knapp unter die Kehle ins Fleisch geschoben hatte und dort immer noch festhingen. Der Wolf war tot!

Überrascht über mich selbst, entfernte ich erst einmal die Decke von meinen Fuß, nahm die Waffen wieder an mich und eilte zu meinen Gefährten – Niemand hatte etwas von der „heldenhaften“ Attacke mitgekriegt!

Leana war nicht direkt zu sehen, aber Anduil, der gerade mit zwei Wölfen tanzte. Den Schild in der einen Hand, das Schwert in der anderen erwehrte er sich recht gut seiner Haut, doch die Graupelze stürzten sich wie tollwütig auf ihn. So schnell mich meine Füße trugen war ich schon bei ihm und schnitt einem der beiden in die Ferse. Knurrend wand es mir das geifernde Maul zu und begann nach mir zu schnappen. Ohne Decke am Fuß war es recht einfach den plumpen Angriffen auszuweichen. Ein Schritt nach rechts, einer nach links – stets reichte es, um dem wild herumspringenden Tier zu entgehen. Und bei jeder Attacke setzte ich zur Antwort einen kleinen Stich. Tiefe Wunden waren mit den kurzen Klingen kaum möglich, wenn der Gegner so unruhig war.
Aber gerade war das Tier wieder an mir vorbeigesprungen und hielt einen Moment hechelnd inne. Die wahnsinnigen Attacken forderten ihren Tribut, die Ausdauer war am Ende. Nun war es an mir: ein Schritt nach vorne und alle Kraft in das Kurzschwert gelegt. Der Stahl glitt tief in die Flanke und verschaffte der Lunge ein wenig zusätzliche Luft. Der Wolf röchelte, dann ging er zu Boden.

Kaum einen Moment hörte ich Leana, wie sie mit einer tiefen, machtvollen Stimme Worte einer fremden Sprache brüllte, dass mir die Haare zu Berge standen. Der letzte Wolf kniff den Schwanz im wahrsten Sinne des Wortes ein und rannte davon. Anduil rief noch grölend hinterher und fuchtelte drohend mit dem Schwert.

Wir zogen die Wolfsleichen zusammen, nachdem geklärt war, dass Niemand ernsthafte Wunden davon getragen hatte. Yke sah kurz aus ihrem Zelt raus, rieb sich die Augen und beschloss, einfach weiterzuschlafen.
„Lasst uns die Biester an die Bäume hängen: eine Warnung für ihre Artgenossen!“, schlug Anduil nun vor, eine Mischung aus tatsächlicher Überzeugung und etwas Wahn.
„Nein!“, entgegnete Leana streng. „Ich will sie begraben!“
„Was?! Begraben? Das sind Tiere!“, war die verblüffte Antwort.
„Auch sie haben Geister, die erzürnt werden können. Ich werde für sie beten und hoffen, dass sie Ruhe finden.“

Mit diesen Worten wandte sie sich ab und machte sich schon an die Arbeit. Achselzuckend sah ich zu Anduil hinüber. Hat eben ihre Schrullen, die Schamanin. Dann rief ich Yke aus dem Zelt, da sie trotz ihres entschlossenen Versuches nun mit der Wache dran war. Etwas griesgrämig übernahm sie die Aufgabe dann auch, damit Anduil und ich unsere wohlverdiente Ruhe wieder aufnehmen konnten.

Wenige Stunden später brachen wir dann wieder auf. Es hatte schon angenehmere Nächte gegeben aber die geringe Zahl der Angreifer war kontrollierbar geblieben. Leana wirkte noch recht zerschlagen, aber wieder einigermaßen beruhigt. Sie musste diese Wölfe aus irgendeinem Grund so hoch einschätzen wie Menschen, das war doch leicht beängstigend…

Bei unserem Marsch durch den Wald übernahm Anduil begeistert die Aufgabe, eine grobe Zeichnung unseres Weges und der Insel allgemein anzulegen. Die Umrisse kamen mir jedoch etwas verworren vor, ein dicker Kern mit dichtem Waldbewuchs und eine Landzunge, beinahe phallusartig… Aber nur beinahe, denn jeder wusste, dass Anduil für so plumpe Scherze viel zu intelligent war!

Der Weg führte uns an einem halben Dutzend Abzweigungen vorbei, bei denen wir einiges Talent aufzeigten, zuerst alle Möglichkeiten durchzugehen, ehe wir den entscheidenden Pfad gefunden hatten. Dieser näherte sich in umlaufenden Bahnen einem Felsplateau an, wo zwar keine Burg zu sehen war, aber vielleicht noch einige Ruinen übrig sein konnten. Wenn die Erzählungen stimmten war sie ohnehin geschliffen worden.

Zunächst versperrte uns jedoch ein schnell dahinschießender Flusslauf den Weg. Er war beinahe sechs Meter breit, sodass ein Sprung eigentlich unmöglich erschien. Anduil versuchte das auch gar nicht erst, packte alle wichtigen Sachen auf seinen Rucksack und marschierte mit diesem auf dem Kopf durch das Wasser, als würde ihn die Strömung nicht ein Stück verschieben können. Hoffentlich gab er acht, dass unserem Phallus… äh, der Karte nichts geschah!
In einem meiner häufigen Anfälle an Selbstüberschätzung versuchte ich den Sprung, klatschte aber hoffnungslos mitten hinein. Ein paar tiefe Schlucke frischen Quellwassers später war ich wieder kräftig genug, aufzutauchen und mich etwas ungelenk ans andere Ufer zu schleppen. Ächzend drehte ich mich um, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Leana einige grazile Bewegungen mit den Armen machte. Dann nahm sie gerade mal einen Schritt Anlauf und sprang empor. Als würde sie von Windgeistern getragen werden schwebte sie mehr als dass sie sprang auf die andere Seite und landete ohne einen Hauch von Anstrengung im Gesicht neben Anduil und mir. Während wir noch verblüfft waren, landete Yke neben uns – ebenfalls ein geglückter Sprung. Verdutzt sah ich sie an, unsicher, ob sie einfach nur leidenschaftliche Weitspringerin war oder doch etwas mehr konnte, als sie uns offenbart hatte…

Der weitere Weg führte uns noch etwas höher, bis er schließlich an einem Geröllhang endete. Dieser letzte Abschnitt war wohl durch die Witterungsverhältnisse zerstört worden und was blieb waren tausende viel zu kleiner Steine. Zumindest schien der Hang nicht so steil, dass wir einen Sturz bis in den Wald zu unseren Füßen befürchten mussten.
Anduil übernahm die Führung, ich kurz dahinter, dann Leana und Yke. Die erste Hälfte des Hangs war kein Problem, doch dann wurde es etwas steiler und man musste sich teilweise mit den Händen Halt verschaffen. Ständig löste sich ein kleinerer Stein und hüpfte an uns vorbei, doch plötzlich hörte ich von vorne ein lautes Fluchen: unter Anduils rechtem Fuß löste sich ein ganzes Brett und ein dutzend Steine gingen ab. Jeder traf einen weiteren Haufen und bald schien der halbe Hang auf uns hinab zu jagen. Ich nahm all meine hundertjährige Erfahrung aus dem Zirkus zusammen, nahm einen Schritt Anlauf und Sprang in bester Akrobatenmanier mit einem Salto über die heranrollende Steinmasse. Gerade einmal einen Stein spürte ich an meinem linken Fuß vorbeisausen – lachend trat ich ihn davon. Ein Aufschrei Leanas, der sich später als leichter Kopftreffer offenbarte, verkündete mir, dass ich das besser hätte lassen sollen…

Was im ersten Moment so verheerend ausgesehen hatte, war jedoch nach wenigen Sekunden vorbei. Abgesehen von Leanas Platzwunde waren wir alle heil davongekommen und konnten die letzten Meter auf das Plateau nehmen. Dort fanden wir dann endlich die Familienburg der ah Kirnaks.

Hinter einem Wassergraben lagen die Überreste. Belagerungswaffen, Feuer und zuletzt die jahrelange windumtoste Lage hatten schwere Verheerungen angerichtet. Die Mauern waren weitgehend geschleift sowie häufig durchbrochen und von den dahinterliegenden Gebäuden schien nicht mehr übrig zu sein als riesige Schutthaufen. Was auch immer hier gewütet hatte, es war gründlich gewesen – leider betraf dies auch die Zugbrücke, welche einst über den Graben geführt haben musste.
Wir beschlossen zunächst, uns etwas auszuruhen, ehe wir den Sturm auf die Ruine begannen. Für Leana und mich hieß das, die innere Ruhe in der Meditation zu suchen – etwas, was Außenstehende von mir nicht unbedingt erwarten dürften.
Doch dieser ablenkende Gedanke ließ mich nicht los und eine Stunde später war ich immer noch so angespannt wie vorher und stand ärgerlich aus dem Schneidersitz wieder auf. Leana wirkte immer noch versunken. Aber bei einem genaueren Blick erkannte ich die Spuren eines Krampfes: die Kiefer fest aufeinandergebissen, die Fingernägel in die Haut gekrallt und die Augen fest zusammengepresst. Etwas Wasser ins Gesicht brachte die Schamanin wieder zur Räson, wenngleich ihre ganzen Bewegungen schwerfällig wirkten und die Glieder scheinbar sehr schmerzten. Das war ja nicht so gut gelaufen.

Wir einigten uns darauf, vorerst nur vorsichtig die Umgebung zu erkunden – mit Leana in dieser Verfassung waren wir doch erheblich geschwächt. Auf der Suche nach einem Übergang näherten wir uns dem Burggraben, da flackerte die Luft um uns herum und plötzlich schienen wir in eine andere Zeit zurückgeworfen zu sein:
Links und rechts von uns versammelten sich hunderte Orks und Oger, die ihre groben Keulen in die Luft reckten und in ihrer finsteren Sprache brüllten. Die Verteidiger auf der Mauer waren hoffnungslos in der Unterzahl und versuchten verzweifelt mit einigen wenigen Pfeilen die Reihen der Feinde auszudünnen. Die Brücke zum Tor war von Bestien übersät, die in einer ersten – offensichtlich gescheiterten – Attacke versucht hatten, den Eingang für den Rest der Armee zu öffnen. Ein Rammbock lag verloren zwischen den Leichen herum, die teils von Pfeilen gespickt, teils aber scheinbar wie von Feuerkugeln in Stücke gerissen worden waren.
Noch ehe wir uns weiterer Dinge gewahr werden konnten, hörten wir hinter uns schreckliches Gebrüll, das alle anderen Scheusale zum Verstummen brachte. Wir drehten uns um und sahen ein halbes Dutzend von Kreaturen, die aus dem tiefsten Abgrund einer Welt gekrochen sein mussten, die keine Liebe oder Hoffnung kannte. Drei Meter groß mit einer Haut aus schuppigen Plattenpanzern an denen jede Waffe, jeder Zauber abprallen musste. Zwei Arme wie Baumstämme umfassten riesige Äxte mit rot flackernden Intarsien in der Klinge. Der Kopf wirkte wie der eines Stieres, die Augen geschlitzt wie die einer Schlange und mit gewundenen Hörnern, die beinahe so lang wie ich sein mussten. Schreiend rannten sie auf uns zu. Ehe wir zur Seite springen konnten, spurteten sie schon durch uns hindurch – auf das Tor zu. Es brauchte gerade einmal drei Hiebe, da flog es in Splittern davon. Der Weg war frei und die Orks begannen erneut ihr wildes Geschrei. Der letzte Sturm brach los.

Da endete das Schauspiel und wir standen wieder vor dem Ergebnis des Angriffs: der Ruine ohne eine Möglichkeit, den Graben zu überqueren. Daher betrachteten wir zunächst diesen selbst, vielleicht war ein simples Durchschwimmen möglich – die zwanzig Meter zu überspringen wäre selbst für Leana mit ihren Zauberkräften unmöglich. Es stand noch einiges Wasser darin, doch war es brackig, dunkel und still. Es war kaum zu sagen, wie tief es war oder was sich dort unten verbarg. Anduil nahm einen herumliegenden Stein und schleuderte ihn in das Nass, doch wenig mehr als ein paar Luftblasen bekamen wir nicht zu sehen.

Aufmerksam liefen wir einmal um den Graben herum, doch leider gab es nirgendwo eine Stelle, an der ein abgesprengtes Mauerstück oder dergleichen das Dreckwasser durchbrach und wir trocken auf die andere Seite hätten gelangen können. Also besann ich mich zurück auf den einen oder anderen Seiltrick, den ich während meiner vierzig Jahre in Alamid gemacht hatte. Ein richtig geknotetes Seil könnte man mit einem guten Wurf auf der anderen Seite festmachen. Wenn wir hier irgendwo auf dem Plateau einen Halt für das andere Ende fänden, hätten wir eine Art Seilbrücke, an der wir uns hinüber hangeln könnten. Für mich rechnete ich eigentlich recht hohe Chancen aus, aber ob Anduil und Leana das schaffen würden? Ein Sturz ins Wasser konnte sonst etwas bedeuten.

Ich schilderte meinen Vorschlag mitsamt meinen Bedenken. Die anderen wirkten ähnlich skeptisch, allerdings waren wir ansonsten recht einfallslos. Nun, vielleicht würden ein wenig Ruhe und der nächste Tag die Erleuchtung bringen.
Anduil beschloss vorher noch ein wenig im Burggraben zu angeln. Bei dieser doch etwas schwachsinnigen Idee beschloss ich zuzusehen. Sollte er wirklich was fangen, würde ich glatt meinen Hut vor ihm ziehen!

Doch kaum fünf Minuten waren vergangen, da gingen plötzlich ein Ruck durch die Schnur und Anduil packte kräftig zu. Der Sog schien sich aber weiter zu verstärken, dass der Albai aufstand und sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen lehnte. Aber auch das schien nicht zu reichen und er rutschte Stück für Stück dem Abgrund entgegen. Leana und ich kamen so schnell wir konnten zur Hilfe und packten ihn an Beinen und Armen um noch unser „Gewicht“ und unsere „Kraft“ in die Waagschale zu werfen. Dieser Versuch mit Federn Gold aufzuwiegen, scheiterte jedoch auch und schließlich ließ Anduil die Angel los, die pfeilschnell ins Wasser flog. Einen Moment später durchbrach ein Tentakel das Wasser und zeigte sich in seiner ganzen, eklig-glänzenden Pracht, ehe er zurück unter Wasser glitt. Anschließend lag die Wasseroberfläche still da, als wäre nichts geschehen.

„Immerhin wissen wir jetzt, dass uns da unten erwartet. Hätte nicht gedacht, dass die Angel so nützlich wird, die du bei Radbod hast mitgehen lassen“, resümierte Leana relativ treffend. Nicht genug, dass ich meinen Hut zog, aber immerhin recht interessant, was Anduil da entdeckt hatte. Dann klärte uns die Schamanin noch auf, was genau sie dort unten vermutete: „Das könnten Krakenastralwesen sein. Projektionen aus einer anderen Welt, die dort hinein beschworen wurden. Ob das die Verteidiger oder die Angreifer gewesen waren, lässt sich kaum sagen.“
„Kannst du versuchen, das Viech zu verbannen?“, fragte ich.
„Ich kann es versuchen…“, erwiderte sie und ließ den Worten sogleich Taten folgen.

Die normalerweise grazilen Armbewegungen wirkten noch etwas steif, doch dafür sprach Leana mit umso kräftigerer Stimme – was auch immer es für Worte waren, die diese Magie entfesselten. Von Sekunde zu Sekunde erhöhte sie das Tempo, bis es fast etwas von einem Tanz hatte, dessen Melodie nur die Schamanin alleine hörte. Schließlich reckte sie die Arme dem Wasser entgegen und rief ein letztes Mal laut zum Himmel.
Ein Tentakel kam aus dem Wasser herausgeschossen, reckte sich ihr entgegen; einem Ertrinkenden gleich, der nach einer Trinkflasche greift. Doch Leana stand zu weit weg – der Fühler des Dämons einer anderen Welt zog sich zurück.

Die Schamanin rieb sich den Schweiß von der Stirn. „Das hat leider nicht funktioniert. Es ist ein mächtiger Zauber, der sie hier festhält.“
Enttäuscht zogen wir uns an den Rand des Plateaus zurück und schlugen dort unser Lager auf. Die Wacheinteilung geschah wie üblich – wer konnte wissen, ob nicht etwas aus diesen Visionen Realität wurde und uns heimsuchte.
Immer wieder flackerte während der Nacht das Schauspiel von der Belagerung wieder auf. Waffengeklirr erschallte, die Burg stand in Flammen und über allem ertönte das schreckliche Gebrüll der dämonischen Heerführer.

Davon abgesehen war es natürlich eine wunderschöne Nacht, an deren nächsten Morgen, man sich nichts sehnlicher zu wünschen dachte, als ein Seil zu spannen, um über einen Krakenverseuchtes Gewässer zu klettern, damit man auf der anderen Seite womöglich den tausendundeinen Flüchen der Ruine begegnen durfte. So wie jeden anderen Tag auch. Jeden!

Yke wirkte als einzige wirklich so unbekümmert, wie ich mich gab, und beschloss, spazieren zu gehen. Ich schüttelte nur noch den Kopf, aber immerhin gab Leana zu verstehen, dass sie unauffällig folgen würde. Vielleicht hatte unsere Auftraggeberin somit eine geringe Überlebenschance.
Anduil und ich suchten dann nach einer Stelle, an der wir ein Seil würden spannen können, um uns daran auf die andere Seite zu hangeln. Tatsächlich fanden wir recht bald einen großen Trümmer, der wohl einst die Spitze eines Turmes gewesen war – ehe ihn dämonische Mächte gesprengt hatten. Gerade begann ich, mein Seil zu verknoten, dass man es hinüberwerfen konnte, da kam plötzlich Yke herangelaufen. Mit etwas Abstand folgte auch Leana.

„Seht, was ich gefunden habe! Das lag am Rand des Burggrabens!“, rief die junge ah Kirnak stolz und präsentierte uns ihren Fund: ein kleines Miniaturboot. Ich konnte meine Begeisterung kaum in Grenzen halten, da meinte Leana nach einem kurzen, fachfrauischem Blick: „Das ist magisch. Vielleicht kann es uns irgendwie…“

Noch ehe sie weitersprechen konnte, warf Yke ihren Fund in den Burggraben und sprach: „Wachse!“
Ungläubig starrte ich auf das kleine Bötchen, wie es tatsächlich an Größe gewann und schließlich ein 3-Mann-Boot im Wasser lag. Glücklich mit sich selbst und der Welt hüpfte unsere Auftraggeberin in das Gefährt, ohne, dass eine Welle vom Boot ausging. Leana folgte, wieder keine Regung im Wasser. Da folgte auch ich – während Anduil zurückblieb.
„Fahrt ihr erst mal hinüber… ich traue der Sache nicht.“

In der Hoffnung, dass sich es unser magisches Gefährt nicht mitten im Burggraben anders überlegte, stießen wir uns vom Rand ab. Geräuschlos und ohne eine Kräuselung des Wassers glitten wir langsam auf die andere Seite. Es schien, als wäre dieser Weg quasi vorherbestimmt, so ruhig geschah es.
Angekommen kletterten wir problemlos die wenigen Meter hoch und standen im zerstörten Burgtor. Leana hatte das Boot noch zurückgestoßen und gemeinsam warteten wir nun darauf, dass Anduil sich hineinwagte.

Der Albai sah jedoch gar nicht glücklich aus. Mit gequälter Miene betrachtete er dieses bizarre, magische Gefährt. Ob es ihn auch tragen würde? Oder dann doch entschied, ihn den Kraken zum Fraß vorzuwerfen? Aber ganz zaghaft näherte er sich dann doch, hob sein linkes Bein so hoch er konnte und setzte ganz vorsichtig die Spitze seines Stiefels auf die Planken. Mit zusammengepressten Lippen, die von höchster Konzentration zeugten, verlagerte Anduil Stückchen für Stückchen seines Gewichts auf das Boot, bis er schließlich mit einem Bein fest darin stand. Da stieß er sich mit dem rechten Bein am Ufer ab und schoss in wenigen Sekunden über das Wasser – keine verräterische Welle glitt davon, um die Kraken zu warnen. Bei uns angekommen sprang der Krieger mit einem Satz aus dem Boot heraus und jagte zu uns hinauf.
Als er dann neben uns stand, klopfte er sich nichtvorhandenen Staub von den Schultern, reckte das Kinn nach oben und bekundete: „War ja einfach.“ Dann schritt er mit großen Schritten hinein in die Ruine, während Leana und ich Mühe hatten, nicht vor Lachen umzugehen.

Das Torhaus über uns war komplett verwüstet und nicht mehr begehbar, wenn man nicht gerade provozieren wollte, von Steinen begraben zu werden. So schritten wir hindurch auf den Innenhof – kaum war Yke als letzte durch die Pforte geschritten, hörten wir hinter uns ein gewaltiges Zischen und Wärme glühte in unseren Rücken. Überrascht blickten wir zurück: auf der gesamten Breite des Torbogens hatte sich eine Feuerwand gebildet, welche zwei Meter in die Höhe reckte. Damit war der Rückweg eindrucksvoll versperrt und ich hatte den ersten meiner tausendundeinen Flüche. Ging doch schon gut los.

Der nächste Schrecken ließ nicht lange auf sich warten: in dem ganzen Burghof verteilt lagen an die hundert Leichen, skelettierte Krieger, deren rostige Rüstungen etliche Scharten aufwiesen und deren Waffen bestenfalls hätten aus Bruchstücken wieder zusammengesetzt werden können. Meistens waren es Menschen, hie und da verrieten die gekrümmte Haltung und ein verzogener Schädel, dass es wohl ein Ork gewesen war.
„Das ist seltsam“, raunte Leana.
„Was? Tote nach einer Schlacht, hinreichend zerfallen. Wundern tut mich das jetzt nicht“, gab ich mäßig begeistert zurück.
„Denk doch mal nach. Die Szenen, die wir gesehen haben: das hier wird mit dem Krieg der Magier zusammenhängen! Das ist so verdammt lange her, dass nicht einmal mehr Skelette übrig sein dürften“, schlussfolgerte die Schamanin. Und an Yke gewandt setzte sie hinzu: „Und deine Familie wird daher auch schon wesentlich früher als zu den Lebzeiten deiner Großmutter diesen Ort verlassen haben.“ Ein stummes ‚hast du überhaupt irgendetwas gelernt‘ fügte sich zumindest in meinem Kopf an.

Nach diesem ersten Überblick sahen wir uns etwas genauer um und fanden noch die Überreste einiger Oger sowie etwas…das ich gar nicht so lange ansehen wollte, wie es die Neugier geboten hätte. Allerdings fand sich nichts, was für uns irgendeinen Nutzen hatte. Magische Waffen wären zwischen dem ganzen Unrat aufgefallen wie der Mond am Nachthimmel.
Dann wandten wir uns den Resten des Burgfrieds zu, wo allerdings kaum mehr als die Treppe hinauf vorhanden war. Hier schienen die Verteidiger noch einmal alles aufgebracht zu haben, was ihnen zur Verfügung stand. Die Stufen waren unter den Leichenbergen kaum zu sehen, geschweige denn zu begehen. Es würde mich nicht wundern, wenn die Dämonen irgendwann entschieden hatten, einfach den Burgfried im Gesamten in Stücke zu zerreißen.
Die nächste Fundstelle waren die ehemaligen Ställe, wo ungesattelte Pferde einen unrühmlichen Tod gestorben waren. Auch ihre Kadaver hatten scheinbar irgendwann aufgehört zu verwesen. Kurz darauf entdeckten wir die ehemalige Waffenkammer, welche jedoch bereits von den siegreichen Horden der Finsternis ausgeplündert worden waren. Für uns übrig waren Rost und Asche.
Die einstigen Gärten hatten sich in Unkrautherde verwandelt, die über ihre Grenzen hinausgewachsen waren und beinahe ein Viertel des hinteren Burghofes ausmachten. Knapp daneben befand sich der geschändete Schrein einer Gottheit, irgendein weißer Felsen mit einer nicht mehr erkennbaren Statuette. Fragend sahen wir zu Yke hinüber.
„Das dürfte ein Heiligtum Tins gewesen sein, der Gott des Himmels und Bezwinger der Ungeheuer.“

Immerhin etwas wusste unser Adelssprössling. Dass Tin diesen Kampf gegen die finsteren Kreaturen offensichtlich verloren hatte, schien ihr nicht näher zu gehen als uns anderen. Aber mit Frömmigkeit hätte sie mich doch auch ziemlich überrascht.

Nachdem wir dann feststellten, dass die Mauern sowie die Türme – soweit noch vorhanden – nicht begehbar waren, räumten wir uns die Treppe zu den Resten des Burgfrieds frei und machten uns daran, die Hauptruine zu durchsuchen. Aber kaum hatten wir die letzte Stufe erreicht, flackerte es hinter uns auf.

Wieder wurden wir in die Zeit der Belagerung zurückgeworfen. Um uns herum kämpften etliche Orks in absurder Überzahl gegen die Verteidiger, die nur noch zu hoffen schienen, ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen zu können. Doch der Fokus dieser Vision lag nicht beim verzweifelten Kampf Mann gegen Mann, sondern auf einer Lichtgestalt, die vor dem Torhaus wie ein Fels in der schwarzen Flut stand. In eine glänzende Vollrüstung gehüllt und einem prächtigen Zweihänder in der Hand mähte der Mann mit jedem Streich mindestens zwei der Grünhäute nieder, die in die Burg geströmt kamen. Es hatte sich bereits ein Kreis aus Gefallenen um ihn gebildet während kein Streich die Rüstung durchdrungen hatte. Wäre nicht ein jeder selbst im Todeskampf gewesen, so hätten sie sicherlich ihrem Anführer zugejubelt – der letzte, der wohl wirklich noch an einen Sieg glaubte.
Da schritt durch das zerschmetterte Tor die Kreatur des Abgrunds, den grässlichen Stierkopf zu einer Fratze des Hasses verzogen, was dolchlange Zähne offenbarte, die gezackt waren, wie die von Haien. Barhändig und wild schreiend stürzte es auf den gleißenden Ritter zu, der, scheinbar selbst von dieser Monstrosität unbeeindruckt, Maß nahm und mit seinem Zweihänder zu einem vernichtenden Schlag in die Eingeweide des Dämons ansetzte. Doch die Finsternis streckte nur eine Hand entgegen und fing die Klinge auf, als wäre sie stumpf wie Stein und die Kraft des Burgherrn kaum mehr als ein leichter Windstoß. Grunzend schleuderte das Stiermonster die Klinge weg, dass sie einen umherstehenden Ork durchbohrte. Nun schien selbst den Helden dieser Schlacht die Angst zu packen und verzweifelt wich er Schritt für Schritt zurück, fahrig nach einem Dolch an seinem Gürtel greifend. Doch ehe er wieder bewaffnet war, packte ihn eine mächtige Pranke, umschloss seine Beine und riss ihn nach oben. Die zweite legte sich um seinen Oberkörper. Geschockt von dem Anblick, den der gerade noch so schillernde Held abgab, wie er da einer Puppe gleich in der Luft hing, schloss ich die Augen. Ein knirschend-fleischiges Geräusch zusammen mit einer zu guten Vorstellungskraft erschuf dennoch ein grässliches Bild vor meinen Augen – Blutregen ging auf die Umstehenden nieder und als ich die Augen wieder öffnete, versuchten die übrigen Verteidiger nur noch zu fliehen. Ein jeder bekam ein Schwert in den Rücken oder wurde einfach von den Wesen der Finsternis zu Tode getrampelt.

Wir atmeten auf, als die Illusion endete. Das Grauen, welches hier gewütet hatte, übertraf meine finstersten Vorstellungen. Insbesondere Yke wirkte blass und geschwitzt, als hätte sie soeben Todesangst durchstanden. „Das Wappen auf der Rüstung…dieser Ritter war mein Vorfahre gewesen“, keuchte sie nur. Noch einen Moment sammelten wir uns, dann betraten wir den Burgfried – ein einziger Trümmerhaufen, zwischen dessen Steinen halb zerschmetterte Skelette von dem Massaker zeugten, dass am Abschluss der Belagerung gestanden hatte.
Eifrig durchwühlten wir den Schutt auf der Suche nach einem Kellerabgang, denn dies sollte schließlich der Ort sein, an dem der sagenumwobene Schatz der ah Kirnaks lag. Zudem der einzige Platz, von dem wir noch nicht gänzlich sicher waren, dass er zerstört worden war. Es war dann Leana, die die einstige Geheimtür fand, welche nun nur noch bescheidenen Versteckcharakter hatte, wie sie da halb zerschmettert nach unten auf die ersten Stufen einer Wendeltreppe hing. Ich ging ab jetzt vor, sorgsam darauf achtend, dass es nicht noch die eine oder andere Falle gab, die uns Unheil bringen konnte. Gegen die Dunkelheit half von Leana heraufbeschworenes Licht.

Doch uns erwarteten keine bösen Überraschungen, bis wir am Ende der Wendeltreppe einen runden Raum erreichten, dessen einzige Ausstattung ein Quader aus weißem, beinahe durchscheinendem Stein war, der sich nahezu in der Mitte befand. Hier fanden sich keinerlei Spuren der Zerstörung mehr, weder Waffenreste noch Leichen. Wahrscheinlich hätte man direkt auf diesem Klotz eine Amputation durchführen können, ohne eine Infektion befürchten zu müssen. Entweder war die Geheimtür also erst durch den letzten Einsturz des Turmes zerschmettert worden oder irgendetwas hatte die dämonischen Ausgeburten daran gehindert, weiter zu gehen.
„Das dürfte ein Altar des Tin sein, so wie der oben. Nur, dass dieser hier in einem Stück ist“, bemerkte Leana. Ich tastete dieses Heiligtum nach irgendwelchen Besonderheiten ab, ebenso suchten wir den Rest des Raumes ab – nichts. So gingen wir durch die einzige Tür, die heraus führte und standen prompt in einem Gang, von dem aus zunächst rechterhand ein weiterer Raum zu erreichen war. Nun hieß es Stück für Stück vorzugehen und alles genauestens zu untersuchen. Mit einem lang gezogenen: „Zimmerservice!“ trat Anduil die Tür ein.

Dahinter lag eine Art Ehrenhalle. An den Wänden befanden sich einige Wappen oder Trophäen, an manchen Stellen hatten wohl auch einst Zierwaffen gehangen. Allerdings waren hier definitiv schon Plünderer gewesen, die das wenige, was der Raum wohl mal zu bieten hatte, bereits eingesackt hatten. Also kehrten wir wieder auf den Gang zurück und bogen um eine Kurve nach rechts ab.
Vor uns am Boden lagen etliche Skelette, einige von ihnen komplett auseinandergerissen. Die weißen Wände waren hier von Feuer geschwärzt worden und das mulmige Gefühl beschlich mich, dass der Staub durch den wir hier gingen nicht nur einfacher Dreck war. Plötzlich ertönte aus dem Nichts heraus ein langer, weiblicher Schrei – so voller Qualen und Verzweiflung, das meine Vorstellungskraft versagte, sich ihr Leiden vorstellen zu können. Doch insbesondere Leana schien es zu treffen. Heftig zuckte sie zusammen und wurde einen Moment kreidebleich. Sie wäre nicht unsere Schamanin gewesen, wenn sie sich nicht gleich wieder zusammengerissen hätte, aber dieses grausige Schicksal schien ihr stark ans Gemüt zu gehen.

Hinter einer weiteren Tür entdeckten wir ein paar Zellen, deren Vorraum geplündert wurde. Hinter dem ersten Gitter war nichts zu sehen, leer. Hinter dem zweiten jedoch befand sich ein recht kleines Skelett am Boden. Ich öffnete das Schloss und trat vorsichtig hinein. Es dauerte keine zwei Sekunden, da verschwamm die Luft um die Knochen herum zu einem milchig-blassem Schatten, der sich erhob und vor meinen Augen langsam Form annahm. Es war ein kleines Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt. Ihre Kleidung war zerschlissen, musste jedoch einst recht schön gewesen sein. Die Haare hingen ihr wild ins Gesicht. Vor ihrem Tod musste sie viele Tage hier drin gewesen und vollständig verwahrlost sein. Als sie mich schließlich wahrzunehmen begann, bewegte sie die Lippen: doch es kam kein Ton heraus. Hilflos zuckte ich mit den Achseln, da schien sich das Mädchen zu wandeln. Die Augen rutschten tiefer in die Höhlen, das Erscheinungsbild verdunkelte sich und mit einem stummen Schrei sprang sie nach vorne. Rasch sprang ich zurück aus der Zelle und der Geist prallte wie gegen eine Wand.

„Verflucht!“, stellte ich überflüssigerweise fest und sah hoffnungsvoll zu Leana hinüber. „Ist wahrscheinlich besser, wenn du sie erlöst.“
Die Schamanin runzelte kurz die Stirn, schien über etwas nachzudenken. Doch schließlich begann sie das Ritual, welches mit einer entschiedenen Geste endete und der Geist des Mädchens verging. Ob sie das wirklich befreit hatte, war schwer zu sagen, doch konnte man es zumindest hoffen. Den Angriff konnte ich der gepeinigten Seele kaum übel nehmen, sie musste vor ihrem Tod schreckliche Qualen erlitten haben.

Wir suchten weiter den Keller ab, wobei uns eine „Verhörkammer“ mit den obligatorischen Folterinstrumenten vor die Augen kam. Kreativ ergänzt wurde dies durch einen besonderen Spiegel, der von der anderen Seite wie ein Fenster war. Sobald wir den Mechanismus gefunden hatten, sprang er leicht auf und konnte wie eine Tür geöffnet werden. In dem Kämmerchen, was sich uns nun offenbarte, befand sich ein alter Schreibtisch mit diversen Unterlagen. Während wir gewöhnlichen Gestalten nach irgendetwas Interessantem suchten, bekam Leana nahezu leuchtende Augen.

„Das hier sind Schriften aus der Zeit des Krieges der Magier! Die sind Hunderte von Jahren alt, stellt euch vor, was da für ein Wissen drin steckt!“
Da sprang der Funke auf mich über: „Perfekt. Stellt euch vor, was uns irgendwelche runzligen Gelehrten für den Kram bezahlen werden!“

Leana wirkte etwas enttäuscht von meiner Missachtung dieses wissenschaftlich bestimmt revolutionären Fundes…
Eine Sache zog sie dann aus dem ganzen Kram heraus: „Hier, das könnte interessant sein. Hm… ein gewisser Trilassar schreibt hier an Arunbal. Er glaubte, der Krieg sei bald vorbei. Allerdings warnt er ihn eindringlich, aufmerksam zu bleiben. Klingt, als wäre hier etwas versteckt gewesen, was die Dunklen Meister haben wollten.“

„Interessant“, kommentierte ich mit bedächtigem Kopfnicken. Anduil wirkte auch unglaublich gefesselt und Yke wirkte offenkundig gelangweilt.
Nach diesen Erkenntnissen fanden wir zwischen den ganzen anderen Sachen tatsächlich einige Dinge, die für uns wirklich interessant sein konnten. Ein mondförmiges Amulett, eine Spruchrolle, diverse Zaubertränke sowie ein kleiner Stift aus Alchimistenblei an einer Kette zum umhängen.

Dann suchten wir die restlichen Räume im Kellergewölbe ab, was sich jedoch als nicht sonderlich ergiebig erwies. Ehemalige Ruhe-, Übungs- und Experimentierbereiche waren allesamt verwüstet worden. Egal, was dort gewesen war, es wurde gestohlen oder zerstört. Allerdings gab es nun keine Abzweigungen und nach unserem Wissen auch keine Geheimtüren mehr. Doch vom legendären Schatz und insbesondere Ykes Familienjuwel war keine Spur zu sehen.

Leana beschloss, noch einmal die Zelle mit dem Geistermädchen aufzusuchen. Mir war der Zweck zwar nicht ganz klar…da erschien es von neuem und sah fragend durch die Gitterstäbe zu der Schamanin hinüber. Entweder ihre Zauberkräfte ließen nach oder hier war etwas Mächtigeres am Werk.
„Vielleicht ist es besser, wenn ich versuche, mit ihr Kontakt aufzunehmen“, meinte Leana nur, was ich achselzuckend hinnahm. Mein erster Gesprächsanlauf war ja wirklich nicht sonderlich geglückt. Statt ihr jetzt aber bei aussichtslosen Verständigungsversuchen zuzusehen, ging ich zurück zu dem Stein, den die Menschen als Altar nutzten. Nun beschloss ich, alles aufzufahren, was ich an Heuchelei aufbieten konnte.

„Tin!“, rief ich und warf mich vor dem Altar auf die Knie. „Herrscher des Himmels, Bezwinger der Bestien, Schönster der Schönen und Gewinner aller Herzen, Tiiiiiiiiiiin! Erhöre mein Rufen!“
Dann legte ich meine Hände auf den Stein und spürte prompt ein leichtes Vibrieren – also machte ich weiter.
„Tin! Denk daran, ich war da vor dreitausend Jahren! Hab gesehen, wie dich dein Vater aus der Ursuppe gezogen und in den Himmel geworfen hat, also los! Tihiiiiiiiiin! Offenbare dich!“

Das Vibrieren ließ trotz dieser konservativen Glaubenssprüche nicht nach, wurde aber auch nicht stärker. Verdammt, der kleine Rotzlöffel von einem Gott.
Anduil, der sich das ganze belustigt angesehen hatte, machte sich nun zusammen mit mir daran, die Räume abzusuchen, ob diese Vibrationen eventuell eine Veränderung hervorgerufen hatten. Das verbrauchte viel zu viel Zeit und brachte nur das ernüchternde Ergebnis: Tin war scheinbar noch nicht so recht von mir überzeugt.

Leana stieß ebenso erfolglos zu uns und wir beschlossen zunächst die Nacht unter Sternen zu verbringen, denn der Tag war nach den stundenlangen Suchereien wie im Fluge vergangen. In der Nähe des zerstörten Altars im hinteren Bereich des Burghofs erschien uns zumindest etwas sicher. Während die anderen die Zelte aufbauten, näherte ich mich auch einmal diesem kaputten Stein der Anbetung und warf mich erneut mit aller Überzeugungskraft, die ich aufbieten konnte, auf den Boden.

„Tiiiiiiiiiiiiiiin! Tikkmikk hier! Ich bin quasi dein Onkel, also jetzt stell dich nicht so an. Ruf mich zurück, wenn du Zeit hast, ja?“

Dann übernahm ich die erste Wache, wenngleich die Nacht erstaunlich ereignislos verging, wenn man bedachte, dass hier etwa einhundert Skelette verteilt waren.
Am nächsten Tag suchten wir auch erneut an der Oberfläche alles ab, hier hätte sich auch etwas ändern können. Hätte. Enttäuscht gingen wir wieder die Wendeltreppe hinunter, bis wir erneut bei Tins Schrein standen.
Wieder warf ich mich auf die Knie: „Tin! Tikk wieder hier…“
„… und Anduil!“, kam der Albai mir zur Hilfe.
„Jetzt sei nicht so! Wir bringen dir auch bestimmt ein ganz tolles Opfer dar!“
„Ja, wir haben eine Jungfrau“, ergänzte mein Freund mit Blick auf Yke, die ganz erschrocken dreinschaute.
„Echt! Ein besseres Angebot kriegst du nicht mehr!“ Ich blickte über die Schulter. „Auf Mädels, sonst wird das doch nichts.“

Yke wirkte immer noch irritiert, während Leana beschloss, die Langweilerin vor dem Herrn zu bleiben. Immerhin spürten Anduil und ich dasselbe Kribbeln in den Händen, also machten wir offensichtlich fast alles richtig. Ich beschloss, mich einmal komplett darauf zu legen und rief erneut nach Tin. Die Vibrationen breiteten sich auf meinem ganzen Rücken aus – vielleicht war das einfach der legendäre Schatz der ah Kirnaks. Die legendäre Massagebank des Tin!
Nachdem ich meinen Schwachsinn beendet hatte, konnten wir sinnvoll weiterarbeiten und gingen noch einmal zu dem mittlerweile vertrauten Geistermädchen. Anduil versuchte nun auch eine Gesten aus, verbunden mit diversen Worten, in der Hoffnung, dass sie uns zumindest hören kann. Aber auch das schien nicht zu fruchten. Da hatte ich tatsächlich eine bahnbrechende Idee! Wenn unser albischer Kämpfer Material dabei hatte um einen Phallus, äh eine Karte, zu zeichnen, dann konnten wir ja auch einfach schriftlich kommunizieren. Als Kind höheren Hauses bestand auch eine gewisse Chance, dass das Mädchen lesen konnte!

Gesagt getan: Leana setzte den Plan in die Tat um und nach langwierigem hin und her stellten wir fest, dass es sich bei dem Mädchen um einen Spross der ah Kirnaks handelte. Unverkennbar der Familienzweig, der es nicht weggeschafft hatte. Als zur Schrift kam, dass wir bei dem Altar etwas bemerkt hatten, forderte der Geist Leana auf, selbst die Hand aufzulegen. Auf das tausend Jahre tote Kind hörte die Schamanin dann auch prompt und machte sich auf zum Altar. Warum auch gleich auf Tikk hören?

Gebannt betrachteten wir, wie sie sich vor dem Stein aufstellte, behutsam eine Hand knapp über den Stein hielt und sie ganz langsam ablegte. Zunächst geschah nichts, kein Beben, keine weiteren Visionen, kein Geheimgang öffnete sich. Dann durchfuhr Leana ein leichter Schauer.
„Der Schrein reagiert. Aber es braucht wohl noch ein Schlüsselwort…“

Hoinath, Kirnak, Yke, Trilassar, Arunbal und zehn weitere Namen später rief unsere Schamanin nach einem Geistesblitz sondergleichen laut: „Licht!“
Ein Ruck fuhr durch den Raum und Leana wich einen Schritt zurück. Über dem Altar flackerte die Luft, leuchtete schließlich allen Farben des Regenbogens auf, ehe sich die Lichtpunkte Glühwürmchen gleich zu einer Pforte zusammenfanden – in der Mitte lag tiefe Dunkelheit.
Ohne langes Zögern stieg Leana hindurch und verschwand ohne Spur, aber auch ohne einen vorhergehenden Schmerzensschrei. So folgten wir ihrem Beispiel…

Und fanden uns in einem leeren, kreisrunden Raum wieder, der dem gerade verlassenen erschreckend glich. Nur hier stand der magische Torbogen direkt auf dem Boden. Der einzige Weg weiterzukommen schien eine Tür direkt vor unserer Nase zu sein. Sorgfältig wie immer untersuchte ich sie auf Fallen, dann gingen wir hindurch.
Wir betraten einen langen, recht breiten Gang, an dessen Ende zwei Türen waren. An der Wand zwischen ihnen befand sich ein faustgroßer Kristall über den in alten valianischen Lettern stand: „Sage den Namen!“

Wieder probierten wir alles durch, was uns bisher begegnet war, riefen wild durcheinander und hofften einfach, dass die Türen irgendwann aufsprangen. Als jedoch der Kristall grün zu flackern anfing und uns plötzlich gleichfarbige Feuerblitze entgegengeschleudert wurden, schien es Zeit für eine Beratung. So schlappten wir zurück zum Geistermädchen und fragten es endlich nach seinem Namen: „Larna ah Kirnak“. Im Weiteren teilte sie uns mit, dass sie uns Erfolg wünsche, denn ein schlimmer Fluch hielte sie hier gefangen.
Damit gewappnet kehrten wir zurück. Vorsichtig lugten wir in den Raum hinein, doch der Kristall schien sich zunächst beruhigt zu haben. So trat Leana heran und rief laut den Namen des gepeinigten Mädchens – offenkundig der Tochter des einstigen Burgherrn. Zur Antwort leuchtete die Verteidigungsanlage golden auf und sanft schwangen die eisenbeschlagenen Türen auf. Neugierig gingen wir durch sie hindurch, um in der kleinen Kammer, die folgte, drei Podeste zu finden. Auf einem lag ein reichlich verzierter Stab, auf dem nächsten ein Barren eigenartigen Metalls. Es ähnelte Silber, wirkte jedoch reiner. Der letzte Gegenstand war ein rotes, großes Ei, dessen Schale fest wie Leder aussah.

„Das ist ein Stab des Feuers. Dann haben wir hier noch Alchimistenmetall, das einzige Erz, welches Magie nicht stört. Und das hier“, schloss Leana beinahe mit einem Seufzer und hob das Ei an. „Ist ein Phönixei. Seine Macht ist sagenumwoben und sein Wert nahezu unfassbar.“

Da klappte mir glatt die Kinnlade herunter. Ich hatte während meinen zwölfunddrölfzig Jahren in Valian einmal von einem Dieb gehört, der ein solches Ding aus der Magiergilde gestohlen hatte. Es hieß, er hätte seit dem nie wieder einen Finger rühren müssen. Nun, dass wäre mir persönlich ja zu langweilig, aber Reichtum klang schon einmal ziemlich gut!

Hinter den Podesten befand sich noch eine weitere Tür, die in eine ebenso kleine Kammer weiterführte. An der rechten Wand hing ein juwelenbesetztes Langschwert, an der linken ein Wurfspeer von unglaublich filigraner Arbeit. Vorsichtig nahmen wir die beiden Waffen herunter. Erstere war offensichtlich Zierrat, den man gut verscherbeln könnte. Irgendein Lackaffe aus der Stadt würde sich den geschmacklosen Tand bestimmt gerne in die Wohnung hängen. Aber der Speer lag wie eine Feder in der Hand und schien von einem fähigen Schmied, wenn nicht gar von einem Thaumaturgen gefertigt. Doch noch immer fehlte uns das Familienjuwel der ah Kirnaks.

Sorgfältig suchten wir den Raum ab, bis wir einen auffälligen Stein an der Wand gegenüber der Tür fanden. Sachte drückte ich ihn hinein und dann ein Stück nach rechts. Es zeichnete sich in dem Marmor ein Umriss ab und sanft wie ein leichter Atemzug glitt der schwere Stein zur Seite. Doch dahinter verbarg sich kein Raum, sondern eine weitere Tür. In valianischen Lettern stand dort geschrieben:

„Das Wort bringt Ruhe,
Die Hand bringt Ahnung,
Der Geist bringt Gewissheit.“

Bei dem Wort „Wort“ erlosch das Licht um uns herum, welches Leana jedoch problemlos wieder heraufbeschwor. Als „Hand“ berührt wurde, flackerten die Lettern auf und die Schrift verschwand. Anduil wirkte kurz darauf ziemlich konzentriert und plötzlich sprang die Tür auf. Später erzählte er mir, dass er einfach nur daran gedacht habe, dass der Weg sich für uns öffne.

Vor uns lag eine kleine Kammer, welche komplett mit schwarzem Marmor ausgekleidet war. Der einzige Inhalt war ein zentral stehender Metallsockel, dessen Spitze von einer Glaskugel umschlossen war. Darunter lag ein dreißig Zentimeter durchmessender Opal. Bevor Yke jedoch irgendwelche Dummheiten machen konnte, stellte sich Leana in die Tür und begutachtete dieses Artefakt.

„Da liegt ein Todeszauber drauf. Das ist schwarze Magie… ganz schlecht.“
„Kannst du es bannen?“

Die Schamanin ließ Taten sprechen und begann ein langes und komplexes Zauberritual, bei dem die Luft zwischen ihr und dem Artefakt zu knistern begann. Entweder ging meine Einbildungskraft mit mir durch, oder es war, als ob schwarze auf grünliche Lichtblitze treffen und sich gegenseitig eliminieren würden. Schließlich sandte Leana einen Stoß aus und… die Glasabdeckung über dem Opal zerbrach in tausende Teilchen, die um den Metallsockel herum zu Boden gingen.
Doch das schien noch nicht alles gewesen zu sein. Es vergingen weitere Minuten, in denen die Schamanin scheinbar eine magische Schutzvorrichtung nach der anderen in Stücke riss. Momente wie diese machten mich unheimlich froh, dass sie auf unserer Seite war. Gerade wirkte sie scheinbar den letzten Spruch, wobei schon die eine oder andere Schweißperle geflossen war. Da ruckelte der Opal und fiel vom Sockel. Das musste es gewesen sein!

Plötzlich…ein Zischen, Flackern. Vor Leana am Boden leuchtete irgendetwas auf und ich hörte nur noch ihr lautes, moravisches Fluchen. Dann gab es eine Explosion, dass es mir fast das Trommelfell zerriss und die gesamte Kammer füllte sich mit gleißendhellen Flammen. Die Schamanin vor mir wurde komplett vom Feuer verschluckt und nur mit Mühe gelang es mir, der zu uns anderen herausschießenden Feuerzunge auszuweichen.
Einen kurzen Moment später war es auch schon vorbei und nur der schwarz gefärbte Boden in dieser Kammer verriet, was gerade noch geschehen war. Schnell stürzte ich zu Leana, welche sich qualmend auf dem schwarzen Marmorboden wälzte. Ihre Haut war an etlichen Stellen aufgeplatzt, teilweise fast schon verkohlt. Hastig flößte ich ihr meinen Heiltrank ein. Binnen Sekunden verschlossen sich die ärgsten Verletzungen, doch noch immer sah sie schrecklich mitgenommen aus.

Doch kaum eine Sekunde später realisierte ich, dass es noch nicht vorbei war. Aus dem Rauch erhob sich eine Gestalt: beinahe menschenähnlich, aber kaum größer als ich und mit dichtem, braunen Fell und einem ledrigen Gesicht. Die Arme wirkten kräftig, der Rücken gebeugt und aus dem Ende der Wirbelsäule heraus ragte ein langer Stachel wie der eines Skorpions.
„Affendämon“, keuchte Leana, ehe sie etwas zurückkroch. Anduil schien irgendeinen Splitter vom Metallsockel an den Kopf bekommen zu haben und lag benommen am Boden. Yke wirkte noch vollkommen desorientiert. Es hing…an mir. In einem meiner seltenen Anfälle von Heldenmut zückte ich die Klingen und stürzte mich der Kreatur entgegen.

Binnen weniger Sekunden wusste ich wieder, warum solche Torheiten nicht auf meinem Tagesplan standen. Der lange Stachel zuckte über die Schulter des Affen auf mich zu. Das Tempo war atemberaubend und ehe ich reagieren konnte, bohrte sich die Spitze in meine Schulter. Der Stich selbst war nicht sehr schmerzhaft, doch es brannte wie Feuer. Ich konnte nur hoffen, dass ich dem Gift, welches zweifellos gerade in meine Adern gepumpt wurde, widerstehen konnte.
Schnell stach ich mit dem Dolch nach dem Schwanz, welchen der Dämon jedoch rechtzeitig zurückziehen konnte. Mit einem Stich meines Kurzschwertes zwang ich ihn, noch einen Schritt zu weichen. Grunzend trat der Affe dabei in einige der Metallsplitter. Er fauchte laut auf und sprang mir entgegen. Der blindwütigen Attacke entging ich mit Leichtigkeit und warf meinen Dolch direkt in die Kniekehle des Monsters. Es fauchte, wirbelte wieder herum und stach in einem üblen Tempo mit dem Stachel nach mir. Links, rechts, ich sprang durch die Gegend wie ein abgerissener Grashalm im Wind herumgewirbelt wurde. Eine Zeit lang gelang mir das einigermaßen gut, doch da trat ich auf den abgesprengten Rest des Metallsockels und strauchelte einen Moment zu lange. Der Skorpionstachel jagte blitzschnell heran und bohrte sich in meine Magengrube. Ich krächzte auf vor Schmerz, doch diesmal beschloss ich aufs Ganze zu gehen. Mit der freien Hand umklammerte ich das Schwanzende, zog einmal kräftig daran und brachte den verfluchten Dämon so zum Taumeln. Zum Glück wunderte ich mich nicht allzu lange über die plötzliche Kraft in meinen Armen, dann stach ich entschlossen zu und durchbohrte präzise die Kehle des verdammten Affen. Ohne einen weiteren Mucks brach das Vieh zusammen, doch ich spürte wieder ein Brennen in meiner Körpermitte. Und diesmal breitete es sich aus. Das Gift wanderte durch mein Blut und es konnte nicht mehr lange dauern, bis es das Herzen erreichte.

Ich sprang zu Leana hinüber, doch sie war noch zu geschwächt, um einen Zauber ausführen zu können. So gab ich ihr den eigenen Heiltrank. Weitere Wunden schlossen sich und die Schamanin kam tatsächlich wieder auf die Beine. Zwei, drei Sekunden brauchte sie, um sich wieder zu sammeln. Dann blickte Leana mich an und mit einem einzigen Wort beendete sie das Brennen, welches mir bereits die Lungen zuzuschnüren gedroht hatte. Dankbar nickte ich ihr zu, dann sahen wir nach dem, was uns schließlich hierher geführt hatte: das Familienjuwel der ah Kirnaks. Leana besah sich es noch einmal, nachdem nun wirklich alle Schutzvorrichtungen drum herum abgebaut waren.
„Immer noch finster. Aber jetzt bin ich zu schwach, genaueres festzustellen. Nehmen wir es vorerst so mit“, keuchte sie und wickelte den Opal anschließend in ein Tuch ein, ehe es in ihrem Rucksack landete. Dann liefen wir durch das Portal und die Treppe nach oben aus dem Kellergewölbe heraus. Anduil wirkte immer noch sichtlich benommen, das würde sich die Schamanin später genauer ansehen müssen.

So schnell wir konnten, liefen wir aus dem Burgfried hinaus und dem Torhaus entgegen – dort wo wir das Zauberboot vertäut hatten. Doch ein letztes Mal veränderte sich die Umgebung um uns herum.

Nicht alle Verteidiger schienen nach dem Tod des Burgherrn der Verzweiflung zum Opfer gefallen zu sein. Eine kleine Schar Robenträger hatte sich vor dem Burgfried postiert und schleuderte Donnerblitze, Flammenlanzen und Sturmwinde gegen die heranstürmenden Orks, welche zu dutzenden weggemetzelt wurden – gegrillt, verbrannt oder einfach nur an der Mauer zerquetscht. Es schien ein allerletztes Mal so, als hätte es noch Hoffnung für die Verteidiger gegeben. Da ertönte das Aufbegehren der dunklen Horde. Alle Dämonen rannten gemeinsam auf die Zauberer zu und begannen dabei fauliges Gas aus ihrem Rachen herauszusprühen. Die Sensen in ihren Händen warteten nur darauf, Menschenblut zu mähen. Zwischen diesen Kreaturen eilten noch dutzende Trolle auf das Schlachtfeld, packten umherstehende Kämpfer und zerquetschten die Schädel mit nur einer Hand.

Dann endete die Vision. Wir wollten gerade weiter, da schnaufte es hinter uns verdächtig. Da Anduil vor mir stand…ich sah besorgt zurück: einer der Trolle aus der Vision schien soeben entschieden zu haben, dass er nicht zur Vergangenheit gehörte. Putzmunter stand er da und sah uns aus seinen dümmlichen, kleinen Äuglein boshaft an. Einen Moment starrten wir einfach nur zurück – dann brach das Monstrum die Stille, indem es sich auf die Brust trommelte und mit einem Schrei auf uns zu rannte.
So schnell uns die Beine noch trugen, rannten wir zurück zum Boot und sprangen hastig hinein. Selbst Anduil war dieses magische Gefährt jetzt lieber, als gegen einen ausgewachsenen Troll zu kämpfen. Die Feuerwand, die ursprünglich den Rückweg versperrt hatte, war wohl zwischenzeitlich gefallen.

Kaum waren alle an Bord, stießen wir uns hektisch ab. Sekunden später erreichten wir die andere Seite des Grabens, sprangen an Land und mit einem kurzen, aber geratenen „Schrumpfe!“ kassierte ich vorerst das Zauberboot als kleine Miniatur ein. Prustend liefen wir einige Meter auf das Plateau, ehe wir uns umsahen, um beruhigt den Troll zu sehen, wie er uns von dem Tor aus zubrüllte.

„Zeit, das Spiel zu beenden. Gebt mir das Juwel. Jetzt“, erklang es hinter uns. Verdutzt drehte ich mich um. Es war Ykes Stimme gewesen, doch klang sie nicht mehr wie das Dummchen von einem Adelsspross, sondern knallhart und einer unverhohlenen Drohung im Unterton – quasi zum Verlieben. Auch äußerlich hatte sich unsere Auftraggeberin verändert. Das Haar war nun schwarz und der Blick aus ihren Augen wirkte eiskalt, beinahe tot.
Als Antwort verzog ich meine Lippen zu einem kleinen Lächeln, zückte einen Wurfdolch und schleuderte ihn mit aller Kraft auf das Miststück. Anduil neben mir zog seine Waffen, doch ehe er Yke erreicht hatte, war sie unter meinem Angriff weggetaucht und mit einer zupackenden Handbewegung in Richtung des Albais schienen all dessen Glieder zu versteifen und ihm blieb nur noch, entsetzt durch die Gegend zu starren.

Dann zückten Leana und ich unsere Waffen und stürmten auf Yke los. Noch auf dem Weg dahin wirkte die Hexe noch einen Zauber, welcher die Schamanin deutlich verlangsamte, jedoch nicht gänzlich lähmte. Ich spürte ebenfalls die Magie wie Ketten, die sich auf meine Muskeln legen wollten, doch wie für Gnome üblich, schüttelte ich mich einmal und wurde den Fluch los.
Wir nahmen Yke in die Zange und zwangen sie dazu, Angriffe aus zwei Richtungen abwehren zu müssen – und schnitten ihr zugleich den Fluchtweg ab. Nun hieß es alles oder Nichts.
Derart in die Enge gedrängt zückte die Hexe ihren Dolch und stach wild geworden um sich. Diese Attacken konnte ich jedoch leicht mit meinem Parierdolch abfangen, während Leana – soweit es Ermattung und Verhexung erlaubten – einen kleinen Schnitt nach dem nächsten in den Rücken der Frau setzte. Immerhin hatte sie diesmal nicht mit ihr geschlafen!
Dann ging es doch schneller, als gedacht. Bei ihrem nächsten Angriff fing ich den Dolch erneut mit der breiten Parierstange meiner Klinge ab und nach einer kurzen Drehung stand sie entwaffnet da. Keine Sekunde später bohrte sich mein Kurzschwert tief in ihren Brustkorb, genau auf Höhe des Herzens. Unmittelbar danach zog ich die Schneide ruckartig heraus, verletzte dabei noch gehörig die Lunge. Blut spritzte aus der Wunde und geriet in ihre Atemwege. Röchelnd ging Yke auf die Knie, spuckte noch ein paarmal… dann starb sie. Der Körper zerfiel unmittelbar mitsamt der Robe zu Asche, welche wiederum aufglomm und zu Rauch verpuffte.
Von der Burg her, hörten wir den Todesschrei des Trolls – dann war es wohl die Hexe gewesen, die ihn uns auf den Hals gehetzt hatte. Verfluchtes Dreckstück! Aber nun war sie tot, was es uns ermöglichte, zum ersten Mal seit Stunden befreit aufzuatmen.

Einige Überreste hatte sie uns dann doch noch dagelassen: eine kleine Trillerpfeife sowie einen Anhänger mit einem merkwürdigen, pyramidenartigen Gefäß am Ende.
„Seht! Da sind wieder die Vögel!“, rief Anduil, während Leana sich mit müden Augen die Artefakte betrachtete. Und der Albai hatte recht: der Vogelschwarm war da, näher als je zuvor. Doch noch immer ließ sich nicht sagen, was für eine Art das sein sollte. Nur stand jetzt fest, dass sie ziemlich groß waren. Sobald wir uns jedoch sicher waren, dass sie noch auf Abstand bleiben würden, meditierten Leana und ich zunächst, um wieder zu Kräften zu kommen. Diesmal gelang es, wenngleich die Beine der Schamanin noch zu wacklig waren, um den Hang sicher herunterlaufen zu können. Diese verdammte Feuerkugel hatte sie echt übel zugerichtet. Doch es gab ja noch Anduil, der allzu gerne den Ritter spielte, der der…Jungfrau… in die Nöten half. Mit einem zugegebenermaßen dümmlichen, aber irgendwie auch sympathischen Grinsen im Gesicht nahm er die Frau auf die Arme und trug sie sanft den ganzen Weg nach unten.

Es wurde Abend, als wir den Steg erreichten und unser Zeichen für den Kapitän hinterließen. Da beschlossen wir, gleich an Ort und Stelle das Lager aufzuschlagen, um endlich in wohlverdienten Schlaf zu versinken.
Am nächsten Morgen erwartete uns eine gehörige Überraschung. Ich dachte zunächst, ich wäre nun vollständig irr, doch als die anderen die Beobachtung bestätigten war klar: am Strand im Wasser stand ein „Marid“, wie Leana ehrfürchtig bekundete. Ein Elementarmeister des Wassers! Der Unterkörper bestand aus einer Wassersäule, während der Oberkörper aussah wie der eines Menschen, gut aussehend und erstaunlich muskulös. Ein verwegener Bart passte kaum zu dem ernsten Gesichtsausdruck, mit dem er uns bedachte.
Vorsichtig näherten wir uns und Leana übernahm das Gespräch.
„Sei gegrüßt, edler Herr des Wassers. Ich bin Leana und das sind meine Gefährten. Was wünscht Ihr?“
„Ich bin Schonha“, antwortete der Mann mit einer Stimme wie das Brechen von Wellen an gewaltigen Klippen. Mit diesen wenigen Worten wurde bereits die enorme Kraft offenbar, die in ihm ruhte. „Ich habe Eure Reise genau beobachtet“, setzte er fort. „Und bin mir sicher, dass ihr edle Absichten verfolgt.“ Dann machte er zunächst eine Pause, die wie das Zurückziehen des Meeres war, ehe es erneut zuschlug.

Leana antwortete: „Wir versuchen, das Beste zu tun!“
„Nun, dann habe ich eine dringende Bitte. Oben bei der Ruine sind zehn Krakenelementare gefangen. Sie werden durch ein Artefakt gefangen gehalten, was Ihr bei euch tragt: das Juwel. Zerstört es, damit sie frei werden!“

„Nun das… hatten wir ohnehin vor“, erwiderte Leana erleichtert. Daraufhin zog sie das Juwel hervor, platzierte es vor sich im Sand und begann mit einem mehrminütigen, langen Ritual. Schonha verzog das Gesicht, als er das finstere Artefakt sah, doch es schien ihm nicht wirklich möglich zu helfen. Ebenso wie Anduil und mir, die nur da sitzen konnten und hofften, dass alles gut ging.

Die Schamanin schien mit mehreren Zaubern nacheinander arbeiten zu müssen. Immer wieder wechselte sie den Rhythmus der Sprache und der Bewegungen und jedes Mal endete sie mit einem lauten Ruf – zweimal krachte es kurz darauf und Schatten wie Klauen schossen aus dem Juwel hervor, um Leana zu greifen und zu zerfetzen. Doch beide Male prallten sie an der Schutzbarriere der Zauberin ab. Das dritte Mal ließ jedoch lange auf sich warten. Schweiß rann ihr über das Gesicht, als sie immer wieder gegen die letzte Bastion anstürmte, Spruch für Spruch losließ, um das Artefakt endlich zu zerstören. Schließlich – es mochte nun schon fast eine Stunde so gehen – gelang es ihr. Ein letztes Mal rief Leana die Beschwörungsformeln, deren Kraft aus dem Leben selbst gesponnen war. Da platzte das Juwel auseinander. Aus zwei Teilen wurden vier und es zerbrach immer weiter, bis nur noch Staub übrig war, den die nächste Welle erfasste und davontrug.

Zufrieden sah Schonha zu ihr hinüber, während sich hinter ihm in der Luft die zehn Kraken materialisierten. Diesen Wesen Gefühle zuzuschreiben erscheint mir gewagt, doch es würde mich wundern, wenn sie nicht zumindest etwas Freude darüber empfanden, dass sie nun wieder in Meerwasser eintauchen konnten, befreit aus der brackigen Brühe des verfluchten Ortes hoch oben auf dem Plateau.
„Nun, meine Freunde, habt ihr drei Wünsche frei“, offenbarte uns der Marid mit gütigem Lächeln.

Wir besprachen uns ein wenig, dann wandten wir uns an den Elementarmeister. Er machte uns zu meisterlichen Schwimmern und gab uns Kiemen, die sich entfalten, wenn wir einen Tauchgang machten. Zudem versprach er uns die Hilfe von Wasserelementaren, sollten wir einmal Hilfe brauchen. Nach diesen mächtigen Geschenken, verneigte sich Schonha vor uns und zog sich ins Meer zurück. Wenige Momente später war nichts mehr von ihm zu sehen.
Plötzlich hörten wir Rascheln und Fußtritte aus dem Wald und bemerkten überrascht, wie eine Gruppe von felllosen, sechsbeinigen Katzen mit ledrigen Flügeln aus den Bäumen herausgerannt kamen, Anlauf nahmen und davonflogen. Bald waren auch sie verschwunden und geklärt, was das für „Vögel“ gewesen waren, die uns da verfolgt hatten. Jedoch blieb es ein Rätsel, wer sie geschickt hatte…

Es verging noch ein Tag angenehmer Faulenzerei, ehe uns der altbekannte Kapitän abholte, um uns zurück nach Candranor zu bringen. Damit endete auch diese Reise und wir hatten ein riesiges Sammelsurium an Artefakten und Schätzen gesammelt, die wir zunächst in Valians Hauptstadt und dann in Corrinis untersuchen und verkaufen lassen konnten.
Die Handelsstadt am Rande Albas wurde dann auch wieder unsere Heimat für die nächsten Monate. Kontakte waren bereits geknüpft und so war es am einfachsten, hier Lehrmeister zu finden, die uns helfen konnten. Doch ich bin mir sicher, früher oder später werden wir wieder aufbrechen!

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One thought on “Das Juwel des Unlichts

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